05.08.2006


Theodor Ickler

Recht haben

Was man nicht versteht, soll man nicht verändern

Schon oft behandelt, kann dieses Thema im Lichte der neuesten Ereignisse noch einmal Interesse wecken.

Mit recht haben / unrecht haben sind die Reformer nie zurechtgekommen.

Aus dem 3. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission:

»Die französische Entsprechung avoir raison legt es nahe, dass in dieser Verbindung das Substantiv (das) Recht und nicht das Adjektiv recht vorliegt. Dass die Wortart von Recht nicht ohne weiteres zu bestimmen ist, hängt damit zusammen, dass sich haben nicht nur mit Substantiven, sondern auch mit Adjektiven verbinden kann: einerseits Hunger haben, Angst haben, Zeit haben usw., anderseits freihaben, leicht haben (sie wird es nicht leicht haben).
Sowohl bei substantivischer als auch bei adjektivischer Auffassung von Recht ist auch die Zusammenschreibung als Option zu erwägen: rechthaben (ich habe recht), unrechthaben (ich habe unrecht). Die Fügungen werden so zu den semantisch verdunkelten Verbindungen des Typs teilnehmen, preisgeben, standhalten gestellt.
Vorschlag A: Die frühere Kleinschreibung soll als Variante wieder zugelassen werden: Recht haben oder recht haben (ich habe Recht oder ich habe recht).
Vorschlag B: Zusätzliche Einführung der Zusammenschreibung.
Pro
Die Rückkehr zur alten Schreibung berücksichtigt eine öfter vorgebrachte Kritik.
Kontra
Neuschreiber gewöhnen sich schnell an die Großschreibung, weil die substantivische Auffassung von Recht grammatisch plausibel ist und von den zahlreichen Verbindungen von haben plus Substantiv unterstützt wird: Angst haben, Durst haben, Zeit haben usw.; Verbindungen von haben und Adjektiv sind viel seltener. Das Nebeneinander dreier Varianten, wie es Vorschlag B anstrebt, führt in die falsche Richtung, ist doch öfter kritisiert worden, dass die Neuregelung zu viele Varianten zulässt. Hier hätte man es mit den folgenden Varianten zu tun: Recht haben, recht haben, rechthaben.«


Für die Kleinschreibung genügt es, daß kein zweifelsfreies Substantiv vorlegt, denn im Zweifel wird klein geschrieben. Der einleitende Verweis auf ein französisches Übersetzungsäquivalent ist nicht relevant, da er keinerlei Aussagekraft für die deutsche Grammatik beanspruchen kann. Es wird kein triftiger Grund gegen die Rückkehr zur bisherigen Schreibweise angeführt. Daß die Neuschreiber sich schnell an eine Schreibweise gewöhnen, die zum Teil nachweisbar grammatisch falsch ist, mag so sein oder auch nicht (es gibt ja keine Begleituntersuchungen zur Einführung der Rechtschreibreform), es ist ohne Bedeutung.

Aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 3. 2. 2006:

»Anders verhält es sich beim Vorschlag, recht und unrecht in Verbindung mit Verben wie behalten, bekommen, geben, haben und tun ausschließlich kleinzuschreiben. Dieser Vorschlag findet im Rat ebensowenig die Mehrheit wie in der Arbeitsgruppe. Die Gründe hierfür liegen im skalaren Übergang zwischen den Wortarten, wie die Diskussion zeigt. So funktioniert in dem Satz "Wie recht du doch hast!" die Adjektivprobe, während sie in dem Satz *"Wie recht du doch bekommst!" versagt. Da auch die linguistischen Konzepte keine letzte Gewissheit bringen und alltagssprachlich zwar die Opposition du hast nicht recht – du hast recht aufgemacht, aber gleichzeitig bei Verbindungen mit haben ein Objekt erwar-tet wird (vgl. Angst haben, Pech haben), empfiehlt der Rat bei einer Enthaltung und keiner Gegenstimme, ohne weitere Markierung Groß- wie Kleinschreibung in den genannten Fällen zuzulassen.«

Die Argumentation ist nicht stichhaltig. Wie recht du doch bekommst! ist aus pragmatischen Gründen nicht plausibel, aber du wirst sehen, wie recht du bekommst geht ohne weiteres, noch häufiger kommt vor: wie recht ich dir gebe.

