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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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25.06.2008
 

Das große ß ist da
– ohne amtliche Auswirkung auf die Rechtschreibung

Die internationalen Normungsgremien haben dem großen Eszett einen Platz im Zeichensatz zugewiesen, sich aber aus der deutschen Rechtschreibregelung herausgehalten; der Rat für deutsche Rechtschreibung schließt eine neue Rechtschreibreform für das große ß aus. „Die Menschen werden entscheiden, ob sie es verwenden“ (Güthert).

Die letzte Lücke im deutschen Alphabet ist geschlossen – zumindest technisch. Das ß gibt es nun auch als Großbuchstabe erstmals verankert in den internationalen Zeichensätzen ISO-10646 und Unicode 5.1. Es hat dort den Platz mit der Bezeichnung 1E9E. Das bestätigte das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Berlin auf Anfrage. Damit hatte ein Antrag der DIN-Leute, eine Norm für das große ß zu schaffen, teilweise Erfolg.

Die Rechtschreibregeln sind davon zunächst nicht betroffen. Sie sehen vor, dass das ß weiterhin in Großschreibweise als SS dargestellt wird. Obwohl dies der Logik der Groß- und Kleinschreibung widerspricht, wollten die internationalen Normungsgremien nicht daran rütteln und haben sich – wie zu hören ist nach kontroverser Diskussion – aus der deutschen Rechtschreibung lieber diplomatisch herausgehalten.

Seit 130 Jahren war immer wieder darüber diskutiert worden, dem ß wie allen anderen Buchstaben eine große – sprich versale – Variante zu verschaffen. Eine neue Rechtschreibreform für das große ß schließt der Rat für deutsche Rechtschreibung – wohl nach den Erfahrungen mit der letzten Reform – zwar aus, aber: «Die Menschen werden entscheiden, ob sie es verwenden», sagt Geschäftsführerin Kerstin Güthert.

Das hängt aber auch nicht zuletzt davon ab, wie leicht sich der Buchstabe auf den Tastaturen erzeugen lässt. Inzwischen sind bereits die ersten Tastaturtreiber auf dem Markt, die das große ß mit Hilfe einer Tastenkombination auftauchen lassen.

Der Durchbruch als internationale Norm kommt zu einem Zeitpunkt, da dem ß mit der Rechtschreibreform ein erheblicher Teil seiner Anwendung genommen wurde. Aber ganz ausmerzen, wie im Schweizerdeutsch, konnten die Sprachregler den Buchstaben nicht. Mit der Version als Majuskel könnte ihm nun ein Comeback gelingen, auch wenn kein einziges Wort mit einem ß beginnt und das Fehlen der versalen Variante nur bei der Großschreibweise des kompletten Wortes zum Problem wird.

In den 1950er Jahren zierte das große ß bereits den GROßEN DUDEN der DDR. Dann verschwand es wieder. «Bisher hat die Sprachgemeinschaft nicht die Notwendigkeit für ein großes ß gesehen», sagt Güthert. Dabei konnte die kleine Lücke im großen Normenkatalog durchaus Verwirrung stiften: Ist bei der MASSE die Masse gemeint oder sind es die Maße? Wenn Herr WEISS eine Rechnung erhält, muss diese dann auch von Herrn Weiß bezahlt werden? Es soll Steuerzahler gegeben haben, die die Forderungen des Finanzamts mit dieser Begründung verweigerten.

Der Typograph Andreas Stötzner begrüßt den neuen Buchstaben mit einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift «Signa». Schrift-Designer haben für die gängigen Schrifttypen Versionen des großen Esszett entwickelt. Dabei muss es dem kleinen ähnlich sein, ohne dem großen B zu ähnlich zu werden. Mit mehreren Varianten für gängige Schriftarten haben die Designer das Problem zu lösen versucht. Im Grunde sieht das große Esszett wie sein "aufgepumpter" kleiner Buchstaben-Bruder aus: Allerdings ist der obere Bogen des Großbuchstaben kantig abgeknickt.

Ob nun im nächsten Schritt die Tastaturen-Hersteller bereit sind, das ß aus seinem Schattendasein unter dem Fragezeichen zu erlösen, ist offen. Eine eigene Taste als vollwertiger 27. Buchstabe des Alphabets ist keine Kleinigkeit: «Das wäre ein erheblicher Eingriff in das Standard-Tastatur-Layout», sagt eine Sprecherin von Cherry, Marktführer bei Tastaturen in Deutschland. Ohne eigene Taste ließe sich die Tastatur zwar relativ leicht anpassen, eine Folge hätte dies aber für die beruflichen Schnellschreiber: «Das Maschineschreiben müsste dann teilweise neu gelernt werden.»

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Kommentare zu »Das große ß ist da«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.06.2020 um 01.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11109

Man braucht ja den Platz in der Horizontalen für die Konsonanten- und Vokal-Häufungen, weil das alte lateinische Alphabet nicht alle Laute durch einzelne Buchstaben abbilden kann, z.B. im Französischen und Englischen. (Das kyrillische Alphabet ist jünger und moderner.)


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 22.05.2020 um 01.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11108

Man muß entscheiden, wo man den meisten Platz einsparen kann, und da sich die Schrift- und Buchkultur des Westens im allgemeinen hin zu einem Hochformat entwickelt hat, spart man eben an der horizontalen Ausdehnung der Glyphen. Nach oben ist einfach mehr Platz.


Stellen Sie sich doch einfach das Gegenteil vor. Es wäre aus gestalterischer und lesetechnischer Sicht ein Debakel.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2020 um 05.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11107

Das leuchtet ein, aber hinzu kommt die einheitliche Stilisierung. Und daß es durchweg bis zur Unleserlichkeit getrieben ist, bleibt paradox. Vielleicht ist eine Mindesthöhe der Buchstaben vorgeschrieben, so daß man eben sn der Breite sparen muß?


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 03.05.2020 um 00.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11106

Das mit den Filmplakaten läßt sich einfach erklären: Es gibt in der Filmindustrie zwischen den Studios und den verschiedenen Gewerkschaften bzw. Berufsverbänden (Drehbuchautoren, Schauspieler, Regisseure usw.) detailliert ausgehandelte Bestimmungen, wer wo genannt werden muß (z.B. im Vorspann, im Abspann, auf dem Filmplakat). Weil sich anhand dieser Erwähnungen über die Jahre der Marktwert eines Filmschaffenden erhöht, wurden die obligatorischen Namens- und Funktionsnennungen im Laufe der Zeit immer umfangreicher. Das ist im Grunde so ähnlich wie die fragwürdige Methode, wissenschaftliche Leistungsfähigkeit mittels der Zitathäufigkeit zu ermitteln.


Für DVDs und BluRay-Datenträger werden die Filmplakate aus Kostengründen meist einfach herunterskaliert, so daß man erst recht nichts mehr lesen kann.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2020 um 03.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11105

Der Hinweis stand ausdrücklich in einem Text, in den ich dank meiner Tochter (Fachübersetzerin) Einblick nehmen konnte, den ich aber nicht zitieren darf. Wenn ich Näheres herausfinde, werde ich darauf zurückkommen.

Übrigens steht auf Filmplakaten und daher auch auf DVD-Covers bekanntlich eine Unmenge der Titelei (Besetzung, Regie, Musik) durchweg in einer absurd engen Versalienschrift, die man praktisch nicht lesen kann - woher kommt das eigentlich?


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 02.05.2020 um 02.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11104

Welche Staaten sind das denn? Wenn es sie tatsächlich geben sollte, dann sind es wohl solche, in denen Großkonzern- und Anwaltslobbies solche Vorschriften durchgesetzt haben, vermutlich, nachdem das buchstäbliche Kleingedruckte, das man ohne Lupe kaum lesen kann, per Gerichtsbeschluß oder Gesetz für illegal erklärt wurde.


Die durchgehende Verwendung von Versalien in nichtproportionalen Schriften ist für Unternehmen die nächstbeste Methode, um Kunden vom Lesen der Lizenzbedingungen und Haftungsausschlüsse abzuhalten. Die Software-Industrie praktiziert dies seit Jahrzehnten, und das böse Erwachen erfolgt beim Kunden erst im Schadensfall.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2020 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11103

Das habe ich bisher nicht herausfinden können.


Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 30.04.2020 um 19.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11102

Weiß man auch, welchen Sinn diese Vorschrift haben soll?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2020 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11101

Ich habe mich oft gewundert, warum gewisse Teile von Textbeilagen zu verschiedenen Geräten durchgehend in den schwer lesbaren Großbuchstaben gedruckt sind. Wie ich nun erfahre, ist das in einigen Staaten vorgeschrieben und betrifft Garantiebestimmungen und Haftungsausschlüsse. Dabei ist man sich der Leseerschwernis durchaus bewußt. Hier kommt dann auch das große ß vor.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 04.12.2019 um 01.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11030

In unserer Museumsbibliothek habe ich das schmale Bändchen "Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis", herausgegeben "im Auftrage des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung" aus dem Jahr 1921 gefunden. Es trägt den Zusatz "Neue Bearbeitung".


Dort heißt es (S. 11): "In lateiniſcher Schrift ſteht s für ſ und s [letztere jeweils in Fraktur], ss für ſſ, ß [Antiqua] (beſſer als ſs [Antiqua]) für ß [Fraktur]; für ß tritt in großer Schrift sz ein, z.B. MASZE (Maße [Fraktur]), aber MASSE (Maſſe).


Man beachte das kleine Wörtchen "besser"!


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2019 um 03.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11029

Sie haben recht, meine Formulierung war etwas unbedacht.


Kommentar von R. M., verfaßt am 28.11.2019 um 23.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11028

Die Allgemeine Literatur-Zeitung, die von Anfang an in Antiqua gedruckt wurde, hielt das schon Ende des 18. Jahrhunderts so.
https://books.google.de/books?id=nNNbAAAAcAAJ&pg=RA1-PA433
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam das lange s und damit auch diese unverbundene Schreibweise des ß im deutschen Antiquasatz außer Mode, so wie früher schon im Englischen und Französischen.

Gleichgültig ist die Sache aber keineswegs. Es kömmt eben drauf an, ob und wo man den Unterschied zwischen ss und ß macht.

Das kleine ß unter Versalien ist inzwischen schon fast die Norm.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2019 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#11026

Ob man das "scharfe s" als Ligatur oder als Doppel-s schreibt, ist eigentlich gleichgültig. Die Weidmannsche Buchhandlung beispielweise, ein bedeutender Fachverlag, setzte lange Zeit einfach ein langes und ein rundes s (in Antiqua) nebeneinander, so etwa in Wilamowitz´ Griechischem Lesebuch, das ich gerade zur Hand habe.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2017 um 06.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10880

Volle neun Jahre später titeln die Zeitungen wieder:
"Das große ß ist da", nur weil der Rechtschreibrat in seinem dritten Bericht sich dieses Zeichens angenommen hat (obwohl Typographie kaum zu seinem Arbeitsbereich gehört).

Im übrigen übernehmen die Medien fast alle den dpa-Bericht, in dem naturgemäß nicht davon die Rede ist, daß die Beschlüsse der KMK nur für die Schulen gelten.


Kommentar von R. M., verfaßt am 11.11.2015 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10320

Das ist eine Schrift aus den zwanziger Jahren, in der das S in der Tat äußerst schlank erscheint (wie in der für das FDS-Logo genutzten Bremen). An eine Unterscheidung zwischen langem und rundem S ist aber hier sicher nicht gedacht.


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 10.11.2015 um 23.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10319

Ein weiteres typographisches Fundstück: Die "Jenaer Bücherstube" ist ebenfalls mit einem Quasi-Versal-Lang-S beschriftet (siehe www.yelp.de).


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 28.07.2015 um 15.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10119

Zwei typographische Fundstücke: www.versaleszett.de versteht sich als Kopiervorlage für das Versal-ß, und die GIEẞENER ZEITUNG verwendet das Versal-ß als Favicon: www.giessener-zeitung.de.


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 23.06.2015 um 01.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10098

Zu #6868 und #6870: Doch, es gab mal eine Schrift mit einem versalen Lang-S, die Ehmcke-Antiqua (mit Versalformen auch für ß, ch und ck) – siehe www.typografie.info/3/page/artikel.htm/_/wissen/ehmcke-antiqua (bei der Ehmcke-Kursiv).

Nachtrag: Zwei Beobachtungen zu Zeichen/Symbolen, die einem versalem Lang-S nahekommen: das „S“ im FDS-Logo (siehe ganz oben rechts) und das Integralzeichen.


Kommentar von Wiener Zeitung, 12. Mai 2015, verfaßt am 22.06.2015 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#10097

Keine Angst vor dem großen ß!

Von Robert Sedlaczek

Der Rat für deutsche Rechtschreibung kennt ß nur als Kleinbuchstaben. Auf Dauer wird diese Position nicht zu halten sein.

Das scharfe S, auch Eszett genannt, ist ein ungeliebter Buchstabe des Alphabets. Lange Zeit vegetierte das ß dahin. Doch mit der letzten Rechtschreibreform bekam es eine neue Bedeutung und einen neuen Sinn. Es signalisiert, dass der davorstehende Vokal lang ist. Wir schreiben also Strauß und nicht Strauss, groß und nicht gross, Straße und nicht Strasse. Nach einem kurzen Vokal steht hingegen ss: krass, Schloss, Wasser.

Da der ungeliebte Buchstabe so wichtig geworden ist, stellt sich zunehmend die Frage, ob es ihn auch als Großbuchstaben geben soll. Natürlich nicht am Wortanfang, denn im Deutschen beginnt kein Wort mit ss oder ß. Aber wenn das gesamte Wort versal geschrieben wird? Zum Beispiel: ACHTUNG STRAßENSPERRE! Ist das erlaubt?

"WZ"-Leser Peter Jürß übermittelt mir nun die Kopie eines Mails, das er an einige Rundfunkanstalten geschickt hat. "Als häufigem Seher Ihrer Sportprogramme ist mir aufgefallen, dass bei Ihrem Laufband unter den Großbuchstaben öfters ein ß vorkommt, zum Beispiel FUßBALL. Nach meinem bescheidenen Wissen ist dies nur für Namen zulässig."

Herr Jürß, der den ungeliebten Buchstaben im Namen trägt, liefert auch gleich einen Paragrafen aus der "Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung" mit. Dort heißt es: "Jeder Buchstabe existiert als Kleinbuchstabe und als Großbuchstabe (Ausnahme ß)". Im Versalsatz empfehlen die Regelmacher, dass das "ß" durch "SS" ersetzt werde. Also: STRASSE.

Nur in Dokumenten kann bei Namen aus Gründen der Eindeutigkeit auch bei Großbuchstaben das ß verwendet werden. Also: WEIß, STRAUß etc.

Die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung, Kerstin Güthert, hat die Haltung des Rates zum großen ß einmal mit folgenden Argumenten begründet: "Es ist eine Frage, die schon seit Jahrzehnten unbeantwortet ist und es wohl auch auf geraume Zeit bleiben wird. Der Grund liegt darin, dass es dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht zusteht, Schriftzeichen zu erfinden. Seine Aufgabe ist es, die Schreibung zu beobachten und darauf zu achten, dass Regeln und Schreibgebrauch sich im Einklang befinden. Es bedarf also einer Initiative aus der Schreibgemeinschaft (etwa vonseiten der Typografen), um hier auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens Abhilfe zu schaffen."

Für den Computersatz gibt es inzwischen eine gewisse Auswahl an Schriften mit großem Eszett. Haupthindernis für die praktische Nutzung war lange Zeit, dass jeder Hersteller das Zeichen anders kodiert hat. Seit 2008 ist das große Eszett in den Unicode-Standard aufgenommen.

"Das große ß ist überaus hässlich!" - "In einem versalen Text wirkt es wie ein Fremdkörper!" So und ähnlich wurde und wird gegen diesen Buchstaben agitiert. Allerdings sind einige der neueren typografischen Entwürfe durchaus charmant.

Meine Meinung: Ich halte es für gut, wenn die Medien das große ß verwenden und auf diese Weise den Rat für deutsche Rechtschreibung unter Druck setzen. Vielleicht wird er eines Tages doch noch zulassen, dass wir im versalen Schriftbild zwischen MAßE und MASSE unterscheiden. Wenn wir Kleinbuchstaben verwenden, tun wir es ja auch.

(www.wienerzeitung.at)


Kommentar von orf.at, verfaßt am 13.06.2012 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#9012

So wird es verwendet, das große scharfe S:

siehe z. B.:
http://tv.orf.at/program/orf1/20120613/#evening


Kommentar von Pt, verfaßt am 30.07.2008 um 19.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7126

Lieber Herr Mahlmann,

als Lehrerkind sind Sie natürlich bis zu einem gewissen Grade vor Übergriffen geschützt. Ein Peiniger unter den Schülern würde bestimmt nicht das Kind eines Lehrers angreifen, wenn er noch halbwegs klar bei Verstand ist. Die suchen sich natürlich nur Leute, von denen sie wissen oder annehmen können, daß sie sich nicht wehren können.

Sie mögen schon so einiges mitkriegen, aber gewiß nicht alles. Die ''Kunst'' der Peiniger besteht ja gerade darin, ihre Opfer so zu terrorisieren, daß es dem Lehrer nicht auffällt. Das habe ich viele Male selbst erlebt. Daraus dürften sie einen Teil ihrer perversen Selbstbestätigung ziehen: schlauer zu sein als der Lehrer. Aber auch die Lehrer sind nicht unschuldig, sie wollen ja gar nicht sehen, was abläuft, unter anderem auch deshalb, weil sie sich sehr leicht ''strafbar'' machen können, wenn sie in solche ''Konflikte'' (in Wirklichkeit ist es Terror, man nennt es nur beschönigend ''Konflikte'', um den Eindruck zu erwecken, man könne mit den üblichen (wirkunslosen) Methoden der ''Konfliktbereinigung'' die Sache ''managen'' – Ich würde Ihnen dazu gerne mehr erläutern!) eingreifen.

Anfang der 80er Jahre war noch vieles anders, es gab noch keine leistungsstarken PCs, allenfalls Homecomputer, und noch kein für jeden zugängliches Internet. Auch hatten Eltern und Lehrer noch etwas größeren Einfluß auf ihre Kinder. Vergessen Sie bitte auch nicht die 68er, die eine Gesellschaftsreform, nicht nur eine Rechtschreibreform, wollten, und sehr häufig auch Lehrer wurden, um ihre Schüler im Sinne dieser Gesellschaftsreform zu erziehen. Ein Brieffreund schrieb mir mal was von einer Lehrerin, die ihre Schüler Aufschätze schreiben ließ mit Themen wie: ''Wie setze ich mich gegenüber meinen Eltern durch'' oder ''Wie behaupte ich im Bus meinen Sitzplatz gegenüber Erwachsenen''.

Daß Sie ein Schüler waren, der alles ganz genau wissen wollte und bereits in der Grundschule mit Lehrern spannende Diskussionen führte, ist zwar schön für Sie und mag Ihr Bild von Schule und Schülern geprägt haben, ändert aber nichts daran, daß es ein romantisches und idealtypisches Bild ist. Die Realität sieht anders aus. Sie haben halt schlichtweg Glück gehabt. Als Lehrerkind sind Sie natürlich anders erzogen worden als ich, denn bei uns in der Familie ging es nur darum, daß man schön brav und anständig und folgsam ist. (Ich habe meiner Mutter zweimal Fragen gestellt, bekam aber nie eine richtige Antwort. Danach hab ichs gelernt gehabt, daß man keine Fragen stellt, und schon gar keine peinlichen.) Das kriegen natürlich die Terroristen mit, so suchen sie sich ihre Opfer aus, siehe oben. Die Katastrophe entsteht dann daraus, daß die Eltern die Tatsache, daß ihr Kind Opfer ist, nicht anerkennen und dem Kind eine Mitschuld (falsches Verhalten) an den Vorfällen zuschieben (und böse reagieren). Für das Kind bricht eine Welt zusammen, es kann sich mit seinen (sehr ernsten) Problemen an niemanden wenden. So endet eine Kindheit! Dafür brauchts noch nicht mal eine körperliche (sexuelle) Vergewaltigung, wie das in manchen perversen Werbeplakaten ausgesagt wird.

In meiner Grundschulzeit gab es nur Frontalunterricht, da blieb für spannende Diskussionen nur wenig Raum. Auch ich habe meinem Grundschullehrer Fragen gestellt, ich kann mich aber nicht daran erinnern, daß sich daraus jemals sowas wie eine spannende Diskussion entwickelt hätte, allenfalls vielleicht kurze Gespräche. Dieses Wort (Diskussion) hätte ich damals auch noch nicht verstanden.
Wir haben ''diskutieren'' erst gegen Ende der Realschule ''gelernt'' mit ''Diskussionsleiter'' etc., es war ein ziemlich steifes Unterfangen. Ich hatte damals den Eindruck, daß wir da etwas lernen, was wir als Realschüler ja eh gar nicht bräuchten, sozusagen eine ''Zugabe'' über den üblichen Lehrstoff hinaus. Tja, Herr Mahlmann, offenbar leben wir beide in unterschiedlichen Welten.

Sie dürfen auch nicht erwarten, Herr Mahlmann, daß Ihnen Ihre Lehrer jede Ihrer nervenden Fragen lang und breit darlegen, die werden schließlich nicht dafür bezahlt, ihre Stunden zu überziehen.

Manchmal ist ''Das ist eben so!'' die einzige mögliche Antwort! Stellen Sie mal einen Physikprofessor die Frage, warum eine bewegte Ladung ein Magnetfeld hat!

Ich war nicht nur am Ende selbst Opfer, ich war Opfer von Anfang an!

''Wenn man aber von vorneherein die Schüler für einen Haufen renitenter Rotzlöffel und gewalttätiger Terroristenflegel hält, die sowieso nichts taugen, wird man sie gewiß nicht erreichen.''

Das habe ich so nicht geschrieben. Jeder Lehrer weiß, daß es in einer Klasse unterschiedliche Schülerrollen gibt, diese Rollen sind sogar benannt. Da gibt es z. B. den ''Klassenclown'', und jeder erfahrene Lehrer weiß, daß, wenn dieser die Klasse verläßt (z. B. sitzenbleibt), dann ein neuer nachwächst. (Haben die schon mal darüber nachgedacht, warum das so ist, oder warum sich jemand wie ein ''Clown'' verhält? – Der macht nur gute Miene zu bösem Spiel, was als ''Clownerie'' mißinterpretiert wird.)

Ich unterscheide sehr genau, daß es unterschiedliche Schüler mit unterschiedlichen Verhalten gibt, während sie in ihrer ursprünglichen Aussage nur von ''durchschnittlich wißbegierigen Grundschulkindern'' sprechen, was mich ja gerade zu meiner Reaktion bewegte. Denn Ihre Aussage verkennt ja gerade, daß jeder Schüler ein Individuum ist, mit eigenen, ganz speziefischen Problemen, die ihm u. a. auch daran hindern können ''wißbegierig'' zu sein, das was Sie offenbar als ''normal'' ansehen.

Und so, wie sich Lehrer anmaßen, in einer Klasse Rollen zuzuweisen, so nehme ich mir die Freiheit, Schüler als das zu bezeichnen, was sie sind, so wie sie sich ihren Klassen''kameraden'' gegenüber verhalten. Wer seine Mitschüler terrorisiert, der ist ein Terrorist! Wenn ein Lehrer da nicht eingreift, dann deckt er einen Terrorsisten und ist damit selber einer! Das mögen harte Worte sein, sie sind aber gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß die Schulzeit Weichen für das Leben stellt. Haben Sie sich schon mal überlegt, was für Folgen es für einen Menschen hat, der in seiner Schulzeit fast nur verspottet wurde, von älteren Mitschülern im Bus von seinem Sitzplatz gezerrt wurde mehrmals von diesen gewaltsam zu Boden geworfen (einmal mit blutender Verletzung, für die man dann von der Mutter eine böse Reaktion bekommen hatte), vom Fahrrad gezerrt wurde (2x), vom Fahrradweg abgedrängt wurde, in Umkleidekabinen bedroht und in die Mangel genommen wurde, teilweise waren da Mitschüler dabei, die natürlich nur zusahen, vom ''Psychoterror'' ganz zu schweigen? Auf diese Weise wird man zum Außenseiter gestoßen – was dann die ''besorgte'' Mutter zum Anlaß nimmt einen vorzuwerfen, daß man ja ein ''Außenseiter'' sei. (Und irgendwann einmal sind dann die Eltern tot, und es ist zu spät für Erklärungen, die man zuvor noch nicht geben konnte, weil man noch ein Kind war – Erklärungen, die die Eltern auch nicht hören wollten oder akzeptiert hätten.) Glauben Sie nicht ferner, daß ein Kind, das diesem Terror unterworfen wurde, nicht später noch weitere Probleme haben wird, die daraus entstehen:
Als Kind mußte es massive körperliche wie seelische Gewalt einstecken, wurde dafür sogar noch von seinen Eltern ausgeschimpft, aber wehren durfte es sich nie. Nein, Herr Mahlmann, ich hätte mich gewehrt, wenn mir das möglich gewesen wäre, aber die Terroristen sind zumeist in der Überzahl oder in einer besseren Situation. Es sind Feiglinge! Aber wehe, dieses Kind wehrt sich als ''Erwachsener'' einmal gegenüber den ungerechtfertigten, provokativen und damit böswilligen übergriffen von Kindern oder anderen Erwachsenen, und selbst wenn es nur lächerlich geringe Verteidigungshandlungen sind, dann blustern sich die Angreifer, die zumeist in der Überzahl sind auf und rufen sofort mit ihren Handys die Polizei. (Das ist mir vor einigen Wochen geschehen.) Letzten Samstag wurde ich im Bus von zwei Halbstarken genötigt, meinen Platz im Bus zu verlassen, weil sie das Fenster öffnen wollten und ich direkt im Zug saß. Als ich das Fenster wieder schloß, wurde es wieder geöffnet und der eine Terrorist setzte sich bedrohlich neben mich. Dann mischte sich auch noch ein seniler Rentner ein, der sich ebenfalls näher zu mir setzte. Ich habe dann den Fahrer gebeten mich sofort rauszulassen. Verstehen Sie nun, Herr Mahlmann, warum ich bewußt den Begriff ''Terroristen'' wähle. Früher wären solche ''Jugendlichen'' für ein solches Verhalten gemaßregelt worden, heutzutage sind sie gemäß unserer Perversgesetzgebung und unseren perversen christlichen Glauben im Recht. Vor ungefähr 8 Jahren gab es bei uns in der Gemeindezeitung einen Artikel, in dem von einem 17jährigen die Rede war, der weit über hundert Straftaten begangen hatte. Ein paar Jahre vorher gab es einen ähnlichen Fall mit einem türkischen Jungen, der sogar durchs Fernsehen ging.

Vor vielen Jahren bin ich mal nachts von vier Halbstarken angegriffen worden, dabei wurde meine Brille beschädigt. Ich versuchte, mich in einen Gasthof zu flüchten, wurde dort aber wieder rausgeworfen mit der Begründung ''Geschlossene Gesellschaft''.
Ich konnte mir jahrelang keine neue Brille leisten, und muße eine alte und verkratzte tragen.

Das ist die Folge der Gesellschaftsreform: Kinder und Jugendliche dürfen heute alles tun was ihnen beliebt, sie werden nie dafür bestraft. Aber wehe, sie sagen als Erwachsener etwas dagegen, dann stehen sie sofort im Kreuzfeuer der Kritik, wenn nicht schlimmeres.

Die Techniken, mit denen diese Leute arbeiten, sind dieselben wie die der Rechtschrebreformer: man ignoriert Vernunft, Tradition, setzt sich demonstrativ auf seiten der ''armen und wehrlosen Kinder und Jugendlichen, die ja noch ihre Grenzen abchecken müßten'', das kommt immer gut.

Ich habe es als Kind und Jugendlicher nicht nötig gehabt, meine
''Grenzen abchecken'' zu müssen, denn diese waren ziemlich eng gezogen. Den meisten hier dürfte es genauso gegangen sein.

Herr Mahlmann, Sie mögen ein Lehrerkind sein, das besagt aber noch lange nicht, daß Ihre Erfahrung relevanter ist als meine.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 30.07.2008 um 12.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7116

Lieber Pt,

ich lasse Ihnen Ihre Meinung über die Realität in den Schulen, teile sie aber nicht. Ich habe als Lehrerkind schon zwangsläufig etliche Lehrer unter meinen Bekannten, meine Nichte ist Schülerin. Ich kriege schon so einiges mit.

Als ich Anfang der achtiger Jahre in die Grundschule ging, wurde uns auch schon stets vorgehalten, wir würden uns ja für nichts interessieren, wir hätten nur seichten Fernsehmüll im Kopf und täten keinen Schritt vor die Tür, der nicht unbedingt notwendig sei.
Ich war gleichwohl einer der Schüler, von denen ich sprach, nämlich einer, der dauernd irgend etwas ganz genau wissen wollte - und damit war ich nicht der einzige. Ich habe mich häufig mit den Lehrern in spannenden Diskussionen verloren (jawohl: Grundschule!), wurde andererseits aber auch immer mal wieder mit Worten wie "Das ist eben so!" barsch abgewiesen und habe mich darüber tüchtig geärgert.

Ich glaube Ihnen, daß sie hinreichend Beispiele kennen, die Ihnen den Eindruck von der Schule vermittelt haben, den sie schildern; am Ende waren sie selbst ein Opfer.
Man kann als Lehrer auch scheitern - dann aber bitte ehrenvoll. Wenn man den jungen Menschen etwas vermitteln will, das sie in ihrem Leben gut gebrauchen können, mag man zu der Einsicht kommen, daß das nur sehr vereinzelt willkommen ist, von mir aus auch gar nicht willkommen.
Wenn man aber von vorneherein die Schüler für einen Haufen renitenter Rotzlöffel und gewalttätiger Terroristenflegel hält, die sowieso nichts taugen, wird man sie gewiß nicht erreichen.

Ich weiß auch, daß es viele Familien gibt (beileibe nicht nur im Klischee-Asi-Viertel der Großstadt), die die Blagen vor den Computer setzen und sich selbst überlassen. Das ist ein Problem für sich.

