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15.01.2010
 

„Die konfuse neue Rechtschreibung“
Der «Leitfaden 3» – und was davon zu halten ist

In der Schweiz wird in Sachen Rechtschreibung hinter den Kulissen heftig geplant und verhandelt. Ab und zu leuchtet in der Öffentlichkeit ein Widerschein auf – neuestes Beispiel: Die Kolumne "Übrigens" im Walliser Boten. Übrigens … die Auseinandersetzung ist noch lange nicht zu Ende, auch in Deutschland nicht.


Übrigens … wurde am 1. August 2009 die konfuse neue Rechtschreibung, die 13 Jahre lang immer wieder verändert worden war, für die schweizerischen Schulen als bindend erklärt. Unsere Bundeskanzlei hat 2008 in dritter Auflage dazu einen «Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung» herausgebracht. Nennen wir ihn «Leitfaden 3». Diese dritte Auflage wurde nötig, weil der «Rat für Rechtschreibung» 2006 vieles von dem rückgängig machte, was in den Jahren zuvor als «Neue Rechtschreibung» gepriesen worden war. So läuft das Possenspiel «Reform der Reformen»: Tat uns einst, reformbedingt, etwas «Leid», so tut es uns nun wieder «leid» – wie es vor der Reform war; was «so genannt» hiess, darf nun wieder «sogenannt» sein usw. Da die Autoren von «Leitfaden 3» nicht erläutern, warum etliche Jahre lang «Leid tun», «so genannt» usw. zu schreiben war, wird die Sache immer dubioser. Die Autoren stellen damit – auf die Vergesslichkeit der Leute hoffend – unehrlich als Neuregelungen vor, was eigentlich Rücknahmen der Reform sind. Wenn sie schrieben, die neue Regelung hätte viele Gegner, verschweigen sie, dass sie als Folge gewaltigen Widerstands gegen ihr liederliches Tun selbst Gegner dieser Reform werden mussten.

In unserem Land ist die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) gegen die immer noch zahlreichen Fehler der Reform angetreten. Zur «Inbetriebsetzung» der neuen Rechtschreibung ist den Autoren von «Leitfaden 3» aber noch ganz andere Gegnerschaft erwachsen, nämlich der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS). Der AdS zitiert in einem Protestbrief an die eidgenössische Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur Friedrich Dürrenmatt, der sagte: «Ändert man die Orthographie, ändert man die Sprache». Erstunterzeichner der Eingabe sind Jürg Amann, Urs Faes, Charles Linsmayer, Klaus Merz, Pirmin Meier, Adolf Muschg, Suzsann-Viola Renninger, Peter von Matt, Gisela Widmer, Urs Widmer und Peter Zeindler. [Siehe dazu hier. – Red.]

Der AdS erklärt die «Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK)» als einen «gangbaren Weg». Dieser kann über Internet www.sok.ch eingesehen werden. Die SOK-Empfehlungen schlagen durch und werden vom Verband Schweizer Presse und von der Konferenz der Chefredaktoren unterstützt. SOK-Mitglieder sind übrigens auch die Nationalräte Kathy Riklin (CVP), Filippo Leutenegger (FDP, Gründer SOK) und Oskar Freysinger (SVP).

Die Autoren des «Leitfadens 3» erfüllen leider auch einen Auftrag des Bundesrates nicht, der auf ein Postulat von Nationalrätin Riklin vom 27. September 2004 zurückgeht. Frau Riklin forderte darin, dass «die bisher möglichen Bedeutungsdifferenzierungen durch Zusammen- und Getrenntschreibung erhalten bleiben». Es geschah nichts. Nach dem reformversessenen Schweizer Schülerduden ist ein «wohlbekannter» Schriftsteller dasselbe «wie ein wohl bekannter», «vielversprechend» auch «viel versprechend» usw. Die Autoren von «Leitfaden 3» hätten die Pflicht gehabt, solche falschen Varianten auszuschliessen.

