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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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21.11.2010
 

Kognitivismus
Sprachwissenschaft auf Abwegen

Wenn einer etwas tut, dann muß er es können. Dem Sprechen liegt also die Sprachfähigkeit zugrunde. Nennen wir sie "Kompetenz", mit einer Nicht-Übersetzung von Chomskys Sprachgebrauch.

"Fähigkeiten zu beschreiben, fällt in die Zuständigkeit der Psychologie, so daß Chomskys Neudefinition bewirkte, daß die Linguistik zu einem Zweig der kognitiven Psychologie wurde." (Miller, George A. (1995): Wörter. Streifzüge durch die Psycholinguistik. Frankfurt. S. 29)

Durch die Neudefinition wurden also sämtliche Sprachwissenschaftler über Nacht zu Psychologen.

"Die Umdeutung der primär nur syntaktischen, formalen generativen Grammatik in ein psychologisches Modell ist eine erstaunliche intellektuelle tour de force gewesen. Nicht minder erstaunlich ist die dadurch bewirkte Rückverwandlung der nordamerikanischen Linguistik, die sich gerade von der Psychologie emanzipiert zu haben glaubte, in einen Zweig der Psychologie." (Fritz Hermanns: Die Kalkülisierung der Grammatik. Heidelberg 1977:12) (Übrigens ein sehr gutes Buch, zu Unrecht fast vergessen!)

Dabei war die Einführung von Sprecher und Hörer ("idealer Sprecher-Hörer") in die Grammatik schon eine Erschleichung, nämlich, wie Esa Itkonen sagt, eine tautologische Verdoppelung der grammatischen Regeln. (Man könnte von einer Allegorie sprechen.)

Seither haben sich Tausende von Sprachwissenschaftlern zu "kognitiven Psychologen" erklärt, ohne jedes Studium der Psychologie. Natürlich kann eine solche Psychologie nur von der Art der rationalistischen sein, die hauptsächlich als Logizismus zu verstehen ist.

Da nun die Sprachfähigkeit unbestritten im Gehirn ihren Sitz hat, konnte man in den letzten Jahren die Schraube noch ein wenig weiterdrehen: Jetzt gibt es die "Neurolinguistik".

"Wie ist Sprache mental und neuronal repräsentiert? Was für Prozesse laufen in unseren Köpfen ab, wenn wir Sprache produzieren und rezipieren?" (Werbetext für Monika Schwarz: Einführung in die Kognitive Linguistik. 3. Aufl. UTB 2008)

Niemand weiß es, aber es wird schon mal unterrichtet, zahllose Studiengänge in "Kognitiver Linguistik" wurden eingerichtet und zertifiziert.

In der Psychologie wurde ein nettes, aber völlig unbedeutendes Buch von Ulric Neisser viel bestaunt, das Gerd Kegel schon vor 40 Jahren treffend als ein "Konglomerat aus Wahrnehmungspsychologie und Transformationsgrammatik" bezeichnete.

Kritische Stimmen gab es gelegentlich, sie gehen aber im allgemeinen Taumel unter. ("This word 'cognitive' begins to assume a rather pompous self-gratified air." [Colin Trevarthen in v. Cranach u. a.: Human ethology. Cambridge/Paris 1979:583])

In der Linguistik ist ein recht naives Werk von Willem Levelt ("Speaking") fast kanonisch geworden, obwohl die begrifflichen Mängel auf der Hand liegen.

Der Gegenstandpunkt in den Worten Skinners:

"Die Kognitionswissenschaft steht auf dem traditionellen Standpunkt: Das Verhalten hat seinen Ursprung im Organismus. Zuerst denken wir, und dann handeln wir. Wir haben Vorstellungen und fassen sie anschließend in Worte. Wir haben Gefühle, dann drücken wir sie aus. Wir haben Absichten, fällen Entscheidungen und entschließen uns zu handeln, bevor wir wirklich handeln. Dagegen sucht der Behaviorist in der Umwelt nach vorausgehenden Ereignissen und nach der Vorgeschichte der Umwelten von Gattung und Individuum. Die alte Formel von Reiz und Reaktion war ein Versuch, den Ausgangspunkt des Verhaltens in die Umwelt zu verlegen, aber davon ist man längst wieder abgekommen. Die Umwelt wählt das Verhalten aus. Die Verhaltensforschung (Ethologie) untersucht das arteigene Verhalten, das den Kontingenzen des Überlebens in der natürlichen Selektion zugeschrieben werden kann. Die Kontingenzen der operanten Bekräftigung wählen in ähnlicher Weise das Verhalten eines Individuums aus, allerdings in einem ganz anderen zeitlichen Maßstab." (Upon further reflection, S. 94)



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Kommentare zu »Kognitivismus«
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.10.2024 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#54059

Ja. Die gleiche Begründung, nur umgekehrt, könnte dann aber auch C. F. Gethmann für sich in Anspruch nehmen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2024 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#54058

Wir kommen immer wieder darauf zurück, daß es sich um eine Frage der Definition handelt. Für mich sind Regeln und Gesetze sprachliche Formulierungen (deskriptiv oder präskriptiv), für Sie nicht. Sie identifizieren die Regel- und Gesetzmäßigkeiten mit den Regeln und Gesetzen, ich nicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.10.2024 um 12.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#54057

Das ähnelt etwas der alten Frage, ob Mathematiker die Zahlen gefunden oder erfunden haben.

Geht der Sprachgebrauch nach Regeln, die sich in der Gemeinschaft herausgebildet haben und dann von Wissenschaftlern entdeckt wurden, oder stellen Wissenschaftler erst die Regeln auf, die es vorher gar nicht gab?

Ich denke, die Regeln gab es alle schon, sie waren der Sprachgemeinschaft nur nicht bekannt bzw. bewußt.

Auto, Uhr und Fernsehen wurden erfunden, aber Zahlen, Schwerkraft und Sprachregeln wurden gefunden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2024 um 06.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#54055

„Der Sprachphilosoph rekonstruiert die faktische Rede, indem er ein ihr zugrundeliegendes Regelsystem, eine Sprache erschließt. Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Beschreibung der Rede und des sie organisierenden Regelwerks.“ (Carl Friedrich Gethmann in Ekkehard Martens/Herbert Schnädelbach: Philosophie – ein Grundkurs 2. Reinbek 1991:561)

Der Sprachwissenschaftler wird seine Arbeit darin nicht wiedererkennen: Er beschreibt nicht Regeln, sondern mit Hilfe von Regeln den Sprachgebrauch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2024 um 04.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53972

Ein zweijähriges Kind beherrscht den Unterschied zwischen „ja“ und „doch“, der linguistisch gar nicht einfach zu beschreiben ist. Ebenso die Modalpartikeln, also das „denn“ und „eigentlich“ in Fragen usw. Darum meinte Harald Weinrich zu Unrecht, „daß die Grammatik von den Linguisten nicht schwieriger gemacht werden darf, als sie für Kinder, die ihre erste Sprache lernen, natürlicherweise ist.“ (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21999) Das Kind ist eben kein Linguist, und eine Sprache zu beherrschen ist etwas ganz anderes als sie zu beschreiben. – Ein Mädchen (2;9) zeigt auf eine grüne Fläche, nennt sie „orange“ und sieht den Erwachsenen schelmisch an, auf seinen Protest wartend. Sie erzählt ausführlich und hört fast gar nicht auf zu reden; die Wörter sind nur zum Teil wohlgeformt, und sie weiß auch, daß sie noch unterwegs ist und sich bald besser wird ausdrücken können. Während ich mit Vergnügen zuhöre, denke ich mit Verdruß an den Unsinn, den renommierte Philosophen über Kindersprache von sich gegeben haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2024 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53957

„To believe that whales are mammals is to bear an appropriate psychological relation to this sentence.“ (sc. whales are mammals). (Michael Rescorla https://plato.stanford.edu/entries/language-thought/)

Zwanghafte Versprachlichung, wie heute üblich. Der betreffende Glaube ist allenfalls eine „Einstellung“ zu Walen und nicht zu Sätzen. Zu Sätzen verhält man sich in Diskussionen, zu Walen auf Schiffen usw. Wenn es jemandem zu kalt wird, ist er daran interessiert, die Wärme im Zimmer zu halten, nicht aber daran, daß eine bestimmte Proposition wahr wird. Wer Hunger hat, will satt werden und nicht, daß die Proposition „ich bin satt“ wahr wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2024 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53713

Ganz einfach: Auch das "einfachste Leben" (Ihr Ausdruck) ist vielleicht sehr kompliziert, gemessen an anorganischen Verbindungen wie NaCl. Vielleicht kann ein Replikator nicht "einfach" sein. Ich weiß es nicht, aber ich wollte die Frage entschärfen, warum die Biochemiker noch nicht einmal "einfachstes Leben" erzeugt haben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.08.2024 um 22.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53712

Sie meinen, daß für die Entdecker der DNS alles Leben letztlich auf der gleichen Grundlage beruht, gleich einfach bzw. kompliziert ist? Aber das Genom ist ja Bestandteil der DNS, d.h. der Komplexitätsunterschied zwischen Einzeller und Mensch spiegelt sich letztlich auch in der DNS wider. Oder wie meinen Sie es, daß "einfaches" Leben nach Watson/Crick fraglich ist?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2024 um 15.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53711

Da wird Ihnen jeder zustimmen, ich habe mich ja auch nicht auf die Entzifferung des menschlichen Genoms bezogen, sondern auf Watson/Crick.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.08.2024 um 15.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53709

Ich meinte, ein einzelliges Lebewesen ist wohl einfacher künstlich zu erzeugen als z. B. ein Mensch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2024 um 15.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53706

Wer sagt, daß es "einfaches" Leben (nach welchem Maßstab?) geben kann? Die Chemie ist noch sehr jung, die Molekulargenetik noch viel jünger, die Einsicht in die DNS noch keine 100 Jahre alt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.08.2024 um 13.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53705

Es macht schon nachdenklich, daß man die Stoffe, aus denen Lebewesen bestehen, zwar vollständig chemisch analysieren kann, daß es jedoch bisher nicht gelungen ist, auch nicht das einfachste Leben aus diesen Stoffen synthetisch zu erzeugen. Ich tippe auf ein bisher unentdecktes Prinzip, das irgendwie mit Empfindungen zu tun hat. Diese Lebensbedingung scheint in der Natur extrem selten von allein einzutreten, aber wenn sie einmal erfüllt ist, hat sie sehr gute Chancen, sich ständig zu regenerieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2024 um 04.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53703

Von einer "Behauptung" würde ich nicht sprechen, behauptet wird allenfalls die Möglichkeit, daß replizierende Moleküle zufällig entstehen. Man sucht danach, wie es am ehesten gewesen sein könnte. Ich verfolge die Forschung nicht sehr intensiv, aber bedenken Sie bitte, daß im Experiment – auf kleinstem Raum, wohlgemerkt, nicht im Urozean – durch elektrische Entladungen in einer Lösung Moleküle entstanden sind, die man der organischen Chemie zurechnet. Diese Grenze ist ja schon seit Friedrich Wöhlers Harnstoffsynthese gefallen. Dawkins bespricht verschiedene Möglichkeiten.
Ich halte es für bedenklich, sich in ein "asylum ignorantiae" zurückzuziehen, d. h. aus der Tatsache, daß es bisher noch nicht gelungen ist, den allerersten Schritt zu beobachten, zu weitreichende Schlüsse zu ziehen.
Es bedarf keines "weiteren Zufalls", wie Sie vermuten, um die Replikation fortzusetzen. Die Evolution geschieht dann durch zufällige Mutation und kumulative Selektion, das werden Sie wohl nicht bezweifeln.
Es regt die Phantasie an, wenn man sich mit chemischen Prozessen beschäftigt, die in kleinsten Dimensionen und mit irrer Geschwindigkeit ablaufen, zum Beispiel den Biokatalysatoren (Enzymen) in jeder einzelnen Zelle.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.08.2024 um 23.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53702

Die Behauptung, daß sich Moleküle ganz ohne Überlebensantrieb replizieren und weiterentwickeln, ist m. E. nicht bewiesen. Den chemischen Zufall gibt es sicher ständig, aber eine solche Kette von Zufällen, die regelmäßig immer wiederkehren, öfters zur Weiterentwicklung, selten zum Zusammenbruch führen, ist m. E. extrem unwahrscheinlich.
Rein dem chemischen Zufall zu verdankende Replikation und Leben würden meist schon in der nächsten Generation wieder kaputtgehen und nur im Falle eines nochmaligen gleichen Zufalls zu einer weiteren Generation führen.

Materie muß eine Grundeigenschaft besitzen, die dem Zufall auf die Sprünge hilft, die die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung und Replikation einer bestimmten Struktur erhöht und ihrer Zerstörung entgegenwirkt: das Empfindungsvermögen.
Ich halte das mindestens ab Zellebene für notwendig, aber wer weiß, vielleicht gibt es eine Art schwaches Empfinden sogar schon bei komplexen Molekülen?

Ein richtiges Bewußtsein kann daraus natürlich erst in einem lebenden Organismus mit einem Zentralnervensystem werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2024 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53699

„Vorstellungen sind nicht nur ‚Bilder im Kopf‘, sondern meist als verbale oder bildlich-abstrakte Propositionen gespeichert. Eine Proposition ist ein Bedeutungsinhalt, der in der Regel aus einem einfachen Satz oder Wort besteht.“ (Niels Birbaumer/Robert F. Schmidt 1991: Biologische Psychologie. Berlin 1991:621)

Warum begeben sich Physiologen auf dieses Gebiet, um dann solchen Galimathias hervorzubringen? Es ist wie ein verhängnisvoller Zwang, der heute von der "kognitiven Wende" ausgeht, also der Wiederkehr der scholastischen rationalen Psychologie. „If Quine were more widely read there would no doubt be a cult rock band called The Propositions.“ (Stephen Schiffer)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2024 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53697

Ihr vorletzter Eintrag klang so, als müßte etwas hinzukommen ("Bewußtsein = Geist"), damit Leben möglich wird. Aber vielleicht habe ich Sie mißverstanden. Die Biologen verlangen ja nur replikationsfähige Moleküle, alles andere entwickelt sich, ganz ohne "Überlebensantrieb" usw. Ein chemischer Zufall.
Einige Moleküle replizieren (pflanzen sich fort), die meisten nicht. Bei jenen sieht es dann für uns so aus, als hätten sie einen "Willen zum Leben". Das ist die Täuschung, die Darwin aufgedeckt hat.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.08.2024 um 23.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53695

Also ich weiß nicht, ein Lebensstoff analog zum Phlogiston, ein Planer bzw. geistiges Planungsprinzip, ein Homunkulus, das sind alles so Unterstellungen, die zwar zu den Äußerungen des einen oder anderen mittelmäßigen Theoretikers passen mögen, aber die man nicht als Widerlegung der gesamten Theorie vom Bewußtsein, die auch ohne diese ganzen Mißgriffe auskommt, gelten lassen kann.

Für mich ist Bewußtsein (Geist, Seele, Empfindungsvermögen als Synonyme verstanden) kein Stoff (die Seele wiegt nicht "21 Gramm"), sondern eine allgemeine Eigenschaft geordneter (hochstrukturierter, insbes. lebensfähiger) Materie, ähnlich wie Information auch kein gesonderter Stoff ist, sondern in der Materieform besteht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2024 um 10.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53691

Das erinnert an den Vitalismus, die Annahme einer "Lebenskraft" – sozusagen das Phlogiston der Biologie. Die kommt heute ohne so etwas aus. Das kann und muß ich hier wohl nicht ausführen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.08.2024 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53690

Warum haben die leblosen Dinge im Verlaufe ihrer milliardenjährigen Geschichte nichts gelernt? Was befähigt ein Lebewesen und ganz besonders den Menschen dazu?
DNS und Nervensystem allein, also kompliziertere Strukturen, reichen nicht, es braucht eine neue Qualität. Durch Empfindungen (Schmerz, Lust, ... → Bewußtsein = Geist) erhält das Lebewesen m. E. erst den notwendigen Überlebensantrieb. Ohne sie gäbe es kein Leben. Eine Planung anzunehmen ist nicht nötig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2024 um 04.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53688

Wenn man die Erscheinungsformen der Anpassung auf eine Planung zurückführt, gelangt man zu einem personhaften Wesen, das Absichten hat und daher der Planung fähig ist. Die Welt entsprang also einem Schöpfergeist, und das Verhalten entspringt dem Geist oder Homunkulus in uns allen und meinetwegen auch im Sperling. Das Spinnennetz sieht aus, als ob es geplant wäre. Dieses Als-ob eliminiert zu haben ist Darwins Verdienst, und die Verhaltensanalyse hat Entsprechendes für das Verhalten der Organismen geleistet. Beides war implizit schon lange vorweggenommen in der Züchtung von Pflanzen und Tieren einerseits, der Dressur von Tieren und Erziehung von Menschen andererseits. Darwin hat ausdrücklich daran angeknüpft. Das evolutionäre Denken (in beiden Dimensionen) ist aber den Menschen bis heute nicht in Fleisch und Blut übergegangen.
Für mich ist das Faszinierende der Naturbetrachtung gerade dies: die Geschichte immer mitzusehen. Darum sind ja auch Dawkins und Skinner meine Lieblingsautoren, deren ganzes Werk diesen Gedanken ausführt, auf dem ich als Laie seit so vielen Jahren herumreite.
Daher auch mein Überdruß, wenn ich wieder etwas vom „Geist“ höre, dicke „Companions to the mind“ im Regal sehe usw. Ich sollte sie von der Abteilung „Psychologie/Philosophie“ in die „Theologie/Esoterik“ umsortieren. Werden wir doch endlich erwachsen, kommen wir doch endlich zur Sache!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2024 um 03.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53687

Der Unterschied liegt in der Geschichte. Zuerst in der Lerngeschichte (Konditionierung), dann in der Stammesgeschichte. Beide sind strukturell gleiche Formen der Anpassung, wenn auch in verschiedenen Dimensionen und auf verschiedenem Substrat (Nervensystem, DNS). Man weiß, wie man beides erforscht, und ist schon ein gutes Stück vorangekommen. Mit "Geist" kann keiner was anfangen, es ist auf dem Niveau von Schöpfungsmythen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 08.08.2024 um 00.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53686

Man kann dem vermuteten Unterschied einen Namen geben, aber damit ist noch nichts erklärt, nur der Unterschied postuliert.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2024 um 21.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53685

Ich kann beobachten, wie sich ein Stein nach dem Wurf verhält. Er beschreibt eine schöne Parabel, nur leicht gebremst durch den Luftwiderstand. Ich beobachte das Verhalten einer im Wind flatternden Fahne. Das Verhalten der Unruh einer aufgezogenen Uhr.

Und dann beobachte ich eineb Sperling. Er hüpft, fliegt, flattert, ich kann ihn mit Kekskrümeln anlocken und mit einem Klatschen verscheuchen. Er zeigt ein sehr differenziertes, situationsbedingtes Verhalten, so als könnte er sich jeweils für ein bestimmtes Verhalten von sehr vielen möglichen entscheiden.

Was ist nun der Unterschied im Verhalten von Stein, Fahne, Unruh einerseits und dem Sperling und anderen Lebewesen andererseits? Es muß wohl einen geben, oder etwa nicht? Bringt es also wirklich keine neue Einsicht, wenn man diesem Unterschied einen Namen gibt, z. B. Geist?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2024 um 18.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53684

„Sprache ist die wichtigste Schöpfung des menschlichen Geistes. Wahrscheinlich haben sich beide zusammen entfaltet. Das Funktionieren des menschlichen Geistes kann ohne Sprache kaum begriffen werden.“ (Rudolf E. Keller: Die deutsche Sprache. Hamburg 1995:9)

Was ist damit gesagt? Nichts. Die Sprache ist wahrscheinlich das wichtigste spezifisch menschliche Verhalten. Das Gerede vom Geist bringt keine zusätzliche Einsicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2024 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53683

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38045:

„It should be stressed that the reconstructed IE. forms have no reality except as convenient formulae for observed parallelisms. They are mere summaries of relationships. Thus it will not be a valid objection to a reconstructed form such as *stъ’wHró- to say that no human vocal organs ever pronounced such a series of sounds. No such real phonetic existence is claimed for the formula.“
(Leonard R. Palmer: The Latin language)

Wie gesagt, manche Indogermanisten stimmen hier nicht zu, sondern machen einen realistischen Vorbehalt geltend. Palmers Standpunkt ist auch nicht widerspruchsfrei. Es ist ja gar nicht wahr, daß die Formeln keinerlei phonetischen Gehalt haben. Vokalisch, bilabial, laryngal – solche Qualitäten sind sehr wohl mitbehauptet. Auch wenn wir die genaue Aussprache nicht kennen, setzen wird doch voraus, daß die Rekonstruktion auf eine phonetisch und typologisch mögliche Menschensprache führt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.08.2024 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53651

Ich will es nicht weiter oder anders zu definieren versuchen, nur zur sachlichen Richtigkeit möchte ich sagen, was wir uns nicht vorstellen können, hat eigentlich mit dem Problem der Vorstellung auch nichts zu tun. Es genügt, daß das, was wir uns vorstellen, mit Wissen zu tun hat (wobei dahingestellt bleibt, ob es allgemein anerkanntes oder vermeintlkches Wissen ist).

Zur Begrifflichkeit finde ich, daß wissen, denken einerseits und z. B. vorstellen nicht ganz auf einer Ebene liegen, insofern vorstellen ein bildhafter Ausdruck ist, während wissen, denken sich m. E. elementar wissenschaftlich erklären lassen. Wissen/denken ist für mich das gleiche wie Information besitzen/verarbeiten. Information ist eine naturwissenschaftliche Grundgröße, die sich nicht auf "entweder Umgangssprache oder Nachrichtentechnik" reduzieren läßt.

Mit dem Bewußtsein ist es leider nicht so leicht, es handelt sich um eine neue objektive Kategorie neben Materie (=Energie) und Information, die mit dem subjektiven Empfinden/Wahrnehmen zu tun hat. Objektiv ist sie, weil sie allgemeingültig ist und mehr oder weniger intensiv für alle lebenden Subjekte zutrifft. Man kann Bewußtsein m. E. ebensowenig ignorieren, wie man einem Organismus subjektive Gefühle und Wahrnehmungen absprechen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2024 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53649

Sie definieren und paraphrasieren genau in der gleichen volkstümlich-psychologischen Begrifflichkeit, deren Wissenschaftlichkeit ich gerade in Frage stelle: Wissen, denken, bewußt, besonders bewußt – das gehört offensichtlich zum selben „intentionalen Idiom“ wie Vorstellung. Ich verstehe Sie natürlich, wir sprechen ja beide das gleiche Deutsch, aber darum geht es nicht.
Übrigens ist auch die sachliche Richtigkeit fraglich: Ich weiß zum Beispiel, was Schwarze Löcher sind und wie Energie, Masse und Geschwindigkeit zusammenhängen, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Aber bemühen Sie sich bitte nicht weiter, „Vorstellung“ zu definieren! Entweder gelingt es Ihnen nicht, oder ich werde es nicht verstehen. Das haben diese Sachen so an sich.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.08.2024 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53646

"Sich etwas vorstellen" würde ich erklären: als von etwas wissen, wie es ist oder wie es sein könnte, und sich dieses Wissens zum betreffenden Zeitpunkt besonders bewußt sein.

Vorstellen ist bewußtes Wissen.
Man sieht nichts, sondern denkt etwas.
Das innere "Bild" ist nichts Materielles, nichts objektiv Reales.

Die "Klarheit" (Fähigkeit zum Bewußtmachen) solcher Vorstellungen variiert zwischen verschiedenen Individuen (was sich z. B. darin äußert, daß der eine besser zeichnen kann als der andere) und auch abhängig vom Zustand bei ein und demselben Individuum (z. B. im Traum).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2024 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53642

Noch ein paar Gedanken, ins Unreine gesprochen, in der Hoffnung auf verständnisvolles Weiterdenken:

Was geschieht wirklich, wenn man sagt, man stelle sich etwas vor? Das Fenster ist offen, ich stelle mir vor, es wäre geschlossen. „Sehe“ ich es dann irgendwie geschlossen? Ich sehe eine Blume und stelle mir vor, wie sie riecht. Ich stelle mir eine Melodie vor. Rieche und höre ich dann innerlich? Wenn man die alltägliche und daher scheinbar selbstverständliche Redeweise nicht naiv wörtlich nimmt, ist der Vorgang völlig dunkel. Nur seine Funktion in der Verständigung (Verhaltensabstimmung) ist klar.

Die Illusionen des Sehens und der Wahrnehmung überhaupt sollten mit dem Gedanken vertraut machen, daß die allzu vertraute Rede von Vorstellungen usw. auch nicht einfach hingenommen werden kann. Sie stimmt schon rein „phänomenal“ nicht, also bei aufrichtiger Erlebnisrede. Das zeigt sich u. a. bei der vermeintlichen „mentalen Rotation“, die eher postuliert als erlebt wird. Die Deutung als inneres Theater, dem wir zuschauen, ist weder phänomenal haltbar noch begrifflich konsistent.
Das Vorstellen könnte eine angedeutete, rudimentär ausgebildete Wahrnehmung sein, aber schon die Wahrnehmung ist nur angedeutet, rudimentär – wie die Illusionen zeigen.

Dennett kommt bei jeder Gelegenheit auf „innere Repräsentationen“ zurück. Immer wieder setzt er mit seiner enormen Belesenheit gerade in der Evolutionsbiologie zu einer frischen Erklärung des „Geistes“ an, und dann kommt das Bekenntnis zu „(mentalen) Repräsentationen“ als Grundlage, und man wendet sich enttäuscht ab.

Ich bekenne, daß ich nicht wirklich eine (stufenlose) Drehung der Shepardschen Objekte erlebe, und ich bin zuversichtlich, daß es Ihnen ähnlich geht. Aber dies ist wiederum bemerkenswert: daß wir in einer so radikal privaten Sache wahrscheinlich übereinstimmen. Mögliche Erklärung: es handelt sich um eine von vornherein gemeinsame, unter uns geteilte sprachliche Konstruktion, nicht um einen unabhängig existierenden Sachverhalt, über den man verschiedene Meinungen haben kann. Der gemeinsame Sprachgebrauch wird täglich festgezurrt und seine Übereinstimmung gesichert.

So kommt es, daß ausgerechnet über die evasiven „mentalen (bei Brentano „psychischen“) Phänomene“ die größte Einigkeit besteht und sie die gemeinsame Grundlage von Psychologie und Philosophie abgeben. Wie können andere Kulturen zu anderen Phänomenen kommen? Die wenig entwickelte Ethnopsychologie zeigt, wie kulturspezifisch die vermeintlichen anthropologischen Universalien sind (Inkommensurabilität der Psychologien verschiedener Völker). Nach Abegg bedeutet sanskrit „samkalpa“ etwa Vorstellung, früher aber auch Entscheidung, dann Wunsch. Aber unser Wort „Vorstellung“ ist nicht weniger vage, vgl. zum Ganzen http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1546#40883.

Indiskutabel: sich etwas vorstellen: „sich in bestimmter Weise ein Bild von etwas machen“ (Duden)
Aber das ist ebenfalls metaphorisch, denn man malt ja kein wirkliches Bild. „Stell dir vor, keiner geht hin!“ Macht man sich ein Bild, auf dem keiner hingeht? Das wäre doch absurd.

Die Undefinierbarkeit weist „Vorstellung“ (wie „Denken“ usw.) dem Kernwortschatz zu, und zwar innerhalb jener Hälfte unserer Sprache, die man das „intentionale Idiom“ genannt hat. Die evidente Gegebenheit der vermeintlichen „psychischen Phänomene“ beruht darauf, daß sie zur Geschäftsordnung der Sprache gehören und darum innerhalb dieser Sprache nicht in Frage gestellt werden können: Wer Deutsch spricht, muß auch von „Vorstellungen“ sprechen und verstehen, was andere damit meinen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2024 um 12.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53569

Man stellt den Kindern solche Aufgaben: „Stell dir zwei Männer vor; der eine hat einen Hund, der andere stellt sich nur vor, daß er einen hat“ usw. (Paul L. Harris: The work of the imagination. Malden u. a. 2000:60). – In die Aufgabe ist die Alltagspsychologie bereits eingebaut, die die Versuchsperson mit dem Versuchsleiter teilt. Es kommt heraus, wie gut das Kind schon in den folkpsychologischen Jargon eingeübt ist. Das ist aber nicht das, was bewiesen werden soll.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2024 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53559

Sprachwissenschaftler und Philosophen scheinen kein Problem darin zu sehen, daß „Ereignisse versprachlicht“ werden (wie es auch in der umfangreichen IdS-Grammatik mehrmals heißt). Sprachverhalten wird von verschiedenen Reizen gesteuert, aber man kann nicht sagen, daß es diese Reize versprachlicht. Was also ist gemeint? Wer von seiner Urlaubsreise erzählt, "versprachlicht" sie – oder wie?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2024 um 19.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53351

Hirnforscher Gerhard Roth legt dar, daß die „kognitiven Leistungen“ über mehrere Stufen aus den Vorgängen in den einzelnen Nervenzellen hervorgehen, aber wenige Zeilen später wird aus den kognitiven Leistungen einfach das Verhalten des Organismus. Warum nicht gleich so, wenn die psychologisierende Diktion überflüssig ist? Wir haben auf der einen Seite die Verhaltensanalyse, auf der anderen die Neurologie. Damit könnte sich auch ein radikaler Behaviorist anfreunden, der die zweite Hälfte anderen überläßt. (Gerhard Roth/Wolfgang Prinz, Hg.: Kopf-Arbeit. Gehirnfunktionen und kognitive Leistungen. Heidelberg, Berlin, Oxford 1996)

Es ist ein Beispiel dafür, daß "kognitiv" über alle erdenklichen Texte gestreut wird und ebensogut wegbleiben könnte. Dasselbe geschieht mit "Repräsentation".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2024 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53318

In neueren Lehrbüchern der Psychologie wimmelt es von „Repräsentationen“, sie kommen auf jeder Seite vor und werden gar nicht mehr als Stichwörter registriert, allerdings auch nicht definiert.
„Evidently [!], infants can store a representation of what they see another person do and imitate on the basis of that stored representation.“ (Andrew N. Meltzoff in Andrew N. Meltzoff/Wolfgang Prinz, Hg.: The imitative mind: development, evolution and brain bases. Cambridge 2012:24.)
Im einzelnen führt Meltzoff aus: „Infants’ self-produced movements provide proprioceptive feedback that can be compared to the representation of the observed act.“ (ebd.)
Wie ein Akt „repräsentiert“ sein kann und wer den Vergleich mit dieser Repräsentation durchführt – das Kind oder sein Gehirn –, dürfte der Verfasser kaum sagen können.
Andrew Whiten fragt: „What is the imitator’s mental representation of what is being imitated?“ (ebd. S. 98)
Das ist weder Verhaltensforschung noch Neurologie, sondern eben – „Psychologie“. Bringt es uns weiter, oder kann es wegfallen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2024 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53308

„Great apes also understand that others have thoughts and intentions...“ (Kathleen R. Gibson in Maggie Tallerman/Kathleen R. Gibson, Hg.: The Oxford Handbook of Language Evolution. Oxford 2012:121)

Das kann die Neuropsychologin weder aus der Verhaltensanalyse noch aus der Neurologie haben, es ist Alltagspsychologie. Auf dieser Grundlage beruht das ganze Handbuch. "Mind is back!" Ich kann damit nichts anfangen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2024 um 08.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53284

Physiologische Ursachen, die aus dem Verhalten, das sie erklären sollen, erschlossen werden, sind spekulativ. Nach dem jeweiligen Stand der Technik plausible Metaphern für das „Mentale“ (den Geist) werden genutzt: Uhrwerkmechanik, Hydraulik, Elektrik, Computersimulation usw. Alternativ begnügt man sich mit logischer Rekonstruktion, die aber auch wieder nach Art von Schalttafeln graphisch veranschaulicht werden kann. Biologischer Realismus kommt nur durch die tatsächliche Öffnung der Black box hinein: man weiß eben doch schon einiges über das Nervensystem usw. Ich hatte schon Skinner zitiert:
„Es ist über das Nervensystem genug bekannt, um der Spekulation gewisse dimensionale Schranken zu setzen und Erklärungsfiktionen die Flügel zu stutzen.“ („Kritik psychoanalytischer Begriffe und Theorien“. In Ernst Topitsch, Hg.: Logik der Sozialwissenschaften. Köln 1993:400-409, S. 403 – übrigens immer noch sehr lesenswert)
John S. Kennedy hält die spekulative Black-box-Physiologie wegen ihrer Erfolge für berechtigt, warnt aber vor den Gefahren des Anthropomorphismus (den ich in diesem Fall Homunkulismus nenne).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.05.2024 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53272

„Wenn ich handle, habe ich die innere Erfahrung eines Ziels und des Strebens nach diesem Ziel.“ (Michael Tomasello: Die kulturelle Entwicklung des Denkens. Frankfurt 2003:11)

Statt Erfahrung sollte man Erlebnis sagen, damit klar bleibt, daß es sich nicht um Erfahrung im Sinne empirischer Wissenschaft handelt. Solche Sätze haben etwas Irritierendes. Einerseits kann man sie kaum bestreiten, andererseits sind sie eigentümlich leer, führen nicht weiter. Ich rechne sie zu den inhaltsfreien Bekräftigungen eines Bekenntnisses zur intentionalen Redeweise, zur „Geschäftsordnung“ der Alltagssprache, die eben eine solche innere Welt umfaßt – eine weitere Variation von Nagels Fledermaus-Satz über Qualia: „Es ist für mich irgendwie...“

Der Verhaltensanalytiker läßt sich nicht auf eine inhaltliche Diskussion ein, sondern fragt, wie es zu solchen Redeweisen gekommen ist. Ein großes semiotisches und entwicklungspsychologisches Problem: Wieso kann man in der gemeinschaftlichen, öffentlichen Sprache über etwas vermeintlich radikal Privates reden? Die Antwort: Das Private ist in Wirklichkeit ein gemeinschaftlich erarbeitetes Konstrukt. Tomasello verdreht den Hergang: Als ob der Säugling zuerst nur von sich selbst wüßte, daß er ein intentionales Wesen ist, und es dann beim anderen entdeckte. (Usw., ich habe es anderswo schon oft gesagt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2024 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53254

„Der primäre Spracherwerb ist ein Prozess mentaler Konstruktion sprachlichen Wissens.“ (Ludger Hoffmann)
Nach einer gewissen Zeit kann das Kind sprechen. Folglich wird es wohl „wissen, wie man spricht“. Mehr kann der Germanist Hoffmann darüber nicht sagen. Banalitäten werden aufgebauscht, so daß man sie für Einsichten halten könnte.
Ein anderer Linguist meint, Ziel der generativen Grammatik sei es, „die Prinzipien zu erfassen, mit deren Hilfe wir die Zeichen in unseren Köpfen aufbauen.“ (Arnim v. Stechow) Was machen die Zeichen in unseren Köpfen, was machen „wir“ in unseren Köpfen, und was weiß ein Linguist über die Vorgänge in Köpfen?
Solcher Unsinn wird massenhaft gedruckt und an Universitäten gelehrt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2024 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53253

Die "Gesellschaft für kognitive Linguistik" hat vor längerer Zeit ihre Thesen veröffentlicht:

„Theoretische und methodologische Grundannahmen der Kognitiven Linguistik sind unter anderem:
1. Die Sprache ist ein Zeichensystem, d. h. ein symbolisches System, in dem Formen und Bedeutungen sowohl auf lexikalischer Ebene als auch auf der Ebene grammatischer Konstruktionen konventionell gepaart sind.
2. Die Untersuchung sprachlicher Bedeutungen (Semantik) ist äquivalent mit der von konzeptuellen Strukturen. Bedeutungen werden weitgehend geprägt durch Bildschemata, konzeptuelle Metaphern, konzeptuelle Metonymien und Konzeptualisierungen durch "Verschmelzungen" (conceptual blends). Bedeutungen sind zu einem großen Teil in der menschlichen Erfahrung verankert ("embodiment") und kulturell bestimmt.
3. Der Spracherwerb erfolgt auf der Grundlage genereller kognitiver Fähigkeiten. Die Annahme eines spezifischen angeborenen Erwerbsmechanismus ("Universalgrammatik") ist nicht notwendig.
4. Sprachliche Beschreibungen und Erklärungen sollten nicht (nur) auf Introspektion, sondern auf authentischem Sprachgebrauch basieren (usage-based).“

Das ist erstaunlich speziell. Ich glaube nicht, daß es viele Menschen gibt, die alles zusammen annehmen.

Man kann darin ein Anzeichen davon sehen, daß es die kognitive Linguistik gar nicht gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2024 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#53183

„Lernen wird in der sozial-kognitiven Theorie als ein aktiver, kognitiv gesteuerter Verarbeitungsprozess von gemachten Erfahrungen verstanden.“ (Wikipedia s. v. „Sozialkognitive Lerntheorie“)

Es geht um Nachahmungslernen, aber „Nachahmung“ wird gemieden. Daß Erfahrungen nur verarbeitet werden können, wenn sie „gemacht“ sind, versteht sich von selbst. Im zitierten, auch grammatisch verkorksten Satz ist nicht nur von einem „aktiven Prozeß“ die Rede, sondern auch zweimal das modische „kognitiv“ untergebracht. Das Ergebnis ist eine undurchdringliche Verrätselung.

