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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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25.07.2006
 

Starkes Schauen
Zum Interview der Geschäftsführerin des Rechtschreibrates im Deutschlandradio

Güthert bestreitet, daß die Einheitlichkeit der Rechtschreibung durch die Dudenempfehlungen gefährdet sei, und verweist darauf, daß es ja auch noch den Wahrig gebe. Der Interviewer Hettinger erkennt natürlich sofort, daß gerade damit das Bestrittene beweisen wird.
Ich hatte selbstverständlich auch nicht bezweifelt, daß beide Wörterbücher im wesentlichen alle zulässigen Schreibweisen anführen; es ist bloß das Empfehlungswesen, das ja auch der Ratsvorsitzende Zehetmair inzwischen kritisiert hat, wodurch der Duden einen – wie dpa und Springer zeigen – durchaus wirksamen Sonderweg einleitet.

Güthert: "Nun ist aber Folgendes - Theodor Ickler müsste es selbst am besten wissen: Der "Wahrig" bringt nur in sehr wenigen Fällen überhaupt Empfehlungen, nämlich insgesamt in 18 Fällen von gut 120.000 Stichwörtern weicht das überhaupt ab. Also es sind - ich habe das geschaut -, also 52 Fälle bringt er insgesamt von 120.000 Stichwörtern und wenn man die abgleicht mit dem Duden, merkt man: In 18 Fällen unterscheidet der sich dann. Das heißt, das ist hier absolut zu hoch gehängt."

Ich weiß es in der Tat am besten. In meiner Rezension hatte ich geschrieben:

"Die wenigen ‚Empfehlungen’ des neuen Wahrig (es sind insgesamt nur 52) weichen, soweit sie überhaupt vergleichbar sind, oft von denen des Duden ab:"

Es folgt die Liste mit den 18 abweichenden Empfehlungen. Hätte der Wahrig ebenfalls 3000 Empfehlungen, so würden sich weitaus mehr Abweichungen ergeben.

Mein Vorwurf an die Wörterbücher lautet, daß sie die seit zehn Jahren gültigen und noch für eine Übergangszeit zu tolerierenden Reformschreibweisen nicht mehr enthalten.

Güthert: "Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Was wäre denn passiert, wenn die Wörterbücher diese alten, überholten Schreibweisen wirklich verzeichnet hätten? Hätten sie einen Vermerk machen sollen: "Nur gültig bis zum 31.7.07"? Da hätten doch die Gegner jubiliert und hätten gesagt: "Das Wörterbuch gilt nur ein Jahr, das könnt ihr dann wegschmeißen", nicht wahr? Nein ..."

Aber genau dies wäre der vom Rat und von der KMK verursachen Lage angemessen gewesen. Die jetzige Praxis der Wörterbücher schönt die Situation. Güthert gibt eigentlich alles zu und verteidigt den Versuch der Wörterbücher, die ganze Reform seit 1996 zu verleugnen. Übrigens: gerade wenn der Vermerk über die Gültigkeitsdauer einiger Schreibweisen eingedruckt wäre, würden die Wörterbücher so veralten.

Güthert: "... es ist vollkommen richtig, dass die Wörterbücher diese Schreibweisen, die überholt sind, nicht verzeichnet haben. Denn wir dürfen die Lehrer ja auch nicht unterschätzen. Die Lehrer sind ja wirklich an vorderster Front, wenn Sie so wollen, mit ihren Doppelkorrekturen. Die Reform in ihrer Ursprungsversion gilt seit 1996, wurde zum Teil auch schon zum Schuljahr 96/97 eingeführt, spätestens aber zum Schuljahr 98/99, so dass die Lehrer mit am besten überhaupt informiert sind. Und sollten die wirklich mal einen Zweifelsfall haben, dann muss man doch davon ausgehen, dass in den letzten acht Jahren irgendeiner der Kollegen doch ein Wörterbuch angeschafft hat, so dass man diesen Zweifelsfall auch ausräumen kann."

Also habe ich recht: Die Lehrer brauchen für gerichtsfeste Notengebung noch die Angaben aus den Wörterbüchern von 1996 bis 2006. Güthert verweist sie auf Kollegen, die vielleicht solche alten Wörterbücher noch besitzen (falls sie sie nicht beim Kauf eines neuen Duden in Zahlung gegeben haben ...); in den beiden neuen sind die notwendigen Angaben nicht enthalten, daher sind sie für die Schule nicht zu gebrauchen. Was Güthert über die angeblich so erfahrenen Lehrer mit ihren "Doppelkorrekturen" sagt, ist geradezu zynisch, nachdem die Reform die Lehrer völlig durcheinandergebracht hat.

Güthert über den Versuch des Duden, seine Varianten durchzusetzen: "Das wird ihm nicht gelingen." Eine interessante Aussage, auch für den Springer-Verlag, der sich bereits für die Dudenvarianten entschieden hat. Der Interviewer fragt sehr präzise nach konkreten Fällen und zwingt Güthert zu dem Eingeständnis, daß die Empfehlungen eine Eigenmächtigkeit des Duden sind: „Also eine Variantenführung war von Seiten des Rats nicht vorgesehen.“ Bei der enormen Bedeutung des Dudens ist das keine Kleinigkeit.