Bemerkenswert ist, dass auch in Österreich 700 Autorinnen und Autoren Eingriffe in die Textgestalt und «orthographische Anpassungen» untersagen. [Siehe dazu hier. – Red.] Und auf deutscher Seite kündigt die «Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung», die vor Folgeschäden der Neuregelung warnt, Verbesserungsvorschläge an.

Damit verdichtet sich das katastrophale Urteil über die nun gültige Neuregelung und den «Leitfaden 3» unserer Bundeskanzlei. Wer den «Leitfaden 3» kaufte, so die SOK, «hat für ein stark fehlerhaftes Erzeugnis Geld ausgelegt». Und: Die Auseinandersetzung um die Neuregelung ist keineswegs abgeschlossen. Für die Bundeskanzlei, die uns «selbständig» immer noch im Sinne der Reform als «selbstständig» verkaufen will und die im Sprachbereich eher als dürrer schweizerischer Lehrer Lämpel denn als kompetenter Herausgeber von Leitfäden zur Rechtschreibung wahrgenommen wird, ist höchste Zeit zur Umkehr angezeigt – höchste Zeit!

(Quelle: Walliser Bote, 15. Januar 2010, Seite 5; Verfasser: Dr. Alois Grichting)



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Kommentare zu »„Die konfuse neue Rechtschreibung“«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.02.2010 um 13.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8078

Die Süddeutsche Zeitung bringt heute im Feuilleton einen "Phrasenmäher" über die zwei gegenteiligen Bedeutungen von "durch sein": 1.) etwas ist geschafft; 2.) etwas ist passé, von gestern, nur noch abgeschmackt. Ich meine, für die Rechtschreibreform gilt die zweite Bedeutung.


Kommentar von Sprachkreis Deutsch, Mitteilungen 1+2/2009, verfaßt am 28.04.2010 um 15.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8191

Besser ist nicht gut genug
Der neue Rechtschreib-Leitfaden der Bundeskanzlei

Stefan Stirnemann, Mitglied der Arbeitsgruppe der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK)

Unsere Bundeskanzlei hat im letzten Jahr die dritte Auflage ihres Leitfadens zur deutschen Rechtschreibung herausgegeben. Verantwortlich ist die Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste; die Autorinnen und Autoren werden nicht genannt. Offen ist auch die Frage, ob wie bei den früheren Auflagen Peter Gallmann und Horst Sitta als Berater tätig waren. Gallmann und Sitta sind die führenden Schweizer Reformer und Autoren des Dudenverlags; Gallmann ist Mitglied im Rat für Rechtschreibung.

Die Vorgänger des neuen Leitfadens erschienen in den Jahren 1998 und 2000. Die, wie es im Untertitel heisst, «vollständig neu bearbeitete Auflage» wurde nötig, weil der Rat für Rechtschreibung im Jahre 2006 mit dem dritten amtlichen Regelwerk vieles von dem rückgängig machte, womit die Reformer einst stolz angetreten waren. So schreibt nun auch die Verwaltung wieder «es tut mir leid» und nicht mehr «es tut mir Leid». Es gibt wieder fleischfressende Pflanzen, nachdem sie in Bern zehn Jahre lang «Fleisch fressend» gewesen waren, und in gleicher Weise werden viele Wörter wiederhergestellt, welche im Zuge der Neuregelung durch Getrenntschreibung abgeschafft worden waren: gleichgesinnt, schwerwiegend, selbstgenutzt, wildlebend, sogenannt.

