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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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13.10.2010
 

Himmelsrichtungen
Frage an die Englischkenner

Bekanntlich gibt es Sprachen, in denen man nicht einfach "links" und "rechts" sagt, sondern jeweils "talauf", "talab" oder auch "westlich", "östlich" usw.

Nun bin ich in Synges "Playboy of the Western World" auf folgende Stelle gestoßen:
- Will I strike him with my hand?
- Take the loy is on your western side.


Warum drückt Michael sich hier so aus? Ich habe leider keinen Kommentar dazu gefunden.



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Kommentare zu »Himmelsrichtungen«
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.10.2010 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16903

Ich habe einen englischen Kollegen gefragt, aber er kann sich your western side auch nicht erklären. Ich denke, vielleicht hat das gar nichts mit Englisch zu tun, sondern mit der ganzen Stimmung dieses Dialogs. Es klingt alles sehr martialisch und grobschlächtig.

Ich habe schon in anderen Büchern gelesen, daß alte Seebären, die ein Leben lang zur See gefahren sind, auch im Alltag, wenn sie nicht mehr auf dem Schiff sind, nur von Steuerbord und Backbord statt rechts/links reden, und es unterstreicht die grobe Ausdrucksweise, die sie sich auf See angewöhnt haben. Vielleicht soll hier also westlich einfach die Brutalität der Rede verstärken, anstelle des simplen rechts oder links.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 14.10.2010 um 15.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16904

Nur eine Vermutung; ich weiß auch gar nicht, ob ich Ihr Problem richtig verstanden habe: Auf Landkarten ist Westen normalerweise links. Möglicherweise ist "on your western side" ja ursprünglich eine Orientierungshilfe für Leute, denen rechts und links auseinanderzuhalten schwerfällt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.10.2010 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16905

Vielleicht bezieht sich "is on your western side" gar nicht auf die Lage des Spatens, sondern darauf, daß diese Schlagwaffe irgendwie zu dem Mann als Western-Fan paßt.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 14.10.2010 um 19.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16908

Lieber Herr Riemer,
von Herrn Bolz haben wir in "Diskussion" gerade gehört, daß zwischen bergen und retten wohl keine einheitliche Terminologie bei den Diensten besteht.
Bei Backbord und Steuerbord für ´links´ und ´rechts´, jeweils in Fahrtrichtung (!), verhält sich das ganz anders. "Grobe Ausdrucksweise" bezeichnen Sie die Anwendung durch alte Moosbuckel (derb). Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie als Mannheimer Rheinanwohner einen solchen sprachlichen Fehlgriff ernstgemeint haben. Backbord und Steuerbord sind unentbehrliche Definitionen mit weltweiter Gültigkeit. ´Links´ und ´rechts´ gibt es auf einem Boot/Schiff nicht, auch nicht in der Luftfahrt. Allein schon die Tatsache, daß man auf einem größeren Boot/Schifff die Fahrtrichtung bei jeder eigenen Körperdrehung nicht mehr sofort exakt feststellen kann, spricht für eine zweifelsfreie Definition. Die Seitenlaternen rot und grün gewährleisten bei Dunkelheit erst die Bestimmung der Fahrtrichtung eines in Sichtweite befindlichen anderen Schiffs. Wenn ich also auf meinem Boot backbord/voraus eine rote Seitenlaterne sehe, weiß ich, daß mir ein anderes Boot an Backbord entgegenkommt.

Ich fühlte mich hier gefordert, weil ich auf eigenem Kiel so meine rund 10.000 sm hinter mir habe.
Gruß nach Mannheim
 
 

Kommentar von Lw, verfaßt am 14.10.2010 um 22.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16909

Uns Schülern (Köln) wurden die Bezeichnungen Backbord und Steuerbord und deren Farben mit folgender Verdeutlichung in das Gehirn gesenkt: "Du fragst, wo Backbord ist? Paß auf, gleich hau' ich dir eine runter, dann ist deine rote Backe dein Backbord." – Im Land der vielen Linkshänder wird diese Geschichte vermutlich keine Verbreitung haben. In der Medizin werden die Richtungen in der Transversalebene (horizontalen Ebene beim stehend gedachten Menschen) nach Himmelrichtungen bezeichnet: Der Patient sieht in Richtung N, sein linker, seitwärts ausgestreckter Arm weist nach W. Ähnliche Bezeichnungen habe ich im Alltag gehört, nur wurde dann meist die "Windrose" um die OW-Achse gedreht: Der Kopf bildet den Nordpol.

Leider kenne ich das Wort loy nicht und habe es weder unter LEO noch im Holt, Basic Dict. of. American English, gefunden. Herr Manfred Riemer übersetzt loy mit Spaten (sofern ich seinen Kommentar richtig lese) – ist diese Übersetzung richtig?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.10.2010 um 23.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16910

Lieber Argonaftis,
es freut mich, daß ich Sie mit meinem Beitrag zu einigen seemännischen Klarstellungen bewegen konnte, nur sehe ich nicht so recht, wo genau ich da etwas Ihnen Widersprechendes geschrieben haben soll. Mit der "groben Ausdrucksweise" habe ich keinesfalls Backbord und Steuerbord, sondern ganz allgemein die rauhe Sprache auf See gemeint. (Sehen Sie sich mal den Film "Das Boot" an.) Nur wenn sie dann mal runter sind vom Schiff und immer noch diesen rauhen, herzlichen Ton drauf haben, und dann auch mal eben vom Flur "nach Backbord" in den Garten einbiegen, dann weiß man doch gleich, woher sie diese Sprüche haben.
Und warum erwähnen Sie bergen/retten, ich habe lediglich die Möglichkeit eingeräumt, daß die Rettungsdienste da strengere Unterschiede machen, aber von einer "einheitlichen Terminologie" habe ich nichts gesagt.

