01.03.2006


Reinhard Markner

Auch der Papst ist fehlbar

Ein Bayer im Himmel: In dieser Woche endlich konnte Hans Zehetmair die um ein Wörterverzeichnis vervollständigten Regeln der nächsten Rechtschreibreform an die Kultusministerkonferenz übergeben.

Die Minister sollen Ende der Woche dazu ihren Segen spenden, den Deutschen ein Wohlgefallen. Das Erstaunlichste an der Liste ist ihr Zustandekommen. Der Rechtschreibrat selbst hat das Werk weder verfertigt noch begutachtet, sondern durch zwei private Wörterbuchunternehmen und seine Geschäftsführerin erstellen lassen. Die Behörden, Verbände und Institutionen, die seinem Statut gemäß alle Vorschläge des Rates prüfen sollen, haben erst recht keine Gelegenheit mehr zur Stellungnahme erhalten.

Das Verzeichnis bietet keine allzu aufregende Lektüre. Es enthält vielleicht hundert neu-alte Schreibalternativen ("kennenlernen" neben "kennen lernen"), versteckt unter unzähligen Wörtern, deren Schreibung unproblematisch ist, und ein paar anderen, von denen man das nicht unbedingt sagen kann, zum Beispiel "Klipp, Klips, Clip, Videoclip". Für den Kenner sind einige Schmankerl enthalten, etwa der Eintrag "zwei Handvoll, Hand voll Reis". Der Plural von "Hand", so lernt man, ist also "Hand".

War Zehetmair nicht angetreten, wenigstens die gröbsten Unsinnigkeiten der staatlichen Schreibung beiseite zu räumen? Nur ein Fünftel der Reform sei übrig, schätzt er jetzt. Offenbar ist weder Orthographie noch Arithmetik seine Stärke. Tatsächlich soll in einem durchschnittlichen Text etwa jedes tausendste Wort wieder zusammen statt getrennt geschrieben werden dürfen. Von hundert reformierten Wörtern bleiben durch Zehetmairs Revision ungefähr 97 bis 99 unberührt, je nachdem, für welche Varianten man sich entscheidet. Dieses Angebot soll reichen, um die widerspenstigen Zeitungen zur Aufgabe ihrer Verweigerung zu bewegen. Zehetmair rechnet fest mit seinem Sieg über die Presse.

Noch heute ist der gottesfürchtige Katholik stolz darauf, vor gut zehn Jahren die Kleinschreibung des "heiligen Vaters" verhindert zu haben. Trotzdem ist selbst Papst Benedikt nicht von der Reform verschont geblieben. Die Deutsche Bischofskonferenz entdeckte kürzlich in seiner Enzyklika "Deus caritas est" rund drei Fehler pro Seite und korrigierte sie im Sinne der Kultusminister. Seitdem kann die Fehlbarkeit des Pontifex maximus als erwiesen gelten.

Berliner Zeitung, 1. 3. 2006



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