Was Ihren Link angeht: Es gibt immer Leute, die sich nichts sagen lassen wollen.
Ich habe unten bereits geschrieben, daß ich den Ansatz, das ß sei ein eigenständiger Buchstabe, mehr mit Heyse in Verbindung bringe als mit Adelung. Herr Konietzko hat es indirekt bestätigt.
Folgt man dieser Auffassung, wird es schwer, einen überzeugten Heyse-Anhänger von den Vorteilen von Adelung zu überzeugen.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 30.07.2008 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7105

Lieber Herr Konietzko,

ich will mich zunächst nicht näher zu dem, was Sie "Scheuermann-Köstersche Regel" nennen, äußern. Nur soviel:
Sie steht in Zusammenhang mit der Auffassung einiger, daß das ß nicht nur aus einer Ligatur enstanden ist, sondern tatsächlich eine Ligatur "ist". Diese Aussage kommt mir geradezu metaphysisch vor.
Herrn Scheuermann geht es wohl mehr darum, die ss/ß-Schreibung ausschließlich aus der Silbenfuge abzuleiten. Daß ich diesen Versuch nicht für aussichtsreich halte, wissen Sie aus einer früheren Diskussion.

Nun zu Ihrer Frage zur sog. "Ickler-Regel". Meine ursprüngliche Bemerkung (nicht Vorwurf) bezog sich nicht auf die Unterscheidung zweier Verwendungsarten, sondern – im Anschluß an Ihre Berufung auf das Ockhamsche Prinzip – auf die Qualifizierungen als "Einzelbuchstabe" und "typographische Variante". Diese halte ich unter dem Gesichtspunkt der Begriffsökonomie für überflüssig. Das heißt nicht, daß diese Begriffe nicht vielleicht didaktisch nützlich sind. Prof. Ickler hat ja eine verständliche Rechtschreibregel formulieren wollen, nicht eine möglichst knappe Beschreibung.

Übrigens ist diese Regel der Darstellung Adelungs sehr ähnlich. Auch Adelung unterscheidet die beiden Fälle und nennt ausdrücklich ss (mit zwei Lang-s) und ß als zwei Schreibweisen des Doppel-s.

Zur Illustration die Ickler-Regel ohne die fraglichen Begriffe:

1. Das Zeichen ß wird erstens zur Wiedergabe des stimmlosen [s] nach langen Vokalen und Diphthongen verwendet, wenn noch ein Vokal folgt; infolge der Stammschreibung auch vor dem t eines Suffixes und am Silbenende: Straße; außen; grüßen, grüßt, Gruß; heißen, heißt.

2. Zweitens wird ß an Stelle von ss verwendet, und zwar am Silbenende und vor konsonantisch anlautenden Suffixen: haßt, gehaßt, häßlich, Haß, haßerfüllt (zu hassen).


Ist es das Ziel, eine möglichts plausible, wenn man so will "logische", Beschreibung der ß-Schreibung zu formulieren, so befriedigt mich diese Regel aus folgenden Gründen allerdings nicht so recht:

1. Regel 1 ist etwas schwerfällig wegen der Berufung auf die Stammschreibung. Was aber noch schwerer wiegt, ist daß das Prinzip der Stammschreibung in Regel 2 sofort wieder ausgehebelt wird.

2. In Regel 2 erscheint die Schreibung mit ss als das Primäre, die Ersetzung durch ß in bestimmter Stellung als eigentlich willkürlich.

Damit wird der Heyse-Anhänger ja geradezu aufgefordert zu erwidern: Warum dann nicht gleich durchgehend ss schreiben und damit zugleich auch das Stammprinzip stärken?

Man kann die ß-Schreibung aber auch so beschreiben, daß das ß als das Primäre erscheint:

Das Zeichen ß wird zur Wiedergabe des stimmlosen [s] verwandt. Es wird nie verdoppelt. Nach kurzem Vokal schreibt man ss an Stelle von ß, wenn noch ein Vokal folgt.

Ich habe hierbei "Ausnahmen" und Sonderfälle (das/daß) ausgespart. Außerdem setze ich voraus, daß man stimmloses und stimmhaftes s schon unterscheiden kann (so wie b und p). Man könnte vielleicht noch versuchen, Fälle wie Geheimnis und Kürbis mit folgender Zusatzregel abzudecken:

Im Auslaut nach kurzem unbetontem Vokal wird ß durch s ersetzt.

Das ist aber nur eine Idee, die ich noch nicht wirklich durchdacht habe.

Man könnte zur Erhöhung der Plausibilität noch folgende historische Erläuterungen geben:

Das Zeichen ß wird aus historischen Gründen nicht verdoppelt, weil es aus einer Buchstabenverbindung (wie ch und sch) entstanden ist. Die Ersetzung des ß durch ss dient der Unterscheidungsschreibung (Maße/Masse).

Interessant erscheint mir allerdings noch die Frage, ob die Unterscheidung der beiden Anwendungen von ß womöglich die historische Enstehung des ß (über die sich die Gelehrten anscheinend immer noch nicht einig sind) besser widerspiegelt. Danach wäre das ß aus zwei Ursprüngen zu erklären:

Zum einen aus dem Versuch, das stimmlose s durch eine Buchstabenverbindung (etwa sz) zu kennzeichnen, zum anderen aus der Ligatur des Doppel-s. Im späteren Verlauf wurden beide Ligaturen wegen ihrer großen Ähnlichkeit nicht mehr unterschieden.

Zur Frage der Allographen vieleicht später. Ich will mir nicht den Vorwurf der Logorrhöe einhandeln.


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.07.2008 um 19.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7096

''''Es war eben nicht einfach so, daß das S lang geschrieben wurde. Damit sollte etwas erreicht werden.''

Ja, aber das interessiert heute reformbedingt eh niemanden mehr.''

Siehe hierzu bitte auch

http://studylangs.17.forumer.com/viewtopic.php?p=3902#3902

besonders den Beitrag von hwhatting, Forum Moderator, Thu May 29, 2008 7:29 am


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.07.2008 um 18.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7093

Lieber Herr Mahlmann,

Zu #7041:

\'\'Wir unterschätzen die Neugier durchschnittlich wißbegieriger Grundschulkinder, wenn wir sagen, eine historische Erklärung des ß würde sie verwirren.\'\'

Was sind \'\'durchschnittlich wißbegierige Grundschulkinder\'\'?

#7048

\'\'ich bezog mich lediglich auf die Ansicht, allzu detailreicher Unterricht könne sie verwirren. Wer genau diesen Gedanken eingebracht hat, kann ich nicht sagen.\'\'

Was meine Argumentation anbetrifft, so meinte ich nicht, daß allzu detailreicher Unterricht verwirren könne, vielleicht haben Sie das so aufgefaßt, das ist die Perspektive eines Lehrers, der nicht wirklich begreift, was in Kindern vorgeht, sondern daß die fragliche Information für die Interessen heutiger Grundschüler ziemlich irrelevant ist, unabhängig davon, wie wißbegierig sie sind.
Was soll ein Grundschüler mit der \'\'graphischen Etymologie\'\' eines von den Reformern eh stiefmütterlich behandelten Zeichens?

Wenn ich Ihren Beitrag (#7048) so lese, dann könnte ich vielem – nicht allem – von dem, was Sie da schreiben, von Herzem zustimmen. Sie rennen geradezu offene Türen bei mir ein.

Trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmak zurück. Stellen Sie sich die von ihrem Satz heraufbeschworene Situation einmal bildlich vor. Da sitzen mehrere Schüler wißbegierig vor einem Lehrer, der nicht minder begierig darauf ist, ihnen auf angenehme, witzige Art etwas beizubringen. Natürlich, niemand möchte den Kindern das Wissen vorenthalten!

Das Problem liegt aber ganz woanders: Obiges Zitat (#7041)
beschwört eine idealtypische Schulsituation herauf, wie sie vielleicht nie wirklich existiert hat, zumindest nicht für alle Schüler. Ein Schüler mag \'\'durchschnittlich wißbegierig\'\' sein, aber sich nicht für weitergehende Erklärungen zur graphischen Etymologie eines Buchstabens interessieren.

Schüler – auch Grundschüler – habe heute ganz andere Interessen. Sie surfen durchs Internet – dort vielleicht auch schon auf Pornoseiten – werden von den zig heute angebotenen Fernsehprogrammen in Beschlag genommen, zocken diverse Spiele runter, laden sich MP3-Songs und Raubkopien von durchaus nicht altersgemäßen Videos runter, probieren diverse Drogen aus, interssieren sich für Klamotten oder wie ihre Haare gestylt sind, etc. Glauben Sie wirklich, daß Schüler heute bei diesen vielseitigen Angebot an spaßigen Sachen sich für die Entstehung eines Buchstabens interessieren, der sowieso bald abgeschafft wird und der aus ihrer Sicht geradezu für das steht, was sie eben nicht wollen: von gestern sein.

Zumindest in den Ballungszentren dürfte heute viele Klassen einen Ausländeranteil von weit über 50% haben, mit Kindern sehr unterschiedlicher Herkunft, in deren Elternhäusern natürlich auch kein Deutsch gesprochen wird. Warum sollen sich solche Schüler mit der Entstehungsgeschichte des ß belasten, wenn sie mit doppel-s doch genausoweit kommen.

\'\'Ich glaube, die fänden es eher witzig, daß es früher üblich war, ein s in die Länge zu ziehen, wenn es weich gesprochen wird.\'\'

Zu dem \'\'in die Länge ziehnen\'\' siehe #7043.

\'\'Sie mögen bezweifeln, daß Kinder es witzig finden, daß früher ein S in die Länge gezogen wurde.\'\'

Stellen Sie sich dieses einmal bildlich vor. Ich glaube nicht, daß das jemals \'\'üblich\'\' war so etwas zu tun. Die Leute dürften früher in einem bestimmten Kontext einen bestimmten Buchstaben verwendet haben, in einem anderen Kontext einen anderen. Beide Buchstaben bezeichnen einen S-Laut. Sie haben nicht auf \'\'Weichheit\'\' getestet und dann einen Buchstaben verzogen. Ich als Grundschüler hätte mich ob einer solchen Aussage eines Lehrers doch sehr gewundert.

\'\'Ferner fragen Sie, ob Lehrstoff immer witzig sein müsse. Ich habe nicht behauptet, daß Lehrstoff heutzutage immer witzig sein muß.\'\'

Ich hatte dabei den Begriff \'\'Spaßgesellschaft\'\' im Hinterkopf, eine \'\'Gesellschaftsform\'\' die dank unserer reformbeflissenen Lehrer immer mehr um sich greift.

\'\'Wenn man den Kindern allerdings mit dem Satz kommt: \"So war es früher halt!\", schneidet man ihnen die Lernfreude ab.\'\'

Nein! Das hat nichts mit \'\'abschneiden der Lernfreude\'\' zu tun.

Mir erschien es so, als ob Sie einen Lehrgegenstand witzig rüberbringen wollten, was dann bei vielen Kindern den Lehrgegenstand selbst zu einem Witz werden läßt. Und soweit sollte es ein guter Lehrer nicht kommen lassen. Und die Tatsache, daß es den Begriff \'\'Spaßgesellschaft\'\' und auch das, wofür der Begriff steht, gibt, läßt jenen Lehrgegenstand dann erst recht in einem solchen Licht erscheinen.

Freude hat nicht notwendig was mit \'\'witzig sein\'\' oder der witzigen Darbietung von Unterrichtsstoff zu tun, sondern ehr damit, daß ein Schüler versteht, um was es geht, daß er eine Fertigkeit beherrscht, daß er \'\'Erfolgserlebnisse\'\' hat.

Wenn diese witzigen Darbietungen des Lehrers sich häufen, dann wird dieses Mittel recht schnell stumpf, siehe: \'\'Witz komm raus, du bist umzingelt.\'\' Dann wird Witz zu gähn!

\'\'Dieser Satz verhindert jede tiefere Nachforschung.\'\'

Wir befinden uns in der Grundschule, bestenfalls in der Schule, nicht an der Universität. Sie überfordern Grundschüler, wenn Sie von ihnen \'\'tiefere Nachforschungen\'\' verlangen, für die u. a. auch Kenntnisse in Currentschrift (Sütterlin) nötig wären. (Wir haben in der Grundschule noch Currentschrift \'\'vorgestellt\'\' bekommen, d. h. wir bekamen ein Übungsblatt und haben uns wenige Tage damit beschäftigt.)

\'\'Natürlich gibt es viele Schüler, die das hinnehmen und ohne weiteres Nachfragen Sachen wie Vokabeln auswendig lernen.\'\'

Was sollen Schüler denn sonst tun, als das, was man ihnen an Lehrstoff anbietet, hinzunehmen? Schüler – insbesondere Grundschüler – sind keine Lehrer, die schon überblicken könnten, was zu lernen sinnvoll wäre.

Als ich in der siebten oder achten Klasse war, erwähnte die Lehrerin im Unterricht einmal das Wort \'\'obszöne Tänze\'\' (es ging um Inititationsriten \'\'primitiver\'\' Völker, bei denen auch Inzest betrieben wurde – Seltsames Thema! Ist diese Lehrerin noch normal?). Auf eine entsprechende Frage meinerseits wurde nicht geantwortet.

Auswendiglernen gehört zum Lernen.

\'\'Es gibt aber auch einige, die sich durch diese Aussage abgewürgt vorkommen, die glauben, ihnen werde etwas vorgehalten, und die nicht selten denken, der Lehrer wisse einfach selbst nicht Bescheid und wolle der Situation ein Ende bereiten.\'\'

Möglicherweise! Wahrscheinlicher ist, daß die Schüler auf das Ende des Unterrichts warten, um ihre Mitschüler terrorisieren zu können.

\'\'Es war eben nicht einfach so, daß das S lang geschrieben wurde. Damit sollte etwas erreicht werden.\'\'

Ja, aber das interessiert heute reformbedingt eh niemanden mehr.

Viele Schüler werden von ihren Mitschülern gemobbt. Es gibt körperliche und nichtkörperliche Gewalt. Der Täter interessiert sich nicht für das, was der Lehrer erzählt, denn er ist ja damit beschäftigt, unter Tisch seinen Nachbarn in Seite (Nierengegend) zu stoßen, und das Opfer hat alle Mühe damit, nicht vor Schmerz aufzuschreien, weil es sich keine Blöße dem Terroristen gegenüber geben will; und auch nicht der anderen gegenüber, die sich fragen würden, warum jemand mitten im Unterricht ohne ersichtlichen Grund aufschreit. (Das würde auch der Lehrer fragen und das Opfer müßte eine peinliche Antwort geben, die natürlich vom Täter abgestritten würde. Natürlich könnte man zum Beweis eine für das Opfer ebenso peinliche ärztliche Untersuchung machen lassen, aber bis dahin ist eine vom Stoß eventuell vorhandene Rötung längst abgeklungen.) In einer solchen Situation können sie nicht dem Dummgeschwafel eines perversen Lehrers (dem Mann oben erwähnter Lehrerin) folgen geschweige denn noch tiefschürfende Fragen stellen.

Herr Mahlmann, bitte, sehen Sie erst mal die Realität des Schulbetriebs.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 29.07.2008 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7075

Wie man es dreht und wendet, es bleibt dabei, daß die S-Laut-Schreibung eine Ausnahme darstellt.

Wenn das ß eine Variante des Doppel-S ist, tritt ein Doppel-S auch dort auf, wo andere Buchstaben nicht verdoppelt werden.
Wenn das ß ein eigenständiger Buchstabe ist, wird der S-Laut je nach Position mit verschiedenen Buchstaben wiedergegeben.

Die erste Sichtweise ist m. E. näher an Adelung; ß und ss sind gleichwertig, der Schriftzeichenwechsel zwischen "Fluß" und "Flüsse" ist unerheblich, und bei "Straße" steht deshalb das ß, um die S-Laut-Anomalie der Verdoppelung optisch zu verschleiern.

Die zweite Sichtweise ist für mein Empfinden näher bei Heyse; Das S wird genauso gebraucht wie alle anderen Buchstaben ("Fluss", "Flüsse"), und dort, wo eine Verdoppelung nicht in Frage kommt, weil das Schema der Konsonantenverdoppelung dagegen spricht, wird auf das ß ausgewichen - "Straße".


Kommentar von R. M., verfaßt am 29.07.2008 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7072

Kann man einen seit gut zweihundert Jahren praktizierten Schreibusus, der in einem deutschsprachigen Staat sogar offiziellen Status genießt, wirklich als bloßen Notbehelf abtun? Ist – um ein anderes Beispiel zu nehmen – die akzentlose Schreibung der Versalien im Französischen ein Behelf oder eine Variante?

Übrigens – wäre man angehalten, in einem Text stets die gleichen a- und g-Buchstaben zu benutzen, müßte man statt kursiver Auszeichnungen oblique verwenden.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 28.07.2008 um 17.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7062

Lieber Herr Achenbach,

in der Tat habe ich in #7029 schlampigerweise von ›Erklärungen‹ gesprochen, wo es ›Beschreibungen‹ hätte heißen müssen. Für eine Erklärung müßte man auch die Schriftgeschichte einbeziehen. Herr Ickler hat in #7009 festgestellt, ich beschriebe die »gegenwärtig[e] Funktion« des Eszett (man könnte hinzufügen: im Rahmen der Adelungschen s-Schreibung, wie sie unmittelbar vor der Reform von 1996 in Deutschland üblich war); das scheint mir die Sache zu treffen.

Mit einer allgemeingültigen Definition der Einfachheits-Anforderungen, die an eine wissenschaftliche Theorie zu stellen sind, kann ich nicht dienen. Trotzdem bleibe ich dabei, daß es nicht einleuchtet, einem einzelnen Zeichen, das an einer Stelle steht, an der Konsonantenbuchstaben nicht verdoppelt werden, die Funktion eines ›Statthalters‹ (so Herr Köster) eines verdoppelten Konsonantenbuchstabens zuzuschreiben. Die Scheuermann-Köstersche Regel läßt sich wie folgt formulieren:

(1) Das stimmlose [s] wird nach Langvokalen und Diphthongen, wenn noch ein Vokal folgt, durch ss wiedergegeben.
(2) ss wird in Nichtgelenk-Positionen durch ß ersetzt.

Hieran stört mich, daß Regel 1 gewissermaßen ›leerläuft‹, d.h. niemals zur Geltung kommt, weil sie sofort durch Regel 2 aufgehoben wird. (Die Position nach Langvokalen und Diphthongen, wenn noch ein Vokal folgt, ist ja eine Nichtgelenk-Position.) Stattdessen würde ich lieber schreiben:

(1*) Das stimmlose [s] wird nach Langvokalen und Diphthongen, wenn noch ein Vokal folgt, durch ß wiedergegeben.
(2) ss wird in Nichtgelenk-Positionen durch ß ersetzt.

Jetzt kommen beide Regeln zum Tragen (1* etwa bei Straße, außen, heißen, reißen, 2 bei Haß, geküßt).

Allgemein formuliert: Statt

(3) Der Laut A wird in der Position B1 durch das Graph C wiedergegeben.
(4) Das Graph C wird in den Positionen B1, B2, ..., Bn durch das Graph D ersetzt.

sollte es besser heißen

(3*) Der Laut A wird in der Position B1 durch das Graph D wiedergegeben.
(4*) Das Graph C wird in den Positionen B2, ..., Bn durch das Graph D ersetzt.

Ich halte es zwar grundsätzlich für zulässig, Ausnahmeregeln zu formulieren, aber wenn eine Regel so viele Ausnahmen hat, daß sie niemals angewandt werden kann, dann stimmt etwas nicht. Korrekt scheint mir z.B. folgendes Regelpaar (das inhaltlich aus Herrn Icklers Hauptregeln der deutschen Orthographie stammt):

(5) Konsonantenbuchstaben werden in Gelenkposition verdoppelt; diese Verdopplungen werden gemäß dem Stammprinzip auf Nichtgelenk-Positionen übertragen.
(6) ss wird in Nichtgelenk-Positionen durch ß ersetzt.

6 ist eine Ausnahme zu 5, denn nach 5 müßte man *Kuss (wie Küsse) schreiben, wegen 6 schreibt man jedoch Kuß. Dennoch hat Regel 5 immer noch viele Anwendungsfälle (z.B. Schiffe –> Schiff, Fälle –> Fall, Stämme –> Stamm, Männer –> Mann, Deppen –> Depp, Herren –> Herr, Pötte –> Pott), ›läuft‹ also nicht ›leer‹.

Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Bezieht sich Ihr Vorwurf der Unnötigkeit auf die Unterscheidung zweier Verwendungsweisen des Eszett oder nur auf Herrn Icklers Bezeichnungen ›typographische Variante‹ und ›Einzelbuchstabe‹?

Ich war davon ausgegangen, daß der Zusammmenhang zwischen miß- und misse- auch in der Gegenwartssprache noch hinreichend deutlich sei. Das kann man bestreiten (dann muß miß- tatsächlich als Einzelfall genannt werden). Es gibt keine klare Grenze zwischen verdunkelten und nicht-verdunkelten sprachlichen Zusammenhängen.

Der Hinweis darauf, daß das Schluß-ß »nicht funktionell gleichwertig mit dem ss« ist, spricht nicht gegen meine Bezeichnung ›kombinatorisches Allograph‹. Kombinatorische Allographie impliziert nicht funktionelle Gleichwertigkeit, sondern das Gegenteil davon. Man erkennt kombinatorische Allographe daran, daß es von der Umgebung abhängt, welches der beiden Allographe man verwendet. Wenn aber zwei Graphe disjunkte (einander nicht überschneidende) Verteilungen haben, dann sind sie gerade nicht funktionell gleichwertig. Als Beispiel für kombinatorische Allographie wird im Lexikon der Sprachwissenschaft (hrsg. von Hadumod Bußmann, 3. Aufl. 2002) und im Metzler Lexikon Sprache (hrsg. von Helmut Glück, 3. Aufl. 2005) der Wechsel zwischen langem und rundem s in der Fraktur genannt. Diese beiden s-Formen haben keineswegs die gleiche Funktion; das runde s dient als Schlußmarkierung, das lange nicht (vgl. Häschen mit rundem s vs. ha#chen mit langem).

Von funktioneller Gleichwertigkeit kann man bei freien (fakultativen) Allographen sprechen, z.B. bei den verschiedenen Varianten der Buchstaben a und g. Hier kann man zwischen den Varianten frei wählen (sollte allerdings innerhalb eines Textes bei einer bleiben).

Daß das Schluß-ß (kombinatorisches Allograph zu ss) nicht zur Kennzeichnung von Vokalkürze geeignet ist, liegt daran, daß es äußerlich mit dem ›Einzelbuchstaben‹ ß identisch ist. Das Schluß-ß steht nur nach Kurzvokalen, der ›Einzelbuchstabe‹ ß nur nach Langvokalen und Diphthongen.

In bezug auf die Fruchtlosigkeit meiner Überzeugungsarbeit haben Sie leider recht; das sieht man an der Diskussion, die sich an meinen Sprachblog-Beitrag anschloß.

Zur Schriftgeschichte: Herr Markner hat darauf hingewiesen, daß es in der lateinischen Schrift zunächst überhaupt kein Eszett gab, so daß man oft Strasse usw. schrieb. Aber daraus würde ich nicht folgern, daß man das ß in Straße als Ersatz für ss verstehen solle. Ich würde es eher andersherum machen und das ss in Strasse als behelfsmäßigen Ersatz für das (zunächst nur in der Fraktur vorhandene) Eszett auffassen, der mit der Entstehung des Antiqua-Eszett endlich überflüssig wurde. Daß Strasse systemwidrig ist (weil in dieser Position Konsonantenbuchstaben nicht verdoppelt werden), stellt an sich keinen Nachteil dar, denn Systematik darf (wie ich schon ausgeführt habe) kein Selbstzweck sein. Nachteilig ist hingegen, daß die eszettlose Schreibweise nicht nur wie die Heysesche zu Esssaal, Verschlusssache und Nussschale führt, sondern darüber hinaus auch zu Massstab, Süssstoff und Grossschreibung. Die Einstufung als Notbehelf findet sich auch im Rechtschreibduden von 1991:
»Nur wenn in einer Antiquaschrift kein Eszett vorhanden ist, darf – als Notbehelf – dafür ss gesetzt werden. Manuskripte ohne ß müssen im Normalfall den Regeln gemäß mit ß abgesetzt werden.« (S. 74/5)


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 28.07.2008 um 11.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7048

Lieber Pt,
hätte ich Sie (oder jemand anderen) persönlich gemeint, hätte ich Sie persönlich angesprochen. Ich habe weder Ihnen noch anderen unterstellt, die Neugier von Grundschülern zu unterschätzen; ich bezog mich lediglich auf die Ansicht, allzu detailreicher Unterricht könne sie verwirren. Wer genau diesen Gedanken eingebracht hat, kann ich nicht sagen.

Sie mögen bezweifeln, daß Kinder es witzig finden, daß früher ein S in die Länge gezogen wurde. Ferner fragen Sie, ob Lehrstoff immer witzig sein müsse. Ich habe nicht behauptet, daß Lehrstoff heutzutage immer witzig sein muß.

Wenn man den Kindern allerdings mit dem Satz kommt: "So war es früher halt!", schneidet man ihnen die Lernfreude ab. Dieser Satz verhindert jede tiefere Nachforschung. Natürlich gibt es viele Schüler, die das hinnehmen und ohne weiteres Nachfragen Sachen wie Vokabeln auswendig lernen. Es gibt aber auch einige, die sich durch diese Aussage abgewürgt vorkommen, die glauben, ihnen werde etwas vorgehalten, und die nicht selten denken, der Lehrer wisse einfach selbst nicht Bescheid und wolle der Situation ein Ende bereiten.
Es war eben nicht einfach so, daß das S lang geschrieben wurde. Damit sollte etwas erreicht werden.

Daß der Lehrstoff in der Grundschule "von grundlegender Bedeutung" sein sollte, ergibt sich schon aus dem Namen der Schulform. Was aber ist solch eine "grundlegende Bedeutung" im einzelnen? Ist es nicht auch von grundlegender Bedeutung, Dinge nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen, nach der Eigenart hinter der Oberfläche zu suchen, Verständnis dafür zu entwickeln, daß Dinge nicht einfach für alle Zeiten unverändert existieren, sondern sich bilden, verändern und verschwinden?

Und was sind "unwichtige Details"? Gerade dadurch, daß sich Kinder bei Diskussionen und Erörterungen in Nebensächlichkeiten verlieren, daß sie den Faden verlieren, lernen sie, daß es erstens wichtiges und unwichtiges gibt und es zweitens darauf ankommt, das eine vom anderen zu scheiden. Das ist eine grundlegende Erkenntnis, auf die die Kinder sehr gut in der Grundschule kommen können.

Ich habe auch nicht behauptet, eine verläßliche S-Regel-Darstellung nach Adelung sei wesentlich komplizierter als die landläufige nach Heyse; noch habe ich Herrn Icklers Darstellung erwähnt.
Sehr wohl habe ich die Vergleichsform "komplizierter" gewählt. Die stets vorgebrachte Regeldarstellung nach Heyse habe ich kritisiert, weil sie zu stark vereinfacht, und behauptet, eine korrekte S-Regel-Darstellung sei notwendigerweise komplizierter - egal ob nach Heyse oder Adelung.
Wenn etwas "komplizierter" als etwas anderes anderes ist, heißt das noch lange nicht, daß es "kompliziert" ist. Ein Kugelschreiber ist auch komplizierter als ein Bleistift, aber dennoch ein sehr einfaches Gerät.
Über die Lern- und Anwendbarkeit der Adelung-Regel habe ich auch nichts gesagt. Ich habe schon gar nicht davon gesprochen, daß etwas umso schwieriger zu lernen sei, je komplizierter es ist.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.07.2008 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7045

Lieber Herr Konietzko,

ich zögere, unsere Diskussion fortzusetzen, denn es geht dabei doch nur um eine Nebensache, ja vielleicht nur um eine Quisquilie. In der Hauptsache sind wir uns ja wohl völlig einig.

Mir ging es anfangs ja nur um die Stringenz Ihrer Argumentation. Ihre Erwiderung verstärkt meinen Eindruck, daß Sie in Ihrer Argumentation nicht ganz konsequent sind, sondern auf mehreren Hochzeiten tanzen.

Sie haben meine Fragen nicht beantwortet, nach welchen Maßstäben Sie einer von mehreren richtigen Beschreibung die höhere Weihe der Attribute "besser" und "sprachwissenschaftlich" zuerkennen.
Mal ziehen Sie sich auf die reine, synchronische Beschreibung zurück,
in Ihrer Erwiderung sprechen Sie plötzlich von "Erklärungen", die sprachwissenschaftlich nicht "befriedigend" sein könnten.

Ich habe nicht gesagt, daß mir die Begriffe "Einzelbuchstabe" oder "typographische Variante" nicht gefallen, sondern daß sie nach dem von Ihnen selbst eingeführten Kriterium der Begriffsökonomie (Ockham) überflüssig seien. Sie waren es, der an anderer Stelle die Bezeichnung "typographische Variante" als "etwas unglücklich" empfand.

Ihr Hinweis auf die Allomorphie von miß- und misse- ist sehr nützlich, illustriert aber auch die Schwierigkeit einer strikt synchronischen Beschreibung. Wie kann man das anders belegen als diachronisch? Wie kann man anders als diachronisch erkennen, ob "einbleuen" etwas mit "blau", "bißchen" etas mit "Bissen" zu tun hat?

Ich möchte – zu Ihren Gunsten – annnehmen, daß Sie den Vergleich mit dem Newtonschen Gravitationsgesetz nicht ganz ernst meinen. Ich war in meinem ersten Beitrag bewußt nicht auf die erkenntnistheoretisch durchaus heikle Frage, was eigentlich eine "Erklärung" von einer "Beschreibung" unterscheidet, eingegangen.

Ergänzend möchte ich noch sagen, daß die Beschreibungen des ß (in bestimmter Stellung) als "typographische Variante" oder als "Allograph" von ss mich in der Tat nicht ganz überzeugt. Das ß ist hier nicht funktionell gleichwertig mit dem ss, weil es die Silbenkürze eben nicht kennzeichnen kann. Und das ist ja das Hauptargument der Heyse-Anhänger.

Schließlich noch etwas zur "Logik": Ihr Bemühen, die "Logik" der Adelung-Schreibung darzulegen, ist sehr anerkennenswert. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, in welchem Sinne man eine (zumindest widerspruchsfreie) bloße Beschreibung als "logisch" bezeichen kann. Das ist aber vielleicht nicht so wichtig. Wichtiger ist, daß Sie ja selbst sagen, daß man "die Heysesche s-Schreibung als eine Systematisierung gegenüber der Adelungschen bezeichnen" kann. Das ist aber der springende Punkt. Genau das ist es, was die Heyse-Anhänger als "logisch" empfinden. Mögen Sie die Adelung-Schreibung auch noch so klar, einfach und überzeugend beschreiben – daran werden Sie nichts ändern können.


Kommentar von Pt, verfaßt am 26.07.2008 um 15.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7044

Zu #7041:

''Wir unterschätzen die Neugier durchschnittlich wißbegieriger Grundschulkinder, wenn wir sagen, eine historische Erklärung des ß würde sie verwirren.
Ich glaube, die fänden es eher witzig, daß es früher üblich war, ein s in die Länge zu ziehen, wenn es weich gesprochen wird.''