„Das ‚Lernen am Modell‘ gilt als dritte Form des menschlichen Lernens, da es zeitlich nach der instrumentellen und operanten Konditionierung und der Klassischen Konditionierung entdeckt wurde.“

In Wirklichkeit wurde Lernen seit als Nachahmungslernen verstanden. Die beiden Arten der Konditionierung wurden von Pawlow und Skinner erst in neuester Zeit formuliert, und dabei fiel die Nachahmung als eigene Form des Lernens heraus. Einige Autoren haben sie wiedereingeführt, aber „enrdeckt“ zu werden brauchte sie nicht. Der Streit geht nur um die Frage, ob Nachahmungslernen unter die Konditionierung subsumiert werden kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2024 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52903

Auch Evidentes kann sich als Hirngespinst herausstellen. Wo sind die 42.415 oder 240.470 introspektiv gewonnenen Sinnesdaten der Titchener-Schule geblieben, was ist aus den 5.684 Instinkten geworden, die Luther Lee Bernard in der Literatur gefunden hatte? Wir sollten gewarnt sein.
Jahrhunderte hielt man daran fest, daß es Begriffe und Vorstellungen gibt, daß also die Rede in solchen Ausdrücken sinnvoll ist. (Ist sie ja auch – für den Alltag!) Darum sind die Texte der klassischen Philosophie heute praktisch unverständlich. Wovon handelt eigentlich Kant? An einer ganz entlegenen Stelle plaudert er gewissermaßen aus, was seiner Philosophie vorausliegt: „Da die Form der Sprache und die Form des Denkens einander parallel und ähnlich ist, weil wir doch in Worten denken, und unsere Gedanken andern durch die Sprache mittheilen, so giebt es auch eine Grammatik des Denkens.“ (Enzyklopädievorlesung. Berlin 1961:55) So deutlich habe ich es in den Hauptschriften nicht gefunden. Er mußte es nicht aussprechen, weil jeder es ohnehin für selbstverständlich hielt (man beachte das „doch“ im Zitat!). Die „Kritik der reinen Vernunft“ kann man nur verstehen, wenn man sie für unverständlich hält – aber nicht aus den banalen Gründen, die man früher gegen den berühmten, wenn auch nicht ganz leichten Text vorbrachte, sondern aus dem genannten Grund, daß unsere wissenschaftliche Sprache sich vollkommen gewandelt hat: vom Mentalismus zum Behaviorismus. Der Interpret steht nicht mehr vor der Frage, was Kant gemeint hat und ob es wahr ist, sondern: wie kommt jemand dazu, so zu sprechen? Natürlich gibt es immer noch viele Autoren der alten Schule. „Science has developed unevenly.“ (Skinner) Sie scheinen die Evidenz für sich zu haben. Aber: „Evidenz ist der Feind der Wahrheit.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2024 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52837

„Die Wörter sind Bezeichnungen für Vorstellungen von Sachen, Vorgängen, Zuständen.“

Es ist gleichgültig, wo das steht (in diesem Fall in einer lateinischen Schulgrammatik) – man kann es so oder ähnlich flächendeckend finden. Gerade in solchen unscheinbaren Texten spricht sich die Meinung des gebildeten Volkes aus.

Ist schon die Namentheorie der Sprache (Wörter sind Namen für Gegenstände) problematisch, so erst recht diese unbedachte Psychologisierung. Aus der antiken Lehre, daß wir uns "mit Hilfe der Begriffe" (mediantibus conceptibus, sagen die Scholastiker) auf die Gegenstände beziehen, so sind die Wörter hier Namen der Vorstellungen geworden. Wir reden also über Vorstellungen, glauben aber fälschlich, über die Gegenstände zu reden.

Das ist natürlich alles Unsinn, aber das wird offensichtlich nicht bemerkt.

Wenn man schon von "Sich-beziehen" spricht (ich tue es nicht), kann man nicht sagen, daß der Sprecher sich auf etwas anderes bezieht, als er sich zu beziehen glaubt. Wie ich nach meinem Kaffeebecher und nicht nach meiner Vorstellung von einem Kaffeebecher greife, so spreche ich gerade eben auch über den Becher und nicht über meine Vorstellung vom Becher usw. (Auch wieder ein Kategorienfehler.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2024 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52833

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51042 (Chomsky als Psychologe):

„Chomsky discards the verb know and substitutes cognize. This is a verb of his own invention, which he is free to define as he sees fit.“ (Roy Harris 2010 https://royharrisonline.com/INP27.html)

„According to Chomsky, someone who cognizes cannot tell one what he cognizes, cannot display the object of his cognizing, does not recognize what he cognizes when told, never forgets what he cognizes (but never remembers it either), has never learnt it and could not teach it. Apart from that, cognizing is just like knowing! Does this commend itself as a model for an intelligible extension of a term?“ (Maxwell R. Bennett/Peter M. S. Hacker: History of cognitive neuroscience. Chichester 2013:247).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2024 um 07.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52703

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45377

Das Gehirn würde auch unmögliche Bewegungen steuern, wenn sie möglich wären (d. h. wenn die motorische Exekutive es zuließe). Einander widersprechende Überzeugungen können im Kopf koexistieren, solange wir nicht versuchen, daraus ein Verhalten abzuleiten. Man kann nur trinken oder nicht trinken, ins Flugzeug steigen oder nicht, den Arm beugen oder strecken, aber nicht beides gleichzeitig, auch wenn wir das „für richtig hielten“.
Es gibt Menschen, die an Evolution und Schöpfung glauben, Wissenschaft und Religion in sich vereinbaren und das als NOMA theoretisch rechtfertigen. Sie studieren Medizin – und verschreiben Globuli. Apotheker verkaufen sie, obwohl sie alles über Verdünnungen wissen. Mediziner wissen, daß Wassermoleküle kein „Gedächtnis“ haben können, glauben aber trotzdem daran (Jacques Benveniste) usw. Das alles ist „unlogisch“ - na und? Nur Rigoristen wie Sokrates oder Kant wollen das nicht hinnehmen, weil sie darin die Wurzel allen Übels sehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2023 um 04.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52400

Einen Satz nur aussprechen, ohne ihn zu meinen, ist die kompliziertere Leistung. Gilbert Ryle bekennt, dies früher verkannt zu haben: Wie die Logiker hatte er geglaubt, die Behauptung (Assertion, als Affirmation oder Negation) sei etwas zur Form Hinzukommendes (The concept of mind. London 1999:249f.). Wir können auch sagen: Indirekte Rede ist komplexer als direkte, weil die Verstellung hinzukommt. Die Aussage wird sozusagen suspendiert. So gelangt man zur „Proposition“ der Logiker. In der Sprachwissenschaft hat besonders Walter Porzig, wie hier schon oft erwähnt, den „Satzinhalt“ als Gegenstand der Abstraktion identifiziert: Die „Eroberung Karthagos“ ist der Name für den Satzinhalt: „daß/ob/wie Karthago erobert wurde“ (um nur die drei häufigsten Ausfüllungen zu nennen). Es könnte auch sein, daß Karthago überhaupt nicht erobert wurde (wie die Ukraine bisher nicht zurückerobert worden ist und trotzdem jeder weiß, was die „Eroberung der Ukraine“ bedeutet).

Die höhere Komplexität der Verstellungsleistung, also auch des nur zitierenden Gebrauchs der Sprache wird durch die Aphasiologie (Kurt Goldstein) bestätigt.
Die Fähigkeit, Aussagen zu suspendieren, also Sprache zitierend zu gebrauchen, ist allgegenwärtig und macht die Überlegenheit des Menschen aus. Wir finden sie auch im Handlungsschema (Verhaltensentwurf plus Einspruchsmöglichkeit, Handeln unter Vorbehalt), und letzten Endes hat wohl auch Herder mit der „Besonnenheit“ das gleiche gemeint. Das ist aber ein weites Feld, und ich müßte die Fragmente, die über mein Tagebuch verstreut sind, mal zusammenfassen.

„Verstellung“ ist kein Stichwort in der „Enzklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“, hg. von Jürgen Mittelstraß. 2. Aufl. Stuttgart 2013 und in anderen enzyklopädischen Wörterbüchern. Vor allem in der Entwicklungspsychologie (Kinderspiel) und Autismusforschung wird „Pretending“ untersucht, aber selbst dort bleibt man meistens in einer nutzlosen Metaphorik (Sichhineinversetzen, Perspektivenübernahme usw.) stecken, die nichts erklärt. Ryle hat es schon recht erfaßt („Vorgeben“ in der deutschen Übersetzung von Kurt Baier), aber das ist zu weit von den Psychologen entfernt, als daß sie es zur Kenntnis nehmen würden. Die große Nähe von Ryle und Skinner war beiden klar; daß sie trotzdem nicht miteinander klar kamen, liegt daran, daß Ryle als Philosoph eine begriffliche Klärung unternimmt, die der Leser mit einem „Ach ja!“ quittiert, während der Verhaltensforscher Skinner das Sprachverhalten von außen, bewußtseinsfremd, erforscht und beim Leser ein „Ach so!“ erzeugt. Man unterscheidet auch logischen und empirischen Behaviorismus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2023 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52266

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#44031

Ich habe damals die Fortsetzung des Zitats weggelassen, weil sie ein anderes Problem eröffnet:

„Könnte ich auch nur für 5 Minuten Säugling oder Hund sein und gleichzeitig ich selbst bleiben, so wäre ich wirklich ein Kinder- bzw. Tierpsychologe, ja der einzige seines Zeichens. Da solches nie geschehen wird, bleiben wir Verhaltensforscher, auch wenn wir wie Psychologen reden.“ (Otto Koehler: „Tierpsychologische Versuche zur Frage des ‚unbenannten Denkens‘“. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Jg. 98, 1953:242-251, S. 243)

Koehler setzt also voraus, daß Psychologie nur aus der Innenperspektive, als Bewußtseinspsychologie betrieben werden kann, andernfalls geht es um Verhaltensanalyse, Biologie... Skinner würde zustimmen. Er spricht von der Psychologie, als ob er nicht dazugehörte, und fremdelte auch in Harvard usw. mit den Kollegen. Seine Kurse fielen zwischen alle Stühle, sogar den Übertritt in die erziehungswissenschaftliche Fakultät erwog er gelegentlich. Die Freunde haben sich gewundert, daß etwa Konrad Lorenz den Nobelpreis bekam, Skinner aber nicht, was sicher auch damit zusammenhängt, daß die Verhaltensanalyse so schwer einzuordnen war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2023 um 05.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52244

Die kognitvistische Orthodoxie lehrt: Ich glaube, daß p beschreibt einen mentalen Zustand, nämlich den Zustand des Glaubens, und er wird durch den Inhalt spezifiziert oder (wie man sagt) individualisiert. Ich halte das für falsch. Ich glaube ist eine autoklitische Hinzufügung, die die Reaktion auf die eigentliche Aussage p steuert. Man könnte auch sagen: Wie p im weiteren Verlauf eines Gesprächs verarbeitet werden soll, wird durch solche „tags“ mitbestimmt: ich glaube, weiß, bezweifle usw. Die psychologisierende Deutung als „mentale Zustände“ ist überflüssig und ireführend. Ich spreche immer noch über p und nicht über mein Seelenleben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2023 um 04.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52045

Um eine Schallquelle zu lokalisieren, nutzt der Organismus u. a. die Laufzeitdifferenz bei beidohrigem Hören; er „berechnet“ sie aber nicht. Auch ein Sieb berechnet nicht die Größe der Körner, die es durchläßt bzw. zurückhält. Die Planeten wissen nichts von Keplerschen Gesetzen, das Ohr weiß nichts von Fourier-Analysen. Der Fliehkraftregler weiß nichts von Ist- und Sollgeschwindigkeiten und berechnet sie nicht. Aber das Kind soll die Grammatikregeln kennen und anwenden, nach denes es spricht? Daß es nach jahrhundertelanger Methodenreflexion immer noch – oder wieder – möglich ist, den Gegenstand mit seiner wissenschaftlichen Beschreibung zu verwechseln, scheint unbegreiflich, aber die Zitate, die sich leicht vermehren ließen, erlauben keine andere Deutung. Harald Weinrich meint, „daß die Grammatik von den Linguisten nicht schwieriger gemacht werden darf, als sie für Kinder, die ihre erste Sprache lernen, natürlicherweise ist“. (Für eine Grammatik mit Augen und Ohren, Händen und Füßen. Opladen 1976:10) Buchtitel wie „Grammatisches Wissen“ (womit keineswegs das Wissen der Verfasser und dann auch der Leser gemeint ist) enthalten das ganze fehlerhafte Programm. Der Planimeter-Trugschuß beherrscht das kognitivistische Gerede.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2023 um 04.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52010

Wenn man die praktische Psychologie unseres Alltags als für wahr gehaltene Thesen formuliert, also eine wenn auch rudimentäre Theorie daraus macht, gerät man bald in Schwierigkeiten. Paul Churchland stellt Gesetze auf wie dieses: If x fears that P, then x desires that non-P. (Matter and consciousness. A contemporary introduction to the philosophy of mind. Cambridge, Mass./London 1988:64) Ist damit eine gesetzmäßige Abfolge gemeint oder eine Nominaldefinition? Letzteres ist durchaus möglich. „Timor est fuga“, definierten Augustinus und Thomas von Aquin, und Rudolf Bilz, der es zitiert, analysiert menschliches Verhalten in diesem Sinne als Erbe der Evolution. Wenn Furcht das gleiche wäre wie Flucht, brauchte man keine zwei Ausdrücke. Furcht entsteht aber eher bei gehemmter Flucht.
Ein Regenwurm scheut das Licht, strebt nach Dunkelheit. Pflanzen meiden die Dunkelheit und streben ans Licht. Das ist kein gesetzmäßiger Zusammenhang, sondern zweimal das gleiche.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2023 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#52003

Beim Üben geschieht etwas, was ich erlebe, aber nicht tue. Ich spiele einige auf dem Klavier zusammengesuchte Töne zehnmal und dann noch mal an den folgenden Tagen, und es flutscht nur so, ohne daß ich weiß, wie es zugeht. Ich erlebe auch sonst meine Geschicklichkeit (und nicht nur ihr Gegenteil, das eher auffällt) als etwas Fremdes. Der Behaviorismus mahnt uns, das gesamte Verhalten in dieser Weise zu sehen, auch die eigentlich verantwortbaren Handlungen, die sich nur dadurch von bloßen Routinen unterscheiden, daß sie in (mögliche) Dialogspiele eingebettet sind, nämlich Deliberations- und Rechtfertigungsdialoge, die ihrerseits historisch-genetisch als erworbenes Verhalten zu analysieren sind, sozusagen die gesellschaftlich normierte Fassade. Dagegen sträubt sich die moralische Person, die wir auch sind, und will die Idee vom verantwortlichen spontanen Agens nicht aufgeben. Rhetorisch wird der Widerstand gegen einen vermeintlichen Mechanizismus zur „humanistischen Psychologie“ aufgeputzt; der Behaviorist sieht darin eine bedauernswerte „flight to laymanship“.
Aber mit dem Üben und überhaupt den Gewohnheiten hat der Rationalismus seine Schwierigkeiten, und es ist kein Zufall, daß z. B. die generative Grammatik keine Sprachdidaktik entwickelt hat. Theoretisch kann man leicht postulieren, daß Sprechen Regelbefolgen ist. Dem Lernenden ist damit nicht geholfen. Überhaupt ist die Erziehung keine logische Schulung, sondern die Bildung guter Gewohnheiten, denen man am Ende bescheinigen mag, sie seien zwar nicht rational, aber wenigstens ratiomorph. Der moralische Mensch folgt zwar dem kategorischen Imperativ so wenig wie der Planet den Keplerschen Gesetzen. Aber rein formal sieht es so aus, als tue er es. Daher Schillers Kantparodie, die man sehr dumm und sehr geistreich gefunden hat:
„Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2023 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51699

Ebenso: Wenn ein Affe das Verhalten A zeigt und nicht das Verhalten B, sagen die Kognitivisten, er habe die Handlung "ausgewählt" und "bewertet". Das ist aber keine Erklärung, sondern einfach die Beschreibung des Verhaltens noch einmal, nur in anthropomorphe (eigentlich soziomorphe) Begriffe eingehüllt und vernebelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2023 um 05.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51696

Wie sehr die „kognitive Wende“ in vorwissenschaftliche Zeiten zurückführt, zeigt dieses Beispiel: Wenn ein Pferd für ein bestimmtes Verhalten belohnt wird, erhöht sich die Häufigkeit dieses Verhaltens. In einer Wissenschaftssendung („Planet Wissen“) heißt es, das Tier habe den Zusammenhang zwischen Verhalten und Belohnung verstanden. Das läßt sich nicht widerlegen und scheint durch den Ablauf bestätigt zu werden. Man kann es aber ebenso gut weglassen und sollte es tun, weil es den wohlbekannten Prozeß der operanten Konditionierung mit einem mentalistischen Schleier überzieht, der absolut nichts erklärt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2023 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51650

„Perception is not a passive taking-in of stimuli, but an active process of synthesizing or constructing a visual figure.“ (Ulric Neisser: Cognitive psychology. New York 1967:16; ebenso zu memory)

Das schreibt der "Vater der Kognitionspsychologie" in seinem Hauptwerk. Aber was könnte es bedeuten? In meinen Augen ist es völlig sinnlos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2023 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51354

Wenn man sich durch Berge von anspruchsvoll daherkommenden Texten durchgewühlt hat, stößt man geradezu erleichtert auf Stellen wie diese:

„To say that ‘language is not innate’ is to say that there is no difference between my granddaughter, a rock, and a rabbit. In other words, if you take a rock, a rabbit, and my granddaughter and put them in a community where people are talking English, they’ll all learn English. If people believe that, then they’ll believe language is not innate. If they believe that there is a difference between my granddaughter, a rabbit, and a rock, then they believe that language is innate.“ (Noam Chomsky)

„In the long run, I believe his greatest contribution will be that he has taken a major step toward restoring the traditional conception of the dignity and uniqueness of man.“ (John Searle über Chomsky)

So ähnlich sagt’s der Herr Pfarrer auch. Fehlt am Schluß nur das „Amen!“.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2023 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51353

Die Standardwerke der "Kognitiven Psychologie" wollen den menschlichen "Geist" ergründen, sind daher so sehr sprachgeleitet, daß Tiere darin kaum oder gar nicht vorkommen. Bei Neisser (Cognitive psychology 1967) werden allenfalls Frösche (Lettvin et al.) und Katzen (Hubel/Wiesel) knapp erwähnt, aber auch nur zur visuellen Wahrnehmung. Neisser preist Chomskys damals neue Kritik an Skinners vermeintlicher Reiz-Reaktions-Psychologie. Die Kognitionspsychologen berufen sich noch heute auf Chomskys erste Bücher, von denen der Meister sich inzwischen Lichtjahre entfernt hat. Geblieben ist allerdings die Geist-Metaphysik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2023 um 06.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51256

In Kindlers Enzyklopädie der Psychologie des 20. Jahrhunderts gibt es zwei dicke Bände „Piaget und die Folgen“, und in einer Rangliste der bedeutendsten Psychologen steht Piaget ganz oben, gleich nach Skinner. Bekannt sind seine Stufenlehre und die Lerntheorie. Zu letzterer will ich anmerken: Daß ein Kind lernt, alle Hunde, aber keine Kühe als „Wauwau“ zu bezeichnen, sollen zwei verschiedene Vorgänge sein, die Piaget Assimilation und Akkomodation nennt. Für mich ist es das gleiche, und irgendwie scheint auch Piaget das zu meinen. Aber wozu dann die ganze komplizierte Theorie vom „Schema“ und anderen unbeobachtbaren Konstrukten? Ich kann nicht erkennen, daß dies irgendeine nützliche Forschung angeregt hat. In den Lehrbüchern und in der Ausbildung von Lehrern und Erziehern werden immer die gleichen Beispiele angeführt, und dabei bleibt es dann auch. Wenn man die Wikipedia-Einträge „Assimilation“ und „Akkommodation“ liest oder die Zuammenfassung https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/akkommodation-assimilation/69 (dringend zu empfehlen!), versteht man den Seufzer des Psychologen Theo Herrmann, daß er Piaget leider nicht verstehe und deshalb nichts über ihn sagen könne. Die Lehramtskandidaten verstehen es natürlich erst recht nicht, aber hersagen müssen sie es.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2023 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51255

Der Computerlinguist Chomsky hat die Linguistik zu einem Zweig der Psychologie und der Biologie erklärt, wodurch er selbst ohne weiteres Studium zum Psychologen und Biologen wurde (und, wie gezeigt, zu den 100 bedeutendsten Psychologen des 20. Jahrhunderts gezählt wird). Tausende von Sprachwissenschaftlern sind ihm gefolgt. Man kann sich denken, von welcher Art ihre Psychologie und Biologie ist: spekulativ. Seither diskutieren sie „das logische Problem des Spracherwerbs“ usw. Das logische Problem des Fußballspielens oder der Hochseefischerei ist noch nicht erkannt worden.
Skinner hat die Nähe dieser Schule zur Scholastik erkannt. Man sprach damals von „rationaler Psychologie“. Kann man die Rückkehr ins Mittelalter wirklich als Fortschritt verstehen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2023 um 06.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51239

Von der Modularität des Geistes, wie sie psychologisch als Unterscheidung von Funktionskreisen angenommen wird, zur „phrenologischen“ Identifikation von Zentren im Gehirn ist es ein weiter Weg, der nicht einfach im Sprung genommen werden kann. Bei Modularitätstheoretikern wie Fodor wird das weitgehend überspielt, wozu auch der unterschiedslose Gebrauch von mind und brain beiträgt. Nimmt man beispielsweise an, daß es verschiedene Gedächtnisspeicher gibt (Langzeit, Kurzzeit), so ist das zunächst ein psychologisches funktionales Modell, das aufgrund von Leistungsunterschieden errichtet wird. Die Topographie von graphischen Darstellungen ist nicht als wirkliche räumliche Verteilung zu interpretieren. Selbst wenn – wie man selbstverständlich erwarten kann – im Hirnscan verschiedene besonders aktivierte Hirnregionen beteiligt sind, ist es nicht zulässig, beides zu identifieren.
Funktional verschieden sind auch sprachliche Verhaltenseinheiten, ohne daß man gleich auf die Suche nach Zentren für Grammatik, Adverbien im Gehirn usw. gehen sollte. (Daß man sie finden wird, habe ich anderswo schon erörtert; man findet alles, wonach man sucht, das gilt ohne Ausnahme.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2023 um 06.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51200

Da haben Sie recht. Man verkleidet die alte Metaphysik heute gern adjektivisch: "kognitiv", "mental" – das wird inflationär überall eingefügt. Es ist ohne Bedeutung und könnte wegbleiben, aber folgenlos ist es nicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.06.2023 um 06.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51198

Die Wörter Geist und Seele finde ich in naturwissenschaftlichen Büchern sowieso fehl am Platz, da ihnen etwas Religiöses anhaftet. Vielleicht ist auch die Übersetzung nicht ganz treffend. Sie sollten meines Erachtens auf deutsch lieber Vernunft, Bewußtsein o. ä. wählen. Aus behavioristischer Sicht mag das natürlich auch nicht viel besser sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2023 um 04.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51197

Typischerweise ist in Büchern aus der kognitivistischen Richtung (z. B. von Steven Pinker) auf jeder Seite vom "Geist" (mind) die Rede, aber dieses selbst ist kein Stichwort im Register. Die Wortwahl – Geist statt Person oder Mensch – ist folgenreich: Eine Verhaltensanalyse ist nicht mehr möglich, weil der Geist sich nicht verhält. Der Rest ist Spekulation am Leifaden der folk psychology, zu der der Begriff Geist gehört und außerhalb derer er nicht vorkommt.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 25.05.2023 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51121

Möglicherweise eine böse Spitze nicht gegen linguistische Laien, sondern gegen Fachkollegen, die es anders sehen. Dabei gibt es wohl kaum etwas Laienhafteres als die Rede vom »Mentalen« – klingt gebildet und bedeutet nichts.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.05.2023 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51120

Es mutet mich auch recht überheblich an, daß dies nur "eine bei Laien verbreitete Auffassung" sei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.05.2023 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51118

„Entgegen der bei Laien verbreiteten Auffassung geschieht Spracherwerb nicht durch Nachahmung. Vielmehr baut das Kind mental Sprachregeln auf.“ usw. (Helga Andresen in Helmut Glück, Hg.: Metzler Lexikon Sprache. 3. Aufl. Stuttgart 2005:614)

Das Kind als Person weiß nichts von Regeln, also muß ein Homunkulus angenommen werden, der im Kind sitzt und Regeln aufbaut – eine sprachliche Tätigkeit, die eine weitere Sprache voraussetzt usw.

Und das soll der Stand der Sprachwissenschaft im 21. Jahrhundert sein? (Chomsky und die Folgen...)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2023 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51102

Seit der Jahrhundertwende werden die Bücher der Chomsky-Linguistik und ihrer psychologischen und philosophischen Erweiterung massenhaft aus den Bibliotheken entfernt. Im Antiquariatshandel sind ihre Preise in den Bereich von ein oder zwei Euro gefallen, falls sie überhaupt noch vertrieben werden. Grewendorf/Hamm/Sternefeld, einst ein Suhrkamp-Taschenbuch-Bestseller, Spracherwerbs- und Sprachtheorien von Sascha W. Felix usw. – das alles will niemand mehr lesen. Es war vielleicht keine gute Idee, die Sprachwissenschaft ausgerechnet auf dem Höhepunkt der windigen generativistisch-kognitivistischen Spekulation in Handbüchern und Lexika einzusargen. Immerhin haben Generationen von Studenten diese Sachen hersagen müssen. Es gibt neue Moden, die Spiegelneuronen sind schon wieder halb vergessen, bunte Bilder aus dem Computertomographen werden auch schon kritisiert, weil sie nicht zeigen, was sie zeigen sollen. Aber eine weltumspannende Doktrin wie die neuscholastische, wiederbelebte rationale Psychologie am Leitfaden der Sprache ist nicht in Sicht. Der verbliebene universal verwendbare Schnörkel „kognitiv“ wird wohl auch bald verschwinden – nicht wegen seiner Verkehrtheit, sondern aus Überdruß, das ist das Unbefriedigende an der Entwicklung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2023 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51051

Wie konventionell vorbehavioristisch die Kognitive Psychologie im Grunde ist, sieht man am inhaltlichen Aufbau der Standardlehrbücher: „Attention, perception, learning, memory, language, problem solving, reasoning and thinking“ (Quelle erübrigt sich, sie sind alle mehr oder weniger gleich). Nur der Jargon hat sich geändert: Repräsentation, Information, Codierung, Mapping, Mentales (statt Seele)... Und wie gesagt: die Tiere sind weitgehend verschwunden, dafür haben wir die Chomsky-Linguistik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2023 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51042

Es geht bei der Kognitiven Psychologie um „human brain and mind“ (Michael W. Eysenck/Mark T. Keane: Cognitive psychology. A student’s handbook. 6. Aufl. Hove, New York 2010:1).
Also die Gegenstände, die schon von Philosophie und Medizin/Physiologie bearbeitet werden (man beachte auch wieder den „koordinativen Dualismus“!). Und wieso „human“? Aber diese unbegründete Beschränkung (die freilich mit dem philosophischen Konstrukt des „Geistes“ vorbereitet ist) bestätigt das Gesamtbild der „Kognitiven Psychologie“ als „Konglomerat aus Wahrnehmungspsychologie und Transformationsgrammatik“ (so Gerd Kegel vor 50 Jahren spöttisch über Ulric Neisser. vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370). Der Linguist Chomsky wird bei Eysenck/Keane ausdrücklich als Gründungsvater genannt. Die Chomsky-Linguistik tritt gewissermaßen an die Stelle der Tierversuche, auf die sich die traditionelle empirische Psychologie stützte. Das Verschwinden der Tiere aus den Psychologie-Büchern scheint vielen gar nicht aufzufallen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.05.2023 um 00.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51034

Ja, ich habe das noch einmal in Ihrer Schrift nachgelesen. Manche verschiedenen Auffassungen haben ihren Ursprung vielleicht im unterschiedlichen Verständnis über Information. Ich glaube, daß Sie mit Zeichen und Anzeichen alles das beschreiben möchten, was ich ganz allgemein Information nenne. Dadurch kommen Sie auch zu einer "Zeicheninflation", weshalb Sie solche Information, die nicht eindeutig interpretierbar ist, Anzeichen nennen, während ein Zeichen etwas ist, was auf eindeutige Weise semantisiert wurde. Könnte es so etwa sein?

Das wäre für mich eine Erklärung für Ihre eher technische Auffassung von Information bzw. für Ihre Unterscheidung in wissenschaftlich-technischen und alltagssprachlichen Gebrauch. Darum bestehen Sie darauf, daß nur Zeichen speicherbar sind, bzw. daß im Gehirn weder Wissen noch Information gespeichert ist.

Für mich ist Information der allgemeinste Begriff. Fast jede Information muß erst im Zusammenhang mit ihrer Umgebung und den Umständen interpretiert werden, ausgenommen Zeichen, sie brauchen keine Interpretation, da sie schon durch ihre Semantisierungsgeschichte oder einfach per Definition eine ganz bestimmte Bedeutung haben. Zeichen sind in ihrer Zeichenform natürlich im Gehirn nicht gespeichert, das gebe ich zu. Die Information über die Zeichenform und ihre Bedeutung aber ist Wissen, das im Gehirn gespeichert ist, sein muß.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2023 um 14.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51031

Vielem kann ich nicht widersprechen. Aber ich will doch noch einmal auf meine Unterscheidung von Anzeichen und wirklichen Zeichen hinweisen (hier sehr oft und in dem langen Manuskript, das Sie kennen, lieben Herr Riemer, dort besonders gegen Dennett).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.05.2023 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51029

Mit der Abstraktheit des Verhalten meinte ich hier den Gegensatz zum Materiellen. Verhalten ist nichts Gegenständliches, Stoffliches, es kann keine Information enthalten, also auch kein Wissen, keine Erfahrung. Jede Information, also auch Wissen, Erfahrung, benötigt ein stoffliches, materielles Medium, das sie aufnehmen kann, das ihre Existenzgrundlage ist. Die Schnecke speichert ihre Erfahrung durch die wiederholten Berührungen nicht in einem Verhalten (Wie sollte das gehen?), sondern wie Sie sagen, in den Synapsen, also in ihrem Körper. Die körperliche Veränderung ist die Grundlage dafür, daß sie bei wiederholter Berührung anders reagiert, z. B. sich gewöhnt.

Wenn ein Blitz in einen Baum einschlägt, hinterläßt er eine Nachricht, etwa einen Riß in der Rinde und im Stamm, schwarze Brandspuren. Das ist eine Information, der Mensch kann sie interpretieren, er kann aus dieser Spur schlußfolgern, daß ein Blitz eingeschlagen hat. Die Information über den Blitzschlag steckt nicht in einem Geschehen wie evtl. im Umfallen des Baumes, sondern sie steckt im Holz seines Stammes, im Materiellen.

Der Auffassung über den mereologischen Trugschluß stimme ich zwar prinzipiell zu, allerdings finde ich, daß das eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, die kein Kognitivist bezweifelt. Das ständige Insistieren darauf, daß nicht das Gehirn, sondern der Mensch einen Gedanken hat, etwas will usw., finde ich recht wortklauberisch. Zum Beispiel Bennett/Hacker (Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften) reiten ständig darauf herum und verlieren dabei m. E. den Blick fürs Wesentliche. Wenn jemand sagt, er geht so weit ihn die Füße tragen, dann mokieren wir uns doch auch nicht darüber, daß nicht die Füße den übrigen Körper tragen, sondern daß der Körper mit den Füßen eine Einheit bildet. Daß die Auswertung unserer Sinneswahrnehmungen, die vernünftige, zweckmäßige Steuerung unserer Bewegungen im Gehirn stattfindet, nicht von den Füßen ausgeht, ist doch wohl auch unstrittig. Wer vom Gehirn spricht, statt vom ganzen Menschen, verweist einfach auf den Ort, wo die neurologischen Prozesse stattfinden, die bestimmte psychische Vorgänge begleiten bzw. deren Grundlage sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2023 um 08.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51027

Ein begrifflich inkonsistentes Modell der „Sprachproduktion“ kann weder physiologisch verwirklicht sein noch computertechnisch simuliert werden. Der Physiologe weiß nicht, wonach er suchen soll, der Programmierer nicht, was er eingeben soll. Aber mit bildgebenden Verfahren läßt sich auch Widersprüchliches oder Sinnloses ohne weiteres nachweisen. So hat man das „Gottes-Modul“ identifiziert und kann auch Gedanken, Ideen, Intentionen sichtbar machen: Wenn das Gesuchte in die Versuchsanordnung eingebaut wird, kann es nie mehr daraus verschwinden. Der Auftrag an den Probanden, sich die Dreifaltigkeit Gottes vorzustellen, führt im Scanner zu einem charakteristischen Hirnbild, das die Idee der Trinität lokalisiert, ebenso das Gute und Böse, das Schöne, Werte, Gedanken, Bilder, Vorstellungen, Gefühle, Schrift, arabische Ziffern, die Theorie des Geistes, Begriffe, das Besitzstandsdenken, Empathie, das deklarative Gedächtnis, Angst, das mentale Lexikon, die grammatischen Regeln, Phoneme, Metaphern, das Ich-Konzept, die Verarbeitung von Zitaten, Eigennamen, das Belohnsystem, Wünsche, Verben, Substantive, Gegenstands- und Personenbezeichnungen, „Repräsentationen“ (dies vor allem!), Selbsttranszendenz, Handlungspläne, Vertrauen, Gesichtererkennung, Musik usw. (alles echt!).

Natürlich haben die Hirnforscher tatsächlich etwas gemessen, wenn auch nicht das, was sie glauben und vorher hineingesteckt haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2023 um 08.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51026

Ich verstehe nicht, wieso Verhalten "abstrakt" ist und was das eigentlich bedeutet. Und was das "Speichern einer Erfahrung" bedeutet. Für mich ist "Erfahrung" eher abstrakt als Verhalten. Aber ich fürchte, wir sprechen immer noch ziemlich verschiedene Sprachen (zum Glück nur in philosophischen Angelegenheiten).

Die Meeresschnecke habe ich erwähnt, weil an ihr zuerst und am besten das Lernen auf Ebene der Synapsen untersucht worden ist (Kandel).

Ich wollte darauf hinaus, daß nichtpersonalen Einheiten (Hirne, Tiere, Maschinen) keine psychologischen Prädikate zugeschrieben werden sollten – darin stimmen wir wohl überein. Ich bin nur radikaler als Sie.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.05.2023 um 22.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51025

Ich würde natürlich bei einer Schnecke, wie überhaupt bei allen niederen, rein reflexgesteuerten Tieren, auch nicht unbedingt von Wissen sprechen, obwohl ich da keinen prinzipiellen Unterschied zum Wissen höherer Lebewesen sehe (nur einen quantitativen).
Insofern ist die Schnecke vielleicht kein besonders gutes Beispiel für Wissen.

Die Gewöhnung der Schnecke an einen immer wiederkehrenden Reiz geht ja, wie Sie selbst sagen, mit einer körperlichen Veränderung einher. Ohne diese Veränderung, die eine Speicherung ihrer Erfahrung (durchaus primitivstes Wissen) ist, würde sie sich immer gleich verhalten.

Wissen kann nicht im geändertem Verhalten bestehen. Verhalten ist etwas Abstraktes, nichts Materielles. Wissen benötigt aber eine materielle Grundlage, auf der es existieren kann. So wie halt bei der Schecke eine Veränderung an ihren Synapsen stattgefunden hat. Ihr neues Verhalten ist die Folge dieser physischen Veränderung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2023 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#51024

Die Schnecke Aplysia californica habituiert an wiederholten Reiz, d.h. durch chemische Veränderung an den Synapsen stellt sie ihre Schutzreaktion allmählich ein – was hat sie dadurch repräsentiert, widergespiegelt, abgebildet? Natürlich kann man immer sagen, daß sie etwas über ihre Umwelt „weiß“. Das Wissen besteht aber ausschließlich im (geänderten) Verhalten selbst, aus dem es „erschlossen“ ist.

Was immer gespeichert wird, es kann nicht „Wissen“ sein, denn „wissen“ hat einen ganz bestimmten Ort im gesellschaftlichen Verkehr, es ist ein kommunikationsbezogener Begriff in gesellschaftlichen Zusammenhängen. In der Biologie kommt „wissen“ nicht vor (sollte es nicht vorkommen).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2023 um 07.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50871

“To recover the intended meaning of a pointing gesture, therefore, requires some fairly serious ‘mindreading’.” (Michael Tomasello/Malinda Carpenter/Ulf Liszkowski: „A new look at infant pointing“. Child development 78/2007:705-22, S. 705)
Gerade wenn es „fairly serious“ sein soll, wünscht man sich eine Auskunft ohne Anführungszeichen. „Gedankenlesen“ ist ein Selbstwiderspruch. Das Konstrukt der Gedanken wird gerade deshalb eingeführt, weil sie nicht für andere zugänglich sind. Das lernt das Kind, und das weiß das Volkslied: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Kein Mensch kann sie wissen.“ Der Rest ist Spiritismus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2022 um 16.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50117

Es gibt zahllose sprachwissenschaftliche Texte, die schon im Titel auf „Kognition“ verweisen, als verstünden die Verfasser etwas davon. Wie kann das sein? Es kann sein, wenn man nach alter Philosophenweise die Logik als Lehre vom Denken psychologisiert. Dann ist jeder ein Kognitionswissenschaftler, ganz besonders aber jeder, der sich mit Sprache beschäftigt. Das alltagspsychologische Konstrukt des Denkens wird zum inneren Sprechen, das Gedächtnis zum Speicher usw., das läuft dann wie von selbst. Man hat zwar nichts dazugelernt, ist aber jetzt kognitiver Linguist.
 
