11.04.2005


Reinhard Markner

Wiedervereinigung der Wörter

Rat für deutsche Rechtschreibung revidiert die Reform

Der Rostocker Linguist Dieter Nerius holte weit aus. Es handele sich »im Grunde überhaupt« um nichts weniger als »den ersten durchstrukturierten Gesamtregelungsversuch dieses wohl kompliziertesten Teilbereichs der deutschen Rechtschreibung in der Orthographiegeschichte«.
Die großen Worte galten Abschnitt B der »Amtlichen Regelung«, die Nerius mit einigen seiner Fachkollegen als neues Grundgesetz der deutschen Rechtschreibung ausgearbeitet hatte. Jenen Abschnitt also, der die Getrennt- und Zusammenschreibung völlig neu kodifizieren sollte.
Das war 1997. Die Kultusminister der meisten Bundesländer hatten, um rasch Fakten zu schaffen, die Rechtschreibreform bereits zum obligatorischen Unterrichtsgegenstand gemacht. Eltern klagten dagegen, Volksbegehren wurden vorbereitet, zwischen Staat und Gesellschaft zeichnete sich eine Machtprobe ab. Der Ausgang war offen, aber die Alternativen klar erkennbar: Die Reform würde entweder an den Gerichten scheitern oder aber an der Getrenntschreibung.
Bekanntlich wies das Bundesverfassungsgericht die Klagen gegen die Reform in letzter Instanz ab. Und der Volksentscheid in Schleswig-Holstein obsiegte zwar, aber die Volksvertreter im Kieler Landtag brauchten keine vier Wahlgänge, um sein Ergebnis wieder zu kassieren. Blieb also die Getrenntschreibung. »Nahe liegend, so genannt, fertig stellen, hier zu Lande«, forderte der Reformduden. »Selbst klebend, so zu sagen, zusammen kommen, heut zu Tage«, schrieben die Übereifrigen. Nicht selten kamen sie sich dabei auch noch modern und fortschrittlich vor. Dabei hatte die deutsche Sprache solche Wortbilder zuletzt gesehen, als man zum Schreiben noch Federkiele anschnitzte.
Vergangenen Freitag hat sich nun der Rat für deutsche Rechtschreibung der Sache angenommen. Ende letzten Jahres eingesetzt von den Kultusministern, um die notwendigsten Sicherungsarbeiten an der Reformruine vorzunehmen, hat er damit begonnen, sie abzureißen. Er billigte im Grundsatz eine Neufassung der Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Passend zur Grablegung des Papstes konnten die Agenturen melden, »heiligsprechen« werde wieder erlaubt. Tatsächlich hat die unter der Anleitung des Potsdamer Grammatikers Peter Eisenberg entworfene Vorlage mit der verunglückten Version von 1996 praktisch nichts mehr gemein. Von jenem »ersten durchstrukturierten Gesamtregelungsversuch«, dem eigentlichen Kernstück der Rechtschreibreform, wird man in Zukunft nur noch sprechen, wenn wissenschaftliche Hochstapelei das Thema ist.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung will sich unter dem Vorsitz des ehemaligen bayerischen Kultusministers Hans Zehetmair in den kommenden Monaten auch den anderen Gebieten zuwenden, auf denen die Reform Veränderungen herbeigeführt hat, darunter Zeichensetzung, Silbentrennung, Fremdwortschreibung. Angemessene Sorgfalt vorausgesetzt, werden die Delegierten hier ebenfalls sehr erhebliche Mängel feststellen, die nur durch unerschrockenes Handeln abzustellen sind. Ob sie den dazu nötigen Mut aufbringen, bleibt abzuwarten. Einschüchterungsversuche von politischer Seite sind schon jetzt zu verzeichnen.
Die von Zehetmair geforderte »Staatsferne« des Rates ist ohnehin nur eine Utopie. Alle seine Papiere gehen über einen Verteiler direkt in die Ministerien und aus der Bürokratie weiter an befreundete Medien. Ein Mitglied des Rats, der dort eine Deutschlehrervereinigung vertreten soll, arbeitet als Beamter in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. Darauf angesprochen, erklärte Fritz Tangermann, er könne keinen Interessenskonflikt erkennen. Unabhängigen Beobachtern gelingt das ohne Schwierigkeiten.
Die Verabschiedung der Reform durch die politischen Vertreter mehrerer deutschsprachiger Staaten stand 1996 am Ende eines Verfahrens, das seine demokratische Legitimität bloß simulierte. So ist es nur konsequent, wenn das Abschiednehmen von der Reform nun durch eine Runde vorgenommen wird, der zwar ein Vertreter Liechtensteins, aber keiner aus den ostdeutschen Bundesländern angehört.
In ihrer anarchischen Eigengesetzlichkeit orientiert sich die Sprache ohnehin nicht an den Mehrheitsverhältnissen in einem Gremium, das möglichst bald wieder aufgelöst werden sollte. Dann nämlich, wenn es seine Aufgabe erfüllt hat, die normale deutsche Rechtschreibung in neuen Regeln zu beschreiben. Gelingt dieses Unternehmen, wird von der vermeintlichen Reform nichts bleiben außer der Verwirrung, die sie in den vergangenen Jahren gestiftet hat.

Quelle: Neues Deutschland
Link: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=70219&IDC=4

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