Irgendwie erscheinen mir diese Sätze manipulativ. Habe ich wirklich das aussagen wollen, was der erste Satz mir und anderen unterstellt?

Haben wir (wir alle?) gesagt, daß eine historische Erklärung die Grundschüler verwirren würde?

Ein durchschnittlich wißbegieriges Grundschulkind dürfte sich für vieles interessieren, was da gerade geboten wird, eventuell auch für einen mengentheoretischen Beweis oder div. andere Dinge, die einige hier vielleicht als nicht altersgemäß ansehen würden. Ob sie es ''witzig'' fänden, wie man früher was geschrieben hat, sei dahingestellt. Warum sollte das denn witzig sein? So war es früher halt! Warum muß Lernen heute immer ''witzig'' sein?

Zumindest mir ging es darum, daß der gebotene Lehrstoff in der Grundschule wirklich von grundlegender Bedeutung sein sollte und sich nicht in (für Grundschüler) unwichtigen Details verliert, unabhängig von deren eventueller Wißbegierde.

Beim Lernen besteht immer die Gefahr, daß man sich in unwichtigen Details verliert, nicht nur an der Grundschule.

(Ich hatte da auch eher den Deutschunterricht im Sinn, was nicht bedeutet, daß man dieses Thema da nicht auch mal anschneiden könnte, aber es paßt eher in den Schönschreibunterricht, wenn es den denn noch gibt.)

Wir haben in der Grundschule vom weichen und vom harten D bzw. T
gehört, aber eine Erklärung, was hier weich und hart denn nun genau bedeutet, haben wir nicht bekommen. (Die ergibt sich intuitiv aus der Aussprache.) Als ich vor einiger Zeit mal mit einem Rußlanddeutschen darüber sprach, zeigte sich, daß der da eine ganz andere Auffassung von Weichheit oder Härte dieser Buchstaben hatte.

Soweit ich mich erinnern kann wurde das ß bei uns nur ''scharfes S''
genannt, möglicherweise noch Eszett. Alle anderen Bezeichnungen habe ich erst so richtig mitgekriegt, als es mit der Reform losging. Diese Bezeichnungen sind teilweise etwas abfällig, was wohl auch – im Hinblick auf die geplante Abschaffung dieses Buchsabens – durchaus intendiert sein kann.

Ich habe in meiner ganzen Schulzeit weder von Heyse noch von Adelung gehört, wir haben auch keinen ß-Regeln büffeln müssen. Es wurde vielleicht gesagt, daß am Schluß ß steht anstatt doppel-s, aber als ''ausgewachsene'' Regel, die es zu büffeln gälte, habe ich das nie aufgefaßt.

Ich verstehe auch nicht, warum die Regeldarstellung von Herrn Ickler als wesentlich komplizierter als eine Regel, die nur aus einem Satz besteht, anzusehen wäre. Wenn hier dauernd von ''komplizierten'' Regeln gesprochen wird, dann baut sich eine unterschwellige und in der Sache unbegründete Angst vor der ß-Schreibung auf, und es könnte auch hier die Ansicht einreißen, daß man sowas den armen, überforderten Kinderchen nicht antun dürfte.


Kommentar von MG, verfaßt am 26.07.2008 um 13.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7043

| Wir unterschätzen die Neugier durchschnittlich wißbegieriger Grundschulkinder, wenn wir sagen, eine historische Erklärung des ß würde sie verwirren.

Das sicherlich.

| Ich glaube, die fänden es eher witzig, daß es früher üblich war, ein s in die Länge zu ziehen, wenn es weich gesprochen wird.

Diese Aussage bedarf der Korrektur. Die Schreibweise des s (lang oder rund) kodierte nicht den Lautwert des Buchstabens, sondern seine Stellung im Wort. Normalerweise schrieb man das s lang, das runde s stand lediglich am Wortende bzw. an Wortfugen.

In der Schule haben wir und immer darüber ereifert, daß "Trenne nie s-t" für das Wort "Haustier" offenbar nicht galt. Da war sichtlich altes Wissen schon verlorengegangen.

In der Fraktur ist klar, warum man hier s und t trennen darf: Es handelt sich um ein Kompositum, in dem s und t nur zufällig aufeinandertreffen, darum schreibt man das s in diesem Fall auch im Wort rund. Ein etwas konstruiertes, aber gängiges Beispiel, das dies verdeutlicht, ist das Wortpaar "Wach-stube" und "Wachs-tube".


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 24.07.2008 um 12.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7041

Wir unterschätzen die Neugier durchschnittlich wißbegieriger Grundschulkinder, wenn wir sagen, eine historische Erklärung des ß würde sie verwirren.
Ich glaube, die fänden es eher witzig, daß es früher üblich war, ein s in die Länge zu ziehen, wenn es weich gesprochen wird.
Und wenn dann der Lehrer ein langes und ein rundes s nebeneinander an die Tafel schreibt, kommen die Kinder schon von selbst darauf, daß das ein ß ergibt.
Solange natürlich das ß in der Grundschule als "dicke Berta" vorgestellt wird, ist das nicht zu erwarten.

Es hat seinen Charme, der törichten, aber einfach klingenden Heyse-S-Regel eine ebenso einfache, aber keineswegs törichte Adelung-S-Regel entgegenzuhalten.
Die landläufige Formel "nach kurzem Vokal ss, nach langem und Diphthong ß" ist aber gerade deshalb töricht, weil sie zu stark vereinfacht. So einfach ist die S-Schreibung eben sowohl nach Heyse als auch nach Adelung nicht, daß man dafür einen solch einfachen Merksatz bieten könnte, wenn er denn richtig sein soll.

Man muß sich also damit abfinden, für eine kompliziertere Regeldarstellung zu werben, wenn man Adelung vorschlägt. Und man muß sich auch damit abfinden, als Miesmacher und ewiggestriger Quertreiber zu gelten, wenn man die populäre Heyse-Regel für unsinnig erklärt.


Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 24.07.2008 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7040

Zu "Pt", Beitrag 7037

Ein Mobbing-Vorwurf wiegt immer sehr schwer, deshalb äußere ich mich als langjähriger Besucher dieser Seiten dazu. Der Vorwurf ist unberechtigt. "Urs Bärlein" hat in seinem Beitrag 7030 den Sachverhalt sehr treffend zusammengefaßt. Mittels Suchfunktion lassen sich - leider - reichlich Belege für die Richtigkeit seiner Feststellungen finden.



Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 24.07.2008 um 03.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7039

"Leider ist es in der Schule so, wie Pt schreibt (7035) [...]", "Diese Kenntnisse sind aber nicht so weit verbreitet, insbesondere nicht bei Schülern." (#7035) — Nicht alles muß in der Schule gelehrt werden. Erst wenn etwas problematisch ist, muß es diskutiert werden. Und problematisch wurde das ß zum Schreiben erst durch die Reformiererei. Weiß denn jeder, woher die Pünktchen bei den Umlauten gekommen sind? Trotzdem schreiben die Leute sie richtig. Da ich Deutsch lehre, sage ich's den Studenten, zumal ich wegen den oft kaum sichtbaren Kugelschreiberpunkten im Interesse der Lernenden verlange, daß das Umlautzeichen "für die Handschrift am besten zwei parallele Striche" sind, wofür sie ja ohnehin stehen. Eine "gewisse Ähnlichkeit" des ß mit B hilft m. E. gar nicht. Es hat handgeschrieben die Länge des handgeschriebenen f, man beginnt es aber unten, und es setzt von fast ganz oben zu einer 3 an. Daß es ursprünglich mal zwei Buchstaben waren und wie die aussahen, sage ich auch, aber das ist "educational gravy" und trägt nicht zur Lesbarkeit des handgeschriebenen oder gedruckten ß bei. Im deutschen Sprachraum ist beim Reformunsinn jetzt allerdings die Erklärung der Herkunft des ß höchst notwendig.



Kommentar von Pt, verfaßt am 23.07.2008 um 19.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7037

Anzumerken wäre noch, daß das Verhalten einiger Diskutanten hier Herrn Köster gegenüber schon fast als Mobbing aufzufassen ist.
(Aus meiner Sicht ist es definitiv Mobbing.) Mir hat man in der Schule mehrere Spottnamen gegeben, deshalb kann ich seine Haltung nachvollziehen. Ich habe eben wegen dieser Spottnamen lange gebraucht, mich mit dem Konzept des ''nickname'' in Internetforen anzufreunden. Aber so ein Nickname ist besser, als seinen ''Klarnamen'' hier durch den Schmutz ziehen zu lassen.

Die Qualität von Beiträgen gibt niemandem das Recht, die Poster deshalb zu beleidigen. Es gab schon schlimmere Beiträge, die nie zu derartigen Ausfällen geführt haben. In einem Forum mit einem derartig hohem fachlichen Niveau sollte man einen anständigen Umgangston erwarten können. Es gibt sowas wie Nettiquette!


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 23.07.2008 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7036

Leider ist es in der Schule so, wie Pt schreibt (7035); auch ich kann mich nicht erinnern, in meiner Ausbildungszeit jemals etwas vom Wesen/der Herkunft des ß gehört zu haben. Erst als ich mich selbst mit dieser Frage beschäftigte, hatte ich den Zusammenhang schnell recherchiert.
Wenn man z.B. im Font Garamond Kursiv die Buchstabenfolge: Umsch+017F und Umsch+0073 und daneben ein ß - alles z. B. in Schriftgröße 26 - schreibt, sieht man sofort, wie die Wurzeln sind.


Kommentar von Pt, verfaßt am 23.07.2008 um 18.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7035

Zu #7031

''Daß man die Basisbuchstaben beim ß nicht mehr erkennt, wie weiter unten einmal geschrieben wurde (7011), kann ich eigentlich nicht nachvollziehen, in den meisten Fonts sind die Bestandteile sehr schön erkennbar, besonders natürlich in Kursivschrift.''

Wer typographische Kenntnisse besitzt – insbesondere die Kenntnis der unterschiedlichen Typen zur Darstellung des S-Lauts (lang S, rund S) – wird wird dies natürlich nicht nachvollziehen können. Diese Kenntnisse sind aber nicht so weit verbreitet, insbesondere nicht bei Schülern. Das ß hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem B, das liegt näher.


Kommentar von Pt, verfaßt am 23.07.2008 um 18.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7034

Zu #7023:

''... daß die meisten Teilnehmer mehr als eine Beschreibung, nämlich eine Erklärung oder eine besonders einleuchtende Schreibanleitung (sei es für Grundschüler oder für andere) suchen.''

Zumindest einige Teilnehmer hier gehen den Reformern mit ihrer ''Erleichterungspädagogik'' auf den Leim und wollen es (den Schülern oder wen auch immer) noch leichter machen, was dann wieder schwierig wird, wie wir an so zimlich jeder Diskussion über das ß sehen.

Man kann eine Sache nur lernen, wenn man sie (zumindest vorerst) nicht zu tiefgreifend hinterfragt. (Was nicht bedeutet, daß man sie nicht hinterfragen sollte, aber das sollte erst stattfinden, wenn man mit der Sache vertraut ist.)

''In welchem Sinne kann man aber von zwei richtigen Beschreibungen die eine als besser als die andere bezeichnen? Welche Maßstäbe legen Sie dafür an?''

Diese Frage ist schon längst überfällig!

Zu Occams razor:
Dieses Konzept mag für wissenschaftliche Fragestellungen hervorragend geeignet sein, vielleicht auch für die wissenschaftliche Betrachtung von Orthographie. (Wie weit die Reformer damit gekommen sind, ist gerade das, was uns hier zusammenbringt.)

Rechtschreibung hat weniger etwas mit Wissenschaft zu tun, aber sehr viel mit Geschichte und Kultur. Zumindest für letzteres wird es schwer sein, rationale und ''einfachste'' Erklärungen zu finden.

Hier ein passendes (längeres) Zitat aus

Joseph Weizenbaum, Februar 1987

Kurs auf den Eisberg

J. Weizenbaum, Professor für Informatik am MIT in Cambridge/USA u. Mitbegründer des Forums der Informatiker für Frieden und gesellschaftfliche Verantwortung.
(Den Verlag weiß ich leider nicht mehr.)

S.102 bis S.104: Wissenschaftsglaube

''An der Stanford-Universität in Kalifornien fand vor nicht allzu langer Zeit eine Podiumsdiskussion statt. Die Aula war gedrängt voll und als ich nun die Äußerung tat, die Wissenschaft sei nicht die einzige Quelle des Wissens, widerhallte der Saal von einem einstimmigen: "Nein!". Und das von Studenten, und noch von solchen an einer berühmten Universität! Sie können es einfach nicht fassen, daß es außer der modernen Wissenschaft noch andere Quellen gibt und daß auch vor ihren Anfängen vor 300 Jahren schon Aussagen gemacht wurden, die ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren haben. Man denke nur an die Griechen.

Schlimm genug, daß es Studenten sind, deren Blickweite so sehr eingeengt ist; aber noch schlimmer, wenn es Professoren sind!

Aber dieser Glaube, daß die moderne Wissenschaft die einzig verläßliche Quelle des Wissens sei, der sitzt sehr tief. Das Erschreckende daran ist, daß er echt ist und daß viele für ihn kämpfen. Wie weit er verbreitet ist, zeigt sich in der Sprache, wenn man z. B. sagt: "Ich hab' ein Problem mit meiner Ehe!" anstatt: "Meine Frau liebt mich nicht mehr", oder "Ich liebe meine Frau nicht mehr." Das sagt man nicht. Wenn man das Wort Problem braucht, dann schließt das irgendwie ein, daß es sich da um eine Aufgabe handelt, die man lösen könnte, wenn man die richtigen Methoden anwendete: Menschliche Schwierigkeiten werden mit diesem Wort in ein Gebiet verlegt, wo der Glaube an eine mögliche Lösung berechtigt ist. Aber menschliche Probleme sind halt nicht wissenschaftliche, und man kann sie selten oder nie lösen: meistens verwandelt man nur immer ein Problem in ein anderes. Zum Beispiel werde ich mich, wenn mich meine Frau nicht mehr liebt, von ihr scheiden lassen und habe dafür jetzt das Problem der Einsamkeit oder das Problem, eine andere Frau zu finden. Und wenn ich eine gefunden habe, kommen wieder andere Probleme. Aber die Erwartung, daß es eine Lösung gebe, und die Weise, wie dabei vorgeganden wird, rührt vom Glauben an die Wissenschaft her.''

Und weil's so schön ist, hier noch ein weiteres Zitat, das auch auf unsere Situation angewand werden könnte:

S.49,50:

''So ähnlich stelle ich es mir mit dem Wunder vor, das uns noch retten kann. Vielleicht wird es ein Kind sein, eine alte Frau, irgendein einfacher Mensch!

Natürlich könnte man jetzt denken: Wenn da ein Wunder vonnöten ist, setze ich mich bequem zurück und warte halt! Oder ich mache so weiter wie bisher. - Weit gefehlt! Zunächst sollte man sich so verhalten, daß man das Wunder nicht verhindert. Dann ginge man dazu über, den Boden vorzubereiten für das Wunder, bloßes Zuschauen gäbe es da nicht mehr. Und weiter schritte man zu den 'vermessenen' Gedanken, daß man selbst derjenige sein könnte, durch den das Wunder geschieht und das könnte bewirken, daß sich manches verwandelt.''

S.51,52:

''Beifügen möchte ich noch, daß die sogenannte Ohnmacht des einzelnen eine Illusion ist. Vielleicht ist es die gefährlichste Illusion, die ein Mensch überhaupt haben kann.

Gefährlich ist sie deshalb, weil sie sich erfüllen kann: Wenn man an etwas glaubt, kann das Geglaubte Wirklichkeit werden, auch wenn es nicht stimmt; man glaubt, man sei machtlos, und wird dann tatsächlich machtlos. Wir haben Beispiele, die uns beweisen, daß es eine Illusion ist. ...

Ein anderes Beispiel nenne ich, weil ich es nicht für möglich gehalten hätte, daß es sich ausgerechnet in der Bundesrepublik zutragen werde: Als die Volkszählung vorbereitet wurde - ich war damals gerade in Deutschland - gab es Leute, die sagten: "Ich mach' da nicht mit." Nicht etwa, daß diese Leute irgendwie organisiert gewesen wären, zu Gruppen zusammengeschlossen! Es waren einzelne, die einfach Nein sagten. In Amerika scheitern manchmal Pläne daran, daß die Leute nicht mitmachen; aber in einem Land mit dieser ausgesprochenen Tradition des Gehorsams und der Autoritätsgläubigkeit schien das unmöglich. Wir wollen zwar nicht vergessen, daß es früher dort auch Menschen gegeben hat wie die Geschwister Scholl.''

Diese beiden Zitate wollte ich schon seit längerer Zeit hier einstellen, insbesondere das letztere, das es Anlaß zu Hoffnung gibt, daß auch die Sache mit der verunglückten RSR sich einmal in unserem Sinne erledigen läßt/sich in unserem Sinne von selbst erledigen wird, wenn wir uns nur so verhalten, daß dieses Wunder möglich wird. Das geht meines Erachtens aber nicht dadurch, daß wir im Wettbewerb um die einfachste Schreibung mit den Reformern gleichzuziehen versuchen.


Kommentar von Pt, verfaßt am 23.07.2008 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7033

Zu #7020:

Herr Köster, im allgemeinen sollten Quellen mit Quellangaben (hier wäre das eine Adresse) belegt werden. Dies kann auch nicht verboten sein, schon gar nicht im Internet. (Wer seine Sachen ins Internet einstellt, will ja gerade, daß es von anderen gelesen wird. Die Sache mag im ''nichtöffentlichen'' Teil des Internets anders liegen, aber dann hätten sie sie gar nicht erst anführen dürfen.)

Im wissenschaftlichen Schrittum ist das unumgänglich, eine Arbeit, die ihre Quellen nicht angibt, ist wertlos.

Die Quellangaben lasse ich hier auch manchmal weg, weil es teilweise sehr aufwendig ist, diese zu recherchieren, und es im Rahmen meiner Argumentation zweitrangig ist. Ich schreibe hier ja auch keine wissenschaftliche Abhandlung.

Ich denke, daß Sie im Internet zu so ziemlich jedem Thema jede denkbare wie auch undenkbare Meinung finden. Die Aussage, daß im Internet irgend eine (von Ihnen zitierte) Meinung vertreten wird, ist also (zumindest ohne Quellangabe) ohne Belang für die Diskussion hier.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 23.07.2008 um 08.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7032

Noch eine Anmerkung zum Thema der Ligaturen.

Ligaturen im engeren Sinn sind ein Problem des Buchdrucks. Das grundsätzliche Unverständnis gegenüber ästhetischen Gesichtspunkten hat in der Schule bekanntlich auch die Fehlentwicklung der "vereinfachten lateinischen Ausgangsschrift" verursacht, deren Konstruktionsprinzip es ist, aneinanderreihbare unveränderliche Formen zu produzieren, ohne Rüchsicht auf die Leserlichkeit, während frühere Handschriften für manche Buchstabenkombinationen eine gewisse Flexibilität bei der Herstellung der Verbindung erforderten.

Die der vereinfachten Ausgangsschrift unterliegenden Prinzipien scheinen mir ebenso wie die der "RSR" im Widerspruch zum Erziehungsanspruch zu Kreativität, Selbständigkeit u.ä. zu stehen.


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.07.2008 um 23.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7031

Noch ein Wort zu den (geheimnisvollen) Ligaturen:
Das Wort selbst bedeutet Verbindung. Verbunden (gemeinsam gegossen) wurden im Bleisatz die Kegel benachbarter Buchstaben dann, wenn Oberlängen/Unterlängen, speziell bei Schrägschriften, in den Raum des benachbarten Buchstabens ragten. Dieser Fall ist anders als durch gemeinsamen Kegelguß mechanisch nicht lösbar, wenn man unnatürlich große Abstande zwischen den Buchstaben vermeiden will. Das bedeutet zunächst noch nicht zwingend, daß auch die beiden Buchstabenformen verbunden werden. Es entstehen dabei aber so knappe Abstände, daß die Schriftdesigner (tw. auch aus mechanischen Gründen) entsprechende Verbindungen an den engsten Stellen einführten oder sie automatisch entstanden. Aus dieser Druckersicht ist das ß eine Verbindung (Ligatur) zweier s-Buchstaben, nämlich eines (in vielen Fonts nach wie vor auch einzeln vorhandenen) lang-S und eines rund-S, weil die Oberlänge des lang-S in den Raum des rund-S hineinragt, es ist also eine typographische Variante zur Einzelschreibung.

Daß man die Basisbuchstaben beim ß nicht mehr erkennt, wie weiter unten einmal geschrieben wurde (7011), kann ich eigentlich nicht nachvollziehen, in den meisten Fonts sind die Bestandteile sehr schön erkennbar, besonders natürlich in Kursivschrift.

Verbindungen gehören nur dort hin, wo die betreffenden Buchstaben zum selben Wortstamm gehören. An Worttrennfugen wäre eine Verbindung (Ligatur) fehl am Platz.

Bei den modernen elektronischen Fonts gibt es noch mehr Freiheitsgrade. Heute ist der Fachbegriff dafür Kerning und es gibt Fonts, bei denen mehrere Dutzend solcher Kerning-Paare oder -Tripels vorgesehen sind. Das Ziel ist eine harmonische Gestaltung der Zeichenabstände je nach Umgebung.

Als elektronisch Schreibender hat man mehrheitlich keinen Einfluß darauf, ob Ligaturen oder Kerningpaar verwendet werden oder nicht. DTP-Programme erlauben es dem Anwender aber natürlich, die Ligaturverwendung aktiv zu gestalten.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 22.07.2008 um 23.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7030

Herr Köster, es reicht. An Ihren Beiträgen stört mich inzwischen nicht mehr so sehr deren eitle Seichtigkeit und nicht einmal selbst ihr massenhaftes Vorkommen. Mich stört vor allem der völlige Mangel an Selbstachtung, den sie dokumentieren.

Daß weder gutes Zureden noch ernste Verwarnungen und auch Spott nicht an Sie heranreichen, ist nicht nur für mich eine irritierende Erfahrung. Es bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen, sich weiterhin einer für Sie entwürdigenden Wahrnehmung auszusetzen. Nur dürfen Sie sich dann nicht über "Anfeindungen" beschweren: wohlverstanden nicht deshalb, weil das lächerlich wäre, sondern weil es inkonsequent ist. Vielleicht sind Sie ja diesem Argument zugänglich.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 22.07.2008 um 22.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7029

»Nun mag man sich darüber streiten, welchen Wert eine bloße Beschreibung haben mag (schließlich wissen wir doch alle schon, wie man nach Adelung oder Heyse schreibt) [...].«
Ebenso hätte Newton sein Gravitationsgesetz nicht aufstellen müssen, weil die Gegenstände ja auch so nach unten fallen.

Unsere Eszett-Diskussion hier wurde von einem Gastbeitrag über die deutsche s-Schreibung ausgelöst, den ich im Bremer Sprachblog veröffentlicht hatte. Zu diesem Gastbeitrag wiederum sah ich mich veranlaßt, weil einer der Kommentatoren im Sprachblog an der RSR die vermeintliche »Einführung von Logik in die Verwendung von ss bzw. ß« gelobt hatte. Ich wollte daher vor allem nachweisen, daß die Adelungsche s-Schreibung überhaupt eine Logik hat. (Bei dieser Gelegenheit habe ich auch gleich dargelegt, warum ich die Adelungsche s-Schreibung für beser als die Heysesche halte.) Den Ehrgeiz, die Entstehung der traditionellen s-Schreibung zu erklären, hatte ich dabei nicht.

»Lege ich diesen Maßstab zugrunde, frage ich mich, ob bei der ›Icklerschen-Regel‹ die Unterscheidung zwischen ›Einzelbuchstabe‹ und ›typographische Variante‹ nicht überflüssig ist.«
Selbst wenn einem die Bezeichnungen nicht gefallen – in der Sache ist die Unterscheidung zweier Verwendungsweisen des Eszett berechtigt, denn teils steht das Eszett an einer Stelle, an der von der Systematik der deutschen Konsonantenschreibung her ss zu erwarten wäre (wie in Schuß), teils nicht (wie in Straße).

»Neben dem Sonderfall das/daß müßten doch noch die Vorsilbe Miß- und die Nachsilbe -nis behandelt werden.«
In meinem Sprachblog-Beitrag habe ich sowohl den Einzelfall daß als auch die Besonderheit mit dem -nis angesprochen. In Herrn Icklers Hauptregeln der deutschen Orthographie wird -nis in § 3 und daß in § 4 behandelt.
Das Präfix miß- tritt auch in der Variante (Allomorph) misse- auf (nämlich in Missetat und Missetäter). Da die Silbengelenkschreibung ss das Allograph ß für Nichtgelenk-Positionen hat, ergibt sich die Schreibung miß- ganz zwanglos.

»Gibt es eine richtige Beschreibung eines sprachlichen Sachverhalts, die nicht sprachwissenschaftlich ist?«
Ich könnte mir vorstellen, daß man im Schulunterricht aus didaktischen Gründen Regeln verwendet, die als sprachwissenschaftliche Erklärungen nicht befriedigend wären.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 22.07.2008 um 21.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7023

Lieber Herr Konietzko,

wie Sie sagen, geht es Ihnen nur darum, wie man die Adelung-Schreibung "am besten sprachwissenschaftlich beschreibt".
Die Mißverständnisse in dieser erneuten Mammut-Diskussion eines schon so oft und ausführlich behandelten Themas scheinen darauf zu beruhen, daß die meisten Teilnehmer mehr als eine Beschreibung, nämlich eine Erklärung oder eine besonders einleuchtende Schreibanleitung (sei es für Grundschüler oder für andere) suchen.

Nun mag man sich darüber streiten, welchen Wert eine bloße Beschreibung haben mag (schließlich wissen wir doch alle schon, wie man nach Adelung oder Heyse schreibt); dennoch ist dieser Standpunkt vertretbar.

Allerdings bleibt bei Ihnen eine Frage noch offen:
Die Beschreibung eines Sachverhalts ist richtig oder falsch. In welchem Sinne kann man aber von zwei richtigen Beschreibungen die eine als besser als die andere bezeichnen? Welche Maßstäbe legen Sie dafür an?

Mit Ihrem Bezug auf das "Ockhamsche Rasiermesser" geben Sie uns immerhin einen Hinweis. Lege ich diesen Maßstab zugrunde, frage ich mich, ob bei der "Icklerschen-Regel" die Unterscheidung zwischen "Einzelbuchstabe" und "typographische Variante" nicht überflüssig ist. Was bedeutet hierbei überhaupt "Einzelbuchstabe"? Ist an den Gegensatz zum Doppelbuchstaben gedacht, oder ist selbständiger Buchstabe im Gegensatz zur Ligatur gemeint? Mir scheint, daß diese Unterscheidung jedenfalls schon über die bloße Beschreibung hinausgeht und eher erklärenden Charakter hat und die "Ickler-Regel" auch ohne diese Unterscheidung klar genug ist.

Diese "Regel" (Beschreibung) erscheint mir aber noch nicht ganz vollständig. Neben dem Sonderfall das/daß müßten doch noch die Vorsilbe Miß- und die Nachsilbe -nis behandelt werden. Zumindest nicht unproblematisch sind auch die Schreibungen "aus/außen" und "bißchen".

Eine weitere Frage ist die, was Sie mit dem Attribut "sprachwissenschaftlich" eigentlich ausdrücken wollen. Gibt es eine richtige Beschreibung eines sprachlichen Sachverhalts, die nicht sprachwissenschaftlich ist?



Kommentar von N. Bucharin, verfaßt am 22.07.2008 um 21.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7022

„Schon ist im Internet das Wort von der "Gefängnisschrift" gefallen – ich hätte das nicht besser formulieren können.“

Ganz bestimmt nicht. Eine Gefängnisschrift ist nämlich ein Text, der in einem Gefängnis geschrieben wird.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.07.2008 um 20.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7020

Guter Pt,

es ist nicht immer gleich ratsam, jede Quelle mit einer Adresse zu belegen. In diesem Fall hätte ich erst den Urheber schriftlich um Erlaubnis bitten müssen, wozu ich schlicht zu faul war, und es hätte wohl auch wenigstens drei Tage gedauert. So begnügte ich mich in diesem Fall mit der bloßen Erwähnung eines Wortes, das mir sehr treffend schien.


Kommentar von Pt, verfaßt am 22.07.2008 um 20.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7019

Lieber Glasreiniger,

damit machen Sie Ihrem Pseudonym keine Ehre, wenn sie Schüler etwas für äquivalent halten lassen wollen, was nicht wirklich äquivalent ist. Meine ''Sicht'' bezog sich nicht auf die jetzige Situation an den Schulen, sondern ganz generell auf das Erlernen von Rechtschreibung. Ich halte auch nichts davon, ein Problem ''so tief wie möglich zu hängen'', denn das löst das Problem nicht. Es führt nur zu weiterer Verwirrung. Die Reformer haben doch durch eine ähnliche Vorgehensweise – sie wollten die RS vereinfachen – das Problem erst geschaffen.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 22.07.2008 um 19.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7018

Lieber Pt,

Grundschüler brauchen nichts über Ligaturen zu lernen. Für Grundschüler genügt es völlig, wenn sie das ß und Doppel-s für äquivalent halten. Aus der Sicht, die Sie einnehmen, ist die Sache entschieden: Schüler werden auf absehbare Zeit Pseudo-Heyse lernen und nichts anderes (außer natürlich in der Schweiz, wo sie aber auch lernen, das ß als gleichwertig zum Doppel-s zu lesen).

Die einzige Frage, die wir öffnen können, ist die Duldung der Adelung-Schreibweise in der Öffentlichkeit. Dazu muß das Problem so tief wie möglich gehängt werden.


Kommentar von Pt, verfaßt am 22.07.2008 um 19.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7017

Habe ich mich aufgeregt? Das wüßte ich aber!

Das Internet ist weit, Sie sollten zumindest eine entsprechende Adresse angeben, damit auch die anderen wissen, wovon Sie reden.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.07.2008 um 19.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7016

Lieber Pt,

zu Ihrem Schlußsatz: "Wir müssen nicht immer den Reformern mit ihrem Regelwahn auf den Leim gehen!" Das sehe ich doch ganz genauso, bitte regen Sie sich nicht so auf. Wir haben hier eine semantische, dort eine systematische Rechtschreibung. Schon ist im Internet das Wort von der "Gefängnisschrift" gefallen – ich hätte das nicht besser formulieren können.


