03.04.2006


Theodor Ickler

Verdüsterung

Seltsames kommt aus dem Hause Springer

Im Sommer 2005 vertraute die KMK-Präsidentin Johanna Wanka dem SPIEGEL an: „Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“
Dabei wählte sie offenbar einen falschen Begriff, denn der Staat wäre wohl kaum in Gefahr, wenn die Rechtschreibreform zurückgenommen würde. Andere Politiker haben deutlicher gesagt, daß es in Wirklichkeit um das Prestige der Kultusminister geht, die keinen Fehler eingestehen wollen.
Gleichwohl teilte der Chef des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, im März 2006 in einem an viele Bürger versandten Brief mit: „Die mit Wirkung zum 1. August dieses Jahres von den Kultusministern beschlossene Verbindlichkeit der reformierten Rechtschreibung ist nach Aussagen der Politik der Staatsräson geschuldet. Damit steht die staatlich verordnete Reform unumkehrbar fest und die Axel Springer AG hat keine andere Möglichkeit, als dieser Reform zu folgen: Wir können langfristig nicht anders schreiben, als es Kinder in der Schule lernen.“
Aus der unvorsichtigen Bemerkung der Ministerin wird hier eine „Aussage der Politik“, und sie dient zur Begründung schicksalhafter Hinnahme der Reformschreibung – über deren Inhalt Anfang März noch sehr unklare Vorstellungen herrschten, denn die Wörterbücher, denen die letzte Revision einen weiten Spielraum eröffnet, lagen noch nicht vor, und die „Empfehlungen“ des Rates für deutsche Rechtschreibung, von den Politikern im Schnellverfahren unbesehen gebilligt, erschließen sich dem Verständnis nur sehr schwer.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Einführung der Reform an den Schulen nur unter der Bedingung für zulässig erklärt, daß sie in der Bevölkerung akzeptiert sei. Das ist sie auch 2006 nicht, aber die Zeitungsverlage stellen den Urteilsspruch geradezu auf den Kopf: Weil die Rechtschreibreform an den Schulen eingeführt ist, wollen sie ihrerseits nun wenigstens den äußeren Anschein der allgemeinen Akzeptanz schaffen. Die Geiselnahme an den Schülern funktioniert immer noch – zehn Jahre nach der vorfristigen Einführung der Reform an den Schulen.
Die Nachrichtenagenturen unter Führung der Deutschen Presse-Agentur wollen wieder ihre Kunden befragen, wie sie es vor acht Jahren mit tendenziöser Fragestellung und zweifelhaften Ergebnissen schon einmal getan haben. Nur die Leser fragt niemand.
So wird die Rechtschreibreform – oder was von ihr übrig ist – just zu dem Zeitpunkt durchgesetzt, da sie praktisch gar keine Verteidiger mehr hat, und als Begründung dient das kümmerlichste aller denkbaren Argumente: sie sei zwar ein Fehler, aber man wolle den Schulen die Unbequemlichkeit des nochmaligen Umlernens ersparen. Dabei werden gerade die neuen, zum drittenmal gründlich revidierten Wörterbücher vorbereitet, die Schul- und Kinderbücher werden folgen. Aber auch die revidierte Reform ist noch fehlerhaft genug, ein Ende der Debatte kann es daher vorläufig nicht geben.


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