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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.02.2006
 

Kleines Rätsel aus Bayern
„Kein Thema mehr“

Aus einem Brief des Ministerialrats Dr. Krimm, der schon unter „Schrift & Rede“ zitiert wurde und so ähnlich sicher jahrelang an viele Bürger versandt wurde:

»Für die bayerischen Schulen, die bereits seit 1996, also im 9. Schuljahr, die neuen Regeln anwenden, sind diese längst kein Thema mehr. Die Rückmeldung von Lehrern, die im Auftrag des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung München inzwischen mehrfach an Schüleraufsätzen aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium den Grad der Umsetzung überprüften, sind weit überwiegend positiv.«

Eingehende Erkundigung beim ISB förderte jedoch die schriftliche Auskunft mehrerer Mitarbeiter zutage, daß solche Untersuchungen dort nicht bekannt und auch nicht geplant seien.

Was den anderen Punkt betrifft, so hatte ich ja schon auf die Genugtuung des ISB (damals noch Wieland Zirbs) hingewiesen, daß das ständige Nachschlagen im Rechtschreibwörterbuch nun zum Alltag der bayerischen Schüler geworden ist. Wie kann die neue Rechtschreibung da „kein Thema mehr“ sein?



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Kommentare zu »Kleines Rätsel aus Bayern«
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 12.02.2006 um 14.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2575

Das erinnert mich daran, daß der seinerzeitige Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Prof Dr. Kauffold, vor dem Schweriner Landtag behauptete:

„... An den Schulen des Landes wird zur Zeit überall an der Verwirklichung der Neuregelung mit Interesse und Engagement gearbeitet. Zwischenzeitlich hat sich auch herausgestellt, daß Schülerinnen und Schüler, die bereits das vierte Jahr die neuen Schreibungen als Selbstverständlichkeit anwenden, weniger Fehler machen, als vor der Reform festgestellt werden konnten. Das wäre also ein positives Ergebnis. Ich hoffe, das stimmt auch so..." (Protokoll vom 16.9.1999)

In der Presse wurde daraufhin verbreitet, durch neue Untersuchungen sei bewiesen, daß Schüler weniger Fehler machen.

In Unkenntnis der Aussagen des Ministers schrieb mir am 29. November 1999 das Ministerium (Frau Dr. Christiane Noeske): „Empirische Studien über erste Ergebnisse liegen jedoch in Mecklenburg-Vorpommern, entgegen der von Ihnen zitierten Pressemeldung, noch nicht vor. Hier wären zurzeit vorschnelle Untersuchungen und Verallgemeinerungen fehl am Platz."

Ich konfrontierte sie mit der Aussage des Ministers, bat mehrfach um Zusendung oder Quellenangabe der genannten Untersuchung – und erhielt natürlich keine Antwort.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.02.2006 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2580

Wenn alte und neue Rechtschreibung gleichzeitig zugelassen sind, gibt es naturgemäß weniger Fehler. In den Bundesländern ohne Bayern und NRW kann man erst seit einem halben Jahr und in Bayern und NRW erst ab Herbst 2006 wirklich feststellen, ob die nur noch zugelassene neue Rechtschreibung zu weniger Fehlern führt.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 12.02.2006 um 19.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2581

Warum auch in NRW? Warum schon ab Herbst 2006?
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 12.02.2006 um 19.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2584

Der augenfälligste Beweis für die Minderwertigkeit der Reformorthographie ist, gerade im Blick auf ihre schreiberorientierte Zielsetzung, daß sich regelkonforme Texte unter sonst gleichen Voraussetzungen nicht ohne ein deutlich häufigeres Nachschlagen im Wörterbuch als früher abfassen lassen. Dieser Befund ist so evident, daß auch Reformbefürworter ihn gelten lassen – nur eben nicht als Beweis dafür, daß sie im Irrtum sind. Vielmehr wird der Zwang zum vermehrten Nachschlagen als eine Tugend der Reform angesehen, so etwa, als habe die frühere Praxis weitgehend intuitionsgeleiteten Schreibens etwas Leichtfertiges und Frivoles gehabt. Diese Haltung steht vermutlich auch hinter dem Argument, immerhin habe die Reform die Leute dazu gebracht, sich über ihre Schriftsprache einmal ernsthaft Gedanken zu machen. Wie das mit dem Gestus sittlicher Überlegenheit daherkommt, ist schon nicht mehr satirefähig: Die Reform hat das Schreiben einfacher gemacht, und die gegenläufige Alltagserfahrung gehört einem Paralleluniversum an, das zu der Grundannahme in keinerlei vermittelbarem Verhältnis steht. Diese "Fiktionalisierung der Realität" (Hannah Arendt) ist ein Phänomen, das man sonst nur aus totalitären Gesellschaften und aus klinischen Untersuchungen kennt.
 