Kommentar von Pt, verfaßt am 22.07.2008 um 17.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7014

Lieber Herr Köster,

nach dem, was ich in diesem Thread gelesen habe, gab es zuerst die Schreibweise mit Doppel-s. Die beiden s wurden, je nach Schriftart, in denen sie auftauchten, aus unterschiedlichen Formen des s zu einem neuen Zeichen, eben einer Ligatur zusammengefaßt. Ich nehme mal an, daß zu diesem Zeitpunkt diese Ligatur nur als Ersatz für die jeweiligen Doppel-s-Varianten benutzt wurden. Es dürfte dann eine Zeitlang gedauert haben, bis dem ß ein Platz in der Rechtschreibung eingeräumt, seine Verwendung sozusagen '''codifiziert'' wurde. So wurde z. B. der Name des Dorfes, in dem ich wohne, früher (vor 1901?) mit ß am Ende geschrieben, heute steht da nur ein einfaches s (womit die ursprüngiche Bedeutung des Namens orthographisch verschleiert wurde). Natürlich gab es zu jener Zeit entweder noch gar keine Rechtschreibung oder deren mehrere, die dann 1901 in das mündeten, was wir heute als ''klassische'' Rechtschreibung bezeichnen. Die dazwischenliegende Zeitspanne ist die für die Evolution des Gebrauchs dieses Zeichens (seiner Funktion) und seiner graphischen Form (seiner Glyphe?).

Ich bin natürlich KEIN Germanist, ich versuche nur, mich hier mit gesundem Menschenverstand zu behaupten.

Zu Ihrem Beitrag in #7012:

Ich habe mich weiter unten gegen den Gebrauch des Begriffs ''Ligatur'' in der Grundschule gewandt, der für Grundschüler noch sehr viel nichtssagender sein dürfte als Begriffe wie ''Silbengelenk'' oder ''Nichtgelenksposition''. (Mir gefallen alle drei Begriffe nicht so gut, denke aber, daß zumindest ''Silbengelenk'' auch für Grundschüler einsichtig sein dürfte, wenn man Beispiele bringt.

Ich habe auch ohne diese Begriffe schreiben gelernt. Lesen Sie bitte meine Beiträge, dann werden Sie wissen, wie ich mir das Schreibenlernen in der Grundschule vorstelle. Das geht aber nur, wenn sie die einfachste Lösung des ganzen Problems akzeptieren:

Das ß ist ein Buchstabe wie jeder andere Buchstabe auch, nur daß er nicht am Wortanfang vorkommt. (Solche Buchstaben gibt es in anderen Sprachen auch, daher ist das ß diesbezüglich nichts Besonderes.)

So wie man lernen muß, wann ein f und wann ein v (und wann ein ph) zu schreiben ist, so muß gelernt werden, wann ein ß und wann ein Doppel-s zu schreiben ist. Dies geschieht nicht durch Pauken von Regeln, sondern durch die Lektüre von spannender Literatur und eventuell Hinweise auf die richtige Schreibung, falls notwendig. Das genügt für die Grundschule (und wahrscheinlich auch noch für den Rest der Schulzeit).

Wir müssen nicht immer den Reformern mit ihrem Regelwahn auf den Leim gehen!


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.07.2008 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7013

Lieber Pt,

ich würde Ihnen schon gerne folgen, aber bitte sagen Sie mir: Wo hätte sich unsere Eszettschreibung weiterentwickelt? Was, bitte, ist neuerdings interessant, was es früher nicht gegeben hätte? Eine "Weiterentwicklung", ob im positiven oder negativen Sinne, wäre allein Heyse.

So langsam komme ich mir vor wie der dümmste anzunehmende Germanist, der jahrelang um eine Ligatur streitet.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.07.2008 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7012

Lieber Herr Ickler,

weil ich es eben nicht verstehe. Ich versuche mich in die Lage eines Grundschülers zurückzuversetzen, und wenn der von "Silbengelenken" und "Nichtgelenkpositionen" hörte, würde er wohl nur Böhmische Dörfer verstehen. Gut, dies ist ein Erwachsenenforum. Aber das kann doch wohl wirklich kaum ein taugliches Erklärungsmodell sein.


Kommentar von Pt, verfaßt am 22.07.2008 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7011

#7008

Ist es so schwer, Herr Köster, einer Sache auch eine evolutionäre Weiterentwicklung zuzugestehen?

Viele Zeichen (auch Buchstabenzeichen) in vielen Schriftsystemen dürften aus Ligaturen entstanden sein.

Die von Herrn Konietzko in #7006 aufgeführten Zeichen (Ligaturen) sind bis auf das ß noch als Zusammenfassung der einzelnen Zeichen zu erkennen, das ß nicht mehr. Es wurde weiterentwickelt und hat zusätzliche Funktionen übernommen. Auf fl, fi oder ffi kann auch verzichtet werden, auf der Schreibmaschine sowieso, aber auf das ß nicht, selbst was die Reform angeht. Dies, weil es Teil der Rechtschreibung geworden ist, nicht aber die anderen Ligaturen. Wenn Sie LaTeX benutzen, wird da automatisch ff, fl, fi oder ffi gesetzt, nicht aber ß. Eventuell müssen Sie erstgenannte Ligaturen explizit aufheben, wenn Sie korrekte Trennung erhalten oder z.B. die fälschliche Verwendung einer Ligatur bei Wörter wie ''auffangen'' vermeiden wollen.

Das alles ist unabhängig von unserem Problem mit der Reform, die sich so sehr auf das Doppel-s festgelegt hat, daß es wahrscheinlicher ist, daß die restlichen Domänen des ß wohl auch noch fallen werden (siehe die Ankündigung des Rats für deutsche Rechtschreibung, auf seine totale Abschaffung hinzuarbeiten), als daß es über die von Ihnen vorgeschlagene ''Trickserei'' über den Status einer Ligatur – den es meines Erachtens schon seit langem verloren hat, siehe #7006 – wieder als Variante eingeführt werden könnte. (Damit würden wir die Zahl der aus anderen Gründen problematischen Varinaten erhöhen.)

Es ist ganz gut, einen möglichen Weg auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, und ihn nicht vorschnell gehen zu wollen, da nicht immer klar ist, wohin er führt. (So mag es auch dem ß ergangen sein, als es von einer Ligatur zum Buchstaben wurde.)


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 22.07.2008 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7010

Wenn wir die gegenwärtige Funktion des ß beschreiben wollen, führt kein Weg daran vorbei, die Existenz der Schreibungen nach Pseudo-Heyse und der Schweiz auch zu erklären.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2008 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7009

Herr Konietzko trennt völlig richtig die typographische Erklärung (Geschichte) des ß von seiner gegenwärtigen Funktion. Ich habe das auch von Anfang an so gehalten: zwei Hauptfunktionen von ß (Silbengelenk in Nichtgelenk-Position, stimmloses s) und die Ausnahmeregel bei "daß". Was ist denn daran so schwer zu verstehen?


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.07.2008 um 06.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7008

Lieber Glasreiniger,

ich stimme Ihnen vollst zu. Es hilft uns nicht, wenn wir das Eszett mit allerlei Namen belegen, die es gar nicht verdient: Das Eszett ist eine Ligatur, schlußaus.

Ich wäre wirklich sehr dankbar, könnten wir die Adelungsche s-Schreibweise in die Neuzeit retten, ich weiß nicht, wen da im Einzelfall welcher Teufel geritten hat, aber ich halte Heyse auch nicht gleich für den Weltuntergang. Mich stören da andere Details an der Reform schon sehr viel mehr. Und wenn alle für Adelung sind und niemand für Heyse: umso besser.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 21.07.2008 um 21.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7007

Um noch einmal klar zu sagen, warum ich die Auffassung als Ligatur gerade in heutiger Zeit vorziehen möchte: Der Gebrauch von Ligaturen wird nicht durch die Schulorthographie tangiert, er wird nicht in der Schule gelehrt, und es gibt keine staatlichen Vorschriften dazu (na ja, wenige, z.B. gibt es Vorschriften über die Schrifttypen auf Verkehrszeichen).

Wer Ligaturen verwenden möchte, kann dies nach seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen tun, wenn es die Schrifttype hergibt. Die einzige Regel, die dann zu diesem Thema übrig bleibt, ist die, in einem einzelnen Schriftstück konsistent zu bleiben. Damit kann man deutlich besser leben als mit der Pseudo-Heyse-Vorschrift.

Die Schweizer haben die Freiheit, nach ihrem Gusto zu schreiben, die Ösis nach Heyse oder meinetwegen auch nach Pseudo-Heyse. Nur wir, die die Verwendung nach Adelung für die schönere und gebrauchssichere halten, sollen das nicht dürfen? Weil das ß zum Buchstaben mit einem eigenen Glyph für seine Großschreibung "auf"gestiegen ist?


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 21.07.2008 um 20.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7006

Zur erschöpfenden Behandlung eines Schriftzeichens gehört sowohl eine Darstellung seiner Geschichte als auch eine Darstellung seiner gegenwärtigen Funktion. Natürlich sollte man wissen, daß das Eszett als Ligatur entstanden ist, aber zusätzlich muß man sich klarmachen, daß es heute eben nicht mehr wie z.B. die ff-Ligatur in Schiff funktioniert. Das ist übrigens ein recht alter Hut: »In A n t i q u a werdern im allgemeinen folgende Ligaturen gebraucht: ff, fi, fl, ß (das heute aber als e i n Buchstabe empfunden wird).« (Mannheimer Duden von 1954, S. 72)


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 21.07.2008 um 20.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7005

Lieber Herr Konietzko,
jetzt verstehe ich Sie gar nicht mehr.

Wenn man das ß sprachwissenschaftlich erklären will, führt doch kein Weg an der Erklärung als Ligatur vorbei, ebenso wie bei den Umlauten, die doch ebenfalls äquivalent sind zu den (außer Gebrauch gekommenen) Diphthongen ae, oe und ue. Man kann allenfalls Heyses (m.E. verschrobener) Unterscheidung zwischen den lang-s/rund-s- und sz-Formen des ß folgen, die sozusagen Ligaturen aus verschiedenen Bestandteilen je nach Kürze des vorhergehenden Vokals vorsahen. Jeder Nutzer des ß muß die Ersatzdarstellung als Doppel-s irgendwann kennenlernen, damit er z.B. Großschreibungen und Schweizer Zeitschriften lesen kann.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.07.2008 um 19.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7004

Aus alten Zeiten, als es noch kein ß gab und Bibeln noch handgeschrieben wurden und die Auslautverhärtung noch geschrieben wurde, findet man in der Ottheinrich-Bibel von 1430 im Anfang des Mathäus-Evangeliums für das stimmlose s am Wortende häufig die Frakturbuchstaben sz (pisz für bis) und im Wortinneren ss (haisst mit zwei Lang-s für heißt). (Aus der südd. Zeitung v. 10.7.08, Literatur, Beutekunst, der Versteigerung entrissen. Noch bis 10. August in der Bayerischen Staatsbibliothek, München, wiedervereint ausgestellt.)


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 21.07.2008 um 17.37 Uhr   Mail an
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Meine Überlegungen bezogen sich nicht darauf, wie man Schülern am besten die Adelungsche s-Schreibung beibringt. Es ging mir darum, wie man sie am besten sprachwissenschaftlich beschreibt. In der Wissenschaft kommt es nicht darauf an, welche Beschreibung »am einfachsten lehr- und lernbar« (so Herr Mahlmann in #6996) ist, sondern darauf, welche die richtige ist. Warum sollte man einem einzelnen Konsonantenzeichen, das in einer Position steht, in der Konsonantenbuchstaben nicht verdoppelt werden, die Funktion eines ›Statthalters‹ (so Herr Köster in #6975) für einen verdoppelten Konsonantenbuchstaben zuweisen? Didaktisch mag das sinnvoll sein, aber eben nicht sprachwissenschaftlich.

Für Sprachgeschichte habe ich viel übrig. Natürlich trägt die Kenntnis der Sprachgeschichte zum Verständnis der Gegenwartssprache bei. Aber dennoch muß man anerkennen, daß sich die Funktion sprachlicher Einheiten im Zuge des Sprachwandels ändern kann. Das Antiqua-ß ist ursprünglich eine ss-Ligatur. Die Kenntnis dieser Tatsache ist nützlich, um zu verstehen, warum man traditionell Schluß schreibt , wo *Schluss zu erwarten wäre. Das Eszett hat aber in der gegenwärtigen (nichtreformierten) Rechtschreibung noch die weitere Aufgabe, das stimmlose [s] an Stellen zu bezeichnen, wo kein ss zu erwarten ist (etwa in Straße), und fungiert hier als ›Einzelbuchstabe‹ (so Herr Ickler). Die ursprüngliche Funktion des Eszett trägt also zum Verständnis seiner heutigen bei, ist aber nicht mit dieser identisch.


Kommentar von N. Frankfurter, verfaßt am 21.07.2008 um 17.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7002

Apfelweintrinker fragt, ob POSSMANN jetzt nicht POßMANN zu schreiben sei. Nein, denn die Firma heißt Possmann, nicht Poßmann.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.07.2008 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7001

Wenn man auf das hessische "Äppelwoi" die hochdeutsche Lautverschiebung anwendet, kommt "Äpfelwein" heraus, ein Kniefall vor Ausländern.


Kommentar von Apfelweintrinker, verfaßt am 21.07.2008 um 16.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#7000

Heute auf einem Apfelweinfläschchen gesehen:


POSSMANN
Frankfurter
Gespritzter
Äpfelwein


Müßte man das jetzt nicht POßMANN schreiben, wobei das ß hier das auf der Tastatur noch fehlende versale ß ersetzen muß. Sonst sind solche Firmen ja auch immer darauf aus, jedem Neuerung hinterherzulaufen.

Ist die Großschreibung ''Gespritzter'' hier korrekt? Von Äpfelwein habe ich noch nie gehört, höchstens von Apfelwein. Verwenden die wirklich nur Frankfurter Äpfel, was die Bezeichnung suggeriert? (Dann muß dieser Apfelwein wohl stark mit Schwermetallen belastet sein, wenn sie nur Äpfel aus der stark verkehrsbelasteten Stadt Frankfurt verwenden. Aber es dürfte auch nur wenige Apfelbäume in Frankfurt geben!)


Kommentar von Pt, verfaßt am 21.07.2008 um 16.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6999

#6996

Gibt es denn so dringenden Erklärungsbedarf? In meiner ganzen Schulzeit bin weder ich noch andere Schüler jemals auf die Idee gekommen, nach sowas zu fragen. Ich wurde, verspottet, geärgert, fertiggemacht, ''gemobbt'', wie man heute so schön sagt (ev. wurden auch andere gemobbt, ich habe da vieles sicher nicht mitbekommen), und hatte deshalb ganz andere Sorgen. Diejenigen die das taten waren eben damit beschäftigt und kamen schon deshalb nicht auf die Idee, solche Fragen zu stellen, und der Rest hat eben brav seine Zeit abgesessen (und wird sicher froh gewesen sein, daß man nicht auch sie terrorisiert).


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 21.07.2008 um 16.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6998

Wenn die Schweizer schlichtweg jedes nichttrennbare Doppel-S (ß) durch ein trennbares (ss) ersetzen, stimmt's wieder. Und dann sind sie nur konsequent, es auch tatsächlich zu trennen.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 21.07.2008 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6997

Vor dem Kriterium der Trennbarkeit des ss ist weiterhin zu warnen, denn die Schweizer trennen ohne Probleme: Stras-se und beis-sen.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 21.07.2008 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6996

Auch wenn ich hier ein neues Faß aufmache: Wenn die Reformer mit der Umstellung auf Heyse im Sinn gehabt haben sollten, die Verwendung des S der der anderen Konsonanten anzupassen, hätten sie sich dann nicht eher am k und seiner Verdoppelung ck orientieren sollen?
Analog dazu, daß das Doppel-K unabhängig von seiner Stellung immer ck geschrieben wird, hätte also das Doppel-S unabhängig von seiner Stellung stets zum ß werden müssen.
der Sack - die Säcke
das Faß - die Fäßer

Andererseits kann man einwenden, daß die Reformer im Wissen eben darum dem ck seine Eigenschaft als Doppel-K möglichst versagen wollten und ihm praktisch als Rache dafür, daß es ihrem Konzept mit dem S zuwiderlief, die Trennbarkeit entzogen.

Im übrigen halte ich den Erklärungsansatz, daß das ß ein verschmolzenes, mithin untrennbares Doppel-S ist, noch immer für am einfachsten lehr- und lernbar. Das bedeutet tatsächlich, daß es in einem "ursprünglichen" Text kein ß gibt, sondern daß es erst als Doppel-S-Variante eingebaut wird, aber darin kann ich keinen Nachteil sehen.
Und warum eine Erklärung verwirren soll, die auf Vergangenes und auf Entwicklungen verweist, kann icht nicht nachvollziehen. Es gibt eben Dinge, die historisch gewachsen sind, und die erklärt man auch am besten aus der Geschichte heraus.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 21.07.2008 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6993

Bezeichnenderweise ist schon der erste Satz in diesem völlig überflüssigen Kommentar von Herrn Sönke grob falsch: "Vor kurzem wurde im Deutschen ein Buchstabe eingeführt, den niemand vermisst hat..."

Unicode ist keineswegs "im Deutschen".


Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.07.2008 um 22.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6991

ß und ss bei Franz Kafka: Ausführliches zu Franz Kafkas Rechtschreibung findet man bei Googel mit dem Suchwort "Pragismen" unter "M. Nekula: Franz Kafkas Deutsch". (Nichts bei Wikipedia)


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 20.07.2008 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6990

Lieber Herr Ickler,

wo ich gerade ihr "schief gehaltenes" attributivisch gebraucht lese, möchte ich Ihnen einmal eine Frage stellen, weil ich da an Sie denken mußte: Jever bringt Papiertellerunterlagen heraus, auf denen steht: "Das frisch gezapfte vom" – man lese und staune!: "Faß". Kleinschreibung finde ich hier absolut in Ordnung, weil sie elliptisch gemeint ist. Mir klingt noch ihr "vielgeliebtes" im Ohr nach: Hätten Sie das auch so oder anders geschrieben?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2008 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6988

Es versteht sich, daß ich Herrn Konietzko in allen Punkten zustimme. Wie wenig "Systematik" um ihrer selbst willen gilt, zeigt ja auch z. B. das Arabische, das für jeden Buchstaben in der Regel vier Allographe bereithält, je nach Position am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Wortes und dann noch in isolierter Stellung. Man kann darauf hinweisen, daß orthographisch geschriebene Wörter eine bestimmte "Physiognomie" haben, die ihre schnelle Identifikation erleichtert. Unter erschwerten Bedingungen (schief gehaltene oder auf dem Kopf stehende Seiten, schlechte Beleuchtung) erlebt man das ganz anschaulich.
Die Unterscheidung von "das" und "daß/dass" bleibt in jedem Fall eine Ausnahme. Eisenberg hat frühzeitig geltend gemacht, das müsse eigentlich gerade umgekehrt geregelt sein (wegen "das" und dazugehörigem "dessen"). Nun ja, so ist es nun mal, und wir sind ja gut damit gefahren.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 20.07.2008 um 02.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6987

»Schriftgeschichtlich gesehen [...]«
Eben: Geschichtlich. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, daß Herr Scheuermann oder Herr Köster eine Aussage über einen historischen Vorgang machen wollten.

Es muß möglich sein, die Adelungsche s-Schreibung aus sich heraus zu beschreiben, also ohne Rückgriff auf die historisch vorgängige ß-lose Schreibweise. Und für diesen Zweck scheint mir Herrn Icklers Darstellung am überzeugendsten.


Kommentar von R. M., verfaßt am 20.07.2008 um 01.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6986

Schriftgeschichtlich gesehen ist die lateinische Schrift ohne ß der Normalfall, die Einsetzung des Antiqua-ß stellvertretend für das Fraktur-ß der (spätere, nie uneingeschränkt durchgesetzte) Sonderfall. Mit der Schweiz hat das nur am Rande etwas zu tun (siehe Kafka).


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 20.07.2008 um 00.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6985

Lieber Herr Köster, Ihre Regel geht von der schweizerischen s-Schreibung aus. Wolfgang Scheuermann formuliert die Ersetzungsregel auf seiner Eszett-Seite wie folgt:
»›ß‹ ist zu schreiben, wenn ss nicht getrennt werden kann oder darf!«
Das setzt voraus, daß zunächst einmal alle Wörter in schweizerischer Schreibung vorliegen, also ganz ohne ß. Erst danach kann man alle ss, die nicht in Silbengelenkposition stehen, durch ß ersetzen. Kurz gesagt: Bevor man ein ss durch ein ß ersetzen kann, muß erst einmal ein ss vorhanden sein. Da ich aber gar nicht auf den Gedanken komme, das Wort reißen mit ss zu schreiben, kann ich das (nichtvorhandene) ss beim besten Willen nicht durch ß ersetzen.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 23.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6984

Ob ich aus dem Schweizerischen ableite? Schwerlich vorstellbar, denn ich bin ja nicht in der Schweiz zur Schule gegangen.

In der Tat bin ich aber der Ansicht, nein, das ist sogar objektiv feststellbar, daß Heyse die Deutschen und die Schweizer schriftlich voneinander entfremdet.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 23.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6983

Herrn Kösters Regel leitet die Adelungschen Schreibweisen aus den schweizerischen ab. So muß er z.B. annehmen, ›eigentlich‹ schreibe man Kuss, bewusst, Strasse, aussen, reissen; erst aus diesen Schreibungen läßt er dann die üblichen hervorgehen mittels der Transformationsregel »Ersetze ss in Nichtgelenkposition durch ß«.

Mir ist nicht ganz wohl dabei, sichtbare Strukturen aus unsichtbaren abzuleiten. Wissenschaftler dürfen nicht mehr Entitäten annehmen als nötig (›Ockhams Rasiermesser‹); insbesondere sollten Sprachwissenschaftler möglichst von den tatsächlich beobachtbaren Äußerungen ausgehen. Woher weiß ich denn, daß das ß in reißen ›eigentlich‹ ein ss ist?


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 19.07.2008 um 22.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6982

Der von Herrn Konietzko als "gute Entscheidungshilfe für Menschen in Schreibschwierigkeiten" bezeichnete Satz ist nach meinem Dafürhalten bestens geeignet, den korrekten Gebrauch nach Adelung zu beschreiben. Vor allem eröffnet diese Sicht die Möglichkeit, das ß-Problem weniger hoch zu hängen und trotzdem in unserem Sinn einen Fortschritt zu ermöglichen. Das ß hat somit mit der Länge des vorhergehenden Vokals nichts direkt zu tun. Die Ersetzung des Doppel-s findet nur in zwei Fällen nicht statt, die genannte Silbengelenksposition bei zweisilbigen Wortstämmen mit kurzvokaliger erster Silbe, und an Zusammensetzungsfugen.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 21.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6981

Herr Köster, Sie wollen, wenn ich recht verstehe, die traditionelle Verwendung des Eszett mit einer einzigen Regel beschreiben, die man etwa so formulieren könnte: »Wenn ss sich nicht in Silbengelenkposition (d.h. nach einem betonten kurzen und vor einem unbetonten Vokal) befindet, zieht man es zu ß zusammen.« (Sie würden wohl eher sagen: »Wenn ss nicht trennbar ist, . . .«, aber das läuft aufs gleiche hinaus.)

Dieser Satz ist vermutlich eine gute praktische Entscheidungshilfe für Menschen in Schreibschwierigkeiten, aber als sprachwissenschaftliche Beschreibung meines Erachtens nicht überzeugend.

In der Tat kann man das ß in Kuß als ›Zusammenziehung‹ (Allograph) von ss verstehen, denn es steht in einer Position, in der man einen verdoppelten Konsonantenbuchstaben erwarten könnte:
Suff
Null
dumm
krumm
stumm
Butt
Schutt

Das ß in reißen hingegen steht in einer Position, in der Konsonantenbuchstaben nicht verdoppelt werden:
reiben
reifen
Reigen
streiken
Seilen
reimen
weinen
reiten
Daher leuchtet es mir nicht ein, das ß hier als ›Zusammenziehung‹ von ss zu erklären. Ich bleibe also bei Herrn Icklers Eszett-Regeln, wie ich sie hier schon mehrmals zitiert habe.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 20.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6980

Lieber Herr Konietzko,

beinahe hätte ich es vergessen: Ihr Schluß, das Adelungsche Eszett efülle mehr Aufgaben als das Heysesche, kann so nicht stimmen, denn die Schreibweise nach Adelung erfüllt nur einen Zweck: "ss", wo möglich, zu "ß" zusammenzufassen. Heyse lehnt sich da schon sehr viel weiter aus dem Fenster. Wenigstens diesem Teil Ihres Aufsatzes widerspreche ich.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 19.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6979

Herr Konietzko: "Allographe sind Varianten eines Graphems". Gut, dann lag hier mein Irrtum. Ich hatte aber von vornherein auf Ihr Wissen vertraut. Wie ist das eigentlich alles möglich, wo Sie, glaubt man einer Bio im Internet, erst zarte zwanzig Lenze zählen? Ich zeige mich wirklich sehr beeindruckt, und Sie wissen, daß ich Ihre Texte, wo immer ich sie im Internet finde, sehr gern lese.

Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie wollten einem Grundschüler erklären, was ein "Allograph" ist, und schlagen Sie von da den Bogen zum Eszett. Könnte eine interessante Unterrichtsstunde werden? :)

Ph.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 19.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6978

Im Metzler Lexikon Sprache wird der von Germanist erwähnte Wechsel zwischen den beiden Formen des griechischen Sigma als Beispiel für kombinatorische Allographie genannt (neben dem Wechsel zwischen den beiden s-Formen der Fraktur).

Allographe sind Varianten eines Graphems. Wenn es von der Umgebung abhängt, welche Variante man auswählt, dann spricht man von kombinatorischen Allographen. Die Auswahl zwischen ss und dem traditionellen Schluß-ß hängt von der Umgebung ab (zwischen einem betonten Kurzvokal und einem unbetonten Vokal – also in Silbengelenkposition – steht ss, in allen anderen Umgebungen ß). Folglich haben wir es bei ss und dem Schluß-ß mit kombinatorischen Allographen zu tun.

Daß man das ss in hassen trennen kann, beruht gerade auf der Tatsache, daß es sich um ein Silbengelenk handelt.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.07.2008 um 18.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6977

Das Griechische (Alt- und Neu-) hat zwei verschiedene kleine s, das eine am Anfang und in der Mitte eines Wortes und das andere am Ende eines Wortes.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 18.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6976

Das lateinische a und das griechische Alpha sind keine Allographe. Sie gehören ja zu unterschiedlichen Schriftsystemen.

Paradebeispiele für kombinatorische Allographe sind das lange und das runde s der Fraktur.
Haus – HäuSer (hier soll S für langes s stehen)
Faß – Fässer
Warum sollte der Wechsel zwischen langem und rundem s ein Beispiel für kombinatorische Allographie sein, nicht aber der zwischen ss und ß?

»[D]as Eszett ist nach meinem Dafürhalten eben gerade kein Allograph, sondern schlicht ein Statthalter für das nichttrennbare ›ss‹.«
Aber genau daraus würde folgen, daß Eszett ein kombinatorisches Allograph von ss ist.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6975

Lieber Herr Konietzko,

ich habe inzwischen den Begriff "Allograph" in der Wikipedia und im Brockhaus nachgeschlagen, und da ist die Rede von a und alpha, die zwei unterschiedlichen Sprachen und Schriften entstammen, aber, abseits aller möglichen Unterschiede, in etwa gleich klingen und dieselbe Funktion erfüllen. Nun will ich Ihrer und Herrn Icklers Dialektik nicht widersprechen, Sie verstehen gewiß mehr von der Materie als ich, aber das Eszett ist nach meinem Dafürhalten eben gerade kein Allograph, sondern schlicht ein Statthalter für das nichttrennbare "ss". Diesem "Allograph", wenn es denn einer wäre, kommt keine eigene Regel, Besonderheit oder Aussprache zu.

Am meisten hölfe es uns, würden wir das Eszett als das betrachten, was es wirklich ist: eine graphische Weiterentwicklung unserer Schrift, abseits allen sprachwissenschaftlichen Brimboriums.

Grüße
Ph.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 17.44 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6974

Pt schreibt in #6969: »Der Begriff Allograph bezieht sich natürlich nicht nur auf den Buchstaben ß. Es gibt auch typographische Varianten der Buchstaben a, g, usw.«

Völlig richtig.

ss und das Schluß-ß sind kombinatorische Allographe, denn wann man was verwendet, hängt von der Umgebung ab (ss im Silbengelenk, sonst ß).

Die typographischen Varianten der Buchstaben a und g hingegen sind freie oder fakultative Allographe, denn man sollte sich innerhalb eines Textes jeweils für eine der beiden Formen entscheiden und nicht je nach Umgebung mal die eine, mal die andere verwenden.


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6973

Sehr geehrter Herr Köster, lesen Sie bitte auch diesen Beitrag:

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1032#12657

Wollen Sie Menschen eine Orthographie ''gestalten'' lassen, die zu den von Frau Pfeiffer-Stolz dargelegten Methoden greifen, um ihre Ziele zu erreichen? Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen!


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6972

@Philip Köster, #6952

''die Aussage, das Eszett sei kein Buchstabe, ist eine Pfennigfuchserei für Typographen, die Schülern nicht hilft. Das stimmt. So geistern die unterschiedlichsten Begriffe im Internet herum: "Ligatur" (wohl noch der beste), "Allograph" (fragwürdig), "Sonderzeichen" (laienhaft pseudoinformatisch), "Glyphe" (nun aber für echte Informatiker) oder "antiker deutscher Sonderweg" (Deutschfeindlichkeit für Deutsche).''

Ich sehe nicht, was am Begriff ''Sonderzeichen'' als ''laienhaft pseudoinformatisch'' anzusehen ist. (Im Zweifelsfall wäre es diesbezügliche (Informatik) deutsche Fachteminologie)


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6971

@Philip Köster, #6952

''die Aussage, das Eszett sei kein Buchstabe, ist eine Pfennigfuchserei für Typographen, die Schülern nicht hilft. Das stimmt. So geistern die unterschiedlichsten Begriffe im Internet herum: "Ligatur" (wohl noch der beste), "Allograph" (fragwürdig), "Sonderzeichen" (laienhaft pseudoinformatisch), "Glyphe" (nun aber für echte Informatiker) oder "antiker deutscher Sonderweg" (Deutschfeindlichkeit für Deutsche).''

