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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.03.2010
 

Maria hilf!
Mal was zum Verrücktwerden

Die Allgäuer Zeitung vom 10.3.2010:

"(...) Es ist schon ein Kreuz mit der Rechtschreibung - erst recht, wo die reformierte Reform selbst Schriftkundige ein ums andere Mal zum Schwitzen bringt. Ein amüsantes Beispiel dafür, wie vertrackt es im Dschungel der modernen Orthografie zugehen kann, hat vor kurzem unser Leser Karl-Heinz Lau aus Füssen entdeckt: In Füssen gibt es nicht weniger als drei verschiedene Schreibweisen für die Mariahilfer Straße - mal komplett zusammen, mal durch zwei Bindestriche getrennt und als weitere Variante in zwei Worten geschrieben.

Zuständig für die Straßenbeschilderung ist in Füssen das Bauamt. Wie es zu dem Wirrwarr entlang der langen Geraden im Füssener Westen kommen konnte, ist Manfred Schweinberg von der örtlichen Verkehrsbehörde ein Rätsel. «Die Beschilderung ist schon uralt, das lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen». Auch dass die fehlerhafte Schreibweise nicht schon früher bemerkt wurde, wundert Schweinberg. So oder so: «Wir werden zwei neue Schilder bestellen, bis Ostern sollten diese geliefert sein», bedankt er sich lächelnd für den Hinweis.
Doch welche Schreibweise ist denn überhaupt richtig? Eigentlich fordert der Duden unter der speziellen Rubrik «Straßennamen» bei mehrteiligen Namen einen Bindestrich zwischen jedem einzelnen Wort. Diese Regelung greift jedoch nicht, wenn eine Ableitung von einem Ortsnamen mit der Endung «er» vorliegt - und genau das ist hier der Fall.
Zur Ehrenrettung des Füssener Bauamts sei zudem gesagt, dass für den Eisenberger Ortsteil generell mannigfache Schreibweisen kursieren. Im Internet-Auftritt der Gemeinde etwa ist von «Maria-Hilf» die Rede, bei der Pfarreiengemeinschaft schreibt man den Ort dagegen Maria Hilf. Und der örtliche Käsewanderweg? Der führt von Lehern nach Mariahilf. Doch damit nicht genug der Verunsicherung. Sucht man im Internet nach der Mariahilfer Straße, wird man auch in Wien fündig - geschrieben in einem Wort. (...)"

In Eisenberg gibt es auch das Maria Hilfer Sudhaus, es liegt in der Maria-Hilfer-Straße 17.

Ich würde die Straßenschilder so lassen, wie sie sind. Oder, nur zum Spaß, den Rechtschreibrat konsultieren. Wahrscheinlich kommt er zu dem Schluß, daß Kirche, Straße und Brauerei auf eine Dame namens "Maria Hilf" oder "Maria Hilfer" zurückzuführen sind.



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Kommentare zu »Maria hilf!«
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Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 13.03.2010 um 08.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15830

Ich sehe es hier zum ersten Mal: Die reformierte Ortografie wird "modern" genannt. Zauberwort!
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.03.2010 um 01.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15829

Ein amüsantes Beispiel dafür, wie vertrackt es im Dschungel der modernen Orthografie zugehen kann, hat vor kurzem unser Leser Karl-Heinz Lau aus Füssen entdeckt

Wieso »Dschungel der modernen Orthografie«? Sofern der Autor damit die Reformschreibung meint (wofür der erste Satz spricht), liegt er daneben, denn es handelt sich bekanntlich um ein Problem, das noch älter ist als die Straßenschilder selbst, also mindestens »uralt«.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2010 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15828

Die "Klimalinguistik" gibt es schon, wenn auch nicht unter diesem Namen. Z. B. nahmen im 19. Jahrhundert manche Sprachhistoriker an, daß die hochdeutsche Lautverschiebung eintrat, weil die Deutschen die Alpen besiedelten und wegen der dünnen Luft und der Anstrengung ins Schnaufen kamen, folglich die Verschlußlaute zuerst stärker behauchten und dann zu Reibelauten umbildeten ... Den Sprachen der "Naturvölker" hat man auch verschiedenen Eigenschaften nachgesagt, die auf das jeweilige Klima zurückzuführen sein sollen.
 
 

Kommentar von MG, verfaßt am 12.03.2010 um 07.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15827

Es gehört nicht direkt zu diesem Thread, und doch will ich es nicht unkommentiert lassen. Wie heilsam für die Leserlichkeit wäre in folgendem Satz doch ein Komma an der richtigen Stelle gewesen:

Dank der Einführung der allgemeinen Volksschule begann man
auch weniger Belichtete als Schreiber in einem Amt zu verbraten.


Andererseits: Wenn einen der Feuilleton-Hafer sticht, kann man wohl nicht anders, dann verbaut man Sätze absichtlich, bis man noch nicht einmal selbst mehr durchkommt.

In geistestreuer Gefolgschaft der Deformer der deutschen Graphie, so auch Konrad Duden zum Tort um die Installation möglichst vieler Varianten bemüht waren, bemühen sich die Kommunen die Variativität (nicht: Varianz, das ist etwas anderes) wenn schon nicht in der Bebauung, so doch wenigstens in den Benennungen zum Blühen zu bringen.