Was Güthert über die vom Duden frei erfundenen Sonderregeln zu reflexiven Verben sagt (sich wund liegen), ist unverständliches Gestammel. Dazu muß man wissen, daß der Duden diese Regeln in Wirklichkeit nicht gänzlich frei erfunden hat, sondern sich auf die nichtamtliche "Handreichung" stützt, an deren Fomulierung – durchaus ohne Wissen des Rechtschreibrates – Güthert wesentlichen Anteil hatte. Das darf sie aber nicht verraten.

Zum Schluß ergeht sich die Geschäftsführerin in jener Art von Zählkunststückchen, mit der sie schon vor neun Jahren als Helferin des Kommissionsgeschäftsführers Klaus Heller die Differenzen herunterzurechnen versucht hat. Ein unbeschriebenes Blatt war sie bekanntlich nicht, als man sie zur Geschäftsführerin des Rates machte. (Vgl. "Der Fall Güthert".)



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Kommentare zu »Starkes Schauen«
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Kommentar von Lyriost, verfaßt am 25.07.2006 um 08.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4973

Hettinger: "Theodor Ickler schreibt weiterhin, dass nun den 'Hausorthographien' Tor und Tür geöffnet wird. Jeder Verlag, jede Zeitung muss da eine Regelung finden und diese 'Hausorthographie', wo jeder Verlag seinen Weg findet – Was schreiben wir groß, was klein, was zusammen, was getrennt? –, das sei ein Rückfall ins 19. Jahrhundert. Ist die Einheitlichkeit auf der Strecke geblieben?

Güthert: "Das ist kein Rückfall ins 19. Jahrhundert, sondern es ist gängiger Usus."

Köstlich: "gängiger Usus". In der Tat ist das gängiger Usus. Aber erst seit Beginn dieser unsinnigen Wörterverformerei ist das gängiger Usus. Wohl wahr: Inzwischen ist der Rückfall gängiger Usus. Nur mag man sich nicht daran gewöhnen.

Bereits vorher gab es viele Varianten, sagt Güthert. Richtig, keine Frage. Aber bis auf Einzelfälle wie etwa bei der Schreibung von Photographie hat sich kein Verlag darum gekümmert, welche Variante vom Autor benutzt wurde; es war, und so sollte es auch sein, dem Autor überlassen, wie er seine Wahlmöglichkeiten nutzte.

Da ging es bei der Korrektur eines Textes lediglich darum, ob der Autor einheitlich "zum erstenmal" geschrieben hat und nicht hin und wieder "zum ersten Mal" eingestreut. Aber diesen Fall gibt es ja nun nicht mehr.

Dafür muß ein Autor, Lektor, Korrektor, der für verschiedene Auftraggeber arbeitet, bevor er zu arbeiten beginnt, jedesmal überlegen, für wen er jetzt tätig wird, und die entsprechende lange Liste der Abweichungen aus der Schreibtischschublade holen, die er dann neben das Wörterbuch legt, das vom Verlag präferiert wird. Man stelle sich das vor.

Und dann stelle man sich vor, und das ist Realität, ein Autor hat beim Schreiben noch nicht gewußt, für wen er tätig wird, und schreibt nach den Vorgaben seines bisherigen Verlages, dann wechselt er und gerät an einen Verlagslektor, der gerade den Arbeitsplatz gewechselt hat und noch nicht so firm ist in der nun für ihn gültigen Verlagsrechtschreibung. Das bearbeitete Manuskript geht in den Satz, aber die Setzerei hat aus Termingründen gewechselt und ist mit den Vorgaben des Verlages noch nicht vertraut ... usw. usf. Ein heilloses Durcheinander, nervenzehrend für alle Beteiligten und fehlerträchtig. Da kommt es dann schon mal vor, daß bei der "Spätgebährenden" oder der "spät Gebährenden" auf die Groß- und Kleinschreibung und die Getrennt- und Zusammenschreibung geachtet wird und niemand bemerkt, daß sich ein "h" in das Wort eingeschlichen hat, das dort fehl am Platze ist.

Davon, daß man beim Zitieren jetzt jedesmal genau überlegen muß, aus welcher Quelle zitiert wird und von wann das Buch oder die Zeitschrift stammt, will ich gar nicht reden.

Richtig lustig wird es, wenn es in einem Werk längere Textzitate aus einem Buch vor der Reform gibt und diese nach den Trennregeln von früher getrennt werden, der Text drum herum aber nach den mehr oder weniger reformierten des jeweiligen Verlages.

Die Aufzählung der Schwierigkeiten, die diese Orthographiezauberei mit sich bringt, ließe sich beinahe beliebig fortsetzen.
 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 25.07.2006 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4975

Jeder Autor hat das Recht, so rechtzuschreiben, wie er es im Interesse seiner Leser für richtig und am besten hält, sozusagen seine eigene Autorenorthographie anzuwenden. Insbesondere freien Autoren kann nicht zugemutet werde, sich mit den verschiedensten Hausorthographien vertraut zu machen oder den vorläufig letzten Stand der Rechtschreibreformreformreform zu kennen. Da käme man ja überhaupt nicht mehr zum Schreiben. Im übrigen zeigt die Praxis, daß auf Neuschrieb bestehende Auftraggeber zufrieden sind, wenn man die blöde ss-Regel anwendet. Den Rest vermurksen sie dann je nach Obrigkeitsergebenheit bzw. Reformbeflissenheit noch selber.
 