Ich sehe nicht, was am Begriff ''Sonderzeichen'' als ''laienhaft pseudoinformatisch'' anzusehen ist. (Im Zweifelsfall wäre es diesbezügliche (Informatik) deutsche Fachteminologie)


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 17.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6970

''Haben Sie sich einmal mit einer Gymnasiastin unterhalten, der erklärt wurde, die Rechtschreibung würde nunmehr zum drittenmal umgekippt? Ich habe es getan und werde diesen Gesichtsausdruck nicht mehr vergessen. Klar, Schüler wurden zur Geisel genommen – geschenkt. Mich interessiert aber nicht mehr die Vergangenheit, ich wünsche mir endlich wieder eine einheitliche Orthographie, mit der sowohl Schüler als auch Schriftsteller zufrieden sind. Das Eszett mag mir da als Bauernopfer dienen, auch wenn ich Heyse nicht befürworte. Wenn niemand über seinen Schatten springt, können wir gar nichts erreichen – dann bleiben die Dinge so, wie sie jetzt liegen.''

Glauben Sie, Herr Köster, daß in der Schweiz der Geßlerhut immer noch auf der Stange steckt, auch heute noch, nachdem Wilhelm Tell ''die Sache bereinigt'' hat! Die Leute werden wohl mit Freuden die Stange gekippt und mit dem Hut sonstwas gemacht haben.

Ihre Gymnasiastin mag sauer dreingeschaut haben, aber Sie hätten Ihr ja erklären können, daß sie ausgenutzt worden ist, daß sie unsinnige Dinge gelernt hat, Dinge, die später das Verständnis erschweren, die sie von ihrer Sprach- und Schreibtradition abschneidet (Da fällt mir die Bezeichnung ''abgeschnittenes Kind'' aus dem Goldnen Kompaß ein, ein sehr sehenswerter Film, dessen Titel ich hier mal eigenmächtig in guter Rechtschreibung (schon vergessen?) wiedergebe. Das Buch ist auch sehr lesenswert, differiert auch in vielen Details vom Film, ist aber leider in Reformschrieb, weswegen ich es nicht gekauft habe.)
Sie hätten ihr auch sagen können – und ich glaube, da kann ich für alle Reformgegner sprechen – daß keiner von uns vorhat, sie klassische Regeln pauken zu lassen, falls es zu einer Rücknahme kommt. Wir haben Verständnis für ihr Probleme. Sie hätten Sie auch auf die Probleme aufmerksam machen sollen, die Leute, die mit klassischer RS aufgewachsen sind, mit der Reform haben. Die Sache ist ja nicht eingleisig, sondern wirkt symmetrisch nach beiden Seiten. Das wird leider auch von vielen Reformgegnern übersehen. Vielleicht würde sie dann eher erkennen, daß sie mißbraucht wurde.

Wollen sie die Schüler in Geiselhaft belassen.

Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit. Auch eine Binsenweisheit. Man muß die Vergangenheit zumindest kennen, wenn man in der Zukunft nicht die gleichen Fehler machen will. Genau das haben die Reformer ja getan, als sie Heyse wieder exhumierten. Wieviele Tode muß der noch sterben? Infinite Todesstrafe? Klinisch Tod, Reanimation, klinisch Tod, ad infinitum? Müssen wir wissenlich Fehler immer und immer wiederholen?

Kinder und Jugendliche wollen ernstgenommen werden, und wenn Sie sich die Mühe geben, die Hintergründe faszinierend zu erklären, dann dann wird vielleicht aus der sauren Miene echte Begeisterung für unsere Sache.

Lesen Sie bitte die entsprechenden Beiträge von Frau Pfeiffer-Stolz, in denen dargelegt wird, warum es ohne die Abschaffung des Geßlerhuts kein Ende der Reform geben wird. (Vielleicht sollte man den Schweizern raten, zu ihren rechtschriftlichen Ursprüngen zurückzukehren, nach dem Desaster der Reform.)

Das Eszet ist ist kein Bauer im Schachspiel der Reform, bei dem es die Reformer sind, die unfair spielen. Es wurde spätenstens durch die Reform zum Symbol für die bessere Rechtschreibung. Es zu opfer hieße, die Reform zu akzeptieren, selbst wenn es ein paar Zugeständnisse auf anderen Gebieten gibt.

Die Dinge werden nicht so bleiben, wie sie jetzt liegen. Schon deshalb, weil die Reformer weitere Reformen beabsichtigen. Oder glauben Sie, daß jemand, der soviel Mühe auf Täuschung verwendet wie diese, sein Ziel nicht weiter verfolgen wird?


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 16.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6969

@ David Konietzko, #6956

Der Begriff Allograph bezieht sich natürlich nicht nur auf den Buchstaben ß. Es gibt auch typographische Varianten der Buchstaben a, g, usw.

''Durch die Reform ist die Behandlung des ss an die anderer Silbengelenkschreibungen angeglichen worden. Deshalb kann man meines Erachtens die Heysesche s-Schreibung als eine Systematisierung gegenüber der Adelungschen bezeichnen.''

Es stellt sich dabei die Frage, wie weit man eine ''Systematisierung'' treiben soll! Bis dahin, daß wir nur noch CV Silbenstruktur erlauben?

Ein System ist eine kooperierend Menge von Teilsystemen, die einzelnen Teilsysteme können, müssen aber nicht gleich sein. Wie weit die einzelnen Teilsysteme aneinander angeglichen werden müssen/können/sollen dürfte zumeist/u. a. auch eine Frage des Finetuning (schreibt man das so?) der (intendierten) Systemleistung sein. Oh, jetzt erst sehe ich, daß sie ganz in meinem Sinne weiterargumentieren.


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6968

''– Die Schreibweise kennzeichnet den phonemischen Unterschied zwischen "Fuß" und "Fluß" ("Fluss"). Auch der hier schon gehörte Einwand, was solle ein Vorleser mit dem Wissen um die Aussprache eines Wortes anfangen, das er nicht kennt, ist ein schwaches Argument: jeder Vorleser ist dankbar, wenn er auch ohne weitere Kenntnisse einen deutschen Text weitgehend fehlerfrei vorlesen kann.''

Ein geübter Vorleser/Leser liest Wortbilder (ist doch offensichtlich, wenn Sie sich beim Lesen selbst beobachten), nur der Anfänger pickt Buchstabe für Buchstabe auf. Der phonemische Unterschied ist dafür völlig unerheblich. (In der Stenographie gilt ß=ss, i=ie, ai=ei und ä=e in manchen Kontexten, und die kann man auch lesen.) Das i in ''dir'' und anderen Wörter wird auch lang ausgesprochen, aber schriftlich nicht markiert (da hatte ich in der Grundschule einige Schwierigkeiten und mache zuweilen auch heute noch Fehler, die ich aber zumeist sofort erkenne.)

Auch hier wieder, das vermeintliche Entgegenkommen durch ''Vereinfachung'' der Orthographie hält die Schüler im Zustand der Unsicherheit. Er versucht Merkmale zu erkennen, die aus regionalen und sonstigen Gründen nicht distinktiv sind. Auch das wurde hier in diesem Zusammenhang schon mehr als genug dargelegt.

Warum soll ein des Deutschen nicht Mächtiger deutsche Texte vorlesen wollen, und warum wollen Sie einen solchen doch recht unwahrscheinlichen Fall durch eine teuere und ansonsten nutzlose Reform unterstützen? Ein Vergnügen wird's wohl für niemanden sein, weder für den Vorleser, noch für den nichtmuttersprachlichen Zuhörer, der dann zudem noch falsche Aussprache hört, und schon gar nicht für den Muttersprachler. (Als ob ein Blinder mit Blinden über Farben philosophieren würde!) Offenbar muß alles mal gesagt werden, auch das Offensichtliche!

Türkisch, z. B. hat einer recht eindeutige Zuordnung von Zeichen zu Lauten. Ich denke aber nicht, daß man gutes Türkisch zuwegebringen würde, wenn ein Vorleser ohne weitere Kenntnisse – nein! – Fertigkeiten in bezug auf die Betonung, Vokalharmonie, Konsonantenassimilation, etc einen türkischen Text vorlesen müßte.

Ähnliches gilt fürs Französische, wo oft – regelhaft – mehrere Zeichen einen Laut bezeichnen.

Die Frage/Aussage, ob jemand nach Heyse oder Adelung schreibt, und die Antwort darauf, die hatten wir schon mal. Aber das ist bereits etwas länger her! Da sieht man wieder einmal wie uns die Reform in die Vergangenheit stürzt. Ich denke, das hätten wir seit 1902 überwunden. (Siehe hierzu auch das Stichwort Dollosches Gesetz!)



Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 15.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6967

''Ich bin mir auch nicht sicher, ob Fehler wie "das Haus, dass da steht", eins der Lieblingsargumente Herrn Icklers, ein starkes Argument ist, denn ich begehe bis heute genau Fehler dieser Art auch nach Adelung. Natürlich sehe ich sie dann, wenn ich mich selbst korrekturlese, aber sie rutschen mir doch gelegentlich durch.''

Sie müssen bedenken, daß Sie nach 10 bzw. 12 Jahren RSR auch eine Überprägung der klassischen Wortbilder durch den freiwillig oder zwangsweise gelesenen Deformschrieb haben. Genau diese Überprägung ist ja die Deform (auch wenn ich das Wort ''Prägung'' hier etwas im Widerspruch zu meinem Gebrauch im meinem letzten vorigen Eintrag gebrauche.)

Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindergartenzeit? Sicher haben Sie damals auch ein Förmchen genommen und es mal mit der Oberseite in den Sand gedrückt (man kann es auch mit Sand füllen und dann Sandkuchen ''backen''). Sie werden sich villeicht über den schönen negativen Abdruck im Sand gefreut haben. Wenn sie jetzt ein weiteres Förmchen mit einer anders geformten Oberseite auf den Einprägung des ersten Förmchens im Sand drücken, zerstören sie diesen Abdruck, diese Prägung. Wenn Sie nur wenig Sand darunter hatten, wird sich der Abdruck des zweiten Förmchens vielleicht nicht so richtig abzeichnen, aber der erste Abdruck ist zerstört. Wenn genügend Sand darunter ist, wird sich der zweite Abdruck deutlich abzeichnen, wenn Sie nur fest genug draufgedrückt haben, aber etwas tiefer als der erste Abdruck. Analog könnte es mit der Reform sein.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 15.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6966

Lieber Pt,

ich muß wohl erst Herrn Konietzko antworten, denn wir mir scheint, habe ich da einen Graben aufgerissen.

Damit Sie mich aber bitte nicht falsch verstehen, ich gebe mir ja Mühe, als Hobbygermanist auch ein wenig die sprachliche Entwicklung im Internet unkommentiert, manchmal auch kommentiert, zu verfolgen: Es gibt tatsächlich Stimmen in Deutschland, wohl meist eher der linksradikalen oder vehement linken Szene zuzuordnend, die Umlaute und das Eszett seien Teufelswerk (und wohl auch das Komma), quasi eine Hinterlassenschaft der Nazis. Das ist an geschichtlicher Kurzsichtigkeit kaum noch zu überbieten. Als ich also von "Deutschfeindlichkeit für Deutsche" schrieb, hatte ich genau jene Gruppe im Hinterkopf, keineswegs aber Teilnehmer dieses Forums, insofern kann da nichts beleidigend gewesen sein, weil es nicht so gemeint war.

Gruß
Ph.


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 15.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6965

@Philip Köster, #6952

''Die von mir vorgeschlagene Regel mit dem "nicht kann" und "nicht darf" ist nicht von mir; vielleicht hätte ich bezeiten die Quelle nennen sollen: es war die Eszett-Seite (leicht zu ergoogeln). Ich finde diese Regel gut, weil sie – wenn vielleicht auch nur einem Erwachsenen – die Sache aufs kürzeste treffend verknappt.''

Sie meinen die auf der Trennbarkeit basierende ß-Regel? Ich glaube, ich weiß welche Eszett-Seite sie meinen, ich habe sie mir mal vor längerer Zeit ausgedruckt. An manchen Stellen scheinen mir die Schlüsse, die da gezogen werden, doch sehr fraglich.

Auch die meisten Erwachsenen dürften nicht so firm in den Trennregeln sein. Noch einmal, lesen Sie bitte die Beiträge von Frau Pfeiffer-Stolz zum scharfen S, auch wenn diese schon etwas weiter zurückliegen.
Man lernt schreiben nicht durch die kleinliche Anwendung von Regeln, und auch Erwachsene werden beim Schreiben in den seltensten Fallen bewußt Regeln rekapitulieren, sondern intuitiv schreiben und trennen.
(Es sind die Reformer, die ihren Anhängern die häufige Konsultation von Worterbüchern abverlangen.) Deswegen müssen die Regeln der Intuition folgen, was letztlich nichts anderes als Deskription bedeutet. Ich fasse Rechschreibregeln letzlich nur als die Codifizierung (ich möchte dieses Wort mit C schreiben) des intuitiven Umgangs mit der Sprache UND der Schriftsprache auf, für diejenigen, die eine Codifizierung benötigen, z. B. Sprachwissenschaftler, und natürlich auch zu Referenzzwecken für Lernende.

''Aber leider hilft diese Regel Schülern nicht, Schreibfehler wie "er ließt ein Buch" zu vermeiden.''

Es ist eine Binsenweisheit, daß man aus Fehlern lernt!

Schüler müssen also erst mal Fehler machen dürfen, damit sie etwas lernen! Sie lernen nicht durch die vermeintlich permanente geistige Präsenz einer Regel, sie lernen, indem sie konsistente Schreibweisen (Schriftbilder) immer und immer wieder in ihrem Umfeld wahrnehmen, vielleicht erstmal oberflächlich, sie machen noch Fehler, aber einmal nehmen sie die Differenz ihrer zur (konsistenten) Umwelt bewußt wahr, vielleicht, weil sie durch Eltern, Kameraden, Lehrer, Vorgesetzte etc. darauf aufmerksam gemacht werden.
Sie können sich dem dann verschließen und trotzig ihren Fehler wiederholen – das dürfte ein Grund für das insistieren gewisser Leute auf Reformschreibung sein, weil man sie früher besserwissersich mit unverständlichen Regeln traktiert hat – oder sie nehmen die Korrektur an, um den Fehler später warscheinlich nie mehr zu wiederholen, weil die korrekte Schreibung nun Teil ihrer Persönlichkeit, letzlich Teil ihres Gehirns geworden ist.
(Abgesehen von z.B. Tippfehlern.)

Wenn Sie (hier durch Regeln) verhindern wollen, daß Schüler Fehler machen, dann ''wollen'' Sie in Wirklichkeit – nicht daß Sie es bewußt darauf anlegen würden – verhindern, daß Schüler lernen!

Wenn ich oben von unverständlichen Regeln sprechen, dann meine ich nicht, daß diese Regeln tatsächlich unverständlich sind, sondern daß der Schüler gerade eine Blockade hat, weil er in der gegebenen Situation überfordert wurde. Das heißt, es nutzt nichts, kleinlich an Regeln herumoptimieren zu wollen, wenn das Erlernen einer Sache nur zu einem kleinen Teil überhaupt von Regeln abhängt. Menschen sind keine Computer, lesen Sie bitte die diesbezüglich Passage einer meiner früheren Einträge.

''Wie ich es mir in der Schule eingeprägt habe? Ich weiß es nicht mehr genau. Vermutlich fand ich "ss am Schluß bringt Verdruß" leicht zu merken, und erst im zweiten Schritt war ich irgendwann in der Lage, "schlußendlich" richtig zu schreiben.''

Hier geben Sie ja selbst zu, daß sie nicht wissen, wie sie es sich eingeprägt haben. Dies würde meine These zumindest stützen. Vielleicht kann man es sich auch gar nicht ''einprägen'', eben weil wirkliches Lernen kein bewußter Vorgang ist. Wer schon mal eine Prüfung gemacht hat, wird das Phänomen kennen, daß man spätestens einige Tage nach der Prüfung vieles wieder vergessen hat. Es kann aber unter Umständen Jahre später aufgrund eines Anstoßes von außen wieder präsent werden. Die von Ihnen zitiert Regel habe ich in der Schule nicht gelernt. (Ich wurde von einem ziemlich ekligen Lehrer, der mir im Nachhinein einen ziemlich gesellschaftsreformatorisch und manipulativen Eindruck macht, darauf hingewiesen, daß man ß am Schluß schreibt, aber mehr nicht. Erst in einem Forum der Reformgegner, vermutlich www.rechtschreibreform.com, las ich, daß dies die übliche Tour war, wie die Reform vorbereitet wurde. Die Schüler sollten sich ja in einer noch nicht reformierten Welt zurechtfinden.

Letztlich habe ich mich um Rechtschreibregeln in der Schule nie wirklich gekümmert, da wir sie einfach nie so richtig gelernt hatten.
Wir bekamen von diesem ekligen Lehrer an verschiedenen Tagen jeweils einen auf verwirrende Art ''patentgefalteten'' (das Wort kenne ich daher) großen Bogen mit vielen numerierten Kästchen, den wir – im Unterricht oder zuhause – durcharbeiten mußten. Viel komplizierter und unübersichtlich präsentierter Stoff auf einmal, mit langen Zugriffszeiten auf ein bestimmtes Kästchen das in dieser Faltung, und anschließend wurden uns die Bögen wieder abgenommen, so daß sie nicht zur – wegen der verwirrenden Faltung sowieso umständlichen – späteren Referenz präsent wären.
Das Ausfüllen der Bögen im Unterricht erspart natürlich Unterrichtsvorbereitung, auch sonst hatte wir bei diesem Lehrer, der unser Klassenlehrer war, nur wenig richtigen Unterricht, haben aber viele Filme gesehen, von denen wir als Hausaufgabe Inhaltsangaben schreiben mußten. Filme zu zeigen erspart natürlich ebenfalls Unterrichtsvorbereitung! Meine Schulzeit war die Hölle!


Kommentar von Pt, verfaßt am 19.07.2008 um 14.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6964

@Philip Köster, #6952

''die Aussage, das Eszett sei kein Buchstabe, ist eine Pfennigfuchserei für Typographen, die Schülern nicht hilft. Das stimmt. So geistern die unterschiedlichsten Begriffe im Internet herum: "Ligatur" (wohl noch der beste), "Allograph" (fragwürdig), "Sonderzeichen" (laienhaft pseudoinformatisch), "Glyphe" (nun aber für echte Informatiker) oder "antiker deutscher Sonderweg" (Deutschfeindlichkeit für Deutsche).''

Sie haben mich noch nicht ganz verstanden, was Ihr durch das ''So'' eingeleitete zweite Satz beweist. (Er impliziert, daß eben weil das ß angeblich (oder nur in der Fachterminologie der Typographen) kein Buchstabe sei, nun die von Ihnen aufgeführten alternativen Begriffe im Internet herumgeistern würden.

Ich mag pragmatische Definitionen, denn durch Definitionen will man Sachen begrifflich ''in den Griff'' bekommen um eine schwierige Sache begreifen zu können (man beachte die identischen Wortstämme).

Das ß ist ein Buchstabe, weil es im Deutschen wie die anderen Buchstaben auch verwendet wird. Daß es nicht am Wortanfang vorkommt, ist dafür unerheblich, das mag in anderen Sprachen bezüglich deren phonotaktischer Regeln auch für die einige der anderen Buchstaben gelten. Buchstaben haben mehr mit der morphologischen Ebene zu tun. (Ich gebe ja zu, daß mich diese Argumentation auf ein Gebiet führt, von dem ich nicht so viel Ahnung habe, und ich bitte die Mitdiskutanten, mir das nachzusehen.)

Davon zu unterscheiden sind die Satzzeichen, deren Verwendung von eine anderen, mehr syntaktisch orientieren Regeln bestimmt wird.

Das Wort ''Glyphe'' habe ich im Zusammenhang mit Themen aus der Informatik (soweit sie sich nicht ausdrücklich auf auf Typogaraphie beziehen, d. h. in Bezug auf das Textsatzsystem TeX und dessen Makropaket LaTeX, aber selbst da bin ich mir nicht sicher) noch nie gehört, und ich denke, daß ich etwas Ahnung von Informatik habe.
Mir scheint ''Glyphe'' ebenfalls ein typographischer Fachbegriff zu sein, vermutlich ebenso wie Allograph. Ihr nächster Begriff ist mit Verlaub beleidigend, er unterstellt uns eine Art (vorsichtig ausgedrückt, um nicht aus gutem Grund in Verruf geratene Wörter benutzen zu müssen) ''nationaler'' Autoimmunerkrankung.

''Ein Zeichen, das so kompliziert dargestellt wird und Anlaß zu so vielen Diskussionen bietet, darf und kann hinterfragt werden.''

Das ß ist keineswegs kompliziert verglichen z. B. mit dem B oder diversen griechischen Zeichen, z. B. dem kleinen Gamma oder dem Xi. Russische Zeichen, Hangul und die Zeichen diverser anderer Schriftsysteme, vom chinesischen gar nicht erst zu reden, sind sehr viel schwieriger.

Schauen sie mal in http://www.antimoon.com/forum/t11030.htm rein, da werden u. a. solche Fragen diskutiert.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 13.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6962

schussicher ist zwar besser als schusssicher, aber nicht so elegant und übersichtlich wie schußsicher.

Mit »Lautregulierung« meinen Sie, Herr Köster, wohl die Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen. Hier ist nochmal die ß-Regel (§ 4) aus Herrn Icklers Hauptregeln der deutschen Orthographie (Numerierung von mir):

1. »Das Zeichen ß wird erstens als Einzelbuchstabe zur Wiedergabe des stimmlosen [s] nach langen Vokalen und Diphthongen verwendet, wenn noch ein Vokal folgt; infolge der Stammschreibung auch vor dem t eines Suffixes und am Silbenende: Straße; außen; grüßen, grüßt, Gruß; heißen, heißt

2. »Zweitens wird ß als typographische Variante von ss verwendet, und zwar am Silbenende und vor konsonantisch anlautenden Suffixen: haßt, gehaßt, häßlich, Haß, haßerfüllt (zu hassen).«

3. »Zur Unterscheidung von das schreibt man auch die Konjunktion daß mit ß

Das Kriterium »nach langen Vokalen und Diphthongen« gibt es, wie man sieht, auch in der herkömmlichen Rechtschreibung (Regel 1). Die Reform hat dem Eszett keine neue, zuvor unerhörte Funktion gegeben, sondern die Funktionen 2 und 3 abgeschafft und nur die erste Funktion bestehenlassen.

Ich habe also meiner Meinung nach keinen Fehler gemacht (oder besser gesagt: Herr Ickler hat keinen Fehler gemacht, denn von ihm habe ich ja meine Darstellung übernommen).


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.07.2008 um 12.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6961

Die Heyse-Schreibweise setzt die Abschaffung der alten Drei-Konsonanten-Regel voraus, weil es so viele Wörter mit ß am Ende gibt, viel mehr als mit anderen Doppelkonsonanten. Sonst würde das Erraten von Wortgrenzen zum Glücksspiel; das fällt Grundschulkindern beim Lesenlernen am schwersten.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6960

Lieber Herr Konietzko,

Sie begingen im Bremer Sprachblog einen Fehler: Sie attestierten dem Adelungschen Eszett mehr Funktionen als dem Heyseschen. Da hätte ich am liebsten Ihren ganzen Aufsatz auseinandergepflücktt, habe es aber aus Respekt vor Ihrem hervorragenden Deutsch und Ihrem scharfsinnigen Verstand nicht getan. Das Gegenteil ist der Fall: Das Heysesche Eszett nimmt eine Funktion ein, die das Eszett bis dato gar nicht kannte: die der Lautregulierung. Davor war das Eszett ziemlich unschuldig, der heraufdräuenden Gewitter absolut ungewiß.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 03.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6959

Ja, Herr Konietzko,

deshalb schlug ich ja auch "schussicher" mit zwei s vor. Haben Sie sich einmal mit einer Gymnasiastin unterhalten, der erklärt wurde, die Rechtschreibung würde nunmehr zum drittenmal umgekippt? Ich habe es getan und werde diesen Gesichtsausdruck nicht mehr vergessen. Klar, Schüler wurden zur Geisel genommen – geschenkt. Mich interessiert aber nicht mehr die Vergangenheit, ich wünsche mir endlich wieder eine einheitliche Orthographie, mit der sowohl Schüler als auch Schriftsteller zufrieden sind. Das Eszett mag mir da als Bauernopfer dienen, auch wenn ich Heyse nicht befürworte. Wenn niemand über seinen Schatten springt, können wir gar nichts erreichen – dann bleiben die Dinge so, wie sie jetzt liegen.

Gute Nacht


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 03.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6958

Zusatz zu meinem letzten Beitrag:
In reformierten Texten ist sss laut Herrn Ickler häufiger als alle anderen Verdreifachungen zusammengenommen. Daher ist beim ss ein Allograph für Nichtgelenkpositionen (durch das sich das Problem mit dem leserunfreundlichen sss in Wohlgefallen auflöst: schusssicher –> schußsicher) nötiger als bei den anderen verdoppelten Konsonantenbuchstaben. Die Sonderbehandlung ist also wohlbegründet.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 03.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6957

Lieber Herr Konietzko,

lassen Sie mich im Laufe des Wochenendes ausgeschlafen antworten. Wenn ich Sie mißinterpretiert haben sollte, so wäre das sicherlich mein Irrtum. Manche Ihrer Sätze legten doch, wie es mir schien, Heyse nahe. Aber gut: Mehr dazu später in diesem Theater, in Ordnung?

Grüße
Ph.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 19.07.2008 um 02.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6956

Bitte erklären Sie mir, Herr Köster, weshalb Sie meine Bezeichnung ›Allograph‹ für »fragwürdig« halten. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Dieser Ausdruck bezieht sich nur auf das Schluß-ß wie in Schluß, haßt, nicht jedoch auf den Einzelbuchstaben ß wie in Straße, reißen, reißt.

Ich hege keinerlei Sympathie für Heyse, nicht mal eine vorsichtige.

Traditionell ist ss die einzige Silbengelenkschreibung, die ein kombinatorisches Allograph (nach Herrn Ickler: eine ›typographische Variante‹) für Nichtgelenkpositionen hat:
Fässer – Faß
Schiffe – Schiff
Säcke – Sack
Fälle – Fall
Stämme – Stamm
Männer – Mann
Deppen – Depp
Herren – Herr
Tritte – Tritt
Durch die Reform ist die Behandlung des ss an die anderer Silbengelenkschreibungen angeglichen worden. Deshalb kann man meines Erachtens die Heysesche s-Schreibung als eine Systematisierung gegenüber der Adelungschen bezeichnen. Das ist jedoch überhaupt kein Grund, nach Heyse zu schreiben. Systematik darf kein Selbstzweck sein (nach dem Motto »Wenn ich ein Bein verloren habe, hacke ich mir der Symmetrie zuliebe auch noch das andere ab«). Es kommt auf die Leserfreundlichkeit an, und da schneidet Heyse schlechter ab als Adelung (Mißstand vs. Missstand / Miss-Stand, Meßergebnis vs. Messergebnis, bißchen vs. bisschen). (Außerdem ist Heyse möglicherweise schwerer zu lernen als Adelung; jedenfalls ist keine Erleichterung durch Heyse nachzuweisen. Die Beweislast liegt nicht bei den Verteidigern des Bewährten und historisch Gewachsenen, sondern bei denen, die ihre eigenen Ideen der Sprachgemeinschaft aufgezwungen haben.)

Selbst wenn Heyse besser wäre als Adelung, wäre es nicht Aufgabe des Staates, Heyse durch eine Reform einzuführen. Die Rechtschreibung gehört meiner Meinung nach nicht zum Regelungsbereich des Staates.

Wäre es nicht auch systematischer, alle Verben schwach zu konjugieren? Trotzdem fordert (hoffentlich) niemand eine staatliche Konjugationsreform.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 02.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6955

Um noch zum Thema zurückzufinden: Sollte das große Eszett auch für meine Lieblingsantiqua, die Minion, die schönste Antiqua aller Zeiten, verfügbar sein, werde ich es dankbar annehmen. Braucht man zwar nur alle zweitausend Seiten mal, wie etwa in GESZLERHUT (dann aber bitte auch ein schönes Groß-Eszett in Kapitälchen!), aber kann ja nicht schaden. Den Presserummel darum verstehe ich hingegen nicht.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 00.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6953

Noch ein kurzer Nachtrag dazu, weil es fehlte: Wenn wir Konsonantentripel aus guten Gründen nicht wollen, könnten wir auch die "Schiffahrt"-Regel auf "Schlussatz", mit jeweils nur einem Doppelkonsonanten, anwenden.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2008 um 00.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6952

Lieber Pt,

die Aussage, das Eszett sei kein Buchstabe, ist eine Pfennigfuchserei für Typographen, die Schülern nicht hilft. Das stimmt. So geistern die unterschiedlichsten Begriffe im Internet herum: "Ligatur" (wohl noch der beste), "Allograph" (fragwürdig), "Sonderzeichen" (laienhaft pseudoinformatisch), "Glyphe" (nun aber für echte Informatiker) oder "antiker deutscher Sonderweg" (Deutschfeindlichkeit für Deutsche). Ein Zeichen, das so kompliziert dargestellt wird und Anlaß zu so vielen Diskussionen bietet, darf und kann hinterfragt werden.

Die von mir vorgeschlagene Regel mit dem "nicht kann" und "nicht darf" ist nicht von mir; vielleicht hätte ich bezeiten die Quelle nennen sollen: es war die Eszett-Seite (leicht zu ergoogeln). Ich finde diese Regel gut, weil sie – wenn vielleicht auch nur einem Erwachsenen – die Sache aufs kürzeste treffend verknappt. Aber leider hilft diese Regel Schülern nicht, Schreibfehler wie "er ließt ein Buch" zu vermeiden.

Wie ich es mir in der Schule eingeprägt habe? Ich weiß es nicht mehr genau. Vermutlich fand ich "ss am Schluß bringt Verdruß" leicht zu merken, und erst im zweiten Schritt war ich irgendwann in der Lage, "schlußendlich" richtig zu schreiben.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob Fehler wie "das Haus, dass da steht", eins der Lieblingsargumente Herrn Icklers, ein starkes Argument ist, denn ich begehe bis heute genau Fehler dieser Art auch nach Adelung. Natürlich sehe ich sie dann, wenn ich mich selbst korrekturlese, aber sie rutschen mir doch gelegentlich durch.

Bei Herrn Konietzko meine ich eine vorsichtige Sympathie für Heyse zwischen den Zeilen zu erkennen – nun, das ist diskussionswürdig und keine Gotteslästerung.

Vorteile von Heyse:

– Die Schreibweise kennzeichnet den phonemischen Unterschied zwischen "Fuß" und "Fluß" ("Fluss"). Auch der hier schon gehörte Einwand, was solle ein Vorleser mit dem Wissen um die Aussprache eines Wortes anfangen, das er nicht kennt, ist ein schwaches Argument: jeder Vorleser ist dankbar, wenn er auch ohne weitere Kenntnisse einen deutschen Text weitgehend fehlerfrei vorlesen kann.

