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»Sprachwissenschaft«


Beiträge zum Thema

»„Verben der Bewegung“
Grammatische Relevanz außergrammatischer Kriterien?«

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Marco Mahlmann
Osnabrück

Dieser Beitrag wurde am 22.01.2009 um 22.07 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4473


Nun schließe ich – vielleicht etwas voreilig –, daß Verben, die das Perfekt mit "sein" bilden, intransitiv sind und ihr transitives Pendant zwingend mit "haben" im Perfekt steht. Das ist wahrscheinlich viel zu kurz geschlossen und taugt nicht als Regel.
Trotz allem ist wohl ein System nicht zu verkennen, das zudem als Regel dargestellt werden kann. Wie man das didaktisch so aufarbeitet, daß es auch Schüler, zumal sehr junge, verstehen, ist eine andere Frage. Die Antwort darauf verlangt padägogisches und wissensvermittelndes Geschick.
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA

Dieser Beitrag wurde am 21.01.2009 um 23.22 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4470


"Und ist es nicht trotzdem hilfreich, Regeln und Merksätze zu formulieren?" Völlig richtig. Aber man muß auch die Fallen sehen. Manche Zusammenfassungen, die uns lieb sind, weil sie uns Gelernten doch so einsichtig sind, fassen eben leider nicht alles zusammen; und gerade sehr gut Lernende machen dann deshalb Fehler. Und natürlich ist meine "älteste Tochter [...] die hundert Meter in Rekordzeit geschwommen", aber der Trainer gab am Telefon durch, daß sie die "100-m-Schmetterling in Rekordzeit geschwommen" hat. Er redet nämlich von der Schwimmdisziplin (einem direkten Objekt), nicht von der Distanz (einem Adverbial), und ich würde ihm nicht in sein Metier hineinreden, auch wenn ich selbst anders rede (ich bin ja Deutschlehrer, aber ich habe das mit "haben" bei Sportsdisziplinen auch in irgendeiner Grammatik gelesen). —

"Das transitive 'fahren' ist m. E. auch etwas anderes als das intransitive." Ebenfalls völlig richtig. Aber welcher Quintaner, eingeboren oder zugewandert, unterscheidet da von sich aus schon die verschiedene Bewegung, die mit direktem Objekt (Akkusativobjekt) und die ohne! — Zu "andere Besonderheiten (fehlendes Passiv, Intransitivität)": Gerade weil intransitive Verben kein direktes Objekt haben, bilden sie kein Passiv. Dazu, "welche Ausnahmen es da wieder gibt", das berüchtigte "gefolgt von": Sowohl das "folgen" mit "haben" (j-m gehorchen) als auch das mit "sein" (j-m nachfolgen) haben ihr Objekt ja in der Dativform. Dennoch ist das "gefolgt von" nicht auszumerzen. Fragen wir auch dazu mal die frühere Deutschlehrerin Ihres Sohnes, lieber Herr Riemer; die ist sich ja in solchen Sachen so sicher. — Zu den "intransitiven Verben" gibt es noch mehr Fragliches im Hinblick auf "Deutsch als Fremdsprache".
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 20.01.2009 um 15.06 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4464


"Zu den "sitzen", "stehen" und "liegen" im Süddeutschen", lieber Herr Ludwig, fällt mir auch noch eine Geschichte ein. Als mein Sohn noch in eine Mannheimer Grundschule ging und in einem Aufsatz "ich habe gesessen" schrieb, strich seine Lehrerin ihm das als falsch an. Da gerade kurze Zeit später ein Elternabend folgte, fragte ich die Lehrerin beiläufig danach. Sie meinte, "bin gesessen" sei in diesem Fall richtig, "habe gesessen" schriebe man nur, wenn es ums Gefängnis geht ...
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 20.01.2009 um 11.03 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4463


Die sogenannten Verben der Bewegung haben ja noch andere Besonderheiten (fehlendes Passiv, Intransitivität). Ich habe jetzt nicht nachgeprüft, welche Ausnahmen es da wieder gibt, und ob die mit den Ausnahmen bei der Bildung der zusammengesetzten Vergangenheitsformen übereinstimmen.
Aber die Verben der Bewegung waren eigentlich nur als Beispiel für den in Zweifel gezogenen "unbedingten Kompetenzanspruch der Sprachwissenschaft" angeführt worden. Ich hatte darin eigentlich schon Berührungspunkte zur Kritik der polenzschen "Deutschen Satzsemantik" in Prof. Icklers Tagebuch gesehen, von wo diese Beiträge herausgeschoben worden sind.
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Marco Mahlmann
Osnabrück

Dieser Beitrag wurde am 20.01.2009 um 10.49 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4462


Da ich gerade beginne, mich ernsthaft mit "Deutsch als Fremdsprache" zu befassen, bin ich dankbar für jede Möglichkeit, etwas dazuzulernen.
Ich sehe ein, daß nicht nur Verben, denen man eindeutig die Eigenschaft, eine Bewegung zu beschreiben, zuordnen kann, das Perfekt mit "sein" bilden.
Die älteste Tochter in Ihrem Beispiel, Herr Ludwig, ist nach meiner Wortbildung jedoch die hundert Meter in Rekordzeit geschwommen. Das transitive "fahren" ist m. E. auch etwas anderes als das intransitive.