Das ist zweifellos eine Verbesserung. Es fragt sich freilich, warum man zehn Jahre lang so vieles so falsch geschrieben hat. Dazu sagen die Autoren des Leitfadens nichts, und das ist die erste Kritik, mit der sie sich auseinandersetzen müssen: sie erwähnen die Reform der Reform nur und erläutern sie nicht. Der Leitfaden will laut Vorwort nicht mehr von einem alten in einen neuen Zustand überführen, das heisst, er gibt nicht mehr an, was herkömmliche Rechtschreibung und was Reform ist. Ein Beispiel: Der Leitfaden 2000 bietet 52 Einträge mit dem Buchstaben h. Von diesen sind nun 31 abgeändert worden, meistens so, dass die herkömmliche Form wieder gilt, entweder ausschliesslich oder als Variante: hoch begabt ist wieder hochbegabt, Holz verarbeitend wieder holzverarbeitend, neben Hand voll tritt als Variante Handvoll. Das alles wird aber ohne jede Erklärung und stillschweigend durchgeführt. Folge: Die Leserinnen und Leser, welche ja kaum die Entwicklungen der letzten zehn Jahre überschauen, können sich kein Bild der Lage machen und müssen glauben, was ihnen der Leitfaden vorgaukelt: dass sie es mit der nunmehr gefestigten Neuregelung zu tun hätten – während tatsächlich Kernbereiche jener Neuregelung zurückgenommen wurden.

Diese Zurücknahme beweist doch wohl, dass der Widerstand gegen die Reform sachlich begründet ist. Davon liest man im Leitfaden nichts. Die Autoren sagen nur, dass es noch immer vehemente Gegnerinnen und Gegner der neuen Regelung gebe, dass ihre Zahl aber kleiner geworden sei – und sie sagen nicht, dass zu diesen Gegnern auch sie selber gehören, sofern nun auch sie vieles wieder schreiben wie vor der Reform. Sie geben als Neuregelung aus, was in Wahrheit Wiederherstellung der herkömmlichen Regelung bedeutet.

Wozu dieses Manöver der Umbenennung? Es erschwert ja den Mitarbeitern der Verwaltung die Arbeit, denn wer sich im Tohuwabohu der neu eingeführten und wieder zurückgezogenen Schreibweisen zurechtfinden soll, muss unbedingt wissen, dass zum Beispiel die nahe stehenden Personen keineswegs der «bisherige Ausdruck» sind, wie auf Seite 12 des Leitfadens behauptet wird, sondern der reformierte Ausdruck, den die Autoren jetzt durch die herkömmlichen nahestehenden Personen ersetzen.
Die Umstellung hat aber noch andere Folgen.
Die zahlreichen Ersetzungen, welche die Autoren gegenüber den früheren Auflagen vorgenommen haben, und dazu die vielen Varianten, die der Rat für Rechtschreibung aufgelistet hat, bewirken, dass wichtige Begriffe in unterschiedlicher Schreibweise vorkommen. Das kann Probleme bei der Auslegung geben. Die Autoren diskutieren verschiedene Lösungsmöglichkeiten, müssen aber am Ende festhalten: «Notfalls – wenn gar kein Weg gangbar erscheint – muss die korrekte Rechtschreibung hinter der
Rechtssicherheit zurückstehen.» So rätselhaft dieser Satz klingt, er zeigt Schwierigkeiten, die es vor dieser Reform nicht gab. Die Schwierigkeiten sind hausgemacht. Ein klares Offenlegen des Standes der Dinge schafft hier Abhilfe. Nötig sind freilich auch klare Grundsätze in der Auswahl der Schreibweisen.

Damit sind wir beim zweiten Kritikpunkt: Die Autoren des Leitfadens erfüllen einen Auftrag des Bundesrates und des Nationalrates nicht. Nationalrätin Kathy Riklin (CVP) reichte am 27. September 2004 ein Postulat ein, das verlangte, dass «die bisher möglichen Bedeutungsdifferenzierungen durch Zusammen- und Getrenntschreibung erhalten bleiben». Am 24. November beantragte der Bundesrat, das Postulat anzunehmen. Was hat der Rat für Rechtschreibung in dieser Frage getan? Er musste offenbar Rücksicht auf die deutsche Innenpolitik und die grossen Wörter- und Schulbuchverlage nehmen und konnte sich nicht dazu durchringen, die falschen Schreibweisen der Reformer wieder abzuschaffen; so gab er durch einen faulen Kompromiss als Varianten aus, was tatsächlich keine Varianten sind.

