02.06.2005


Reinhard Markner

Buchstaben und Staatsräson

Kultusminister erklären die neuen Regeln für notenrelevant

Auf einer zweitägigen Konferenz beraten die Kultusminister der Länder in Quedlinburg über die Umsetzung der Rechtschreibreform.

Fast zeitgleich tagt der Rat für Deutsche Rechtschreibung in Mannheim, der das neue Regelwerk überarbeiten soll. Heute sollen Änderungsvorschläge zur umstrittenen Getrennt- und Zusammenschreibung beschlossen werden.

Die Pressekonferenz in Quedlinburg ist zwar erst für heute um 12Uhr angesetzt. Aber was die Präsidentin der Kultusministerkonferenz zum Tagesordnungspunkt »Rechtschreibreform« verkünden wird, ist hinlänglich absehbar.

Johanna Wanka und ihre Kollegen haben die Absicht, die »Neuregelung der deutschen Rechtschreibung« in der Fassung von 2004 vom kommenden Schuljahr an zur »verpflichtenden Grundlage des Unterrichts« zu erklären. Die Lehrer sollen ihren Schülern abweichende Schreibungen auch dann als Fehler anstreichen, wenn sie dem herkömmlichen Gebrauch entsprechen. Bisher werden sie nur als »veraltet« gekennzeichnet und sind für die Notenvergabe nicht von Bedeutung.
Ausgenommen bleiben vorläufig die drei Gebiete Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung sowie Silbentrennung. Hier wollen die Minister abwarten, welche Änderungen der von ihnen berufene »Rat für deutsche Rechtschreibung« unter der Leitung ihres ehemaligen Kollegen Hans Zehetmair ausarbeiten wird. Für diejenigen Teile der Reform also, deren Generalüberholung im Gange ist (ND vom 11. April), gilt eine verlängerte Übergangsfrist. Alle anderen Teile, deren Revision noch gar nicht begonnen hat, sollen hingegen unverändert Gültigkeit erlangen.

Zehetmair war im Dezember nach eigenen Worten angetreten, »einige der größten Schwachstellen der Reform zu bereinigen«. Das rächt sich jetzt. Denn aus Sicht seiner Auftraggeber ist es überflüssig, sich auch noch mit anderen der größten Schwachstellen abzugeben, von den weniger großen zu schweigen. Man erklärt sie schlicht für inexistent, die betreffenden Regeln für »unstrittig«.

Unstrittig im Sinne der Kultusministerkonferenz sind Schreibungen wie »Stängel«, »Tipp«, »Gussstahl«, »18-Jährige«, »im Übrigen«. Gewöhnung ist alles, sagen die Minister. Zweifel lassen sie lediglich angesichts von Schreibungen wie »nichts sagend« und »heilig sprechen« sowie von Trennungen wie »hi-nauf«, »Ruma-roma« und »Fotos-phäre« gelten.

Oft genug, so sollte man denken, ist die antieuropäische Geistlosigkeit von »Spagetti« und »Varietee« kritisiert worden. Oder die das Auge beleidigende Redundanz von »Schifffahrt«, wo drei gleiche Buchstaben einen einzigen Laut bezeichnen. Oder der grammatische Fehler, den die Großschreibung »Bankrott gehen« in sich birgt. Die Fehlerträchtigkeit der ss-Schreibung wurde in eigens unternommenen empirischen Studien nachgewiesen. An den Ministern ist das alles natürlich nicht völlig vorbeigegangen. Aber in ihrem Politikverständnis hat die Ignoranz einen hohen Stellenwert.

In der Zwischenzeit haben ihre Schweizer Kollegen, die kantonalen Erziehungsdirektoren, einen weiteren Reformvorkämpfer für den Rechtschreibrat nominiert. Der Lehrer Roman Looser hat seinen Doktortitel mit einer Arbeit über gescheiterte Reformversuche früherer Jahrzehnte erworben. »Mehr Aussicht auf Erfolg hätte nur ein Vorgehen, in dem die zuständigen Politiker weniger Rücksicht auf die Sprachgemeinschaft nähmen«, heißt es darin mit einer ganz unschweizerischer Demokratieverachtung. Diese Botschaft, so scheint es, ist bei den in Wahrheit unzuständigen Politikern angekommen. Nach den Sommerferien soll an den Schulen keine Rücksicht mehr darauf genommen werden, in welcher Rechtschreibung die überregionalen Zeitungen und die angesehensten Schriftsteller deutscher Sprache gedruckt werden.

Es geht nur um Buchstaben und doch zugleich um die Staatsräson. Aber ähnlich wie der Bundeskanzler tun sich auch die Kultusminister schwer mit der Herstellung klarer Verhältnisse. Und wie im Falle der angekündigten Bundestagsauflösung wird die Rechtmäßigkeit des Verfahrens noch zu prüfen sein.

Quelle: Neues Deutschland, 3. 6. 2005


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