Vorteile von Adelung:

– Optisch ansprechenderes Schriftbild, weitaus weniger störendes "ss"-Gewitter.

– Wahrung einer 600jährigen Schrifttradition. (Die Zahl 600 stammt von Herrn Salzburg, ich habe sie nicht verifiziert.)

– Klarere Worttrennung: "Schlußsatz", "Meßergebnis", "Prozeßoptimierung".

– Kein "sss".

Diese Argumente gilt es gegeneinander abzuwägen. Ich bin heute nicht mehr ein so klarer Gegner von Heyse, wie ich es zu Beginn meiner Gegnerschaft gegen die Reform war. Ich schreibe heute hauptsächlich deshalb nach Adelung, weil es eben ein Geßlerhut ist – ich möchte nicht, daß irgendjemand von mir annimmt, ich hätte mich inzwischen mit der Reform abgefunden. Das habe ich nicht. Adelung ist nützlich, um ein eindeutiges Zeichen gegen den staatlich verordneten Schriftabbau zu setzen. In letzter Konsequenz muß ich aber sagen, daß ich schon bereit wäre, auf Adelung zu verzichten, könnte eines Tages ein echter Rechtschreibfrieden erzielt werden.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 15.07.2008 um 18.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6951

Ein paar Klarstellungen: Ich schrieb nicht Schüler, sondern Grundschüler. Man muß nicht alles auf einmal lernen. Das wesentliche Verdienst der Entwicklung Ende des 19. und des 20. Jh. war die Einheitlichkeit, trotz einiger schädlicher Entscheidungen, wie der Ausmerzung des c in Fremdworten und der unsinnigen Verstärkung der Verben auf -ieren. Die Einheitlichkeit ist zerstört und bliebe das auch, wenn man das Verbot der Altschreibungen zurücknähme. Der Umstand, daß die Schweizer sich dem Pseudo-Heyse-Kult verweigern, hat eben auch seine Chance, aber wenn man sie nicht nutzen will ... ?


Kommentar von Pt, verfaßt am 15.07.2008 um 16.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6950

@Glasreiniger: Ich sprach von der ''abfälligen Verwendung des Begriffs "Ligatur"'', und nicht davon, daß die Bezeichnung ''Ligatur'' für das ß abfällig wäre, ein kleiner aber entscheidender Unterschied zu Ihrer Interpretation meiner Aussage. Die korrekte Verwendung des ß wird nie nur ein rein ästhetisches Problem sein, wenn wir optimale Lesbarkeit von Texten als eine von einer Rechtschreibung geforderte Eigenschaft definieren. (Wenn man auf diese Anforderung verzichten würde, dann könnte man die Idee von ''Rechtschreibung'' gleich ganz aufgeben, anderenfalls wäre Rechtschreibung wirklich nur ein Demutsbeweis für die Obrigkeit.)

Übrigens, mein Pseudonym ist ''Pt'' und nicht ''pt''.

Offenbar scheinen wir unterschiedliche Auffassungen von dem zu haben, was als Buchstabe anzusehen ist. Dies wird auch der Grund für das Mißverständnis zwischen Herrn Köster und mir gewesen sein.

Auch hier wieder: Lesen Sie bitte die Beiträge von Frau Pfeiffer-Stolz zum ß. Ich denke, sie sind ein Schlüssel zum wirklichen Verständnis der Problematik.

Das Doppel-s ist das ''Heerbanner'' der Reform, ohne die Wiederherstellung der klassischen Verwendung des ß wird es kein Ende des reformbedingten Unsinns geben.

Lernende brauchen eine konsistene Umgebung, in der ihr Lerngegenstand möglichst IMMER richtig angewendet wird. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mich als Kind einmal die ''eidgenössische'' Schreibung eines Wortes (auf einem Kalender) verunsicherte.

Wenn Sie den Schülern einen freien Wechsel zugestehen, warum soll ein Schüler später diese Freiheit wieder aufgeben wollen? Man könnte darüber diskutieren, in den von Ihnen genannten Fällen keine Fehler anzustreichen, sollte aber doch darauf aufmerksam machen, daß es korrekt mit ß geschieben werden muß.

Viel lesen ist, wie ich unten ausführte, eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für das Beherrschen der Rechtschreibung. Es gibt auch Leute, die wenig lesen, wo sich also keine Schreibsicherheit durch Leseerfahrung einstellen kann.

''Außerdem sind derartige Schreibweisen vor der Stabilisierung im 19. Jh. ja durchaus häufig oder sogar regelmäßig vorgekommen.''

Nun ja, wir werfen den Reformern ja vor, daß diese die Rechtschreibung um 150 oder mehr Jahre zurückgeworfen haben.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 15.07.2008 um 11.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6949

Natürlich fordere ich nicht die Zulassung von "Zulaßung", aber halte das für ein deutlich kleineres Übel als das Verbot von "daß". Ohne das Verbot hat das Bessere eine Chance.

Außerdem sind derartige Schreibweisen vor der Stabilisierung im 19. Jh. ja durchaus häufig oder sogar regelmäßig vorgekommen. Also: Schlimmer als Pseudo-Heyse wäre das bestimmt nicht.


Kommentar von R. M., verfaßt am 15.07.2008 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6948

Das ist nun allerdings auch eine verkürzte Darstellung, denn die Zulassung von Zulaßung soll doch wohl nicht gefordert werden?


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 15.07.2008 um 10.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6947

Sicher, das wußte ich auch. Ich wandte mich nur gegen die verkürzte Darstellung.

Worauf ich aber eigentlich hinauswollte, war, daß die Rückstufung des ß von einem "Buchstaben" zu einer typographischen Variante des Doppel-s den Weg zur Vernunft in diesem Teil des RSR-Unfugs wieder öffnen würde. Insofern mißfällt mir auch die Darstellung im "Ickler". Es ist m.E. völlig problemlos, den Grundschülern den freien Wechsel zwischen beiden Varianten zuzugestehen, bis sich Schreibsicherheit durch Leseerfahrung von selbst einstellt.

Das eigentliche Übel der RSR-Regelung ist weniger, daß Pseudo-Heyse bevorzugt wird, sondern daß die bessere Regel nach Adelung verboten wurde.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.07.2008 um 10.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6946

Lieber Glasreiniger, "Weggabelung" ist kein Beispiel, das gegen meine Behauptung spricht.
"Weggabelung" ist ein zusammengesetztes Hauptwort; hier steht kein Doppel-G, sondern zwei G stehen einfach zufällig beieinander. Sie werden ja auch beide für sich gesprochen, anders als beim richtigen Doppel-G (vgl. "Egge").
So wird auch "aussenden" nicht mit Doppel-S geschrieben, sondern mit zwei einzelnen. In der Fraktur steht dann auch Rund-S vor Lang-S, während das (echte) Doppel-S mit Lang-S vor Rund-S oder mit zwei Lang-S gebildet wird.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 14.07.2008 um 23.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6945

MMs Aussage "Andere Konsonanten kommen nach langen Vokalen oder Diphthongen nicht doppelt vor; das S schon" ist natürlich zu stark vereinfacht, z. B. Weggabelung.

@pt: Die Bezeichnung Ligatur für das ß ist keineswegs abfällig. Sieht man das ß als eine satztechnische Variante des "ss" an, ist seine Verwendung kaum noch ein orthographisches Problem, sondern ein rein ästhetisches oder utilitaristisches. Nehmen wir das Faktum, daß die Schweizer belieben, es kaum (oder nach mancher Leute Ansicht gar nicht) zu verwenden, als gegeben hin.

Das ß ist einerseits nützlich, um dreifache s und überhaupt überlange Konsonantenhaufen zu vermeiden, andererseits kann in den Fällen, wo bei anderen Buchstaben die Verdoppelung zur Kennzeichnung betonter kurzer Vokale oder von Wortfugen notwendig ist, analog das "ss" diese Funktion wieder übernehmen. Somit ist für die Entscheidung zwischen ß und ss kein Rückgriff auf (sowieso zweitrangige) Trennregeln erforderlich.


Kommentar von Pt, verfaßt am 14.07.2008 um 19.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6944

Was meine Anmerkung zur Entstehungsgeschichte des ß anbetrifft, so ging es mir nicht um synchrone und diachrone Sprachwissenschaft, sondern um die Verfahrensweisen, mit dem ein Typograph neue Buchstaben erfindet, konzipiert, plant, designet, etc. Das dürfte aus einem meiner nachfolgenden Beiträge auch ersichtlich sein. Es ging mir rein um den technischen Prozeß des Entwerfens eines Buchstabens.

Ich glaube auch nicht, daß man Sprachwissenschaftler sein muß oder daß die damaligen Typographen Sprachwissenschaftler waren, um ein neues Zeichen entwerfen zu können.

Für die Benutzung eines Autos ist es ja auch unerheblich, welche Teile welcher Vorgängermodelle in das neue Modell übernommen werden und welche neu entworfen werden müssen. Schrifttypen unterschiedlicher Zeichen enthalten gewisse Regelmäßigkeiten, die sie als Teil eines Zeichensatzes auszeichnen. Warum soll nicht auch das ß aus verschiedenen Buchstaben zusammengesetzt werden. Warum soll es damit kein eigenständiger Buchstabe sein? Würden Sie, Herr Köster, die Zeichen für die Umlaute nicht auch als eigenständige Buchstaben ansehen?

(Die abfällige Verwendung des Begriffs ''Ligatur'' für das ß ist mir noch aus einem der Antwortbriefe vom hessischen Kultusminsterium oder vom Bundeskanzleramt in unangenehmer Erinnerung, als ich damals an beide Institutionen Protestbriefe gegen die Rechtschreibreform schrieb.)


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 14.07.2008 um 19.23 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6942

Zu tk in #6931:

Da ich mich nicht gerne am fröhlichen Pseudonyme-Raten beteilige, habe ich das Lieber Pt, in #6897 für eine in die Namenszeile verrutschte Anrede gehalten. Damit will ich auf das Rätselraten auch schon nicht weiter eingehen.

Mal abgesehen von der Frage, ob das die „einfache und weniger fehleranfällige Adelung-Regelung“ ist, an die „Lieber Pt“ dachte (sollen Grundschüler jetzt erst einmal einen Kurs Mittelhochdeutsch belegen?), finde ich auch in gruozen und grüezen kein ss.

Nein, natürlich sollen Grundschüler nicht erst einmal einen Kurs Mittelhochdeutsch belegen. Dafür hat der Lehrer ja (hoffentlich) Germanistik studiert und bringt das entsprechende Wissen mit. Das Problem an der deutschen Sprache ist eben, wahrscheinlich auch sehr zum Unwillen der Reformer, daß sie verhältnismäßig alt ist. Das Wort grüßen und auch das Substantiv Gruß läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Und dort wurde das stimmlose s als z geschrieben. Aus dem z in grüezen und gruoz wurde dann spätestens im 17. Jahrhundert das ß zur Kennzeichnung des stimmlosen s. Ich habe das Wörterbuch von 1616 angeführt, weil es ja sehr anschaulich das ß im Titel führt.

Herr Ickler hat doch auf diesen Seiten schon mehrfach darauf hingewiesen, daß wir es in der Vergangenheit versäumt haben, unterschiedliche Buchstaben für das stimmlose und das stimmhafte s zu reservieren.

Sie dürfen daher das z in grüezen nicht einfach durch ein ss ersetzen, sondern müssen das stimmlose ß einsetzen. Ich nehme einfach noch mal zwei andere Verben, um das zu verdeutlichen. Die beiden Verben reisen und reißen gab es nämlich auch schon im Mittelalter. Das erste Verb hieß dort reisen (sieht aus wie heute) und das zweite rîzen. Wie aus dem Langvokal (î) ein Diphthong (ei) wurde, interessiert uns hier nicht, aber wieder wird das stimmlose s als z dargestellt.

Zum Abschluß noch etwas Literatur? Die erste Aventiure des Nibelungenliedes:

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ír nu wunder hœren sagen.

Ich zitiere nach der 13. Auflage von Bartsch / de Boor, Wiesbaden 1956. Die Hervorhebungen sind von mir.

Sie sehen nun an dem Wort hôchgezîten im dritten Vers (hier noch Feste allgemein), daß es im Mittelalter auch schon zwei Funktionen des z gab: einmal das stimmlose s und dann das, was unserem heutigen z entspricht. Aber das ist nun wieder ein anderes Problem.


Kommentar von Pt, verfaßt am 14.07.2008 um 19.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6941

Zum Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.07.2008 um 11.55 Uhr, #6927

"Ich bezweifle ganz entschieden, daß man Schulkindern nicht begreiflich machen kann, was ein ß ist. Ich glaube auch nicht, daß es sie verwirrt, wenn man es als Ligatur erklärt.
Man kann einen Faden zum runden s biegen und ihn dann an den Enden auseinanderziehen, so daß ein langes s daraus wird. Das ist hinreichend anschaulich - auch für Grundschüler."

Sicher kann man Schulkindern begreiflich machen, was ein ß ist. Es ist nur die Frage, ob schon Grundschulkinder mit fremdsprachlichen Fachbegriffen wie Ligatur bekanntgemacht werden sollen. Ligatur ist schließlich ein ziemlich spezieller Begriff, der im praktischen Leben nicht vorkommt, und damit sollte er für die Grundschule disqualifiziert sein. Natürlich könnte ein Lehrer (bei Interesse oder Nachfrage von Schülern) erklären, daß das ß aus zwei anderen Buchstaben zusammengesetzt ist, könnte die Ausgangsbuchstaben an die Tafel schreiben, so er z. B. Current beherrscht, was aber heutzutage eher selten sein wird. Aber bei solchen Erklärungen dürften viele Kinder schon abschalten.

"Die Adelung-Regel damit zu erklären, daß immer dann, wenn Doppel-S nicht getrennt werden kann oder darf, ß steht (wovon ich in der Schule nie etwas gehört habe), ist sicher treffend und leicht lernbar, verkennt aber, daß das Problem, wann einfaches S und wann Doppel-S steht, dadurch nicht gelöst ist."

Toll, noch jemand, der in der Schule nichts davon gehört hat!

Bei dieser Regel wird die Schwierigkeit auf die Kenntnis von Trennregeln abgewälzt, von deren Beherrschung man aber eher nicht ausgehen sollte, besonders in der Grundschule.

Ich möchte hier auf diesen Beitrag von Frau Pfeiffer-Stolz verweisen, den wir uns zu Herzen nehmen sollten, wenn wir auf hochakademischen Niveau über Schreiben, Rechtschreibung, Schule, Lernen und Verstehen diskutieren.

Auch seien weiter zurückliegende Beiträge zum ß von Frau Pfeiffer-Stolz empfohlen (auch wenn ich schon mal darauf hingewiesen habe).

Die Schulzeit ist begrenzt, Schüler sind nur begrenzt aufnahmebereit.
Es macht auch keinen Spaß, Sachen selbst zu recherchieren, z. B. was Anitqua-Schriften sind, wenn man z. B. im Internet dann mit einem riesigen Wust an hochtheoretischer Fachinformation überschüttet wird, für deren Verständnis man Typographie studiert haben müßte.

Die Rekursionstiefe des menschlichen Geistes ist begrenzt. Wir sind keine Computer, die ein komplexes Schema von Unterprogrammaufrufen abarbeiten könnten, um einem Problem auf dem Grund zu gehen. Wir haben nicht genügend Zeit dafür (Lebenszeit), wir können uns nicht lange genug konzentrieren, werden abgelenkt usw.

Durch allzu hochwissenschaftliche und hochtheoretische Erklärungen werden – besonders schlechtere – Schüler nur verwirrt und schalten ab. Sie beginnen dann das entsprechende Fachgebiet nicht zu mögen.
Man erinnere sich nur an die Diskussion über Mengenlehre in der Grundschule. (Meines Erachtens ist Mengenlehre so wichtig, daß zumindest die anschaulichen Teilbereiche auch schon in der Grundschule gelehrt werden sollten bzw. könnten, auf scharfsinnige mengentheoretische Beweise sollte man dort aber verzichten.)

Für das praktische Leben sind die hier gemachten Ausführungen zum ß größtenteils unerheblich. Wie Frau Pfeiffer-Stolz in ihren Texten ausführt, kommt zuerst das Tun und dann das Verstehen. Tun, das bedeutet hier schreiben und lesen, also das motorische Praktizieren einer Fertigkeit, die damit erst zur Fertigkeit wird.

Wenn man die Diskussion zum ß und seinen Anwendungen hier verfolgt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, daß man hier den Schülern ein (intuitives) Verstehen überhaupt nicht zutraut. Einige hier verstehen nicht, daß Menschen keine Plattenspieler sind, die einen gelesenen Text Buchstaben für Buchstaben in Lautfolgen umwandeln. (Am Anfang des Prozesses des Lesenlernens mag es wohl so erscheinen, wenn ein Kind Buchstaben für Buchstaben durch ein Wort geht – doch selbst das ist mit dem, was ein Plattenspieler tut, nicht zu vergleichen –, aber über diese Anfangsphase sollte man hinwegkommen. Wenn man eine Schreibung für die Probleme des Lesenlernens hin optimiert, dann werden die Kinder nie über diese Stufe hinauskommen.) Es kommt nicht auf kleinliche Unterscheidung von Längen und Kürzen vorangehender Vokale, Silbengelenke, Ligaturen, Trennbarkeit etc. an, sondern vor allem darauf, daß eine Schreibung immer so zu finden ist, wie sie eben ist. Es kommt auf ein unverletztes Rechtschreibkontinuum an. Es kommt auf konsistente Wortbilder an. Daran haben sich die Reformer versündigt.

Als ich in der Grundschule (erste Klasse?) war und uns gesagt wurde, daß manche Wörter mit f und manche mit v geschrieben werden, da kam es mir so vor, als ob das ziemlich mühsam werden würde, das alles zu lernen. Aber dann habe ich nicht mehr daran gedacht, und ich denke, daß ich heute ziemlich sicher darin bin, wann ich ein Wort mir f und wann mir v zu schreiben habe. (Einfache Sachverhalte können auch zu unverständlichen Problemen hochgeredet werden.) So dürfte es auch mit dem ß sein. Es gibt auch nur endlich viele Wörter mit v, f, ph, i, ie, s, ß etc. im Deutschen, und wer nicht Regeln büffelt (man sollte sie vielleicht in der Schule gar nicht so sehr strapazieren), sondern viel liest, der wird mit der Zeit eine intuitive Sicherheit in der korrekten Anwendung der jeweiligen Zeichen, etc. erreichen, ganz ohne Mühen, aber mit viel Freude am Inhalt der gelesenen Hefte, Bücher etc.

Dieser wichtigste Aspekt unserer klassischen Rechtschreibung geht hier leider immer wieder unter.


Kommentar von R. M., verfaßt am 14.07.2008 um 19.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6940

»Da stelle mer ons mal janz domm«, sagte der streng synchronisch arbeitende Sprachwissenschaftler.


Kommentar von Pt, verfaßt am 14.07.2008 um 17.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6939

Ich möchte die Diskutanten hier auf folgende Threads aufmerksam machen, in denen (u. a.) zum Thema diskutiert wird. Ich benutze in beiden Threads das ''Pseudonym'' guest2, um mich von Guest zu unterscheiden.

unique language and national identity

http://www.antimoon.com/forum/t11026.htm

German Reform?

http://www.antimoon.com/forum/p167100.htm#167100


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.07.2008 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6938

Das lange s mag üblicherweise nicht mehr verwandt werden, aber natürlich gibt es das Schriftzeichen noch.
Ich habe neulich erst eine Reportage über den BDM mit Originalaufnahmen von 1938 gesehen, in denen sogar in der Antiqua das lange s gesetzt war (sehr gut zu lesen; ich habe schon an anderer Stelle darüber nachgedacht, daß es sinnvoll wäre, es zu reaktivieren). Und selbst wenn das das allerletzte Mal war, daß das lange s außerhalb der Fraktur vorkam, sind siebzig Jahre keine Zeit, in der ein nicht mehr gebrauchtes Schriftzeichen seine Existenz verliert.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.07.2008 um 16.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6937

Für den synchronischen Schriftforscher ist es abwegig, ein Zeichen (das Antiqua-Eszett) als Ligatur zweier Zeichen (des langen und des runden – ›normalen‹ – s) zu analysieren, deren eines (das lange s) es zum betrachteten Zeitpunkt überhaupt nicht mehr gibt.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.07.2008 um 15.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6936

Herr Konietzko schrieb:
"Herrn Mahlmanns Argument (in #6927)
»Wird nun verneint, daß das ß ein Doppel-S ist, verliert das S gegenüber den anderen Konsonanten seine Besonderheit der Verdoppelung nach nichtkurzem Vokal. Es tritt dann zwar ein neues Problem auf, nämlich daß das S plötzlich in bestimmten Fällen durch einen anderen Buchstaben ersetzt wird, aber eine Problemlösung um den Preis einer Problemschaffung ist ja trotzdem noch eine.«
krankt an der Annahme, es müsse überhaupt eine einheitliche Auffassung für sämtliche traditionellen Verwendungen des Eszett geben."

Die Frage ist wohl eher, ob alle Konsonanten gleich verwandt werden sollen; toleriert man die Sonderstellung des S, akzeptiert man sie, fördert sie oder eben nicht.

Ist das ß nicht eher die Lösung als das Problem? Es gibt nun einmal einen stimmlosen und einen stimmhaften S-Laut. Den Unterschied zu verschriftlichen, ginge auch mit einer anderen Methode (im Niederländischen ist z. B. das z immer stimmhaft und das s immer stimmlos, so daß auch bei der Auslautverhärtung der Buchstabe gewechselt wird (het huis, de huizen)), im Deutschen hat sich eben etabliert, s für den stimmhaften, s, ss oder ß für den stimmlosen S-Laut und z für ts zu gebrauchen.
Der Witz an Ligaturen ist ja gerade, daß hier mehrere Buchstaben zu einem verschmelzen. Daß das dann für die Sprachwissenschaft Probleme aufwirft, ein Phänomen zu beschreiben, ist das Los der Disziplin.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.07.2008 um 14.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6935

Wenn man das Eszett als bloße typographische Variante von ss ansieht, dann muß man in der Tat wie Herr Mahlmann annehmen, daß die Wörter grüßen, außen, Straße ›eigentlich‹ grüssen, aussen, Strasse geschrieben werden, so daß ss anders als alle anderen doppelten Konsonantenbuchstaben auch nach Langvokalen und Diphthongen stehen kann. Aber genau das deutet doch darauf hin, daß die Voraussetzung falsch ist und das Eszett in solchen Wörtern heute als eigener Buchstabe auftritt. Der Gegensatz »Andere Konsonanten kommen nach langen Vokalen oder Diphtongen« (sic) »nicht doppelt vor; das S schon« (so Herr Mahlmann in #6933) ist kein tatsächlicher, sondern bloß ein Artefakt einer bestimmten Theorie.

Daß das Antiqua-Eszett als Ligatur zweier s-Formen entstand, zeigt sich noch am Wechsel ß – ss in Paaren wie Fluß – Flüsse, Kuß – Küsse, wissen – [ihr] wißt. Aber bei grüßen, außen, Straße gibt es keine Flexionsformen oder verwandten Wörter mit ss. Das Eszett wird traditionell 1. als Einzelbuchstabe (wie in außen) und 2. als kombinatorisches Allograph für ss (wie in Fluß) verwendet. (In diesem Zusammenhang verweise ich auf meinen Kommentar #6903.) Nur zum Verständnis der zweiten Funktion ist es dienlich, von der Entstehung des Eszett als Ligatur zu wissen. Herrn Mahlmanns Argument (in #6927)
»Wird nun verneint, daß das ß ein Doppel-S ist, verliert das S gegenüber den anderen Konsonanten seine Besonderheit der Verdoppelung nach nichtkurzem Vokal. Es tritt dann zwar ein neues Problem auf, nämlich daß das S plötzlich in bestimmten Fällen durch einen anderen Buchstaben ersetzt wird, aber eine Problemlösung um den Preis einer Problemschaffung ist ja trotzdem noch eine.«
krankt an der Annahme, es müsse überhaupt eine einheitliche Auffassung für sämtliche traditionellen Verwendungen des Eszett geben.


Kommentar von R. M., verfaßt am 14.07.2008 um 13.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6934

Bei einer Fehde zwischen Jochen Hörisch und Burkhard Müller (nicht identisch mit unserem Freund Müller-Ullrich), die kürzlich einige Feuilleton-Wellchen schlug, ging es unter anderem auch um die Frage, wieviele Buchstaben das lateinische Alphabet umfasse. Das ist keine Frage, die in einem Fernsehquiz gestellt werden darf, weil die richtige Antwort nicht 20 oder 24 oder 26 lautet, sondern kommt drauf an.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.07.2008 um 13.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6933

tk schrieb:
"Schwierig wird es m. E. dadurch, daß anders als bei anderen Konsonanten das S mitunter auch dann verdoppelt wird, wenn es nicht nach kurzem Vokal steht...

Könnten Sie dafür ein Beispiel bringen?"


Das bezog sich auf die Annahme, das ß sei ein Doppel-S (wenn auch in anderer typographischer Gestalt).
Demnach tritt der Fall in jedem Wort auf, das sowohl nach Adelung als auch nach Heyse mit ß geschrieben wird.
Also z. B.: Gruß, Maß, fließen, heißen.
Andere Konsonanten kommen nach langen Vokalen oder Diphtongen nicht doppelt vor; das S schon.


Kommentar von tk, verfaßt am 14.07.2008 um 13.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6932

Herr Mahlmann schrieb:

Diskutant "tk" macht darauf aufmerksam, daß strittig sei, daß das ß eine Ligatur aus langem und rundem s oder aus langem s und z sei.
Offenbar gibt es also doch einen anderen Erklärungsansatz zur Entstehung des ß.


Für den Fall, daß Sie diesen Text noch nicht kennen, möchte ich auf einen Beitrag Herbert Brekles hinweisen, der hier verlinkt ist.

Schwierig wird es m. E. dadurch, daß anders als bei anderen Konsonanten das S mitunter auch dann verdoppelt wird, wenn es nicht nach kurzem Vokal steht...

Könnten Sie dafür ein Beispiel bringen?


Kommentar von tk, verfaßt am 14.07.2008 um 13.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6931

tk in 592#6899:

Sie [d. i. R.M. in # 6897] haben vergessen zu erklären, wie denn ein „ss“ in „Gruß“ oder „grüßen“ kommt (bzw. eben nicht).


#6897 ist nicht R.M., sondern Lieber Pt, was für mich ein Pseudonym von Herr Köster war, der ja immerhin auch sofort darauf angesprungen ist. Sollte ich mich irren, bitte ich Herrn Köster um Entschuldigung.

Das wurde hier doch schon sehr oft erläutert. Das Problem ist das stimmlose s in "grüßen", das im Althochdeutschen (gruozen) und Mittelhochdeutschen (grüezen) noch durch das z dargestellt wurde. Dafür tritt spätestens seit dem 17. Jahrhundert (Georg Henisch: Teütsche Sprach und Weißheit. Thesaurus linguae et sapientiae Germanicae, Augsburg 1616, Nachdruck: Hildesheim 1973) das ß.

Mal abgesehen von der Frage, ob das die „einfache und weniger fehleranfällige Adelung-Regelung“ ist, an die „Lieber Pt“ dachte (sollen Grundschüler jetzt erst einmal einen Kurs Mittelhochdeutsch belegen?), finde ich auch in gruozen und grüezen kein ss.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 14.07.2008 um 12.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6928

tk in 592#6899:

Sie [d. i. R.M. in # 6897] haben vergessen zu erklären, wie denn ein „ss“ in „Gruß“ oder „grüßen“ kommt (bzw. eben nicht).

Das wurde hier doch schon sehr oft erläutert. Das Problem ist das stimmlose s in "grüßen", das im Althochdeutschen (gruozen) und Mittelhochdeutschen (grüezen) noch durch das z dargestellt wurde. Dafür tritt spätestens seit dem 17. Jahrhundert (Georg Henisch: Teütsche Sprach und Weißheit. Thesaurus linguae et sapientiae Germanicae, Augsburg 1616, Nachdruck: Hildesheim 1973) das ß.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.07.2008 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6927

Diskutant "tk" macht darauf aufmerksam, daß strittig sei, daß das ß eine Ligatur aus langem und rundem s oder aus langem s und z sei.
Offenbar gibt es also doch einen anderen Erklärungsansatz zur Entstehung des ß.

Ich habe als Historiker etliche Schriften aus allen möglichen Zeiten gelesen und kann nicht nur ein Lied von photokopierten Blaumatritzen mittelniederdeutscher Texte singen, sondern weiß auch von der Verwendung des ß in der Fraktur und in der Antiqua. Ob das ß nun eine Ligatur ist oder was weiß ich was, es wird als Variante des Doppel-S verwandt.

Ich bezweifle ganz entschieden, daß man Schulkindern nicht begreiflich machen kann, was ein ß ist. Ich glaube auch nicht, daß es sie verwirrt, wenn man es als Ligatur erklärt.
Man kann einen Faden zum runden s biegen und ihn dann an den Enden auseinanderziehen, so daß ein langes s daraus wird. Das ist hinreichend anschaulich - auch für Grundschüler.

Die Adelung-Regel damit zu erklären, daß immer dann, wenn Doppel-S nicht getrennt werden kann oder darf, ß steht (wovon ich in der Schule nie etwas gehört habe), ist sicher treffend und leicht lernbar, verkennt aber, daß das Problem, wann einfaches S und wann Doppel-S steht, dadurch nicht gelöst ist.
Von Ausnahmen wie "ausser" abgesehen, werden S-Fehler von Heyse-Schreibern meist bei dieser Unterscheidung gemacht; aus dem (zeitlichen) Zusammentreffen der (Wieder-)Einführung der Heyse-Schreibung und dem häufigen Auftauchen dieser Fehler schließen wir, daß es einen Zusammenhang gibt; o. g. Adelung-Regel hilft niemandem weiter, der nicht weiß, wann er einfaches S oder Doppel-S setzen soll.

Schwierig wird es m. E. dadurch, daß anders als bei anderen Konsonanten das S mitunter auch dann verdoppelt wird, wenn es nicht nach kurzem Vokal steht, und - ebenso wie andere Konsonanten - mitunter nicht verdoppelt wird, wenn es nach kurzem Vokal erscheint.
Wird nun verneint, daß das ß ein Doppel-S ist, verliert das S gegenüber den anderen Konsonanten seine Besonderheit der Verdoppelung nach nichtkurzem Vokal. Es tritt dann zwar ein neues Problem auf, nämlich daß das S plötzlich in bestimmten Fällen durch einen anderen Buchstaben ersetzt wird, aber eine Problemlösung um den Preis einer Problemschaffung ist ja trotzdem noch eine.