Gemäss Schweizer Schülerduden gilt zur Zeit zum Beispiel, dass ein wohlbekannter Schriftsteller dasselbe sei wie ein wohl bekannter. Die Autoren des Leitfadens hätten die Pflicht gehabt, die falschen Varianten auszuschliessen. Das haben sie aber in vielen Fällen nicht getan, und so verunmöglichen sie die vom Postulat Riklin verlangte Bedeutungsdifferenzierung. Beispiele: vielversprechend steht ohne Bedeutungsunterschied neben viel versprechend, wohl überlegt steht gleichbedeutend neben wohlüberlegt, und sie ist weit gereist soll dasselbe sein wie sie ist weitgereist. Dazu kommt eine Fülle von weiteren Festlegungen, die man nicht begreifen kann: gleichdenkend ist nur zusammen richtig, andersdenkend aber darf auch anders denkend sein; frauenverachtend gibt es nur so, menschenverachtend darf man auch trennen (Menschen verachtend); wildlebende Tiere schliesslich fressen wild wachsende/wildwachsende Pflanzen.

Woher das Durcheinander? Es kommt von den in vieler Hinsicht unklaren Vorgaben des Rates für Rechtschreibung und vom Zeitdruck, unter dem auch dieser dritte Leitfaden sichtlich leidet. Was ist zu tun?

Für die nächste Auflage muss der Leitfaden nochmals überarbeitet und gründlich verbessert werden. Hoffentlich werden die Autoren dann auch auf ihren absurden Versuch zurückkommen, unserem Land die seit langer Zeit ganz unübliche Form «selbstständig» aufzuzwingen. Den nächsten Leitfaden sollte die Bundeskanzlei gratis abgeben. Wer die dritte Auflage gekauft hat, hat für ein stark fehlerhaftes Erzeugnis Geld ausgelegt.

Auch der Rat für Rechtschreibung wird seine Arbeit fortsetzen müssen, denn auch dem dritten amtlichen Regelwerk fehlt die allgemeine Zustimmung. Vier Hinweise dazu: Gegen 700 österreichische Autorinnen und Autoren untersagen in einer Erklärung Eingriffe in die Textgestalt, «auch jene, die als orthographische Anpassung bezeichnet werden». Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt: «Man darf den Worten und Wörtern nur keine Zwangsjacke anziehen, bis sie sich nicht mehr bewegen können. Aber das ist mit der Rechtschreibreform und deren neuester Reform der Reform (ohne daß die Form je viel schöner würde), die ich kaum irgendwo umgesetzt sehe, leider passiert (...).»

Der Rat für Rechtschreibung schreibt im Protokoll seiner letzten Sitzung vom Oktober 2008: «Allgemein wird dafür gehalten, dass der Text des amtlichen Regelwerks von der Praxis nicht angenommen wird (...). In der Folge wird vorgeschlagen, probeweise für den Bereich Groß-Klein-Schreibung eine Neuformulierung vorzunehmen.» Peter Eisenberg schliesslich, der im Rat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vertritt, schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. April, dass gewichtige Folgeschäden der Neureglung geblieben seien und dass der Text des Regelwerkes des Rates unentschieden, unverständlich und voller Widersprüche sei. Eisenbergs Kernaussage lautet: «Die Orthographie ist weder dazu gemacht, dass man mit ihr erfolgreich Wörterbuchverlage betreibt, noch dazu, in der Schule gelehrt zu werden. Sie ist, wie sie ist. Erst daraus gewinnt sie ihre Würde als allgemein verfügbares kommunikatives Werkzeug.» Eisenberg kündigt einen Verbesserungsvorschlag der Akademie an.

