02.12.2006


Theodor Ickler

Anpassung

Die Kunst, sich selbst in den Hintern zu treten

Da werden Herrn Zehetmair und den Kultusministern aber die Knie schlottern, wenn sie sehen, daß die FAZ weiterhin "verbleuen" und "Tolpatsch" schreiben will! (Frequenz etwa drei bis sieben Belege pro Jahrgang ...)

Am Donnerstag, als mir die Absicht der FAZ bekannt wurde, habe ich natürlich mein Abonnement sofort gekündigt. Nach vierzig Jahren (mit Ausnahme jenes annus horribilis) gibt man die gewohnte Zeitung zwar ungern auf, aber diese Schmach täglich mitansehen zu müssen übersteigt meine Selbstverleugnungskräfte. Sollte wirklich etwas unbedingt Lesenswertes erscheinen, kann ich die Zeitung ja in der Universitätsbibliothek einsehen. Aber insgesamt ist die FAZ auch nicht mehr, was sie früher war. Es fehlen wirkliche Persönlichkeiten in leitenden Stellungen. Ein Karl Korn und ein Kurt Reumann zum Beispiel hätten diese Mischung aus Unwissenheit und Feigheit nicht zum Zuge kommen lassen.

Unter den Herausgebern hat vor allem Schirrmacher schon lange auf Anpassung gedrängt, während Nonnenmacher bremste; den anderen war es mehr oder weniger egal. Schirrmachers Freundschaft mit Stefan Aust spielte eine Rolle. Wer sonst noch gedrängt hat, wird wohl nie herauskommen. Rücksicht auf Anzeigenkunden dürfte im Spiel gewesen sein. Die Interessen der Literatur sind heute bei der FAZ so schwach vertreten wie noch nie.

Der Schritt war ja Ende März angekündigt worden. Hubert Spiegel wurde nun beauftragt, diesen beschämenden Leitartikel zu schreiben, von dem er selbst kein Wort glaubt. Alle Gegenvorstellungen haben nichts genutzt. Es hätte andere Optionen gegeben.

Warum befragt die FAZ nicht einfach ihre Leser? Die Abonnenten könnten über FAZ.NET antworten, das ist eine Sache von drei Tagen, kostet fast nichts, und man hätte einen handfesten Grund, so oder so zu entscheiden. Das hat bisher keine Zeitung gewagt, weil die Verantwortlichen das unerwünschte Ergebnis nur zu gut voraussehen.

Was hat sich denn seit 2000 grundsätzlich verbessert? Die zuerst von der Kommission und jetzt vom Rat vorgenommenen Änderungen (darunter auch Verschlimmbesserungen) haben ausgereicht, zwei Generationen von neuen Wörterbüchern notwendig zu machen, aber in der Substanz ist auch die revidierte Reform so sprachwidrig und wirklichkeitsfremd wie seit je. Es stimmt doch gar nicht, daß fast der frühere Zustand wiederhergestellt sei. Schaut denn niemand genau hin? Die neuesten Wörterbücher machen die Änderungen gegenüber 1991 farblich sichtbar.

Die versprochene Einheitlichkeit wird nicht einmal hergestellt, denn dann dürfte die FAZ sich keine Hausorthographie erlauben, die keineswegs im Rahmen der „zulässigen“ Varianten bleibt. Schon der Begriff der „Hausorthographie“ ist eine Absage an die Einheitlichkeit.

Die nicht sehr zahlreichen Schüler, die überhaupt die FAZ lesen, dürften intelligent und belesen genug sein, um mit unterschiedlichen Orthographien zurechtzukommen. Die Reformer selbst haben immer wieder gesagt, es sei kein Schaden, wenn noch auf Jahrzehnte verschiedene Schreibweisen nebeneinander existieren, an denen man die Veränderbarkeit der Sprache erkennen könne. In der Schule werden neben den gewaltsam umgestellten auch immer mehr Texte in Originalschreibweise gelesen, Suhrkamp und andere Verlage stellen neuerdings wohlfeile Ausgaben der Originaltexte zur Verfügung.

Wenn erst viele Bücher auf ss umgestellt sind, werden die vorhandenen Bestände unweigerlich „alt“ aussehen. Man wird sie natürlich noch lesen können, aber es wird eine Patina darüber zu liegen scheinen, wie es mit der Fraktur nachweislich geschehen ist. Sie wird auch auf den namhaften Autoren der Gegenwart liegen, die man außerdem gegen sich aufbringt. Wie wirkt das auf junge Leute? Es ist eine schleichende Entwertung riesiger Literaturbestände, und die FAZ wird mitschuldig sein. Geht es etwa um „Zeitung in der Schule“? Das suggestive Gerede der Herausgeber, man könne auf die Dauer nicht abseits stehen (Schirrmacher), ist gänzlich haltlos.

1999 konnte man den Fehltritt der FAZ noch mit einer gewissen Unkenntnis oder Naivität und Gutgläubigkeit entschuldigen. Heute gilt das nicht mehr: Man kennt die Folgen und weiß auch, wie der Anschlag auf die Sprachkultur zustande gekommen ist. Es ist unverständlich, warum ausgerechnet jetzt, nach dem gewaltsamen Ende der Arbeit des Rechtschreibrates, Zehetmair und die Seinen diese Belohnung bekommen sollen.

Die FAZ distanziert sich von ein paar marginalen etymologischen Spielereien und dem unanstößigen „leidtun“, insgesamt elf Wörtern. Mit dem gesamten revidierten Korpus reformierter Schreibungen scheint sich niemand näher befaßt zu haben. Wie will die Zeitung es denn mit „heute Abend“ und „ich lebe Diät“ halten – beides grammatisch falsch, aber vorgeschrieben? Wie mit den archaischen Großschreibungen „im Allgemeinen, des Öfteren, im Voraus, Letzerer, jeder Einzelne“ usw.? Was sagt das Feuilleton zur vorgeschriebenen Änderung in Fällen wie diesen: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn ...“ statt „wenn ich schriee“ (wie es bei Rilke bekanntlich im Konjunktiv heißt)? Will die Zeitung tatsächlich das ck nicht mehr trennen und damit gegen § 3 des amtlichen Regelwerks und die Trennung nach Sprechsilben verstoßen? Will sie den gebildeten Lesern den „Zierrat“ aufdrängen?

Christian Meier wurde kürzlich eingeladen, einen Beitrag im SPIEGEL veröffentlichen, aber das Magazin weigerte sich, die vom Verfasser gewünschte Rechtschreibung zu verwenden; daraufhin verzichtete Meier. Es wird nun bald so sein, daß kein Medium mehr einen kritischen Beitrag über die Rechtschreibreform veröffentlicht (es ist schon jetzt weitgehend so). Noch nie gab es eine so strikte Tabuisierung irgendeines Gegenstandes in der deutschen Presse.

Der ursprüngliche Plan der Reformer – die Schüler als Geiseln zu nehmen – funktioniert ausgezeichnet. Döpfner, Aust, nun die FAZ – alle tun so, als durchschauten sie den Schwindel nicht und handelten in pädagogischer Verantwortung, wenn sie die vermeintliche Einheitlichkeit über die Richtigkeit und die schlichte Qualität stellen.


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