 

Kommentar von THeodor Ickler, verfaßt am 19.12.2022 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50069

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50003

Hierher gehört auch:

„I think I can safely say that nobody really understands quantum mechanics.“ (Richard Feynman)

Das war bestimmt keine Koketterie. Auch auf anderen Gebieten braucht es viel Zeit und Arbeit, die eigene Theorie bis in alle Konsequenzen und Verästelungen zu durchdenken (Evolutionslehre, Radikaler Behaviorismus, Laryngaltheorie...).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2022 um 04.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50055

Im "Dorsch" wird der Ausdruck Erlebnispsychologie als heute nicht mehr gebräuchlich gekennzeichnet. Das kann man so vereinbaren, aber solange die Psychologie noch als Wissenschaft vom "Erleben und Verhalten", "Verhalten und Erleben" definiert wird, wie es in fast allen Lehrbüchern außerhalb der behavioristischen Schule der Fall ist, ändert sich an der Sache selbst nichts. Mit experience wird viel unbefangener umgegangen. Auch die weiterhin sehr intensive philosophische Diskussion über "Qualia" usw. gehört hierher. In Wirklichkeit wird man die Erlebnisperspektive und -sprache nicht los, auch nicht in der neumodischen "Kognitionswissenschaft".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2022 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50016

Die Anpassung und „Lernfähigkeit“ des Immunsystems wird allgemein – und gerade jetzt angesichts von Corona wieder – als „Evolution im Zeitraffer“ verstanden und hat seinen führenden Erforscher Gerald Edelman zu seinen ausgreifenden Thesen ermutigt, die als „Neuronaler (oder neuraler) Darwinismus“ heftig diskutiert werden. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Neural_Darwinism.

Die letzte allgemeinverständliche Zusammenfassung ist sein Büchlein „Second nature“. (John Horgan hat ihn interviewt und postum sein gesteigertes Selbstbewußtsein gewürdigt: https://blogs.scientificamerican.com/cross-check/my-testy-encounter-with-the-late-great-gerald-edelman/) Das Buch ist ist sehr anregend, aber man stößt auch Seite für Seite auf Unklarheiten, was die philosophische Behandlung traditioneller Begriffe wie „Bewußtsein“ betrifft.

Natürlich kommen auch Bennett und Hacker (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1584#50015) immer wieder auf Edelman zurück, der schon als Nobelpreisträger Beachtung verdient. Die beiden ordnen ihn in eine Tradition ein, um die er selbst sich nicht viel gekümmert hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2022 um 05.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50004

Zum vorigen: Das ist auch der Hintergrund, vor dem Physiker sagen, sie versuchten die Theorien zu verstehen – die sie selbst erfunden haben! (So z. B. Carl Friedrich von Weizsäcker über die Quantentheorie)

Daß ein Text mehr weiß als sein Verfasser, ist eigentlich ein Gedanke der Hermeneutiker über Dichtungen. Daß es auf die Naturwissenschaften zutreffen könnte, haben sie sich wohl nicht träumen lassen.

Ein bißchen anders liegen die Dinge in der Biologie, wo die volle Konsequenz der Darwinschen Revolution erst allmählich entdeckt wurde. In der Verhaltensforschung hat sich die entsprechende Wende zur Konditionierung und zur "Psychologie ohne Seele" als "fruchtbar" erwiesen, wie man sagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2022 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#50003

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21946

Ich hätte in meinem Eintrag vor zehn Jahren die Stellen aus Heinrich Hertz’ "Prinzipien der Mechanik" anführen sollen:

Über Maxwells Gleichungen:

„Man kann diese wunderbare Theorie nicht studieren, ohne bisweilen die Empfindung zu haben, als wohne den mathematischen Formeln selbständiges Leben und eigener Verstand inne, als seien dieselben klüger als wir, klüger sogar als ihr Erfinder, als gäben sie mehr heraus, als seinerzeit in sie hineingelegt wurde.“

Daran schließt sich die berühmte These an:

„Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegen­stände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von naturnotwendigen Fo­lgen der abgebildeten Gegenstände. Die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen; sie haben mit den Dingen die eine wesentliche Übereinstimmung, welche in der Erfüllung der genannten F­orderung liegt, aber es ist für ihren Zweck nicht nötig, daß sie irgendeine ­weitere Übereinstimmung mit den Dingen haben.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2022 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49998

Man behält ja immer einige Dutzend Wissenschaftler im Auge, und wenn man lange nichts Neues von ihnen gehört, sieht man wohl mal im Internet nach, was aus ihnen geworden ist – um dann festzustellen, daß sie gerade verstorben sind (man wird eben älter). So auch der Psychologe Joachim Hoffmann, den ich verschiedentlich zitiert habe, weil er (wie sein Lehrer Klix) die kognitivistische Gegenposition zu meinem Behaviorismus vertritt. Ich bin zwar kein Psychologe, aber Hoffmanns Schriften kann ich so gut kritisieren wie jeder andere. Die sprachliche Akrobatik etwa in seinem Buch „Die Welt der Begriffe“ (Weinheim 1986) oder im kurzen Beitrag „Wird Wissen in Begriffen repräsentiert?“ (Sprache und Kognition 7, 1988:193-204) hat ja mit psychologischer Forschung gar nichts zu tun. Ein größerer Wirrwarr ist nicht denkbar. Im Aufsatz findet man auf zwei Seiten drei völlig unvereinbare Auffassungen von „Begriff“ usw. Ein empirisch arbeitender Psychologe kann gar nicht auf den Begriff „Begriff“ kommen; dazu muß man traditionell folkpsychologisch von der Alltagssprache angeleitet sein, und das ist die Psychologie der Klix-Schule in höchstem Maße. Der mit ihr befreundete Theo Herrmann hatte sich davon anstecken lassen, obwohl er es eigentlich besser wußte („personal communication“...).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2022 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49905

Zum meinem Lieblingsinstrument, dem mechanischen Polar-Planimeter, habe ich diesen schönen Film gefunden:
https://www.youtube.com/watch?v=jMvEOmpy8Kw
Nicht zuletzt wegen des philosophisch-theologischen Schlußwortes sehenswert!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2022 um 05.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49807

„In school settings the acquisition of both general and domain-specific linguistic capacities requires children to reflect about language itself, so prompting and enhancing metalinguistic competence. Such a kind of competence includes the awareness of the mental activity involved in language. This suggests a close relationship between metalinguistic and metacognitive skills.“ (David R. Olson/ Alessandro Antonietti/Olga Liverta-Sempio/Antonella Marchetti: „The mental verbs in different conceptual domains and in different cultures“. In: Alessandro Antonietti et al., Hg.: Theory of mind and language in developmental contexts. New York 2006:31-64, S. 31f.)

Die Behauptung, daß das Sprechen über Sprache ein Bewußtsein von damit verbundener geistiger Aktivität einschließt, ist aus der Luft gegriffen oder vielmehr aus der vorwissenschaftlichen Alltagspsychologie herausgesponnen. Daher ist auch das Gerede über „Meta“-Fähigkeiten wertlos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2022 um 06.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49791

If Anderson & Lightfoot are correct, Chomsky deserves the Nobel Prize in Medicine, for single-handedly re-opening the apparently moribund science of anatomy and discovering an organ of the human body which has been overlooked in the history of studies of the human body. Of course, the language organ is unusual in that it cannot actually be seen. What could they mean, you ask, by an invisible organ? (Daniel Everett in J. Linguistics 41/2005: 157–175; S. 160)

Gut gesagt. In der engeren wissenschaftlichen Diskussion ist es um sensationelle Konzepte wie das FOXP2-Gen, die Spiegelneuronen und eben das Sprachorgan (oder den Sprachinstinkt) still geworden, weil sie der Kritik nicht standgehalten haben. Aber in der populären Literatur und im pädagogischen Bereich leben sie munter fort.

Was die generative Grammatik betrifft, so ist sie nicht nur psychologisch, sondern sogar physiologisch gedeutet worden, so daß schon bei Chomsky selbst alle (generativen) Linguisten automatisch auch Psychologen wurden, bei einigen Autoren sogar Physiologen. Everett bemerkt in seiner Rezension:

...none of the three authors of the two books under review has any serious credentials in neurophysiology...

Und sie ziehen auch keine biologische Literatur heran. Wozu auch? Sie wissen ja alles schon. Lightfoot zum Beispiel ist Linguist und Sprachhistoriker, treibt sein Fach aber ausdrücklich als "cognitive physiology". Was kann dabei schon herauskommen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2022 um 03.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49787

Die Fähigkeit, über Sprache zu sprechen, wird als „metalinguistic competence“ hervorgehoben. Sie ist in keiner Hinsicht bemerkenswert und hat auch nichts „Reflexives“, so daß auch „meta-“ nicht gerechtfertigt ist. Man kann über alles reden, natürlich auch über das Sprachverhalten. Es ist ein Gegenstand wie jeder andere und kann weiteres Verhalten, auch Sprachverhalten, steuern. Auf normwidriges Sprachverhalten kann man – wie Theobald in „The way of all flesh“ – mit Prügeln reagieren oder durch die sprachliche Reaktion "Das ist falsch" bzw. "Sag das nicht!" Warum sollte man letzteres als „metsprachlich“ auszeichnen? Wer sich gegen Schläge wehrt, indem er zurückschlägt, verteilt keine Metaschläge usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2022 um 07.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49783

„Der Mensch, als soziales Wesen, versucht, in seinem Alltag die Handlungen und Emotionen anderer Personen für sich erklärbar zu machen, indem er wie ein Psychologe deren mentale Zustände berücksichtigt: Erkennt er den Wunsch sowie die Überzeugung einer anderen Person, kann er daraus ihre Handlung vorhersagen.“ (Julia Kern: Zur Entwicklung des Verstehens von Wünschen und Überzeugungen: Elemente der kindlichen Theory of Mind. Dissertation Freiburg 2005:8. Hervorhebung von mir)

Das kann man auch umdrehen: Kinder sind kleine Psychologen, Psychologen sind große Kinder. Der Psychologe übernimmt die naive Folk psychology. Es ist fast komisch zu lesen.

Das Verhalten eines anderen wird nicht aus dessen mentalen Zuständen (durch mind reading) vorhergesagt, sondern entweder aus dessen Ankündigung oder aus anderen Umständen, die mit dem künftigen Verhalten in einem gelernten oder natürlichen Zusammenhang stehen. Ein Hund kann das Gassigehen „vorhersagen“, wenn Herrchen zu einer bestimmten Tageszeit den Mantel überzieht und zur Tür geht.

„Auch wenn ein Säugling seine mentalen Zustände noch nicht bewusst reflektiert, so ist doch sicher, dass er mentale Zustände hat und von Geburt an in soziale Interaktionen eingebunden ist.“ (ebd.)

Dieses „und“ ist bezeichnend. Natürlich ist er in soziale Interaktionen eingebunden, aber das genügt auch, man braucht nicht außerdem noch mentale Zustände anzunehmen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.10.2022 um 01.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49764

Planimeter-Exoskelett
https://twitter.com/Rainmaker1973/status/1580987009052528640
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2022 um 07.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49721

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45988
Gerhard Frey formuliert sehr klar den Grundirrtum, der sich in Tausenden von Schriften findet. In Wirklichkeit schließe ich nicht von mir auf andere, wenn ich ihnen ein Bewußtsein unterstelle (ohne je absolut sicher sein zu können, daß sie eins haben). Vielmehr lernt das Kind von anderen, daß wir alle eine „Innenwelt“ haben (von der in transgressiver Sprache gesprochen wird, aber das ist ein anderes Thema). Der Erwachsene sagt z. B.: „Denk dir ein Wort, aber sag es nicht, sondern behalt es für dich!“ usw., und das Kind braucht nicht zu „schließen“, daß auch der Erwachsene über die Fähigkeit verfügt, etwas für sich zu behalten. Sie spielen dieses Spiel gemeinsam und reziprok. Die „Innenwelt“ ist von Anfang an gemeinschaftlich.
Dazu gehört der Irrtum Tomasellos, der beobachtet zu haben glaubt, daß Kinder mit 8 oder 9 Monaten „entdecken“, daß die anderen auch mentale Zustände usw. haben – eine „Revolution“, die es nicht gibt und von der Milliarden Eltern nichts bemerkt haben. Ich habe seit meiner Lektüre von Tomasellos Behauptung drei Enkelkinder beobachtet (sie sind jetzt 9 Monate, anderthalb und fünfeinhalb Jahre alt). Die ganze Entwicklung ist so erfreulich normal wie bruchlos, nichts da von Revolutionen!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2022 um 03.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49664

Marc Hauser: Wild Minds: What Animals Really Think. New York 2000
Hauser spricht auf jeder Seite von representation, definiert es aber nicht, und es ist auch kein Stichwort im Register. Anscheinend wird es für so selbstverständlich gehalten, daß jeder Englischkundige es ohne Probleme versteht. So fallen Erkennen, Wissen, Lernen, Vorstellen, Denken usw. allesamt unter dem vagen „Repräsentieren“ zusammen. Es ist der Grundbegriff des Kognitivismus. Wenn ein Tier zählen kann, hat es das „Konzept der Zahl“ in seinem Kopf repräsentiert usw. Der metaphorische und tautologische Charakter solcher Aussagen ist dem Verfasser nicht klar. Zugrunde liegt wohl die archaische Vorstellung vom Erkennen als Einverleiben der Dinge bzw. einer Kopie der Dinge.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2022 um 18.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49629

„Fortlaufend stellt unser Gehirn Vermutungen über die Welt da draußen an und gleicht Sinneseindrücke ab. Damit konstruiert es die Realität, die wir wahrnehmen, als eine Art kontrollierte Halluzination.“ (Anil K. Seth: „Unsere inneren Universen“. Spektrum der Wissenschaft 1.2.20)

Das ist natürlich kompletter Unsinn. Das Gehirn stellt keine Vermutungen an, sondern steuert das Verhalten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2022 um 20.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49562

Das hat die Computerlinguisten mächtig geärgert, nachdem sie jahrzehntelang versucht hatten, mit raffiniertem "Parsing" usw. Programme zu entwickeln, die zu verstehen scheinen, was sie übersetzen.
Allerdings ist Übersetzen kein Sprechen, aber auch da kommt die Simulation auf der Basis von Phraseologie und Übergangswahrscheinlichkeiten gut voran ohne jede grammatische Analyse.

Das eigentliche Problem ist wie bei allen intelligenten Maschinen, daß sie nicht unter den Kontingenzen des Überlebens lernen müssen, so daß alles am Ende Simulation bleibt. (Sie haben keinen Hunger, Durst, Geschlechtstrieb und keine Angst vor dem Tod – dazu müssen ihnen lauter Surrogate eingepflanzt werden.)
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.08.2022 um 14.23 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49560

Erfolgreiche maschinelle Übersetzung funktioniert nur mithilfe von Deep Learning. Also ohne grammatisches Regelwerk.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2022 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49559

Zur sogenannten Kreativität (der Komposition von bisher nicht Dagewesenem) hat Skinner auch einiges gesagt (5. Teil von VB), ungeachtet seiner schon zitierten Bemerkung:

„´Creativity´ was one of the shabbiest of explanatory fictions, and it tended to be used by the least creative of people.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2022 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49558

Auf "es soll morgen regnen" oder "es regnet nicht" reagiert ein Mensch nicht so wie auf "es", "soll", "morgen" und "regnen" usw. jeweils für sich. Skinner versucht zu erklären, wie es zu einer Gesamtreaktion auf das strukturierte Ganze kommt. Das ist entgegen dem Augenschein eine gewaltige Aufgabe, aber nicht unlösbar. Ich verweise auf das Originalwerk. Wer sonst hat so etwas unternommen? Nur zu sagen, der Hörer "verstehe" die Äußerung eben, ist keine Erklärung, nicht wahr?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2022 um 11.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49557

Offenbar ist es mir nicht gelungen, meine Ansicht verständlich zu machen. Ich sage natürlich nicht, daß die Gedichte keinen Inhalt haben, sondern daß die ganze Redeweise aus naturalistischer Sicht keinen Sinn hat. "Inhalt" gehört zu einer Begrifflichkeit, die in der Verhaltensanalyse nicht vorkommt. Wie es allerdings zu dieser Metapher gekommen ist und wie sie funktioniert, das möchte die Verhaltensanalyse schon erforschen und nach besten Kräften darstellen. "Verbal Behavior" ist der erste wirklich große Versuch in dieser Richtung.

Wie schon früher gesagt, gehört zum Repertoire der Mentalisten die Aufforderung an die Behavioristen, doch bitte schön den "Faust" nach dem Schema von Reiz und Reaktion zu erklären. Ich will mich damit hier nicht noch einmal aufhalten, sondern nur daran erinnern, daß die Schlaumeier den "Faust" ebenso wenig erklären können. (Abgesehen davon, daß unsere Version von Behaviorismus nichts mit dem S-R-Schema zu tun hat.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.08.2022 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49556

Natürlich lernt auch der Mensch durch Konditionierung (Lohn, Strafe, Enttäuschung, Erleichterung), aber wie erklärt sich, daß der Mensch über das so Gelernte hinaus auch kreativ ist?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.08.2022 um 11.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49555

Für den Hund mag das zutreffen, aber für den Menschen? Der Mensch ist in der Lage, Muster zu deuten, zu interpretieren, sie als sprachliche Zeichen zu nutzen. Sind Heines Frühlingslied und Goethes Faust nur inhaltslose Muster?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2022 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49552

Aus naturalistischer Sicht ist eine Regel ein Muster aus akustischen oder graphischen Reizen, das das Verhalten eines Organismus steuert. Der Mentalist würde sagen: nicht das akustische oder graphische Muster, sondern der Inhalt steuert das Verhalten. Das wäre eine Petitio principii, denn der Begriff „Inhalt“ ist aus naturalistischer Sicht gerade das Problematische, Supranaturalistische. Eine Erklärung ist damit nicht möglich, wohl aber auf der bekannten Linie von Reize und Konditionierung. Der Hund wird durch Reizmuster gesteuert, nicht durch deren mysteriösen „Inhalt“, anders gesagt: die zusätzliche Annahme eines „Inhalts“ fällt als überflüssig heraus. Wir sehen ja, wie der Hund abgerichtet wird, und ebenso sehen wir, wie das Kind Sprache erwirbt. Natürlich kommen spezifisch menschliche Faktoren hinzu, und deren Erforschung ist gerade unsere Aufgabe. Wir erkennen das erweiterte Vestellungsspiel (Lehren und Lernen durch Vormachen und Nachmachen), die Zeigfähigkeit usw. Daß all dies nicht genüge, um Sprachverhalten zu erklären, wäre zu beweisen. Skinner hielt es für ausreichend, Chomsky nicht. Das Ausweichen in die Metaphysik des „Inhalts“ oder eine angeborenen „Sprache des Geistes“ kann nicht als Erklärung gelten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2022 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49549

Wieso ungerechtfertigt? Ich versuche doch seit Jahren, es zu rechtfertigen, nach diesem Muster: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#38767 usw.

Zugespitzt: Auch das Befolgen von Regeln wird nicht von Regeln geleitet, sondern von Kontingenzen gesteuert. Seine Darstellung als Regelbefolgung ist eine gesellschaftliche Konvention (das Handlungsschema, wie ich es genannt habe).

Das volle Handlungsschema besteht aus

Verhalten des Ankündigens
Verhalten des Einspruchs/der Zustimmung
Verhalten des Ausführens/Unterlassens

Was immer der Mensch tut, versuchen wir, auch nachträglich, in dieses Schema einzupassen.

Natürlich finden die drei Stufen nicht immer oder auch nur oft wirklich statt. Manchmal werden sie nur kursorisch gestreift, meistens fiktiv untergeschoben.

(Ich kann hier nicht sehr ausführlich werden, es steht aber meiner Ansicht nach alles hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1587)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2022 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49548

Somit gehört der Planimeter-Trugschluß auch zu der Art von Unsinn, von der ich meine, es lohnt gar nicht, sich damit überhaupt zu befassen. Aber benutzen Sie ihn nicht, m. E. ungerechtfertigt, um zu begründen, so unsinnig wie dieser sei auch die Theorie von einer von grammatischen Regeln gelenkten Sprache?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2022 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49545

Der Trugschluß (eigentlich kein Schluß, aber man sagt halt so) besteht darin, einem Gerät (Fliehkraftregler, Uhr, Thermostat, Galtonbrett...) Berechnungen zuzuschreiben. Das ist nicht der mereologische Trugschluß, der z. B. einer Unruh zuschreibt, was in Wirklichkeit die ganze Uhr tut, sondern ein Kategorienfehler: Es ist begrifflich verfehlt, einer Maschine psychologische oder gesellschaftliche Prädikate zuzuschreiben.

Das Verhalten, das wir nach gesellschaftlichen Maßstäben als "Entscheidungsverhalten", "bewußt", "absichtlich", "zurechenbar" usw. klassifizieren, ist seinerseits als konditionierte Reaktion zu analysieren, wenn man von der gesellschaftlichen (intentionalen, folkpsychologischen) auf die Verhaltensebene übergeht, dann auch auf die organismische, biochemische und was sonst noch. In dem langen Eintrag zur Naturalisierung der Intentionalität habe ich das auszuführen versucht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2022 um 13.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49543

Es gibt wohl immer ein paar Sonderlinge, die glauben, Bienen, Hunde u. a. Tiere, sogar Pflanzen, könnten zählen, das Licht berechne seinen Brechungswinkel, Planeten folgten aufgrund ihrer Gottesfürchtigkeit bereitwillig den befohlenen Bahnen (obwohl sie auch anders könnten). Aber muß man sich mit solchem Unsinn ernsthaft befassen?

Diese Dinge haben m. E. nicht die gleiche Qualität wie die Behauptung, daß Menschen beim Sprechen teilweise unbewußt (also reflexhaft) grammatischen Regeln folgten. Ohne auf letzteres konkret einzugehen, finde ich doch, daß der Mensch vermittels seines Gehirns in der Lage ist, u. a. auch ganz bewußt Entscheidungen zu treffen, und daß man dies nicht einfach auf Trugschlüsse aus der unbelebten sowie der Pflanzen- und Tierwelt zurückführen bzw. mit deren Hilfe widerlegen kann. Beim Menschen mit seiner Fähigkeit, logische Schlüsse zu ziehen, sind diese Beispiele m. E. nicht ausreichend.

Ich habe noch einmal unter Needlearbeit bzw. dem Planimeter-Eintrag nachgelesen. Trugschlüsse scheinen mir am besten hier erklärt:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1432#18428

Trotzdem muß ich ehrlicherweise gestehen, daß mir der "Planimeter-Trugschluß" noch nicht klar ist. Ich weiß, was ein Planimeter ist, wie und warum es funktioniert. Ein Gerät, das mich auch fasziniert. Aber welche Falschaussage man genau daraus ableiten könnte, wurde auf diesen Seiten noch nie explizit formuliert. Es soll mit Teil und Ganzem (Mereologie) zu tun haben. Welchem Teil des Planimeters wird irrtümlich welche Fähigkeit zugeschrieben?

Für mich ist das Planimeter im wesentlichen ein Meßgerät, ähnlich einem Zollstock. Gibt es auch einen Zollstock-Trugschluß? Und wenn ja, so sehe ich jedenfalls nicht, was dieser mit dem fraglichen Trugschluß im Falle der Grammatikregeln zu tun hätte. Das eine betrifft die unbewußte Natur, die nur den festen Gegebenheiten "folgen" kann. Das andere betrifft das Verhalten des Menschen auf der Grundlage eigener, freier, unabhängiger Entscheidungen. Man kann das m. E. nicht miteinander vermengen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2022 um 14.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49536

Dann lassen Sie die Planeten weg, die ja nur exempli causa eingeführt sind, und halten sich an die Organismen, den Hund Rico, der angebliche Regeln befolgt, und natürlich vor allem an die Sprecher mit ihren unbewußten Grammatikregeln.

Man könnte auch sagen: Es geht nicht um eine Sachfrage, sondern um Begriffsklärung. Auch das metaphorische "Naturgesetz" sollte man aufgeben. (Ich fasse mich kurz, weil wir die Diskussion schon mehrmals hatten: Planimeter und Bienen, Needlearbeit...)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.08.2022 um 12.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49535

"Nicht die Planeten folgen den Keplerschen Gesetzen, sondern der Astronom."

Ist das nicht Sache der Auslegung?
Es ist doch klar, daß die Planeten nicht aktiv, selbstbestimmend, beinahe bewußt und freiwillig irgendwelchen "Vor-Schriften" folgen. Glaubt das jemand?
Astronomen folgen den Gesetzen in dem Sinne, daß sie sie kennen und für Vorausberechnungen nutzen, aber Astronomen legen damit auch nicht fest, wie und wohin sich die Planeten zu bewegen haben.

Die Planeten bewegen sich so, wie es die Naturgesetze beschreiben. In diesem Sinne folgen sie ihnen, und das tun sie, auch wenn es gar keine Astronomen gibt, die den Keplerschen Gesetzen folgen könnten.

Für die anderen Beispiele sehe ich das ganz analog.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2022 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49534

Eines meiner Lieblingszitate glaubte ich hier schon angebracht zu haben, es steht aber nur in meinem Skinner-Aufsatz. Also:

„Nicht alles, was gemessen und berechnet werden kann, beruht auf Messung und Berechnung. Wenn ein Lichtstrahl von einer Wasseroberfläche gebrochen wird, nehmen wir ja auch nicht an, daß das Wasser den Brechungswinkel vorher berechnet hat.“ (Hans Gradmann: „Die Orientierung im Raume“. Studium Generale 24/1971:906-923, S. 917)

Dazu paßt:

„Scientific laws also specify or imply responses and their consequences. They are not, of course, obeyed by nature but by those who deal effectively with nature. The formula s = ½ gt2 does not govern the behavior of falling bodies, it governs those who correctly predict the position of falling bodies at given times.“ (Skinner in Catania/Harnad 1988:223)

Damit ist der Ort von Regeln und Naturgesetzen bestimmt: Nicht die Planeten folgen den Keplerschen Gesetzen, sondern der Astronom. Nicht der Sprecher befolgt die grammatischen Regeln, sondern der Sprachwissenschaftler.

Der kognitivistische Irrtum besteht darin, diese Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Sprechen wird zur Anwendung "sprachlichen Wissens", und tatsächlich gibt es Bücher mit dem Titel "Grammatisches Wissen" oder "Sprachliches Wissen" – gemäß der Chomsky-Botschaft, daß die Linguistik ein Zweig der kognitiven Psychologie und der Linguist auch ohne Studium ein Psychologe sei. Manche nennen sich neuerdings sogar Neurolinguisten, obwohl sie nur herkömmliche Grammatik treiben, allenfalls durch Computermodelle aufgepeppt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2022 um 06.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49525

Kleine Beobachtung zur Ethnopsychologie: Am wirren Eintrag „Wissen“ bei Wikipedia merkt man, daß es keine direkte englische Vorlage gibt, weil "Knowledge" einen anderen Gebrauchsumfang hat. Unter „Wissen“ findet man Porträts von Chomsky (!) neben Descartes und Kant, unter „Knowledge“ wird Chomsky nicht einmal erwähnt; abgebildet ist nur Francis Bacon.

Chomsky hat in der Tat zum Thema nichts beigetragen. Die Wiederbelebung der scholastischen rationalen Psychologie kann man kaum als Beitrag bezeichnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2022 um 04.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49403

„Nach Willem Levelt (1989) werden vier verschiedene Phasen des Sprachproduktionsprozesses unterschieden: Konzeptualisierung, Formulierung, Artikulation und Selbst-Überwachung (englisch self-monitoring). Zu Beginn überlegt sich der Sprecher, welche Nachricht übermittelt werden soll; daraus wird in einem nächsten Schritt ein grammatischer Plan erstellt (Zugriff auf das Mentale Lexikon: Wörter und Phrasen werden ausgewählt und angeordnet, die phonologische Form der Wörter wird aktiviert), der im dritten Schritt von den Muskeln des Artikulationsapparates ausgeführt wird. Außerdem wird das Gesagte überwacht, um sicherzustellen, dass auch das gesagt wurde, was beabsichtigt war.“ (Wikipedia Sprachproduktion)

Wie man sieht, sind Handlungs- und Systemmodell vermischt. Einerseits überlegt der Sprecher, andererseits geschieht etwas in seiner Muskulatur, wovon er nichts wissen kann. Plan und mentales Lexikon sind rein spekulativ. Man könnte von einem Behördenmodell sprechen, das ganz ähnlich auch Theo Herrmann und seine Mannheimer Schule vertreten. Wegen der großen Nahe zur Alltagspsychologie hat diese Rekonstruktion viele Anhänger gefunden. Sie ist wertlos und schadet der wirklichen Forschung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2022 um 03.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49306

(Ich habe einen früheren Eintrag geändert. Weil mir die Sache wichtig ist, rücke ich den Absatz hier noch einmal ein:)

„When a person suspects or supposes, realizes, regrets, infers or imagines, doubts or discovers that something is true, he is taking an attitude or changing his attitude toward a proposition.“ (Robert Stalnaker)

Das ist doch gar nicht wahr. Kepler hat etwas über die Planeten herausgefunden, nicht über Propositionen über die Planeten bzw. den Wahrheitswert dieser Propositionen. Ich kann den Wahrheitswert von Propositionen über Planeten kennen, ohne etwas über die Planeten zu wissen. In bestimmten Situationen kann ich die Keplerschen Gesetze irgendwo einsetzen, ohne die leiseste Ahnung von ihrem Inhalt zu haben; es genügt, daß ich ihren Wahrheitswert kenne.
 
 

Kommentar von , verfaßt am 08.05.2022 um 04.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#49071


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2022 um 17.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48643

„Den ganzen Tag über sind wir mit kognitiven Leistungen beschäftigt. Wie selbstverständlich sehen und erkennen wir Personen in unserer Umgebung, und wir hören und verstehen, was sie sagen. Wenn wir etwas essen, greifen wir zur Gabel und führen sie an den Mund. Wir sprechen mit unserem Tischnachbarn, denken über seine Argumente nach und erinnern uns daran, ähnliche Argumente schon einmal gehört zu haben. Kurz darauf überlegen wir, was wir am Nachmittag tun wollen, und wir entschließen uns, einen Aufsatz zu planen und zu konzipieren, den wir in den nächsten Tagen schreiben wollen.“ (Wolfgang Prinz/Gerhard Roth/Sabine Maasen: „Kognitive Leistungen und Gehirnfunktionen“. In: Gerhard Roth/Wolfgang Prinz (Hg.): Kopf-Arbeit. Gehirnfunktionen und kognitive Leistungen. Heidelberg, Berlin, Oxford 1996:3-34, S. 4)

Die kursiven Verben sollen kognitive Leistungen bezeichnen. Die Liste ist bemerkenswert heterogen. „Zur Gabel greifen“ und sie „an den Mund führen“, „sprechen“ und „schreiben“ sind konkretes Verhalten und keine kognitiven Leistungen, was immer man darunter verstehen mag. Ob „sich entschließen“ überhaupt ein Vorgang ist, sei es auch ein innerlicher, nicht wahrnehmbarer, scheint zweifelhaft. Es handelt sich eher um die Interpretation eines Verhaltens, an dem wir erkennen, daß jemand sich entschlossen hat. (Ähnliches gilt von Verben wie "berücksichtigen" und vielen anderen, die nur scheinbar Handlungsverben sind.) Der Rest sind folkpsychologische Konstrukte. – Der Untertitel des Buchs zeigt schon, daß es der folk psychology verpflichtet ist. Sonst würde es die Steuerung des Verhaltens durch das Gehirn behandeln.

Psychologie zum Abgewöhnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2022 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48606

Kognitionsforscher beschäftigen sich mit der Frage: Wie kommt die Welt in den Kopf? Was die Welt (samt Kopf, in dem die Welt ist usw.) im Kopf soll, fragen sie nicht. Zu dieser Verdoppelung der Welt kommt durch Einbeziehung der Sprache eine Verdreifachung: Die Dinge werden im Geist repräsentiert und diese Repräsentationen dann auch noch in der Sprache. Das alles ist verbreitete folk psychology und literarisch bei Aristoteles (de int. 16) vorgeprägt, dort allerdings auf die theoretisch anspruchsloseste Art mit dem nicht näher ausgeführten Symbol-Begriff.

Man kann die beiden Stufen auch als Einverleibung („Verinnerlichung“) und Hinaussetzung („Äußerung“) verstehen. Die Dinge der Welt gehen als Bilder oder Begriffe in den Kopf hinein und kommen als Wörter wieder heraus. Das sieht primitiv aus, aber wenn man sich die gewaltigen Theoriegebäude ansieht und die terminologische Rüstung abstreift, wird man das Muster überall wiedererkennen; die Plausibilität beruht auf dem volkstümlichen Kern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2022 um 13.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48539

One of the founding documents of cognitive science, Plans and the Structure of Behavior (1960) was written by George Miller, Eugene Galanter, and Karl Pribram. Its introduction of the idea of a TOTE unit (Test-Operate-Test-Exit) was an early formalization of the idea of feedback loops, and it played an important role in the transition from behaviorism to cognitive modeling. For all its early influence, it is seldom read these days, and a joke once commonly heard was that Miller wrote it, Galanter formalized it, and Pribram believed it. (Dennett Bacteria 375)

Das Buch selbst war in meinen Augen sehr problematisch und hat Skinners Spott über den selbsterklärten "kognitiven Behaviorismus" hervorgerufen, aber diese Geschichte ist doch zu nett, um nicht erwähnt zu werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2022 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48421

Automatisierung ist die Zukunft. Zuerst werden die Menschen aus der Produktion eliminiert, dann aus den Dienstleistungsberufen – schon weil man gar keine mehr findet. Wer mal versucht hat, eine 24-Stunden-Pflege für einen Angehörigen zu organisieren, kann davon ein Lied singen.
Es gibt in der Prothetik im weiteren Sinne schon sehr nützliche Maschinen, von Lesegeräten bis zu Treppenliften.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 29.01.2022 um 11.10 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48419

Umarmung eines Roboters, das ist ja ein großartiges Forschungsprojekt. Da müßte man sich folgendes fragen: Darf der Mensch wissen, daß es sich um einen Roboter handelt, oder muß man es ihm vorenthalten? Vielleicht ist das auch nur eine Frage der Gewöhnung. Kuscheltiere werden gelegentlich auch umarmt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2022 um 11.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48418

Im „Editorial“ von Max Planck Forschung 2021/4 heißt es:

In der Wissenschaft galten Gefühle bis vor nicht allzu langer Zeit als schwer greifbar – zu subjektiv und nicht exakt quantifizierbar. Dabei lassen sie sich anhand der körperlichen Reaktionen, die sie hervorrufen, durchaus messen. (...) Mithilfe virtueller Realität und verschiedener Sensoren können Forschende das Gefühl beim Anblick einer Spinne erfassen und verbesserte Behandlungsmethoden entwickeln. (...) Damit uns Roboter eines Tages bei der Betreuung Pflegebedürftiger unterstützen können, müssen sie erfühlen, wie sie einen Menschen berühren. Anders als die Sprach- und Bilderkennung steckt der Tastsinn künstlicher Systeme aber noch in den Kinderschuhen. Damit die Umarmung eines Roboters ein gutes Gefühl auslöst, entwickeln Forschende deshalb neuartige Berührungssensoren. Unser Fühlen bestimmt unser Handeln also maßgeblich mit. Es ist ein Machtinstrument, es hilft oder schadet uns, und es vermittelt uns Nähe.

Am Anfang ist nicht klar, ob die Gefühle körperliche Reaktionen hervorrufen oder umgekehrt, aber aus dem weiteren Text geht hervor, daß wohl ersteres gemeint ist. Später heißt es allerdings, daß die Berührung durch einen Pflegeroboter wiederum Gefühle auslöst. Ertastet und gemessen werden in jedem Fall die körperlichen Reaktionen, nicht die Gefühle. Es bleibt aber eine Ungewißheit: Sind die Gefühle nichts Körperliches – und wie können sie dann mit dem Körper interagieren, bewirkend und bewirkt?
Diese Fragen sind so unbeantwortet wie seit Descartes, müssen aber auch nicht beantwortet werden, wenn man Pflegeroboter entwickeln will. Eine konsistente sprachliche Erfassung der Tatsachen müßte ganz anders angelegt werden. Die bloße Verlängerung der Alltagspsychologie in die Wissenschaft hinein ist nicht ratsam, und vollends unmöglich wird sie, wenn es um die Konstruktion von Apparaten geht. "Gefühle" sind ein alltagssprachliches Konstrukt; in einer Maschine und ihrem Programm kommen sie nicht mehr vor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2022 um 03.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48212

„Language is the paradigm case of propositional representation." (George A. Miller in: Rosch/Lloyd, Hg.: Cognition and Categorization. Hillsdale 1978:295)

Das ist der Grundirrtum der scholastisch-kognitivistischen Schule: als wenn das "Denken" mit seinen aus Begriffen gebildeten Propositionen nicht erst nach dem Muster der aus Wörtern gebildeten Sätzen konstruiert wäre.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2021 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#48012

Der ungreifbarste aller Begriffe ist der Begriff „Begriff“. Ich habe es längst aufgegeben, die verschiedenen Definitionen und Lexikoneinträge zu verstehen. Ich selbst verwende ihn, wie schon erklärt, ganz anspruchslos im Sinne von „Wort samt Synonymen und Übersetzungsäquivalenten“. Es ist aber kein theoretischer Begriff und nichts, was ich im Hirn von Lebewesen vermute. Exzessive Verwirrung herrscht z. B. in Joachim Hoffmanns Buch „Die Welt der Begriffe“.
Man kann noch so oft beteuern, Begriffe seien nichtsprachlich: wenn sie semantische Merkmale, semantische Relationen usw. haben, sind sie sprachlich. Das gilt auch, wenn man die Begriffe durch den Ausdruck "Repräsentationen" weiter camoufliert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2021 um 06.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47732

Funktionelle Untersuchungen mit modernen bildgebenden Verfahren konnten eine Aktivierung des Kleinhirns bei kognitiven Aufgaben zeigen. (Wikipedia Kleinhirn)

Was sind das für Aufgaben, als Verhalten gesehen? Wenn man „Kognition“ reinsteckt, kommt „Kognition“ heraus. Das ist (sprachgeleitete) Philosophie, nicht Physiologie. Für die Naturwissenschaft gibt es keine „Kognition“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2021 um 06.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47731

Das Weber-Fechner-Gesetz ist die Formulierung einer psychophysischen Beziehung in der Sinnesphysiologie und besagt, dass ein linearer Zuwachs der (psychisch) subjektiv empfundenen Stärke von Sinneseindrücken dem Logarithmus des Zuwachses der (physikalisch) objektiv messbaren Intensität des Reizes entspricht.

