30.06.2005


Theodor Ickler

Bertelsmann schafft Tatsachen

Der Bertelsmann-Verlag kündigt zusammen mit dem Schulbuchverlag Cornelsen für den 1. August 2005 ein neues Rechtschreibwörterbuch an.
Es berücksichtigt „die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 3. Juni 2005“ und führt „in den unstrittigen Bereichen Laut-Buchstaben-Zuordnung, Groß- und Kleinschreibung sowie Bindestrich-Schreibung alle Schreibweisen des amtlichen Regelwerks in der Fassung von 2004 auf. In den strittigen Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung verzeichnet der WAHRIG darüber hinaus die alten Schreibweisen, die laut KMK weiterhin toleriert werden sollen.“ (Pressemitteilung vom 29. Juni 2005). Damit entspricht es bis in den irreführenden Wortlaut hinein dem Wunsch der Kultusminister, die verfehlte Groß- und Kleinschreibung sowie die teilweise skurrilen Laut-Buchstaben-Zuordnungen nicht mehr zur Diskussion zu stellen, da sie „unstrittig“ seien. KMK und Ministerpräsidenten haben in offener Mißachtung des Rates für deutsche Rechtschreibung erklärt, in diesen Bereichen seien Änderungsvorschläge des Rates nicht zu erwarten. Der Rat ist mehrheitlich anderer Ansicht, und auch sein Vorsitzender hat mehrmals festgestellt, daß der Rat in der Wahl seiner Diskussionsgegenstände unabhängig und kein Anhängsel der KMK sei. Er beabsichtigt, die Groß- und Kleinschreibung möglichst noch im Jahre 2005 zur Diskussion zu stellen.

Mit dem neuen Wörterbuch schafft der Bertelsmann-Konzern Fakten. Wie 1996, als die Kultusminister trotz starker Bedenken die Wiener „Absichtserklärung“ erst unterzeichneten, als eine anwesende Person eingeworfen hatte: „Aber Bertelsmann hat doch schon gedruckt“ – so wird auch jetzt ein Pflock eingeschlagen, an dem selbst der Rat (in dem Bertelsmann und die Schulbuchverleger Sitz und Stimme haben) nur schwer vorbeikommen dürfte. Das neue Wörterbuch muß ja längst fertiggestellt sein, wenn es im Laufe des Juli an die Buchhandlungen ausgeliefert werden soll. Auch das Österreichische Wörterbuch (der Verlag ist mehrfach im Rat vertreten) ist längst fertig, Probeseiten können im Internet angesehen werden.

Im Rückblick wird noch klarer, warum die Kultusminister sich auf jene abstruse „Teilverbindlichmachung“ der Reformruine zum 1. August eingelassen haben, die nur den Vorteil hat, daß sie den Wörterbuch- und Schulbuchverlagen keine besonderen Kosten verursacht.

Die Verlagslobby wird zu verhindern wissen, daß die Versuche des Rates, zu einer sprachrichtigen, am gewachsenen Gebrauch orientierten Schreibweise zurückzufinden, zum Erfolg geführt werden. Notfalls wird sie die „alte Verbändeallianz“ mobilisieren – so nennt der Verband der Schulbuchverleger seine jederzeit zu öffentlichen Erklärungen bereiten Hilfstruppen: den Bundeselternrat, den Deutschen Philologenverband, den Verband Bildung und Erziehung, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und einige andere, darunter sogar Schülervertretungen.


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