02.08.2007 Theodor Ickler Gut fürs GeschäftWeniger gut für Ratsuchende: Eisenbergs neues WerkWAHRIG Grundregeln der deutschen Rechtschreibung. Die deutsche Orthografie auf einen Blick. Von Peter Eisenberg. Bertelsmann Lexikon Institut 2007Wie schon im Wahrig-Universalwörterbuch will Eisenberg „dem kompetenten Sprachteilhaber vor Augen führen, nach welchen Regeln er im Allgemeinen schreibt und liest“. Auch im Text selbst wird immer wieder auf das Übliche verwiesen, als seien die reformierten Regeln aus dem Schreibbrauch abgelesen. Das trifft aber für zahlreiche Neuschreibungen gerade nicht zu. 14: Die Umlautschreibungen werden relativ ausführlich dargestellt, die Augstschen Etymogeleien (schnäuzen, einbläuen usw.) sind jedoch ausgespart. 24f.: Die Besonderheit des ck wird weder hier noch bei der Silbentrennung angemessen dargestellt. Da Eisenberg sich den Reformern anschließt, die die Ligatur ck nicht als Verbindung zweier k-Buchstaben erkennen, sondern es mit Behelfsschreibungen wie ch, sch, ng (für jeweils ein Phonem) gleichsetzen, kommt er zu der absurden Folgerung, daß im Silbengelenk eigentlich verdoppelt werden müßte (backcken), was aber durch die bekannte Sonderregel ausgeschlossen werde. In Wirklichkeit ist ck aber bereits die Gelenkschreibung für k. Die Schreibweise dass, für Eisenberg einst die "schlechtestmögliche Lösung", wird nur noch als schlichte "Ausnahme" registriert. Man streckt sich halt nach der Decke. 32: Eisenberg scheint selbständig für eine orthographische Variante von selbstständig zu halten. 38: Die Getrennt- und Zusammenschreibung von Pronominaladverbien mit Verben soll von der Betonung abhängen. Es werden gegenübergestellt: ihr dürft gerne dazúkommen vs. ich werde wohl nicht dázu kommen, dass .... Die Gegenüberstellung funktioniert aber nur (einigermaßen), wenn das Pronominaladverb korrelativ und nicht anaphorisch konstruiert ist, vgl. es ist leider nicht dazú gekommen. Gleich anschließend wird ein altes Problem der Rechtschreibreform eher verunklart als gelöst. In früheren Versionen der Reform wurde der Eindruck erweckt, daß die synkopierten Formen der Pronominaladverbien auf jeden Fall mit den Verben zusammengeschrieben werden müßten. (Näheres zu dem komplizierten Befund in meinem „Kritischen Kommentar“.) Eisenberg greift das auf und behauptet: „Beim selbstständigen Adverb bleibt (zumindest in der geschriebenen Sprache) die volle Form erhalten (wir werden daran arbeiten).“ In diesem Beispiel entsteht ohnehin kein Problem, denn ein daránarbeiten gibt es ohnehin nicht. Die Behauptung stimmt aber nicht einmal, denn wir arbeiten dran, arm dran sein usw. ist sehr oft auch in gedruckten Texten zu finden (rund 600 Belege in einem Jahrgang der SZ). 40: „Verbindungen mit fest-, voll-, oder tot- bilden eine Sondergruppe.“ (Das überzählige Komma im Original!) „Hier ist fast ausschließlich Zusammenschreibung belegt. Diese Verbindungen sollen grundsätzlich zusammengeschrieben werden.