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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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07.04.2005
 

„Massive Regeländerungen“
Der Tagesspiegel warnt

Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird am Freitag über die Rücknahme der Reform im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung beraten.

Das hat nun auch der Berliner Tagesspiegel erfahren, der für seine freundschaftliche Nähe zur KMK bekannt ist und wohl deshalb auch gleich warnende Stimmen von Eva-Maria Stange und Dieter Nerius eingesammelt hat. Rabiat bis zur Kenntlichkeit ist auch der zugehörige Kommentar von Anja Kühne. Ungewöhnlich moderat äußert sich Andreas Baer vom Schulbuchverlegerverband. Am Ende der Vorabmeldung stand die Warnung: Liebe Kollegen, es besteht die Gefahr, dass die Rechtschreibprüfung (in Word) zusammengeschriebene Wörter wieder trennt. Aber der eigentliche Tenor der Sonderseite ist: Liebe Kollegen, es besteht die Gefahr, dass die viel geliebte Rechtschreibreform fällt.



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Kommentare zu »„Massive Regeländerungen“«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2019 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#11011

Zu http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#563

Der vollständige Text von Anja Kühne ist hier zu finden:
https://www.tagesspiegel.de/meinung/zurueck-in-den-elfenbeinturm/598882.html

Ich hatte ihr damals geantwortet:


Sehr geehrte Frau Kühne,
nachdem Sie mich in Ihrem Bericht und Kommentar vom 7.4.2005 erwähnt und kritisiert haben, möchte ich Ihnen doch ein paar Zeilen schreiben, um Sie über meine Sicht der Rechtschreibreform und meine bisherigen Erfahrungen etwas genauer zu informieren. Wie Sie vielleicht wissen, beschäftige ich mich seit zehn Jahren mit dem Gegenstand und habe in dieser Zeit niemals etwas anderes als das Interesse an sprachlicher Richtigkeit und – davon abhängig – didaktischer Vertretbarkeit der Rechtschreibnorm im Auge gehabt.

Sie haben in einigen Punkten recht. So ist die Rechtschreibreform tatsächlich ein Stück aus dem Tollhaus, aber nicht wegen der Kritiker. Woran die Reform leidet und wie es dazu gekommen ist, stelle ich in meinen Büchern ausführlich dar und kann ich hier nicht wiederholen. Jedenfalls sind die objektiven Fehler der Reform so bedeutsam, daß die Urheber schon 1997 tiefgreifende Korrekturen für „unumgänglich notwendig“ erklärt haben; diese wurden jedoch von den Kultusministern mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Schulbuchverlage verhindert. Seither sind aber doch zwei Revisionswellen über die Reform hinweggegangen, eine nichtamtliche bis 2000 und dann die erste amtliche 2004. Vom Ausmaß beider haben Sie offenbar keine zutreffende Vorstellung. Die vier zur Zeit gültigen Duden (drei reformierte und der „alte“) zeigen viele tausend Unterschiede, teils gravierender Art.

Sie haben auch recht mit dem Hinweis, daß normale Schreiber keine grammatischen Theorien brauchen sollten, um richtig schreiben zu können. Aber haben Sie einmal das Originalregelwerk in der Hand gehabt? Es ist für Laien unverständlich, sogar nach dem Urteil seiner Verfasser. Meine eigene Rekonstruktion der herkömmlichen, ungleich besseren und auch moderneren Schreibweisen ist außerordentlich klar und leicht zu verstehen, vor allem in der Schülerfassung (vgl. mein Rechtschreibwörterbuch, jetzt „Normale deutsche Rechtschreibung“ – ich schicke es Ihnen bei Interesse gern zu). Deshalb habe ich dafür auch den „Deutschen Sprachpreis“ bekommen.

Sie irren, wenn Sie glauben, daß kleinere Korrekturen weniger Kosten verursachen als die entschlossene Umkehr, nämlich die Rückbesinnung auf die einzige Grundlage, auf der sich alle zufriedengeben könnten, nämlich die bisherige Rechtschreibung (aber ohne Duden-Haarspaltereien und ohne Dudenprivileg). Das sieht inzwischen auch der Dudenchef so, deshalb hat er der neuen Vorlage zugestimmt.

Sie irren mit ihrer These, die heutige Schülergeneration hätte die bisherige Rechtschreibung nie kennengelernt. Letztere ist allgegenwärtig, von der BILD-Zeitung bis zum Märchenbuch. Der Tagesspiegel erscheint wie andere Zeitungen in einer fehlerhaft ausgelegten Neuschreibung von 1996, die mehrfach überholt ist. Das ist einer der Gründe für die gegenwärtige Verwirrung.

Sie irren mit der Behauptung, unsere These von den Tausenden von umzulernenden Wörtern sei eine maßlose Übertreibung. Ich habe die Wörter gezählt, Sie offenbar nicht. Die wegen Unfähigkeit (und nicht wegen des Drucks der Öffentlichkeit) aufgelöste Kommission hat ganz und gar nicht „mit Augenmaß“ Varianten eingebaut, sondern in zunehmender Kopflosigkeit genau das getan, was sie anfangs vermeiden wollte. Jeder Kenner der Entwicklung weiß das. Ich habe sowohl an der Mannheimer Anhörung als auch am Karlsruher Verfahren teilgenommen und kann Ihnen zum genauen Hergang der Dinge und der wachsenden Panik auf seiten der Kommission und der KMK jede gewünschte Auskunft geben.

Die Schule hat auch noch andere Sorgen, aber die orthographische Konfusion, mutwillig durch die Reformer vom Zaun gebrochen, ist keine ganz geringe Sorge. Die Lehrer meiner schulpflichtigen Töchter wissen zur Zeit nicht, woran sie sich halten sollen; vor einigen Jahren gab es dieses Problem noch gar nicht.

Ich lege noch ein paar Texte und Dokumentationen bei und grüße Sie freundlich...



Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 12.04.2005 um 18.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#588

Was bringt Frau Dr. Kühne bloß zu ihrer Wortwahl des Reformfeindes? Sie scheint sich durch die aktuelle Entwicklung persönlich angegriffen zu fühlen, aber warum? – Auf jeden Fall stellt dies einen weiteren Schritt weg von einer sachlichen Diskussion um die Reform dar, welche in Anbetracht der jüngsten KMK-Erklärung (http://www.kmk.org/aktuell/pm050412.htm) umso nötiger ist.


Kommentar von Johannes Hauberger, verfaßt am 08.04.2005 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#563

Der Rat hat getagt und Herr Zehetmair hat gesprochen. Das ist die Situation heute nachmittag/abend:

Der Rat für deutsche Rechtschreibung plädiert bei der Getrennt- und Zusammenschreibung für eine weit gehende Rückkehr zu den alten Schreibregeln. Die Vorschläge einer eigens eingerichteten Arbeitsgruppe seien von dem Gremium in den meisten Fällen akzeptiert worden, sagte der Ratsvorsitzende, Bayerns Ex-Kultusminister Hans Zehetmair (CSU), am Freitag in München. Ein endgültiger Beschluss solle aber erst auf der nächsten Sitzung des Rates am 3. Juni gefasst werden. Nach Einschätzung Zehetmairs wird sich die Kultusministerkonferenz dieser Position anschließen. (ddp)

Eine Expertengruppe des Rats für deutsche Rechtschreibung schlage bei den meisten umstrittenen Beispielen der reformierten Getrenntschreibung vor, wieder differenzierter vorzugehen und entweder beide Varianten zuzulassen oder die alte Zusammenschreibung wieder zu erlauben, sagte der Vorsitzende des Rats Hans Zehetmair am Freitag in München. So solle "kennen lernen" anders als bislang vorgesehen wieder zusammengeschrieben werden. (HB)

Der frühere bayerische Kultusminister machte deutlich, dass die Vorschläge bis zum Beginn des nächsten Schuljahres wahrscheinlich nicht mehr in alle Schulbücher und Lexika eingearbeitet werden könnten. "Ich halte es nicht für möglich, dass man das gedruckte Wort nochmal umstellt bis dahin", sagte er. Von den Lehrern werde dann eben eine "gewisse pädagogische Sensibilität" erwartet, solche Worte nicht als Fehler anzustreichen. (Reuters)

Das Gremium habe dem Großteil der Vorschläge einer Arbeitsgruppe "in der Tendenz" zugestimmt, sagte die Geschäftsführerin des Rates, Kerstin Güthert. Eine endgültige Entscheidung darüber soll auf einer Sitzung Anfang Juni fallen. Das Gremium befasst sich auch mit weiteren möglichen Änderungen an der Reform, die ab August 2005 an den Schulen verbindlich werden soll.