Die „subjektiven“ Werte stammen nicht aus einer „Introspektion“, sondern sind sprachliche oder nichtsprachliche Reaktionen. Sie finden sich bei vielen Tierarten von Insekten über Fische, Vögel bis zu Primaten quer durch die Sinnesmodalitäten. Das Subjektive, Psychische, den scheinbaren Bericht des Introspizierenden, braucht man nicht. Der Bericht ist die Reaktion, kein Beobachtungsprotokoll. In der nichtmenschlichen Natur hat man den logarithmischen Zusammenhang ja auch ohne Introspektion festgestellt:

Weber’s Law has been established for humans as well as for a wide range of animals ranging from ants, to fish, to corvids, and to primates and occurs in different sensory modalities. Because Weber’s Law controls the ability of animals to ‘count’ the number of neighbours in different directions, it is likely to play a role also in collective aggregation phenomena. (Andrea Perna/Giulio Facchini/Jean-Louis Deneubourg: „Weber’s Law-based perception and the stability of animal groups“. Journal of the Royal Society Interface. May 2019. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6544880/)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2021 um 09.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47544

Biologen diskutieren seit Jahrzehnten über den Schwänzeltanz der Bienen: die Bedeutung der einzelnen Bewegungen, ihre Relevanz für die Nektarsuche... In der fachfremden Literatur, besonders der linguistischen, ist von den Kontroversen nichts angekommen; Karl von Frischs Darstellung wird immer wieder abgeschrieben. Das ist dann die „Sprache der Bienen“, fertig!
So ist es auf vielen Gebieten. Lange galt Chomskys Linguistik, oft in der von ihm selbst mehrfach überholten ersten Fassung, als die Sprachwissenschaft schlechthin, so unter Psychologen und Pädagogen. Die suchten noch nach „Transformationen“ im Kopf, als der Meister schon längst nichts mehr davon wissen wollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2021 um 12.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47399

Friedhart Klix meinte, es komme heute mehr auf den theoretischen Rahmen an und weniger auf die Fakten, von denen genug bekannt sei. (Die Natur des Verstandes. Göttingen 1992:173) Andererseits mußte er an vielen Stellen zugeben, daß nicht bekannt sei, wie gewisse "Berechnungen" physiologisch verwirklicht seien. Der theoretische Rahmen sieht so aus, daß z.B. Konturverschärfung durch Differentialrechnungen (Laplace-Operator usw. (191)) simuliert werden kann – lauter Erklärungen vom "Planimeter"-Typ. Die Frage, wie ein Organismus gewisse Berechnungen physiologisch verwirklicht, ist falsch gestellt und geradezu sinnlos.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 09.10.2021 um 13.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47288

Ich wäre mir nicht sicher, ob man das heute noch an solchen Äußerlichkeiten festmachen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2021 um 05.07 Uhr  
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Übrigens: Der von mir ab und zu zitierte Kim Sterelny mit seinem Rauschebart war sicher nicht „Herausgeberin“ von „Biology & Philosophy“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Biology_%26_Philosophy). Ausnahmsweise keine feministische Verirrung, sondern eine Wissenslücke.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2021 um 06.12 Uhr  
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Das Kind hört Sattel, Dattel. Es bildet selbst den Plural: Sättel, Datteln, nicht umgekehrt. Den Schlüssel nimmt es aus dem Kontext: Artikel, andere Kasusformen.

Die konditionierte Reaktion ist zusätzlich konditionalisiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47024

Die Vierjährige legt im Sand eine Fallgrube an, bedeckt sie mit einem Strandtuch, fällt auch selbst mit dem Po hinein und will, daß jeder mal hineinfällt. Muß man ihr eine „Theory of mind“ zuschreiben, wie es die Kognitivisten unter den Verstellungspsychologen (Lillard, Leslie, Meltzoff u. a.) tun? Es wäre nicht zu widerlegen, ebenso wie die Zuschreibung einer ToM an Ameisenlöwen (s. „Fallgrube“ bei Wikipedia). Andererseits ist es überflüssig und daher für die Wissenschaft schädlich, in diesem Fall noch ganz besonders, weil es auf eine Homunkulus-Metaphysik hinausliefe. Naturalistische Verhaltenserklärungen werden dadurch unmöglich.
Man vermutet, daß Fallgruben (für Elche, 6000 Jahre alte Funde, a.a.O.) die ältesten Fallen überhaupt sind. Unsere Vorfahren können leicht die Erfahrung gemacht haben, daß große Tiere aus Gruben nicht mehr herauskommen, und sie haben dann etwas nachgeholfen und so die Grubenfalle erfunden. Dazu brauchten sie keine Theorie über das Seelenleben der Elche oder Bären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2021 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#47018

Mit "kognitiv" deckt man die klassischen Probleme zu, statt sie zu lösen bzw. sprachkritisch aufzulösen. Was ich hier "kopulativen Dualismus" genannt habe (Verhalten und Erleben), steckt natürlich auch in der beliebten Verbindung Geist und Gehirn, z. B. so: Wolfgang Prinz/Andrew N. Meltzoff: „An introduction to the imitative mind and brain“ (In: Andrew N. Meltzoff/Wolfgang Prinz, Hg.: The Imitative Mind: Development, Evolution and Brain Bases. Cambridge 2012). So auch im Text selbst; mind ist kein Stichwort und wird nicht definiert. Warum auch? Es ist sowieso alles von folk psychology durchzogen, wie vor 150 Jahren. "Mind is back!" Aber warum lassen sich heutige Leser damit abspeisen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2021 um 15.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46966

Die Gelehrten streiten noch, ob "mentales Training" möglich ist und was dabei eigentlich passiert. Besonders Sportwissenschaftler und Musikpädagogen. Die Musiker und die Sportler selbst zweifeln nicht daran, sondern gehen "in Gedanken" oder "in der Vorstellung" einen Ablauf immer wieder durch und verbessern dadurch ihre Leistung.
Hirnscans zeigen in gewisser Weise und bestimmtem Ausmaß ähnliche Erregungen wie bei der wirklichen Ausführung, was ja auch kein Wunder ist (psychomotorisches Prinzip, Carpenter-Effekt).

Beim stummen "Rehearsal" von Gedichten, Reden oder fremdsprachigen Textstücken bzw. Paradigmen ist uns das sehr vertraut. Allerdings fehlt die Kontrolle, wir können auch was Falsches einüben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2021 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46809

Ich habe das repräsentative Handbuch erwähnt:

Usha Goswami, Hg.: The Wiley-Blackwell handbook of childhood cognitive development. Oxford 2011

Darin kommt die deutsche Forschung nicht vor, etwa Karl Bühler, dessen „geistige Entwicklung des Kindes“ ja das gleiche Thema behandelt. Die führende Autorin über „pretend play“, Angeline Lillard, kennt Hildegard Hetzer nicht, auch nicht im historischen Abriß (286f.). Hetzers Tätigkeit in Polen unter der deutschen Besetzung kann nicht der Grund sein (von Theo Herrmann genauer dokumentiert).

(Vgl. Hildegard Hetzer: Die symbolische Darstellung in der frühen Kindheit. Erster Beitrag zur psychologischen Bestimmung der Schulreife. Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien und Leipzig 1926)

Zu dieser provinziellen Verengung kommt die kognitivistische Schlagseite, die vieles für mich unlesbar macht. Lillard und andere sind hauptsächlich an der "Theory of mind" interessiert, die der Säugling angeblich ausbildet usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2021 um 03.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46793

Jeder von uns hat zehn Milliarden Überzeugungen

Nehmen wir aktuelle Meinungsumfragen:
Glauben Sie, daß Söder vom Wettbewerb mit Laschet profitiert hat?

Die meisten Befragten werden darüber noch nicht nachgedacht haben, aber sie werden eine Meinung dazu äußern. Die haben sie sich erst im Augenblick der Befragung gebildet, und sie wäre vielleicht anders ausgefallen, wenn sie sich vorher in einem anderen inneren Zustand oder in einer anderen Situation befunden hätten. War dieser Zustand – innen und außen – nun das, was man ihren „Glauben“ nennen würde? Wohl kaum.

Es gibt Milliarden von Aussagesätzen, zu denen wir eine Meinung haben können, wenn man uns danach fragt. Allein über die Gegenstände unserer Umgebung können wir zahllose beschreibende Aussagen bilden, die wir alle für wahr halten. Der Monitor steht neben dem PC, er ist viereckig usw. – die Banalität tut nichts zur Sache, auch selbstverständliche Wahrheiten sind Wahrheiten, und sie sind nicht einmal nutzlos, denn unser ganzes Verhalten beruht darauf.
Hier ist ein verbreiteter Irrtum zu erwähnen: Die Voraussetzungen, die mein Verhalten hat, werden oft als solche gedeutet, die ich mache. Das führt zu unendlich vielen „beliefs“ und hat in realistischer Deutung keinen Sinn.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.08.2021 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46731

Bei einer Replikation von Piagets Versuchen zur Herausbildung der Objektkonstanz bei Säuglingen wird gefragt, ob die Kinder verborgene Gegenstände „repräsentieren“. (Renée Baillargeon: „How do infants reason about physical events?“ In Usha Goswami, hg.: Handbook of childhood cognitive development)

Die Methode: Man mißt, wie lange der Blick des Kindes auf einem Gegenstand oder einer Filmsequenz verweilt; das wird als Indiz erfüllter oder enttäuschter Erwartung interpretiert.
Der Faden zum Verständnis physikalischer Ereignisse ist offenbar nur dünn, und man hat die Interpretation entsprechend kritisiert.
Was mich stört, ist der bedenkenlose Gebrauch von „Repräsentation“; der Begriff hat fast jede spezifische Bedeutung verloren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.08.2021 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46695

Einerseits hat Chomsky die Linguistik zur Psychologie umgedeutet, was natürlich mangels empirischer Grundlage nur auf eine Wiederbelebung der rationalistischen Psychologie des vorwissenschaftlichen Zeitalters hinauslaufen konnte. (Er selbst spricht ja gern von "cartesisch", in wenn auch irrtümlicher Anknüpfung an jene Tradition.)

Der ältere Psychologismus der Sprachwissenschaft war zwar allgegenwärtig, aber nur als Alltagspsychologie ohne theoretischen Anspruch und praktisch folgenlos. Wo wäre denn beim Junggrammatiker Hermann Paul das Psychologisieren wirklich relevant, außer im sehr zeitgebundenen ersten Kapitel der "Prinzipien der Sprachgeschichte"?

Andererseits hat die Psychologie immer ein linguistisches Fundament gehabt und dies nur vorübergehend im Behaviorismus überwunden. Die "kognitive" Psychologie ist eine Homunkulus-Psychologie und schon deshalb auf Sprachlichkeit gegründet. Der Neurowahn unterstellt zusätzlich sogar dem Gehirn eine Sprache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2021 um 05.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46665

Wenn Forscher fragen, why and how the sapient minds learned to learn more extensively than in any other species, braucht man nicht weiterzulesen. Die Menschen, um die es geht, werden von Anfang an durch den metaphysischen Begriff „sapient minds“ ersetzt, und damit ist der Anschluß an die empirische Forschung schon verspielt. Es geht denn auch so weiter: Demonstrating builds on advanced mindreading of both the teacher and the learner. „Mindreading“! Ist das der Stand der Psychologie? Kann wegfallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.07.2021 um 05.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46612

Ein Kapitel Metaphysik:

Über „psychosomatische“ Beschwerden wird oft so berichtet:

Wenn die Psyche den Körper krank macht – Oft stecken hinter Kopf- und Rückenschmerzen, Magenproblemen, Schwindel oder anderen körperlichen Beschwerden keine organischen, sondern seelische Ursachen.

Dieser Dualismus ist keineswegs immer ontologisch gemeint, als sei der Körper wirklich von einer Seele bewohnt und gesteuert. Verschieden sind die Behandlungsmethoden und die zuständigen Ärzte. Der Dualismus steckt im Gesundheitswesen, nicht im Patienten.

Psychosomatik bezeichnet in der Medizin eine ganzheitliche Betrachtungsweise und Krankheitslehre. Darin werden die psychischen Fähigkeiten und Reaktionsweisen von Menschen im Bezug auf Gesundheit und Krankheit in ihrer Eigenart und Verflechtung mit körperlichen Vorgängen und sozialen Lebensbedingungen betrachtet. Der Begriff Psychosomatik stellt eine Zusammensetzung aus den altgriechischen Wörtern ψυχή psyché (Atem, Hauch und Seele) und σῶμα soma (Körper und Leib) dar.
Als Krankheitslehre berücksichtigt Psychosomatik psychische Einflüsse auf somatische (körperliche) Vorgänge.
(Wikipedia Psychosomatik)

Das gelehrte Wort Psychosomatik koppelt in ähnlich unschuldiger Weise wie das und in Erleben und Verhalten zwei unvereinbare Bereiche („kopulativer Dualismus“, von mir erfunden).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.07.2021 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46398

„Den kategorialen Unterschied zwischen ‚Akten‘, d.h. intentionalen Erlebnissen (wie Erblicken, Urteilen und Erkennen) und intentionalen Zuständen (wie Hassen, Glauben und Wissen) berücksichtigt Husserl in den LU noch nicht (vgl. Künne 1986, 174-175), und Bolzano tut es leider genauso wenig.“ (Wolfgang Künne: „Denken ist immer Etwas Denken.“ Bolzano und (der frühe) Husserl über Intentionalität. In: Edmund Husserl 1859–2009. Beiträge aus Anlass der 150. Wiederkehr des Geburtstages des Philosophen, hg. von Konrad Cramer und Christian Beyer. Berlin, Boston 2011:79)

"Die Antike und das Mittelalter, die keinen eigenen Namen für das Gefühl hatten, bezeichneten sowohl Gemütszustände (Lust und Unlust) als auch Gemütsbewegungen (Liebe, Haß, Freude, Furcht usw.) griechisch mit pathos und lateinisch mit ´passio´ (...)" (Hist. Wb. d. Philosophie s.v. Gefühl, Sp.82)

Kann man einem scharfsinnigen Menschen wie Bolzano ernsthaft vorhalten, er habe nicht zwischen Akten und Erlebnissen unterschieden? Oder vielen früheren Autoren, ja ganzen Gesellschaften, sie hätten nicht zwischen Zuständen und Bewegungen unterschieden? Dabei soll es doch um unser Inneres gehen, mit dem wir so vertraut sein sollten wie mit nichts anderem. Die Auskunft, gerade die große Vertrautheit und Nähe des eigenen Geistes habe verhindert (hunderttausend Jahre und mehr!), daß die Menschen ihre Aufmerksamkeit darauf richteten, ist nicht plausibel.

Anders sieht die Sache aus, wenn man annimmt, die Menschen hätten erst spät und in kleinen Schritten angefangen, das vermeintliche „Innere“ oder den Geist zu konstruieren, wie sie es mit technischen Fertigkeiten und Geräten, mit Bräuchen und Regeln des Zusammenlebens ebenfalls getan haben. Da wäre der sehr allmähliche (und von Volk zu Volk verschiedene) Auf- und Ausbau nicht überraschend, sondern unbedingt zu erwarten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2021 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46318

„Bereits in dieser Phase verfügen Kinder über die Symbolfunktion und verstehen beispielsweise, dass eine Miniaturkonfiguration in einem Puppenhaus eine Konfiguration in der realen Welt repräsentieren kann.“ (Raphael Berthele: https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/download/611/1050?inline=1)

Unter den gelehrten Wörtern verschwindet der Untersuchungsgegenstand, das Verhalten des Kindes. Hält das Kind die Spielwelt für Wirklichkeit, oder tut es nur so? Das Verstellungsspiel ist ein definierbares und experimentell nachweisbares Verhalten. Ich habe schon Christopher Robin erwähnt, der den Teddybären wie einen Partner behandelt, aber jederzeit in den Wirklichkeitsmodus umschalten und ihn wie einen beliebigen Gegenstand die Treppe herunterschleifen kann. Mit „Symbolfunktion“ und „repräsentieren“ ist nichts gewonnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2021 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46239

"Es ist die Überzeugung gewachsen, daß logische Strukturen eine Erklärungsebene sui generis bilden, unabhängig davon, wie solche virtuellen Maschinen implementiert werden. Damit ist nicht gesagt, daß die Implementierung irrelevant ist, sondern nur, daß sie nicht die geeignete Erklärungsebene für mentale Prozesse ist (genausowenig wie die atomare Ebene das geeignete Erklärungsniveau für geologische Prozesse oder die neurologische Ebene für ökonomische Prozesse ist)." (Willem Levelt: "Die konnektionistische Mode". Sprache und Kognition1991:61-72, S. 64)

Die „logische“ Modellierung ist überhaupt nur möglich, weil es sich um Sprache handelt, die Levelts Homunkuluspsychologie zugrunde liegt. Das geschieht völlig naiv. Ich habe schon gezeigt, daß Levelt den Behaviorismus überhaupt nicht verstanden hat. Er schließt sich einfach an die folk psychology an und gehört zur „triumphalistischen“ Spielart des Mentalismus („mind is back!“).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2021 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46196

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#30557

Wie Russo zeigt, verkennt Snell den Unterschied zwischen Wirklichkeit und literarischer Fiktion. Homers Figuren, auch die Götter, machen ihre Überlegungen und Entscheidungen für ein episches Publikum öffentlich. (Mehr als die Hälfte der Ilias ist wörtliche Rede.)

Mit ähnlicher Naivität vergleicht Snell die griechischen Vasenbilder und heutige Kinderzeichnungen. Die Vasenmalerei steht am Ende einer langen kunstgeschichtlichen Entwicklung. Ein solcher Stil ist niemals mit ontogenetischen Entwicklungsstadien zu vergleichen.

Wir haben kein „Menschenbild“, und es ist nicht zu erwarten, daß andere Kulturgemeinschaften eins haben oder daß Homer eins hatte. Die verschiedenen Aussagen und Kommunikationsverfahren, die wir im Umgang für nützlich halten, ergeben kein widerspruchsfreies System. Sie bilden einen Flickenteppich, wie man es genannt hat, oder anders gesagt: eine Sammlung von Bearbeitungen und Lösungen lokaler Probleme der Verhaltenskoordination.
Es gibt daher auch keine indische Psychologie, homerische Psychologie usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2021 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46188

For instance, Titchener’s lab found 45,000 discriminately different sensations while Külpe’s lab found only 12,000. (Eddy Nahmias in Psyche 8, Oktober 2002)

Sehr komisch. Die einen wie die anderen sind heute vergessen. Aber sind die Kognitivsten weiter? „How the mind works“ (Buchtitel von Pinker). In welchem Jahrhundert leben wir?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.06.2021 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46158

Manche Dinge, von denen lange nur die Rede war, die man damals noch Zauberei nennen konnte, wie z. B. fliegende Teppiche, wurden irgendwann tatsächlich entdeckt oder erfunden. So bezweifelt heute niemand mehr, daß man mit Flugzeugen schnell weite Strecken zurücklegen kann.

Nur zu untersuchen, wie die Rede überhaupt auf das Bewußtsein kommen konnte, ist daher vielleicht nicht ausreichend. Etwas ein für allemal als Zauberspruch abzutun könnte auch an der Sache vorbeiführen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2021 um 12.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46155

Ich versuche, die Rede vom Bewußtsein usw. zu rekonstruieren: Wie ist es dazu gekommen, wozu dient es? Ich versuche also, diese Rede nicht mehr zu verstehen (außer im Alltag), mir unter "Eigenschaft der Selbst-Bewußtwerdung" usw. nichts mehr vorstellen zu können. Oder mit Goethe: "die Zaubersprüche ganz und gar verlernen". Darin habe ich es schon so weit gebracht, daß ich Ihnen gar nicht mehr direkt antworten kann...
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.06.2021 um 11.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46154

Vom Geist ist es leichter zu sagen, es handele sich dabei um ein bloßes Konstrukt, denn Geist klingt schon immer so nach einem Etwas, als ob er da irgendwo im Körper zu fassen wäre.

Sobald man aber dafür Bewußtsein sagt, klingt dessen Existenz nicht mehr so abwegig, man ist eher geneigt, es nicht als ein real existierendes Objekt des menschlichen Körpers, sondern als eine seiner objektiv real existierenden Eigenschaften zu verstehen.

Was wissen Menschen denn heute vom Gehirn, daß wir sagen könnten, es besitze nicht diese Eigenschaft der Selbst-Bewußtwerdung bzw. des Selbst-Bewußtseins?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2021 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46153

„The mind is what the brain does.“ (Pinker: How the mind works, auch andere Autoren)

Das Konstrukt des Geistes ist von Menschen gebildet worden, die vom Gehirn nichts wußten (oder es nur als Leckerbissen kannten). Man tut so, als habe man nun erkannt, was der Geist in Wirklichkeit ist. Das ähnelt der „Wahrheit über Rotkäppchen“ oder über einen Romanhelden, von dem der Verfasser des Romans noch nicht wußte, was wir heute wissen. Der Geist ist genau das, was die Menschen damit meinen und sprachlich ausdrücken; es gibt außer dem Sprachgebrauch keinen Zugang.
Das ist grundsätzlich anders als die Aufdeckung, was der Sonnenaufgang in Wirklichkeit ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2021 um 08.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#46089

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41680

Die Folgen dieser Einschränkung kann man auch hier noch einmal sehen:

„Die Biologische Psychologie (Biopsychologie; früher: Physiologische Psychologie) ist dasjenige Teilgebiet der Psychologie, das zum Studium und zur Erklärung menschlichen Verhaltens und Erlebens einen biologischen (im allgemeinen neurobiologischen) Zugang wählt. (...) Dagegen gehören diejenigen Abläufe in biologischen Systemen, die sich uns am ehesten durch die Beobachtung tierischer Verhaltensweisen unter natürlichen Bedingungen erschließen, nicht zu den engeren Fragestellungen der Biologische Psychologie. Dies ist eher ein Gegenstand der Psychobiologie (hier insbesondere der Ethologie) und ist damit der Biologie zuzuordnen.“
https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/biologische-psychologie/2443

Also ein antinaturalistisches Programm. Das Verhalten von Menschen und Tieren wird zwei verschiedenen Wissenschaften zugewiesen. Das ist nicht plausibel. Die weitere Ausführung zeigt auch, daß die gleichen Methoden auf Mensch und Tier angewendet werden (vor allem Tierversuche und Hirnscans). Bei Menschen kommen Sprache und sprachliche Selbstauskünfte [Introspektion] hinzu, aber die sind ebenfalls mit Mitteln der Verhaltensforschung zu erklären. Die kulturelle Überformung ist kein Grund, den naturalistischen Standpunkt aufzugeben. Es geht stets um Verhaltensphysiologie.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2021 um 04.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45988

Bewußtsein ist zunächst und unmittelbar nur immanent gegeben. Ich weiß aus eigener Erfahrung nur und ausschließlich über mein eigenes Bewußtsein. Schon der Schluß auf das Bewußtsein eines Mitmenschen, daß ihm genauso wie mir eine Innerlichkeit zukommt, beruht bloß auf Analogie. Die sprachliche Komunikation läßt uns aber jene Analogie praktisch zur Gewißheit werden. (Gerhard Frey: „Sind bewußtseinsanaloge Maschinen möglich?“ In: Hans-Werner Klement, Hg.: Bewußtsein – ein Zentralproblem der Wissenschaften. Baden-Baden 1975:81, zuerst Studium Generale 1966)

Wie paßt das zur "Entdeckung des Bewußtseins durch Descartes" (Plessner) (oder durch Augustinus oder wen auch immer)? Das war keine Entdeckung, sondern eine neue Redeweise (wenn überhaupt).

Es trifft auch nicht zu, daß das Kind sein eigenes „Innenleben“ entdeckt und dann auch bei anderen darauf schließt. Vielmehr wird in unserer Sprachgemeinschaft die ganze Redeweise vom Inneren, Privaten (in dem radikalen transgressiven Sinn, den wir kennen) mit zunehmendem Alter und Teilhabe an der Bildungssprache allmählich ausgebaut, bis schließlich die naive traditionelle Psychologie und Philosophie darauf als auf einer letzten Gewißheit aufbauen kann, ohne zu merken, daß es sich um die Geschäftsordnung der Bildungssprache handelt und nicht um eine sachliche Einsicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2021 um 07.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45934

„Eine junge Chickadeemeise hackt mit ihrem Schnabel energisch gegen einen Sonnenblumensamen, aber ohne Erfolg. Zwischendurch sucht sie immer wieder den Himmel nach Feinden ab, dreht dann den Samen und versucht den Angriff aus einem anderen Winkel. Sie weiß, daß sich darin ein sehr begehrter Kern verbirgt: Eine Stunde zuvor durch den Anblick eines anderen, bereits fressenden Vogels zu einer Sonnenblume gelockt, entdeckte sie durch Herumprobieren einen bereits aufgesprungenen Samen mit freiliegendem Kern.“ (usw., James L. Gould/Carol Grant Gould: Bewußtsein bei Tieren. Heidelberg u. a. 1997:56)

Warum sollte man hier ein Wissen einschalten? Es bringt keinerlei Gewinn.

Ich weiß, daß die Türklinke mit einem Mechanismus verbunden ist, der die Tür öffnet. Ich weiß, daß hinter der Tür mein Arbeitszimmer ist und daß darin Regale stehen, in denen sich folgende Bücher befinden... (Hunderte!) und wo sie stehen. – Man sieht schon, daß das ins Uferlose führt. Kein „Speicher“ ist groß genug, um all das zu enthalten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2021 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45707

„When a person suspects or supposes, realizes, regrets, infers or imagines, doubts or discovers that something is true, he is taking an attitude or changing his attitude toward a proposition.“ (Robert Stalnaker)

Das ist doch gar nicht wahr. Kepler hat etwas über die Planeten herausgefunden, nicht über Propositionen über die Planeten bzw. den Wahrheitswert dieser Propositionen. Ich kann den Wahrheitswert von Propositionen über Planeten kennen, ohne etwas über die Planeten zu wissen. In bestimmten Situationen kann ich die Keplerschen Gesetze irgendwo einsetzen, ohne die leiseste Ahnung von ihrem Inhalt zu haben; es genügt, daß ich ihren Wahrheitswert kenne.

"Mach die Tür zu!" wird von den Kognitivisten übersetzt in: "Mach, daß die Proposition Die Tür ist zu wahr wird!"

Und wahr ist sie, wenn wieder andere Propositionen wahr sind usw. – die wirkliche Welt verflüchtigt sich zu Texten, und außerhalb der Texte gibt es nichts. Das ist sehr schön für uns Intellektuelle, Hermeneutiker, französische Meisterdenker...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2021 um 03.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45433

Der Gegenstand der Psychologie wird allerorten als "Verhalten und Erleben" definiert (vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41680). (Auch in umgekehrter Reihenfolge, auch mit "Handeln" statt "Verhalten".)

In der Gründerzeit der wissenschaftlichen Psychologie war sie die Wissenschaft vom Erleben, "die Analyse der inneren Erfahrung" (Wundt: Logik. 4. Aufl. 1919 (Bd. 1):7).

Dann kamen Zweifel an der Introspektion auf, und die behavioristische Psychologie war nur noch die Wissenschaft vom Verhalten ("Psychologie ohne Seele"); daher auch stark an Tieren interessiert. Sie bestimmt praktisch die experimentelle Forschung bis heute.

Die Formel "Verhalten und Erleben" ist Augenwischerei und schlechte Versöhnung. (Wie der Bindestrich in "jüdisch-christlich"...) Der Kognitivismus nutzt das aus für seinen halb neurologischen, halb animistischen Flickenteppich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2021 um 09.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45406

When I introspect a feeling of anger, for example, I become aware of that feeling, and come to know (or at least believe) that I am angry. (Peter Carruthers)

Man kann es einerseits kaum bestreiten, andererseits zweifelt man, ob es überhaupt Sinn hat.

Man nimmt eigentlich seine Gefühle nicht wahr (obwohl man das auch wieder nicht recht bestreiten kann), sondern hat sie einfach. Es ist nicht zweierlei. So nehme ich auch mein Unbehagen an falschen Ausdrücken nicht wahr, sondern habe es. Allerdings behalte ich das Ganze meistens für mich, daher der Eindruck der Innerlichkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2021 um 04.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45377

"Man kann nicht gleichzeitig sich gegenseitig ausschließende Dinge glauben, wohl aber wünschen." (Willem Levelt in Sprache & Kognition 10, 1991:70)

Aber das stimmt gar nicht. Viele Leute glauben Dinge, die sich ausschließen, z.B. Physik und Okkultismus. Man darf das Geglaubte nur nicht zu nahe zusammenrücken. Und dasselbe gilt für das Wünschen.

Glauben, Wünschen usw. sind nicht das, was die logizistische Theorie der Propositionen und propositionalen Einstellungen daraus gemacht hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2021 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#45357

Vielleicht habe ich es schon einmal erwähnt: Chomsky wurde vor einigen Jahren in der Liste der bedeutendsten Psychologen genannt (Platz 38 von 100). Dabei ist er gar kein Psychologe und hat nie psychologisch geforscht. Er hat bloß die Linguistik als Zweig der "kognitiven Psychologie" umdefiniert.

Hierzu paßt, daß kognitive Psychologen wie der verstorbene Theo Herrmann mit seinem "Mannheimer Modell" Sprachverhalten leichter erklären können als das viel einfachere des Werkzeuggebrauchs oder des Ballens einer Faust. Die kognitive Psychologie ist eben nur eine begriffliche oder logische Rekonstruktion in der Tradition der rationalistischen Psychologie. Wenn man Verhalten mit einem "praktischen Syllogismus" erklärt, ist man mit Sprache auf bekanntem Terrain, denn Syllogismen sind Dialog-Züge.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2020 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#44240

„Imitation, however, turns out to be a very cognitively sophisticated capacity. Social learning is common, but only humans routinely learn new abilities by imitation (Tomasello 1999a; Tomasello 1999b; Whiten 2000; Heyes 2001).“ (Kim Sterelny)

Warum fügt der Verfasser hier "cognitively" ein? Es wird heute ebenso gedankenlos gebraucht wie "Kompetenz" in der pädagogischen Literatur. Man signalisiert Mitschwimmen im Mainstream.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.08.2020 um 10.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#44159

Why are some representations more successful in a human population, more “catching” than others? (Dan Sperber: Explaining culture: A naturalistic approach. Cambridge, Mass. 1996:58)

Vor einigen Jahren hätte man das nicht so ausgedrückt und nicht verstanden, aber heute ist alles „Repräsentation“, die "Meme" natürlich auch. Man kann dies Gerede nicht verstehen, sondern höchstens untersuchen, wie es gemacht wird und vielleicht, wie die Leute dazu kommen, so zu reden und sich nichts dabei zu denken.

Leider ist die Sprachwissenschaft betroffen, weil die ganze Semantik in dieser gedankenlosen Weise auf "Repräsentationen" gegründet wird. Im Gehirn geht es dann weiter: lauter "Repräsentationen", die auch noch gespeichert werden...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2020 um 07.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#44031

„Nennen wir Psychologie die Lehre von den subjektiven Gegebenheiten, so kann ja ein jeder unmittelbar nur sich selbst erleben. Von allen Anderen sieht er nur, wie sie sich verhalten. Wenn er will, so versetzt er sich in sie hinein und stellt sich vor, wie ihm in der Haut des Anderen zumute wäre.“ (Otto Koehler: Tierpsychologische Versuche zur Frage des „unbenannten Denkens“. Vjschr. nat.-forsch. Ges. Zürich 98, 1953:242-251, S. 243)

Das ist das übliche naive Bild. Noch Tomasello teilt es. Die Privatheit wird in den Geist hineinkonstruiert und dann wieder herausgelesen, als sei es eine Erkenntnis. Dagegen http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#35259
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2020 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#43893

Wenn ich (laut oder im stillen) einen Satz formuliere und auf seine "Grammatikalität" hin beurteile, ist das doch keine "Introspektion", wie die Kognitivisten behaupten. Schon gar nicht beurteile ich den Satz nach seiner Übereinstimmung mit Regeln. Eher gleicht es dem Abschmecken einer Soße.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2020 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#43801

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41870

Richard Nisbett läßt kein Klischee über "westliches" und "östliches" Denken aus, auch in seinen Aufsätzen. Er verläßt sich bezeichnenderweise auch völlig unkritisch auf Robert Logans "The alphabet effect" (1986). Darüber brauchte man nichts zu sagen, wenn es nicht den folgenden Text gäbe, der die Sache mit der chinesischen Schrift auf sehr lehrreiche Weise zurechtrückt:

http://blyt.net/domingo2/zok/logan.html

Darauf nimmt auch der Wikipedia-Artikel Bezug:

https://en.wikipedia.org/wiki/Alphabet_effect (mit weiterer Kritik)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2020 um 04.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#43681

Campbells Formel "Blind variation and selective retention" beschreibt zwar die Evolution, aber wie der Titel seines berühmten Aufsatzes andeutet, geht es ihm als Psychologen eigentlich um die Entstehung des Neuen im Kopf von Erfindern, Wissenschaftlern und Künstlern.
In der Literatur beschränkt man sich jedoch nicht auf die Neuheit, sondern fügt das Kriterium hinzu, daß das Neue auch gut und nützlich sein soll, im Falle von Kunstwerken ästhetisch wertvoll (Picassos "Guernica" ist erörtert worden). Durch diese Wertung kommt ewas Schiefes hinein, sehr zum Schaden der Forschung. Nicht zufällig verweisen manche Autoren auf Patentanmeldungen. Bei diesen wirtschaftlich bedeutsamen Verfahren wird nicht nur die "Erfindungshöhe" beurteilt, sondern auch der Nutzen. Psychologisch macht es aber keinen Unterschied.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2019 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41870

Amazon empfiehlt mir:

Richard E. Nisbett: The Geography of Thought: How Asians and Westerners Think Differently. 2019 (2003)

Man sollte keine Bücher über "Asiaten" usw. lesen, weil sie nur die Klischees verstärken können. Einige kritische Bemerkungen enthält schon die amazon-Rezension von Leib Gershon Mitchell.

Solche Bücher erinnern an Thomas Manns Bemerkung über Oswald Spengler: „Es sind bisher acht an der Zahl: die ägyptische, indische, babylonische, chinesische, antike, arabische, die abendländische und die Kultur der Mayavölker Zentralamerikas. Obwohl aber gleich nach ihrer allgemeinen Struktur und ihrem allgemeinen Schicksal, sind die Kulturen streng in sich geschlossene Lebewesen, unverbrüchlich gebunden eine jede an die ihr eigenen Stilgesetze des Denkens, Schauens, Empfindens, Erlebens, und eine versteht nicht ein Wort von dem, was die andere sagt und meint. Nur Herr Spengler versteht sie samt und sonders.“

Kürzlich fiel mir ein "Lehrbuch" der Kulturvergleichenden Psychologie in die Hände. Diese Wissenschaft gibt es gar nicht, man breitet bloß Entwürfe aus, wie man sie entwickeln könnte. Die Existenz von Lehrstühlen, Promotionen usw. täuscht über die inhaltliche Leere hinweg.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2019 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41865

„There is the mental dictionary, which in a typical high-school graduate contains about sixty thousand words. There are the unconscious rules of syntax, which allow us to put words together into sentences. There are the rules of morphology, which allow us to combine bits of words, like prefixes and suffixes and stems, into words. There are the rules and processes of phonology, which massage sequences of words into a pronounceable sound pattern — what we informally call an accent.” (Steven Pinker)

Mit so naiven Ansichten kann man natürlich leicht Bestseller schreiben. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1432#18428
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2019 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41801

Die Menschen hatten nie einen Grund, z. B. ein einheitliches und widerspruchsfreies Konzept von „Zeit“ auszuarbeiten. Darum ist es nicht möglich, aus den sprachlichen Tatsachen diesen Teil der „Weltansicht“ einer Sprach- oder Kulturgemeinschaft zu rekonstruieren, und daran scheitern auch die Versuche, das linguistische Relativitätsprinzip empirisch zu untermauern (Boroditsky usw., s. u.):
Wir reisen durch die Zeit, die Zeit kommt aber auch auf uns zu. Die Vorfahren sind vor uns und hinter uns. Die Vergangenheit ist oben, aber auch unten:

Die Kirchenmusik an der Pfarrkirche in Türkheim ist ab 1676 nachweisbar und bis herauf in unsere Zeit recht detailliert beschreibbar.