 

Kommentar von Hans Noggel, verfaßt am 25.07.2006 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4976

Die eingehenden Texte werden per automatischer Änderung bei der Eingabe auf Verlagslinie getrimmt. Wenn das hier und da nicht hinkommt, macht sich keiner was daraus, weil es teurer wäre, den Text manuell zu korrigieren, als einen Leserbrief wegzuschmeißen, in dem sich ein Pedant über eine Fehlschreibung beklagt.
Die nachwachsende Generation ist es gewohnt, viele verschiedene Schreibweisen vorgesetzt zu bekommen. Sie kümmert sich nicht darum.
 
 

Kommentar von Lyriost, verfaßt am 25.07.2006 um 09.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4977

In der Praxis ist es so, zumindest bei Büchern, daß gerade mal die ss-Regel und die Trennungen automatisiert geändert werden. Darum brauchten sich Autoren und andere nicht zu kümmern. Der Rest ist manuelle Fronarbeit für die Textbearbeiter.
 
 

Kommentar von Hans Noggel, verfaßt am 25.07.2006 um 10.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4978

Kein Ratsmitglied und kein Reformer kann zugeben, daß die Rechtschreibreform uns ins 19. Jahrhundert zurückgeworfen hat. Keiner ist dafür empfänglich, daß die als hochmodern gepriesenen Neufassungen längst überwundener Zinnober von Anno dazumal sind. Die Öffentlichkeitsarbeit der Rechtschreibreformbefürworter lebt seit jeher von der Methode, die Reform als "neu, modern und progressiv" darzustellen und die Gegner der Reform als "lernfaul, konservativ, ewiggestrig und fortschrittshemmend".
Und das hat ja auch Erfolg. Wer weiß denn schon, wie im 19. Jahrhundert geschrieben wurde? Wer kann denn entlarven, daß das sogenannte Neue aus gutem Grund abgeschaffter Kram von früher ist?
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 25.07.2006 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4980

Das Chaos wird vollends unbeherrschbar, wenn die neuen Wörterbücher den Markt durchdringen. Es wird ja nicht bei Null angefangen, sondern in einer bereits chaotischen Situation, in der Überdruß und Gleichgültigkeit dominieren, in der der zu konsumierende Lesestoff bereits korrumpiert ist.
Otto bringt es auf den Punkt: der normale Mensch will schwarz auf weiß sehen, wie etwas zu schreiben ist, sonst nichts. Güthert steht am entgegengesetzten Pol und findet nichts dabei, erstens aus den Varianten sich etwas herauszusuchen, und zweitens dann auch noch, und womöglich bei Kollegen, in andere Ausgaben zu schauen, bis man zufrieden ist. Sie meint sicher auch, daß man zusätzlich die einmal gefundene Entscheidung dann irgendwie festhalten soll, damit man beim nächsten, ähnlich gelagerten Problem zur selben Lösung gelangt. Weltfremd und völlig impraktikabel.
Außerdem können die Reformer, und ganz besonders jetzt auch der Duden, noch immer nicht sehen oder zugeben, daß die Schrift zuallererst dem Leser dienen sollte. Zwar waren einige Ergebnisse des Rates von dieser Einsicht befruchtet, aber Duden hat nichts kapiert.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 25.07.2006 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4981

"Wer kann denn entlarven, daß das sogenannte Neue aus gutem Grund abgeschaffter Kram von früher ist?"

Jeder, der sich historisch-kritische Ausgaben kauft.
Habe den Eindruck, daß in letzter Zeit viele Klassiker nach ihrer ersten Buchausgabe herausgebracht werden.
Aber das liest ja dann wieder keiner. Gut, bis auf die "Hochwohlgeborenen". Aber die sollen ja bei der ganzen Diskussion am besten zur Lachnummer abgestempelt werden.

Wann wird dem Reformgegner als solchem eigentlich die Staatsbürgerschaft aberkannt? Ich finde, wer sich nicht an die Reform hält, gehört nicht in dieses überaus progressive und moderne Land.
...
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 25.07.2006 um 12.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4982

Lieber Herr Eversberg,

genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, daß Sie mit dem Prozessieren in Sachen Produkthaftung begännen. In China gab es kürzlich einen vergleichbaren Fall, da hat ein Chinese ordentlich etwas herausgeholt aus einem Wörterbuchverlag. Die Situation ist jetzt mit dem neuen Duden und dem neuen Wahrig aussichtsreicher denn je.

Es ist auch denkbar, eine Klägergemeinschaft zusammenzurufen, dann ist das Prozeßrisiko nicht mehr so hoch.
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 25.07.2006 um 13.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4984

Ob ein Einzelkläger hierzulande in solcher Sache große Chancen hätte, wage ich sehr zu bezweifeln. Es gibt große Gruppen von Betroffenen, die ihre Betroffenheit sehr gut belegen und Schäden bezuiffern könnten! Aber wo selbst schon ein Volksentscheid kassiert wurde und ein noch gültiges Verfassungsurteil (Akzeptanzvorbehalt!) nur auf dem Papier steht...

