08.06.2007


Theodor Ickler

Schlecht beraten

Zur geplanten Agenturschreibung

Vermischte Bemerkungen zur geplanten Hausorthographie der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen

Am 21.5.2007 veröffentlichten die Nachrichtenagenturen die Neufassung ihrer gemeinsamen reformierten Hausorthographie. Der wichtigste Leitsatz heißt:
„Im Interesse einer möglichst einheitlichen Schreibung in den Medien und den Schulen verwenden die Agenturen nur Schreibweisen, die vom amtlichen Regelwerk zugelassen werden.“
Die Änderungen bei der Laut-Buchstaben-Beziehung sind infolgedessen gar nicht aufgelistet, dieser Teil wird als unabänderlich hingenommen.
Die Agenturen wollen also nicht selbst aktiv werden, obwohl sie wissen, daß der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Arbeit mit einem zufälligen Zwischenergebnis abgebrochen hat und noch weitere Teile des Regelwerks zu bearbeiten hätte.
Zuvor etwas Äußerliches: Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß eine so bedeutende Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung trotz Umstellung auf die Reform gerade im nichtrevidierten Bereich der Laut-Buchstaben-Entsprechungen nicht den amtlichen Regeln folgt. Außer der FAZ verweigert sich auch die Neue Zürcher Zeitung der Reformschreibung in diesem Bereich, ebenso das St. Galler Tagblatt und, wie zu hören ist, demnächst wohl noch manche andere Zeitung, die sich u. a. von den Darlegungen der Schweizer Othographischen Konferenz hat überzeugen lassen.
In einer internen „Handreichung“ schreibt die FAZ zum ersten Bereich: „In einigen Fällen entscheiden wir uns für die bisherige Schreibung, auch wenn sie als Variante nicht mehr zugelassen ist.“ Die dazugehörige Liste sieht so aus:
behende, belemmert, einbleuen, Greuel, greulich, leid tun, numerieren, plazieren, Quentchen, rauh, schneuzen, Stengel, Tolpatsch, verbleuen

Die Liste ist anscheinend unvollständig, denn es fehlen z. B. aufwendig, Gemse, Stendelwurz, wo die FAZ ebenfalls der bisherigen Schreibweise treu bleibt. Auch äußert sie sich nicht zu Fällen wie knieen, schriee. Diese Schreibweise ist bekanntlich jetzt „verboten“, wodurch es zur Entstellung von Texten kommen kann. Der berühmte erste Vers von Rilkes erster Duineser Elegie lautet im Original: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn ...“ Daraus wird in Reformschreibung: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn ...“ D. h. der Konjunktiv wird zum Indikativ, der gemeinte Sinn geht völlig verloren.

Die Unterscheidung von greulich (scheußlich) und gräulich (ein wenig grau) ist höchst notwendig; es sind inzwischen zahlreiche Texte gefunden worden, die bei gleichförmiger Umlautschreibung miß- oder unverständlich werden.

In der FAZ-Liste ist auch Zierat nicht enthalten, eine objektiv richtige Schreibweise, die aber in den Schulen bald notenrelevant als falsch angestrichen werden soll, zugunsten des albernen Zierrat. (Daß Schüler dieses Wort nur selten schreiben dürften, ändert nichts an der Gewaltsamkeit des ganzen Verfahrens.)

Bei selbstständig vermerken die Agenturen selbst, es sei keine Variante, sondern „eine andere morphologische Form“. Sie hat tatsächlich mit Rechtschreibung und Rechtschreibreform nichts zu tun. Die Entscheidung für diese andere Form wird nicht begründet.
Bei brustschwimmen usw. wird irrtümlicherweise behauptet, diese Verben seien als Zusammensetzungen nicht konjugierbar, und für die Distanzstellung wird Großschreibung des Zusatzes gewählt: schwimmt Brust (Delfin usw.). Dabei ist nicht bedacht, daß in Endstellung sehr wohl konjugiert wird: während sie brustschwimmt usw. (kraulschwimmen, er schwimmt Kraul war übrigens bisher im Duden gar nicht verzeichnet.)
Die Groß- und Kleinschreibung der Zahlwörter Hundert/hundert, Tausend/tausend usw. ist unklar. Offenbar wollen die Agenturen schreiben: mehrere Hundert Menschen, was weder grammatisch noch semantisch einleuchtet. Ist der Eintrag zu Abertausend wirklich durchdacht?
Unterscheidungen wie einen Hund scharfmachen / eine Bombe scharf machen, Patienten ruhigstellen / ein gebrochenes Bein ruhig stellen werden sich kaum durchsetzen, lernbar sind sie ohnehin nicht, da ihnen die nachvollziehbare Begründung fehlt.

