25.01.2016


Matthias Heine

Rechtschreibung: Luther, setzen, 6

Eine Glosse

Wer je Martin Luther im Original gelesen hat – und nicht jenes Werk, das heute als Luther-Bibel firmiert, aber nur noch soviel Luther enthält wie Nüsse im Nutella stecken –, der ahnt, dass die Idee, es gebe so etwas wie eine logische und natürliche Rechtschreibung, eine Wahnvorstellung ist. Es gibt nur Konventionen, und Luther pfiff auf sie, wie fast alle seiner Zeitgenossen. Zunächst.

Luther schrieb nicht nur ganz anders als wir heute. Er schwankte auch in seinen Schreibweisen. Im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums, also der Weihnachtsgeschichte, standen in der ersten Übersetzungsfassung des Neuen Testaments vom September 1522, dem sogenannten September-Testament, dicht nebeneinander zeytt und zeyt oder vnnd neben vnd.

Den Namen seiner Hauptwirkungsstätte Wittenberg schrieb Luther sogar in sage und schreibe 14 verschiedenen Varianten: Wittenbergk, Wittenburgk, Wittenberg, Wittemberg, Wittembergk, Vuittenberg, Viuttemberg, Vuittenbergk, Vuittembergk, Wittemperg, wittenberg, Wyttemberg, Vvittenberg und wittemberg.

Der DDR-Luther-Forscher Erwin Arndt erklärte das 1962 in seinem Buch "Luthers deutsches Sprachschaffen" (in dem man selbstverständlich auch ganz nebenbei erfuhr, wie die sowjetische Sprachwissenschaft und Friedrich Engels Luther beurteilten) so: "Das ist nur dadurch möglich, dass es für Luther und seine Zeitgenossen eine Norm in unserem Sinne überhaupt nicht gegeben hat, sie nach Lage der Dinge auch gar nicht geben konnte. Jeder schrieb, wie er es für gut und richtig befand."

Hinzu kam beim Reformator eine gewissen Lust an der expressiven Schreibweise und dem Sprachspiel. Luther, so Arndt, habe anscheinend – wenigstens in seinen ersten deutschen Schriften – sogar "eine heimliche Freude daran gehabt, ein und dasselbe Wort mit verschiedenen Buchstaben zu schreiben."

Das Schreibchaos der Zeit beschrieb Luthers Korrektor Christoph Walther: "Wenn hundert Briefe und gleich mehr und gleich mehr mit einerlei Wörter geschrieben wörden, so wörde doch keiner mit dem Buchstaben übereinstimmen, daß einer mit Buchstaben geschrieben wörde wie der andere."

Doch es waren Leute wie Walther, die Luther allmählich eine einheitliche Rechtschreibung abverlangten und beibrachten. Vor der ersten Bibelübersetzung 1522 kümmerte sich Luther kaum um Fragen der Rechtschreibung und des Schriftbildes. Die Wittenberger Druckerei von Hans Lufft, für die Walter arbeitete, hatte aber ein Interesse daran, die Luther-Bibeln überregional zu verkaufen. Also verbesserten und vereinheitlichten die Drucker Luthers Orthografie und reinigten sie von mitteldeutschen Regionalismen.

Nachdem Luther bemerkt hatte, dass durch solche Eingriffe sowie durch Nachlässigkeit und Flüchtigkeit der Drucker oft seine Texte entstellt wurden, begann er, auch der äußerlichen Seite der Sprache mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seit Mitte der 1520er-Jahre mussten Bücher nach seinen Grundsätzen gedruckt werden. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass er selber Korrektur gelesen hat.

Nun bemühte er sich, in Übereinstimmung mit den Druckereien, selbst zunehmend um die Vereinheitlichung seiner Rechtschreibung: Konsonantenhäufungen wie bei zeytt, die typisch für den frühneuhochdeutschen Wildwuchs waren, wurden seltener. Er schrieb immer seltener tzehen oder czehen, sondern fast nur noch zehen.

Auch die 14 unterschiedlichen Schreibweisen für Wittenberg kommen nur in Luthers ersten Schriften bis zum Jahre 1523 vor. Arndt berichtetet: 1524 nutzte er nur noch sechs verschiedene Schreibweisen, 1535 nur noch vier, 1539 drei und ab 1542 endlich nur noch zwei, nämlich Wittemberg und Vuittenberg, wobei jedoch die erste Form schon seit 1524 bei weitem überwog. Der Siegeszug der Reformation war auch der Tatsache geschuldet, dass Luther seine epochenbedingte Dyslexie überwand.


Quelle: Die WELT
Link: http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article151414022/Rechtschreibung-Luther-setzen-6.html

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=744