Besser, man ruft den Tsunami nicht aus dem Wald. Der gemeine Leser würde es einem danken.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 12.03.2010 um 03.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15826

Dank der Einführung der allgemeinen Volksschule begann man auch weniger Belichtete als Schreiber in einem Amt zu verbraten. Daran hat sich bis heute wenig geändert (ABM-Stelle und so).

Glaubt noch jemand, daß die heute in den Gemeinden mit der Straßennamungsschreibung Befaßten auch nur den geringsten Schimmer von Schreibung hätten (von toponymischen Traditionen und den Regeln ihrer graphemischen Nomination zu schweigen)?

Manche nehmen wahr, was auf den Schildern oder (papiernen wie virtuellen) Propagadaseiten der Kommunen zu lesen steht. Selbst eine irrige Schreibung würde man nach längerer Behandlung resigniert hinnehmen, fänden sich nicht in demselben Mokchen (wie etwa Ffm) an ein und derselben Straße und auf derselben Website zwei oder auch mehre(rere)re Schreibungen, von denen eine evtl. "zielführend" ist, die die Wissenden in der "Verwaltung" aber keine verantworten.

In geistestreuer Gefolgschaft der Deformer der deutschen Graphie, so auch Konrad Duden zum Tort um die Installation möglichst vieler Varianten bemüht waren, bemühen sich die Kommunen die Variativität (nicht: Varianz, das ist etwas anderes) wenn schon nicht in der Bebauung, so doch wenigstens in den Benennungen zum Blühen zu bringen. Aber Duden – anders als das seinen Namen nutzende heute wuselnde Unternehmen – war sicher nicht up to date und konnte die letzten Errungenschaft der deutschen Pädagogik / Andragogik und Gerontogogik nicht kennen.

So haben wir – von wessen Gnaden auch immer – den genädiglich über dem deutschen Fuß- und Schreibvolk waltenden "Rat für deutsche Rechtschreibung", der dem "Institut für Deutsche Sprache" anhängig, aber schreibungs(un)mäßig nicht direkt und so verpflichtet ist. Und genau dieser Rat entscheidet, ob ein entsprechend getischlertes und an einer dünnen Propagandadecke aufgehängtes Möbel nur irgendein runder Tisch oder der einzig und alleinige Runde Tisch oder vielleicht sogar beides ist; und nicht allein mit schwarzen Brettern und ihrer geradezu metaphysischen Singularisierung hat der bedauernswerte Rat auch so seine Not. Man möge ihm also seine Hyperaktivität nachsehen und nicht erwarten, daß er geradezu bourgeois-kontemplativ "das Schreibgeschehen verfolgt".

Um keinen Tsunami aus dem Wald zu rufen, überläßt der Rat (for literacy and business?) in seinen Empfehlungen den Rest Fachwissenschaftlern. Chemiker dürfen ihre Seltenen Erden behalten (chapeau!), Agronomen hinwiederum nur (meist nicht systematisierte oder taxonomierte) seltene Erden finden.

Von solchem ans Herz Gehendem müßte eigentlich die inzwischen installierte Ökolinguistik handeln. In Nutzung der Erfahrung des seit seiner Geburt unkenden "Der Spiegel" ist es höchste Zeit, Lehrstühle / Räte oder Sowjets / Gremien / Think Tanks / Clubs of Rome / Initiativen (DDR), Bewegungen / Bürgerräte oder UNESCO-Kommissionen samt Titelkampf (DDR) und leninschen Kommissaren für Klimalinguistik (Copyright bei mir!) einzurichten, solange die Panik vorhält bzw. nicht mit den sie Schürenden in den Fluten der Weltmeere oder im Wärmetod untergehen (aber bitte nicht von der ohnehin unausweichlichen Entropie reden; zu schwer fürs Gymnasium, auch im Rahmen von "Wärmehaushalt" im Häusle und so).

Oben erwähntes Institut hat das Deutsche als etwas Singuläres, der Rat (nicht: Sowjet!) für dieses und jenes indessen wägt es (vorerst) als etwas in der Welt nicht Einsames und daher nicht Eigenbenamtes. Es steht also zu befürchten, daß der / the Rat for ... oder für ... sich demnächst noch an anderem sein Mütchen kühlen bzw. – politisch korrekt – beweisen möchte, bevor er rechtzeitig die entsprechenden Tücher um sich wickelt und sich am äußersten Rande der Geschichte geräuschlos niederlegt.
 
 

Kommentar von J.Hohenembs, verfaßt am 12.03.2010 um 00.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15823

Interessant zu erkennen, daß Linguisten dazu neigen, immer neue Regeln und kaum nachvollziehbare Unter-Unterteilungen für zufällige sprachliche Konstrukte zu erfinden, bei der einzigen halbwegs möglichen sprachlichen Kodifikation, der Rechtschreibung nämlich, das Laissez-faire verkünden.
Und das hier, an diesem Ort!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.03.2010 um 22.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1288#15822

Die Mariahilfer Straße in Wien ist nicht irgendeine, sondern die wohl wichtigste Einkaufsstraße der Stadt. Die offizielle Schreibung ist heute die getrennte, früher war hier und bei ähnlich gebildeten Namen die Zusammenschreibung üblich und wohl auch amtlich. Vgl. auch Wörthersee/Wörther See.
 
 

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