Seit längst vergangenen Zeiten bis herab in unsere Tage folgte ein Krieg dem anderen.


Es gibt lineare und zyklische Zeitmetaphern, alles in derselben Sprache, je nachdem, welches lokale Kommunikationsproblem zu lösen ist; Uhrzeiten und Kalenderdaten kehren immer wieder. Je genauer man nachsieht, desto heterogener wird die Metaphorik, wie es ja auch angesichts der Sprachgeschichte nicht anders zu erwarten ist.

Mit den Vorstellungen von Geist, Seele verhält es sich genau so.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2019 um 10.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41794

Zu
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22740 http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22742

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe Arbeiten, die Boroditskys starke Behauptungen, sei es zum Spanischen oder Chinesischen, zurückweisen und ihre Tests als nicht-replizierbar oder falsch kritisieren. In fachfremden Texten werden sie aber ohne Wenn und Aber als wissenschaftliche Ergebnisse zitiert, z. B. in Robert Sapolsky: Behave.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2019 um 04.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41680

Rainer Schandry: Biologische Psychologie. 3. Aufl. Weinheim 2011.

Das ist eines der führenden Lehrbücher auf dem deutschen Markt. Es bestimmt seinen Gegenstand von vornherein als das „menschliche Erleben und Verhalten“ – so die stehende Formel.

Da haben wir die nicht weiter gerechtfertigte Einschränkung auf den Menschen. Und wir haben neben der objektiven Wirklichkeit noch die Erlebniswelt, ziemlich unerwartet, denn eigentlich geht es um das Verhalten und seine Steuerung durch das Gehirn und das gesamte Nervensystem (Verhaltensphysiologie). Das ist denn auch der eigentliche Inhalt, ebenso wie bei den ähnlich betitelten Büchern (Pinel, Birbaumer/Schmidt, Güntürkün usw.).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.05.2019 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41556

Cognitive science ist zwar weit verbreitet, aber eigentlich falsch, denn eine kognitive Wissenschaft kann immer noch von allem möglichen handeln. Gemeint ist aber zweifellos die Wissenschaft von der Kognition.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.04.2019 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41187

Lieber Herr Riemer, Sie setzen als selbstverständlich voraus, was ich grundsätzlich in Zweifel ziehe. Das nennt man wohl eine "Petitio principii". Ich weiß natürlich, wie man "wissen" allgemeinsprachlich verwendet, aber es gehört zu den mentalistischen Begriffen, die ich naturalisieren will, wie ich es mit "wollen" schon getan habe.

Wenn man meine Geschicklichkeit beim Ballspielen, Radfahren, ja auch beim Sprechen als Anwendung eines Wissens modellieren und vielleicht simulieren will, wird es kompliziert. (S. mein ewiges Planimeterbeispiel!)

Die philosophische Diskussion geht u. a. darüber, ab wann (ab welchem Organisationsgrad, Entwicklungsgrad bei Organismen) man sinnvollerweise von "wollen" sprechen kann oder muß. Wie schon angeführt, nimmt die Lorenz-Schule durchaus unmetaphorisch an, daß ein Organismus in der phylogenetischen Anpassung an die Umwelt ein Wissen über diese Umgebung erwirbt. Das Wissen steckt in der Anpassung.

Dennett ist heute der bekannteste Autor, der sich mit "immer dümmeren" Homunkuli beschäftigt, Peter Hacker ist sein schärfster Kritiker.

Ich habe ja schon zahlreichen Beispiele gebracht: Weiß der Schützenfisch etwas über Brechungswinkel usw.? Weiß die Spinne, der Frosch etwas über ihre Beute usw.?

Zum Fliehkraftregler (auch der Thermostat wird gern herangezogen):

Der Ingenieur untersucht den Apparat und kann sein "Verhalten" vorhersagen. Fehlt leider nur das geistige Band: die Funktion, also daß er überhaupt etwas regelt.

Der Behaviorist untersucht das Funktionieren, ohne sich um den Bau zu kümmern (black box, kann auch verhüllt sein). Er bettet die Funktion in den weiteren Zusammenhang ein, also etwa die Drosselung der Dampfzufuhr.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.04.2019 um 16.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41186

Wenn man sagt, der Fliehkraftregler weiß, was er soll, er kennt seine Solldrehzahl, dann ist das natürlich nur salopp oder scherzhaft ausgedrückt, aber niemand nimmt das wörtlich.
Hingegen weiß der Mensch tatsächlich, wie man richtig oder falsch spricht, er kennt die grammatischen Regeln tatsächlich. Daß es sich beim Benutzen der Sprache meistens um stark automatisierte Bewegungen handelt, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Mensch darüber jederzeit die Kontrolle hat, daß er bewußt und willkürlich spricht und schreibt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.04.2019 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41184

Aber man kann doch den menschlichen Benutzer einer Sprache nicht mit einem Fliehkraftregler vergleichen! Natürlich "weiß" der Fliehkraftregler nichts über die einzuhaltende Drehzahl, er kann einfach nicht anders funktionieren, als wie er gebaut wurde. Aber das gilt nicht für einen denkenden Menschen. Ein menschlicher Sprecher benutzt zwar normalerweise reflexartig die richtigen Regeln, aber dennoch kennt er die Regeln auch, er wendet sie manchmal sehr wohl ganz bewußt an und kann sie, wenn er will, auch absichtlich umgehen. Selbstverständlich weiß der Mensch, was der Fliehkraftregler nicht weiß!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.04.2019 um 08.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41181

"I guess what I´m asking is quite a big question: is there any room for "mental grammar" in your model? How do you do grammar without symbols?"

"Everything that you know about a word would include phonologial, morphological, syntactic, and semantic information"

In answering this, I would, in turn, ask you "What do you mean ´know´?" If you simply mean that a person uses language in a way that can be formalised by linguists as having these properties, then it fits very well with my account. If you mean that a language user has representations of these levels of linguistic knowledge, then we are in disagreement. The example I always draw on is the Watts governor. One way to describe this machine in action is that it "knows" about the speed of the flywheel and adjusts itself accordingly. In other words, the system appears to operate according to a set of rules. This is the typical way to talk about language and it seems to require representations (somewhere to keep the knowledge of the rules). But, the Watts governor is a non-computational device. The "knowledge" of the speed of the flywheel is embodied in the structure of the device itself. So, while it is possible to describe the Watts governor as having "knowledge" about some rules of behaviour, it is actually misleading to do so. Your understanding of the device will be much deeper if you realise that the apparent rule-governed behaviour is an emergent property of the way the device is built. This is the level at which I think we have "knowledge" of syntax, etc. (Sabrina Golonka) (http://psychsciencenotes.blogspot.de/2012/05/language-task-analysis-kind-of.html)

Gute Darstellung, auch ich nehme gern den Fliehkraftregler als Beispiel einer "teleologischen Maschine". (Watts wäre in Watt zu korrigieren.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.03.2019 um 06.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41114

Zwischen einem realen Gegenstand und einem zu seiner Erklärung erfundenen Konstrukt kann es keine „Beziehung“ geben. Also auch nicht zwischen Sprechen und Denken. Sinnvoll ist dagegen die Frage, ob und wie das Sprachverhalten mit anderem Verhalten zusammenhängt. Nur so kann man das „linguistische Relativitätsprinzip“ beurteilen. Whorf hat ja im Grunde auch schon diesen empirischen Weg aufgezeigt, wenn er etwa den brandgefährlichen Umgang mit „leeren“ Benzintonnen auf die Verführung durch das Wort „leer“ zurückführte.
Aber wenn wir zum Beispiel die doch sehr verschiedene chinesische Sprache nehmen und dazu die chinesische Wissenschaft und Technik, die uns mit modernem Gerät aller Art versorgt, und wenn wir außerdem sehen, wie die Chinesen sich im Alltag verhalten, dann kommen uns schon Zweifel, ob es da überhaupt einen Zusammenhang gibt. Philosophisches Sprachverhalten muß man drüben wie hüben beiseite lassen, denn die Philosophen spinnen (oder lassen „die Sprache feiern“, um es mit Wittgenstein etwas schonender zu formulieren).

William Chafe versuchte einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen: Ein Teil unseres Denkens sei durch die Sprache strukturiert. Aber da er das Konstrukt des Denkens dann wieder zur Erklärung der Sprache nutzen wollte, drehte er sich im Kreis, wie es ja in dieser kognitivistischen Schule nicht zu vermeiden ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2019 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41004

Auch wenn eine Gedankensprache aus begrifflichen und sachlichen Gründen unmöglich sein sollte, könnte man immer noch meinen, als Fiktion sei sie nützlich. Wie ließe sich das beweisen? Gibt es nützliche Mythen dieser Art anderswo? Kreationismus bietet sich, aber ist er nützlich? Angepaßtheit als Geplantheit? Dennetts intentionaler Standpunkt?

Die Vorsokratiker begründeten die Wissenschaft, indem sie ihre gewiß unzulänglichen Theorien gegen die mythologischen Erklärungen stellten. Die Welt mag weder aus dem Wasser, der Luft, dem Feuer, dem Unbegrenzten noch dem Kampf der Elemente entstanden sein: Hauptsache, sie ist nicht von Göttern geschaffen, sondern es ging alles mit natürlichen Dingen zu. Die Kreationisten wollen das rückgängig machen.

Dennett argumentiert ungefähr so: Wenn Marsmenschen uns wie Automaten durchschauen würden, würde ihnen dennoch etwas Wichtiges entgehen: die Muster unseres Verhaltens, die nur aus intentionalistischer Sicht erkennbar sind. (The Intentional Stance Cambridge (Mass.)/London 1987:25)

Schon recht, aber wenn es um eine Erklärung geht und nicht nur um Voraussage (also die Verhaltenskoordination, um derentwillen sich die intentionale Redeweise entwickelt hat), dann muß etwas hinzukommen, in diesem Fall natürlich die Konditionierungsgeschichte, im Falle der Natur die Evolution. Diese geschichtliche Perspektive erklärt die Intentionalität des Verhaltens und die scheinbare Absichtlichkeit in der Natur.

Dennett erzählt, er habe einmal einen Skinnerianer gefragt: Warum sagst du das? und habe zur Antwort bekommen: Weil ich dafür in der Vergangenheit verstärkt worden bin. Das sei aber keine Angabe von Gründen (Motiven, Zwecken) gewesen, sondern von Ursachen. – Natürlich hat sich der Skinnerianer (falls die Geschichte nicht erfunden ist, wie ich annehme) dummerweise aufs Glatteis begeben. Wer sich an solchen Gesprächen beteiligt, übernimmt deren Spielregeln, also auch den Mentalismus hinsichtlich der Selbstkommentierung usw. Die Antwort eines Physikers auf die Frage, warum er Physik treibe, wird auch nicht in physikalischen Begriffen gegeben.

Dennett selbst erkauft seine beliebte These vom „intentionalen Standpunkt“ durch eine inkonsistente Redeweise: er spricht vom Glauben eines „Systems“ usw., was natürlich Unsinn ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2019 um 10.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41003

Zur Hypothese einer „Sprache des Geistes“, Language of thought, LOT:

Wer spricht da mit wem? Es gibt „im Geist“ keinen ungleich informierten Partner, daher keine Fragen und Nachfragen, keine Nachrichten, keine Erzählungen, keine Negation, keinen Streit. Kann es eine Sprache ohne Synonymie geben, also auch ohne Umschreibungen? Gäbe es gleichbedeutende Wörter, müßten sie wieder Bezeichnungen desselben „Begriffs“ sein usw.

Jede Aussage ist partnerbezogen, auch wenn der Partner fingiert wird oder mit dem Sprecher identisch ist. Denn die ausgedrückten Sachverhalte fallen nicht von sich aus in eine bestimmte sprachliche Form, sondern werden stets je nach dem Hörer und seiner Beziehung zum Sprecher und zur Gesamtsituation (Informationsverteilung, Gesprächsdynamik) in eine bestimmte Perspektive gesetzt. Es gibt keine kanonische Formulierung.

Diese Überlegungen zeigen, daß eine „Sprache des Geistes“ unvorstellbar verschieden von allem wäre, was wir bisher unter „Sprache“ verstehen. Daher ist mit der LOT-Hypothese eigentlich gar nichts gesagt und erst recht nichts erklärt.

Noch eine Anmerkung zur Perspektivierung: An einfachen Modellen, z. B. einer Klötzchenwelt, hat man versucht, die Szenenalyse zu automatisieren. Ein Programm nimmt ein Bild auf und zerlegt es in Linien, Kanten, Ecken, Überlappungen usw. und bildet dann Aussagen über Vierecke und Kreise bzw. Würfel und Kugeln und ihre räumliche Stellung zueinander. Auch das wäre aber nur eine von unzähligen Möglichkeiten, wahrscheinlich stillschweigend auf den Zweck des Nachbaus abgestimmt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2019 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#41000

„Frege war also klar, dass Begriff eine Denkeinheit, Wort aber eine Spracheinheit ist.“ (Heinz Vater in Sprachreport 4/2000)

Welches Bild vom Denken liegt zugrunde? Offenbar ein sprachähnliches, und Begriffe sind Ausdrücke.

„Wir klassifizieren also z.B. ein Objekt als Würfel, wenn es dreidimensional ist, von sechs gleichen Quadraten begrenzt ist und zwölf gleiche Kanten hat. Wir bilden uns dabei einen Begriff, der die genannten Merkmale enthält. Ein Begriff ist eine kognitive Einheit, also weder ein Gegenstand (z. B. der Würfel, den wir in der Hand halten) noch ein Wort: Das deutsche Wort Würfel und das englische Wort cube sind Bezeichnungen für denselben Begriff.“ (ebd.)

Würfel ist eine Bezeichnung für Würfel, nicht eine Bezeichnung für einen Begriff. Da war ja die antike und mittelalterliche Lehre noch besser, die wenigstens ihr „mediantibus conceptibus“ hatte. Darunter kann man auch heute noch verstehen, daß das Wort Würfel nicht auf einen einzigen Würfel angewendet wird wie ein Eigenname, sondern auf alle, mit Hilfe einer Invariantenbildung oder Merkmalextraktion (Mustererkennung). Aber das Wort bezieht sich nicht auf diese Muster usw., d. h. wir beziehen uns nicht darauf und wissen meistens gar nichts davon. Ob Hilfskonstruktion wie "Begriff" und "Denken" nötig und nützlich sind, wäre auch noch zu diskutieren. Ich glaube es natürlich nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2019 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40989

Es führt auch in der Korpuslinguistik kein Weg an der Introspektion vorbei. Sie ermöglicht eine schnelle und „kostengünstige“ Hypothesenbildung.

Das ist richtig, allerdings hat sich dafür zu Unrecht der metaphorische Ausdruck "Introspektion" eingebürgert. Ich kann im stillen ausprobieren, wie ich auf ein sprachliches Gebilde reagiere; ich bin also mein eigener Hörer.

Das Verfahren ist aber nicht unfehlbar. Erstens beherrsche ich nie die ganze Sprache mit allen ihren Elementen und Möglichkeiten. Zweitens verfälscht das Experiment durch seine Kontextfreiheit und durch die wirklichkeitsfremde Aufmerksamkeitssteuerung das Ergebnis. Darum braucht man auch die Überprüfung am "Korpus".

Bei der Aufmerksamkeitssteuerung denke ich z. B. an die Synonymik, wo allein das Nebeneinanderhalten zweier Wörter einen unterscheidenden "Kontext" erzeugt, der die Möglichkeit der Nichtunterscheidung (Neutralisierung) nicht mehr sichtbar werden läßt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2019 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40690

Auch vergisst man im Westen leicht, dass Russlands Dauerkorruption der täglichen und jahrhundertealten Erfahrung einer Armuts- und Kollektivkultur entspricht, in der Besitz nur vorübergehend durch Macht verliehen wird. Bezeichnenderweise gibt es im Russischen kein Äquivalent für das Verb „haben“. Man umschreibt es intransitiv durch die Formel, bei einem sei etwas. (Kerstin Holm FAZ 16.6.14)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2019 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40550

Tugendhat/Wolf (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#36773 ) schreiben ganz traditionell und zitieren dazu Frege, daß nicht der Wortlaut des Satzes wahr oder falsch ist, sondern die Proposition, der Inhalt dahinter. Es gibt nur den Wortlaut, d. h. den formal definierten Sprechakt, und dazu viele Äquivalente, aber kein Drittes, das sie gemeinsam haben. Die Proposition ist erfunnden – vielleicht eine nützliche Hilfkonstruktion, aber sehr problematisch.
Wenn zwei Sätze bedeutungsgleich sind, weil sie denselben Inhalt haben, muß dieser seinerseits sprachlich ausgedrückt werden: in einer Gedankensprache. Das führt zum Problem des „dritten Menschen“ (infiniter Regreß): Auch die Inhaltsgleichheit mit dieser „Proposition“ muß wieder erklärt werden usw.
Eigentlich erklärt man also auf diese Weise nichts. Auch ist nicht zu erkennen, wie man der Ansetzung eines Homunkulus entgehen kann, der als Sprecher der Gedankensprache in Frage kommt. Das Ganze ist zwar sehr verbreitet, aber im Grund abstrus.
Daß ein Satz und seine Passivumschreibung denselben Wahrheitswert haben, ebenso andere Umformungen und Übersetzungen in andere Sprachen, kann einfacher erklärt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2018 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40431

„Begriffe schreiben wir in Absetzung von den sie benennenden Wörtern mit Großbuchstaben.“ (Friedhart Klix)

Seit wann kann man Begriffe schreiben? Sind es also doch Wörter?

So reden sie daher, die Kognitivisten, und merken nix.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2018 um 09.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40426

Wenn das Denken ein Dialog der Seele mit sich selbst wäre – eine Idee, die noch in der Language-of-Thought-Hypothese fortlebt –, müßte diese "Sprache" unabsehbar verschieden von allen uns bekannten Sprachen sein, und zwar nicht nur wie eine Fremdsprache. Es dürfte zwischen den "Gesprächspartnern", die ja ein und derselbe wären, kein Informationsgefälle geben, also keine Fragen. Es dürfte keine Aufforderungen geben, denn warum sollte der eine dem anderen, der er ja selbst ist, etwas auftragen, was er nicht ebenso gut selbst tun könnte? Es gäbe auch keine Aussagen, denn das sind Thesen, die gegen andere verteidigt werden und grundsätzlich auch falsch und widerlegbar sein können müssen usw. – Das wäre wirklich ein seltsames Gespräch, wie Waldesrauschen...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2018 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#40407

Sprache ist eines der wichtigsten Mittel, mit denen Menschen Ideen und Gedanken ausdrücken und sich gegenseitig mitteilen können. Die vorliegende Einführung in Sprache und Sprachwissenschaft nimmt deshalb eine Sichtweise ein, in der Sprache vorzüglich als Ausdrucksmittel für Ideen und Gedanken erscheint. Aus einem solchen kognitiv-linguistischen Blickwinkel gesehen ist Sprache ein Teil des gesamten kognitiven Systems, über das Menschen verfügen. (Ralf Pörings/Ulrich Schmitz: Sprache und Sprachwissenschaft. Eine kognitiv orientierte Einführung. 2. Aufl. Tübingen: Narr 2003, Vorwort)

Das folgt zwar nicht (denn die Linguistik könnte sich wie bisher mit dem Ausdruck beschäftigen statt mit „Ideen und Gedanken“), aber es bedeutet auf jeden Fall die Rückkehr in die archaisch anmutende rationale Psychologie als Grundlage, und das wird auch noch als besonders modern ausgegeben. Dieser Unsinn herrscht flächendeckend, es ist zum Verrücktwerden.

Treffend: Man kann den psychologischen Kognitivismus durchaus als eine sehr alte und perennierende Auffassungstradition und nicht etwa als ein Kind der letzten beiden Jahrzehnte betrachten. (...) Doch käme eine starke Betonung dieser historischen Kontinuität der ausgeprägten Neuerer-Attitüde mancher Kognitivisten wohl kaum entgegen. (Theo Herrmann 1982)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2018 um 05.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39924

„Wer über Zeichen, deren Beziehung zur kognitiven Welt und zur Welt der Dinge reden will, der muß drei Ebenen der Betrachtung klar und deutlich auseinanderhalten:
1. die linguistische Ebene der Zeichen (Wörter, Sätze),
2. die epistemologische Ebene der kognitiven Korrelate (Begriffe, Propositionen) und
3. die ontologische Ebene der Dinge, Wahrheitswerte und Sachverhalte.“
(Rudi Keller 36)

Das ist die Tradition des Aristoteles und der Scholastik, die allerdings meist weniger psychologistisch waren als die heutigen Kognitivisten. Die mittlere „Ebene“ ist die innere Welt, die außerhalb des Behaviorismus fast jeder undiskutiert voraussetzt. (Wie die „Wahrheitswerte“ in die Welt der Dinge kommen, ist eine andere Frage.)

Keller legt aber dann ungewollt die Sprachlichkeit der Begriffe bzw. des „Denkens“ offen, so daß es gar keine unabhängige zweite Ebene gibt:
„Begriffe sind sprachliche Werkzeuge des Denkens.“ – „Kategorien bzw. Begriffe sind Einheiten unseres Denkens. Sie werden erzeugt durch die Gebrauchsregeln der Wörter, mit denen wir sie bezeichnen.“ – „Begriffe bilden sich aus Bedeutungen. Sie sind Einheiten unseres Denkens, die geformt werden durch Gebrauchsregeln unserer Sprache.“

Begriffe und Propositionen sind offenbar Doppelgänger von Wörtern und Sätzen. Das Ganze ist aber so unklar, daß man es nicht diskutieren kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2018 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39906

Jedes Phänomen ist entweder "mental" oder "physisch", ein Drittes kennt die intuitive Klassifikation durch die Alltagssprache nicht. (Thomas Metzinger in: Neuere Beiträge zur Diskussion des Leib-Seele-Problems. Frankfurt 1985:1)

Aber eine solche klare Dichotomie würde eine Systematisierung der Alltagssprache voraussetzen, die erst der Philosoph allenfalls vornimmt. Und selbst die Philosophen und Linguisten sind sich nicht einig: Für Peter Bieri z. B. sind Ekel und Angst etwas Mentales, Ewald Lang hält Müdigkeit für zwar intern, aber nicht psychisch. Während für Bieri auch Schmerz mental ist, fragt Colin McGinn, warum wir „in der Alltagssprache von Schmerz eher als von einem körperlichen denn als einem mentalen Zustand sprechen“. Usw.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.08.2018 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39371

Die Spanier haben bekanntlich auch zwei Wörter für sein. Schlimm für die Ontologen!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2018 um 14.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39370

Die Frage nach der Weltansicht oder einfacher: ob die Sprachen das Denken ihrer Sprecher prägen, ist noch ganz im altertümlichen Geist der naiven Psychologie gestellt Die Annahme eines "Denkens" ist natürlich nicht wissenschaftsfähig, solche Fragen sind daher auch nicht entscheidbar. Richtiger wäre es also, nach dem Verhältnis von Sprechen und anderem Verhalten zu fragen. Ein bekanntes Beispiel von Whorf bezieht sich denn auch auf den Umgang sprachverführter Arbeiter mit "leeren" Benzintonnen...

McWorter bringt als eins von zahllosen Beispielen die schier unfaßbare Tatsache, daß wir (wie die Anglophonen) nur ein Wort für "Ecken" haben, wo z.B. die Spanier zwischen esquina – "Ecke von außen" und rincón – "Ecke von innen" unterscheiden. Na und?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.08.2018 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39337

Ein Versuch, das linguistische Relativitätsprinzip (Humboldt-Sapir-Whorf) zu retten, geht so: Der Ökonom Keith Chen meint, daß gerade die Abwesenheit einer grammatischen Kategorie die Aufmerksamkeit der Sprecher darauf lenke, z. B. seien Sprecher einer Sprache ohne Futurmarkierung besonders zukunftsbewußt und daher gute Sparer. McWhorter widerlegt es anhand von Chens eigenen Tabellen, korrigiert auch Chens falsche Auffassung von Futurmarkern, z.B. in den slavischen Sprachen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2018 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39312

Whorf hat nicht unterschieden zwischen Einflüssen der Sprache und Einflüssen bestimmter Ausdrucksweisen. – Zu Whorfs Beispiel: Wenn jemand versehentlich eine Benzintonne zur Explosion bringt, weil sie als „leer“ bezeichnet wurde, obwohl sie noch Benzindampf enthielt, ist er kein Opfer seiner Sprache und nicht einmal zwingend ein Opfer einer bestimmten Ausdrucksweise. Er weiß vielleicht nicht, daß „leere“ Benzinfässer noch gefährlicher sind als volle.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2018 um 04.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39310

McWhorter verdanke ich auch den Hinweis auf diese Diskussion:

http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=1081
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2018 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39296

Prägt die Sprache unsere Weltansicht? McWhorter bestreitet es („The Language Hoax“).
Soweit die Experimente richtig sind, sortieren Probanden, die entsprechende Farbwörter haben, bunte Objekte im Durchschnitt um eine Zehntelsekunde schneller. Deutet das auf eine unterschiedliche Weltsicht? Das scheint ziemlich weit hergeholt.
Viele Sprachen versehen Substantive mit einem „Zähleinheitswort“, wie man fürs Chinesische sagt, oder einem anderen funktionsgleichen Zeichen, etwa auch im Japanischen. Man kann also dort, „wörtlich“ übersetzt, nicht sagen dieser Mensch, zwei Menschen, sondern nur dieses Stück Mensch, zwei Stück Menschen. Die Substantive werden also ähnlich wie Stoffsubstantive oder wie Kollektiva konstruiert, aber man muß sich hier vor Fehldeutungen hüten. Japaner sehen Eßstäbchen (McWhorters Beispiel) in keinem vernünftigen Sinn als ungegliederten Stoff an, aus dem man individuelle Exemplare erst herauspräparieren müßte. Es sind eben nur verschiedene Techniken. Im Deutschen reicht Mensch aus, um die Merkmale und die zeigbare Substanz zu einem Gegenstand zu verbinden, in anderen Sprachen werden diese beiden Aspekte getrennt gehalten und kombiniert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2018 um 15.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39111

Ich glaube schon, grundsätzliche – nämlich begriffs- oder sprachkritische – Einwände gegen die Redeweise von "Wissen" und "Speichern" vorgebracht zu haben. Die Einzelbeispiele illustrieren es nur, indem sie die fatalen Folgen nachweisen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.07.2018 um 14.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39110

"Müssen" sich Kognitivisten wirklich deutlicher erklären? Es ist natürlich sehr wünschenswert und wäre sehr schön, wenn sie es könnten, aber zur Zeit weiß halt noch niemand, wie Wissen strukturiert und gespeichert ist.

Es hilft aber auf der andern Seite auch nicht, ständig unbeholfene Erklärungsversuche mancher Kognitivisten aufzuspießen und logisch ad absurdum zu führen. Das widerlegt nur immer einen speziellen Punkt, aber nicht die Theorie an sich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2018 um 16.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39101

Weil das Verstehen der Anderen eben keineswegs selbstverständlich ist, prägte der Philosoph Hans-Georg Gadamer die Formel vom "Wunder des Verstehens".

Das ist der Gipfel der Verkehrtheit. Ich habe doch erst von anderen gelernt, was Verstehen ist (= was verstehen bedeutet und wie man es gebraucht).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.07.2018 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39090

Viele Kognitivisten nehmen ja an, daß das Wissen propositional gespeichert sei.

Nun, ich weiß zum Beispiel, daß ich kein Japanisch kann. Dann wäre also in mir die Proposition gespeichert "Ich kann kein Japanisch" – in welcher "mentalen Sprache" auch immer. Aber es gibt Millionen Dinge, die ich ebenfalls nicht kann, folglich müßte all dies in Form von Propositionen – praktisch unendlich vielen – gespeichert sein. So große Speicher haben in meinem Kopf gar keinen Platz, das geht also nicht.

Aber vielleicht sind die viel weniger zahlreichen Propositionen über das, was ich kann, gespeichert, und im Bedarfsfall durchsuche ich sie und stelle fest, daß Japanisch nicht darunter ist? Auch das gibt Probleme, wenn man an den Zeitbedarf denkt.

Da müssen sich die Kognitivisten schon deutlicher erklären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2018 um 04.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39075

Uns ist alles, was man an Kenntnis von Bewußtseinserfahrungen haben kann, unmittelbar bekannt. Denn indem wir sie haben, sind wir mit ihnen vollständig vertraut, und ein tieferes Vertrautsein ist nicht einmal theoretisch möglich. Wenn wir nicht bereits vollständig wüßten, wie es ist, eine Rotempfindung oder eine Schmerzempfindung zu haben, könnte uns auch keine noch so genaue Beschreibung zu einer solchen Kenntnis verhelfen. (Rainer Mausfeld: „Über Ziele und Grenzen einer naturwissenschaftlichen Zugangsweise zur Erforschung des Geistes“. In: Adrian Holderegger et al. (Hg.): Hirnforschung und Menschenbild. Basel 2007:23-40.)

Man kann kaum widersprechen. Das ist aber keine Bestätigung, sondern sollte Verdacht wecken. Was bedeutet das alles? Wie mißt man, ob die Kenntnis „vollständig“ ist? Woher stammt die – notwendigerweise gemeinschaftliche – Sprache, in der man von solch radikal privaten Erlebnissen spricht?
Wie ist es denn, eine Rotempfindung zu haben? Das kann man nicht sagen, nur wiederholen, daß man es eben weiß, wenn man es erlebt hat. Diese Auskunft selbst muß semiotisch und lerngeschichtlich aufgeklärt werden. Sie ist einerseits überzeugend, andererseits leer und nicht weiterführend. Die Subjektivität gibt es eben, und mehr kann man dazu nicht sagen.
Mausfeld setzt die „mentalen Phänomene“ immer schon voraus. Er kommt natürlich immer zu dem Ergebnis, daß sie sich durch Neurologie usw. nicht erklären lassen. Diese Besonderheit ist von Anfang an in den Begriff hineingelegt.
Ich sehe, daß das Buch rot ist. Aber bis zu der Aussage, daß ich eine Rotempfindung habe, bedarf es einiger Verfremdung. Solche Sätze bestätigen die Teilhabe an einer transgressiven, mentalistischen Redeweise, haben darüber hinaus aber keinen Gehalt, von dem sich irgend etwas ableiten ließe.

Weiter geht´s gegen die Windmühlen des Mentalismus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2018 um 03.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#39053

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#30557

und der Frage von Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Epik vgl. noch die knappe Diskussion unter

http://www.nybooks.com/articles/1992/06/25/homers-literacy/
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2018 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38886

Auch wer zugibt, daß Chomsky keine bisher unbekannten Tatsachen über die (englische) Sprache entdeckt hat, besteht darauf, er habe der Linguistik eine bisher ungeahnt rigorose Form verpaßt.
Mag sein, aber rigoros am Gegenstand vorbei. Die großen Grammatiker wie Hermann Paul hatten eine rigorose Kenntnis der historischen und dialektalen Tatsachen. Dafür fehlt den neueren Rationalisten jeder Sinn. (Umgekehrt nicht: Methodologische Überlegungen waren den Alten nicht fremd, vgl. etwa Pauls "Prinzipien". Aber die Tatsachen gingen immer vor. "Die Phänomene retten" nannte es Eudoxos von Knidos mit einer unsterblichen Formulierung.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.05.2018 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38850

Zur Kindersprache:
Unsere jüngste Enkelin, fast 2 Jahre alt, lernt nun langsam, in Sätzen zu sprechen:
"Wa wa brrrmmm brrrmmm" heißt soviel wie "Der Hund sitzt/fährt im Auto".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2018 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38812

Das Symposium „Zeichen und System der Sprache“ 1959 in Erfurt stand völlig im Banne Saussures und seines bilateralen Zeichens, 1964 in Magdeburg dann Chomskys (Manfred Bierwisch u.a.).
In den 60er Jahren sind viele auf das Gleis der Generativen Grammatik geraten und haben es nie wieder verlassen, sondern alle Kurven und Weichenstellungen Chomskys getreulich mitgemacht. Ein enormer Textausstoß kam in Gang. Junggermanisten erklärten ihren Professoren, was Wissenschaft eigentlich ist usw.
Die Rekonvaleszenz dauert noch an. Man entdeckt die Sprache wieder und trennt sich von den Büchern, die sich nur mit der „Form von Grammatiktheorien“ oder dgl. beschäftigten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2018 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38795

Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß Modelle der nervösen Zusammenarbeit auch schon neurologische Lösungen darstellen. Kästchen, auf denen "Speicher", "Vergleicher", "Kompensator" usw. steht, bezeichnen nur den Typus von Verarbeitungen, den man fordern muß, um die Funktion des Ganzen verständlich zu machen. Wo und wie das innerhalb des Nervensystems im einzelnen geschieht, bleibt dabei ganz außer acht. Die Entsprechung, die zwischen Modell und Wirklichkeit zu bestehen hat, ist nur eine formale, nämlich die logische Verknüpfung der Funktionen betreffend, nicht ein materiale, d. h. als wäre das Modell eine Skizze von Nervenfasern und Ganglienzellen. (Ivo Kohler in Hb. d. Psychologie: Allgemeine Psychologie 1, Göttingen 1974:625)

Das war das alte Handbuch, im neuen vom selben Verlag wird man solche Einsichten nicht mehr finden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2018 um 09.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38785

Aus demselben Buch:

„Die Annahme, daß Information in Form von Propositionen repräsentiert ist, ist die derzeit gängigste Auffassung zur Repräsentation von Bedeutung im Gedächtnis. (...) Der Begriff der Proposition ist der Logik und Linguistik entnommen.“ (John R. Anderson.: Kognitive Psychologie. Eine Einführung. Heidelberg 1989:112)

Aber was ist das für eine Psychologie, die sich nicht von Logik und Linguistik unterscheiden läßt? Offenbar eine rationale Psychologie im Stil früherer Jahrhunderte. Im 19. Jahrhundert schrieben Psychologen Lehrbücher der Logik und Philosophen Lehrbücher der Psychologie. Chomsky erklärte dann ausdrücklich die Linguisten zu Psychologen, er hätte auch sagen: Philosophen des Geistes. Wie schon berichtet, gab es zu meiner Studienzeit an der Universität Marburg die Psychologie zweimal: an der philosophischen und an der medizinischen Fakultät, ohne jede Beziehung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2018 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38778

"Die kognitive Psychologie versucht, das Wesen der menschlichen Intelligenz und des menschlichen Denkens zu verstehen." (John R. Anderson: Kognitive Psychologie. Eine Einführung. Heidelberg 1989:15)

Damit ist tierisches Verhalten ausgeschlossen, ähnlich wie bei Neisser, dessen Hauptwerk von 1974 Gert Kegel ein "Konglomerat aus Wahrnehmungspsychologie und Transformationsgrammatik" genannt hat. Dasselbe kann man von Norman/Lindsay/Rumelhart und anderen Standardwerken der angeblich modernen Kognitionspsychologie sagen.

Es scheint auch undenkbar, wie die handlungsnahen und sprachnahen Begriffe, in denen sich die Rekonstruktion bewegt, auf Tiere angewendet werden könnten.

Wir haben es also mit der uralten sprachgeleiteten rationalen Psychologie zu tun, aufgepeppt durch empirische Befunde und Physiologie, auch Computersimulation.

Aber das typische Chomsky-Pathos in Andersons Erledigungstopos:

"Rückblickend ist schwer verständlich, wie die Behavioristen einen derart gegen alles Geistige gerichteten Standpunkt beziehen und so lange behaupten konnten." (20)

Den Geist gibt es doch, verdammt noch mal! (Oder etwa nicht?)

Das bestätigt O’Donohue et al.s Ansicht, daß die kognitive Revolution ein rhetorisches Ereignis war und teilweise noch ist. (O’Donohue, W.; Ferguson, K.E. & Naugle, A.E. (2003). The structure of the cognitive revolution. The Behavior Analyst, 26, 85-110. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2731437/)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2018 um 05.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38762

Ich rücke eine Rezension hier ein, die ich im wesentlichen gleich bei Amazon veröffentlicht habe:

Psycholinguistik. Hg. von Gert Rickheit, Theo Herrmann und Werner Deutsch. Berlin: de Gruyter 2003 (HSK 24)

Vorab zur redaktionellen Gestaltung: Sie ist etwas nachlässig. Orthographisch scheint beim Verlag de Gruyter inzwischen alles erlaubt zu sein – mit Ausnahme der herkömmlichen Rechtschreibung. Gleich der erste Beitrag verwandelt, obwohl er keineswegs aus der Schweiz stammt, jedes ß in ss. Sonst herrscht die Reformschreibung, aber ebenso fehlerhaft wie in anderen neuen Büchern des Verlags. Meistens wird geschrieben sogenannt, zugrundeliegen, fertigstellen, allgemeingültig, selbsteingeleitet, um so, zu eigen machen, sein eigen nennen, vielzitiert, bis auf Weiteres ...
Oft fehlen einzelne Buchstaben, manchmal stehen auch welche zuviel (gegegebene). Der Autor Pylyshin heißt in Wirklichkeit Pylyshyn, so daß auch im Register nur ein einziger Eintrag notwendig ist. Auch S. Harnad und S. H. Harnad sind dieselbe Person. Weitere Namen sind in diesem Sinne zu überprüfen. Gardenne heißt in Wirklichkeit Gadenne, so daß auch hier ein Eintrag zu streichen (und im Beitrag 16 nebst Bibliographie zu korrigieren) wäre. (Das Namenregister führt auch sämtliche Namen an, die lediglich in den Einzelbibliographien vorkommen, z. B. als Herausgeber; das ist irreführend und frustriert den nachschlagenden Leser.) Zipf hieß George und nicht John. Ein im übrigen auf deutsch geschriebener Beitrag stammt von der „Catholic University Eichstaett-Ingolstadt“. Das muß doch nicht sein.
Es gibt auch kleinere inhaltliche Fehler, die ich im folgenden nicht mehr berücksichtigen werde. Wie schon in früheren Arbeiten führt Herrmann als Mustersatz mit Agens und Patiens ausgerechnet „Otto liebt Anna“ an, wo nun gerade kein Agens-Patiens-Verhältnis vorliegt (falls man „lieben“ nicht in krudester Weise interpretieren will).