In einzelnen Punkten habe es aber innerhalb des Rates unterschiedliche Ansichten über die Vorschläge der Arbeitsgruppe gegeben, sagte Güthert. Die Gruppe soll sich deshalb damit erneut befassen.

Die Getrennt- und Zusammenschreibung gilt als Knackpunkt bei möglichen Änderungen an der Reform. Wenn dies erledigt sei, sei der größte Bereich geschafft, sagte Güthert. Mit seinen Korrekturvorschlägen will der Rat auch einen Beitrag dazu leisten, Kritiker und Befürworter der Reform zusammenzubringen. Dem Gremium sei sehr daran gelegen, "einen Brückenschlag" zu schaffen, betonte die Geschäftsführerin. (AFP)

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat entgegen der 1996 beschlossenen Reform dafür plädiert, wieder mehr Verben zusammenzuschreiben. Der Gremiumsvorsitzende und frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair sagte am Freitag in München, künftig sollte krankschreiben, kranklachen oder vollquatschen nicht mehr getrennt geschrieben werden. Denn in solchen Fällen hätten die Wörter eine «idiomatisierte Gesamtbedeutung», das heißt sie bilden vom Sinn her eine Einheit. Endgültige Beschlüsse will der Rat aber erst im Juni fassen. «Wir kommen voran, aber es ist mühsam», sagte Zehetmair.

Die Getrennt- und Zusammenschreibung war an dem neuen Regelwerk besonders umstritten. Grundsätzlich sollte aber möglichst immer getrennt geschrieben werden, hieß es. Nun aber lockere man diese «Partout-Regelung», erläuterte Zehetmair. Er gehe davon aus, dass die jetzigen Vorschläge einer Arbeitsgruppe im Juni bei einem Plenartreffen des Rates für deutsche Rechtschreibung die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit finden, sagte Zehetmair. Die Kultusministerkonferenz (KMK) habe signalisiert, dass sie sich dem Votum des Rates nicht verschließen werde. «Ich rate es auch nicht», sagte Zehetmair an die Adresse der KMK.

Die KMK teilte am Freitag mit, sie werde über die neuen Vorschläge erst entscheiden, wenn auch Verbände dazu angehört worden seien. Dazu gehörten vor allem Vertreter der Schulen, insbesondere der Lehrer-und Elternvertretungen, sowie Behörden. Die KMK hatte im vergangenen Jahr beschlossen, den Rat für deutsche Rechtschreibung einzusetzen. Er soll bis zur verbindlichen Einführung der neuen Schreibweisen in Schulen und Behörden zum 1. August 2005 Empfehlungen zu besonders strittigen Fällen geben. In dem Gremium sind unter anderem auch Fachleute aus Österreich und der Schweiz vertreten.

Den neuen Vorschlägen zufolge sollen nun Verben wie kaltstellen, übrigbleiben, heiligsprechen, richtigstellen, zufriedenstellen und verlorengehen wieder zusammengeschrieben werden. Auch beim Zusammentreffen von Adverbien und Verben wie bei auseinandersetzen oder vorhergehen ist in vielen Fällen wieder eine Zusammenschreibung vorgesehen. Auch bei eislaufen, kopfstehen, festnageln oder leidtun rückte der Rat von dem ursprünglichen Regelwerk wieder ab. Den Empfehlungen zufolge muss im Einzelfall geprüft werden, ob das Adverb noch ein selbstständiges Wort oder nur noch Verbpartikel sei. Neben Acht geben, Acht haben, Halt machen und Maß halten sollen als Varianten auch die zusammengeschriebenen Formen wieder zugelassen werden. Ebenso soll es wieder in einem Wort kennenlernen heißen.

Klärungsbedarf sieht die Arbeitsgruppe noch bei Verben wie laufen lernen oder spazieren gehen. «Es ist ein schwieriger Ritt», sagte Zehetmair zur Reformdebatte. Aber es sei ein großer Erfolg, dass die Kritiker der Rechtschreibreform nun auch im Rat für deutsche Rechtschreibung mitarbeiten. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und der deutsche PEN hatte zeitweise eine Mitarbeit abgelehnt, wegen der ihrer Ansicht nach zu einseitigen Besetzung des Gremiums mit Reformbefürwortern. Den PEN vertritt jetzt der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler. Er hatte die Reformvorschläge bereits als «massive» Änderung und «radikalen Neuansatz» bezeichnet. Eine weitere Arbeitsgruppe soll sich nun mit der Interpunktion und der Worttrennung am Zeilenende befassen. (dpa)

In einzelnen Punkten habe es aber innerhalb des Rates unterschiedliche Ansichten über die Vorschläge der Arbeitsgruppe gegeben, sagte Güthert. Die Gruppe soll sich deshalb damit erneut befassen.

Die Getrennt- und Zusammenschreibung gilt als Knackpunkt bei möglichen Änderungen an der Reform. Wenn dies erledigt sei, sei der größte Bereich geschafft, sagte Güthert. Mit seinen Korrekturvorschlägen will der Rat auch einen Beitrag dazu leisten, Kritiker und Befürworter der Reform zusammenzubringen. Dem Gremium sei sehr daran gelegen, "einen Brückenschlag" zu schaffen, betonte die Geschäftsführerin. (AFP)

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am Freitag in München noch keine Entscheidung über das Kernstück der Getrennt- und Zusammenschreibung gefällt. Vielmehr entspreche es der Verfahrensweise des Rates, erst nach Beratung des gesamten Komplexes abzustimmen, sagte der Vorsitzende des Rechtschreibrates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair (CSU).

Mit einem Beschluß des Rates über die Getrennt- und Zusammenschreibung ist nicht vor dem 3. Juni zu rechnen. Zehetmair bekräftigte, es gelte zu unterscheiden zwischen gewachsenem Sprachgebrauch und systematischen Regeln. Er rechne jedoch fest damit, daß der Rat am 1. Juli einige entscheidende Änderungen vorlegen kann. Der Rat setzte am Freitag eine neue Arbeitsgruppe zur Silbentrennung am Zeilenende und zur Zeichensetzung ein.

Die am Freitag beratene Getrennt- und Zusammenschreibung gilt als Kernstück der Reform und gleichzeitig als ihr umstrittenster Teil. Eine klare Entscheidung hätte zumindest im Blick auf einen der wichtigsten Paragraphen (34) den Zustand vor der Reform wiederherstellen können. Dieser Paragraph befaßt sich damit, wie Partikel, Adjektive, Substantive oder Verben mit Verben zusammengesetzt werden (drauflosreden, abhandenkommen, kennenlernen).

Über den ebenso fragwürdigen Paragraphen 36 soll ebenfalls beraten werden. Im Vergleich zur bisherigen Praxis, nur Varianten wieder zuzulassen, ist mit der Verabschiedung der Vorlage eine echte Änderung der Rechtschreibreform verbunden gewesen. Denn in den Wörterbüchern müßten sämtliche Wortlisten neu geschrieben werden, auch in Schulbüchern und in der Software wären umfangreiche Korrekturen vonnöten.