Auf der anderen Seite verstehe ich gar nicht, daß der große Friedensfürst nicht sofort eine einstweilige Verfügung gegen Duden erwirkt hat, wo doch sein behutsames Versöhnungswerk hier so kaltschnäuzig (oder kalt schneuzig?) entwertet wird. Rücktritt unter Protest wäre das mindeste, wenn er seine Glaubwürdigkeit bewahren will.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 25.07.2006 um 13.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4985

Lieber Herr Eversberg,

bitte es mir nachzusehen, wenn ich ein bißchen pieksen muß, aber Sie haben über Monate dazu aufgerufen, Abmahnungen in die Wege zu leiten, und jetzt kneifen Sie? Wenn auch Ihnen an der Bewahrung von Glaubwürdigkeit gelegen ist, dann müssen Sie sich hier, wo jetzt Rhodos ist, zur Verfügung halten und ggf. auch springen. Wir können uns nicht damit begnügen, aus der Etappe Tagesbefehle nach vorn zu rufen, ohne selbst voranzustürmen. Also bitte.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.07.2006 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4986

Ein an den Schulen zugelassenes Rechtschreibwörterbuch hat für die Vergabe von Rechtschreibnoten die Wirkung eines Gesetzbuches. Deshalb muß es alle für Schüler fehlerfreien Schreibweisen enthalten, gegebenfalls mit Gültigkeitsdatum. So ist es in Gesetzbüchern allgemein üblich, notwendig und zumutbar. Wenn als fehlerfrei zulässige Schreibweisen nicht enthalten sind, kann es nicht für den Schulunterricht zugelassen werden. Es müssen dann als Durchführungsbestimmungen verbindliche Wörterlisten an alle Schüler und Lehrer herausgegeben werden. Die Lehrer sollten hierauf bestehen, um Mißverständnisse zu vermeiden.
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 25.07.2006 um 15.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4987

Lieber Ballistol,
es ist andersrum. Ich wollte Denkanstöße geben, z.B. auf die Diskrepanz zur üblichen Bewertung anderer Produkte des Massenmarkts hinweisen, keine Ankündigungen konkreter Vorhaben verbreiten. Zielgruppe also auch, aber nicht nur, solche Leser, die in ihrer Situation die Möglichkeit, die Beziehungen und auch die Erfahrung hätten, rechtliche Schritte zu unternehmen. (Vielleicht ja unnötig, weil sie selber drauf kämen..) Wobei die Aussichten, bei aller Berechtigung des Anliegens, bekanntermaßen gering sind, Versuche hat es ja gegeben. Umso mehr bedürfte ein konkretes Vorhaben großer Sorgfalt in der Vorbereitung, und dazu würde Diskretion im Vorfeld gehören.
Außerdem und andererseits denke ich, daß ganz allgemein das Unrechtsbewußtsein in diesem Bereich zu schwach entwickelt ist, gerade auch bei den Medien, wenn sie z.B. Verlagswerbung unkritisch paraphrasieren und Behauptungen nicht hinterfragen, sondern den Kultuspolitikern aus der Hand fressen - was sie bei anderen Themen nicht tun! Denkanstöße sind hier weiterhin nötig, denn nur an wenigen Medienbeiträgen der letzten Tage hat man ja schon ein gewisses Aufmerken ablesen können. Das muß man fördern, ich versuche das auch beharrlich bei der hiesigen Zeitung.

 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 25.07.2006 um 15.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4988

@Germanist. Leider gibt es das Institut der Zulassung von Wörterbüchern für den Schulgebrauch nicht. Sonst wäre der Unfug per Zulassungsantrag für den Ickler (oder den Mackensen) leicht angreifbar, notfalls per EU-Recht (internationaler Wettbewerb über Schweiz und Österrecih).
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 25.07.2006 um 16.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4989

Güthert: "[...] Die Reform in ihrer Ursprungsversion gilt seit 1996, wurde zum Teil auch schon zum Schuljahr 96/97 eingeführt, spätestens aber zum Schuljahr 98/99, so dass die Lehrer mit am besten überhaupt informiert sind. [...]"

Diesen Satz habe ich (neben anderen, die ich aber hier nicht kommentieren will) mehrfach gelesen und die darin verborgene vorgebliche Logik zu ergründen versucht. Sie hat sich mir nicht erschlossen...
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 25.07.2006 um 19.28 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4992

"Steckenlesereien"

Also, wenn ich als mathematisch angehauchter Mensch etwas von Streckenlesen höre (so wie das im Interview mit Frau Güthert geschah), dann bin ich sofort perplex. Wenn ich persönlich nämlich lese, bewege ich mich flächenhaft vorwärts. Seite für Seite.
Bis zum Zeilenumbruch geht es nach rechts, dann nach unten, dann wieder nach rechts, dann wieder nach unten, und beim ersten Zwischenstop habe ich dann eine Seite fertig.
Nicht im Traum würde es mir einfallen, mein Lesepensum in Metern auszudrücken. Ich will ja schließlich lesen, nachdenken und verstehen; und nur ab und an nachrechnen. Frau Güthert hingegen gibt für ihr Lesepensum in einem neuen Wörterbuch für die Strecke „N“ und „S“ ca. 200 Seiten an, obwohl sie streckenliest.

Es spornt mich natürlich an, jemandem der mit Lügen und Scheinwahrheiten um sich keult, einmal ein Stück gebündelte Wahrheit an den Kopf zu kanten, jede einzelne Lüge zu entlarven und dann erbarmungslos mit der Wahrheit zurückzuhauen. Theodor Ickler hat das einmal versucht vor Jahren, als es um die 8000 Unterschiede in den Wörterbüchern ging. Herausgebracht hat er, daß seinerzeit Bertelsmann einen üblen Sprachtrick benutzt hat. Berthelsmann unterschied damals zwischen „Auflage“ und „Ausgabe“, und er machte seinerzeit mit diesem Trick ein Nachrechnen unmöglich. Die ersten Bücher, in denen noch massive Fehler zu verzeichnen waren, waren nämlich sehr schnell vom Markt, so daß man infolgedessen gar keinen mathematischen Gegenbeweis mehr führen konnte (es sei denn, man hätte ein seltenes Sammlerexemplar von der ersten Auflage, erste Ausgabe besessen).