Oft zitiert ist die Stelle aus Konrad Duden:

»Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat.« (Die Zukunftsorthographie (usw.). Leipzig 1876, S. 70)


Ein Mitbürger gab folgenden Erlebnisbericht (hier leicht bearbeitet):

Unlängst bin ich über die richtige Schreibung von "ich habe recht" in Streit geraten. Ich hatte als grammatische Begründung der Kleinschreibung die Erklärung von Konrad Duden aus "Zukunftsorthographie" verwende. Da ich damit aber auf blankes Unverständnis stieß, habe ich nun einen kleinen Feldversuch gestartet und die einschlägigen Sprachdienste, also die Profis, angerufen mit den zwei Fragen:

1. Um was für ein Wort handelt es sich bei "recht" im Ausdruck "ich habe r/Recht"?
2. Wie war die grammatische Begründung für die Kleinschreibung in der herkömmlichen Rechtschreibung?

Bei der Bertelsmann-Hotline erklärte mir eine sehr nette Dame spontan: "Ein Substantiv – wegen Großschreibung". Auf meine Entgegnung, daß ich doch mit "sehr" erweitern können und das ja wohl bei Substantiven nicht ginge ("ich habe sehr Geld") und es mir nicht um die Orthographie, sondern um die grammatische Begründung ginge, weil man es doch früher klein geschrieben habe, stutzte sie, schlug nach, entdeckte irgendwo "Adjektiv" und meinte, man könne es wohl auch als Adjektiv auffassen. Auf mein Nachhaken, daß es ja wohl nicht beides zugleich sein könne und wie das denn jeweils grammatisch begründet sei, bekannte sie vollständige Ahnungslosigkeit und versprach, sich kundig zu machen und mir das Ergebnis zu mailen. Hier die Antwort:

»Sehr geehrter Herr NN,

Sie riefen an, um eine grammatische Begründung für die Wortart von "Recht" in "Recht haben" zu erfragen.

"recht haben" - nach neuer Rechtschreibung "Recht haben" - stellt eine Redewendung dar, die ursprünglich "das Richtige/die Wahrheit sagen" hieß und ursprünglich "wâr haben" hieß. Das mittelhochdeutsche "wâr" ist ein Adjektiv. Wohl in Anlehnung an dessen Wortart und da "recht" ansonsten auch für 'richtig' u. Ä. als Adjektiv stehen kann, wurde hier die Wortart Adjektiv "angesetzt". Eine "grammatische Begründung" scheint es hierfür nicht zu geben.

Wie Sie schon feststellten, folgt aber auf "ich habe" üblicherweise ein Akkusativobjekt. Diese Begründung spricht für "Recht" als Substantiv, welches eine Substantivierung des älteren Adjektivs darstellt. Eine gewisse Unsicherheit, welcher Wortart "r/Recht" hier angehört, ist nicht neu: Schon in Grimms "Deutschem Wörterbuch" wird auf das "Schwanken" der Wortart hingewiesen.

Heute versteht man "Recht" in "Recht haben" als Substantiv - allerdings verzeichnen einige Wörterbücher die Wendung aber noch unter "recht haben", wo "recht" - wohl aus Platzgründen - im Adjektiveintrag behandelt wird.

Mit freundlichen Grüßen

XY

WAHRIG-Sprachberatung«

Bei der Duden-Hotline meinte eine etwas ruppige Dame: "Das ist selbstverständlich ein Substantiv. Ich habe Recht. Akkusativ". Auf meine Frage, warum das denn dann früher klein geschrieben wurde, die Antwort: "In der alten Rechtschreibung gab es viele solche unlogische Schreibweisen".
Auf meine Entgegnung, daß ich doch aber zu "ich habe sehr recht" erweitern kann und es ein "sehr Recht" ja wohl nicht gäbe, Gradpartikel könnten doch wohl nicht zu einem Substantiv treten, kam keine Antwort. Auf meine Behauptung, daß es für die Kleinschreibung ja aber wohl doch einen Grund gegeben haben müsse, schließlich würde ja darüber im Zusammenhang mit der Reform heftig gestritten, meinte die Dame etwas knapp, daß sie sich da erkundigen werde und mich zurückrufen würde.