“ Diese Regel, die sich außerdem systemwidrig auf eine statistische Auswertung von Belegen stützt, ist von Eisenberg frei erfunden. Im amtlichen Regelwerk hat sie keine Entsprechung; der Rechtschreibrat hat eine entsprechende Vorlage Eisenbergs diskutiert, aber dann doch nicht beschlossen. Sie findet sich aber auch in anderen Schriften Eisenbergs. Die von Eisenberg eine Zeitlang vertretene Unterscheidung von Objekts- und Subjektsprädikativen spielt keine Rolle mehr, man muß außerdem wohl annehmen, daß auch bei reflexiven Konstruktionen wie sich sattessen (fakultativ) zusammengeschrieben wird, aber sicher kann man nicht sein, weil Eisenberg keine entsprechenden Beispiele anführt – ein empfindlicher Mangel für jeden Benutzer. Wie schon in früheren Schriften behauptet Eisenberg, daß jemand, der krankgeschrieben wird, davon nicht krank werde; daraus folge obligatorische und nicht nur fakultative Zusammenschreibung. Das ist nicht richtig, denn der Patient wird tatsächlich erst durch das ärztliche Attest „krank“ im Sinne des Gesetzes. Das Krankschreiben, Heiligsprechen usw. sind performative Sprechakte. 42: Es gibt zwar feine Unterschiede zwischen eislaufen und Auto fahren, aber schon bei Schlittschuh laufen oder Probe turnen sind sie nicht mehr so überzeugend darzustellen. Daß Eis „deshalb“ mit dem Verb zusammengeschrieben werden müsse, leuchtet nicht ein. Zur Unklarheit trägt dann noch die Liste möglicher Doppelschreibungen wie brustschwimmen/Brust schwimmen bei; man fragt sich vergeblich, warum eislaufen/Eis laufen hier nicht ebenso gut unterkommen könnte. Dieser Liste sind außerdem noch Verbindungen wie danksagen/Dank sagen, gewährleisten/Gewähr leisten, staubsaugen/Staub saugen beigemischt, die auf ein ganz anderes Thema führen (ich staubsauge/sauge Staub usw., also trennbare vs. untrennbare Verben). Eisenberg erklärt auch nicht, wie die Beispiele in Distanzstellung zu schreiben sind: ich leiste gewähr/Gewähr, halte maß/Maß? Nach dem Muster sie läuft eis muß man auch die Kleinschreibung für zulässig halten, was einigermaßen gewöhnungsbedürftig ist: er saugt staub. Die Liste Auto fahren usw. scheint nachträglich um das irrelevante Bankrott machen (statt neuschreiblich Bankrott gehen, revidiert bankrottgehen; dies und pleitegehen spart Eisenberg völlig aus) ergänzt worden zu sein, denn dieser Eintrag ist nicht in die Kolumne eingefügt, sondern mit Komma neben Auto fahren gesetzt. 46f.: Nach dieser Liste muß man annehmen, daß Aufsehen erregend und aufsehenerregend unterschiedlos verwendbare Varianten sind. Ein erstaunlicher Rückschritt. 49: Eisenberg versucht die Einzelfallregelungen der Getrennt- und Zusammenschreibung mehrteiliger englischer Fremdwörter nachzuzeichnen, aber es gelingt nicht in plausibler Weise. Warum sollten bei Hotspot/Hot Spot zwei Betonungsweisen möglich sein, bei Soft Skills aber nur eine? 52: In der Zusammenfassung zur Getrennt- und Zusammenschreibung wird auch das revidierte leidtun angeführt, in dem angeblich ein ehemaliges Substantiv steckt. Derselbe Irrtum S. 72 in der Übersicht zur Groß- und Kleinschreibung: leid sein (angeblich „desubstantiviert“). Das Kapitel zur Groß- und Kleinschreibung läßt es in auffallender Weise an den versprochenen Begründungen fehlen. Das ist kein Wunder, denn Eisenberg lehnt einen wesentlichen Teil dieser – hauptsächlich auf den Schweizer Gallmann zurückgehenden – Großschreibungen ab. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als sie kommentarlos aufzulisten, auch jenes im Allgemeinen, im Folgenden, im Wesentlichen, die er in seinem eigenen Entwurf für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung noch als „nicht akzeptabel“ bezeichnet hatte. Ja, er selbst schreibt jetzt sogar ohne Weiteres (80), obwohl dies der Wahrig-Empfehlung widerspricht! Für die Akademie hatte er auch Pleite gehen und Diät leben zurückgewiesen; hier erwähnt er solche Fälle nicht einmal, womit aber dem ratsuchenden Benutzer auch nicht gedient ist. Man erfährt leider auch nicht, was Eisenberg wirklich von der obligatorischen Großschreibung Einzelnes ist unklar und der fakultativen Kleinschreibung die meinen, die unseren hält. 69: Der Blaue Planet ist eigentlich kein Eigenname, sondern eine Antonomasie, die obligatorische Großschreibung ist kaum begründet. 