Die Auseinandersetzung um die Neuregelung ist also keineswegs abgeschlossen. Bei uns wird diese Auseinandersetzung durch die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) geführt. Sie muss keine Rücksicht auf deutsche Politik und Wirtschaft nehmen und kann sich auf die Sache ausrichten. Ihre Arbeitsgruppe ging vom Regelwerk des Rates für Rechtschreibung aus. Bei der Ausarbeitung ihrer Empfehlungen richtete sie sich wesentlich nach der Praxis der NZZ.

Die Empfehlungen schlagen durch; sie werden unterstützt vom Vorstand des Verbandes Schweizer Presse und der Konferenz der Chefredaktoren. Am 20. August veranstaltet die Arbeitsgruppe der SOK an der Schweizer Journalistenschule (MAZ) eine erste Ausbildung.

Mit ihren Empfehlungen setzt die SOK die Verbesserungen des Rates für Rechtschreibung vom Jahre 2006 konsequent um und führt in einigen Bereichen weitere Verbesserungen durch.
Die Arbeitsgruppe hat den neuen Leitfaden der Bundeskanzlei geprüft und besprochen; dieser Artikel benennt einen kleinen Ausschnitt seiner Probleme. Für sie gibt es klare und einfache Lösungen. Die SOK hat diese Lösungen und würde sie gerne auch in Bern zur Diskussion stellen. Die SOK würde sich über eine Zusammenarbeit mit den Autoren des Leitfadens freuen.

www.sok.ch

Rechtschreibung
Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung
Schweizerische Bundeskanzlei, in Absprache mit dem Präsidium der Staatsschreiberkonferenz
3., vollständig neu bearbeitete Auflage 2008


(Quelle: www.sprachkreis-deutsch.ch/files/mitteilungen/2009-1-2.pdf, Seiten 10–12)


Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.04.2010 um 18.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8192

Ich halte es für psychologisch besser, statt einer Wiederherstellung der früheren Rechtschreibung, die es amtlicherseits sowieso nicht mehr gibt, sogar nie gegeben hat, dasselbe als eine noch bessere Reformschreibung auszugeben. Einer noch besseren Reformschreibung können sich auch die Politiker nicht verweigern, weil sie ja nicht der Staatsräson unterliegt und alle ihr Gesicht wahren können. Es wäre ja nicht das erstemal, daß eine tatsächliche Wiederherstellung als großartige Neuerung verkauft wird. Man darf es nur nicht laut sagen. Letztlich ist es egal, wie es genannt wird, Hauptsache es ist besser als jetzt.


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.04.2010 um 15.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8193

Sehr geehrter Germanist,

sagen Sie mir eins, warum halten Sie es nicht einfach für besser, statt einer Wiederherstellung der früheren Rechtschreibung, die es amtlicherseits sowieso nicht mehr gibt, sogar nie gegeben hat, dasselbe als eine noch bessere Reformschreibung auszugeben?

Oder, anders gefragt, warum muß heute alles irgendwie ''psychologisch'' gemacht werden?

Wenn man heute durch die Straßen geht, überall gibt es Plakate, die irgendwie ''psychologisch'' auf eine bestimmte ''Zielgruppe'' abgestimmt sind, einschließlich des obligatorischen Wortspiels, um zu zeigen, wie originell die entsprechende Firma etc. ist.

Denken Sie nicht auch, daß die Leute heute zu intelligent sind, um auf solche platten Psychologeleien reinzufallen? Der Begriff ''Reform'' dürfte schon lange nicht mehr für ''Verbesserung'' stehen, was meines Erachtens auch eine etwas zu euphemistische Übersetzung des Begriffs ist, sondern allenfalls für ''(vorschnelle, sinnentleerende) Veränderung''.

