10.07.2008


Theodor Ickler

Unter Nachbarinnen

Der bundesweite Einbürgerungstest ist fehlerhaft und fragwürdig

Zu Frage 164: läßt (!) alle Parteien verbieten
Frage 245: Wer darf in Deutschland nicht als Paar zusammen leben? (Gemeint ist offenbar zusammenleben.)
Frage 281: hinein gelassen

Der gesamte Katalog ist penetrant feministisch formuliert:
Zu Frage 136:
Sie gehen in Deutschland zum Arbeitsgericht bei ...
- Problemen mit den Nachbarn / den Nachbarinnen


Inhaltlich ist der Test auch schon von mehreren Seiten kritisiert worden. Ich möchte folgendes hinzufügen:
In Deutschland
- sind Staat und Religionsgemeinschaften voneinander getrennt.
- bilden die Religionsgemeinschaften den Staat.
- ist der Staat abhängig von den Religionsgemeinschaften.
- bilden Staat und Religionsgemeinschaften eine Einheit.

Das ist problematisch, da in Deutschland bekanntlich eine „hinkende Trennung“ von Staat und Religion existiert, zu der es eine umfangreiche staats(kirchen)rechtliche Literatur gibt. Gegen den verrufenen „Laizismus“ verwahren sich alle, die etwas werden oder bleiben wollen. Man will es ausdrücklich nicht so haben wie in Frankreich oder den USA. Vgl. Kruzifixstreit usw. (Religionsunterricht, Finanzierung der theologischen Fakultäten, staatliche Finanzierung der Militärseelsorge, staatliches Inkasso der kirchlichen Mitgliedsbeiträge ...) Die vierte Antwort wäre treffender als die gewünschte erste.

Bei der 40. Frage (Anfang der Nationalhymne) wird interessanterweise nicht „Deutschland, Deutschland über alles“ zur Wahl gestellt. Was, wenn jemand dies angekreuzt hätte? Übrigens kommt es mir wie der sinnvollere Anfang vor als der jetzige, der irgendwie unzusammenhängend wirkt. Es fehlt bloß am historischen Sinn. Was singen denn die Franzosen!
Frage 66 gilt dem Verfasser der Nationalhymne; man sollte hinzufügen, daß er sie anders verfaßt hat und sich wohl ein bißchen wundern würde, wenn er heute sehen müßte, was man daraus gemacht hat.
(Ich brauche nicht noch einmal zu sagen, daß ich kein Freund von Flaggen, Hymnen usw. bin.)

Von Brandts „Kniefall“ (181) zu sprechen hat für mich einen leicht abschätzigen Unterton.
Die Frage 184 Was nannten die Menschen in Deutschland sehr lange ‚Die Stunde Null‘? ist recht seltsam. Wer hat denn so geredet?
Den Feiertag hat man abgeschafft (zugunsten eines bürokratischen Datums als Triumph der Amtsträger anstelle des Volkes), aber an den 17. Juni erinnert man immerhin noch mit Frage 186 und Frage 210.
Die Frage 206 nach den „Montagsdemonstrationen“ ist sehr speziell.

211: Welcher Politiker steht für die ‚Ostverträge‘? – Das ist auch ziemlich seltsam ausgedrückt.
Mit Frage 239 könnte man wohl auch die meisten Deutschen in Verlegenheit bringen (Römische Verträge).

295: Welche Religion hat die deutsche und europäische Kultur geprägt?
- der Hinduismus
- das Christentum
- der Buddhismus
- der Islam

(Was soll diese Frage? Sie gibt den Abzuwehrenden zu verstehen: Ihr gehört eigentlich nicht hierher. Außerdem hat der Zentralrat der Juden mit Recht kritisiert, daß die Rolle des Judentums gar nicht erst erwogen wird.)

Frage 298 ist ziemlich sinnlos. Warum müssen Einbürgerungswillige heute wissen, aus welchen exotischen Ländern die meisten Migranten in der DDR kamen?


Mein Gesamteindruck:
Die 300 Fragen sind mühsam um die Abwehr muslimischer Zuwanderer herumkonstruiert. Viele Frage zielen offen oder versteckt auf deren entsprechende religiöse und rechtliche Vorstellungen. Es gibt viele Fragen zur Kenntnis des Christentums, aber keine einzige zum Verständnis anderer Religionen, vor allem des Judentums und des Islams, dem ja sehr viele Deutsche anhängen.

In den USA werden, soweit ich sehe, keine Multiple-choice-Fragen gestellt; daher gibt es auch keine mehr oder weniger absurden Distraktoren. Es gibt auch keine Anspielung auf die dominante Religion und keine Erwähnung von Religionen überhaupt. Dabei sind die Amerikaner das frömmste Volk der Erde ...

Man könnte es auch so ausdrücken: Statt wie die USA positives staatsbürgerliches Wissen abzufragen, stellt der deutsche Test lauter Fallen auf, in die ausschließlich Muslime tappen sollen, damit sie sich in einem unbedachten Augenblick als nicht integrationsfähig entlarven. Nun, es wird nicht an Ratgebern fehlen, um sie darauf bestens vorzubereiten, und das schafft ja auch wieder Arbeitsplätze.


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