12.02.2014


Theodor Ickler

Überwindung des Pathos

Celan und die Gruppe 47

Haben nationalsozialistische Deutschlehrer unser Verhältnis zur Vortragskunst geprägt?

In einem ganzseitigen Aufsatz in der FAZ vom 12.2.4 untersucht Reinhart Meyer-Kalkus, warum die Gruppe 47 auf die erste und einzige Lesung Celans bei einer ihrer Versammlungen so befremdet reagierte, seinen getragenen Singsang einerseits mit der Synagoge, andererseits mit Goebbels in Verbindung brachte usw. – die Episode ist ja bekannt genug. Der Autor weist auf den prägenden Einfluß Alexander Moissis hin. Aber in der Hauptsache geht es ihm nicht um Celan, sondern um die vortragsästhetische Prägung seines Publikums. Hier scheint ihm Erich Drach eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Drach wurde im Dritten Reich eifriger Nazi, starb aber gewissermaßen rechtzeitig, um sich nicht weiter schuldig zu machen. Zweifellos prägte er die Sprecherzieher der nächsten Generation mit. „Und was deren Schüler nun gegenüber Paul Celan vorbringen, ist wie ein Echo auf das, was sie in Hitler-Deutschland von ihren Lehrern und diese von Sprecherziehern wie Drach gehört hatten.“ Das ist der Kernsatz, auf den alles hinausläuft. Hans Werner Richter und die anderen waren, ob sie es wußten oder nicht, Nachfolger der nationalsozialistischen Sprecherziehung.

In Wirklichkeit, und das kann man sogar aus diesem Beitrag entnehmen, hat die Wendung zur „Neuen Sachlichkeit“ (die ausdrücklich erwähnt wird) gar nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun, und was Erich Drach gegen Ende seines Lebens an antisemitischem Gerede von sich gibt, ist bloß eine dumme Eskapade. Man denke auch an Tucholsky (über dessen Pathosvermeidung ich vor Jahrzehnten mal einen Aufsatz geschrieben habe). Die Argumentation läuft ja auf die Unterstellung hinaus, daß unser aller Befremden gegenüber dem Pathos und besonders gegenüber dem Celanschen Vortrag, den man sich ja immer noch anhören kann, nationalsozialistisch-antisemitisch geprägt sei. Ich halte diese Entpathetisierung für eine viel umfassendere Erscheinung. Unser „mokantes Verhältnis“ zur Sprache (Wolf Schneider), das die Pose des Sehers nicht mehr erträgt, ist auch nicht auf Deutschland beschränkt, es ist einfach modern.


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