Beraten wurde über eine Vorlage der Arbeitsgruppe Getrennt- und Zusammenschreibung vom 5. April 2005, die von der Arbeitsgruppe einstimmig verabschiedet wurde. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe vom neuen Direktor des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache, Eichinger. Mitgearbeitet haben außerdem der Schweizer Germanist Gallmann, der österreichische Germanist Schrodt, der Leiter der Duden-Redaktion Wermke, der Vorsitzende des Journalistenverbandes Hein, das österreichische Ratsmitglied Lusser sowie Peter Eisenberg als Externer, der die Reformvorschläge maßgeblich erarbeitet hat. Mit ihrem einstimmigen Beschluß hatten die Reformer, die dieser Arbeitsgruppe angehörten, im Grunde selbst eingestanden, daß das Kernstück der Reform gescheitert ist.

Die Arbeitsgruppe des Rechtschreibrats hat sich nicht entscheiden können, das vor der Reform übliche „leid tun" wieder zuzulassen, sondern hielt an „leidtun" fest, was Sprachwissenschaftler gegenüber dem ersten Reformvorschlag mit dem grammatikalisch falschen „Leid tun" als Verbesserung betrachten. Nach der Vorlage der Arbeitsgruppe hätte auch „kennenlernen" wieder in einem Wort geschrieben werden können, wohingegen „laufen lernen", „baden gehen", „spazieren fahren" und „schätzen lernen" in zwei Worten geschrieben werden, weil zwei Verben nebeneinander treten. Nach dieser Logik müßte auch spazierengehen auseinandergeschrieben werden. Es handelt sich zwar um zwei Verben, aber um ein und dieselbe Tätigkeit. Dieser Abschnitt ist im Rat äußerst umstritten und muß weiter präzisiert werden. (FAZ-oll-Auszüge)

Der endgültige Beschluss werde zwar erst am 3. Juni gefasst, aber er sehe eine klare Zwei-Drittel-Mehrheit für die Korrektur der Regeln. Es gehe nur noch um ein paar Details. Ein „vielversprechender" Politiker sei eben doch etwas anderes als ein „viel versprechender Politiker". Auch „Leid tun" oder „Kopf stehen" würden künftig wieder zusammengeschrieben, sagte Zehetmair. Entscheidend sei, ob eine Wortgruppe eine andere Bedeutung angenommen habe.

Ludwig Eichinger vom Institut für Deutsche Sprache sagte, die Schreiber hätten viele neue Regeln gar nicht mitgemacht. Der Rat sei jetzt „stärker von der gewachsenen Sprache ausgegangen". Zehetmair sagte, es würden einige Ungereimtheiten beseitigt und „öffentliche Meinung und Fachleute ein Stück weit versöhnt". Es habe die Gefahr bestanden, dass in der Schule anders geschrieben würde als im übrigen Leben.

Ob die Rechtschreibreform zum 1. August für Schulen und Behörden verbindlich in Kraft tritt, sei eine Entscheidung der Kultusminister, sagte Zehetmair. Für den Rat seien aber klare und verlässliche Regeln wichtiger als ein Datum. Die Lehrer sollten beim Anstreichen von Fehlern auf jeden Fall nicht zu streng sein, forderte der Ratsvorsitzende. Ohnehin seien Bücher in alter und neuer Rechtschreibung parallel im Gebrauch.

Als nächstes will sich der Rat die Zeichensetzung und die Trennung am Zeilenende vornehmen. „Wir werden dazu raten, wieder mehr Kommas zu setzen", sagte Zehetmair. Entgegen der neuen Regeln täten das zum Beispiel die Zeitungen ohnehin schon, „wegen der Lesbarkeit, wegen der Sinnabschnitte", erklärte er. WELT/AP-Auszug]


Inzwischen hat Anja Kühne noch einmal im Tagesspiegel nachgelegt:

Die Rechtschreibreform ist ein Stück aus dem Tollhaus. Einen weiteren Akt schreibt jetzt die Arbeitsgruppe des Rats für deutsche Rechtschreibung. Unmittelbar bevor die seit 1998 in den Schulen gelehrte neue Rechtschreibung im August verbindlich wird, empfiehlt das Gremium zahlreiche Änderungen. Diese wiegen so schwer, dass der Duden überarbeitet werden müsste, die Schüler umlernen und Schulen neue Bücher kaufen müssten, sollten die Vorschläge umgesetzt werden.
[...]
Genau den galt es aber bei der Anpassung der Reform zu vermeiden. Denn Schüler und Bücheretats sollten nicht zusätzlich belastet werden. Das war das Ziel der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, die für die Regeln zuständig war – bis sie dem öffentlichen Druck zum Opfer fiel und durch den Rat für deutsche Rechtschreibung ersetzt wurde. Ihm gehört eine Reihe von Reformfeinden an, die sich nun zur Geltung bringen.

Dabei waren sie es, die kampagnenartig jede moderate Regelanpassung durch die Zwischenstaatliche Kommission als Katastrophe dargestellt hatten: Die Schüler müssten tausende von Wörtern des Reformwerks neu lernen, wurde behauptet. Dies war damals eine maßlose Übertreibung. Die Kommission hatte mit Augenmaß Varianten eingearbeitet, auch, um Kritik aufzunehmen. Erst jetzt könnte wirklich eine Lawine auf die Schüler zurollen.
[...]
Doch die Kritiker, unter ihnen so mancher Fanatiker, sollten endlich zur Kenntnis nehmen, dass die nachwachsende Generation die alten Schreibungen nicht vermisst. Sie hat sie nie kennen gelernt. Die Lehrer sind zufrieden mit den Erleichterungen, die die Reform gebracht hat. Der Kampf der Reformgegner ist deshalb absurd. Sie sollten sich in ihre Elfenbeintürme zurückziehen. Denn die Schule hat weiß Gott andere Sorgen.

Zum Glück teilt eine bedeutende Rechtsintellektuelle, die Kultusministerin Annette Schavan nämlich, keineswegs die Ansichten von Anja Kühne. Sie sagte am 7. 7. 2004 im Münchener "Dialog":

So, und jetzt kommt die Schwachstelle. Die Schwachstelle ist die, daß das Ganze immer nur unter dem Stichwort "Vereinfachung" der Regeln zum rechten Schreiben behandelt worden ist. Man hat immer gesagt, es soll weniger Regeln für die Kinder geben, es soll einfacher werden. Vernachlässigt worden ist ein anderer Aspekt, und darauf habe ich in der letzten KMK auch hingewiesen, vernachlässigt worden ist ein anderer Punkt, der genauso wichtig gewesen wäre, nämlich, daß Sprache was mit Kultur zu tun hat - ich hab’s ja eben gesagt - und keine Rechtschreibregeln erlassen werden dürfen, die die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache verringern. Und das ist das Problem, der große Konfliktpunkt, Getrennt- und Zusammenschreibung.
[...]
Wir brauchen also jetzt, da es kein Verlag mehr sein kann, weil es nicht nur einen gibt, der Wörterbücher macht, brauchen wir jetzt einen Rat für deutsche Sprache mit Autoritäten. Da können alle die reingehen, die sich immer, wenn wir entschieden haben, zu Wort melden, und dann mögen sie bitte die Sprachentwicklung beobachten, begleiten und aus ihrer Verantwortung und Autorität heraus die Weiterentwicklung auch der Regeln betreiben. Das muß erreicht werden. Es muß weg von der Praxis, die wir jetzt hatten, daß da eine Konferenz von Ministern sitzt, die abstimmt, ob die Regel jetzt so oder anders ist. Aber es müssen sich dann auch die Autoritäten bereit erklären, so wie das früher die Duden-Redaktion gemacht hat, eine solche Aufgabe auf sich zu nehmen, die natürlich auch in jedem einzelnen Punkt wieder umstritten sein wird.

Voilà.



Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.04.2005 um 15.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#561

Man bewegt sich bei den Kriterien für die GZS von VZ-Konstruktionen wohl auch in verschiedenen Ebenen. Das Betonungskriterium liegt sozusagen auf unterster Ebene, es beschreibt eine absolute Grundlage - die wiederum so selbstverständlich ist, daß man schon fast auf deren Aufnahme ins Regelwerk verzichten könnte. (Hier sehe ich allenfalls für Schreibanfänger eine Hilfe.) Das Unterbrechbarkeitskriterium ist eine Stufe komplizierter. Es hängt mit dem Betonungskriterium zusammen, denn die Hauptbetonung eines Aussagesatzes liegt gewöhnlich unmittelbar am Schluß - was eben zur Nichtunterbrechbarkeit führt. Allerdings gibt es hier einen gewissen Spielraum: Man könnte bei ich habe umsonst gelacht zwischen die letzten beiden Wörter weitere einfügen, würde es wohl aber vermeiden. Aber wer könnte hier je auf die Idee kommen zusammenzuschreiben, Betonung hin oder her? Wichtiger wäre es, auf höherer Ebene eine Orientierung zu geben. Es gibt hier schließlich längst Konventionen, die jedoch nicht auf "Operationen" beruhen. Ich hatte bereits an anderer Stelle geschrieben, daß das Icklersche Wörterbuch in Einzelfällen zu liberal ist. Dann gibt es natürlich die echten Zweeifelsfälle. krankschreiben und vielleicht auch getrenntschreiben könnten durchaus als Fügungen mit "idiomatisierter Gesamtbedeutung" durchgehen. Andererseits war hier Getrenntschreibung üblich (oder dudengemäß), die natürlich ebenso begründbar ist. Welche ursprünglichen Wortgruppen überhaupt eine "idiomatische Gesamtbedeutung" haben, ist wohl einfach eine Art Tradition, die einer gemeinsamen Einschätzung der Sprachgemeinschaft entspringt. Dieses "gefühlte" Einordnen, das auf Abschätzung beruht, kann nicht bis ins Detail durch ein Regelwerk reproduzierbar gemacht werden. (Das ist wohl auch bei der Frage, was ein Textgegenstand ist, so.) Man muß sich also beschränken auf gewisse Grundprinzipien, z.B. Zusammenschreibung beim Resultativzusatz, bei punktuellem Charakter, übertragener Bedeutung usw.

Das bedeutet aber auch, daß sehr viel davon abhängt, welche Beispiele unter den Regeln aufgeführt sind und wie die Wörterbücher die "Regeln" auslegen.

Inwieweit ließe sich vielleicht noch die alte Dudenkartei in die Regelung der GZS einbeziehen?


Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.04.2005 um 13.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#559

Der Rostocker Linguist Dieter Nerius, der Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung war, fürchtet, dass die Reform konterkariert werden könnte. Bei der Getrenntschreibung habe man an die Stelle semantischer Kriterien formale gesetzt. Jetzt scheine man zu Ad-hoc-Entscheidungen zurückkehren zu wollen. So steht es heute im Tagesspiegel. Da ist etwas dran, was dem führenden Orthographietheoretiker aus der Forschungssgruppe Rechtschreibung der Akademie der Wissenschaften der DDR natürlich nicht entgehen konnte. Vielleicht hätte er aber auch sagen sollen, daß er die Entscheidung des Internationalen Arbeitskreises für die formalen und gegen die semantischen Kriterien bei der GZS ohnehin nur halbherzig mitgetragen habe, denn sie widerspräche seinem Diktum von 1985: Wichtiger als die Frage nach dem Grad der Gleichberechtigung beider Grundprinzipien ist jedoch die Anerkennung der Tatsache, daß die Schreibung sowohl Beziehungen zur Lautung als auch zur Semantik besitzt und daß sie sich in systematischer Weise in das Gesamtgefüge des Sprachsystems einfügt. Als 1997 Hans-Werner Eroms und Horst Haider Munske Stellungnahmen "Pro und Kontra" in bezug auf die Neuregelung sammelten, urteilte Herr Nerius folgendermaßen: Schon dabei [ = im gemeinsamen Reformvorschlag des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie, 1992] waren Kompromisse nötig, und die Forschungsgruppe aus der DDR hat beispielsweise auf dem schwierigen Gebiet der Getrennt-und Zusammenschreibung zunächst ganz andere, stärker auf die Univerbierung ausgerichtete Lösungen vertreten, als sie dann im gemeinsamen Reformvorschlag zum Zuge kamen. [...] Sicherlich ist es möglich, im Rahmen anderer theoretischer Positionen auch andere Reformvorschläge zu entwickeln, die manchem vielleicht mehr einleuchten als die jetzt beschlossenen. Auch der Autor dieser Zeilen will nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg halten, daß er z.B. die Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung in dem neuen Regelwerk nicht in jedem Punkt für geglückt hält, wobei man aber einräumen muß, daß es sich hier im Grunde überhaupt um den ersten durchstrukturierten Gesamtregelungsversuch dieses wohl kompliziertesten Teilbereichs der deutschen Rechtschreibung in der Orthographiegeschichte handelt.

So "ad hoc", wie Herr Nerius damals glaubte und auch heute noch glaubt, war der frühere Umgang mit der Getrennt- und Zusammenschreibung durchaus nicht. Er ging vom üblichen Schreibgebrauch und den darin erkennbaren Regularitäten aus und versuchte diese auf den Punkt zu bringen. In dem großartigen "Leitfaden" des Leipziger Dudenchefs Horst Klien von 1957 sind die Betonung ("Starkton, besonders des ersten Gliedes") und die Bedeutung (insbesondere "eine neue, oft übertragene Gesamtbedeutung") die Kriterien, nach denen sich die Zusammenschreibung richtet. Bei der Verbindung Adjektiv + Verb kommt hinzu, daß Steigerungsformen des Adjektivs gewöhnlich die Getrenntschreibung nahelegen. Burkhard Schaeder, der Verfasser des Teils GZS der 1996er Neuregelung, griff scheinbar nur den letzteren Gesichtspunkt auf, indem er ihn verallgemeinerte und noch ausweitete: Nicht nur tatsächliche, sondern auch mögliche Steigerung verlange Getrenntschreibung, dazu die Möglichkeit, das Adjektiv mit "sehr" oder "ganz" zu verbinden. Der Lexikograph und im Zweifelsfall der Schreibende sollten also nach der Rechtschreibreform durch Steigerungs- bzw. Erweiterungsproben ermitteln, ob Getrennt- oder Zusammenschreibung in Frage komme. Nun haben aber, wie man aus der sprachwissenschaftlichen Feldarbeit weiß, dergleichen Proben die Eigenheit, daß sie auf die Spracherfahrung des Probanden zurückgreifen. Das Ergebnis ist fast nie eindeutig (was der Feldforscher erwartet), führt vielmehr zu einem statistischen Befund. Im Falle der Erweiterbarkeit kommt zusätzlich hinzu, daß die meisten Probanden nicht unterscheiden können, ob sich "sehr"/"ganz" auf das Adjektiv oder auf das ganze Gefüge beziehen. Dies alles führte Ende 1997 dazu, daß die Zwischenstaatliche Kommission hinsichtlich der Neuregelung im Teil B feststellte, sie habe sich nicht bewährt. Bekanntlich brachte das die Amtschefs der deutschen Kultusministerien höchstpersönlich auf den Plan, die dann nach kurzer Rücksprache mit Herrn Augst und Herrn Heller erklärten, die Neuregelung hielte in allen Punkten selbst der Kritik ihrer Urheber stand. In einem Punkte war Burkhard Schaeders Regelung freilich intelligenter, als dies in der Kritik erwähnt wird. Sie beruht auf der Beobachtung, daß eines der semantischen Kriterien, die "neue, oft übertragene Gesamtbedeutung", eine formale Entsprechung hat, nämlich der Wegfall der Steigerbarkeit. Gerade dies unterläuft aber die absurdeste Regel der ganzen Rechtschreibreform, nämlich Verbindungen mit Adjektiven auf "-ig", "-isch" und "-lich" seien stets getrennt zu schreiben, also "fertig stellen", "heilig sprechen" und dergleichen. Klaus Heller kamen schon 1995 Zweifel, und einmal ist er tatsächlich bei der Arbeit am amtlichen Wörterverzeichnis über den Reformschatten gesprungen und hat "eine richtiggehende Verschwörung" eingefügt. Der Rückbau der Rechtschreibreform im Teil GZS hat also offenbar früher eingesetzt, als Herr Nerius jetzt annimmt.



Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2005 um 06.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#558

Mir wäre es lieber gewesen, die Vorlage der Arbeitsgruppe zuerst im Rat zu diskutieren und dann die Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen. Nachdem aber der Tagesspiegel auf irgendwelchen Wegen an den Text gekommen ist, soll es mir auch recht sein. Schließlich muß "Waffengleichheit" herrschen: die Reformer haben die Staatsmacht hinter sich, die Reformkritiker die Öffentlichkeit.

Der Tagesspiegel und manche andere Zeitung fürchten naturgemäß die Bloßstellung, die mit einer Rücknahme der Reform verbunden ist. Für den Kenner stehen sie zwar schon jetzt und seit langem blamiert da, aber das offene Eingeständnis, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben, ist doch von einer anderen Dimension. Kühnes Kommentar ist an Dürftigkeit der Kenntnisse und der Gedanken kaum zu überbieten.

Frau Stange macht sich wieder einmal wegen der Kosten für die Schulbuchverlage und den Duden Sorgen. Bei Herrn Baer sieht man Spuren des Umdenkens. Er weiß offenbar, daß seine Sache verloren ist, und stellt mit Recht fest, daß die Schulbücher zunächst nicht neu gedruckt werden müssen. Das haben wir schon immer gesagt, und darum war Baers Strategie bisher falsch.

Nerius wird alt. Er hat die von ihm selbst mitbeschlossenen Änderungen im vergangenen Jahr offenbar nicht mehr mitbekommen.

Jetzt fahre ich nach München und höre mir an, was der Rat zur neuen Lage zu sagen hat.


Kommentar von E. Hoog, verfaßt am 07.04.2005 um 22.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#557

Rechtschreibung steht vor Rolle rückwärts

Aachen. Je nachdem, wie der Rat für deutsche Rechtschreibung am Freitag in München entscheidet, muss die erst vor einem Jahr erschienene 23. Auflage des Dudens wieder eingestampft werden.

Eine siebenköpfige Arbeitsgruppe legt dem Rat eine Beschlussvorlage vor, in der im Bereich der Getrennt- und Zusammmenschreibung die nahezu vollständige Rückkehr zur alten Schreibweise vor der Rechtschreibreform empfohlen wird.

Dabei sollen ausschließlich die Schreibweisen vor 1996 gelten. Kritiker halten das für das erste offene Eingeständnis, dass die Rechtschreibreform gescheitert ist.

Muss der Duden eingestampft werden? Arbeitsgruppe des Rechtschreibreform-Rates empfiehlt im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung nahezu völlige Revision Aachen. Ein Jahr, nachdem die 23. „völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage“ des Dudens herausgekommen ist, muss sie möglicherweise schon wieder eingestampft, müssen vielleicht Schulbücher und Rechtschreibprogramme geändert werden: Die siebenköpfige Arbeitsgruppe, die der Rat für deutsche Rechtschreibung eingesetzt hatte, um Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, empfiehlt im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung – einem Kernbereich der ganzen Reform – eine Radikalkur: die nahezu vollständige Rückkehr zur alten Schreibweise. Am heutigen Freitag berät der Rat in München die Vorschläge, das Ergebnis soll um 15 Uhr auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden.

„Leid tun“ ade

Der Berliner Tagesspiegel berichtet in seiner heutigen Ausgabe, dass Wortgruppen mit Verben, die nach der gültigen Regelung strikt getrennt sind, künftig wieder zusammengeschrieben werden können – sofern der Rat die Vorschläge akzeptiert, versteht sich. Doch die Empfehlung der Arbeitsgruppe geht tatsächlich weiter: Die herkömmlichen Schreibweisen sollen nicht einfach als Varianten wieder zugelassen werden – sie sollen wie vor der Reform wieder ausschließlich gelten. „Kennen lernen“ und „auseinander setzen“ wären damit ebenso erledigt wie „Eis laufen“ und „Leid tun“, von den Reformern bislang mit Zähnen und Klauen verteidigt. Das in seiner grammatischen Regelwidrigkeit schon skurrile „sehr Leid tun“ soll vollständig von der Bildfläche verschwinden und nicht mehr zugelassen werden.

Verbindungen wie „heilig sprechen“ und „übrig bleiben“ werden von der Arbeitsgruppe in ihrer „idiomatisierten Gesamtbedeutung“ erkannt und sollen wie ehedem wieder zusammengeschrieben werden. Nur bei Zusammensetzungen wie „spazieren gehen“ ist man sich nicht einig geworden.

Die Arbeitsgruppe des Rechtschreibrates hat offensichtlich erkannt, dass die Neuregelung von 1996 völlig unübliche Schreibweisen hervorgebracht hat, die in ihrer Widersprüchlichkeit von den Reformgegnern bislang unermüdlich, aber erfolglos angeprangert wurden. „Aufeinander treffen“, aber „zusammentreffen“; „kehrtmachen“, aber „Halt machen“; „dünnmachen“, aber „breit machen“; „daranmachen“, aber „darüber machen“: Welcher Schreiber, zumal welcher Schüler – und welcher Journalist –, sollte den Sinn dieser gleichzeitig geltenden Schreibweisen wohl begreifen?

Der Rat für deutsche Rechtschreibung war nach jahrelanger Kritik an der Reform eingesetzt worden und hatte Ende vergangenen Jahres die Arbeit aufgenommen, dann aber das Erarbeiten von Verbesserungsvorschlägen an eine Arbeitsgruppe delegiert. Ab 1. August 2005 sollen die Regeln an den Schulen verbindlich werden.

Für den Berliner Historiker Reinhard Markner, Vorsitzender der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, eine der Speerspitzen in der Front der Rechtschreibgegner, bedeuten die Änderungsvorschläge das erstmalige volle Eingeständnis, dass „ein wesentlicher Teil der Reform nicht haltbar ist. Die Reformer sind auf die Nase gefallen“, sagte er uns gestern. Gelten solle nun, „was der Duden vor 1996 immer für richtig erklärt“ habe.

Die Folgen der neuen Entwicklung sind kaum abzusehen. Sollte der Rechtschreibrat tatsächlich den Vorschlägen zustimmen, dürfte das dem Offenbarungseid für die ganze Reform gleichkommen. So oder so – es müsste sich doch allmählich endlich einmal eine erhebliche Empörung unter der deutschen Lehrerschaft Luft verschaffen.

Aachener Zeitung, 8. 4. 2005


Kommentar von Thomas Steinfeld, verfaßt am 07.04.2005 um 22.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#556

Kasperltheater
Der Rat für Rechtschreibung rät zur Rückkehr

Den Kultusministern muss die Reform der deutschen Rechtschreibung mittlerweile wie eine Fahrt auf einer endlosen Geisterbahn erscheinen. Jedes Mal, wenn sie glauben, die Tortur hinter sich und die endgültige Durchsetzung der Reform per Verwaltungsmaßnahme sicher vor Augen zu haben, rauscht aus irgendeiner Ecke das lebhafte Bedürfnis nach der alten Regelung herbei, klappert mit den Zähnen und zerstört den Frieden des Amtes. Und wie oft ist das schon passiert: als die FAZ zur alten Rechtschreibung zurückkehrte, als im vergangenen Sommer die Diskussion neu aufflammte, als der jüngste Duden veröffentlicht wurde. Am heutigen Freitag wird den Kultusministern das Gleiche schon wieder geschehen.

Denn dann wird in den Räumen der Hanns-Seidel-Stiftung in München, unter Vorsitz des ehemaligen Kultusministers Zehetmair, zum dritten Mal der Rat für deutsche Rechtschreibung zusammenkommen. Und sprechen wird der Rat über ein von Mitgliedern des eigenen Gremiums vorbereitetes Papier, das an einem entscheidenden Punkt der Reform, nämlich bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, de facto die Rückkehr zur alten Orthographie vorsieht.