Das Werk ist radikal mentalistisch orientiert und daher sehr einseitig. Seinen bahnbrechenden Aufsatz von 1982 erwähnt Herrmann an keiner Stelle, und doch sind die tiefgehenden Bedenken, die er damals gegen „stilunreine“ Modelle vorgetragen hat, bis heute nicht aus dem Weg geräumt. Die meistzitierten Autoren sind die drei Herausgeber sowie ihre Schüler und Levelt. Ohne die Verdienste der Genannten schmälern zu wollen: in einem „internationalen Handbuch“ der sprachpsychologischen Forschung scheint das nicht ganz angemessen.
Skinner kommt weder im Text noch im Namenregister vor. Clemens Knobloch schreibt: „In welchem Maße der von Chomsky niedergemähte ´Behaviorismus´ ein Pappkamerad war, zeigt ICKLER 1994“ (S. 20). Mein im Literaturverzeichnis nicht ganz korrekt zitierter Aufsatz hieß aber „Skinner und ´Skinner´ – ein Theorienvergleich“. Sogar hier also wird der Name des großen Teufels im laufenden Text nicht erwähnt. An keiner Stelle des dicken Buches kommen Lerntheorie, Konditionierung, Verstärkung (oder deren Synonyme) vor, diese Art von Lernen scheint es überhaupt nicht zu geben. Auch Bereitschaftspotentiale und Namen wie Kornhuber oder Libet (und deren neuere Mitstreiter) sucht man vergebens, obwohl es doch naheliegt, daß Sprachverhalten im Organismus ebenso wie anderes Verhalten vorbereitet wird. Empirisches wird nur zur Stützung der mentalistischen Modelle herangezogen.
Die Vernachlässigung der Verhaltenstheorie kommt auch in der Unterbelichtung des Spracherwerbs zum Ausdruck. Spracherwerb ist v. a. durch Klix vertreten, der nicht gerade als Spracherwerbsforscher bekannt geworden ist. Für die „Mannheimer Schule“ war Klix allerdings ein kongenialer Partner, wie sich schon an seinen früheren Büchern (zum Beispiel 1992: Die Natur des Verstandes) zeigte: dieselbe Vermischung von akteurs- und systembezogener Diktion, dieselbe Pseudokybernetik in starker, wenn auch polemisch verleugneter Abhängigkeit von Miller/Galanter/Pribram. (Auch auf einer später veröffentlichten Wunschliste Theo Herrmanns [Mannheimer Beiträge Sonderheft 1998] steht eine nähere Verbindung der Kognitionspsychologie zu Klix! Herrmann widmete 2006 ein ganzes Buch dem verstorbenen Freund.)
Die Vermischung von System- und Akteursmodellen ist geradezu programmatisch durchgehalten. Insofern kann ich nur die Kritik wiederholen, die ich schon in meiner Besprechung von Herrmann/Grabowski (in „Sprache und Kognition“) vorgebracht habe. Man könnte das ganze Mannheimer Modell als ein „System aus Akteuren“ bezeichnen. Wie man sieht, ist das nur ein Synonym für „Gesellschaft“, und so stellt sich das Modell schon auf den ersten Blick eigentlich als multiples Homunkulusmodell dar. Dies läßt sich aber noch genauer charakterisieren.
Hier nur wenige Beispiele für die typische akteursbezogene Diktion:
„Der Sprecher wählt einen bestimmten Teil der kognitiven Äußerungsbasis für die Formulierung und Artikulation aus.“ (230)
„Der Sprecher aktiviert seine Wissensstruktur“ usw. (!)
Wenn das nur eine bequeme Abkürzung sein sollte (wie schon von Herrmann/Grabowski 1994 reklamiert) – wie wäre es denn in unanfechtbarer System-Redeweise zu fassen?
Am Schluß seines zweiten Beitrags äußert sich Herrmann selbst über den Konstrukt-Charakter von „Propositionen“ (241), aber sehr zaghaft und ohne Konsequenzen. Vor allem scheint der eigentliche Ort für „Propositionen“ nicht richtig gesehen zu werden, denn Propositionen sind keine natürlichen Gegenstände oder Ereignisse, sondern gehören in die Sprache. Im Gehirn kann es nur dann Propositionen geben, wenn man sich zur Annahme einer Gedankensprache bekennt (die aber sogar Vorstellungen und Gefühle „repräsentieren“ können muß, vgl. „Gedanken, Vorstellungen und Gefühle als Enkodierinput“ – hier handelt es sich um populäre Konstrukte, die nichts in einem realistisch gedeuteten Verlaufsmodell zu suchen haben. Es wird versäumt, solche Ausdrücke – „transgressive Metaphern“ nach Kronasser – semiotisch zu analysieren.) Dieses Bekenntnis wird, soweit ich sehe, nirgends ausgesprochen. Sollte es sich jedoch nur um ein bequemes „Konstrukt“ (eine „nützliche Fiktion“) handeln, dann muß klar sein, daß hier Verhalten durch Handeln erklärt wird statt umgekehrt (wie es doch wohl sein sollte). Man macht sich die unbekannten Prozesse im Innern des Organismus scheinbar vertraut, indem man sie in alltagsnaher handlungsbegrifflicher Diktion modelliert. Einen Fortschritt kann ich darin nicht sehen.
Wenn man die erste Stufe der Aktualgenese sprachlich oder sprachnah konzipiert, ist sprachliches Verhalten sogar leichter zu erklären als nichtsprachliches. Das sollte aber doch schwersten Verdacht erregen, denn das Sprachverhalten ist komplizierter als das nichtsprachliche. Die Neurophysiologie kann noch nicht einmal vollständig erklären, wie es zugeht, wenn ein Ball in die Luft geworfen und wieder aufgefangen wird. Wie erklärt das Mannheimer Modell diesen Vorgang? Und wenn dabei von „Propositionen“ kein Gebrauch gemacht werden muß - warum dann bei Sprachverhalten? Aber ich fürchte, das Mannheimer Modell kommt auch bei der Analyse des Ballwerfens nicht über ein rein formales Reden mit kybernetischen Ausdrücken wie „Soll-Wert“ und „Ist-Zustand“ hinaus.
Was Herrmann liefert, ist in Wirklichkeit eine begriffliche, logische Rekonstruktion des Sprachverhaltens. Dazu braucht man nicht einmal ein Psychologiestudium; Pragmalinguisten und Philosophen (wie Grice und viele andere, die daher auch im vorliegenden Werk zitiert werden, obwohl sie mit Psychologie nichts zu tun haben) können das genauso gut.
Die informationstheoretischen und kybernetischen Begriffe sind auch nur usurpiert. Weder „Information“ noch „Sollwert“ usw. werden in ihrem eigentlichen wissenschaftlichen Sinn gebraucht. Wenn jemand etwas „soll“, z. B. wiedergrüßen, so hat das beinahe gar nichts mit dem kybernetischen Begriff des Sollwertes zu tun (der seinerseits metaphorisch ist und insofern eine solche Äquivokation nahelegt; aber der Psychologe sollte sich davon doch nicht irreführen lassen).
Wie ich schon anderswo dargelegt habe, ist die Rekonstruktion der Aktualgenese aber nicht einmal zwingend oder auch nur plausibel. Schon die Annahme, daß die Bedeutung einer Äußerung am Anfang des Prozesses steht, ist begrifflich inkonsistent. Bedeutung (auch wenn sie als „Protoinput“, „kognitive Struktur“ o. ä. umschrieben und verunklart wird) ist ein relationaler Begriff; sie ist immer Bedeutung von etwas, von Zeichen, von Sprache ... Damit ist also gar nichts erklärt, denn die notwendigerweise anzunehmende Gedankensprache muß ja ihrerseits erklärt werden. Wie entsteht die Botschaft, die es zu enkodieren gilt? Vgl. den frühen Einwand:
„Unter dem Einfluß der Informationstheorie sind auch im Bereich der Geisteswissenschaften Modellvorstellungen in Mode gekommen, die sich sachlich kaum rechtfertigen lassen. Diese Modelle haben in der Regel keine andere Konsequenz als rein Terminologisches. Zusammenhänge werden nicht erklärt. (Was ist schon gewonnen, wenn der Sprecher zum Sender, der Hörer zum Empfänger wird!) Das Modell der Kommunikationskette (das wir hier nicht eigens durch eine Zeichnung vertreten müssen) besteht aus einem Kästchen mit dem Buchstaben S (für Sender) und einem Pfeil mit dem Buchstaben K (für Kanal) zu einem zweiten Kästchen mit dem Buchstaben E (für (Empfänger). Das Modell ist völlig trivial (...) Das Kanalmodell hat eine theoretische Schwäche, die eigentlich seine Anwendung im nichtnachrichtentechnisch orientierten Bereich von selbst verhindern sollte. Das, worauf es eigentlich ankommt, wird durch das Modell in keiner Weise expliziert: die zu übertragende Nachricht. Sie wird einfach immer schon vorausgesetzt; es kommt nur noch darauf an, eine Kodierung zu finden (...)“ (Hans G. Tillmann/Phil Mansell: Phonetik. Stuttgart 1980:308)
Dies lassen alle mentalistischen Modelle der Aktualgenese außer acht. (Nach Herrmann gehen alle gegenwärtigen Sprachproduktionsmodelle von der „Bereitstellung des kognitiv-nichtsprachlichen Inputs“ aus; S. 217.)
Sie erwägen nie, daß die Bedeutung nicht am Anfang, sondern am Ende des Prozesses stehen könnte: als vollendete Angepaßtheit der Reaktion an ihre Umgebung. Aber dem scheint nach wie vor die alltägliche Erfahrung im Weg zu stehen: „Ich weiß, was ich sagen will.“ Herrmann (218) erkennt zwar, daß „man“ nicht immer schon zu Beginn weiß, was man sagen will. Aber selbst dies ist schief, denn auch „Ich weiß nicht genau, was ich sagen will“ ist schon ein gesellschaftlich approbiertes Sprachverhalten und grundsätzlich von derselben Art einer unbrauchbaren Auskunft über die wirklichen Vorgänge.
Die Bereitschaft zu sagen Der Junge liebt das Mädchen wird offenbar als Existenz einer „Proposition“ im „Geist“ des Sprechers gedeutet. Diese Proposition ist ein gleich gebauter Satz, nur eben mit den ominösen „Konzepten“ anstelle der Wörter und „Proposition“ statt Satz – es ist aber im wesentlichen dasselbe.
Ich meine dagegen, daß die Bereitschaft zu einem solchen Sprachverhalten in völlig anderen Begriffen zu formulieren ist, keinerlei Ähnlichkeit mit Sprache hat und daher nicht in die endgültige Äußerung „übersetzt“ werden kann. Wenn wir – was zur Zeit unmöglich erscheint – keine neurophysiologische Beschreibung geben können, müssen wir uns mit einer Erklärung des Verhaltens durch Herleitung aus der Konditionierungsgeschichte (auf der Grundlage ererbter Verhaltensanteile) begnügen.
Die Analyse von „Auffordern“ zeigt übrigens, daß seit einem Vierteljahrhundert keinerlei Fortschritt mehr erzielt worden ist; es bleibt bei der alltagsnahen begrifflichen Analyse, ohne eindringende Verifikation an wirklichen Vorgängen. Was hat das Ganze mit Psychologie zu tun, wenn es die Philosophen, Rhetoriker und Juristen genauso gut können? (Die juristische Rhetorik hat die frühesten und bis heute kaum überholten Handlungsanalysen erarbeitet.)
Wo das „Meinen“ ins Spiel kommt (besonders im Zusammenhang mit dem Pars-pro-toto-Prinzip), hätte unbedingt gefragt werden müssen, was dieses Meinen eigentlich ist: ein weiteres Verhalten, das der Herleitung bedarf? Auf keinen Fall läßt sich „Meinen“ in ein realistisch zu deutendes Verlaufsmodell der Aktualgenese einbauen.
Man muß dem Modell vorwerfen, daß es sich weder um einheitliche Modellierung von sprachlichem und nichtsprachlichem Verhalten bemüht noch eine Verbindung von menschlichem und tierischem Verhalten herstellt.
Diese Art von Psychologie siedelt sich in einem Niemandsland zwischen dem Verhalten und dem physiologischen Geschehen an, aber dort ist immer weniger zu holen. Sie nutzt den Reichtum der Alltagserfahrung (folk psychology) und kann dadurch noch für eine Weile verbergen, wie wenig sie selbst beizusteuern vermag. Aber ich fürchte, das wird nicht mehr lange gutgehen. Man wird die „Zentrale Kontrolle“ so wenig finden wie die „Propositionen“ – und was dann? Die Auskunft, es seien ja ohnehin nur „Konstrukte“ und keine „hypothetischen Einheiten“ gewesen, wird keinen großen Eindruck machen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2018 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38741

"Wir benutzen Kategorien, um Gruppen von Objekten oder Ereignissen wie etwa Hunde, Vögel, Junggesellen, Autos, Computer, Geburtstage, Kriege, aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten zusammenzufassen. Kategorien können konkrete Objekte wie etwa Pflanzen bezeichnen, sie können sich aber auch auf abstrakte Gebilde wie zum Beispiel Demokratie beziehen. Wir können auch Kategorien kombinieren, um so zu einer schier endlosen Zahl neuer Kategorien zu kommen wie etwa Tennisbälle, Autoreparaturen, Haustiere oder Internetkaufhäuser." (Jochen Müsseler/Wolfgang Prinz (Hg.): Allgemeine Psychologie. Heidelberg, Berlin 2002:434; auch https://www.psych.uni-goettingen.de/de/cognition/publikationen-dateien-waldmann/2002_kategorisierung.pdf)

Was bedeutet das alles? Wieso bezeichnen Kategorien etwas, sind es Wörter? Ist bezeichnen und sich beziehen dasselbe? Warum wird nicht einfach gesagt, daß Organismen auf ähnliche Reize ähnlich reagieren? (Das Reagieren auf sprachliche Reize wie Demokratie ist, wie überhaupt Sprache, besonders zu erklären.) Eine Kategorie, die sich irgendwie auf ein „abstraktes Gebilde bezieht“, ist nicht nötig und verrätselt den Sachverhalt nur – abgesehen davon, daß die Einteilung der Objekte in konkrete und abstrakte auch problematisch ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2018 um 04.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38709

Es kommt darauf an, die wirklichen Vorgänge durchgehend in Verhaltensbegriffen zu beschreiben. Wenn die Autoren hier von "product" sprechen, ist es etwas anderes als die ausführlich kritisierte undurchschaute Produktmetapher. Das Sprachverhalten ist freilich das "Resultat", also die letzte Phase der Aktualgenese, in deren Verlauf die von den Autoren erwähnten steuernden Faktoren einwirken.

Im Heringer-Zitat ging es mir um den Begriff der "direkten Kommunikation" – also einer Verständigung ohne ein Stück Sprachverhalten i.w.S.; ich kann mir darunter nichts vorstellen. Darum scheint mir auch der Gegenbegriff, also die Indirektheit der Kommunkation vermittelst eines "Texte", nicht sinnvoll.
 
 

Kommentar von D. P., verfaßt am 08.05.2018 um 22.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38708

Palmer/Donahoe: Essentialism and Selectionism in Cognitive Science and Behavior Analysis (1992)

When spoken, a verbal expression is a response, to be understood as a product of the current situation, the organism, and a particular selection history. We may be reading the expression from a book, solving an anagram, repeating what someone else has said, alerting our listener to some state of affairs, recalling an anecdote, reciting a famous quotation. We provide a meaning of the utterance by considering such variables, along with the past experience of the speaker; the topography of the response need not be considered. For the listener, bringing a different history to bear, the meaning is different. For him, the utterance is not a response but a stimulus, and meaning is to be sought partly in his experience with elements of the class exemplified by that stimulus.

Ist das etwas grundlegend anderes? Klar muss man nicht alles, was einem an Sprache unterkommt, gleich zum Text machen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2018 um 08.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38691

"Es gibt keine direkte Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer. Die Verbindung ergibt sich über den Text. Aber auch der Text allein enthält noch kein Verständnis. Er ist totes Material, das erst durch das Wissen der Sprachteilhaber zum Zeichen mit Sinn wird."
(Hans Jürgen Heringer)

Was soll man sich denn unter "direkter Kommunikation" vorstellen? Und der tote "Text" ist ein Artefakt. Es wäre gut, solche Mystifikationen zurückzubauen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.04.2018 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38471

Das Kind lernt, nicht alles auszusprechen, sondern sich manches nur zu "denken". So kommt es zum "stummen" oder "verdeckten" (covert) Sprechen. Das ist im Grunde ein Fall von Verstellung, man setzt sozusagen ein Pokergesicht auf. Das ist auch einer der Gründe, warum man Denken grammatisch und orthographisch wie Sprechen konsntruiert.

Psychologen theoretisieren es dann wieder und fragen sich, wie "Mindreading" oder "social cognition" möglich ist. Das ist aber der falsche Ansatz. (Übrigens die alte Diskussion um das "Fremdseelische", die man in der anglophonen Kognitionspsychologie nicht mehr zu kennen scheint, wie so manches andere.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2018 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38238

Der Streit darüber, ob die homerischen Helden eigene Entscheidungen treffen (Bruno Snell und Kritiker), hat etwas Müßiges. Warum fleht eine Delegation von Griechen den Achill an, warum zürnt Achill dem Agamemnon? Wer ist wem dankbar? Die Interaktion der Menschen ist nicht so verschieden von unserer heutigen. Man vergleiche die Szene zwischen Priamos und Achill; sie zeigt kein „Menschenbild“, das nicht auch in einem heutigen Text sofort nachvollziehbar wäre. Auch sonst sind die menschlichen (und übrigens auch die göttlichen!) Handlungen uns vollkommen verständlich. Das ist viel wichtiger als die Zusammenstellung einzelner Vokabeln und Vokabellücken. Es geht um die gattungsspezifische Darstellung von Motiven. Mehr als die Hälfte der Ilias ist wörtliche Rede.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2018 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38237

That we already know what a person is and what thinking, remembering, imagining and perceiving are is manifest, not in our grasp of any theory which could compete with theories propounded in science or philosophy, but in our competence in using a shared language of mentality in the ordinary circumstances of life. That we are competent users of this language is a presupposition of the cognitive sciences; if we were not we would have no idea at all of what there is for a neuroscience or a cognitive science to achieve, for we would not be able to say what the point of these forms of inquiry is. (Jonathan Trigg/Michael Kalish: „Explaining how the mind works: on the relation between cognitive science and philosophy“. Topics in Cognitive Science 3, 2011:399-424, S. 405)

Gut gesagt. Ich stelle es meistens so dar: Die Folk psychology ist keine Erkenntnis, sondern expliziert einfach die Geschäftsordnung einer entsprechend kultivierten Bildungssprache. Der vortheoretische Charakter macht sie auch so überzeugend, geradezu unwiderlegbar.
(down und http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1756-8765.2011.01142.x/pdf)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2018 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38236

Psychological observation is observation by each man of his own experience, of mental processes which lie open to him but to no one else. (Titchener 1898)

Ich kann natürlich nicht wissen, wie es Ihnen geht, aber von mir selbst muß ich sagen, daß ich solche Dinge in mir nicht "beobachte". Es stimmt, daß ich Auskünfte geben kann, die kein anderer geben kann, aber von "Beobachtung" würde ich nicht sprechen, ja schon daß es Auskünfte "über" etwas sind, scheint mir irgendwie schief ausgedrückt. Es sind eher so eine Art Bekundungen; mir fehlt ein Wort dafür (nicht zufällig). Im Augenblick zum Beispiel, nach einer dreistündigen Wanderung und einem reichlichen Mittagessen, bin ich etwas schläfrig und nicht zu großen Geistesflügen imstande, aber das "beobachte" ich eigentlich nicht. Weiß ich wenigstens, daß ich in diesem Zustand bin? Muß ich wohl, obwohl es mir eine leere Zusatzbehauptung zu sein scheint. Ist es ein mentaler oder ein körperlicher Zustand? Beides oder keines von beiden. Es paßt hinten und vorn nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2018 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38115

Alan Costall hat die übliche historische Selbstdarstellung der Psychologie als Legendenbildung kritisiert: "Introspectionism" and the mythical origins of scientific psychology, Consciousness and Cognition 15 (2006) 634–654. (https://pdfs.semanticscholar.org/7f59/a724a9ba2c11a3cd816d5d21033ca03f974f.pdf)

Zu Titchener usw. vgl. schon http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#24409

Das kommt mir nicht so neu vor, ist aber lesenswert.

Tierzucht war schon immer darwinistisch, Erziehung war schon immer behavioristisch. Man mußte bloß noch die angewandten Grundsätze aussprechen, dann hatte man die Philosophie zur Praxis.

Costall hat auch die Unterstellung einer „Theory of mind“ und damit die Entwicklungspsychologie nach Art Tomasellos grundsätzlich in Frage gestellt: Alan Costall/Ivan Leudar: Getting over “the problem of other minds”: Communication in context. Infant Behavior & Development 30 (2007) 289–295. (http://www.leudar.com/pdfs/theoretical%20&%20historical%20papers/2007%20IBD%20costal&leudar.pdf)

Auch das ist richtig. Unter Kritikern ist längst bekannt, daß man die naive Psychologie als Teil der Lebenspraxis (Verständigungsmittel) und nicht als „Theorie“ ansehen sollte. Der Säugling hat keine Theorie in irgendeinem vernünftigen Sinn des Wortes, und Tiere, denen man es unterstellt, erst recht nicht. (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#26973) Es ist aber gut, einmal auszusprechen, daß große Teile der einschlägigen Literatur einfach Unsinn sind.

(Diese Kritik ist von Wittgenstein vorbereitet, von Peter Hacker systematisiert worden, ebenso von einer anderen Seite kommend Skinner.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2018 um 04.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38045

Ich mache absichtlich einen neuen Eintrag auf, um ein altes wissenschaftstheoretisches Problem auf den Tisch zu legen.

Ein Indogermanist schrieb einmal:

Wenn die "Laryngale" hingegen aus Gründen einer konsistenten Systembeschreibung als Hilfsmittel der Beschreibungssprache eingeführt werden, ohne daß damit ihre Existenz in der Objektsprache behauptet wird, ist dies ein durchaus zulässiges Verfahren. (Erich Neu: "Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft". In: Grundzüge der Sprach- und Literaturwissenschaft I: Sprachwissenschaft:318)

Was soll das heißen? Sind die Laryngale dann Notationsmittel, um Lautentsprechungen auszudrücken? Und wenn durch neue Funde positiv bewiesen wäre, daß das Idg. keine Laryngale hatte, wäre die Beschreibung des "Systems" immer noch mit Laryngalen leichter, sie könnten also beibehalten werden, wenn die Konsistenz- und Systemforderung über den wirklichen Befund gestellt werden soll. Das postulierte System siegt über die Rekonstruktion der Tatsachen. – Andere Indogermanisten (wie Szemereny) bestehen demgegenüber auf "Realismus".

Man könnte als Parallele andere Fiktionen anführen, wie z. B. hier erörtert: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1432#33587
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=802#13748 (Planimeter und Bienen)
und hier:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#28089
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#30567

Skinner würde vermutlich sagen: Erklärungen mit Hilfe solcher Fiktionen erklären in Wirklichkeit nichts. Man macht sich nur etwas vor. Natürlich klingt es plausibel, daß der Taxifahrer eine "mental map" der Stadt im Kopf hat (im Hippocampus – hahaha!), aber wer liest diese Karte? (Kartenlesen muß gelernt sein.) Der Homunkulus muß sich ähnlich verhalten wie ein Mensch (homo), und das muß ebenfalls erklärt werden usw. – Zirkel oder infiniter Regreß, das hat uns gerade noch gefehlt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2018 um 04.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38044

Lieber Herr Riemer, Sie begehen keinen Denkfehler, sondern stecken aus meiner Sicht voll und ganz in einer herkömmlichen und auch bewährten Tradition des Denkens oder Sprechens, und innerhalb dieser Begrifflichkeit haben Sie ganz recht: ohne Speicherung kein Wissen usw.
Ich traue mir auch nicht zu, hier die ganze Begriffskritik zu wiederholen, die gegen "Wissen" und ähnliche traditionelle, im Alltag durchaus funktionierende volkspsychologische Konstrukte aufgefahren werden muß. Meine eigene Kritik ist über Dutzende von Eintragungen verstreut.
Ich habe natürlich nach meiner eigenen "Bekehrung" sehr oft die Erfahrung gemacht, daß auch Engelszungen nicht ausreichen, die traditionelle mentalistische Psychologie aus den Angeln zu heben. Ich habe es mit meinen beiden Aufsätzen in "Sprache & Kognition" versucht, dazu mit der Rezension zu Herrmann/Grabowski ebd. – Skinner war sicher oft perplex, weil man nicht verstand, was er sonnenklar darzulegen gemeint hatte. Aber vielleicht lesen Sie einmal (wenn Sie es nicht schon getan haben) sein reifes Buch "About Behaviorism" (auch auf dt.: "Was ist Behaviorismus"), das meiner Ansicht nach die beste Zusammenfassung ist.
Skinner steht, wie man längst bemerkt hat, dem späten Wittgenstein nahe und damit der Ordinary-Language-Philosophie. "Wissen" usw. sind alltagstaugliche Begriffe (gehören dem "Vernacular" an, das auch der Behaviorist im Alltag gebraucht), aber sie sind nicht wissenschaftsfähig.
Ohne Speicherung kein Wissen? Der Organismus verändert sich durch Lernen, so daß er sich dann anders verhält. Aber das "Speicherung" zu nennen fügt nichts hinzu und führt nur in die Irre: Wo ist der Speicher, wer durchsucht ihn und wie? Und warum dauert die Suche nicht immer länger, je mehr "gespeichert" ist? Usw. Der radikale Behaviorismus macht ja keine neurologischen Aussagen, aber wenn etwas schon begrifflich nicht möglich ist, braucht man gar nicht erst nach seiner Realisierung im Medium von Nerven zu suchen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.03.2018 um 23.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38043

Die Neurologie kann die Einzelheiten so oder so (egal, ob von einem kognitiven oder behavioristischen Standpunkt) noch nicht genau erklären, aber es gibt doch etwas Grundlegendes, was schon vor dem Ansatz der Neurologie gesichert ist, zumindest von einem materialistischen Weltbild ausgehend:

Wissen ist Information, und Information kann überhaupt nur existieren, wenn sie auf einem materiellen Träger gespeichert ist.
Ohne Speicherung kann es gar kein Wissen geben.
Ich sage gar nichts über die Art des Speichers, außer daß er physischer Natur ist, Teil der materiellen Welt, entweder innerhalb des Gehirns oder auf anderen materiellen Datenträgern. Wo ist mein Denkfehler?

Ich habe den Eindruck gewonnen, daß der Behaviorismus etwas zwingend Notwendiges, nämlich die physische Speicherung von Bewußtseinsinhalten (Ideen, Wissen, Daten, Information) und die physische Speicherung unbewußter Bewegungsabläufe (Motorik, Reflexe) im Gehirn einfach so und ohne besseres Konzept ablehnt. Daß Neurologie und Psychologie bisher weder den Speicher noch den Zugriff auf Gespeichertes (Wissen und Reflexe) hinreichend erklären kann, rechtfertigt nicht, diese einzige und zwingende Voraussetzung einfach über Bord zu werfen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2018 um 18.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38038

Wie kommen Sie darauf, diesen Satz als Standpunkt bzw. Forschungsstand des Behaviorismus darzustellen? Ich habe doch nur gesagt, daß die Neurologie es bisher nicht erklären kann. Das sind ganz verschiedene Dinge. Auch ich glaube nicht an Wunder.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.03.2018 um 13.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38035

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21952:

"Die Neurologie kann [...] nicht erklären, wieso ich am Morgen weiß, wo ich abends meine Brille hingelegt habe."

Kognitivismus: Der Ort der Brille ist in einem mentalen Speicher enthalten.

Behaviorismus: "Das sind bis auf weiteres – Wunder."

Das ist genau mein Problem. Tut mir leid, aber an Wunder glaube ich nicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.03.2018 um 11.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38034

Wissen heißt, eine Tatsache kennen, ganz allgemein: eine bestimmte wahre Information besitzen.

Eine Information existiert nicht an sich, sie ist immer an einen materiellen Träger gebunden. Information ist eine bestimmte Struktur oder Ordnung von Materie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2018 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#38031

Wissen hat viele miteinander zusammenhängende Funktionen; eine davon ist diese:

Wenn jemand sagt: "Das weiß ich schon", dann wird man gewisse Aussagen nicht mehr machen. Das Kind lernt, dieselbe Geschichte demselben Adressaten nicht mehrmals zu erzählen. (Ausnahmen und Feinheiten klammere ich aus: Das Kind will dasselbe Märchen in genau derselben Fom immer wieder hören usw.)
Das ist offenbar ein wichtiger Faktor in der Steuerung von Gesprächen. Man kann es beschreiben, ohne von "theories of mind" Gebrauch zu machen. Das Kind stellt keine Hypothesen über den mentalen Zustand seines Gesprächspartners auf. Es lernt gewissermaßen bloß "Ne bis in idem!"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2018 um 14.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37945

Man könnte meinen, "Kognitionswissenschaft" sei etwas Neues, Modernes, so neu wie die Bezeichnung. Aber dann lesen wir bei Wikipedia:

Kognitionswissenschaft ist eine interdisziplinäre Wissenschaft zur Erforschung bewusster und potentiell bewusster Vorgänge (engl. science of the mind).
Gegenstand der Kognitionswissenschaft ist bewusstes und unbewusstes Erleben, das oft zwischen Sensorik und Motorik lokalisiert wird, sowie die Verarbeitungen von Information im Rahmen menschlichen Denkens und Entscheidens. Darunter fallen z. B. Wahrnehmung, Denken, Urteilen, Gedächtnis, Lernen und Sprache. Ihr Gegenstandsbereich ist nicht auf die Kognition eingeschränkt, sondern umfasst ebenso sehr Emotion, Motivation und Volition.


Nanu, das kennen wir doch? Es ist die vor gut 100 Jahren übliche Definition der Psychologie. Wundt bezeichnet als wahre Aufgabe der Psychologie die „Analyse der inneren Erfahrung“ (Logik 1, 4. Aufl. 1919:7) – "Erlebnis" war ein Grundbegriff.

"Mind is back!" Fürwahr!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2018 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37840

Blackwell Handbook of Child Cognitive Development. Oxford 2002

In Wirklichkeit geht es um die Entwicklung des kindlichen Verhaltens im Unterschied zur körperlichen Entwicklung. Die kognitivistische Mode fügt beinahe zwanghaft „cognitive“ ein. Der Psychologe kann sein theoretisches Konstrukt der „Kognition“ weiter ausbauen oder eben „entwickeln“, und so sollte man die Sache auch ausdrücken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2018 um 18.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37817

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37691

Auch Grüsser und Henn berichten, daß Affen ständig kaum wahrnehmbare Signale aussenden, die ihren sozialen Rang sichern. Schaltet man diese Aktivitäten durch Hirnelektroden herunter, dauert es nur Sekunden, bis die anderen Affen in ihr Territorium eindringen. (Michael Lohmann [Hg.]: Wohin führt die Biologie? München 1977:143)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2018 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37808

„Es scheint, daß Chomsky (wohl unbeabsichtigt) etwas sehr Zukunftsträchtiges auf der ersten Seite von Sprache und Geist aussprach, als er Linguisten zu Psychologen umfunktionierte.“ (Charles E. Osgood in: Helen Leuniger u. a., Hg.: Linguistik und Psychologie. Ein Reader. Frankfurt 1974:139)

Die kognitive Psychologie ist seither (wieder) eine rationalistische Psychologie am Leitfaden der Sprache. Da sie nicht-empirisch räsoniert, braucht man kein Studium der Psychologie. Germanisten schreiben unentwegt Bücher mit "kognitiv" im Titel. Ich kenne einige dieser Kollegen und kann mit Bestimmtheit sagen, daß sie rein gar nichts von Psychologie verstehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2018 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37691

Ich wollte sagen: Die Zoologen geben zu, daß sie das kommunikative Verhalten der höheren Tiere (Hunde, Affen) bisher nur teilweise erfaßt haben. Es ist eben schwer, in der Fülle der Bewegungen die bedeutsamen von den zufälligen und beiläufigen zu unterscheiden. Ich weiß nicht, wie weit der Erwerb der Geschicklichkeit von Hand und Fingern (um nur dies zu erwähnen) beim Säugling schon erfaßt ist. Die Möglichkeit der Aufzeichnung erlaubt eine Mikroanalyse. „Lernen am Erfolg“ (operante Konditionierung) findet täglich und stündlich statt, das kann man an den Fingerchen schon mit bloßem Auge erkennen. Dazu natürlich die unendliche vielfältige, schwerer zu beobachtende Entwicklung der Kommunikation mit den Erwachsenen. Allein schon die Entsprechungen zum "Wuff" des Hundes (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1587#37682)!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2018 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37690

„Children acquire language at breathtaking speed.“ (usw.) (Daniel Dennett: Kinds of minds. London 1997:195f.)

Diese vor allem von Chomsky und seiner Schule (zum Beweis eines „angeborenen Spracherwerbsmechanismus“) verbreitete Lehre ist haltlos, weil kein Vergleichsmaßstab angegeben ist. Wir haben auch längst nicht genau genug untersucht, wie schnell das Kind andere feinmotorische Leistungen erwirbt, darunter auch durchaus kommunikative. Wüßten wir mehr, würde uns das erste Wort kaum als so einschneidende Neuerung beeindrucken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2018 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37652

„Kohäsion liegt vor, wenn grammatisches Wissen verwendet wird, um einen Zusammenhang herzustellen.“ (Dudengrammatik 2005, S. 1072)

Das ist die zwanghafte Kognitivierung sprachlicher Tatsachen, der moderne Psychologismus, wie im ganzen Duden. Statt die Struktur der Sprache oder das beobachtbare Sprachverhalten darzustellen, weicht man ohne Umstände in das Konstrukt "Wissen" aus.

Es gibt unzählige Texte, die der Sprachbeschreibung ein "im Kopf", "im Gehirn" o. ä. hinzufügen ("brain porn"), wobei die Verfasser sich nicht einmal daran erinnern, daß sie weder Psychologie noch Neurologie studiert haben und selbst dann, wenn sie es hätten, buchstäblich nichts über die "Sprachverarbeitung" im Kopf wüßten.

Chomsky hat die radikale Psychologisierung der Linguistik durch Saussure fortgeführt, sogar als theoretisches Programm.

Vielen leuchtet dieser Psychologismus ein, weil er das Plausibilitätsreservoir der Volkspsychologie anzapft, die sich ihrerseits im täglichen Umgang bewährt hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2018 um 06.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37647

Der Geist, die Sprache des Geistes usw. sind Konstrukte, d. h. (bestenfalls nützliche) Fiktionen, nach denen man nicht "suchen" kann und die sich nicht empirisch nachweisen oder widerlegen lassen. In dieser Hinsicht ist der Vergleich mit dem Phlogiston verfehlt. Phlogiston war eine "hypothetische Einheit" (in den Begriffen Theo Herrmanns gesprochen), und wurde empirisch widerlegt. Sherrington leitete aus einer Strukturanalyse des Nervensystems die Existenz von Synapsen ab, und sie wurden später tatsächlich beobachtet, waren also hypothetische Einheiten. Eine angeborene Grammatik "im Kopf" ist ein Konstrukt, und nicht einmal ein nützliches (vgl. Roy Harris in "Mindwaves").
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2018 um 03.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37630

„The Language of Thought Hypothesis (LOTH) is an empirical thesis about thought and thinking.” (Murat Aydede in https://plato.stanford.edu/entries/language-thought/)

Wieso empirisch? Diese LOT kann ihrer Definition nach niemals entdeckt oder widerlegt werden, da sie – wie Denken – nur ein Konstrukt ist. Schlagende Widerlegung von Peter Hacker in Greenfield/Blakemore: "Mindwaves", dort auch Roy Harris.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2018 um 08.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37574

Von Introspektion halte ich nicht viel, aber wir können vielleicht ohne Risiko annehmen, daß jeder von uns (fast) ständig innerlich vor sich hin spricht, also sich etwa vorstellt, was er sagen wird oder gesagt hat und was der andere gesagt hat usw. Daher ja die alte Auffassung, daß Denken ein stummes Sprechen ist oder ein Dialog der Seele mit sich selbst (Platon).
Man hat auch den Eindruck, daß man dabei nicht alles normgerecht ausformuliert - wozu auch? Es gilt ja keinen anderen zu überzeugen. Es geht alles viel schneller, wenn man die dicken Lippen und die träge Zunge nicht bewegen muß.
Die Rede bildet sich wie jedes Verhalten allmählich heraus; die "Neuronenrepublik" stimmt nach und nach ab, und der stärkste Impuls gewinnt und "takes it all", alle Konkurrenten werden beiseite geschoben.
Manche Aphasieforscher meinen, daß bei Aphasie auch "Vorgestalten" der Rede durchbrechen.