Während seinerzeit (so weit ich weiß) die Buchstabenstrecke D zur Disposition stand – Herr Heller und seine spätere Nachfolgerin, Frau Güthert, lasen diese Strecke der geänderten Wörterbücher gründlich durch und rechneten proportional die Gesamtabweichungen der Wörterbücher hoch (sie wurde mit annähernd tausend beziffert und schließlich als „das Märchen von 1000 und einer Nacht“ benannt) – hat sich kürzlich Frau Güthert neuerdings der Strecke N und S zugewandt. (Man beachte die Innovationskraft bei gleichbleibender Fehlbemessung!)

Frau Güthert gibt ihre neue Lesestrecke mit ca. 200 Seiten an, was bei einer herkömmlichen Dudenspalte von 3,5 cm (jede Dudenseite hatte ehemals drei Spalten) sowie einer durchschnittlichen Führung von 63 Zeilen pro Spalte ziemlich genau 1,323 Lesekilometern entsprechen würde. Tolle Leistung!

Ich allerdings dachte immer, daß man den Duden gar nicht fortlaufend lesen muß, sondern nur sporadisch zum Überprüfen. Und wenn schon Überprüfung, dann kämen z.B. bei der Sichtung des „Binnen-S“ locker einige hundert Quadratmeter zusammen.
 
 

Kommentar von borella (zu #4989), verfaßt am 25.07.2006 um 20.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#4994

Was stört am Satz von Fr. Güthert?
Natürlich würde man in einem schriftlich verfaßten Artikel nicht so formulieren, aber gesprochene Sprache kennt eben Redewendungen und Abkürzugen.
Die Fähigkeit druckreif zu sprechen, noch dazu in der angespannten Atmosphäre eines Rundfunkinterviews, die haben normalerweise nur trainierte Redeprofis (Moderatoren, Showmaster, manche Politiker, ...), und selbst die sind vor Schnitzern nicht gefeit.
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 26.07.2006 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5001

| [i]Güthert: "[...] Die Reform in ihrer Ursprungsversion gilt seit
| 1996, wurde zum Teil auch schon zum Schuljahr 96/97 eingeführt,
| spätestens aber zum Schuljahr 98/99, so dass die Lehrer mit am
| besten überhaupt informiert sind. [...]"[/i]

| ... die darin verborgene vorgebliche Logik ... hat sich mir
| nicht erschlossen.

Das ist einfach:

Herr Ickler kritisiert, daß die Neuauflage des Dudens etliche bisher gültige Neuschreibungen nicht verzeichne, die im Schulalltag aber noch einige Zeit als richtig zu werten seien. Frau Güthert wischt das vom Tisch mit dem Argument, daß Lehrer nach mehr als 10 Jahren Praxis die abgeschafften Neuschreibungen so gut intus hätten, daß sie sie auch ohne Wörterbuchunterstützung als richtig erkennen könnten.

Vom Resultat her dürfte sie verblüffend nahe an der Wirklichkeit sein: Ich habe schon lang kein fehlerfreies schuloffizielles Schriftstück mehr gesehen; das ist ein Zeichen dafür, daß "die Lehrer" die Neuschreibungen eben nicht beherrschen. Was macht aber nun ein Lehrer, der in der Sache unsicher ist, andererseits genau weiß, daß sofort ein übereifriger Elternteil bei ihm auf der Matte steht, wenn er einen Fehler zuviel markiert hat? Richtig: Er streicht im Zweifelsfall eine fragliche Schreibweise nicht an, schließlich hat sich bei ihm noch keiner beklagt, wenn er einen Fehler "übersehen" hat.

Diese Vorgehensweise dürfte wesentlich dafür verantwortlich sein, daß die Neuschreibungen angeblich so völlig problemlos im Schulalltag durchgeführt wurden.
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 26.07.2006 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5022

@borella (#4994): Was stört am Satz von Fr. Güthert?

Was mich an diesem Satz stört, ist die vermeintliche Logik, die Frau Güthert hier unterjubelt und die der Hörer nachvollziehen soll: Weil die Reform 1996 (bzw. 97/98 oder 98/99) eingeführt wurde (Tatsachenfeststellung) ergäbe sich zwangsläufig die Schlußfolgerung, daß die Lehrer über den Inhalt bestens informiert sind. Deswegen gibt es natürlich auch keine Probleme bei der inhaltlichen Vermittlung usw. usf. Die übliche Propaganda ist es, die mich stört.
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 26.07.2006 um 16.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5024

In die gleiche Kerbe (s.: Karsten Bolz)

Genau diesen Mechanismus der Propaganda versuchte ich mit meinem Beitrag „Streckenlesereien“ auf die Schippe zu nehmen, denn der Unwort „Streckenlesen“ ist eine Einschüchterungsvokabel. Der Begriff „Streckenlesen“, vorgetragen aus dem Munde eines Reformbefürworters hat etwas Geheimnisumwobenes, etwas kompliziert Wissenschaftliches und etwas Endgültiges.
 