Die Klassifizierung "Verben der Bewegung" versagt deshalb noch nicht vollends. Verben der Bewegung bilden schließlich das Perfekt mit sein.
Den Bedingungs- und Ortswechsel (wie ich es aus dem Stegreif übersetze) zum Maßstab zu nehmen, scheint mir kein grundsätzlich anderer Ansatz zu sein. Man "bewegt" sich zwischen Orten und Bedingungen.

In der deutschen Quinta gibt es auch Kinder, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Zumindest jene brauchen etwas mehr theoretische Anleitung.
Die Vermittlung solcher Wortbildungen ist bei "Deutsch als Fremdsprache" gewiß schwierig – im besonderen, wenn es in der Muttersprache der Schüler nichts ähnliches gibt.

Ist es nicht überhaupt im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache so, daß man nur bis zu einem gewissen Grade Regeln und Merksätze vorgeben kann, einiges aber partout nicht hineinpassen will, das man dann als "Ausnahme" oder "Sonderfall" einzeln lernen lassen muß? Und ist es nicht trotzdem hilfreich, Regeln und Merksätze zu formulieren? Die Schüler wissen auch aus ihrer Muttersprache, daß es Regeln gibt, und sie wissen, daß diese nicht in Stein gemeißelt sind und es Ausnahmen gibt.
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA

Dieser Beitrag wurde am 20.01.2009 um 01.37 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4461


"Zwölfjährigen Schulkindern in der Quinta ist mit der Beschreibung 'Verben der Bewegung' bestens gedient, wenn sie lernen sollen, wann 'sein' und wann 'haben' steht." Schulkinder, die Deutsch als Muttersprache sprechen, brauchen diese Bedienung eigentlich nicht. Ob Schüler, die Deutsch als Fremdsprache lernen, "aber zielsicher zur richtigen Anwendung" der Hilfsverben bei diesen Wörtern geführt werden, steht nicht so fest. Zu den "sitzen", "stehen" und "liegen" im Süddeutschen können wir auch noch "sein" und "bleiben" des Gesamtdeutschen hinzufügen, und da ist's mit der "Bewegung" auch nicht weit her.
Wir lehren im englischsprechenden Ausland "verbs of change of place and condition" ("werden", "sterben", "einschlafen" bilden ja auch ihre Perfektzeiten mit "sein"). Aber dann ist auch der Junge mit nach München gefahren, weil sie ja sowieso den Onkel nach München gefahren haben, und der sechzehnjährige Sohn hat sogar den Mercedes gefahren. Nur die älteste Tochter ist nicht mitgefahren. Sie ist ja die, die schon immer gerne geschwommen ist, und am Wochenende hat sie beim Wettkampf die 100-m-Schmetterling in Rekordzeit geschwommen, wie der Trainer am Telefon durchgab.
Vor den zielsicheren Weg zur "richtigen Anwendung" der Regel haben die Götter den Sprachgebrauch gesetzt.
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Dieser Beitrag wurde am 19.01.2009 um 23.12 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=223#4460


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 16.01.2009 um 15.58 Uhr

Zwölfjährigen Schulkindern in der Quinta ist mit der Beschreibung "Verben der Bewegung" bestens gedient, wenn sie lernen sollen, wann "sein" und wann "haben" steht.
Das wirft zwar die Frage auf, warum Süddeutsche "sitzen", "stehen" und "liegen" für Bewegung halten, führt aber zielsicher zur richtigen Anwendung.

Inwiefern der Kompetenzanspruch der Sprachwissenschaft im Schulunterricht eine Rolle spielt bzw. warum die Sprachwissenschaft darauf angewiesen sein soll, ihren Kompetenzanspruch im Schulunterricht unter Beweis zu stellen, will mir hingegen nicht einleuchten.


Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.01.2009 um 15.36 Uhr

Wir hatten hier in der Diskussion schon einmal die Frage nach belebten und unbelebten Substantiven (beseelt/unbeseelt). Mit dieser Kategorisierung verhält es sich wohl ähnlich wie mit den Verben der Bewegung.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.01.2009 um 13.20 Uhr

Die ersten erkenntniskritischen Zweifel an einem unbedingten Kompetenzanspruch der Sprachwissenschaft sind mir in der Quinta gekommen, als der Deutschlehrer uns auf Besonderheiten von „Verben der Bewegung“ hinwies. Sosehr es diese Besonderheiten geben mochte, so gewiß schien mir zugleich (auch wenn ich das damals wohl etwas anders ausgedrückt habe), daß „Bewegung“ keine grammatische Kategorie sein kann und daß das Ausmachen entsprechender Verben nicht in die Zuständigkeit des Grammatikers fällt, dieser also etwas voraussetzen muß, das er selbst nicht gewährleisten kann (wenn anders die Klassifizierung von Verben als solche der Bewegung nicht von vornherein zirkulär sein soll).
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