Kommentar von verschoben, verfaßt am 13.07.2008 um 02.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6922

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 20.30 Uhr (war: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12576)

Lieber Pt,

nun habe ich das Problem, daß ich aus guten oder weniger guten Gründen nicht mehr im Diskussionsforum posten darf, doch bleibt mir dieser Beitrag von Frau Pfeiffer-Stolz als einer der lesenswertesten überhaupt in Erinnerung. Insbesondere gefällt mir auch sehr der gedankliche Ausschweifer zum Gender-Mainstreaming, der meines Erachtens eine der größten Fehleinschätzungen der 68er war: Es wird ja neuerdings so getan, als gäbe es gar keine Männer und keine Frauen mehr, nur noch metrosexuelle Männer und Emanzen, die einander nichts mehr zu erzählen haben. Als lebten wir auf der Enterprise III.


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 19.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6919

Lieber Herr Köster,

bezüglich Ihrer Argumentation zur Sache lesen Sie bitte diesen Eintrag von Frau Pfeiffer-Stolz:

http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=29#3592

Wenn Sie mich näher kennenlernen wollen, lesen Sie bitte diesen Beitrag:

http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=140#636


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 17.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6915

Korrektur:

Vielleicht spielt auch ein makaberer Anklang and das große, etwas kantigere ss eine Rolle, von dem man sich distanziert fühlt, da man das kleine, rundlichere ss nicht mehr notwendig damit verbindet ..., leider sieht das dann aber im Kleid der vereinfachten lateinischen Ausgangsschrift dann doch wieder so aus als ob es sein kleiner Bruder wäre. (Diese vereinfachte Ausgangsschrift zu Fall zu bringen wird das nächste sein, worum wir uns kümmern müssen. [Das t, so wie es da manchmal von Kindern geschrieben wird, ist völlig kontraintuitiv bezüglich normaler Schreibmaschinenschrift.])

Ende der Korrektur.

Die Heyse-Schreibung sozusagen als Vergangenheitsbewältigung.


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 17.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6911

Herr Köster, Sie sollten einmal die Beiträge von Frau Pfeiffer-Stolz zum scharfen ß lesen. Wenn Sie Glück haben geht das über die hieseige Suchfunktion. Oder gehen Sie mal auf die Webseite des Stolz-Verlages.

Die allgemeine Verunsicherung durch die wird erst dann aufhören, wenn das ß wieder ''rehabilitiert'' ist.

Das Doppel-s aka ''ss'' steht für die Reform, es ist der Geßlerhut, dem sich die Leute im Glauben, daß es damit einfacher würde, gerne beugen. Das Unterwerfungsritual unter die Staatsmacht, dem ansonsten aber zahnlosen Tiger Kultusministerkonferenz. Früher huldigte man dem König, das wurde im Huldbuch eingetagen. Heute kann man an der Schreibung diverser häufig vorkommender Wörter sofort erkennen, wer diesen Kultusbürokraten willfährig ist. Vielleicht spielt auch ein makaberer Anklang and das große, etwas kantigere ss eine Rolle, von dem man sich distanziert fühlt, da man das kleine, rundlichere ss nicht mehr notwendig damit verbindet ..., leider sieht das dann aber im Kleid der vereinfachten lateinischen Ausgangsschrift dann doch wieder so aus als ob es sein kleiner Bruder wäre. (Diese vereinfachte Ausgangsschrift zu Fall zu bringen wird das nächste sein, worum wir tun kümmern. [Das t, so wie es da manchmal von Kindern geschrieben wird, ist völlig kontraintuitiv bezüglich normaler Schreibmaschinenschrift.])

Warum es damit (der Heyse-Schreibung) einfacher werden soll, das hinterfragen sie nicht. Genausowenig wie sie hinterfragen, was für eine Art von Buchstabe das schafe ß ist. Ob nun eine Ligatur, ein Allograph oder was auch immer. Das ist im praktischen Leben irrelevant. Viele wissen gar nicht, was von den Reformern sonst noch verbrochen wurde. Und selbst wenn, dann wird sich vieles davon kaum durchsetzen, weil es unlogisch – die Reformer wollten ja alles logischer gestalten – und unlernbar ist. Es wird von ein paar Reformenthusiasten noch eine Weile hochgehalten werden, dann werden sich die üblichen Schreibweisen wieder durchsetzen. (Das einzige, was dem entgegensteht, sind die Schlechtschreibprüfungen in den Textverarbeitungssystemen. Wenn richtig schreiben nur noch eine Frage des Mausklicks ist, dann wird es wahrscheinlich nie mehr eine praktikable Rechtscheibung geben. Aber das ist ein mentale Problem.

Die Sache mit der ''Verhandlungsmasse'' kommt auch immer wieder mal auf. Die Reformer haben ihre Reform durch Trickserei und Überrumpelungstaktik – als auf unfeine und unfaire Art – durchgesetzt. Sie erwiesen sich als beratungsresistent. Sie ignorieren den mehrheitlichen Willen des Volkes und die Aussage des Parlaments, dergemäß die Sprache dem Volk gehört. Ihre Reform greift willkürlich auch in die Sprache ein. Dies wollen sie nicht wahrhaben, da sie sonst zugeben müßten, daß sie ein ganzes Volk optisch mobben. Es gibt keine öffentliche Evaluierung der Folgen der Reform. Warum wohl nicht? Sie benutzen bewußt Schüler – also Leute, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und es fachlich noch nicht wissen können – als Geiseln, um ihren Willen durchzusetzen. Sie stellen unbewiesene und vielleicht auch unbeweisbare Behauptungen auf. Sie lügen bewußt. (Es gab mal eine Liste mit zehn Reformlügen.)

Mit solchen Leuten verhandelt man nicht! Wer es dennoch tut, bringt sich selbst in eine extrem schwache Verhandlungsposition.
Gedenke: Zuerst wollen sie nur den kleinen Fingern (es ist ja nur eine kleine Reform gewesen) dann fordern sie die ganze Hand. Und am Ende noch unsere Seele!

Das scharfe ß ist ein echter Buchstabe!


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6909

Ich habe in meinen Beiträgen hier immer versucht, mich möglichst sachlich auszurücken und mir einige vielleicht spaßige wiewohl durchaus freche Beiträge verkniffen (der mir von R. M. bescheinigte Humor wäre dann gegen einige der Mitdiskutanten – Gegner wie Befürworter der Reform – gegangen), gerade weil ich hier unter Pseudonym auftrete, und gerade auch, um zu zeigen, daß Pseudonym nicht gleich Troll bedeutet. Daß ich, laut Herrn Ickler, damit nicht satisfaktionsfähig bin, muß ich wohl akzeptieren. Es sollte aber wohl möglich sein, daß man trotz Pseudonyms anständig behandelt wird, insbesondere da mein Beitrag so überhaupt nichts enthielt, was ihre und teilweise auch R. M.s Reaktion auch nur im entferntesten plausibel erscheinen läßt. Ähnliche Reaktionen gab es auch früher schon, die dann immer in eine Diskussion über Pseudonyme endeten. Wir sollten endlich mal darüber hinwegkommen.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 16.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6908

Um meine Aussage noch einmal zu relativieren: Ich bin wirklich ein entschiedener Gegner von Heyse, weil ich weiß, daß Heyse nachweislich zu mehr Fehlern führt als Adelung. Sollte ich allerdings eines Tages nicht genug Rückendeckung in dieser Frage erfahren, wäre ich bereit, hier Zugeständnisse zu machen. Dann hätten wir uns immerhin mit Milliardenaufwand eine Eszett-Reform geschenkt, und die Nachwelt wird sich Gedanken darüber machen mögen, wie man sich einmal über solch ein Zeichen ereifern konnte, das nicht einmal ein echter Buchstabe ist.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 16.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6907

Lieber Herr Konietzko,

in der Tat wäre Heyse für mich "Verhandlungsmasse" am Doom's day, dem fiktiven. Herr Ickler wird mich peitschen, aber Heyse soll mir recht sein, solange wir nur den ganzen anderen Unfug abstellen können . . .


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6906

Wie ist z. B. das G oder das Q entstanden? Warum schreibt man den großen wie den kleinen Buchstaben Z mal mit und mal ohne Strich. Sind das dann Ligaturen? Wie ist das diachron entstanden? Und wie ist das mit der 7?

Wenn man auf die Webseite mit dem versalen ß geht, wird dort gezeigt, wie dieses aus Teilen anderer Buchstaben zusammengesetzt wird. Dies dürfte eine legale und gebräuchliche Methode zu sein, neue Buchstaben zu entwerfen.

Wenn wir die Masse an unterschiedlichen Schriftzeichen betrachten, so dürften viele davon aus Ligaturen oder aus Zusammensetzungen aus Teilen anderer Buchstaben oder aus anderen Buchstaben plus Teilen anderer Buchstaben entstanden sein. Gibt es für diese Fälle typographische Fachbegriffe?


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6905

Lieber Pt,

daß Sie hier unter Pseudonym schreiben, erregt wohl wirklich ein wenig meinen Argwohn. Aber natürlich, wenn es Ihre Entscheidung ist, unter einem Pseudonym zu schreiben, bin ich bereit, das zu akzeptieren, denn es gibt mehr als nur einen guten Grund dafür.

Zur Unterscheidung zwischen Theorie und Schulpraxis: Wir befinden uns hier auf sprachforschung.org, meines Wissens dem Platz im Internet, auf dem sich die besten Schreiber dieses Landes (oder Sprachraums) tummeln, unter denen ich gewiß nur ein kleines Geleucht bin. Mein bescheidenes, zum Hobby erlesenes Fachwissen war gewiß nicht dazu gedacht, hier zu "prahlen", wie von Ihnen gemutmaßt, ich bin auch sehr dafür, Schülern einfache und leicht einprägsame Regeln anzubieten. Deshalb habe ich mich auch ausdrücklich bemüht, Adelung in eine Regel zu fassen, in einem knappen, kurzen Satz, wie er auch von Schülern verstanden werden könnte.

Grüße
Ph.


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6904

Danke, Herr Konietzko, für die Klarstellung.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 12.07.2008 um 16.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6903

Pt hat in #6896 geschrieben:
»Aber das hat nichts mit seiner« (des Eszett) » Entstehungsgeschichte zu tun. Egal wie ein Zeichen entstanden ist, irgendwann wird es als Buchstabe verwendet, und dann ist es ein Buchstabe.«
Pt hat einen wichtigen Punkt getroffen. Nach Saussure gibt es zwei Arten der Sprachforschung: die diachronische und die synchronische. Die diachronische Sprachwissenschaft untersucht die zeitliche Veränderung der Sprache, die synchronische hingegen den Zustand eines Sprachsystems zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. am 1. Januar 1996 oder am 12. Juli 2008). Diese Unterscheidung gilt auch für die Schriftforschung: Die geschichtliche Herkunft des Eszett ist das eine, seine Funktion im deutschen Schriftsystem (kurz vor der Reform oder heute) etwas ganz anderes.

Es ist richtig, daß das Eszett aus einer Ligatur entstanden ist. Das läßt sich jedoch in den heutigen deutschen Rechtschreibungen (in der bewährten und in den verschiedenen Versionen der reformierten) nicht mehr sicher feststellen. In der klassischen Rechtschreibung wird das Eszett teils als eigener Buchstabe, teils als kombinatorisches Allograph für ss (und außerdem im Einzelfall daß) verwendet. Herr Ickler hat das in seinen ›Hauptregeln der deutschen Orthographie‹ (enthalten in dem Wörterbuch ›Normale deutsche Rechtschreibung‹, 4. Auflage 2004) folgendermaßen dargestellt:

»§ 4 Das Zeichen ß

Das Zeichen ß wird erstens als Einzelbuchstabe zur Wiedergabe des stimmlosen [s] nach langen Vokalen und Diphthongen verwendet, wenn noch ein Vokal folgt; infolge der Stammschreibung auch vor dem t eines Suffixes und am Silbenende: Straße; außen; grüßen, grüßt, Gruß; heißen, heißt.

Zweitens wird ß als typographische Variante von ss verwendet, und zwar am Silbenende und vor konsonantisch anlautenden Suffixen: haßt, gehaßt, häßlich, Haß, haßerfüllt (zu hassen). Zur Unterscheidung von das schreibt man auch die Konjunktion daß mit ß

Herrn Icklers Bezeichnung ›typographische Variante‹ finde ich etwas unglücklich, denn bis 1996 hätte wohl jeder (nichtschweizerische) Deutschlehrer die Schreibweise Schuss als Fehler angesehen und nicht nur als typographischen Mangel.

Im ›Metzler Lexikon Sprache‹ (3. Auflage 2005) kann man im Eintrag Allograph unter anderem folgendes lesen:
»Kombinator[ische] Allographie liegt vor, wenn das Auftreten der Varianten distributionell« (d.h. durch die Umgebung) »festliegt, z.B. in der dt. Fraktur beim ›langen‹ <s> und runden <s>, im Griech. beim <Sigma> (nur wortfinal) und <Sigma> (in allen übrigen Positionen). In der –> arabischen Schrift haben die meisten Schriftzeichen vier kombinator[ische] Varianten (in Isolation, wortinitial, wortintern, wortfinal).«
(Leider kann ich hier keine Fraktur- und griechischen Buchstaben darstellen.)


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 15.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6902

Lieber R.M.,

es ist mir durchaus nicht entgangen, daß uns eine gelegentliche Gegnerschaft verbindet, ich glaube aber nicht, daß ich wirklich Ihr Gegner bin, wenden wir uns doch beide gegen die Rechtschreibreform.
Übrigens, vielen Dank auch, Sie dürften einer der ersten sein, der mir Humor bescheinigt!

Ich habe Adelung doch nie in Frage gestellt, das wäre das Letzte, was ich tun würde!

Ich kann mich nicht daran erinnern, die von Ihnen zitierte Regel je in meiner Schulzeit gehört geschweige denn gelernt zu haben, zum erstenmal dürfte ich sie vor einigen Jahren in einem Rechtschreibforum gelesen haben. Aber vielen Dank, daß Sie sie wiederholen.

Wenn jemand mit Heyse gekommen ist, dann war das Herr Köster, auf dessen Beitrag ich explizit verwies und den ich mit den BBCode-Quote-Tags zitierte. Offenbar funktionieren diese nicht.

(Welche Formatierungsbefehle es bei den Kommentaren gibt, wird oberhalb des Eingabefeldes erläutert; eigentlich sollte es Sie also nicht wundern, daß die Zitierung nicht klappte. – Red.)

Herr Köster,

ich finde es ziemlich beleidigend, mir zu unterstellen, daß ich diesen Buchstaben (das scharfe ß) nicht verwenden will, als ob ich jemals hier Heyse verwendet hätte. Ganz im Gegenteil, ich habe Heyse immer tunlichst vermieden, selbst dann, wenn sich andere Reformgegner der Effekthascherei willen der Heyseschen Schreibung bedient haben, um Reformschrieb zu karrikieren. Auch wenn ich in letzter Zeit weniger hier eingestellt habe, so habe ich mich weder hier noch anderswo oder unter einem anderen Pseudonym je als pro-Heyse oder gar pro Reform geäußert. In meiner privaten Schreibpraxis verwende ich ausschließlich Adelung und halte mich ziemlich streng (mit gelegendlichen Zugeständnissen in der Getrennt- und Zusammenschreibung) an eine ältere, vorreformatorische Ausgabe des Dudens, den ich aber ziemlich selten brauche.

Glauben Sie wirklich, daß sich heutzutage, in der von Ihnen so plastisch dargestellten Egalschriebwelt, jemand von der auschließlichen Verwendung von Doppel-s abhalten ließe, wenn er mit dem scharfen ß ein Problem hätte?

Wenn unter Typographen in ihrer Fachsprache das scharfe ß nicht als Buchstabe gilt, dann ist das eine Sache, in allgemeinen Sprachgebrauch gilt es als Buchstabe. Sie müssen wahrlich nicht auf dieser herablassenden Art mit Ihrem Fachwissen prahlen.
Wenn Sie so Ihre Mitstreiter behandeln, tun Sie unserer Sache damit keinen guten Dienst.

Ich weiß sehr wohl, was eine Ligatur ist. (Ich habe den Begriff Ligatur immer als technischen Begriff für die Bildung eines Buchstabens aus der Zusammenfügung zweier anderer Buchstaben verstanden.) Ich sehe auch nicht, wo ich mich je der Polemik gegen das Eszett schuldig gemacht haben sollte. Haben Sie und R. M. meinen Beitrag überhaupt gelesen? Haben Sie ihn verstanden? Oder werde ich wieder mal nur angegriffen, weil ich hier unter Pseudonym eintrage?

Alles in meinem Beitrag ist pro scharfes ß, pro optische Textgestaltung, pro Adelung. Das ist meine tiefste Überzeugung!

Mir ging es darum, herauszustellen, daß die hier dargelegte Betrachtungsweise ziemlich speziell ist (ich könnte mich hier auch etwas schärfer ausdrücken, tue es aber um des lieben Friedens willens nicht); so speziell, daß sie, zumindest von Schülern, denen wir ja alle wünschen, die Vorteile von Adlung genießen zu können, kaum nachvollzogen werden wird oder den meisten Leuten, die ja kaum über typographisches Fachwissen verfügen dürften, völlig unbekannt ist.
Ich möchte hier auf den Unterschied zwischen (typographischer?) Theorie und Schreibpraxis hinweisen: In der Theorie mag das scharfe ß sein was es will, in der Praxis ist es ein Buchstabe.

Sie, Herr Köster, sind es doch, der den Leuten die von mir karrikierte Nivelierung empfielt, gegen die ich mich mit dieser karrikierten Darstellung wende.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6901

Aber noch eine Sache ist für mich ontologisch unbestreitbar: Heyse versteht nur, wer auch Adelung versteht. Der "Resst", über den wir gern so hochmütig hinwegsehen, schreibt "das isst", "ein Ärgerniss", "wass", ja sogar "Hasss." Leider ist es mir unmöglich, hier qualitative Untersuchungen anzustellen, da ich nicht weiß, wie sowas möglich wäre, aber ein objektiv-wissenschaftlicher Vergleich dazu, ob die s-Schreibung durch Heyse wirklich besser geworden ist, wäre mir doch mehr als willkommen.


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 15.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6900

Na, wenn jetzt hier auch schon Nietzsche bemüht werden muß, um zum gewünschten Ergebnis zu finden, kann ich mich auch genausogut gleich ausklinken. Ich dachte, wir wären endlich eine Gruppe von selbstbestimmten Schreibern. Im übrigen sind meine vorläufigen Theorien nicht so an den Haaren herbeigezogen. Ich warte eigentlich noch auf eine wichtige Antwort auf den wichtigsten Typographen, den wir in unserer Gegenwart begrüßen dürfen, doch präsentierte ich Ihnen dessen Antwort, würden Sie mir wohl auch nur wieder mit Nietzsche oder mit Kant kommen. Darauf antworte ich auf internetdeutsch mit *yawn*.


Kommentar von tk, verfaßt am 12.07.2008 um 15.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6899

Noch einmal, die Adelung-Regel ist einfacher und weniger fehleranfällig, ich habe das auch schon Herrn Konietzko geschrieben: Eszett wird immer dann geschrieben, wenn "ss" nicht getrennt werden darf (wie in "grü-ßen") oder nicht getrennt werden kann (wie in "Gruß").

Sie haben vergessen zu erklären, wie denn ein „ss“ in „Gruß“ oder „grüßen“ kommt (bzw. eben nicht).

Daß das ß eine Ligatur aus ſ und s (statt ſ und (gotischem) z) ist, ist übrigens auch mehr als strittig. Aber da Sie ja so sicher zu sein scheinen, können Sie sicherlich Belege anführen?

In jeder Partei ist einer, der durch sein gar zu gläubiges Aussprechen der Parteigrundsätze die übrigen zum Abfall reizt. (Nietzsche)


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6898

Und nein, Pt,

ich muß Ihnen noch einmal widersprechen: das Eszett ist kein "Buchstabe". Wie gesagt, wenn Sie dieses Zeichen nicht anwenden wollen, dann lassen Sie es sein. Aber dann lassen Sie es bitte auch richtig sein. Wenn Ihnen nicht geläufig ist, was eine Ligatur ist, dann will ich Ihnen da auch nicht weiter reinreden. Schreiben Sie nur einmal eine Weile wie die Schweizer. Schon nach wenigen Jahren werden Sie den Wunsch verspüren, etwas so Geniales wie das Eszett zu erfinden. Es geht um die optische Gestaltung eines Textes, nicht um die Phonemik.

Aber da wir eh in einer Zeit leben, in der die Deutschen sich schon mit ihren Umlauten überfordert fühlen und sie selbst als Deutsche schon "f...ing umlauts" nennen, halte ich wohl lieber meine Klappe.


Kommentar von Lieber Pt,, verfaßt am 12.07.2008 um 14.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6897

bei aller Gegnerschaft, die uns gelegentlich verbindet, gefällt mir doch manchmal Ihre argumentatorische Schärfe, die ihren Humor nicht immer verhehlen kann.

Noch einmal, die Adelung-Regel ist einfacher und weniger fehleranfällig, ich habe das auch schon Herrn Konietzko geschrieben: Eszett wird immer dann geschrieben, wenn "ss" nicht getrennt werden darf (wie in "grü-ßen") oder nicht getrennt werden kann (wie in "Gruß"). Das, Pt, ist wirklich schon alles. Ende der Geschichte.

Jetzt kommen Sie mir mit Heyse, und erzählen Sie mir bitte auch, warum Schüler (und ich betrachte da nur die Abiturienten) heute so viele s-Fehler schreiben wie nie zuvor. Das S ist schon ein ganz besonderer Konsonant im Deutschen, das wußten auch schon unsere altehrwürdigen Typographen.


Kommentar von Pt, verfaßt am 12.07.2008 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6896

Man sollte solche Dinge nicht vorschnell als ''Thorheit'' abtun. In der Schule lernten wir das ß zusammen mit den anderen Buchstaben, warum sollte es also keiner sein? Es war ein besonderer Buchstabe, ja, weil es damals dafür keinen Großbuchstaben gab, weil er nicht am Wortanfang vorkommt, aber eben ein Buchstabe. (Strenggenommen hat man ja jetzt nur einen Codeplatz reserviert, mit der graphischen Gestaltung tut man sich noch schwer.) Aber das hat nichts mit seiner Entstehungsgeschichte zu tun. Egal wie ein Zeichen entstanden ist, irgendwann wird es als Buchstabe verwendet, und dann ist es ein Buchstabe. (Natürlich wirft das die Frage nach der genauen Abgrenzung zu z. B. Interpunktionszeichen oder der Leerstelle auf.)

Herr Köster, was glauben Sie, was passiert, wenn Sie Grundschulkindern mit Ihrer Erklärung aus #6895 kommen? Damit tun Sie dem scharfen ß und damit auch den Kindern keinen Gefallen. Eine solche Erklärung ist für diese absolut unverständlich.
Selbst ich überspringe jedesmal die von Zeit zu Zeit hier eingestellten Erklärungen zur Entwicklungsgeschichte des scharfen ß, spätestens dann, wenn Begriffe wie ''Antiqua'' auftauchen, da das typographische Fachbegriffe sind, unter denen ich mir nicht viel vorstellen kann. (Diese Begriffe werden dann entweder nicht erklärt oder wenn, dann fehlen die entsprechenden graphischen Beispiele, und zum selber Recherchieren fehlt dann die Zeit oder die Lust.)

Wer sich im Umgang damit nicht sicher fühlt oder diese Glyphe nicht mag, verzichtet besser noch ganz aufs Eszett, wie die Schweizer.

Das ist typische Reformdenkweise: wenn Dinge nicht sofort verständlich sind, dann werden sie eben nivelliert. Es geht ja auch ohne!

Wo kommen wir hin, wenn diese Denkweise einreißt?

Wer sich im Umgang mit den Umlauten nicht sicher fühlt oder diese Glyphen nicht mag ... ?

Wer sich um Umgang mit Großbuchstaben, Kleinbuchstaben, Interpunktionszeichen, Zahlen, Schrift, Sprache ...

Wer sich im Umgang mit Menschen nicht sicher fühlt oder diese Wesen nicht mag ... ?

Wer sich im Umgang mit Computern nicht sicher fühlt oder diese nicht mag ... ?

Wer sich im Umgang mit der Steuererklärung nicht sicher fühlt oder diese nicht mag ... ?

Es wäre immer noch besser, als schriebe ein Schreiber, oder ein Schweizer gar, nach Heyse.

Wir schreiben für die, die lesen, schon vergessen? (Wenn sich die Schweizer mit einer schlechten Lösung zufriedengeben, dann ist das ihr Problem. Im Computerzeitalter bräuchten sie nicht mehr auf das ß zu verzichten.)


Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 03.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6895

Hier ist Herrn Markner zuzustimmen: das Eszett ist kein eigener Buchstabe, auch kein "Allograph", wie von Herrn Konietzko vorgeschlagen, sondern lediglich eine Ligatur von Lang- und Rund-s, die eigenartigerweise wie eine Ligatur von Lang-s und z aussieht. Wer sich im Umgang damit nicht sicher fühlt oder diese Glyphe nicht mag, verzichtet besser noch ganz aufs Eszett, wie die Schweizer. Es wäre immer noch besser, als schriebe ein Schreiber, oder ein Schweizer gar, nach Heyse.


Kommentar von R. M., verfaßt am 04.07.2008 um 15.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6893

Nichts. (Insofern paßte die Frage doch besser unter die Blüthen der Thorheit.)


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 04.07.2008 um 12.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6892

In der Online-Ausgabe der FAZ kommentiert ein Leser den Artikel über das große ß und vor allem vorhergehende Kommentare damit, daß das ß keineswegs eine Ligatur aus langem und rundem s bzw. langem s und z sei. Diese Ansicht sei vielmehr eine veraltete Binsenweisheit, die neuere Forschungen zur Schriftentwicklung ignoriere. Es gebe hinreichend Belege in der Schriftgeschichte, um das ß wie einen gewöhnlichen Buchstaben zu sehen.
Was ist davon zu halten?


Kommentar von Thüringer Allgemeine, 25. 6. 2008, verfaßt am 03.07.2008 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6884

Erfindung eines Buchstabens

Das deutsche Alphabet hat einen neuen Buchstaben. Aber weil es das deutsche Alphabet ist, handelt es sich um einen Buchstaben, den niemand wirklich braucht.

ERFURT. Im April beschlossen existiert es jetzt offiziell: Das große ß, das Alleinstellungsmerkmal des deutschen Alphabets. Das heißt, es hat nun in den internationalen Zeichensätzen eine definierte Zuordnung (1E9E) was wiederum bedeutet, dass es, mit entsprechenden Treibern, durch eine Tastenkombination auf dem Computer erzeugt werden kann.

Und was bedeutet das? Es bedeutet: nichts.

Es gibt kein Wort der deutschen Sprache, das mit diesem Buchstaben beginnt, er wird als Großbuchstabe nur dann benötigt, wenn ein ganzes Wort versal, also groß, geschrieben wird. Bemühungen um das große ß gibt es seit rund 100 Jahren. Und nun, da die extrem überflüssige Rechtschreibreform der inkompetenten Kultusminister den Gebrauch dieses Buchstabens weitgehend eingeschränkt hat, da kommt er, sozusagen, groß heraus. Niemand benötigt ihn wirklich, denn es wurden im Laufe der Zeit für die versale Schreibung SS, da wo nötig, funktionierende Unterscheidungen entwickelt, um das ursprüngliche ß in dem SS erkennen zu können, um die MASSE von dem MASZE zu unterscheiden, allerdings hat die Rechtschreibreform auch das verboten. Und sie wird nicht auf den neuen Buchstaben reagieren, dessen Verwendung also der Sprachgemeinschaft anheim gestellt sein wird. Noch eine Beliebigkeit mehr. Aber es ist doch hübsch, dass der von dieser Reform bekämpfte Buchstabe nun doch noch Karriere macht.

Von Henryk GOLDBERG

(Link)


Kommentar von F.A.Z., 30. Juni 2008, S. 7, verfaßt am 30.06.2008 um 16.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6875

Das ß kommt groß raus
Von Christine Hucklenbroich

FRANKFURT, 29. Juni. Eine kühle Maß bei heißem Fußballspiel genießen? Das kann man immer, egal ob die eigene Mannschaft gewinnt oder verliert. Aber groß schreiben sollte man den Wunsch nicht. Denn noch immer erscheint ein Fragezeichen, wenn man die Shift-Taste der Tastatur und das "ß", den bauchigen Buchstaben rechts von der Ziffernleiste, gemeinsam drückt. Der Befehl, mit dem man allen anderen Buchstabentasten eine großen Letter entlockt, versagt beim "Eszett". Auf den Wunsch, ein großes ß in das großgeschriebene "Maß" einzubauen, reagiert die Tastatur einfach nicht: Das "Buckel-S" gibt es nur in klein.

Bis jetzt. Denn ein Ausschuss des Deutschen Instituts für Normung (DIN) hat nun durchgesetzt, dass auch ein großes ß geschaffen wird. Damit ist ein neuer Buchstabe für die deutsche Sprache entstanden – zumindest in der Theorie, denn auf der Tastatur muss man zunächst weiter auf ein großgeschriebenes Doppel-S zurückgreifen. "Was sich geändert hat: Jetzt existiert ein Code für das große ß", sagt Peter Anthony vom DIN in Berlin. "Alle Zeichensätze, die in Rechnern abgelegt werden, brauchen eine Kodierung. Wenn Sie beispielsweise das H auf Ihrer Tastatur anschlagen, dann wird auch dieser Buchstabe über einen bestimmten Code adressiert."

Für den Großbuchstaben des "ß" wurde die Bezeichnung 1E9E in den internationalen Zeichensätzen ISO-10646 der Internationalen Organisation für Normung und im Unicode 5.1 verankert. Der Unicode ist ein internationaler Standard, in dem für jedes Schriftzeichen ein digitaler Code festgelegt wird. Dieser neue Code macht das große ß theoretisch adressierbar. "Das bedeutet aber nicht, dass man diesen Buchstaben in Zukunft benutzen muss oder dass Tastaturen geändert werden müssen", sagt Anthony. "Ob das große ß in Zukunft auf Tastaturen angeboten wird, ist Sache der Hersteller." Die Tastaturen müssten jedoch nicht ausgewechselt werden, sagt Anthony. Stattdessen sei denkbar, dass der neue Buchstabe über eine Tastenkombination erreichbar ist. Ein Software-Update könnte dann ausreichen, das große ß verwenden zu können. "Es wird sich zeigen, wie groß das Interesse ist. Vielleicht möchten Leute, die einen Nachnamen mit ß tragen und ihn in Großbuchstaben nicht immer durch das Doppel-S verändern wollen, die neue Möglichkeit nutzen."

