09.11.2014


Odilia Hiller

«Schule muss die Köpfe liefern»

Schüler sollen schreiben dürfen wie Journalisten

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) wird bei der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vorstellig. Ziel ist, dass das Scheitern der Rechtschreibreform von 1996 auch politisch anerkannt wird. Massnahmen zur Beseitigung der laut SOK untauglichen Praxis der Schweizer Schulen sollen koordiniert werden. Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument will sich dafür einsetzen, dass die Empfehlungen der SOK von allen Schweizer Zeitungen übernommen werden.

ST. GALLEN. Auch ein altgedienter Verlegerpräsident erlebt noch Überraschungen. «Dieser Anlass ist eine Offenbarung für mich», sagt Hanspeter Lebrument, Präsident des Verbands Schweizer Medien und Verleger der «Südostschweiz»-Medien, an der Tagung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) vom vergangenen Freitagabend im Druckzentrum der St. Galler Tagblatt AG. Die Anliegen der SOK will er an der nächsten Sitzung der Schweizer Zeitungsverleger vorbringen. Ziel: Klärung des Durcheinanders, das die Rechtschreibreform ausgelöst hat – auch in der Schweizer Presse.

Der Schlamassel der Reform

Der Schlamassel sei angerichtet – ein komplettes Chaos, sagen Rudolf Wachter, Professor und Sprachwissenschafter an den Universitäten Basel und Lausanne, und Stefan Stirnemann, ehemaliger Merker des St. Galler Tagblatts und SOK-Gründungsmitglied, in ihren Referaten. Anhand anschaulicher Beispiele erläutern sie, weshalb die Rechtschreibreform aus dem Jahr 1996 als gescheitert zu betrachten sei. Die neuen Regeln seien zum Teil so zufällig und nicht nachvollziehbar, dass sogar Spezialisten nicht mehr wüssten, was nun in Sachen Gross- und Kleinschreibung oder Auseinander- und Zusammenschreibung gelte. Auch dass die Reform in weiten Teilen ein historischer Rückschritt – und somit ein «Schwindel» – sei, legen sie schonungslos dar. «Die Reformer scheitern an sich selber. Sie haben sich nicht durchgesetzt. Es wird Zeit, dass die Politik sich damit beschäftigt», sagt Wachter.

Die Diskussion dreht sich um die zentrale Frage, ob die Schüler schreiben sollten wie die Zeitungen oder umgekehrt. Mittlerweile wende fast die gesamte deutschsprachige Presse im Zweifelsfall wieder die herkömmliche Schreibweise an, sagt Stirnemann. Dies entspricht auch den Empfehlungen der SOK, die an der Tagung beschlossen hat, als nächstes bei der Schweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) vorstellig zu werden. «Es geht nicht an, dass Schweizer Schülern Schreibweisen als falsch angerechnet werden, die sie täglich in der Zeitung lesen», sagt Stirnemann mit Seitenblick auf den neuen Schülerduden, der etliche herkömmliche, oft verwendete Schreibweisen unterschlage.

Welchen Stellenwert die Sprachpflege im Journalismus haben sollte, diskutieren prominente Podiumsteilnehmer mit markigen Voten. «Hervorragend geschulte Köpfe müssen aus der Schule kommen. Das Fundament für gute Journalisten wird dort gelegt», sagt Hanspeter Lebrument, Präsident des Verbandes Schweizer Medien, und erntet dafür Szenenapplaus. Es könne nicht Aufgabe der Redaktionen sein, dem Nachwuchs korrektes Deutsch beizubringen.

Niemand fühlt sich zuständig

Moderator und NZZ-Autor Jürg Dedial weist darauf hin, dass Sprachpflege dennoch eine wichtige Aufgabe der Redaktionen sei. Der Chefredaktor des St. Galler Tagblatts, Philipp Landmark, hält fest, dass auch die Qualität der Sprache eine Frage der Ressourcen sei. «Ein guter Text braucht Zeit.»

Eva Nietlispach, Mediatorin, Journalistin und ehemalige St. Galler Kantonsrätin, fügt in Anspielung auf den Lehrplan 21 an: «Es braucht Wissen. Nicht nur Kompetenzen.» Aus eigener Erfahrung weiss sie, dass die Rechtschreibreform der Politik als «B-Problem» gilt. Niemand fühle sich zuständig. Dabei sei Sprachpflege weit mehr als Denkmalpflege. Was für Schule, Politik und Medien gleichermassen gelten dürfte.


Quelle: Ostschweiz am Sonntag
Link: http://www.ostschweiz-am-sonntag.ch/ostschweiz-am-sonntag/politik-und-wirtschaft/Schule-muss-die-Koepfe-liefern;art304159,4016130

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