Eine halbe Stunde später rief sie tatsächlich zurück und empfahl mir (mit Telefonnummer), mich mit solchen Fragen doch gleich an das IDS zu wenden.

Dies tat ich auch und wurde dort mit "unserer Grammatikerin", einer Frau Dr. B., verbunden.

Diese versuchte erst, mir anhand von "die Flinte ins Korn werfen" zu erklären, daß es eben unveränderliche Phraseologismen gäbe – auf meine Erwiderung, daß ich diesen Phraseologismus durchaus mit "leergeschossene Flinte" ironisch verändern könne, brach sie das ab und erklärte mir durchaus ausführlich den Begriff "r/Recht" als grammatischen Grenzfall, den man so oder so sehen könne: Ein Substantiv im Wortwandel verliere manche Eigenschaften (aber nicht alle), nähme Eigenschaften der neuen Wortart an (aber auch nicht alle), so daß nicht absolut auszumachen sei, ob es nun noch dies oder schon mehr das sei, es sei letztlich Ermessenssache. Auf meinen Hinweis, daß man doch zumindest grammatisch ex negativo ausschließen könne, daß es sich um ein Substantiv handelt („ich habe nicht recht/ich habe kein Recht, wie recht ich habe“) erklärte sie nach kurzem Stocken, diese altbekannte Argumentation sei nicht ausreichend, weil diesen Eigenheiten wieder andere, nicht passende entgegenstünden. Der Streit sei nicht entscheidbar, aber wenn ich, wie ich gesagt hätte, einen Unterschied zwischen "recht haben" und "ein Recht auf od. zu" empfände, könne ich das selbstverständlich so schreiben, wenn ich wolle – Sprache sei eben nicht so einfach in Regeln zu gießen.
Sie war insgesamt freundlich, erkundigte sich ernsthaft interessiert noch, ob ich denn eine Schreibung "rechthaben" für möglich hielte, und war die einzige, die überhaupt die Konrad-Duden-Probe und das ex-negativo-Argument kannte.

Mein nächster Versuch war die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden: Ein ausnehmend freundlicher Herr am Apparat, der die Neuregelung zumindest als ausschließliche Schreibweise ganz unsinnig und die Art ihrer Verordnung empörend fand, auch andeutete, daß ja noch nicht feststehe, ob diese Neuregelung bestehen bliebe – aber leider auch nicht wußte, wie sich die Kleinschreibung grammatisch begründet. Er bat um Bedenkzeit und rief tatsächlich eine Stunde später an – allerdings ohne neue Erkenntnisse, auch seine Kollegin wisse da nichts Genaueres, die auch gerade zu diesem Thema gefragt worden sei; es müsse mit Hinzufügbarkeit von Adverbien zu tun haben. Ich erzählte ihm daraufhin von der Konrad-Duden-Auffassung; er war begeistert und empfahl mir, mich doch mal im Ickler schlau zu machen, ob ich den kenne, der Ickler habe ja darüber gearbeitet, da müsse was zu finden sein, er habe den Ickler aber leider nicht da. (Herr Ickler ist da wohl sogar in gedruckter Form persona non grata.)

Ein sehr netter, engagierter Herr, der von der Konrad-Duden-Probe ganz begeistert war und mit dem sich dann sehr gut und konstruktiv debattieren ließ – aber die Begründung der Kleinschreibung in alter Rechtschreibung hatte er nun auch nicht gekannt.

Das Grammatische Telefon der Uni Aachen: Eine sehr unbedarfte junge Dame (Studentin?), die das auch alles nicht wußte, nur wußte, daß in Altschrieb klein, in Neuschrieb groß geschrieben wird; die dann nachschlug in Büchern von Prof. Stetter, dort angeblich darauf stieß, daß es wohl auch ein "Prädikat-Adjektiv" sein könne, aber andere, wie sie meinte, würden es eben als Substantiv auffassen; ansonsten war sie nicht recht in der Lage, meine Frage nach dem jeweiligen grammatischen Begründungszusammenhang zu verstehen – was ich denn eigentlich wissen wolle. Kein Ruhmesblatt für das Grammatische Telefon.