Was hilft es, dass der Rat für einen solchen Zweck gar nicht geschaffen worden war? Entstanden war er, auf Initiative der Kultusminister, zum einen, weil der konspirative Charakter der alten „Kommission“, eines hauptsächlich aus Linguisten bestehenden Gremiums, in der Öffentlichkeit zum Problem geworden war. Zu oft war ihr „mangelnde Transparenz" vorgeworfen worden. Und zum anderen, weil die „Kommission“ zwar an die Kultusminister zu berichten hatte, in der Gestaltung der Reform aber frei war. Der Rat nun sollte die Politik aus dieser Abhängigkeit befreien: Aus sechsunddreißig Repräsentanten irgendwelcher Interessensgruppen bestehend, wurde ihm die „Begleitung“ der Reform auf ihrem Weg in neues Glück und endgültigen Frieden aufgetragen – der Zweck, die Durchsetzung der neuen Orthographie, stand fest, die Beteiligung der Öffentlichkeit schien zumindest formell gesichert zu sein, und so sollte die Reform eingehen in den Grundbestand der deutschen Kultur: Vom 1. August dieses Jahres an soll sie für Schulen, Ämter und alle anderen Bereiche, in denen der Staat etwas zu sagen hat, verbindlich sein.

Geisterbahn ohne Ende

Ob aus diesem demokratischen Kasperltheater etwas wird, steht nun sehr in Frage. Denn die bei der jüngsten Sitzung im Februar ins Leben gerufene „Arbeitsgruppe" zur Getrennt- und Zusammenschreibung wird heute Vorschläge unterbreiten, die sachlich wohlbegründet sind, aber eine völlige Rücknahme dessen bedeuten, was mit der Reform beabsichtigt war. Dabei geht es zunächst um den Paragraphen 34 der Reform, der den Zusammensetzungen von „Partikeln, Adjektiven, Substantiven oder Verben" mit Verben gewidmet ist. Bislang sollte hier getrennt werden, was immer sich, formell betrachtet, trennen ließ.

Nun aber soll jede Wortgruppe, die „eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet" wieder zusammengeschrieben werden – und die entsprechenden Regeln gelten keineswegs den Varianten, also den Kann-Bestimmungen der Reform, sondern soll allgemein verbindlich sein. Fortan soll es also wieder, wie früher, „auseinandersetzen" und „kennenlernen" heißen.

In Etappen schlich sich die Reform schon in den vergangenen Monaten an die alte Rechtschreibung heran. Das galt schon für die Revision der Reform aus dem Jahr 2004, in der von der verbindlichen Getrenntschreibung von Verben mit Partikeln – „zurückbringen" – abgerückt wurde. Das gilt vor allem für das im vergangenen Jahr erschienene Wörterbuch des Duden-Verlags. In diese Ausgabe waren, ohne dass es dafür eine öffentliche Begründung gegeben hätte, wesentliche Teile der alten Rechtschreibung, vor allem in der Getrennt- und Zusammenschreibung, als „Varianten" zugelassen worden. Tatsächlich hat sich diese Art des Umgangs mit der Reform – also das Ausnützen aller Varianten, bis die neue Rechtschreibung fast schon der alten gleicht – in vielen Printmedien schnell durchgesetzt. Gäbe es das „ss" nicht, gliche die Orthographie des Spiegel heute weitgehend wieder der alten Rechtschreibung – und dabei wird nach den Vorgaben des Duden redigiert. Und die Leser scheinen mit dieser weichen Art der Rücknahme der Reform durchaus einverstanden zu sein. Was jetzt aber vorgeschlagen wird, ist mehr als eine Erweiterung des Spielraums. Angestrebt wird eine neue alte verbindliche Regelung.

Die Zukunft ist gestern

Über die Getrennt- und Zusammenschreibung hinaus sieht der Vorschlag vor, es möge in Zukunft wieder „eislaufen" und „leidtun" heißen – das entsetzliche „Leid tun" wäre dann abgeschafft. Ja, so könnte es weitergehen, aber leider verschweigt das Papier jede Auskunft, wie man sich die weiteren Vorhaben der Arbeitsgruppe vorzustellen habe. Zu gerne würde man jetzt wissen, was mit dem Paragraphen 36 geschehen soll, der anderen Hälfte der Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung. In einem entsprechenden Vorschlag der Arbeitsgruppe müsste es vor allem darum gehen, wie man es mit Wortgruppen zu halten hat, an deren Ende ein Partizip steht – „krankgeschrieben" wäre eine solche Konstruktion. Und auch darüber hinaus gäbe es noch viel zu tun, angefangen bei den falschen etymologischen Schreibungen bis zur Groß- und Kleinschreibung, von der Kommasetzung bis zum, ja, bis zum „ß". Aber ein Anfang, an strategischer Stelle, ist nun gemacht.

Die Kultusminister stehen nun vor einem bürokratischen Albtraum: Sie können den Vorschlag der Arbeitsgruppe nicht zurückweisen, ohne den von ihnen selbst eingesetzten und zur demokratischen Legitimation erhobenen Rat nicht grundsätzlich zu beschädigen – zudem einen Rat, in dem nur verschwindend wenige Kritiker der Reform sitzen. Es muss ihnen aber andererseits schwerfallen, den Vorschlag der Arbeitsgruppe zu billigen – denn damit würden sie die Reform an einem ihrer zentralen Punkte der Makulatur überantworten, mit allem, was eine solche Entscheidung an neu zu druckenden Wörter- und Schulbüchern nach sich ziehen würde. Und schließlich: Sie können den Vorschlag nicht einmal an die Arbeitsgruppe zurückverweisen. Denn zum einen ist die selbstgesetzte Frist bis zum 1. August sehr knapp, zum anderen würde eine Diskussion der Regeln zu genau dem fruchtlosen Gezerre führen, das seit zehn Jahren die Debatte um die Rechtschreibung beherrscht. Und war nicht der Rat auch gegründet worden, damit diesem ewigen Geschrei ein Ende bereitet werde?

Nur ein Weg führt aus der Geisterbahn heraus – der Rat und mit ihm die Kultusminister können das Papier der Arbeitsgruppe annehmen, die Arbeitsgruppe beauftragen, ihr Unternehmen fortzusetzen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Und das bedeutet auch, endlich, endlich einzusehen, was nun offenbar selbst der Rat für deutsche Rechtschreibung zu verstehen bereit ist: dass die Reform der deutschen Rechtschreibung keine Zukunft hat. Oder besser: dass die Zukunft der deutschen Rechtschreibung in den Zuständen vor ihrer Reform liegt. Denn offensichtlich stehen nun selbst Leute, die sich für Anhänger der Reform halten, vor der Erkenntnis, dass diese an wesentlichen Punkten nicht zu verteidigen ist. Die Wörterbücher und Lehrwerke, die auf vergangenen Regeln vergangener Revisionen der Reform beruhen, müssen ohnehin ersetzt werden. Aber durch die langen Jahre auf der Geisterbahn führt kein Weg zurück.

Süddeutsche Zeitung, 8. 4. 2005


Kommentar von Horst Haider Munske, verfaßt am 07.04.2005 um 20.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#555

Vor der Nagelprobe
Heute tagt der Rechtschreibrat: An den Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung könnte sich sein Schicksal entscheiden

Am heutigen Freitag tritt der Rat für deutsche Rechtschreibung zum dritten Mal zusammen. Der Vorsitzende, Staatsminister a.D. Hans Zehetmair, hat in seine Münchener Residenz geladen. Dort war schon einmal, auf sein Betreiben, ein Stein aus der Rechtschreibreform gebrochen worden, ein halbes Jahr vor ihrer Einführung. Damals mußten einige kühne Neuerungen bei den Fremdwörtern, zum Beispiel Packet mit ck, gestrichen werden. Und der Dudenverlag mußte wegen dieser Korrekturen die fertige Auflage seines ersten Reformdudens makulieren, also wegschmeißen. Auch diesmal könnte es zu deutlichen Streichmaßnahmen kommen. Denn die Ratsmitglieder waren aufgefordert, ihre Meinung zur sogenannten Getrennt- und Zusammenschreibung zu sagen. Viele haben mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg gehalten, andere wollten retten, woran sie viele Jahre gebastelt haben. Auch der Leiter der Dudenredaktion plädierte für Abwarten. Denn unlängst ist der dritte Reformduden erschienen, der die vielen neuen und verwirrenden Varianten der jüngsten KMK-Beschlüsse kodifiziert. Wird auch er bald überholt sein? Oder wird man das zu verhindern wissen?

Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, um über konkrete Änderungen zu beraten. Ihre Vorlage müßte heute beraten werden, wenn der Rat seine knappen Termine einhalten will. Jetzt muß sich zeigen, ob die Kritik an diesem besonders wichtigen Reformkapitel angenommen wird. Das bedeutet die Nagelprobe für den Rat. Versagt er hier, sind die Aussichten auf die so dringend nötige Reform der Reform gering.

Die lange Debatte und die Leseerfahrung mit neugeregelten Schreibungen haben gezeigt, daß gewaltsame Getrenntschreibungen und die Beseitigung vieler hundert etablierter Wörter abgelehnt werden. Gewünscht ist weiterhin, wörtliche und übertragene Bedeutung auch in der Schreibung zu unterscheiden: "Du kannst ruhig bleiben" (mit Betonung auf "bleiben") ist etwas anderes als "Du kannst ruhigbleiben". Es wurde klar, daß Wörter zwar nach festen Regeln zusammenwachsen, aber nur nach Bedarf. "Spazierengehen" war so ein Fall, "joggen gehen" ist (noch) keiner. Das haben die jüngsten Beschlüsse der Kultusminister teilweise korrigiert, aber nur halbherzig, denn die kritisierten Neuschreibungen wie "allein Stehende" und "Rat Suchende" gelten weiterhin und stehen sogar an erster Stelle im Wörterbuch. Wird es dem Rat gelingen, endlich solche verkehrten Reformvarianten aus dem Verkehr zu ziehen und den vertrauten Schreibgebrauch wiederherzustellen?

Das muß nicht heißen, daß in allen Fällen die alten Dudenregeln wiederkehren. Es bedarf einer gründlichen Erkundung des tatsächlichen Gebrauchs. Vieles davon hat Theodor Ickler in seinem Rechtschreibwörterbuch geleistet. Sicher verfügen die Redaktionen von Duden, Wahrig, Bertelsmann über nützliche Dateien und geben sie preis, wenn sie darum gebeten werden. Mancher aber befindet sich im Konflikt: der Sprache dienen oder dem Wohle des Verlags.

Wir beobachten mit Spannung, ob es Zehetmair gelingt, sich gegen unverbesserliche Schreib-reformer durchzusetzen. Diese finden sich vor allem in den Delegationen aus Österreich und der Schweiz. Von dort wurden die alten Kämpen der Reform wieder ins Rennen geschickt. Sie haben sich (wie schon oft zuvor) gut abgesprochen und ihren Kreis um je einen Vertreter aus Liechtenstein und Südtirol erweitert. Weshalb sind die alpenländischen Vertreter so bereitwillig, die Schriftsprache zu ändern? Hängt es gar damit zusammen, daß die heimischen alemannischen und bairischen Dialekte ihre eigentliche Muttersprache sind? Ist das Hochdeutsch mehr Instrument als Herzenssache? Anders verhält es sich mit den österreichischen und schweizerischen Schriftstellern, die überwiegend gegen die Reform sind. Die Zusammensetzung des Rates weist im übrigen manche Kuriosität auf: Die dreizehn Millionen Schweizer und Österreicher stellen die Hälfte der Delegierten, die sechzehn Millionen Deutschen in den neuen Bundesländern haben hier keinen einzigen Vertreter. Dabei ist dort in den achtziger Jahren mehr Grundlagenarbeit in der Erforschung unserer Rechtschreibung geleistet worden als irgendwo sonst. Die Wiedervereinigung hat ihnen Sitz und Stimme geraubt. Gar keinen Platz hat übrigens die Auslandsgermanistik. Gustav Korlén, Nestor des Faches in Schweden, hat oft die Folgen dieser Rechtschreibreform für die Geltung des Deutschen beklagt - ohne Resonanz.

Was kann erwartet werden von den bevorstehenden Beratungen? Der Rat muß erkennen, daß zwei Maximen dieser Reform auf dem Gebiet der Getrennt- und Zusammenschreibung nichts taugen: Vereinfachung und Systematisierung. Wer vereinfacht, beseitigt sprachliche Differenzierungen, und wer hier zu systematisieren versucht, erfindet ungrammatische Neuschreibungen und beseitigt Bewährtes. Deshalb ist eine Neufassung der Regeln unvermeidbar. Gute Vorarbeit dafür hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in ihren Vorschlägen geleistet. Eine elegante Darstellung des bisherigen Schreibgebrauchs bietet Theodor Icklers Rechtschreibwörterbuch. Wenn es jetzt gelingt, diesen einen Bereich grundlegend zu korrigieren, darf man weiter hoffen auf ein Ende des Rechtschreibkonflikts. Das ist die Herkulesaufgabe für Zehetmair. Man muß ihm Erfolg wünschen. Sonst kann er erlöst werden von seinem Amt.

F.A.Z., 8. 4. 2005


Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 07.04.2005 um 20.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#554

Leid tun, Weh tun, Not tun enthalten Ergebnisangaben: "was?";
leid tun, weh tun, not tun enthalten Artangaben: "wie?".

Das wird man ja wohl durch die Schreibweise unterscheiden dürfen, ohne daß es als Rechtschreibfehler gewertet wird. Diesen Unterschied begreifen auch Hauptschüler, jedenfalls wenn es ihr Deutschlehrer verstanden hat.


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 07.04.2005 um 20.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#553

Jetzt geht´s endlich ans große Aufräumen und Wegräumen des Reformschutts. Die Fachlichkeit bekommt spät, aber nicht zu spät das ihr gebührende Stimmgewicht. Man darf die Prophezeiung wagen, daß die Vorschläge der Arbeitsgruppe so durchgehen werden. Denn wer wollte mit welchen Argumenten dagegen aufstehen? Verunsicherung der armen Schüler? Kosten der Schulbuchverleger? - Sollte sich jedoch eine Mehrheit des Rates querlegen, so wäre das dessen Todesurteil.


Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 07.04.2005 um 19.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#552

wehtun (bisher weh tun) wird schon im amtlichen Regelwerk von 1996 zusammengeschrieben, auch wenn das Sternchen, das eine Änderung im Vergleich zur bewährten Orthographie anzeigen sollte, an dieser Stelle vergessen wurde.


Kommentar von TP, verfaßt am 07.04.2005 um 19.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#551

Vgl. auch nottun (früher not tun); wird weh tun jetzt auch zusammengeschrieben?


Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 07.04.2005 um 19.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#550

„leidtun“ wird zu den „Zusammensetzungen mit einem substantivischen ersten Bestandteil“ gerechnet. Da hat sich die Arbeitsgruppe wohl etwas vertan. Hoffentlich ist das nur ein redaktioneller Fehler. Ich fürchte jedoch, daß das ein Zugeständnis an die Reform der Reform vom Frühjahr 2004 ist.


Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 07.04.2005 um 19.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#549

Soll einem wirklich etwas leidtun, oder doch lieber wieder leid tun? Sonst könnte das ja einem wirklich sehr leid tun (doch wohl nicht sehr leidtun?).


Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 07.04.2005 um 17.18 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#547

kennenlernen? (= das Kennen erlernen?)

Der Motor ist voll gelaufen (= mit voller Leistung, Artangabe).
Der Tank ist vollgelaufen (= bis er voll war, Ergebnisangabe).