 

Kommentar von borella (zu #5022), verfaßt am 26.07.2006 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5043

Man sollte die Kirche im Dorf lassen!
Die Aussage, daß Lehrer (zumindest Deutschlehrer) seit Beginn der Reform direkt ins Geschehen involviert sind und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit, auch ohne ein Wörterbuch parat zu haben, wissen, wie ein Schreibfall steht, das kann man wohl als gegeben annehmen. Andernfalls hätten Lehrer ihren Beruf verfehlt. Das gilt auch dann, wenn der selbe Lehrer privat Kritiker der Reform ist.
Davon leitet Fr. Güthert aber nicht ab, wie Sie es unterstellen, daß die Reform inhaltlich problemlos vermittelt werden kann, sondern nur, daß auch trotz fehlender Angabe der "Übergangsschreibweisen" im neuen Duden, Lehrer mehrheitlich ohne Wörterbuchhilfe zurechtkommen sollten. Und in wirklich strittigen Fällen benötigen sie halt ein altes Wörterbuch, woher immer es auch kommen mag. Von der Logik her finde ich diese Haltung nicht absurd.
Absurd finde ich allein die Tatsache, daß offenbar kaum jemand der sogenannten Reformbefürworter allmählich zur Überzeugung gelangt, daß ein permanentes Herumfuhrwerken am ursprünglichen Reformwerk die Situation nur immer um noch eine Stufe verschlimmbessert, bzw. unharmonischer macht, zumindest in Relation zur eigentlichen Wortbedeutung und zum Sprachgefühl, - so es überhaupt noch vorhanden ist ...
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 26.07.2006 um 21.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5044

Borella outet sich als Lehrer... oder zumindest als Pädagogensympathisant... ;-)

Ich denke/befürchte, daß die heutige Lehrergeneration nicht mehr in der Lage ist, den Schülern eine ordentliche Rechtschreibung (egal ob alt oder neu) zu vermitteln. Gleiches gilt für Physik, Mathe und was da sonst noch so wäre... Schule ist ein Trauerspiel. Das ist zumindest meine ungetrübte Außenseitererfahrung.

Zum Glück für unsere Lehrer werden nur die Schüler (PISA-)validiert... sonst hätte BILD wieder fette Schlagzeilen.

Ich schließe mich der Meinung an, daß im Zweifelsfall wohl eher viel weniger Fehler angestrichen werden. Dadurch werden die Schüler besser in Deutsch... und die NRS wird -- wie oftmals schon beschworen -- für bessere Deutsch-Zensuren (wenn auch nicht Deutsch-Kenntnisse) sorgen.
 
 

Kommentar von Odilo Gudorf, verfaßt am 27.07.2006 um 01.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5046

Die Behauptung, daß „die Lehrer“ in der Beherrschung der NRS im wesentlichen firm seien, wie sie die Geschäftsführerin des Rechtschreibrates, Frau Güthert, vorbringt und die von einigen Teilnehmern der Diskussion als realistisch angesehen wird, denn „sonst hätten sie (die Lehrer) ihren Beruf verfehlt“, zeugt von großer Ferne zur Schulwirklichkeit. Es gehört allerdings zu den großen Versäumnissen in der „Reformgeschichte“, daß es nie eine offene empirische Überprüfung der Rezeption der NRS durch die Lehrer gegeben hat. Sie wäre auch jetzt noch von Nutzen. Viele Lehrer, vor allem wenn sie in der gymnasialen Oberstufe oder im Zweiten Bildungsweg unterrichteten, haben sich, da im inneren Widerspruch zu der Reform, diese zwar zur Kenntnis genommen, aber um ihre Umsetzung kaum geschert. Auch war es manchen Gymnasialleitungen – nach meinen Beobachtungen in NRW – geradezu recht, daß viele Lehrer äußerst liberal mit den zweifelhaften Ergebnissen der Reform umgingen.
Ich habe im Jahre 2004 eine Gelegenheit nutzen können, wo mir ein Schulleiter gestattet hat, mit seinem Kollegium (40 Gymnasiallehrerinnen und -lehrer) einen Test vorzunehmen, der – unangekündigt zu Beginn einer Konferenz – aus einem kurzen Diktat und einem zu korrigierenden Text bestand, nachdem der Umgang mit der NRS inzwischen seit über sechs Jahren für die Lehrer verpflichtend war.
Ich habe das differenziert ausgearbeitete Ergebnis der damaligen Leitung der KMK und mehreren Kultusministern zugeschickt, auch einigen der bekannten Kritiker der Reform. Der Ermunterung, die Ergebnisse zu veröffentlichen, bin ich leider, so möchte ich jetzt sagen, nicht gefolgt. Ich möchte sie aber angesichts der Äußerungen von Frau G. in knapper Form in dieses Forum einbringen.

Es ging um folgenden, einschlägig auf das Thema und einige Merkmale der Reform zugeschnittenen, aber keinesweg schweren Text (Textfassung in herkömmlicher Rechtschreibung):

Ich werde mich nie mehr krank melden! -
Der Umgang mit der sogenannten Neuen Rechtschreibung ist für viele eine grauenerregende, für manch andere möglicherweise auch eine herzerfrischende Erfahrung. Es gibt im übrigen wohlbegründete Argumente zugunsten beider Seiten. Wir wollen weder die Reform im voraus schönreden noch, kleinkariert, alles Kleingedruckte kritisieren.
Es scheint aber so, daß nur eine Handvoll Leute die neuen Regeln beherrscht, obwohl man sie schon jahrelang, dank aufwendiger Programme, kennenlernen kann.
Zur Zeit scheint sich ein jeder seine Regeln jedesmal selbständig zusammenzustellen. Das ist heutzutage die rauhe Praxis, so leid es mir tut!
Schlußsatz: Ich wünsche allen einen gleichbleibend klaren Verstand.

