23.11.2005


Stefan Stirnemann

Ein Grundkurs im Schreiben

Horst Haider Munske lobt die Rechtschreibung

«Warum wir schreiben, wie wir schreiben», heißt Horst Haider Munskes «Lob der Rechtschreibung» im Untertitel. Wer versteht, woher die Wörter kommen, muß laut Munske gar nicht über alte oder neue Rechtschreibung nachdenken – er schreibt im Dienst des Lesers.

Was lernen die Kleinen eigentlich, wenn sie das Abc lernen? Warum müssen sie das Wort «Liebe» liebevoll mit «ie» malen? Die Bibel kommt doch ohne dieses Längezeichen aus. Die Antwort gibt die Sprachgeschichte. Als man aufhörte, in «Liebe» den Doppellaut zu sprechen, wurde der Buchstabe «e» frei für eine neue Aufgabe: die Bezeichnung der Vokallänge. In unseren Mundarten freilich hat das «e» noch seinen Lautwert.

Die Haut der Sprache

Es geht weiter mit den Fragen: Warum kentert ein Boot auf dem Bodensee? Sollte es nicht käntern, über die Kante kippen? Warum schreibt man ein bißchen klein? Das ist doch ein Substantiv, der kleine Bissen. Und warum steht ein Komma im Satz «Er versprach, das Geld zu überweisen» und fehlt es in «Das Wetter versprach besser zu werden»? Und warum, schließlich, wird sogenannt als Wort geschrieben?

Diese und viele andere Schwierigkeiten unserer Rechtschreibung bewältigt man durch Üben und Lesen. Besser ist es natürlich, dazu auch Gründe zu kennen und hinter trockenen Regeln das Leben der Sprache zu spüren. Rechtschreibregeln sind nicht willkürliche Erfindungen, die jederzeit umerfunden werden könnten; Rechtschreibung ist, so Munske, die lebendige «Haut der Sprache», die sich zusammen mit dem Sprachkörper entwickelt. Sie verdient Lob.

Mit dem Untertitel des schmalen, handlichen Grundkurses des Schreibens verheißt der Autor zu erklären, «warum wir schreiben, wie wir schreiben». Als Fachmann für Rechtschreibung, als Kenner der Sprachgeschichte und als sorgsamer Lehrer hält er das Versprechen. Horst Haider Munske zeigt, wie die Alphabetschrift, die einst von den Griechen an die Römer weitergegeben wurde, im Laufe der Zeit immer besser ihren Dienst versah, nämlich dem Leser möglichst unzweideutig einen Sinn zu übermitteln. Der Schreiber muß sich die Sache schwer machen, damit es der Leser leicht hat.

Die Mühe wert

Munske selbst macht dem Leser die Sache so leicht wie möglich. Wie jedes gehaltvolle Werk aber fordert auch dieses die kräftige Mitarbeit des Lesers – und belohnt sie. Zum Schluß steht eine «Aufmunterung»: «Es sollte eine Anleitung für Liebhaber sein. Doch wie man weiß, steht die Liebhaberei nahe bei der Wissenschaft und fordert wie diese Vertiefung und Mühe. Unsere Sprache und ihre Rechtschreibung sind solchen Aufwand wert.»

Was meint der Autor zur Neuregelung der Rechtschreibung? «Es ist nicht Ziel dieses Buches, die Rechtschreibreform zu erörtern oder zu kritisieren, obwohl dies gelegentlich unvermeidlich war. Ich kann sie nicht loben, aber ihre Motive in gewissem Maße verstehen.» Verständnis hat der Professor aus Erlangen, weil er einst selber Mitglied der Reformkommission war; er trat im Herbst 1997 aus, als die Politiker alle nötigen Verbesserungen untersagten.

Im Zweifel für die Sprache

Nun führt er ruhig die Bereiche des Schreibens vor und zeigt in dieser Ruhe, daß es eigentlich keine alte Rechtschreibung gibt, die im Zwist mit einer neuen oder noch neueren liegt, sondern nur eine Rechtschreibung im Dienst des Lesers, die sich in langer Zeit entwickelt hat und weiter entwickeln wird. Hat man das eingesehen, so fallen die meisten der Regeln von 1996 ab, wie die dürren Fetzen eines Nachtgespenstes, wenn der Morgenhahn schmettert.

Lesen sollten Munskes Büchlein vor allem alle Lehrkräfte. Lesen sollten es die Mitglieder des Rates für Rechtschreibung, die Ende dieser Woche auf einer weiteren Sitzung die mißratene Neuregelung überarbeiten. Lesen sollten es auch unsere Politiker, die immer noch verlangen, daß an der Schule Schreibregeln unterrichtet werden, die unserer schönen Sprache Gewalt antun.

Horst Haider Munske: Lob der Rechtschreibung. Warum wir schreiben, wie wir schreiben. Verlag C.H. Beck, München 2005, Fr. 18.10

Der Autor ist Gymnasiallehrer in Goßau und leitet den Arbeitskreis Orthografie St. Gallen.


(St. Galler Tagblatt, 21. November 2005)




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