Bei aufs Herzlichste, aufs Höchste überrascht usw. entscheiden die Agenturen sich für die wirklich sehr rückständige Großschreibung. Das wird sich nicht halten lassen.

Die Willkür der gewählten Varianten zeigt sich an Reihen wie arm machen, bekanntmachen, bereitmachen, reich machen, satt machen.

gerade biegen (eine Stange) vs. geradelegen, geraderichten u. a.
alleinerziehend, alleinstehend vs. getrennt lebend
gleich gelagert vs. gleichgestimmt
groß gewachsen vs. großangelegt
halbvoll usw. - das ist alles zu undifferenziert!
Zu haltmachen wird behauptet: „keine Variante“, was offensichtlich falsch ist.
er hohnspricht (?)
in der Erinnerung haftenbleiben (fälschlich unter i- eingeordnet)
klein kariert – langersehnt usw. (zahllose Fälle dieser Art)
allgemeinverständlich – leicht verdaulich
rot gestreift – rotgeweint
braun gebrannt
usw., aber breitgefächert
liegen bleiben
(das Buch auf dem Tisch) – liegenbleiben (das Pannenauto)
Management-Buy-out (! - ziemlich schwierig)
maßhalten („keine Variante“, s. o. zu haltmachen)
schwer machen – hier wird die Getrenntschreibung durch wird sich schwer machen lassen erläutert, ziemlich unsinnig, denn hier geht es ja gar nicht um den Verbzusatz, sondern um das Adverbial (= schwerlich). Ebenso stramm ziehen vs. strammziehen.
Inkonsequent auch
trockenreiben – nass spritzen
Handbreit – Zeit lang


übrig bleiben soll „in dieser Bedeutung“ zusammengeschrieben werden – aber in welcher? Es ist gar keine angegeben. Dagegen bei ihm ist nichts übriggeblieben, als ... zusammen.

fertig bringen (zu Ende bringen) vs. fertigbringen (nicht fertigbringen, jdn. zu belügen)

Ebenso fertig bekommen (eine Arbeit beenden)/fertigbekommen (zuwege bringen)
Wer kann das auseinanderhalten?
flüssig machen („keine Variante – in dieser Bedeutung nur Getrenntschreibung“) Das stimmt doch gar nicht, vgl. § 34 (2.1) zu den Resultativkonstruktionen!

Bei Infinitiven mit bleiben wird zwischen wörtlicher und idiomatischer Verwendung unterschieden (im Schlamm stecken bleiben, im Vortrag steckenbleiben), bei lassen nicht (den Schlüssel stecken lassen, das Geld stecken lassen). Aber auch davon gibt es wieder Ausnahmen: jemanden stehenlassen (s. von ihm abwenden).
Die Agenturen und der Duden wollen wissen, daß genau genommen „bei adjektivischer Verwendung auch“ zusammengeschrieben werden kann. Was damit gemeint ist, wurde bisher nie erklärt. Die Agenturen bieten dazu das sicher nicht sehr häufige Beispiel ein genaugenommener Befehl. Der Duden hat dazu noch genauunterrichtete Kreise, durch Rotdruck als Neuschreibung gekennzeichnet und in der Tat etwas gewöhnungsbedürftig.
Es wird sehr feinsinnig unterschieden zwischen still sitzen (sitzen und dabei leise sein) und stillsitzen (sitzen und dabei konzentriert sein) (Duden und Agenturen).
Assesment-Center ist sicher ein Druckfehler.
Bevor die Agenturen sich auf eine nochmals reformierte Reformschreibung einlassen, die schon in Kürze aufs neue revidiert werden muß, sollten sie den Gegenstand noch einmal gründlich bedenken und auch den Rat der Schweizer Orthographischen Konferenz sowie weiterer Sachkundiger nicht verschmähen.


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