Für die Aufgabe galt folgende Vorgabe:
Der Text sollte von einer Gruppe (N-Gruppe) in neuer Rechtschreibung, von einer zweiten Gruppe (A-Gruppe) in alter oder in beliebiger Rechtschreibung, d.h. „richtig“, aber nach Belieben unter Anwendung der gegenwärtig gültigen Schreibweisen, geschrieben werden. (Die S-Schreibung, wurde bei der Fehlerzählung nicht mitgerechnet.)

Das Diktatergebnis lautet in Zahlen:
Ergebnis der N-Gruppe (NRS verpflichtend):
Fehlerquote: 0 – 5 Fehler = 0 Teiln. 10 Fehler = 3 Teiln.
6 “ = 1 Teiln. 11 “ = 2 Teiln.
7 “ = 2 T. 12 “ = 2 T.
8 “ = 3 T. 13 “ = 2 T.
9 “ = 4 T. 15 “ = 1 T.

„Trefferquote“ im Sinne der neuen Rechtschreibung (Höchstzahl 14 ): Niemand hat alle reformiert zu schreibenden Wörter richtig geschrieben. Die meisten Teilnehmer lagen zwischen 11 u 7 "Treffer".

Es wurden von dieser Gruppe von 20 Teilnehmern einschl. drei Deutschlehrern also keine fehlerlose und keine „Arbeit“ unter sechs Fehlern abgegeben. Insgesamt wurden 197 Fehler,
d.h. im Durchschnitt ca. 9,8 Fehler gemacht, davon waren 3,1 Übergeneralisierungen, also nur vermeintlicher Neuschrieb. 134 der "Fehler" (6,7 im Durchschnitt) sind in gültiger alter Schreibung gefasst , bedeuten also keine Rechtschreibschwäche, sondern Unkenntnis der Neuschreibung. Von den geforderten 14 Neuschreibungen wurden im Durchschnitt nur 7,7 richtig gewählt.

Das Ergebnis der A-Gruppe unterschied sich davon erheblich: Die einzigen 3 fehlerlosen Abgaben basierten völlig auf der bewährten Rechtschreibung. Die Gesamtfehlerzahl dieser 20er-Gruppe betrug 39, d.h. Im Durchschnitt 2 Fehler gegenüber 9,8 der anderen Gruppe. Die A-Gruppe benutzte bei freiwilliger Anwendung – im Durchschnitt – nur 3,7 von den 14 NRS-Wörtern, obwohl diese nach damaligem Stand im folgenden Jahr (2005) verbindliche Rechtschreibung werden sollten.

Die Ergebnisse der A- und N-Gruppe im Vergleich besagen demnach, daß sechs Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibregeln, diese keineswegs angenommen oder gar verinnerlicht waren, sondern daß Rechtschreibsicherheit im bisherigen Verständnis kaum noch vorhanden war bzw. ist. In der N-Gruppe speziell zeigt sich eine weitgehende Auflösung von Rechtschreibsicherheit, insofern diese im Gebrauch der neuen Rechtschreibung bestehen soll. Niemand ist unter 6 Fehlern geblieben. Auch diejenigen, die sich als „gut informiert“ bezeichnet haben, sind mit 7, 8, 10 und 13 Fehlern verzeichnet. Dabei spielen v.a. in der N-Gruppe die Beispiele von „Übergeneralisierung“ eine erhebliche Rolle. Die Unsicherheit steigt also mit dem Wunsch, in Neuschreibung „richtig“ zu schreiben.

Zu der Korrekturaufgabe nach den Reformregeln von 1996, die seit Jahren Pflicht nicht nur der Deutschlehrer, sondern aller Fachlehrer ist, was vor allem in der Sekundarstufe II von Bedeutung ist, läßt sich folgendes Ergebnis zusammenfassen:

Eine „richtige“ Korrektur wurde nicht abgeliefert. Bei 40 Korrekturen wurden im Durchschnitt 4,25 statt der vorgelegten 10 „Fehler“ erkannt. Mit anderen Worten: entsprechend gab es im Durchschnitt 5,75 nicht erkannte „Fehler“ pro Korrektur-Arbeit, also mehr als die Hälfte der (neuerdings) zu korrigierenden Wörter. Gleichzeitig waren aber 3,4 Falschkorrekturen pro Korrektur-Arbeit zu finden, ein Zeichen für eine weitgehende Desorientierung.
Eigentlich Stoff für eine Schlagzeile nicht nur in der Bildzeitung!
 
 

Kommentar von Hans Noggel, verfaßt am 27.07.2006 um 09.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5048

Der Beitrag von Odilo Gudorf ist Wasser auf die Mühlen derer, die sagen, daß die Verweigerungshaltung der Altvorderen verhindert, daß die neue Rechtschreibung sich durchsetzt. Jetzt sind mal wieder die Lehrer schuld, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, sich die neuen Regeln anzueignen und an die Schüler zu vermitteln.
Damit ist jede Erhebung wertlos, die die Rechtschreibleistung der Schüler vor und nach der Umstellung vergleicht. Die Reformbefürworter können behaupten, daß die Schüler nicht mehr lernen können, als die Lehrer ihnen beibringen.
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 27.07.2006 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5049

Derartige Studien, wie Herr Gudorf sie anstellte, hätten schon längst die Reformbetreiber selber, also die KMK, anstellen lassen müssen, und zwar repräsentativ im ganzen Schulwesen der Republik. Hier ist ja schon mehrfach bemerkt worden, daß Erfolgskontrollen nicht nur nicht angestellt, sondern sogar unterdrückt werden. Ein unglaubliches Verhalten. Evaluation tut not. Eigenartig, daß auch die Medien das bis heute nie bemerkt haben, obwohl sie über sporadische Ergebnisse gern mal berichten.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 27.07.2006 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5050

Da haben Sie recht, Herr Noggel, wir leben schließlich in einer kafkaesken Welt...