Ich möchte auch nicht dauernd was ''verkauft'' bekommen, insbesondere, da ich die Reform nie mitgemacht habe.

Und warum sollen die Politiker unbedingt ihr Gesicht wahren können, gibt es in unserem Staate einen Rechtsanspruch darauf? Ein Politiker bleibt schließlich nicht ewig im Amt. Es wäre für unser politisches System, für unserem Staat und letztlich auch für die Wahlbeteiligung besser, wenn Politiker, die nachweislich gegen das Volk und gegen ihren Amtseid, Schaden vom Volke fernzuhalten, verstoßen haben, dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden könnten, und sei es nur dadurch, daß man sie aus dem Amt entfernt.

Vielleicht haben wir gerade deshalb die Probleme, die wir nun eben mal haben und wegen denen wir uns hier regelmäßig treffen, eben weil ''man es nicht laut sagen darf''. Nebenbei, wer verbietet das denn?

Was die Benennung angeht, so bietet unsere Kultur zweierlei Interpretationsmöglichkeiten:

1. Nomen est omen

2. Namen sind Schall und Rauch

Ich persönlich halte es eher mit der ersten Interpretation, wenn man sich nicht ganz im Gestrüpp der (sprachlichen) Eitelkeiten und der Werbepsychologie verfangen will. Abgesehen davon dürfte für jeden von uns der Begriff ''Reform'' nach so vielen Jahren des Widerstands unauslöschlich negativ besetzt sein. Das dürfte sogar für diejenigen gelten, die alles nur schweigend ertragen haben.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.05.2010 um 20.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8194

Bei den Leuten, die in Deutschland an der Macht sind, und bei allen politischen Parteien ist der Begriff "Rücknahme der Rechtschreibreform" ein Tabu-Wort, sei es, daß sie nicht genug von der deutschen Rechtschreibung verstehen, oder aus parteipolitischen oder Staatsräson-Gründen. Nur wegen der mißglückten Rechtschreibreform würden sie auch nicht abgewählt werden, weil es ja keine Partei gibt, die es anders zu machen verspricht.
Gegenüber diesen Leuten ist es erfolgversprechender, statt eine Rücknahme eine Verbesserung oder Weiterentwicklung der Reformschreibung zu verlangen. Viele dieser Leute schreiben nach eigenen Aussagen selbst garnicht reformiert und lassen das ihr Schreibbüro korrigieren. Sie würden garnicht merken, daß die verbesserte Reformschreibung immer mehr der früheren Rechtschreibung gleicht.
Für die Politik war die Rechtschreibreform nur ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, sonst würde sie Fragen nach ihrem Lernvorteil für schwächere Schüler ernstnehmen.


Kommentar von Pt, verfaßt am 06.05.2010 um 21.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=643#8195

Lieber Germanist,

was Sie da schreiben habe ich schon verstanden, und darum geht es mir auch gar nicht.

Ich meinte nicht, daß ein solcher Politiker ''abgewählt'' wird, sondern daß er ''mit Schimpf und Schande'' aus dem Amt gejagt wird, eben weil er seinen Amtseid verletzt hat. Wenn ein Bürger einen Meineid schwört, geht er dafür ins Gefängnis, wenn ein Politiker das tut, wird er dafür mit Diäten gemästet? Und das nennt sich dann ''Demokratie'' und ''gleiches Recht für alle''?

Wenn, wie Sie schreiben, viele dieser Leute nach eigenen Aussagen überhaupt nicht reformiert schreiben, sondern das von anderen machen lassen, sie sich gleichzeitig aber eine positive Meinung über die Reform erlauben, dann ist das doch ziemlich unverschämt. Wenn das auch auf anderen Gebieten in unserer Gesellschaft einreißt, dann dürfte das eher früher als später ziemlich groteske Folgen zeitigen. Wollen wir daran mitschuldig werden, daß allzu Offensichtliches nicht mehr beim Namen genannt werden darf?



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