30.06.2005


Theodor Ickler

Schwere Geburt

„... gegebenenfalls Änderungen in den Bereichen GZS, Fremdwörter und Interpunktion ...“

Endlich ist die zwischenstaatliche Vereinbarung über das Statut des Rates greifbar.

Kommentar zur Vereinbarung vom 17. Juni 2005

Am 17. Dezember 2004 trat der Rat für deutsche Rechtschreibung zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen, am 17. Juni 2005 unterzeichneten die deutschsprachigen Staaten eine Vereinbarung über das lange vorher erlassene Statut dieses Rates. Wenn ein Text von gut 15 Zeilen nicht weniger als sechs Monate lang „redaktionell überarbeitet“ wird, darf man wohl besondere Feinheiten erwarten. Sie sind nicht schwer zu entdecken. Anders als das Statut selbst nennt die Vereinbarung diejenigen Gebiete der Rechtschreibreform, mit denen sich der Rat (vordringlich?) beschäftigen soll: Getrennt- und Zusammenschreibung, Fremdwörter und Interpunktion. Ob auch die anderen Gebiete zur Disposition stehen, ist offen und kann bei restriktiver Auslegung des Textes verneint werden. Auch haben inzwischen die Kultusminister mehrmals verkündet, die von Anfang an höchst umstrittenen Bereiche der Groß- und Kleinschreibung sowie der Laut-Buchstaben-Zuordnung seien „unstrittig“ und Änderungsvorschläge seitens des Rates nicht zu erwarten. Der Rat selbst und sein Vorsitzender denken anders darüber, aber ihrem Urteil wird vom Auftraggeber vorgegriffen. Sehr auffällig ist, daß die Silbentrennung, die seit Beginn zum vordringlichen Arbeitsthema des Rates gehörte und bereits von einer besonderen Arbeitsgruppe diskutiert worden ist, nun nicht mehr erwähnt wird.

Wie ist das alles zu erklären? Ganz einfach: es werden nur solche Bereiche genannt, deren Änderung den Wörterbuchverlagen nicht weh tut. Die Getrennt- und Zusammenschreibung war bereits mit der amtlichen Revision vom Sommer 2004 weitgehend zurückgenommen und ist im Duden desselben Jahres schon berücksichtigt, die Fremdwörter werden über die Variantenschreibung hinaus sicher nicht wesentlich geändert, und die Interpunktion betrifft die Wörterverzeichnisse naturgemäß gar nicht. Ganz anders sähe es aus, wenn die Silbentrennung auf ein vernüftiges Maß zurückgeschnitten oder gar die Groß- und Kleinschreibung wieder sprachgerecht gestaltet würde. Deshalb mußte den Verlagen zuliebe hier dem Rat eine Schranke gesetzt werden. Änderungsbeschlüsse auf diesen vermeintlich „unstrittigen“ Gebieten können jederzeit als nicht statutengemäß zurückgewiesen werden.

Überflüssig zu erwähnen, daß die „Vereinbarung“ von derselben Unwahrhaftigkeit geprägt ist wie das Statut und schon der Auftrag an die entlassene Zwischenstaatliche Kommission und deren „Beirat“: Nicht die „Beobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung“ ist der eigentliche Auftrag, sondern die Reparatur der mißlungenen Reform. Diese einfache Wahrheit, die jedes Ratsmitglied kennt und die in jedem Satz, der im Rat gesprochen wird, zum Ausdruck kommt, darf um keinen Preis erwähnt werden. Sogar im Rat selbst verbietet man es sich, den Trümmerhaufen Rechtschreibreform beim Namen zu nennen – eine Farce. (Wer würde, um die Sprachentwicklung beobachten zu lassen, eine solches Gremium gründen, das weder personell noch von der Ausstattung her für eine genuin wissenschaftliche Arbeit gerüstet ist? Die Besetzung ist nur zu erklären, wenn man unterstellt, daß die Reparatur der Reformruine den wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten nicht schaden soll.)

Gleichzeitig wird bekannt, daß am 1. August das neue Rechtschreibwörterbuch von Bertelsmann auf den Markt kommen soll. Der Schulbuchverlag Cornelsen beteiligt sich am Vertrieb. Mit dem neuen Wörterbuch schafft der Bertelsmann-Konzern Fakten. Wie 1996 in Wien, als die Kultusminister trotz starker Bedenken die „Absichtserklärung“ erst unterzeichneten, nachdem eine anwesende Person eingeworfen hatte: „Aber Bertelsmann hat doch schon gedruckt“ – so wird auch jetzt ein Pflock eingeschlagen, an dem der Rat nur schwer vorbeikommen dürfte. Das neue Wörterbuch muß ja längst fertiggestellt sein, wenn es im Laufe des Juli an die Buchhandlungen ausgeliefert werden soll.

Im Rückblick wird noch klarer, warum die Kultusminister sich auf jene abstruse „Teilverbindlichmachung“ der Reform zum 1. August eingelassen haben, die nur den Vorteil hat, daß sie den Wörterbuch- und Schulbuchverlagen keine besonderen Kosten verursacht.


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