Fall A: Die Schüler beherrschen die NRS nicht ... Ursache: Die Altschreiber sind schuld... die Schüler haben gar keine Chance, richtig zu lernen... Folge: Diese asozialen Altschreiber sollen endlich schweigen!

Fall B: Die Schüler beherrschen die NRS... Ursache: Die NRS ist toll... Folge: Diese asozialen Altschreiber sollen endlich schweigen!

Also... wir haben eine No-Win Situation... aber sollte man sich davon entmutigen lassen? Dazu ein definitives Nein, denn in unserer Geschichte haben schon zu oft die Klugen geschwiegen, um einer dümmlichen Politik kritiklos das Spielfeld zu überlassen. Es ist besser, man ist vorher schlauer... statt hinterher.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 27.07.2006 um 13.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5057

Herr Noggel, von den Lehrern der Testgruppe N haben sich laut der Ausführungen einige selbst als "gut informiert" bezeichnet. Von einer Verweigerungshaltung kann man also schlecht sprechen.
Und selbst wenn es sinnig wäre, von einer zu sprechen, könnte man den Dienstherren der Lehrerschaft dann immer noch Falschinformation unterstellen: die beteuern nämlich immer wieder, daß alles glänzend umgesetzt sei und die Lehrer keine eigentlichen Probleme mit der RSR und der NRS hätten.

Lieber Herr Gudorf, veröffentlichen Sie doch bitte Ihre Ergebnisse. Keine Angst, wenn ihnen danach jemand an der Tür auflauert oder Sie bedroht/entführt/verklagt usw. werden: wir wissen ja Bescheid, an wen wir uns zu wenden haben, wenn was passiert. ;)
Nicht wahr, Ihr lieben mitlesenden Reformvollstreckungsbeamten?
 
 

Kommentar von Sarina Stützer, verfaßt am 27.07.2006 um 13.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5058

Lyriost am 25.07.2006 um 08:19 Uhr
Dafür muß ein Autor, Lektor, Korrektor, der für verschiedene Auftraggeber arbeitet, bevor er zu arbeiten beginnt, jedesmal überlegen, für wen er jetzt tätig wird, und die entsprechende lange Liste der Abweichungen aus der Schreibtischschublade holen, die er dann neben das Wörterbuch legt, das vom Verlag präferiert wird. Man stelle sich das vor.

Das ist kein Schreckensszenario, sondern für mich als freie Autorin und Lektorin seit langer Zeit traurige Realität.
 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 27.07.2006 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5060

Das mag schon so sein, aber im Grunde hätte das alles nicht so kommen müssen, wenn man am Anfang erst gründlich überlegt hätte, anstatt die Reform überstürzt durchzusetzen ...
 
 

Kommentar von borella (zu #5046), verfaßt am 27.07.2006 um 18.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5061

Ich schrieb meinen Beitrag 5043 deshalb so, wie ich ihn schrieb, nämlich als Vermutung, weil ich öffentlich ohne halbwegs schlüssigem Fundament keine abfällige Meinung über Lehrerqualifikation abgeben wollte.

Jedenfalls bin ich froh, daß mein Beitrag zumindest Mitauslöser war, daß Odilo Gudorf seine Erfahrung hier mitteilt.

Sollte sein Ergebnis nur annähernd repräsentativ sein, lebt ein Teil unseres Bildungssystems scheinbar in einer permanenten Lebenslüge. Allerdings einer, an deren Auflösung niemand Interesse hat, oder, noch trauriger, in einer Lüge, die den Betreffenden als Teil ihrer Besserwisserarroganz gar nicht bewußt ist.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 27.07.2006 um 20.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5069

Kürzlich las ich einen (mittelmäßigen) Artikel zum Thema "Fotovoltaik" ... früher, zu meinen Studienzeiten, hieß es noch "Photovoltaik" und wurde in der (internationalen) Fachsprache mit PV(-Technik) abgekürzt.

Photovoltaik liefert für DE in Google 2.7 Millionen Einträge, Fotovoltaik nur knappe 500.000.

Das Wort "Fotovoltaik" erinnert mich irgendwie an meinen letzten Dänemark-Urlaub -- dort sehen viele Worte vertraut, aber doch ganz anders aus ;-)

Meine Frage: Wie sieht es im neuesten Duden oder Wahrig aus? Mein erster und einziger Reformduden nennt Photovoltaik noch als die erste Wahl (und Fotovoltaik nur optional).
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 29.07.2006 um 15.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=567#5108

Zu Kai Lindner: "Ich denke/befürchte, daß die heutige Lehrergeneration nicht mehr in der Lage ist, den Schülern eine ordentliche Rechtschreibung (egal ob alt oder neu) zu vermitteln."

Eine Anfrage eines Pädagogen im Verlag: Man sucht ein Lehrbuch mit Übungen zur "Grammatik und Rechtschreibung für nicht Deutsche".


 
 

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