03.06.2017


Theodor Ickler

Ikonismus

Zum Gestaltungsprinzip der "Abbildung"

Hermann Paul und Wilhelm Havers – um nur diese beiden zu nennen – haben besonders hervorgehoben, daß gewissermaßen "unterhalb" der grammatisch-logischen Disziplinierung der Sprache (vor allem der schriftlichen) die alten psychologischen "Triebkräfte" fortwirken.

Das hat die Semiotik neuerdings wieder stärker beachtet. Roland Posner hat viel dazu geschrieben und herausgegeben, z. B.
Bouissac, Paul/Herzfeld, Michael/Posner, Roland (Hg.) (1986): Iconicity. Essays on the Nature of Culture. Fs. f. Thomas A. Sebeok on his 65th birthday. Tübingen.

Zusammenfassend auch Claus Pusch:
www.romanistik.uni-freiburg.de/pusch/Download/publikationen/2001_Ikonizitaet.pdf

Hier gab es auch schon verstreute Bemerkungen: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1509#27050

"Die Sprache malt nicht." (Bühler)

Oft aber doch. Das Abbilden, Vorführen, Zeigen ist vor- und unbegrifflich, es umgeht die Abstraktionsleistung, die jeder Benennung zugrunde liegt. Dabei ist es gleichwohl spezifisch menschlich. Tiere zeigen nicht, malen nicht (pace Desmond Morris), führen nichts pantomimisch vor. (Darum sprechen sie nicht.)

Ich komme noch einmal auf das halb totgerittene Beispiel zurück:
Sie heirateten und bekamen ein Kind. / Sie bekamen ein Kind und heirateten.
Logisch sind die beiden Sätze gleichwertig, weil sich der Wahrheitswert aus dem der Teilsätze errechnen läßt. Die Reihenfolge der Konjunkte ist gleichgültig. In der Allgemeinsprache wird sie ikonisch interpretiert, als Reihenfolge der Ereignisse.

Am meisten erörtert ist neben der Reihenfolge die Tatsache, daß Pluralformen länger als Singularformen oder wenigstens nicht kürzer sind.

Der Ikonismus kann recht subtil sein:

Schwesig aß Würste in Neubrandenburg, diskutierte über Frauenrechte in Heringsdorf, traf alle Direktkandidaten. (spiegel.de 30.5.17)

Die Zusammenhanglosigkeit deutet ikonisch an, daß sie alles mögliche tat. Die Tatsache, daß die Politikerin in Neubrandenburg Würste aß, wäre keine Mitteilung wert, weil fast alle Menschen in Neubrandenburg gelegentlich Würste essen.


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1659