Zur Frage von Lw, loy ist das irische Wort für Spaten, vielleicht ist es auch ein spezieller irischer Spaten. Da es in diesem Zusammenhang sehr viel Sinn "macht", gehe ich davon aus, daß dieser Ausdruck gemeint ist.
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 15.10.2010 um 06.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16911

Herr Ickler ist mit seinen Vermutungen auf der richtigen Spur. Vgl. dazu hier (19. Abschnitt, S. 17-18):

http://webs.uvigo.es/babelafial/magazines/babel_afial_07.pdf (5,4 MB)
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 15.10.2010 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16914

– Take the loy is on your western side.

Auch ein Verwandter, amerikanischer Dozent am Del Mar College, mußte passen, wie die gerade eingetroffene Nachricht zeigt:

Synges is Irish. I don't know what he is saying in English so I can't tell you what he means in German.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 15.10.2010 um 13.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16915

Die Frage ist, wie man von einer raumbezogenen (western side) zu einer personenbezogenen Ortsangabe (left side) gelangt:

books.google.de
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.10.2010 um 14.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16916

In den Anmerkungen von T. R. Henn heißt es dazu lakonisch: "Points of a compass are often used for direction; a man will, for example, talk of sitting on the north or south side of his own fireside."
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 15.10.2010 um 15.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16917

Der Fall ist unproblematisch, weil der Kamin erstens stillhält und zweitens keiner Orientierung bedarf. Die Ortsangabe bleibt raumbezogen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.10.2010 um 15.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16918

Die von Herrn Herter gefundene Erklärung identifiziert "back and westwards", Herr Bärlein fand einen Verweis auf "western side left side". Das scheint also nicht eindeutig zu sein.

Eine Irin aus Dublin schrieb mir gerade:
»loy is an English word, the definition is „a narrow spade with a single footrest“. In Irish it would be láí.«
Warum aber "western side" benutzt wurde, wußte sie absolut nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2010 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16919

Dank an Herrn Herter und Herrn Bärlein! Die anderen Stellen in dem von Herrn Herter ausfindig gemachten Aufsatz waren mir auch aufgefallen, ich hatte sie aber wieder vergessen, weil ich die Lektüre von Synge in Irland angefangen und erst hier zu Hause beendet habe. Zwischendurch hatte ich seine Aufzeichnungen von den Aran-Inseln gelesen, wo ich mich auch gerade aufgehalten hatte, allerdings nur auf Inishmore, wie die meisten Touristen. Synge hat (wie er auch selbst sagt) viel aus dem Sprachgebrauch der Aran-Insulaner in seine Stücke aufgenommen, wohl auch eigens aus dem Irischen übersetzt. (Auf den Inseln hat er auch erfahren, welche Sprachforscher vor ihm dagewesen waren, z. B. F. N. Finck, dessen "Haupttypen des Sprachbaus" ja immer wieder nachgedruckt werden. Seine Schilderungen von Aran, Kerry usw. sind übrigens sehr lesenswert; allerdings hat bei mir die unmittelbare Anschauung dieser Gegenden den Eindruck noch verstärkt. Synges Hütte auf Inishmaan kann man im Internet sehen [Wiki: Synge])
Den Sammelband, den Herr Bärlein gefunden hat, habe ich mir soeben günstig bei Amazon bestellt. Auch wenn die Deutungen sich nicht ganz decken, werden wir wohl noch dahinterkommen, wie es sich im ländlichen Sprachgebrauch Irlands damit verhält. Manche Völker blicken ja grundsätzlich nach Süden, so daß der Norden "im Rücken" oder so ähnlich heißt, andere blicken nach Osten, wo die Sonne aufgeht. So kann es dann zu einer Synonymik kommen, die uns seltsam anmutet.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 15.10.2010 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16920

Entscheidend ist wohl, daß man den Menschen überhaupt irgendwie in die Windrose stellt, um auf ihn bezogene Ortsangaben mit Himmelsrichtungen gleichsetzen zu können. Unter http://thesaurus.com/browse/left lautet die Definition von left "on west side when facing north", als Synonym wird dann aber unter anderem south genannt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.05.2017 um 07.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#35037

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1348#16919

In vielen Kulturen ist die Grundstellung mit dem Gesicht nach Osten.

In den koreanischen Gedichten, an denen ich gerade arbeite, hat nach Westen gehen die Bedeutung "sterben".

Die Verbindung Ost und West ist viel häufiger als umgekehrt. Im West-östlichen Diwan kommt sie ja mehrmals vor, aus aktuellem Anlaß wird oft zitiert:

Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.


Goethe wäre wohl imstande gewesen, wir sind Burka zu schreiben, aber leider reimt es sich nicht.
 
 

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