 

Kommentar von Martin Valeske, verfaßt am 18.02.2006 um 11.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2703

In Bayern, genauer gesagt in den Hinterzimmern des Kultusministeriums, hat sich noch mehr Rätselhaftes zugetragen. Dazu gehört ein Schreiben, das ein Gymnasiallehrer am 22.November 1996, also nur kurz nach der überstürzten Einführung der neuen Rechtschreibung an den Schulen, Herrn Ministerialrat Dr. Krimm zukommen ließ und in dem er von seinen positiven Erfahrungen mit der kultusministeriell verordneten Orthographie berichtete. MR Krimm versandte daraufhin Kopien dieses Schreibens an Reformkritiker. Allerdings war vor der Vervielfältigung die Unterschrift des Lehrers abgedeckt und sein Name, seine Adresse sowie der Name seines Gymnasiums unkenntlich gemacht worden. Für diese Aktion gab es sicherlich gute Gründe. Hier der Brief im Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr Ministerialrat!
Angesichts der breiten Diskussion um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung erlaube ich mir, Ihnen auf diesem Wege meine durchaus positiven Erfahrungen im Hinblick auf die Anwendung der neuen Regeln zur Kenntnis zu bringen.
Als 1. Fachbetreuer für Deutsch am (hier folgt der geschwärzte Name des Gymnasiums) habe ich sowohl das gesamte Lehrerkollegium (im Rahmen der 1. Lehrerratssitzung) als auch alle Eltern (anlässlich der Allgemeinen Elternversammlung) und Schüler mittels eines Informationsblattes (vgl. Anlage) mit den neuen Regeln vertraut gemacht, deren didaktische Umsetzung während der Fachsitzung Deutsch ebenfalls eingehend erörtert wurde. Die Ausführungen stießen fast durchgehend auf ein wohlwollendes Interesse.
Nach Korrektur und Respizienz der ersten Schulaufgaben komme ich zu dem Ergebnis, dass die Anwendung der neuen Regeln weder den Kolleginnen und Kollegen noch den Schülerinnen und Schülern größere Schwierigkeiten bereitet. Im Gegensatz zu vielen in den Medien geäußerten Befürchtungen und herabsetzenden Behauptungen haben unsere Schüler (und diese sind ja die Zielgruppe der Neuregelung) sehr wohl die Vereinheitlichung im Bereich der Buchstabenschreibung und die zahlreichen Erleichterungen bei der Silbentrennung, der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung und vor allem bei der Zeichensetzung erkannt und akzeptiert, zumal die Zahl der Fehler reduziert wird. Auch wenn einige Schüler sicherlich noch über längere Zeit Anpassungsprobleme haben werden, so lässt sich feststellen, dass die überwiegende Mehrheit sich bereits jetzt um die Anwendung der neuen Regeln sehr ernsthaft bemüht.
Angesichts dieses Tabestands kann ich nur die Hoffnung äußern, dass das Staatsministerium sich auch weiterhin für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zum Wohle unserer Schüler einsetzt."
Mit einigem detektischem Geschick konnte die Identität des tüchtigen Briefschreibers ermittelt werden. Er wurde bald darauf an ein anderes Gymnasium berufen - als Seminarlehrer für Deutsch. Honni soit qui mal y pense.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 18.02.2006 um 13.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2705

Schüler "bemühen sich sehr ernsthaft um die Anwendung der neuen Regeln". Das ist aber lieb von den Schülern (und Schülerinnen), und gewiß tun sie (andere) das heute noch genauso., wobei die Ernsthaftigkeit nach all den Korrekturen -pardon: Präzisierungen - möglicherweise doch etwas gelitten hat. In Arbeitszeugnissen ist ja die Beurteilung "hat sich bemüht..." die allerschlechteste. Aber der Herr Kollege hat messerscharf erkannt, daß vor allem im Bereich der Zeichensetzung (=Kommasetzung) die Erleichterungen besonders durchschlagen. Und gerade die werden nun wieder abgeschafft. Die Welt ist ungerecht! - Die ganze Ergebenheitsadresse ist schon heute ein wertvolles historisches Dokument.
 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 18.02.2006 um 22.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=408#2717

Bernd-Michael Lipke war's
und der ist jetzt nicht mehr Seminarlehrer in Passau, sondern Chef in Pocking:

http://www.wdg-pocking.de/wir1.php

Na also!
 
 

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