Nun der nächste Schritt. Man kann annehmen, daß auch unfertige Impulse zwar nicht "bewußt" werden (ein anderer Ausdruck ihrer Unfertigkeit), aber trotzdem im Kopf Reaktionen steuern: Reafferenz ohne Muskeltätigkeit. Die konventionellen Kategorisierungen durch Sprache wären dann auch "unbewußt" wirksam. Konventionell heißt gesellschaftlich, kulturell.

Dieser Gedanke bereichert u. a. die Diskussion um "linguistische Relativität".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2017 um 04.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37354

"Ausgangspunkt eines Sprechaktes ist die Vorstellung oder der Gedanke, der hier zunächst sprachfrei konzipiert ist. Er wird übersetzt in Sprache, in ihr Regelsystem oder ihren Code." (Ute Schönpflug: Psychologie des Erst- und Zweitspracherwerbs. Stuttgart 1977:15)

Es gibt Hunderte von sehr ähnlichen Stellen in der einschlägigen Literatur. Das entspricht einer alten naiven Auffassung (erst weiß ich, was ich sagen will, dann sage ich es). Neu ist nur die technizistische Ausdrucksweise ("Code").

Wie kann man etwas übersetzen, was sprachfrei konzipiert ist? Sinnlose Wortemacherei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2017 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37353

In vielen Arbeiten über Spracherwerb heißt es, das Kind stehe vor einer "Spracherwerbsaufgabe" und befolge gewisse "Erwerbsstrategien" usw. – Das sind Indizien einer völlig falschen Sicht. So wird man Lernvorgänge niemals erforschen können. In der Biologie hat man die Teleologie mühsam überwunden (Evolutionslehre), in der Psychologie noch nicht. Das gilt für die Konditionierung ebenso wie für den einzelnen Sprechakt (Aktualgenese).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2017 um 17.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#37091

Kognitivisten nehmen ja für Wörter gern ein „mentales“ Lexikon an, sonst auch „propositionale Speicherung“. Aber was ist mit den motorischen Fertigkeiten (mit den „anderen motorischen Fertigkeiten“, will ich natürlich damit sagen)? Wie ist die Fähigkeit des Schwimmens oder Radfahrens „gespeichert“? Wie kommt es, daß jemand nach 40 Jahren noch ein Klavierstück spielen oder wenigstens in Kürze wiederauffrischen kann? Und wenn das nichts mit mentalem Lexikon und propositionaler Speicherung und „Regeln“ zu tun hat – warum sollte man die Sprechfertigkeit grundsätzlich anders modellieren? Die Ökonomie der Wissenschaft gebietet es, alle Verhaltensänderungen einheitlich zu erklären, und zwar möglichst so, daß auch das Lernen der anderen Tiere ins Modell paßt. Man wird doch wohl nicht annehmen, daß das ZNS bei Menschen und Schimpansen grundsätzlich ganz verschieden arbeitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2017 um 17.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#36262

Vor einigen Jahren staunte man ja nicht wenig, als Kollegen, die man zu kennen glaubte und die ganz brav über englische Adverbien usw. geschrieben hatte, plötzlich Einführungen in die "kognitive Linguistik" veröffentlichten, als seien sie über Nacht Psychologen geworden. Heute schreibt jeder so, "kognitiv" ist ein bedeutungsloses Beiwort geworden, weil Linguistik durch Chomsky als Teil der "kognitiven Psychologie" definiert worden ist. Es hat also nichts Unterscheidendes mehr, ich bin wohl auch Kognitionsforscher, ohne es zu wissen und zu wollen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2017 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#36259

Skinner hat einmal die Scholastiker als die Kognitivisten des Mittelalters bezeichnet. (Recent Issues S. 44)

Umgekehrt sind also die heutigen Kognitivisten die Fortsetzer scholastischen Denkens. Logizismus, rationalistische Psychologie.

Chomsky würde zustimmen. Hinzugekommen ist bei einem Teil nur die neurologische Verkleidung, also brain statt mind. Aber gerade das scheint durch Chomskys Umdeutung legitimiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2017 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#35972

Kindersprache wird oft als Beleg herangezogen, daß Syntax sich stufenweise entwickeln kann und eine rudimentäre „Protolanguage“ (Bickerton) menschheitsgeschichtlich und/oder phylogenetisch denkbar ist. Das mag sein, aber Kindersprache ist kein gutes Modell. Sie ist nicht autonom, „entwickelt“ sich nicht, sondern das Kind entwickelt die Aneignung der Erwachsenensprache, aus der das gesamte Material stammt. Die Aneignung erfolgt in Stufen, die jeweils eine einigermaßen funktionierende Gesamtheit von Verhaltensgewohnheiten bilden. „Spracherwerb“ ist treffender als „Sprachentwicklung“. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Konditionierung der Teile mit einer formalen Veränderung einhergeht, also nicht ganz auf Nachahmung beruht; insofern trifft auch „Erwerb“ nicht ganz zu.
Der "Input" der Erwachsenen besteht teils im Liefern von Mustern, teils in Reinforcement; zusammengenommen also "Shaping", bis das Kind ebenso spricht wie der Erwachsene.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2017 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#34878

"Fragen der strukturellen Syntax und der kontrastiven Grammatik", vom IDS 1971 herausgegeben.
Damals bemühten sich fast alle darum, bekannte Tatsachen der deutschen Grammatik in die Notation der generativen Transformationsgrammatik (wie sie damals hieß) zu bringen. Ob sie auf dem Stand der Technik, d. h. Chomskys waren, kann ich nicht sagen, denn ich hatte schon zwei Jahre vorher aufgehört, sie ernst zu nehmen. Aber die Beflissenheit hat aus heutiger Sicht etwas Rührendes. So viel Aufwand mit so wenig Ertrag!
Es stehen auch ein paar andere Stücke drin, das bewahrt den Band vor der Tonne.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2016 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#34032

Zum vorigen:

"Wir haben im Vorhergehenden schon die Grenzen des sogenannten einfachen Satzes überschritten und in das Gebiet des zusammengesetzten hinübergegriffen. Es zeigt sich eben bei wirklich historischer und psychologischer Betrachtung, dass diese Scheidung gar nicht aufrecht erhalten werden kann. Sie beruht auf der Voraussetzung, dass das Vorhandensein eines Verb. fin. das eigentliche Charakteristikum des Satzes sei, einer Ansicht, die auf viele Sprachen und Epochen gar nicht anwendbar ist, für keine ganz zutrifft. Wo die deutliche Ausprägung eines Verb. fin. fehlt, fällt auch die Scheidung zwischen einfachem und zusammengesetztem Satze in dem gewöhnlichen Sinne fort." (Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte. 5. Aufl. § 100 [Text im Netz!])
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2016 um 04.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#33941

„Assertion (von lat. assertio, Behauptung) ist ein Terminus der Sprachwissenschaft und der Logik. Er steht für eine bestimmte Behauptung, Versicherung, Feststellung. Das zugehörige Adjektiv lautet assertorisch, also feststellend oder behauptend.“ (Wikipedia)
(Wieso für eine „bestimmte“?)

Die rationale Grammatik hat die Assertion immer durch ein Zeichen, die versteckte Kopula, ausgedrückt wissen wollen. Daher auch heute noch der INFL-Knoten der Generativisten sogar in nichtflektierenden Sprachen. Die Chinesen flektieren im Grunde (in der Tiefenstruktur) genau wie die englischsprachigen Amerikaner, sie wissen es nur nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2015 um 07.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#30822

Während Anna Wierzbickas Natürliche Semantische Metasprache ein nützliches Hilfsmittel der semantischen Analyse ist, hat die Erfinderin sie von Anfang an auch in realistischer oder, wie man sagen könnte, metaphysischer Deutung verwendet: als eine „Sprache des Geistes“ (lingua mentalis, nach Leibniz). Diese unterstellt sie nun auch dem Schimpansen, der als ein denkendes, wahrnehmendes und wollendes Wesen angesehen wird. Er denkt in Begriffen, deren Äquivalent Ausdrücke in NSM sein sollen.

Das sieht so aus:

mother chimp dipping for honey with a stick
when the big chimp sees this tree in this place it does something because it thinks like this:
„there is something good inside this tree in one place
if I do something to this tree in this place with something long,
this good thing can be on this long thing
after this, it can be inside my mouth
I want this“ (161)

Anschließend bringt die Schimpansin es in ähnlicher Weise ihrem Sohn bei.

Es ist nicht klar, wie aus dieser inneren Sprache das Verhalten hervorgehen soll. Wer spricht mit wem, wer beauftragt oder steuert den Körper? Es ist die sprachgebundene, also unerkannt soziomorphe Rekonstruktion des Verhaltens. Alles, was man gegen die "Language of thought" vorgebracht hat, gilt auch hier. Wo soll das enden? Die schon besprochene Wüstenameise läßt sich auch mit einer Sprache des Geistes ausstatten, warum nicht auch die Bohnenranke und schließlich Schopenhauers Stein, der hochfliegt, solange er Lust hat, und dann beschließt, wieder zur Erde zu fallen?

Unterstellungen, die nicht widerlegbar sind, außer begriffskritisch, die uns aber nicht weiterbringen und daher überflüssig und schädlich sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2015 um 16.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#30557

Noch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26805

Russos Kritik an Snell:

"Just as this tradition made its own specialized language, distinct from that of everyday speech, so it made its own imaginary construct of how the psychic apparatus functioned. How daily prose speech, and intelligent Greeks contemporary with Homer, might have described their psychic apparatus and its decision-making we will never know; but it was most likely not in the language of the frequent proddings of thumos, kradie, menos, etor, etc., the intervention of Athena, Ares, Aphrodite, Artemis and their kin, and Zeus intervening regularly to take away people’s wits and/or send them omens."

Arbogast Schmitt, den er auch schon erwähnt, hat seither noch diesen bemerkenswerten Aufsatz veröffentlicht: "Vom Gliedergefüge zum handelnden Menschen. Snells entwicklungsgeschichtliche Homerdeutung und ein mögliches Homerbild heute" (In: Michael Meier-Brügger, Michael, hg.: Homer, gedeutet durch ein großes Lexikon.
Akten des Hamburger Kolloquiums vom 6.-8. Oktober 2010 zum Abschluss des Lexikons des frühgriechischen Epos. Berlin 2012. - Herunterladbar)


Versucht man, wie Snell, das Welt- und Menschenbild der alten Griechen aus ihrem Wortschatz zu rekonstruieren, kommen sie einem unüberbrückbar fremd vor. Ganz anders, wenn man sich an die homerischen Epen in ihrem Zusammenhang hält. Das Verhalten der Menschen und sogar der Götter ist uns überhaupt nicht fremd, sondern vollkommen verständlich. Der Ehrbegriff der alten Adelsgesellschaft ist zwar nicht ganz der unsere, aber jeden Augenblick nachvollziehbar. Die berühmten ergreifenden Stellen, Hektors Abschied, Priamos und Achill usw. sind über die Zeiten hin niemals etwas anderes als allgemein-menschlich gewesen, darum lesen die Leute das immer noch gern. Was macht es also aus, daß die folkpsychologischen Konstrukte nicht Punkt für Punkt deckungsgleich sind? Die Unterschiede heute zum Beispiel zwischen Menschen, die an Götter glauben, und solchen, die nicht daran glauben, ist größer.
Dasselbe gilt für die bildende Kunst. Griechische Vasenbilder, die für Snell so wichtige Zeugen sind, unterliegen zunächst den Stilgewohnheiten ihrer Zeit und sagen nichts darüber, wie die Griechen den Menschen „gesehen“ haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2015 um 05.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#30420

Chomsky hat die Linguistik zu einem Teilgebiet der Psychologie erklärt, so daß von da an zahllose Linguisten sich ohne jedes Psychologiestudium als kognitive Psychologen verstehen konnten. (In Wirklichkeit nichtempirische rationale Psychologen der schlechten europäischen Tradition.) Der nächste Schritt besteht darin, die Metapher von den Modulen im Gehirn wörtlich zu nehmen, und dann schreibt man als Linguist Bücher über "cognitive physiology" (wie David Lightfoot).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2014 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#27177

"Wenn zwei Begriffe in unserem Gedächtnis aktiviert werden, haben wir einen unmittelbaren Eindruck von ihrer Zusammengehörigkeit: Tasse und Henkel, Winter und Schnee, Amsel und Drossel." (Joachim Hoffmann: "Wird Wissen in Begriffen repräsentiert?" Sprache &K Kognition7/1988:193-204, S. 196f.)

So oder ähnlich liest man es tausendfach in der kognitivistischen Literatur. Der Kategorienfehler wird nicht bemerkt. Aktiviert werden Nerven oder Synapsen, aber "Begriff" ist ein Konstrukt aus der Logik. Es geht einfach darum, daß mir "Henkel" einfällt, wenn ich an Tassen denke, und "Amsel" und "Drossel" hängen in der bekannten Weise aus den bekannten Gründen zusammen. Mehr weiß der Psychologe auch nicht, der Rest ist pseudowissenschaftliches Gerede.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2014 um 12.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#27081

Bourdieu meinte, die Soziologie könne sich nicht der gewöhnlichen Sprache bedienen, weil diese eine Ideologie transportiere, die es ihren Sprechern unmöglich mache, die eigenen Lebensbedingungen kritisch zu analysieren. Also eine Version der „linguistischen Relativität“ (Humboldt-Sapir-Whorf). Michael Billig wendet zuerst ein, daß Bourdieu diese sprachimmanente Ideologie nie expliziert habe. Welche sollte es auch sein, wo doch die wirklichen Menschen so vielfältig reden? Die „Sprache“ ist eine Abstraktion, kein tätiges Wesen. Wichtiger ist der Einwand, daß jeder schon durch die Möglichkeit der Negation eine etwa von der Sprache nahegelegte Ideologie bestreiten könne. Auch der Atheist versteht und benutzt das Wort „Gott“, aber nur um zu sagen, daß er nicht an Götter glaube oder daß es keine Götter gebe (oder floskelhaftes „Gott sei Dank“...).
Ich sehe noch eine große Anzahl von Ausdrucksweisen, die tatsächlich eine spracheigene Ideologie vermitteln, aber auf andere Weise überwindbar sind. Die mentalistischen Ausdrücke wie „Bewußtsein“ oder auch die Modalverben und Finalsätze gehören zur Sprache, und man kann nicht sinnvoll sagen: „Ich habe kein Bewußtsein.“ Daraus folgt aber kein Bekenntnis zur Existenz von Bewußtsein, denn es handelt sich nicht um eine Tatsachenaussage wie im Falle der Leugnung Gottes. Vielmehr wird damit nur exemplarisch der Gebrauch der mentalistischen Allgemeinsprache bestätigt. Das Heraustreten geschieht durch naturalistische Rekonstruktion (s. „Naturalisierung der Intentionalität“). Sonst wäre der Behaviorismus aus sprachlichen Gründen nicht möglich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2014 um 15.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26808

Dazu hier:

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1581#24226

Interessant ist noch die Beobachtung, daß anscheinend nicht jede Kultur das Wissen als ein Gesehenhaben aufgefaßt hat. Auch Gehörthaben kann das Vorbild werden. Weiteres hier:

http://www.atlantisjournal.org/ARCHIVE/30.1/2008Ibarretxe-Antunnano.pdf
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.09.2014 um 12.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26805

Gemein-indogermanisch ist wissen das Perfekt oder auch die perfektive Form zum imperfektiven Präsens sehen.
Im Altgriechischen oida ich weiß zu eidoo ich sehe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2014 um 07.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26802

Snell hat natürlich jede Menge Kritik hervorgerufen. Die wichtigsten Arbeiten sind zitiert in einem ausgezeichneten Aufsatz von Joseph Russo: http://www.yale.edu/classics/downloads/parry/Rethinking_Homeric%20_Psychology.pdf
Ein wenig Griechischkenntnis macht die Lektüre noch erfreulicher, aber es geht auch ohne.
Russo geht am Ende auch auf die Sapir-Whorf-These und Guy Deutscher ein, was für uns hier besonders interessant ist.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 20.09.2014 um 00.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26800

Das stimmt nicht. Laut Merriam-Webster gibt es alle drei Bedeutungen auch im Englischen. Danach ist die Bedeutung "schnell" allerdings veraltet - genauso wie im Französischen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.09.2014 um 22.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26798

Betr.: diligent, diligence
Für englische hard words ist es typisch, daß sie nicht alle Bedeutungen aus der Ursprungssprache übernommen haben. Im Französischen, Italienischen, Spanischen hat das Wort zusätzlich die Bedeutung fleißig, schnell und Postkutsche.
Zu letzterer gibt es den schönen französischen Chanson "La petite diligence" von André Claveau, gesungen 1966 von Jacqueline Robert. Der fiel mir dazu als erstes ein.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 19.09.2014 um 14.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26794

Früher gab es auch bei uns eine Diligence. Das war allerdings eine schnellfahrende (und gut gepolsterte) Postkutsche.
Ein auch schon etwas bärtiger Witz von "Wörter und Sachen": Die alten Indogermanen (wer immer das war) hatten anscheinend keine Nieren oder wußten zumindest nichts davon, denn man hat kein indogermanisches Stammwort ausfindig machen können.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.09.2014 um 14.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26793

Snell hätte gleich noch ein »jetzt kommt's!« einschalten können, wie das manche Leute tun, wenn sie etwas besonders Bemerkenswertes zu sagen zu haben glauben.

Im Deutschen gibt es keine Entsprechung für das englische diligence, das sowohl Fleiß als auch Sorgfalt bedeutet. Also wissen die Deutschen wohl nicht, wie man zugleich fleißig und sorgfältig ist; sie sind ja auch in aller Welt als faul und schlampig bekannt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2014 um 12.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26792

Bruno Snell legt dar, daß die homerischen Griechen kein Verb hatten, das unserem sehen genau entspricht. Stattdessen hatten sie zahlreiche Verben für besondere Weisen des Sehens (Troponyme, wie man heute sagt): schauen, starren, glotzen usw.
Diese Troponyme sind allerdings wahrscheinlich teilweise ein Artefakt der Übersetzungsmethode. Snell übersieht die Neutralisierbarkeit. Nicht alle Vorkommen der speziellen Verben drücken immer auch eine spezielle Bedeutung aus. Snell resümiert:

Selbstverständlich dienten auch den homerischen Menschen die Augen wesentlich zum „Sehen", das heißt, optische Wahrnehmungen zu machen; aber eben dies, was wir mit Recht als die eigentliche Funktion, als das „Sachliche" des Sehens auffassen, war ihnen offenbar nicht das Wesentliche — ja, wenn sie kein Wort dafür hatten, existierte es für ihr Bewußtsein nicht. In diesem Sinne kann man also sagen, daß sie ein Sehen noch nicht kannten oder, um es vollends paradox und provozierend zu formulieren und damit das hier vorliegende Problem ganz scharf ins Auge zu fassen, daß sie noch nicht sehen konnten.(Bruno Snell: Die Entdeckung des Geistes. 9. Aufl. Göttingen 2011:16)

Die paradoxe und provozierende Zuspitzung verdunkelt das Problem. Es gibt ja noch andere Reaktionen als die sprachlichen. Ähnlich argumentiert Snell, daß die alten Griechen noch keinen Körper hatten, weil sie ihn nicht mit einem Wort bezeichneten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2014 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26524

In den Supermärkten sind viele tausend Gegenstände so angeordnet, daß ein geübter Nutzer sie im großen und ganzen ohne Wegweiser findet, auch in den Häusern anderer Unternehmen. Das ist auch eine große Kategorisierungsleistung. Die Abhängigkeit von der jeweiligen Kultur ist wohl noch nicht untersucht; erschwerend dürfte die globale Amerikanisierung wirken. Als ich zum erstenmal in einem chinesischen Kaufhaus war, kam mir vieles fremdartig vor (nicht nur die tief schlafenden Kassiererinnen und die streckenweise fast leeren Regale - es war 1986).
Im Drogeriemarkt Müller findet man Kaffeefilter im ersten Stock bei den Haushaltswaren in der Nähe von Staubsaugerbeuteln, Spülbürsten usw., Teefilter hingegen im Parterre bei den Tees und anderen Lebensmitteln; das war schon immer so und stürzt mich alle paar Monate in eine Sinnkrise.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2014 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#26063

Die Rußlandkorrespondentin der FAZ meint, die Russen betrachteten aufgrund langer Tradition Besitz als etwas immer nur von der Staatsmacht Zugewiesenes. Das zeige sich auch im Fehlen eines Verbs für "haben", das durch die Konstruktion ersetzt werde, etwas sei bei jemandem.

Nun, die sogenannte "Possessivität" wird in den Sprachen der Welt auf sehr viele verschiedene Weisen ausgedrückt. Es dürfte schwer fallen, dahinter jeweils entsprechende kulturelle oder politische Traditionen auszumachen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2014 um 06.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#25216

Das Hauptinteresse wendete sich auf die Syntax. Doch geschah das nicht etwa in dem Sinne, dass die Tatsachen des Sprachgebrauchs gesammelt worden wären.Man forschte vielmehr nach den im Satze enthaltenen Begriffen. 'Die Grammatik war nicht mehr die Kunst, richtig zu sprechen und zu schreiben. Sie war eine rein spekulative Wissenschaft geworden, welche nicht darauf ausging, die Tatsachen vorzulegen, sondern aus den letzten Prinzipien zu erklären.' Wenn es denn (so kann man weiter im Sinne dieser Denker reflektieren) bei der Sprache wesentlich auf die Begriffe, die Gedanken, das Innere ankommt, so ist die äussere Erscheinung der Sprachen eigentlich gleichgültig. Und so konnte die Frage auftauchen, ob nicht alle Sprachen im Grunde genommen gleich wären, und mit ja beantwortet werden.

Der Kenner wird diesen schönen Rückblick auf Chomsky und seine Schule zu würdigen wissen. In Wirklichkeit stammt der Text von Berthold Delbrück, wurde 1893 veröffentlicht und bezieht sich auf die Scholastik des hohen Mittelalters. Hier noch einmal vollständig und mit dem verräterischen th:

In der Zeit, welche für uns in betracht kommt, vom 12. Jahrhundert an, herrschte in dem grössten Theile von Europa eine Gleichheit der Bildung, von der wir uns heutzutage schwer eine Vorstellung machen können. Den Inhalt der Gedanken bestimmte die Kirche, das Rüstzeug zur Bearbeitung entnahm man dem Aristotelischen Organon (welches hauptsächlich durch die Übersetzung des Boethius bekannt wurde), die Sprache war die lateinische, die überall auf gleiche Weise gelehrt wurde. Das Doctrinale des Alexander de Villa Dei (anfang des 13. Jahrhunderts) wurde in den Schulen diktiert, auswendig gelernt und kommentiert zu Paris, Oxford, Prag, Breslau und Bologna. Natürlich, dass man auf die Formenlehre, welche den Knaben eingebläut wurde, keinen besondern Werth legte (dieser Theil der Grammatik ist ja erst durch die vergleichende Sprachkunde zu rechtem Ansehn gekommen); das Hauptinteresse wendete sich auf die Syntax. Studium grammaticorum praecipue circa constructionem versatur, sagt ein Grammatiker des 13. Jahrhunderts. Doch geschah das nicht etwa in dem Sinne, dass die Thatsachen des Sprachgebrauchs gesammelt worden wären. Eine solche Arbeit lag dem nach innen gekehrten Zeitalter fern. Man forschte vielmehr nach den im Satze enthaltenen Begriffen. 'Die Grammatik war nicht mehr die Kunst, richtig zu sprechen und zu schreiben. Sie war eine rein spekulative Wissenschaft geworden, welche nicht darauf ausging, die Thatsachen vorzulegen, sondern aus den letzten Prinzipien zu erklären.' Wenn es denn (so kann man weiter im Sinne dieser Denker reflektieren) bei der Sprache wesentlich auf die Begriffe, die Gedanken, das Innere ankommt, so ist die äussere Erscheinung der Sprachen eigentlich gleichgültig. Und so konnte die Frage auftauchen, ob nicht alle Sprachen im Grunde genommen gleich wären, und mit ja beantwortet werden. (Berthold Delbrück: Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen. 1. Teil. Straßburg 1893)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2013 um 07.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#24400

John Searle zum Beispiel bejubelt die "Wiederentdeckung des Geistes", und Hunderttausende von Philosophen, Psychologen, Linguisten muten uns zu, wieder an Geister zu glauben, die sie allerdings meist als "mind, Psyche, Bewußtsein" usw. verkleiden.

Bezogen auf die allgemeinsprachlich „geistig“ genannten kognitiven Fähigkeiten des Menschen bezeichnet „Geist“ das Wahrnehmen und Lernen ebenso wie das Erinnern und Vorstellen sowie Phantasieren und sämtliche Formen des Denkens wie Überlegen, Auswählen, Entscheiden, Beabsichtigen und Planen, Strategien verfolgen, Vorher- oder Voraussehen, Einschätzen, Gewichten, Bewerten, Kontrollieren, Beobachten und Überwachen, die dabei nötige Wachsamkeit und Achtsamkeit sowie Konzentration aller Grade bis hin zu hypnotischen und sonstigen tranceartigen Zuständen auf der einen und solchen von Überwachheit und höchstgradiger Geistesgegenwärtigkeit auf der anderen Seite. (Wikipedia "Geist")

Ich bitte Sie! Welche Wissenschaft kann es sich gefallen lassen, daß ein Lexikon ihren Grundbegriff so verblasen "definiert"?

Das Duden-Universalwörterbuch definiert die Seele so: Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht; Psyche.

Das ist kürzer, aber nicht besser. Was macht denn das Fühlen, Empfinden und Denken aus?

Vor hundert Jahren hatten viele genug davon, es hat aber augenscheinlich nicht viel geholfen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2013 um 14.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#23492

"Die Rechtschreibung zu erlernen erfolgt grundsätzlich nicht anders als das Erlernen des Rechnens."

Das schreibt ein Sprachwissenschaftler, der auch mal im Rechtschreibrat gesessen hat.

Beim Rechnen wenden wir tatsächlich Regeln an, jedenfalls jenseits des auswendig beherrschten Einmaleins. Das Ergebnis ist jedesmal neu.

Beim Rechtschreiben reproduzieren wir meistens schon einmal gelesene und oft auch geschriebene Wörter usw., das Ergebnis der vermeintlichen Regelanwendung ist also vorab bekannt.

Wenn man diesen Unterschied nicht macht, hat man ein falsches Bild vom orthographischen Schreiben und kommt zu einer falschen Didaktik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2013 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22797

Bei Günter Jauch hat ein Pokerspieler eine Million gewonnen, weil er ungewollte Signale Jauchs zu deuten wußte und so auch Fragen beantworten konnte, obwohl er die richtige Antwort nicht wußte. Das ist recht interessant, weil es zeigt, daß man durch Übung zum „Klugen Hans“ werden kann, jenem Pferd, das dieselbe Kunst beherrschte. Außerdem spielt ja in der „Theorie des Geistes“ das „Mindreading“ eine gewisse Rolle:

By ‘mindreading’ I mean the attribution of a mental state to self or other. In other words, to mindread is to form a judgment, belief, or representation that a designated person occupies or undergoes (in the past, present, or future) a specified mental state or experience. (Alvin Goldman)

Es wird behauptet, daß das Kind allmählich lerne, daß andere (auch) einen Geist haben, und daß sie so eine naive „Theory of mind“ entwickeln. Wie der Pokerspieler beweist, ist eine solche Deutung nicht nötig, man kann sich auf die wahrnehmbaren Signale beschränken und das Ganze im Bereich des Verhaltens belassen. Das ist vorteilhaft, weil es ja den Geist gar nicht gibt und solche unwissenschaftlichen Fiktionen eher zu vermeiden sind. Kinder haben auch keine naive Theorie des Geistes, sondern gehen mit Gesprächspartnern (wozu auch Tiere usw. gehören können) kommunikativ um und mit Dingen hantierend. Das lernt sich schnell und ist nicht weiter rätselhaft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2013 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22742

Boroditsky hat in einer anderen Studie gezeigt, daß sich Deutsche männliche Apfelsortennamen besser merken können, Spanischsprecher dagegen weibliche, natürlich wegen des unterschiedlichen Genus von Apfel/manzana:
Spanish and German speakers’ memory for object-name pairs (e.g., apple-Patricia) was better for pairs where the gender of the proper name was congruent with the grammatical gender of the object name (in their native language), than when the two genders were incongruent. This was true even though both groups performed the task in English.

Man sollte dabei manches bedenken. Natürlich meint der Deutsche intuitiv, daß Äpfel maskulin zu sein haben: der Boskoop usw., allerdings gilt das auch für an sich weibliche Namen: der Alkmene usw. Eine Ausnahme sind die generischen Bezeichnungen, also die verschiedenen Parmänen und Renetten. Bei Cox Orange schwankt man, ich würde immer sagen: der Cox/die Cox Orange.

Man könnte auch mal die Birnen heranziehen: die Kaiser Alexander, die Clapps Liebling, die Alexander Lucas, die Williams Christ.

Wenn mal ein Schiff nach mir benannt werden sollte, wäre es die Theodor Ickler; ein ICE würde der Annette Schavan heißen.

Vor einigen Jahrzehnten hat Hofstätter die Sonne/der Mond im Vergleich mit anderen Sprachen (sole/luna usw) untersucht und mit dem semantischen Differential keine Unterschiede feststellen können.

Alle bisherigen Versuche sind extrakommunikativ und stehen im Verdacht, daß bloß die Konsistenz der sprachlichen Mittel herausgekommen ist, nicht das wirkliche Verhalten der Menschen in einer möglicherweise sprachdeterminierten Praxis.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2013 um 06.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22740

Lera Boroditsky hat in Versuchen mit amerikanischen und chinesischen Studenten (auch letztere allerdings in Harvard eingeschrieben und des Englischen entsprechend mächtig) nachzuweisen versucht, daß die Sprache das Denken beeinflußt. Zeitverhältnisse werden im Englischen überwiegend horizontal (vor – hinter), im Chinesischen überwiegen vertikal (oben – unten) versprachlicht (obwohl das Umgekehrte auch nicht selten ist). Fragen nach dem Früher oder Später wurden jeweils schneller beantwortet, wenn „horizontale“ bzw. „vertikale“ Aufgaben vorangestellt waren:
English speakers were faster to verify that ‘‘March comes earlier than April’’ after horizontal primes than after vertical primes. This habit of thinking about time horizontally was predicted by the preponderance of horizontal spatial metaphors used to talk about time in English. The reverse was true for Mandarin speakers. Mandarin speakers were faster to verify that ‘‘March comes earlier than April’’ after vertical primes than after horizontal primes. („Does Language Shape Thought?: Mandarin and English Speakers’ Conceptions of Time“. Cognitive Psychology 43/2001:1–22, zit. nach einer Online-Fassung)

Boroditsky erklärt dies so:
Language encouraged mappings between space and time may then come to be stored in the domain of time. That is, frequently invoked mappings may become habits of thought. For example, because English speakers often use horizontal metaphors to talk about time, they might grow to think about time horizontally even when not explicitly processing a spatiotemporal metaphor (e.g., when understanding a sentence phrased in purely temporal terms like earlier and later). For the same reasons, Mandarin speakers might grow to think about time vertically.
Es bleibt offen, woher die sprachlichen „mappings“ kommen, wenn nicht aus dem Denken. Bekanntlich spielte in China der Ahnenkult eine große Rolle; die Ahnen wurden als die Oberen verehrt. Außerdem könnten die Reaktionen der Versuchspersonen eine Tendenz widerspiegeln, die Bildlichkeit der eigenen Rede konsistent zu halten. Daher mag es nahegelegen haben, horizontale und vertikale Bilder fortzuführen, eine Angelegenheit des Sprechens, nicht des Denkens. Interessant wäre der Nachweis, daß außersprachliches Verhalten mit solchen Bildern korreliert. Verhalten sich Chinesen bei der Lebensplanung, bei Verabredungen, bei Wettrennen usw. anders als Amerikaner, und hängt das mit der Sprache zusammen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2013 um 09.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22675

Der Toxikologe und Sprachschützer Hermann H. Dieter hat in einem Vortrag vor der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft die These von der erkenntnisfördernden Kraft der Metapher wiederholt:

„Die erklärende, ja schöpferische Kraft jeder Fachsprache und ihr gesellschaftliches Verständigungspotential hängen davon ab, wie tief sie in einen muttersprachlichen Vorrat an präzisen Wendungen, Sprachbildern/Metaphern und Assoziationsmöglichkeiten eingebettet bleibt. (...) Metaphern sind Sprachbilder, die uns helfen, per Analogieschluss von etwas Bekanntem auf die Eigenschaften eines Unbekannten zu schließen. Der Bereich zwischen bekanntem Herkunfts- und unbekanntem Zielbereich heißt Bildfeld. Es wird mit den Lexemmetaphern bildlich belebt bzw.sprachlich aktiviert.“ („Sprachenvielfalt in der Wissenschaft: Erkennen von Werten statt wertfreier Erkenntnis“, www.adawis.de/admin/upload/navigation/data/Erkennen%20von%20Werten.pdf)

Aber welche großen Entdeckungen oder Erfindungen sind durch die Mehrsprachigkeit der Urheber ausgelöst oder gefördert worden? Dieter bezeichnet die Doppelhelix als Metapher, obwohl sie ein sprachunabhängiges Modell ist. Aus einem „muttersprachlichen Vorrat“ ist das Doppelhelixmodell schon gar nicht gewachsen. Dieter schreibt in einem anderen Text:

„An Beispielen wie dem der 'Seele' der Psychologie (ist sie ein Uhrwerk, ein Dampfkessel oder ein genau kalkulierender Rechner?), der 'Kernspaltung', von 'Welle', 'schwarzes Loch', 'Quantensprung' und 'Teilchen' der Physik oder den thumbnails/Daumennägeln fortschrittlicher Bildschirmgraphiker oder gar den Chaperones (engl. Anstandsdamen = Hilfsproteinen) der Molekularbiologie wird klar, dass auch Naturwissenschaftler/innen ihre Definitionen oder Verfahren im Stadium der Kreativität 'nicht anders als figürlich-bildlich zur Sprache und damit zur Welt zu bringen vermögen' (Uslucan 2005).“ („Man sieht, was man (er)kennt – Sprachenvielfalt als Zukunftsversprechen“. Jahrbuch Ökologie 2007:11-18, S. 18)

Das ausgeführte Beispiel der Chaperones widerlegt sich selbst, denn Dieter gibt ja die nichtmetaphorische Bedeutung „Hilfsprotein“ an. Man wird kaum glauben, daß die Chemiker das neue Phänomen zuerst nur im Bild der „Anstandsdamen“ zu fassen wußten, bevor sie erkannten, daß es sich um Hilfsproteine handelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2013 um 06.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22552

Eine scheinbare empirische Bestätigung der kognitivistischen Metapherntheorie kam von Psychologen wie Thibodeau. Er legte Versuchspersonen Texte vor, in denen Verbrechen metaphorisch entweder als „beast“ oder als „virus“ dargestellt wurde (www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0016782; vgl. auch www.swarthmore.edu/SocSci/fdurgin1/publications/ThiboDurgin2011.pdf). Die Probanden zeigten sich dadurch zu unterschiedlichen Urteilen disponiert, meist ohne bemerkt zu haben, worauf ihr Urteil beruhte. Gegen diese Befunde ist einzuwenden, daß die Texte metaphorisch bereinigt waren, d. h. gerade die alltägliche Inkonsistenz der metaphorischen Rede war vermieden. Übrig blieb eine tendenziöse Darstellung, die erwartungsgemäß das Urteil der Rezipienten beeinflußte. Trotzdem dienen gerade solche Untersuchungen ausdrücklich als Begründung eines aufwendigen Forschungsprogramms, für das die US-Regierung viel Geld ausgeben zu wollen scheint. Die Leiterin des Metaphern-Programms, Heather McCallum-Bayliss, schreibt dazu:

»For decision makers to be effective in a world of mass communication and global interaction, they must understand the shared concepts and worldviews of members of other cultures of interest. Recognizing cultural norms is a significant challenge, however, because they tend to be hidden. Even cultural natives have difficulty defining them because they form the tacit backdrop against which members of a culture interact and behave. We tend to notice them only when they are in conflict with the norms of other cultures. Such differences may cause discomfort or frustration and may lead to flawed interpretations about the intent or motivation of others. If we are to interact successfully on the world stage, we must have resources that will help us recognize norms across cultures. The Metaphor Program will exploit the use of metaphors by different cultures to gain insight into their cultural norms.
Metaphors have been known since Aristotle (Poetics) as poetic or rhetorical devices that are unique, creative instances of language artistry (e.g., The world is a stage). Over the last 30 years, metaphors have been shown to be pervasive in everyday language and reveal how people in a culture define and understand the world around them.
Metaphors shape how people think about complex topics and can influence beliefs.
Metaphors can reduce the complexity of meaning associated with a topic by capturing or expressing patterns.
Metaphors are associated with affect; affect influences behavior.
Research on metaphors has uncovered inferred meanings and worldviews of particular groups or individuals: Characterization of disparities in social issues and contrasting political goals; exposure of inclusion and exclusion of social and political groups; understanding of psychological problems and conflicts.«
(www.iarpa.gov/Programs/ia/Metaphor/solicitation_metaphor.html)

Das Programm verbindet offensichtlich die traditionelle Inhaltsanalyse (content analysis) mit dem linguistischen Relativitätsprinzip (der Humboldt-Sapir-Whorf-These), wonach ethnische Sprachen bestimmte Weltansichten widerspiegeln. Beide Ansätze waren nicht sehr erfolgreich. In beiden Fällen wird versäumt, über das Sprachverhalten hinauszugehen und sprachunabhängige Bestätigungen für die vermuteten Zusammenhänge von Sprachbau und Weltansicht zu suchen. Lakoff-Kritiker haben es auf den Punkt gebracht:
„In many respects, Lakoff's attempt to characterize the structure of abstract concepts solely on the basis of linguistic data bears unfortunate similarities zu Whorf's endeavour.“ (Sam Glucksberg/Matthew S McGlone: „When love is not a journey: What metaphors mean“, Journal of Pragmatics 31/12, 1999: 1541-1558, S. 1557)
Statt aus konkreten Texten die Ansichten und vielleicht auch Absichten ihrer Verfasser zu erschließen, geht es darum, ganze Sprachen als Verkleidungen oder Symptome bestimmter Weltbilder zu entlarven. Es besteht die Gefahr, ganze Sprechergruppen unter falschen Verdacht zu stellen. Das Programm ist zum Scheitern verurteilt, weil die Metaphern nicht automatisch danach sortiert werden können, wie tot oder lebendig sie sind, weil die Metaphern nicht konsistent sind, weil einheimische und entlehnte Metaphern nicht unterschieden werden und weil zwischen Metaphern aus Benennungsnot (Inopia) und Metaphern aus Übermut nicht unterschieden werden kann. Einige dieser Einwände hat auch Steven Pinker gegen Lakoff vorgebracht.