Mein letzter Versuch war die Sprachberatung der Uni Halle. Wiederum eine nette Dame, diesmal eine ältere, die – nachdem sie das Problem kapiert hatte - nach eigenem Eingeständnis keine blasse Ahnung hatte, warum das ehemals klein geschrieben wurde. Sie wolle sich aber kundig machen und würde mir das Ergebnis mailen, es könne aber mehrere Tage dauern. Die Antwort steht noch aus.

Ich bedaure meine Mogelei gegenüber den einzelnen, meist sehr freundlichen Damen und Herren, habe mich aber moralisch damit getröstet, daß auch die Stiftung Warentest gelegentlich Service-Diensten mit scheinheiligem Nichtwissen auf den Zahn fühlt – und immerhin hab ich ja die teuren Minutenpreise bezahlt.

Bei einer späteren Gelegenheit ein neuer Versuch beim Duden; es handelte sich um eine andere Beraterin. Die neue Antwort läßt mich vermuten, daß inzwischen eine Sprachregelung beim Duden eingeführt wurde – ich hörte die Dame heftig auf ihrem PC klappern, bevor sie zu einer Antwort bereit war. Meine Frage nach der Wortart von "recht" bei "er hat recht" wurde nun so beantwortet:
"Recht" ist hier ein Substantiv, denn: wen oder was hat er? Akkusativ, „er hat Recht“, und das ist aber vor allen Dingen auch eine feste Fügung.

Warum wurde dann in alter Rechtschreibung "recht" klein geschrieben?
Das war eine der unlogischen Regeln der alten Schreibung.

Aber wenn "Recht" ein Substantiv ist, müßte ich doch flektierte Adjektive erweiternd hinzufügen können, und wenn ich aber z.B. sage: "er hat ein verbrieftes Recht" – dann heißt das aber doch ganz was anderes.
Ja, ähm…

Und andererseits kann ich doch erweiternd sagen "er hat sehr recht, ganz recht, vollkommen recht" und das sind Adverbien, und die können doch nicht bei einem Substantiv stehen.
Ja, also, nein, das ist ja kein richtiges Deutsch, das kann man so eigentlich nicht sagen…

Was? Aber selbstverständlich kann ich sagen "er hat ganz recht"!
Ja, nun, das sind dann sehr subjektive Einschätzungen, ob das sprachlich noch möglich ist oder nicht…

Aber nun hören Sie mal, "er hat vollkommen recht" ist ein völlig normaler deutscher Satz, und damit setze ich ein Adverb hinzu, und ein Adverb kann nun mal nicht zu einem Substantiv treten, und wenn 's hier aber doch dazutreten kann, dann kann doch "recht" kein Substantiv sein…
Ja nein, also, Sie müssen das anders sehen. "Er hat Recht" ist eben eine feste Fügung. Das ist genau so wie bei "Rad fahren", das sind alles feste Fügungen, und da kann man mit solchen Operationen wie Adverbienhinzusetzung oder Adjektiverweiterungen nicht operieren.

Ja, aber ich tu's doch gerade, ganz praktisch, ich kann doch nun mal sagen: "er hat ganz recht", das ist ein grammatisch korrekter Satz, und der bedeutet semantisch doch was ganz anderes als "er hat ein lebenslängliches Recht auf Beihilfe"…
Ja schon, aber nein, da irren Sie sich, die Kommission hat das eben als feste Fügung aufgefaßt, "Recht" ist hier ein Teil des verbalen Ausdrucks, es gibt ja auch noch "Recht behalten", "Recht geben" und so weiter, genau wie bei "Rad fahren", und daher muß man das auch groß schreiben, weil, solche grammatischen Operationen sind hier nicht zulässig, wie Sie das da versuchen, so wenig wie bei "Rad fahren", da können Sie ja auch nichts dazusetzen…

Die Floskel, daß es sich hier um eine "feste Fügung wie Rad fahren" handelt, kam so oft, daß es mir als neue Duden-Sprachregelung erschien, mit der das Problem abgehakt werden soll.



Soweit dieser Bericht.

Das neuerdings nur noch klein zu schreibende rechtens (sein) wird unter § 56 (3) ausdrücklich zu den "Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen" gerechnet, obwohl es im Gegensatz zum traditionell klein geschriebenen rechtens (geschehen) offensichtlich kein Adverb ist.


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=591