Kommentar von Rat für deutsche Rechtschreibung, verfaßt am 07.04.2005 um 15.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#546

§ 34 Partikeln, Adjektive, Substantive oder Verben können als Verbzusatz mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur in den Infinitiven, den Partizipien sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen.
Dies betrifft
(1) Zusammensetzungen mit einer Verbpartikel als erstem Bestandteil. Verbpartikeln sind Bestandteile, die
(1.1) formgleich mit Präpositionen sind, zum Beispiel:
ab-, an-, auf-, aus-, bei-, durch-, ein- (zur Präposition in), entgegen-, entlang-, gegen-, gegenüber-, hinter-, mit-, nach-, über-, um-, unter-, vor-, wider-, zu-, zuwider-, zwischen-
(1.2) formgleich mit Adverbien, insbesondere Adverbien der Richtung, des Ortes, der Zeit sowie mit Pronominaladverbien sind, zum Beispiel:
abwärts-, aneinander-, aufeinander-, aufwärts-, auseinander-, beieinander-, beisammen-, davon-, davor-, dazu-, dazwischen-, durcheinander-, empor-, fort-, gegeneinander-, her-, herab-, heran-, herauf-, heraus-, herbei-, herein-, herzu-, hin-, hinab-, hinauf-, hinaus-, hindurch-, hinein-, hintenüber-, hinterher-, hinüber-, nebeneinander-, nebenher-, nieder-, rückwärts-, umher-, voran-, voraus-, vorbei-, vorher-, vorwärts-, vorweg-, weg-, weiter-, wieder-, zurück-, zusammen-, zuvor-
E1: Den Unterschied zwischen selbstständigem Wort und Verbpartikel erkennt man an den beiden folgenden Proben. Jede der Proben ist für sich aussagekräftig: (1) das selbstständige Wort kann im Aussagesatz vor dem finiten Verb an erster Stelle stehen, die Verbpartikel hingegen nicht, vgl.: Dabei wollte sie nicht immer sitzen, sondern auch ab und zu mal stehen (Adverb dabei) ≠ Dabeisitzen wollte sie nicht immer (Verbpartikel dabei-); (2) zwischen selbstständigem Wort und Infinitiv können ein oder mehrere Satzglieder eingeschoben werden, zwischen Verbpartikel und verbalem Bestandteil hingegen nicht, vgl.: Sie wollte dabei nicht immer sitzen, sondern auch ab und zu mal stehen (Adverb dabei) ≠ Sie wollte nicht immer dabeisitzen (Verbpartikel dabei-).
E2: Eine Reihe von Pronominaladverbien mit dem Bestandteil dar- wirft besonders bei der Verwendung als Verbpartikel das a ab, z. B. darin sitzen – drinsitzen, ähnlich dran- (dranbleiben), drauf- (draufhauen), drauflos- (drauflosreden).
(1.3) die Merkmale von frei vorkommenden Wörtern verloren haben, zum Beispiel:
abhanden-, anheim-, dar-, einher-, entzwei-, fürlieb-, hintan-, inne-, überein-, überhand-, umhin-, vorlieb-, zurecht-
E3: Dazu gehören auch die folgenden ersten Bestandteile, die in der Verwendung beim Verb nicht mehr einer bestimmten Wortartkategorie zugeordnet werden können:
fehl-, feil-, heim-, irre-, kund-, preis-, wahr-, weis-, wett-
Zu Fällen wie infrage stellen – in Frage stellen vgl. § 39 E3(1).

(2) Zusammensetzungen mit einem adjektivischen ersten Bestandteil. Dabei sind folgende Fälle zu unterscheiden:
(2.1) Es kann zusammen- wie auch getrennt geschrieben werden, wenn ein einfaches Adjektiv eine Eigenschaft als Resultat des Verbalvorgangs bezeichnet (sog. resultative Prädikative), zum Beispiel:
blank putzen/blankputzen, glatt hobeln/glatthobeln, klein schneiden/kleinschneiden; kalt stellen/kaltstellen, kaputt machen/kaputtmachen, leer essen/leer essen
E4: Es besteht eine Tendenz zur Zusammenschreibung, wenn der adjektivische Bestandteil reihenbildend ist, zum Beispiel:
festbinden, -drehen, -nageln …, vollgießen, -stopfen, -tanken …
E5: Bei präfigierten Verben und bei Verben mit Verbpartikeln ist die Zusammenschreibung unüblich, zum Beispiel:
kalt belassen, klein zerhacken, blau anstreichen
(2.2) Es wird zusammengeschrieben, wenn der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann, zum Beispiel:
krankschreiben, freisprechen, (sich) kranklachen, vollquatschen; festnageln (= festlegen), kaltstellen (= (politisch) ausschalten), fertigmachen (= bekämpfen), übrigbleiben (= keine andere Wahl haben), heiligsprechen, verlorengehen
E6: Auch hier können die in E1 eingeführten Proben herangezogen werden, vgl.: Krank (= im kranken Zustand) hat er diesen Brief geschrieben (Adverbial krank) ≠ Krankgeschrieben wurde er für vierzehn Tage (Verbpartikel krank-) – Er hat frei vor dem Publikum gesprochen (Adverbial frei) ≠ Er wurde auch vom Oberlandesgericht freigesprochen (Verbpartikel frei-).
(2.3) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben. Dazu zählen insbesondere Verbindungen mit komplexen oder gesteigerten Adjektiven, zum Beispiel:
rasend machen, bewusstlos schlagen, ultramarinblau streichen, näher kommen
(3) Zusammensetzungen mit einem substantivischen ersten Bestandteil. Dabei handelt es sich um folgende Fälle, bei denen die ersten Bestandteile die Eigenschaften selbstständiger Substantive weitgehend verloren haben:
eislaufen, kopfstehen, leidtun, nottun, standhalten, stattfinden, stattgeben, statthaben, teilhaben, teilnehmen, wundernehmen
E7: In den nachstehenden Fällen ist bei den nicht näher bestimmten oder ergänzten Formen sowohl Zusammen- als auch Getrenntschreibung möglich, da ihnen eine Zusammensetzung oder eine Wortgruppe zugrunde liegen kann:
achtgeben/Acht geben (aber nur: sehr achtgeben, allergrößte Acht geben), achthaben/Acht haben, haltmachen/Halt machen, maßhalten/Maß halten
Zu Fällen wie brustschwimmen vgl. § 33 E3.
→ § 33 E3 ist neu und lautet:
Die substantivischen Bestandteile von Rückbildungen werden bei Distanzstellung groß- oder kleingeschrieben, zum Beispiel:
er schwimmt Brust neben er schwimmt brust (brustschwimmen)
(4) Zusammensetzungen mit einem verbalen ersten Bestandteil. Dabei sind folgende Fälle zu unterscheiden:
(4.1) Es wird zusammengeschrieben, wenn die beiden verbalen Bestandteile eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bilden, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann. Dies betrifft:
kennenlernen
(4.2) Getrenntschreibung gilt in allen anderen Fällen, in denen zwei Verben nebeneinander treten, zum Beispiel:
laufen lernen, baden gehen, spazieren fahren, schätzen lernen
E8: Bei Fällen mit bleiben oder lassen als zweitem Bestandteil ist auch Zusammenschreibung möglich, sofern eine übertragene Bedeutung vorliegt, zum Beispiel:
sitzenbleiben/sitzen bleiben (= nicht versetzt werden), stehenlassen/stehen lassen (= nicht länger beachten, sich abwenden), liegenbleiben/liegen bleiben (= unerledigt bleiben)




Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 07.04.2005 um 15.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#545

Wenn der Tagesspiegel die Vorlage hat, ist sie doch kein Geheimnis mehr. Kann man sie nicht hier und andernorts veröffentlichen?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2005 um 15.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=232#544

Es ist erfreulich, daß ausgerechnet der Tagesspiegel Auszüge aus der Vorlage veröffentlicht. (Von mir hat er sie nicht.) Das Bekanntwerden der geplanten, von der Arbeitsgruppe einstimmig verabschiedeten Rückbaupläne kann eine eigene Dynamik entfalten, und die Richtung ist klar: zurück zur deutschen Einheitsorthographie. Das Wasser fließt immer abwärts, sobald man stauende Hindernisse aus dem Weg räumt.
Weiter so!



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