Alexis C. Madrigal hat das Program vorgestellt:
www.theatlantic.com
Unter den Leser-Beiträgen dazu findet sich auch dieser:
Nicole Hansen:
As one of Dr. Lakoff's former students (I took his metaphor class as an undergrad in the early 90s), I am disgusted by his attitude. I live in Egypt and have been through the entire revolution (just came back from the protest today in Tahrir) and I can tell you firsthand that the big problem that the US government has in understanding Arabs is not the lack of sophisticated computer algorithms but a complete disengagement and lack of listening to the voices of the people human-to-human. Spend some money on good old-fashioned meet and greet in the form of study abroad or even just visiting the Arab world and talking to the average man on the street would give far more bang for the buck than this silly project. I am also familiar personally with some of the people that Obama is allowing to shape some of his policies toward Egypt right now and I can tell you it already is a complete disaster that is causing more ill-will toward America. The revolutions in the Middle East are a golden opportunity for America to improve its image but so far I have only seen ill-thought-out plans that are driving more of a wedge between the two countries. If anyone in the State Department or CIA is reading this, please, get some experts who know something to work with you! You have created your own metaphor: AMERICA is the EVIL SATAN.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2013 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22547

In einem kurzen und trotzdem unkonzentriert wirkenden Beitrag hat Gerald Hubmann vor einigen Jahren die "Notwendigkeit der Metapher" in den Wissenschaften zeigen wollen. (Gegenworte 7/2001:58-59, edoc.bbaw.de/volltexte/2010/1267/pdf/14_hubmann.pdf)

„Und die historische Linguistik vermag nachzuweisen, was sonst eine dumpfe Mutmaßung bleiben müsste: dass es einen Kausalitätszusammenhang gibt zwischen der jahrhundertelangen verbalen Dehumanisierung der Juden als Schmarotzer und Gewürm und dem Aufstieg eines eliminatorischen Antisemitismus.“

Wie denn das? Wurden die Juden ermordet, weil jemand sie als Ungeziefer bezeichnet hatte? Stammen der Mord und die Beschimpfung nicht aus derselben Quelle?

Auch Kekulé muß wieder herhalten:

„Kekulé berichtete, er habe 1865 die Ringstruktur des Benzols entdeckt, nachdem er nachts von einer Schlange geträumt hatte, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Hier trifft zu, was Wittgenstein ein halbes Jahrhundert später in die Formulierung fasste: 'Ein gutes Gleichnis erfrischt den Verstand.'“

Gleichnis, Traum, Metapher – ist das alles eins?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2013 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22477

„Wer jemanden ein Rindvieh nennt, fordert ihn auf, sich selbst im Lichte der Rindviehhaftigkeit zu sehen.“ (Rudi Keller/Ilja Kirschbaum: Bedeutungswandel. Eine Einführung. Berlin 2003:58)

Gewissermaßen das Satyrspiel zu Lakoffs kognitivistischer Metapherntheorie. Auf diesem traurigen Niveau werden nun Tausende von Seminararbeiten geschrieben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2013 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22474

Zu Kekulé, den ich hier erwähnt hatte, gibt es eine lesenswerte Studie:

www.sgipt.org/th_schul/pa/kek/pak_kek0.htm
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.11.2012 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#22000

Deutsche Muttersprachler wissen meist fast gar nichts über grammatische Regeln. Die können Ausländer mit Deutsch als Fremdsprache viel besser erklären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2012 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21999

„Grammatische Regeln müssen aber einfach sein, wenn die Frage, wie wir diese Regeln erwerben, mitberücksichtigt wird.“ (Heide Wegener in ZGL 18,2, 1990:151)
Harald Weinrich meint, „daß die Grammatik von den Linguisten nicht schwieriger gemacht werden darf, als sie für Kinder, die ihre erste Sprache lernen, natürlicherweise ist.“ (Für eine Grammatik mit Augen und Ohren, Händen und Füßen. Opladen 1976:10) Die Grammatik sei dann als falsifiziert zu betrachten, wenn sie nicht plausibel machen kann, „daß Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren nach diesen Regeln sprachlich handeln können.“

Kinder handeln nicht nach Regeln, sondern verhalten sich so, wie sie es gelernt haben. Der Linguist stellt Regeln auf, um dieses Verhalten zu beschreiben. Die Planeten folgen nicht den Keplerschen Gesetzen, sondern die Astronomen folgen ihnen, wenn sie die Planetenbahnen berechnen.

Diese Verwirrung liegt einem großen Teil der „Kognitiven Linguistik“ zugrunde.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.11.2012 um 16.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21957

Eine Turing-Maschine ist nichts Physikalisch-technisches, sondern ein sehr einfacher Algorithmus, ein reines Denkmodell, mit dem man z. B. beweisen kann, daß die Rechnung 1+1 vollautomatisch ausführbar ist. Wie diese Rechnung dann praktisch mit einem realen Computer ausgeführt wird, hat mit der Turing-Maschine nichts mehr zu tun.

Wir haben sozusagen mit der Turing-Maschine bewiesen, daß Computer, die ein starres Programm befolgen, rechnen können. Der entsprechende, nicht nur auf Indizien, sondern auf rein mathematischer Grundlage beruhende Beweis dafür, daß Menschen rechnen können, steht noch aus.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.11.2012 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21956

Die meisten Computer sind Turing-Maschinen, das Gehirn ist keine.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2012 um 18.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21952

„Eine bahnbrechende Neuerung, die die Psychologie in den vergangenen 30 Jahren erlebt hat, besteht in der Erkenntnis, dass das Gehirn eine Art Computer ist. (...) Mit Hilfe von Camcordern konnten wir Kinder auf eine neue Weise sehen und mit Hilfe der Metapher Computer konnten wir sie auf neue Weise verstehen.“ (Alison Gopnik, Patricia Kuhl, Andrew Meltzoff: Forschergeist in Windeln. Wie Ihr Kind die Welt begreift. München 2005, S. 39)

Wieso denn? (Aus diesem schlechten Buch geht es jedenfalls nicht hervor.)

Übrigens gibt es schätzungsweise 10.000 Typen von Nervenzellen. Jede der 100 Milliarden Zellen des Gehirns hat bis zu 40.000 Verbindungen, manche Kleinhirnzellen haben deren 150.000. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum die Computermetapher bisher nichts gebracht hat.

Wie schon mehrmals gesagt: Die Neurologie kann – auch mit ihren "Bild gebenden" Verfahren – bisher nicht erklären, wie ich einen Finger krümme. Sie kann schon gar nicht erklären, wieso ich am Morgen weiß, wo ich abends meine Brille hingelegt habe. (Gestern konnte ich mich daran erinnern, wohin ich vier Wochen zuvor ganz gedankenlos eine Gartenschere gelegt hatte.) Oder wieso ich nach 50 Jahren noch lateinische Sätze auswendig weiß, obwohl sie mich schon damals nicht interessiert haben. Das sind bis auf weiteres – Wunder.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2012 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21946

Wisenschaftliche Modelle können mehr hergeben, als man hineingesteckt hat, deshalb werden sie ja erfunden. Heinrich Hertz hat das durchdacht und dargestellt.

Metaphern dagegen sind spielerische Analogien und ohne Erkenntniswert. Dafür gibt es unzählige Belege. Wenn ein Kind, von der Bezeichnung "elektrischer Strom" verführt, ein Kabel durchschneidet und erwartet, daß etwas heraussprudelt, ist es ein Opfer der Metapher. Ich habe dieses Beispiel von Peter Hacker übernommen und adaptiert, der über Analogie in den Wissenschaften folgendes schreibt:

„It does not generate hypotheses that can be tested in experiments, nor does it produce a theory that can be used to predict events. The understanding that is the product of such an analogy is not the result of new information, nor does it lead to new empirical discoveries.“ (Peter Hacker: "Languages, Minds an Brains“. In: Colin Blakemore/Susan Greenfield, Hg.: Mindwaves. Oxford 1987:485-505, S. 486)

Usw., sehr lesenswerter Beitrag, vor allem gegen die pseudowissenschaftlichen Neurosophen mit ihren "Repräsentationen", "mental maps" und "language of thought".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2012 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21906

Familiendrama – da lese ich schon nicht weiter, weil gleich das Wort blutig auftauchen wird, auch Tragödie. Seltsam, daß die Zeitungen, wenn es im wirklichen Leben ernst wird, zu Theatermetaphern greifen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2012 um 09.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21831

Die mentalistischen Schnörkel sind überflüssig, sie erklären nichts. Nehmen wir ein neueres Werk des bekannten Linguisten Wallace Chafe: "The importance of not being earnest". Ich zitiere: Laughter and humor cannot ultimately be understood apart from the feeling that lies behind them. (137) Dieses Gefühl nennt er feeling of nonseriousness (...) a mental state in which people are inhibited from taking some event or situation seriously, which is to say that they exclude it from their accumulating knowledge of how the world really is. Die Physiologie des Lachens hindere daran, ernsthaft zu handeln.
Andere Fassung: The feeling is a mental state in which people exclude some situation from their knowledge of how the world really is, thereby inhibiting seriousness where seriousness would be counterproductive.

Das Gefühl ist überflüssig. Die Verhaltenshemmung läßt sich selbstverständlich rein in Verhaltensbegriffen beschreiben und untersuchen. Ockhams Rasiermesser beseitigt den mentalistischen Aufputz.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2012 um 12.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#21056

Lakoff benutzt seine Metapherntheorie bekanntlich zum Zweck der politischen Polemik. Während des zweiten Golfkriegs verteilte denn auch der "SprecherInnenrat" der Universität Erlangen Lakoffs Text "Metaphor and War". Das war schon während meiner Studienzeit so: Der Asta der Universitäten beanspruchte ein allgemein-politisches Mandat, damals gegen den Vietnamkrieg und immer gegen die Politik der USA, finanziert aus Zwangsbeiträgen der Studentenschaft (bzw., wie wir heute wissen, mit DDR-Geld).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.03.2012 um 08.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#20289

Derek Bickerton über Chomsky: „He did the behavioral sciences the greatest service ever, when he trounced B. F. Skinner and Skinner's behaviorism. As a result of his initiatives we've learned things about language that couldn't even have been dreamed of a half century ago. Were it not for Chomsky, I could never have launched, or even conceived, my language bioprogram hypothesis.“ (Adam's Tongue 169f.)

Nun, was ist es denn, was Chomsky und seine Anhänger herausgefunden haben? Ich kenne nur einander ablösende quasimathematische Darstellungsformen. (Bickertons letzter Satz ist allerdings wahr, aber nicht in empfehlendem Sinne.)

Heute morgen fiel mir ein, was wohl aus Ulric Neisser geworden sein mag – und ich stellte fest, daß er vorigen Monat gestorben ist. Fast wie Telepathie (für die er sich laut Nachrufen interessierte).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2012 um 08.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#20220

„Die moderne Linguistik im engeren Sinne hat mit der Arbeit von Noam Chomsky begonnen.“ (Frank R. Wilson: Die Hand – Geniestreich der Evolution. Stuttgart 2000:67)

Komisch nur, daß Chomsky sich zwar fast ausschließlich mit seiner Muttersprache (oder vielmehr deren quasi-mathematischer Simulation) beschäftigt, aber nicht einmal darüber irgend etwas Neues herausgefunden hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2011 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#19754

Wirtshaus und Gasthaus müßten entgegengesetzte Vorstellungen hervorrufen. Sie bezeichnen denselben Gegenstand sozusagen aus unterschiedlichen Perspektiven. Denkt man darüber nach, kommt man zu einer solchen Auffassung. Aber der Sprecher denkt normalerweise nicht darüber nach. Die Sachsteuerung (Bühler) sorgt dafür, daß wir die Wörter ohne Unterschied verwenden. Dieser alltägliche Sachverhalt untergräbt sowohl die kognitivistische Metapherntheorie als auch die Lehre von der linguistischen Relativität. Die Relativitätstheoretiker nehmen die Ausdrücke in unangemessener Weise wörtlich, aber das ist nur einer ihrer vielen Fehler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2011 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#19132

Für eine Anwendung der windigen Metapherntheorie Lakoffs scheint man in den USA zig Millionen Dollar lockermachen zu wollen. Es geht um die automatische Analyse von Texten auf die Metaphern hin, die einen Rückschluß auf die Denkweise der Verfasser erlauben sollen. Das ist offenbar die gute alte Inhaltsanalyse (content analysis), die im Zweiten Weltkrieg helfen sollte, bevorstehende Aktionen, Kurswechsel usw. des Gegners vorauszusagen.
Der neue Ansatz ist hier beschrieben.

Wenn die bekannten Einwände gegen die Theorie nicht zur Kenntnis genommen werden, dürfte das Geld zum Fenster hinausgeschmissen sein. Experimente der Psychologen überzeugen nicht, da ihnen die "ökologische Angemessenheit" fehlt, vgl. etwa www.plosone.org.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2011 um 16.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17890

Ergänzung zum Eintrag #17742 vom 6. Januar: Heute wird in der SZ gesagt, daß Frank Castorf die Übergänge in einer Inszenierung "wie ein Klempner zusammengeschraubt" habe. Einige Zeilen später ist dann vom "Klempner Castorf" die Rede. Der Wechsel vom Vergleich zur Metapher ist durchaus unauffällig. Das bestätigt meine These, daß in der Sprache im Gegensatz zur Logik Vergleich und Metapher nicht wesentlich verschieden sind.
Viel wichtiger ist der Unterschied zwischen der ausdrücklichen Einführung des hyperbolischen Vergleichs und der bloßen Verwendung:
Castorf ist ein Klempner vs. der Klempner Castorf. Bei letzterer Wendung ist die Prädikation sozusagen suspendiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2011 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17876

Lakoff glaubt ja entdeckt zu haben, daß in unserem Kulturkreis "Diskussion" mit kriegerischen Metaphern dargestellt und also auch "konzeptuell" so modelliert wird: ARGUMENT IS WAR. Schon bei Lakoff stimmt es nicht, aber noch krasser gehen die deutschen Nachplapperer fehl. Aus einem einschlägigen Aufsatz:

»Betrachten wir einige Sätze aus der Alltagssprache: "Ihre Behauptungen sind unhaltbar"; "Er griff jeden Schwachpunkt in meiner Argumentation an"; "Seine Kritik traf ins Schwarze"; "Ich schmetterte sein Argument ab"; "Ich habe noch nie eine Auseinandersetzung mit ihm gewonnen"; "Wenn du nach dieser Strategie vorgehst, dann wird er dich vernichten"; "Er machte alle meine Argumente nieder".
Alle diese Äußerungen betreffen das Argumentieren, das von uns automatisch als geradezu kriegerischer Akt beschrieben wird, der darauf abzielt, den andersdenkenden Gegner zu ,vernichten‘. Den Sätzen liegt also ein gemeinsames Konzept zu Grunde, das kurz als ARGUMENTIEREN IST KRIEG charakterisiert werden kann.«

Sieht man sich die Metaphern genauer an, stellt man fest, daß sie fast ausnahmslos mit Krieg nichts zu tun haben. Diskussion ist natürlich eine Art Wettbewerb, das "Agonale" des Dialogs ist ja bei Platon schon sehr ausgeprägt. Aber "Krieg" gibt mehr her, man wird mit solchen steilen Thesen gleich viel stärker beachtet. Lakoff macht ja jetzt auch hauptsächlich Politik, wie sein Ziehvater Chomsky, nur daß er viel stärker als dieser seine Wissenschaft in den Dienst der politischen Meinungsmache stellt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.01.2011 um 02.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17871

Roger Scruton über die Verteidigung von intellektuellem Territorium gegen die Neuro-Imperialisten:
www.dailymotion.com/video/xaplha_roger-scruton-persons-and-their-bra_tech
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2011 um 15.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17742

Hier noch etwas ziemlich Paradoxes zur Metapher: Die traditionelle Lehre von der Metapher als verkürztem Vergleich ist meiner Ansicht nach richtig. (Die Gegenargumente werde ich anderswo besprechen.)
Verkürzt ist der Vergleich, wenn man den Ausdruck des Vergleichens, in der Regel also das wie, wegläßt. Der berühmte Achill ist also ein Löwe und nicht nur wie ein Löwe.
Wenn man die Sätze im Wortlaut nimmt, ist die vergleichende Prädikation immer wahr, die metaphorische immer falsch. Du bist wie ein Esel. Oder mit Robert Gernhardt: Du bist dem Elch vergleichbar. Lauter wahre Sätze. Es ist nämllich so, wie Donald Davidson sagt: "Everything is like everything, and in endless ways." (Donald Davidson: Inquiry into truth and interpretation. Oxford 2001:254)
Dagegen: Du bist ein Esel. Du bist ein Elch. Offensichtlich falsche Sätze, aber metaphorisch haben sie einen guten Sinn.
Soweit die Logik. Nur daß die wirkliche Sprache sich nicht darum kümmert und Vergleich und Metapher meistens als austauschbar und gleichwertig behandelt:
Gutes Geld ist eine Sprache ohne Mißverständnis (Überschrift)
Geld ist wie Sprache. (...) Geld ist wie Sprache ein Kommunikationsmittel. (FAZ 13.1.96)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2011 um 16.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17719

Lakoff und seine Anhänger unterstellen Aristoteles eine Logik, wonach das Schließen von einer Behältermetapher Gebrauch mache. Lakoff schreibt:

Classical categories are understood metaphorically in terms of bounded regions, or ‘containers.’ Thus, something can be in or out of a category, it can be put into a category or removed from a category, etc. The logic of classical categories is the logic of containers (see figure 1). If X is in container A and container A is in container B, then X is in container B. This is true not by virtue of any logical deduction, but by virtue of the topological properties of containers. Under the CLASSICAL CATEGORIES ARE CONTAINERS metaphor, the logical properties of categories are inherited from the logical properties of containers. One of the principal logical operties of classical categories is that the classical syllogism holds for them. The classical syllogism, Socrates is a man. All men are mortal. Therefore, Socrates is mortal. is of the form: If X is in category A and category A is in category B, then X is in category B.

Vielleicht drückt sich Aristoteles irgendwo tatsächlich so aus, aber üblich es bei ihm nicht. Wer die Ersten Analytiken kennt, weiß, daß Aristoteles bis zum Überdruß immer dieselbe Formel benutzt. Wo wir nämlich sagen "S ist P", sagt er "P kommt dem S zu" (hyparchei). Keine Spur von Enthaltensein und Behältern. Das gilt auch schon für den unmittelbaren Vorgänger, Platons Definitions- und Dihairesislehre. Lakoff denkt wahrscheinlich an Venn-Diagramme und an die Mengenlehre, die man für Unterrichtszwecke so veranschaulichen kann. Das ist dann aber nicht die klassische Logik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2011 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17674

Die Metaphernbegeisterung, die Lakoff weltweit und besonders in Deutschland ausgelöst hat, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Es werden immer wieder dieselben Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte angeführt, die den zumindest heuristischen Nutzen der Metapher belegen sollen. Bisher habe ich noch kein Beispiel gefunden, das der Nachprüfung standhält.
In meinem Buch „Die Disziplinierung der Sprache“ und in einem Aufsatz habe ich bereits gezeigt, daß Kekulé keineswegs durch eine Metapher auf den Gedanken des Benzolrings gebracht worden ist.
Das will ich hier nicht wiederholen.

Nehmen wir folgenden Fall aus der Frühzeit der Elektrizität: die Erfindung der Leidener Flasche.

„Der Wissenschaftshistoriker Kuhn (1962) schildert, wie um 1740 die neue metaphorische Konzeptualisierung von ELEKTRIZITÄT als FLÜSSIGKEIT eine Gruppe von Forschern auf die Idee brachte, diese ‚Flüssigkeit‘ auf Flaschen zu ziehen. Dies führte zur Erfindung der sogenannten ‚Leidener Flasche‘, einer Vorform des elektrischen Kondensators.“ (Jäkel 1997: 36)

In einer neueren Dissertation heißt es:
„Bei seinem Versuch, das vermutete elektrische Fluidum in eine Flasche zu füllen, erfindet Ewald Jürgen von Kleist (1715-1759) 1745 ganz unverhofft die Leydener Flasche. Die Zufälligkeit seiner schmerzhaften Entdeckung erschwert zunächst die Wiederholung des Experiments, die Pieter van Musschenbroek (1692-1761) in Leyden durchzuführen versucht. Da Kleist nicht weiß, dass die gesteigerte Kondensatorenleistung der Flasche auf der enorm hohen Spannung zwischen ihrer Außen- und Innenwand beruht, weist er in seiner Beschreibung des Experiments nicht darauf hin, dass er selber mit der zweiten Hand die Flasche berührt und die Flaschenaußenseite somit geerdet hat. Musschenbroek muss die Leydener Flasche 1746 daher gleichsam noch einmal erfinden.“

In Wirklichkeit experimentierten die Forscher schon lange mit gläsernen Hohlkörpern.

„Otto von Guericke (1602-1686), der durch seine Magdeburger Vakuum-Experimente berühmt wurde, erfand einen ersten einfachen elektrostatischen Generator. Er bestand aus einer Schwefelkugel, die in einer hölzernen Halterung gedreht wurde. Durch das Reiben der Kugel mit der Handfläche lud sie sich auf. Die so geladene Schwefelkugel wurde an den Ort getragen, wo experimentiert werden sollte, denn die Leitung der Elektrizität durch metallene Drähte war noch nicht entdeckt.
Guericke stellte die Kugel her, indem er geschmolzenen Schwefel in eine hohle Glaskugel goß. Nach dem Erkalten des Schwefels wurde die Glashülle zerbrochen und entfernt. Eines Tages fand jemand heraus, daß die Glaskugel ohne Schwefel den gleichen Dienst leisten konnte.“
„Glas erwies sich als ideales Material für elektrostatische Generatoren. Es war billiger als Schwefel und konnte leicht in Scheiben oder Zylinder geformt werden. Ein gewöhnliches Bierglas wurde zum Rotor in Winklers Maschine.“ (Gemeint ist Johann Heinrich Winkler (1703-1770))

Die Transportierbarkeit der elektrischen Ladung war ganz unabängig von Flüssigkeitsmodellen schon lange bekannt und ausgenutzt worden. Irreführend ist auch der Ausdruck „Flasche“, der das „Auf-Flaschen-Ziehen“ nahelegt; das war gar nicht Kleists Gedanke. Die Glaszylinder hatten sich anderweitig als brauchbar erwiesen. Die „elektrische Verstärkungsflasche“ wirkte gerade nicht als Gefäß.
Vgl. noch: http://www.v-kleist.com/FG/Muttrin/fg0220a.htm

Nächster Fall: Darwins Evolutionslehre
Darwin war sich bewußt und hat es immer wieder ausgesprochen, daß er sich mit „natural selection“ einer Metapher bediente, aber er hielt das für harmlos, da er ja die Struktur des Vorganges in ganz unmetaphorischer Weise erklärt hatte. Zur Evolution bedarf es der Variation und einer „auswählenden“ Instanz, vgl. Campbells Formel „blind variation and selective retention” (im gleich betitelten Ausatz). Bei der Tier- und Pflanzenzucht ist es die Hand des Züchters, in der Natur sind es die Lebensbedingungen. Nimmt man die Knappheit der Ressourcen in der jeweiligen ökologischen Nische hinzu, die Darwin besonders durch Malthus nahegebracht worden war, hat man alles beisammen, auch die reale Grundlage des „struggle for life“. Darwin war niemals in Gefahr, sich vom metaphorischen Charakter dieser Ausdrücke irreführen zu lassen, insofern ist es auch falsch, ihm via Metapher einen Rest von Metaphysik nachzusagen, selbst wenn er später eine Neigung gezeigt haben sollte, die Erblichkeit auch erworbener Eigenschaften für möglich zu halten. (Trotzdem ist die Einbettung Darwins in den historischen Zusammenhang durch Robert M. Young durchaus lesenswert. Dasselbe gilt von Uwe Pörksens Darstellung in seinem Buch „Deutsche Wissenschaftssprachen“, wo es im betreffenden Kapitel hauptsächlich um Goethe geht. Beide Texte sind im Internet zu finden.)

Nächster Fall: Skinners operante Konditionierung
Skinner schließt ausdrücklich an Darwin an. Er erkennt die strukturelle Identität der Vorgänge von Selektion einerseits (unter den „Kontingenzen des Überlebens“) und des operanten Lernens andererseits (unter den „Kontingenzen der Verstärkung“ – reinforcement). An keiner Stelle läßt sich erkennen, daß er durch die Selektions-Metapher einen Rest von Metaphysik mitschleppt.

Interessanterweise gibt Skinner in „Verbal Behavior“ auch eine Metapherntheorie, die einzige mir bekannte nicht-mentalistische. Sie ist erwartungsgemäß brillant; demnächst mehr darüber.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2010 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17660

Als weiteren Beleg für das grundlos übersteigerte Selbstbewußtsein des Herr Lakoff möchte ich noch eine köstliche Stelle zitieren. Lakoff hat ja seine Metapherntheorie auch dazu benutzt, seine politischen Ansichten unters Volk zu bringen, und auch dies hält er für sehr bedeutsam. Im Nachwort 2003 zur Neuauflage seines Metaphernbuches schreibt er:
"Lakoff's essay 'Metaphor and War,' distributed to many millions over the Internet on the eve of the Gulf War, re-mains one of the most important analyses not only of the use of metaphor by the U.S. government to persuade the populace but also of the role of conceptual metaphors in planning foreign policy."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.12.2010 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17394

Weil es so bezeichnend ist für das Vorgehen fast aller Autoren, die den Zusammenhang zwischen Sprache und "Denken" (was immer das sein mag, es ist ja ein naiv-psychologischer Begriff) erörten, hier noch ein Passus aus Lakoff:

I have a headache. [The headache is a possession.]
I got a headache. [Change is acquisition – motion to]
My headache went away. [Change is loss – motion from]
The noise gave me a headache. [Causation is giving – motion to]
The aspirin took away my headache. [Causation is taking – motion from]

Ich halte diese Deutungen allesamt für unzulässig. Als Beleg dafür, daß wir tatsächlich so denken, führt Lakoff nur wieder die sprachlichen Wendungen an, aus denen er es zuvor erschlossen hat. Es gibt auch keine anderen Beweise als diese zirkulären, also untauglichen.

Wenn ich "Kopfschmerzen habe", ist das genau dasselbe, als wenn "mir der Kopf wehtut". Ich betrachte die Schmerzen nicht als ein Besitzstück, auch nicht als einen Gegenstand, der fortzubewegen wäre, und das auch noch vermittelst einer in Wasser aufgelösten Aspirintablette!

Im Deutschen kann ich Kopfschmerzen bekommen (wenn ich vorher keine hatte und dann habe, also wenn mir der Kopf plötzlich wehtut), aber ich kann sie z. B. nicht "erhalten". Ich kann sie auch nicht verlieren. Warum denn nicht, wenn sie doch ein Besitz sind? Im Englischen kann ich eine Erkältung fangen. In manchen Sprachen habe ich nicht die Krankheit, sondern die Krankheit hat mich. Usw. – Das ganze Deuteln an sprachlichen Formen sollte man unterlassen, es gehört einer vergangenen Zeit an.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2010 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17376

Was von der Metapherntheorie George Lakoffs, einer tragenden Säule der "kognitiven Linguistik", zu halten ist, sieht man schon an den abenteuerlichen Neuigkeitsansprüchen, mit denen er vor dreißig Jahren antrat. Ich zitiere:

"In classical theories of language, metaphor was seen as a matter of language not thought. Metaphorical expressions were assumed to be mutually exclusive with the realm of ordinary everyday language: Everyday language had no metaphor, and metaphor used mechanisms outside the realm of everyday conventional language."

Um diesen Quatsch zu widerlegen, genügt ein Zitat aus Hermann Pauls "Prinzipien", 100 Jahre vor Lakoff und leicht bei gutenberg.de herunterzuladen (4. Kapitel):

„Die Metapher ist eines der wichtigsten Mittel zur Schöpfung von Benennungen für Vorstellungskomplexe, für die noch keine adäquaten Bezeichnungen existieren. Ihre Anwendung beschränkt sich aber nicht auf die Fälle, in denen eine solche äussere Nötigung vorliegt. Auch da, wo eine schon bestehende Benennung zur Verfügung steht, treibt oft ein innerer Drang zur Bevorzugung eines metaphorischen Ausdrucks. Die Metapher ist eben etwas, was mit Notwendigkeit aus der menschlichen Natur fliesst und sich geltend macht nicht bloss in der Dichtersprache, sondern vor allem auch in der volkstümlichen Umgangssprache, die immer zu Anschaulichkeit und drastischer Charakterisierung neigt.“
„Es ist selbstverständlich, dass zur Erzeugung der Metapher, soweit sie natürlich und volkstümlich ist, in der Regel diejenigen Vorstellungskreise herangezogen werden, die in der Seele am mächtigsten sind. Das dem Verständnis und Interesse ferner liegende wird dabei durch etwas Näherliegendes anschaulicher und vertrauter gemacht. In der Wahl des metaphorischen Ausdruckes prägt sich daher die individuelle Verschiedenheit des Interesses aus, und an der Gesamtheit der in einer Sprache usuell gewordenen Metaphern erkennt man, welche Interessen in dem Volke besonders mächtig gewesen sind.“

Usw.

Schon Quintilian wußte, daß wir "beinahe immer in Bildern reden". Und das war über die Jahrtausende hin immer völlig selbstverständlich.

Lakoff hatte nachweislich keine Ahnung, und seine zahllosen begeisterten Nachfolger hatten und haben auch keine. Es ist eine Pein, all das Zeug zu lesen, vor allem die laienpsychologischen Schriften (Psychologie von Nichtpsychologen, Neurosophie von Nichtneurologen), die sich ganz ungeniert als "Kognitionswissenschaft" bezeichnen.

Es ist geradezu lachhaft, wie Lakoff die Weltgeschichte in "vor/nach Lakoff" einteilt. Seine eigene Metapherntheorie nennt er stets "the contemporary theory of metaphor" und schreibt:

"Most of the papers in this edition also appeared in the first edition of 1979 and thus predate the contemporary theory of metaphor."

Und:

"Lakoff, George and Johnson, Mark. 1980. Metaphors We Live By. Chicago: University of Chicago Press.

The first book outlining the contemporary theory of metaphor."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2010 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1370#17375

Eine typische Arbeit aus dem kognitivistischen Lager ist die folgende, die ich kurz besprechen möchte:

Karlheinz Jakob: Maschine, Mentales Modell, Metapher. Studien zur Semantik und Geschichte der Techniksprache. Tübingen 1991.

Jakob vertritt die von Lakoff/Johnson propagierte, wenn auch keineswegs neue These, daß Metaphern kein bloßer Redeschmuck seien, sondern erkenntnisleitende Denkmodelle bzw. deren sprachlicher Ausdruck. In diesem Sinne beobachtet er in historischen Längsschnitten die Veränderungen der Techniksprache im Lichte der jeweils zur Verfügung stehenden Metaphern. Das Buch besteht zu einem wesentlichen Teil aus Nacherzählungen der Technikentwicklung, besonders der Kraftmaschinen, wobei das Sprachliche oft in den Hintergrund tritt. Dies erkennt Jakob gelegentlich selbst und bemerkt vorsorglich, „daß dem sprachwissenschaftlichen Leser die vorliegende Arbeit vielleicht in zu großer Ferne zur Linguistik erscheinen“ mag.

Die umfassenden kognitionspsychologischen Ausführungen, die sich naturgemäß auf Informationen aus zweiter Hand beschränken müssen, sind aber ebenfalls weitgehend spekulativer Art, obwohl der Verfasser, der selbst kein Psychologe ist, sein Werk ausdrücklich als „wissenspsychologischen“ Beitrag versteht. Auch bewegt sich Jakob hier offensichtlich in einem Zirkel, denn er stellt ausdrücklich fest, daß die mentalen Modelle, die den Metaphern zugrunde liegen, auf keine andere Weise erschlossen werden können als eben durch ihren sprachlichen Ausdruck: „Schließlich sind mentale Modelle ausschließlich durch sprachliche Indikatoren und deren Attribute schlüssig belegbar.“
Warum sollte das so sein? Wenn jemand von einem „mentalen Modell“ geleitet wird, was immer das sein mag, so müßte es sich doch auch in seinem nichtsprachlichen Handeln nachweisen lassen. Andernfalls kommt man aus dem Zirkel nicht heraus. Daß wir eine Metapher oft weiterführen, also in einem konsistenten Bildfeld verbleiben, ist ja nicht verwunderlich, aber es ist gerade kein Beweis für ein Denkmodell. Immerhin hat selbst Benjamin Lee Whorf sich bemüht, im nichtsprachlichen Verhalten Beweise für die Abhängigkeit der Weltansicht von sprachlichen Bezeichnungen zu finden.
Wir mögen den Wind als ein Wesen bezeichnen, das etwas tut, aber wie gehen wir mit dem Wind praktisch um, außerhalb der Poesie? Der „Rest-Animismus“ (S. 33) müßte sich doch irgendwie nachweisen lassen, aber Jakob behauptet schlicht, daß auch die modernen Rationalisierungen stets mit einem animistischen Denken verbunden bleiben.

Die metaphorischen Konzepte oder konzeptuellen Metaphern nach Lakoff sind großenteils nicht überzeugend. Jakob stellt im Anschluß an Lakoff und Grosse fest:
Politik ist Sport/Spiel
Politik ist Religion
Politik ist Krieg
Hier könnte man zunächst untersuchen, ob die drei angeblich metaphorischen Konzepte auch in einer unmetaphorischen Weise zutreffen, sie wären dann also keine Sprungfiguren (im Sinne Lausbergs), sondern durch Dehnung erreichbar. Entsprechendes gilt sogar für das Paradebeispiel Lakoff/Johnsons, das Jakob auch ausdrücklich anführt:
Argument is war.
Auch hier geht es um Formen des menschlichen Umgangs, nur die Einzelheiten sind verschieden. Die agonale Struktur des Dialogs ist nicht metaphorisch, sondern real, vgl. Ernst Kapp, „Der Ursprung der Logik bei den Griechen“. Übrigens sind weder „Krieg“ noch „Argument“ (hier ist bezeichnenderweise der englische Ausdruck gemeint) universale Begriffe, eignen sich daher nicht als Tertium comparationis.

Noch stärker ist folgender Einwand: Der rasche und unproblematische Wechsel der Bildfelder spricht dagegen, daß sie eine modellartige Denkweise widerspiegeln.
Jakob konzentriert sich dann darauf, die gewissermaßen personifizierenden Bezeichnungen für Maschinen und deren Funktionieren zusammenzustellen. Hier übersieht er aber etwas ganz Entscheidendes: Um Maschinen Intentionalität zu unterstellen, bedarf es überhaupt keiner Vermenschlichung, denn Maschinen verfügen, als menschliche Artefakte, über eine eingebaute Intentionalität, ohne jede Metaphorisierung. Dies ist in neuerer Zeit von Daniel Dennett („The intentional stance“) und der überaus umfangreichen anschließenden Diskussion so gründlich erörtert worden, daß man sich fragt, wie es Jakob entgangen sein kann. Vgl. auch Anna Wierzbickas Methode der Bedeutungserklärung, die bei Artefakten immer mit der Funktion beginnt.

Hier noch ein Beispiel für Jakobs Vorgehensweise:
„Das Getriebe hat die Aufgabe, die Drehzahl und das Drehmoment der Antriebsräder den jeweiligen Fahrerfordernissen anzupassen.
Mit der Formulierung anpassen wird dem technischen Sachverhalt eine Bedeutungsnuance zugesprochen, die streng genommen eine unangemessene Teleologisierung des Artefakts beinhaltet.“ – „Eine menschliche Handlung hat einen intentionalen Aspekt (was soll erreicht werden) und einen operationalen Aspekt (wie soll das Ziel erreicht werden). Die technische Handlung, erst recht der technische Vorgang in einer Maschine, kann nur einen operationalen Charakter haben.“
Die technische Welt ist voller Metaphern („Der Motor bockt.“), die aber nicht nachweislich den menschlichen Umgang mit seinen Werkzeugen und Maschinen beeinflussen.
 
 

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