72: In der schon erwähnten Übersicht scheint ein Versehen unterlaufen zu sein: sie ist ihm fremd (als angebliche „Desubstantivierung“). Wahrscheinlich ist freund oder feind gemeint. 76: Die Regel, wonach in Fremdwörtern Muta cum liquida abgetrennt werden kann, sollte laut Eisenberg „besonders dann angewendet werden, wenn die vorausgehende Silbe betont ist wie in (...) Hydrant, monströs, Nitrat“. Gerade hier ist sie aber unbetont. 79: Der Reichspropagandaminister hieß Joseph Goebbels und nicht Josef Göbbels. (Das kommt davon, wenn weder Duden noch Wahrig die Nazigrößen anführen.) Die Schreibweise ham’s als Wiedergabe von Dialektrede (= haben Sie) ist nicht normgerecht, im amtlichen Regelwerk wird nehmen S’ angeführt. 80: Die Behauptung, der Apostroph zu Abgrenzung des Genitiv-s bei Eigennamen sei „standardsprachlich nicht korrekt“, sondern nur zur Hervorhebung der Grundform „sinnvoll“, geht über das amtliche Regelwerk hinaus. Dort steht nur, daß er „gelegentlich“ zu diesem Zweck gebraucht werde. Folglich ist er korrekt. Auch sind Eisenbergs Beispiele wenig überzeugend: Was gibt es denn bei Anika’s oder Udo’s hervorzuheben? 82ff.: Vom Komma sagt Eisenberg nun erstmals, daß es Hauptsätze oder die Glieder einer Aufzählung verbindet – und nicht trennt, wie die Reformer stets in sehr konventioneller Art behauptet haben. Ich habe vor zehn Jahren und dann immer wieder auf die funktionale Gleichwertigkeit von Komma und koordinierenden Konjunktionen hingewiesen. Eisenberg schließt sich nun an und kann daher völlig sachgerecht angeben, daß zwischen Hauptsätzen das Komma „zusätzlich zur Konjunktion“ und nicht etwa im Widerspruch zu ihr gesetzt werden kann. 89: Hier deckt Eisenberg, ohne es ausdrücklich zu sagen – denn Kritik an der amtlichen Neuregelung unterdrückt er in diesem Buch gänzlich, während er sich privat keineswegs zurückhält –, eine Schwäche der revidierten Neuregelung auf. Es stellt sich nämlich heraus, daß in Sie scheint(,) das Match zu gewinnen ein Komma stehen kann; Eisenberg rät selbstverständlich ab, aber das Regelwerk hat hier eine bedauerliche Lücke. Überhaupt müssen die Kommaregeln noch einmal überarbeitet werden, gerade was die satzwertigen Infinitive betrifft. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum nur bei bestimmten Bezugselementen im Obersatz ein Komma stehen soll. Eisenberg hat seit 1996 jede Wendung der sogenannten Rechtschreibreform mitgemacht und in vermarktbare Publikationen gegossen. Sie sind alle recht fehlerhaft. Gemeinsam ist ihnen weiterhin, daß der Verfasser jedesmal seine bessere Einsicht unterdrückt und mithilft, die Rechtschreibreform doch noch irgendwie durchzusetzen – gemäß seinem Diktum: „Die Sache jetzt zu kippen, hätte kulturpolitisch und ökonomisch unabsehbare Konsequenzen.“ (AP/dpa 23.9.1997) Er selbst jedenfalls ist bei den Konkurrenten Duden und Bertelsmann gleichermaßen gut im Geschäft. Bewundernswert ... Das vorliegende Büchlein aber muß sofort zurückgezogen und noch einmal überarbeitet werden.
Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
|