Pflicht wird das große ß aber nicht. Auch die Rechtschreibregeln sind von der Neuregelung zunächst nicht betroffen. Sie sehen vor, dass das ß weiterhin in Großschreibweise als SS dargestellt wird. Auch das Aussehen des neuen Buchstaben ist nicht festgelegt worden. Die doppelbäuchige Form des kleinen ß entstand vermutlich im Mittelalter durch Verschmelzung des langgestreckten s mit einem kleinen verschnörkelten z mit Unterschlinge. Vor 130 Jahren begann man dann damit, über eine große Variante des ß zu diskutieren. Insbesondere die Etablierung der rund geschwungenen Antiquaschrift Anfang des 20. Jahrhunderts ließ ein großes ß notwendig erscheinen, da sie häufiger in Großbuchstaben verwendet wurde als die vorher gebräuchliche Fraktur. "Typographen haben schon in den zwanziger Jahren ein versales, also ein großes ß für Druckschriften kreiert", sagt Anthony. "In der Schreibmaschinenschrift war das versale ß aber nicht vorgesehen." Der Aufstieg der Schreibmaschinen versperrte dem großen Buckel-S schließlich den Weg zum Durchbruch, obwohl Fachleute immer wieder auf die Lücke im Alphabet hinwiesen. Aus dem Schweizerdeutsch verschwand der kleine Buchstabe vollständig. Die Rechtschreibreform drängte ihn auch in Deutschland zurück.

Weil das ß jetzt doch noch eine Aufwertung erfährt, widmet ihm das Signographie-Fachmagazin "Signa" sogar eine Sonderausgabe. Schriftdesigner entwickelten eigens Vorschläge für gängige Schriftarten. "In der Signographie ist das große ß schon ein kleines Ereignis", sagt "Signa"-Mitherausgeber Andreas Stötzner. "Einen Zugewinn an Eindeutigkeit" biete der Buchstabe: "Zum Beispiel bei Ortsnamen wie Gießen. Und wenn ein Herr Weiß ein Formular in Großbuchstaben ausfüllen muss, wird der Umkehrschluss möglich sein, ob er sich tatsächlich mit ß oder doch mit ss schreibt."


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.06.2008 um 16.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6873

Danke, Herr Malorny, für Ihren Hinweis in #6868.

Ich meinte aber, daß das lange "S" auch auf einen Code < 255 zu finden sein müßte, denn die vorangehende Diskussion ging ja darum, das versale ß auch direkt über die Tastatur eingeben zu können. Dafür müßte dann die Belegung der Codepage verändert werden. Meines Erachtens wäre es eine Verschwendung von nur begrenzt vorhandenen Codeplätzen, wenn diese mit sehr ungebräuchlichen Zeichen belegt würden. In diesem Falle wäre eine Belegung mit dem langen "S" – wenn auch unrealistisch – sinnvoller als eine Belegung mit dem versalen ß, denn es fände mehr Anwendungsmöglichkeiten, wenn man es wieder einführen würde.


Kommentar von Pt, verfaßt am 29.06.2008 um 16.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6872

Zu #6862:

Das ist nicht das Dokument, auf das ich mich in #6851 bezog. Ich meinte das Dokument, mit dem die Einführung des versalen ß beantragt wird. Leider habe ich den Link darauf, den ich vor etwa einem Jahr hier einstellte, nicht mehr gefunden. Die Suchfunktion dieses Forums führt häufig zu Programmabstürzen.


Kommentar von David Weiers, verfaßt am 28.06.2008 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6870

Ja, Herr Malorny: es gibt kein versales Lang-S. Wozu auch? Deshalb ist ja dieses Vorhaben, eine Ligatur aus Lang- und Rund-S als Versalie "anzubieten", von vornherein auch so blödsinnig.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 28.06.2008 um 01.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6869

Mit illustrierenden Anekdoten sollte ich ja vielleicht etwas vorsichtig sein, aber zu der Zwangsläufigkeit eines großen "ß" fällt mir eine ein, die ich dennoch nicht unterdrücken will. Eine intelligente Volontärin (nein, keine Germanistin) äußerte mir gegenüber neulich ihren Mißmut darüber, daß in den in unserem Hause versal zu schreibenden Bildtextanläufen nach Langvokal bzw. Diphthong weiterhin ein Doppel-S steht – das sei nach den neuen Regeln schließlich ein Fehler. Dieselbe Volontärin hatte mir bei einer anderen Gelegenheit – wohl als einem, von dem sie annahm, er sei für solche Mitteilungen offen – als eine Art kleines Geheimnis anvertraut, daß das Schreiben durch die Reform nicht etwa einfacher, sondern viel schwieriger geworden sei (sie hatte vor ihrem Volontariat ein Praktikum in einem Lektorat absolviert).


Kommentar von Klaus Malorny, verfaßt am 28.06.2008 um 00.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6868

An "Pt":

Das lange "S" als Kleinbuchstabe gibt es schon immer im Unicode, zu finden unter der Position U+017F, siehe auch

http://www.unicode.org/charts/PDF/U0100.pdf

Sehe ich das eigentlich richtig, daß es ein versales langes "S" nicht gibt?


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 27.06.2008 um 23.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6867

Zu Pt (#6861): "Könnten Sie uns bitte erklären, was an STRASSE DER ROMANTIK problematisch ist? Da ich nicht an ebenjener Straße wohne, sind mir diese Schilder nicht bekannt."

An diesen Schildern ist nichts problematisch – zumindest bislang, da der Wechsel zwischen ß und Doppel-S noch als normal empfunden wird. Nach der Reform weist aber ein doppeltes s immer darauf hin, daß der vorausgehende Vokal kurz ist. Sobald sich diese "Prägung" auf die Großbuchstaben überträgt, und sobald das ß nur noch als ein x-beliebiger Kleinbuchstabe angesehen wird, weil sein Ursprung bzw. seine Funktion als Doppel-s-Ligatur in Vergessenheit gerät – genau das bewirkt ja die Reform bei den Kleinbuchstaben –, wird dieser Wechsel geradezu unbegreiflich erscheinen. Dann ist ein großes Eszett nachgerade zwingend erforderlich.

(Bislang konnte das Fehlen eines großen Eszetts als ein Argument gegen die Reform herhalten [zugegebenermaßen ein eher akademisches Argument, aber trotzdem ein brauchbares Hinweis darauf, daß die reformierte Regelung eben nicht durchgängig systematisch, einfach und logisch ist], aber das fällt nun weg. Es bleibt aber weiterhin das Argument, daß die Reform nicht für Eigennamen gilt, so daß diese nun "aus dem System fallen", wie etwa Litfaßsäule, Aßmann, Roßlau u. a.)

Ich wollte mit dem Hinweis auf diese Schilder, die entlang der "Straße der Romanik" aufgestellt sind, lediglich ein Beispiel dafür geben, daß durchgehende Großschreibung keineswegs selten ist, sondern im Alltag häufig vorkommt. Das ist wichtig, weil von typographisch Bewanderten gern behauptet wird, daß sich eine gesonderte Beachtung der durchgehenden Großschreibung erübrige, weil dieser Fall als als typographisch minderwertig anzusehen sei und so geschriebene Texte schlechter zu lesen seien. Nochmal: Das mag zwar so sein, aber trotzdem kommt die durchgehende Großschreibung häufig vor; die Schilder der STRASSE DER ROMANIK sind nur ein Beispiel von vielen.


Kommentar von maclife.de, 26. Juni 2008, verfaßt am 27.06.2008 um 22.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6866

Großes ß was nun?: ISO-Norm für das Nicht-Existente

Nach der Reform der deutschen Rechtschreibung sind sich viele unsicher darüber, wie man nun was schreibt. Zusammen, getrennt, groß oder klein sind die häufigsten Fragestellungen. Ebenso wichtig und doch beinahe vergessen aber ist das scharfe ß, das es bislang nur als Kleinbuchstaben gibt und in der Großschreibung als Zeichenfolge "SS" benutzt wird. Dennoch wurde jetzt ein Großbuchstabe für das "scharfe ß" als internationaler Standard in Unicode 5.1 aufgenommen.

[...]

www.maclife.de/index.php?module=Pagesetter&func=viewpub&tid=1&pid=8317


Kommentar von Pt, verfaßt am 27.06.2008 um 20.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6865

Sinnvoller als das versale ß wäre die Wiedereinführung des lang-s!


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 27.06.2008 um 14.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6863

Da fällt mir noch eine mögliche Verwendung ein: Grabsteine. Dafür braucht es keinen Tastaturplatz. Der Einsatz in Ausweisen dürfte schon wg. der Auslandsverwendung illusorisch sein.


Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 27.06.2008 um 14.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6862

Man findet bei Unicode diesen Kommentar:
http://www.unicode.org/versions/Unicode5.1.0/

"In particular, capital sharp s is intended for typographical representations of signage and uppercase titles, and other environments where users require the sharp s to be preserved in uppercase. Overall, such usage is rare. In contrast, standard German orthography uses the string "SS" as uppercase mapping for small sharp s. Thus, with the default Unicode casing operations, capital sharp s will lowercase to small sharp s, but not the reverse: small sharp s uppercases to "SS". In those instances where the reverse casing operation is needed, a tailored operation would be required."


Kommentar von Pt, verfaßt am 27.06.2008 um 14.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6861

Zum Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 26.06.2008 um 20.56 Uhr,
#6855:

''Die Systematik der reformierten s-Schreibung erfordert ein großes "ß". Sobald man "ß" nicht als Ligatur zweier "s" versteht, die unter bestimmten Umständen an deren Stelle tritt, sondern als eine Letter eigenen Rechts, die in Opposition zu "ss" steht (und dieses vice versa), ist eine Schreibung wie GROSSBUCHSTABE nicht nur anders als die entsprechende Kleinschreibung, sondern schlichtweg falsch.''

Als ob sich die Reformenthusiasten jemals darum gekümmert hätten, was denn nun richtig und was falsch ist. Es wäre ja wirklich ein Treppenwitz der Rechtschreibgeschichte, wenn sich gerade diese der Promotion eines versalen ß befleißigen würden, wenn sie doch gerade so schön dabei sind, seinen kleinen Bruder auszurotten.

Zum Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 26.06.2008 um 23.06 Uhr, #6856:

''Die Tastatur braucht nicht geändert zu werden, denn ähnlich wie bei der Einführung des Euro-Zeichens genügt eine Erweiterung. Wie man anhand der Begründung von Herrn Bärlein sofort einsieht, dürfte dies am sinnvollsten in der Form [AltGr]-[s] geschehen, um bei der durchgängigen Verwendung von Großbuchstaben das Doppel-S zu ersetzen, wenn das nach den reformierten Regeln fehl am Platz wäre.''

Nun ja, die richtigen Groß-ß-Enthusiasten – nachdem was bisher gesagt wurde wohl durchgängig Reformschreiber – hätten dann sicher gerne auch das entsprechende Symbol auf der Taste, um sich dadurch zu ihrem deformschriftlichen Glauben zu bekennen. Zu viel mehr wird es denn auch nicht zu gebrauchen sein.

Das Problem ist aber meines Erachtens weniger die Tastatur, sondern die Codepage, die auch geändert werden müßte. Ich glaube nicht, daß es da noch freie Plätze gibt, die ein versales ß aufnehmen könnten. Das würde aber bedeuten, daß ein anderes Zeichen wegfallen müßte. Solange man nur Unicode verwendet, ist das kein Problem. Dann braucht's aber nicht unbedingt einen Platz auf der Tastatur.

''(Daß eine derartige Großschreibung schlecht zu lesen ist bzw. allgemein als typographisch minderwertig gilt, spielt dabei keine Rolle; man braucht sich ja nur mal in der Realität umzuschauen [siehe zum Beispiel die offiziellen Schilder der STRASSE DER ROMANIK].)''

Könnten Sie uns bitte erklären, was an STRASSE DER ROMANTIK problematisch ist? Da ich nicht an ebenjener Straße wohne, sind mir diese Schilder nicht bekannt.

Alternativ gäbe es auch noch die Möglichkeit, STRASZE DER ROMANTIK zu schreiben.

''Und sobald die nötigen Soft- und Hardwarevoraussetzungen (bestückter Zeichensatz, verständiger Tastaturtreiber, beschaltete Taste) vorliegen, wird das große Eszett benutzt werden; anfangs sicherlich aus einer Mischung aus Neugier und eingebildeter Gehorsamsnotwendigkeit heraus, später aus Gewohnheit.

Auf ähnliche Weise hat man, der Legende nach, auch die Kartoffeln eingeführt. Nur daß damals Hungersnot herrschte.

Ich frage mich nur, zu was das große ß dann benutzt werden wird. Es gibt kaum eine sinnvolle Verwendung dafür, von Spezialanwendungen einmal abgesehen. Es wird eher wie ein Weihnachtsgeschenk sein, zuerst ist es einige Tage lang interessant, dann verstaubt es ungenutzt in der Ecke.


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 27.06.2008 um 11.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6860

Bzgl. des Fussballs irrt die FR, da die FIFA ihren Sitz in der Schweiz hat.


Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 27.06.2008 um 10.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6859

Es lebe Heyse! Wie liest man doch in dem vorhergehenden Artikel aus der FR:

... ein Schicksal, dass das "ß" mit Außenseitern wie "x", "y" oder "q" teilt.


Kommentar von Frankfurter Rundschau, 26. Juni 2008, verfaßt am 26.06.2008 um 23.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6858

Eszett
Jetzt auch in GROß
Das ß gibt es nun auch offiziell als Großbuchstaben. Christoph Albrecht-Heider freut sich

Auch diese Geschichte hat mit Fußball zu tun. Aber dazu später.

Das schönste deutsche Wort ist vor vier Jahren gewählt worden und heißt "Habseligkeiten". Die Silbermedaille ging an "Geborgenheit", auf Platz drei landete "lieben". Dabei wird es nicht bleiben, weil es erstens viel zu viel Spaß macht, Listen aufzustellen, und zweitens die Reihenfolge aus einer Umfrage des Goethe-Instituts und des Deutschen Sprachrats hervorging, zwei Vereinigungen vom Fach, wenngleich nicht repräsentativ. Aber immerhin ist eine Marke gesetzt.

Die Wahl des schönsten deutschen Buchstabens steht noch aus; bekannt ist nur, dass "e" am häufigsten vorkommt, aber das überrascht nun auch nicht wirklich. Das "ß" zum Beispiel taucht in den drei schönsten deutschen Wörtern überhaupt nicht auf und landet bei der Nutzungshäufigkeit unter ferner liefen mit Werten von weniger als ein Prozent, ein Schicksal, dass das "ß" mit Außenseitern wie "x", "y" oder "q" teilt. Viele Menschen glauben, dass es genau da auch seinen Platz hat. Wenn überhaupt.

Im deutschen Alphabet führt das "ß" ein Mauerblümchendasein. Damit nicht genug, gehörte es bei auch beim quälend langen Prozess der Rechtschreibreform zu den Geschlagenen, haben es die Regelwerker doch aus einer ganzen Reihe von Wörtern verbannt, in denen es über Jahrhunderte heimisch war. Freude kam bei denen auf, die im "ß" nur eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer passablen Deutsch-Note sahen. Und hatten nicht die Schweizer schon Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen, diese Sonderform des doppelten "s" aus ihrem Schriftdeutsch zu entfernen? Schon, aber seit wann sagen uns die südlichen Nachbarn, was rechtes Schreiben ist?

Nun aber dies: Auf Antrag des DIN-Institus hat das ISO das große "ß" in den Zeichensatz ISO-10646 oder auch Unicode aufgenommen und ihm die Bezeichnung 1E9E zugewiesen. DIN steht für Deutsches Institut für Normung und ISO für International Organization for Standardization, die einen sitzen in Berlin, die anderen in Genf. Deshalb versteht man den ganzen Vorgang natürlich immer noch nicht. Muss man auch nicht, denn wichtig ist, was unterm Strich rauskommt: Das "ß" gibt es künftig offiziell, von Amts wegen und Technikerwesen genehmigt auch als Großbuchstaben.

Das ist mal eine besondere Nachricht, weil es ja doch selten passiert, dass das Schrift-Alphabet einer Sprache wächst, und gerade die Lobbyisten des großen "ß" - doch, auch sowas gibt es, ganze Websites sind dem Thema gewidmet wie zum Beispiel www.das-zeitzeichen.de/eszett/ - vielleicht schon alle Hoffnungen hatten fahren lassen. Künftig also hat das deutsche Alphabet 27 kleine und große Buchstaben. Bisher lief das "ß" nur so nebenbei mit wie ein Umlaut.

Die alten Schriftgelehrten in der DDR dürften sich bestätigt fühlen. Noch in den 50er Jahren hielten sie wacker dem großen "ß" die Treue, obwohl es doch ISO- und DIN-technisch überhaupt nicht geben durfte.

Ehrlich gesagt, freuen wir uns schon auf das große "ß". Man muss rein gar nichts neu lernen. Im Gegenteil: Wir schreiben einfach dort ein großes "ß", das wir bisher, falls wir es mit Großbuchstaben zu tun hatten, immer in "ss" auflösen mussten. Endlich können wir den bedrohlich klingenden Anweisungen auf Pass- und Zollbehörden Folge leisten: "Füllen Sie das Formular in Großbuchstaben aus!!!!" Nichts einfacher als das.

Die Sache hat allerdings einen Haken. Die Typographen müssen sich erst an die Arbeit machen und große "Eszette" schnitzen. Eine Reihe von Varianten soll schon vorliegen. Und nun, werden dann Tastaturen neu belegt? Schön wär's ja, wenn man zum Beispiel Fußball nicht mehr FUSSBALL schreiben müsste, was dieser Tage außerordentlich häufig geschieht. Fußball wird beileibe nicht nur in der Zeitung mit den großen Buchstaben groß geschrieben.

Doch die Produzenten von Schreibmanualen dämpfen erstmal die Hoffnungen. "Das wäre ein erheblicher Eingriff in das Standard-Tastatur-Layout", sagt eine Sprecherin eines damit befassten Unternehmens. Das große "ß" ließe sich zwar relativ einfach einfügen, aber "das Maschineschreiben müsste dann teilweise neu gelernt werden".

Aber schreibt nicht die überwältigende Mehrheit der Deutschen mit überwiegend zwei von zehn Fingern? Die Umstellungsprobleme der Tipp-Laien wären gleich Null.

Sollte dereinst der schönste deutsche Buchstabe gekürt werden, das "ß" hätte große Siegchancen. Man muss es einfach, auch wenn es nicht so oft auftaucht, genauer betrachten. Ein bisschen "b" ist da drin, ein bischen "f", ein bisschen "3", ein bisschen verknäulte Büroklammer.

Und jetzt, wo die Schriftsachverständigen diese etwas wunderliche, altmodisch wirkende Form auch noch groß aufziehen dürfen, entwickelt das "ESZETT" seine ganze Pracht.

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/magazin/?em_cnt=1357728


Kommentar von Zwei kleine Thorheitsblüthen, verfaßt am 26.06.2008 um 23.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6857

merkur-online.de, 25. Juni 2008

Buchstabe Nr. 27: Das große Esszett

(Im Artikel selbst eine Abbildung, auf der der Schriftzug "DAS GROßE ESZETT" zu sehen ist.)

http://www.merkur-online.de/kultur_leben/
kultur/art8934,936003


stern.de, 25. Juni 2008

Eine Abbildung zeigt (unvollständig) folgende Verwendungen des Versal-ß: ROßBER..., BAßSAITE..., SPAßBU...

Bildunterschrift: "Trotz des neuen Buchstabens sollen die Rechtschreibregeln nicht geändert werden"

http://www.stern.de/unterhaltung/buecher/:Neuer-Buchstabe-Das-%DF/625069.html


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 26.06.2008 um 23.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6856

Die Tastatur braucht nicht geändert zu werden, denn ähnlich wie bei der Einführung des Euro-Zeichens genügt eine Erweiterung. Wie man anhand der Begründung von Herrn Bärlein sofort einsieht, dürfte dies am sinnvollsten in der Form [AltGr]-[s] geschehen, um bei der durchgängigen Verwendung von Großbuchstaben das Doppel-S zu ersetzen, wenn das nach den reformierten Regeln fehl am Platz wäre.

(Daß eine derartige Großschreibung schlecht zu lesen ist bzw. allgemein als typographisch minderwertig gilt, spielt dabei keine Rolle; man braucht sich ja nur mal in der Realität umzuschauen [siehe zum Beispiel die offiziellen Schilder der STRASSE DER ROMANIK].)

Und sobald die nötigen Soft- und Hardwarevoraussetzungen (bestückter Zeichensatz, verständiger Tastaturtreiber, beschaltete Taste) vorliegen, wird das große Eszett benutzt werden; anfangs sicherlich aus einer Mischung aus Neugier und eingebildeter Gehorsamsnotwendigkeit heraus, später aus Gewohnheit.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 26.06.2008 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6855

Die Systematik der reformierten s-Schreibung erfordert ein großes "ß". Sobald man "ß" nicht als Ligatur zweier "s" versteht, die unter bestimmten Umständen an deren Stelle tritt, sondern als eine Letter eigenen Rechts, die in Opposition zu "ss" steht (und dieses vice versa), ist eine Schreibung wie GROSSBUCHSTABE nicht nur anders als die entsprechende Kleinschreibung, sondern schlichtweg falsch.

Das ist vermutlich auch Frau Güthert nicht ganz verborgen geblieben. Ähnlich wie Herr Mahlmann bin ich mißtrauisch gestimmt, allerdings deshalb, weil sie sich gerade nicht auf diesen naheliegenden Aspekt einließ, sondern statt dessen bekundete, man wolle es der "Sprachgemeinschaft" überlassen, ob sie den neuen Buchstaben annimmt. Das klingt ein bißchen scheinheilig. Oder hat sie sich bloß nicht getraut?

Schließlich war es, soweit ich mich erinnere, das erste Mal, daß sie ganz allein der Presse (in diesem Fall einer Agentur) im Namen des Rechtschreibrates Auskunft geben durfte. Daß sie dafür inzwischen offenbar die Prokura hat, scheint mir, wenigstens am Rande, bemerkenswert.


Kommentar von Pt, verfaßt am 26.06.2008 um 19.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6854

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 26.06.2008 um 15.31 Uhr #6851:

"Unsinnig finde ich hingegen, wegen eines solchen Buchstabens die deutsche Tastaturbelegung grundlegend zu ändern."

Da dürfte jeder des Zehnfingersystems Kundige gerne zustimmen.

"Auf deutschen Tastaturen würde es genügen, das große Eszett an die Stelle des Rückschrägstriches zu setzen und eine andere Zifferntaste mit diesem Strich zu belegen."

Damit tun Sie genau das, was Sie oben vermeiden wollen. Der Backslash ([Alt Gr][ß]) ist ein sehr wichtiges Symbol für die Eingabe von Kommandos z. B. in LaTeX. Würde er auf eine andere Taste gelegt, würde das die Tastatur für derartige Anwendungen unbrauchbar machen.

Das große ß ist auch nicht für den alltäglichen Gebrauch bestimmt, sondern eher etwas für Historiker. Bei seiner Einführung ging es nicht darum, der Sprachgemeinschaft eine neue graphische Ausdrucksmöglichkeit zu bieten. Lesen Sie sich bitte mal das Dokument durch, in dem die Zuweisung eines Codes für diesen Buchstaben beantragt wird. Es muß hier irgendwo einen Verweis darauf geben.

Da das ß im Deutschen nicht am Wortanfang stehen kann, sind die Anwendungsmöglichkeiten eines großen ß eher gering, bzw. auf wenige Spezialgebiete beschränkt, die zudem nicht notwendig eine Tastatureingabe erfordern. Es wäre besser, die totale Großschreibung von Nachnamen auf Pässen aufzugeben bzw. den Nachnamen dort auf eine andere Weise zu markieren. Die totale Großschreibung ist sowieso ziemlich schwer lesbar.

Auf keinen Fall rechtfertigt die Einführung eines versalen ß eine wie auch immer geartete "Reform der Tastaturbelegung".


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 26.06.2008 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6853

Wenn es ohne ein versales ß geht, dann geht's ja auch mit einem. Eine neue Type zu gießen, ist gewiß kein Nachteil, und so hat erst die Sprachgemeinschaft die Möglichkeit, durch Gebrauch und Nichtgebrauch darüber zu entscheiden, ob sich das große ß etabliert.
Mich stört vielmehr, daß das ß wie ein Buchstabe und nicht wie eine Ligatur behandelt wird. Das Wissen darum, daß es eine Ligatur ist, geht verloren.
Ich hatte an anderer und andere an dieser Stelle bereits angesprochen, daß eine Verschmelzung von zwei großen S sehr viel sinnvoller sei als diese graphische Lehrlingsarbeit, die irgendwo zwischen ß und B ein trauriges Gekritzel liefert.

Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, daß durch dieses Scheingefecht um die ß-Majuskel dazu beigetragen werden soll, das ß ganz abzuschaffen. Damit hätte sich erstens Heyse erledigt, zweitens wäre die Schweiz kein orthographisches gallisches Dorf mehr, drittens wäre damit vielen Reformkritern reichlich Wind aus den Segeln genommen, da die Reformfolgen nicht mehr so augenfällig wären, und viertens hätte man einen neuen Disput eröffnet, der den Fokus von der Reform weglenkte.


Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 26.06.2008 um 17.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6852

Das große ß ist m. E. der überflüssigste Buchstabe, den es gibt. Ebenso die Einführung in irgendeinen Unicode oder eine zusätzliche Tastenbelegung. Bereits heute steht auf meinem Personalausweis TALSTRAßE. Ob die Verwendung des ß in Versalien nützlich ist oder nicht, mag jeder für sich entscheiden. Eines eigenen großen ß bedarf es dazu allerdings nicht.


Kommentar von Kelkin, verfaßt am 26.06.2008 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6851

In meiner Stadt steht seit den 70er eine 'GROSSSPORTHALLE'. Da so eine Schreibung den sonstigen Aufwand, den man mit dem Eszett betreibt, eigentlich unnötig erscheinen läßt, ist ein großes Eszett (so unhistorisch es auch sein mag) zu befürworten.
Unsinnig finde ich hingegen, wegen eines solchen Buchstabens die deutsche Tastaturbelegung grundlegend zu ändern. Die Franzosen haben 'e' und 'u' mit 'accent grave' auf den Zusatztasten um die normalen Buchstaben herum angeordnet. Auf deutschen Tastaturen würde es genügen, das große Eszett an die Stelle des Rückschrägstriches zu setzen und eine andere Zifferntaste mit diesem Strich zu belegen.


Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 26.06.2008 um 13.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6850

In Pässen und Personalausweisen, ferner z.B. auf Kredit- und EC-Karten sowie Miles&More u.ä. (nicht auf Führerschein und Bahncard) werden Namen in VERSALIEN geschrieben. Eine Menge Potential für Querulantentum, wenn da SS statt ß erscheint. Recht auf Unversehrheit des Namens! Deswegen war und bleibt die Maßnahme wohl nötig.


Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 26.06.2008 um 13.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6849

@ David ...

Doppel-S-Ligatur? Eine gute Idee!

Allerdings sollte diese dann in der neuen Rechtschreibung (nach gesetzlich bindender Vorschrift, versteht sich – wir Deutschen wollen schließlich Vorschriften!) nur dort eingesetzt werden, wo bei der klassischen Rechtschreibung das ß verwendet wurde. Um die Sache zu vereinfachen (und die armen Typographen nicht zu sehr zu belasten) sollte diese Ligatur dann genauso aussehen wie das klassische ß. ;-)

Ansonsten zum großen SZ: Die Idee eines Versal-ß kann eigentlich nur einem Bürokratenhirn entsprungen sein – jetzt fehlen nur noch große Ziffern für Zahlen am Satzanfang. Oder hat sich vielleicht ein findiger Typograph das neue Zeichen (das verunglückt ausschauende große B) schon als Bildmarke schützen lassen, und wartet jetzt nur darauf, ahnunglose Web-Nutzer abzumahnen?


Kommentar von David Weiers, verfaßt am 25.06.2008 um 23.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6848

Kein versales Lang-S, kein versales ß. Eigentlich ganz logisch. Aber das interessiert Normungsgremien anscheinend nicht.

Blödsinnig sowas. Warum keine versale Doppel-S-Ligatur? Wäre doch mal reizvoll gewesen.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.06.2008 um 18.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6847

Weil nun mal jede Lateinschrift-Sprache außer dem Englischen irgendwelche Sonderzeichen hat (das wurde hier schon füher mal geklärt), hülfe gegen dumme Grenzbeamte nur eine einheiliche "europäisierte" Namensschreibweise in einer "europäischen Standard-Latinica". Vielleicht kommt das aus Brüssel auch noch.
Zwischen den Sprachen mit kyrillischen Alphabeten gilt genau das gleiche, auch da müßte dann eine "europäische Standard-Kyrillica" her. Ukrainer, Serben, Bulgaren und Mazedonier wären begeistert.


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 25.06.2008 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6846

Zu #6843: Ich hoffe jedoch, daß die Paßämter jetzt paßbeantragenden Bürgern das "große 'ß'" in der Schreibweise ihres Familiennamens im Reisepaß weiterhin verweigern, auch wenn die Bürger darauf bestehen. Schließlich steht das "ß" bei uns für zwei "s", wenn diese auch in unserer Tradition in verschiedenen Stilen zu Papier gebracht werden. Ausländischen Grenzbeamten ein neues graphisches Zeichen zuzumuten, bringt nämlich gar nichts Sinnvolles in der Sache hier, dem internationalen Reisen, ein. Falls eine Rückübersetzung ins (kleine) "ß" bei einem Grenzübergang nötig sein sollte, hat das bestimmt nichts mit dem Verhältnis vom (großen) "SS" zu unserm "ß" zu tun, sondern mit dem Gesichtsausdruck und dem Gepäckinhalt des Paßinhabers. Es gibt natürlich auch Leute, die sich das Foto in ihrem Paß lange anschauen und denen das offenbar etwas gibt. Aber brauchen wir deretwegen ein großes "ß" wie einen Kropf?


Kommentar von tk, verfaßt am 25.06.2008 um 13.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6845

Gehört diese Meldung nicht eigentlich in die Rubrik Blüthen der Thorheit?


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 25.06.2008 um 13.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6844

Die einzige Verwendung, die ich mir daür vorstellen kann, haben Marketing-Leute, die neue Markennamen erfinden müssen. Deren Suchraum wird dadurch etwas reichhaltiger. Warten wir also auf "eßoniq" in Versalien.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.06.2008 um 12.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=592#6843

Ich hoffe, daß die Paßämter jetzt paßbeantragenden Bürgern nicht mehr die richtige Großbuchstabenschreibweise ihres Familiennamens im Reisepaß verweigern können. Vermutlich müssen die Bürger darauf bestehen.



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