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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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11.12.2005
 

gräulich
„Jedem Worte klingt / sein Ursprung nach, wo es sich herbedingt.“

Goethe schrieb im „Faust“ gräulich, und Albrecht Schöne ändert nicht, weil er mit Recht meint, daß Goethe wohl das „Grauen“ durchschimmern lassen wollte. Warum auch nicht? Das ist aber kein Argument dagegen, die Differenzierung grundsätzlich beizubehalten.

Apropos Faust: Wer Bücher liebt und nicht soviel Geld ausgeben will, sollte sich, bevor er bei Ebay mitsteigert, auch mal auf das gute alte ZVAB besinnen. Ich habe schon erlebt, daß bei Ebay über den Neupreis hinaus geboten wurde, während die Antiquariate bei ZVAB durchweg seriös, mit genauer Beschreibung der Ware, oft erstaunlich preiswert sind. Gestern kam zum Beispiel der völlig neuwertige „Faust“ in der Insel-Kassette, den ich kaum 24 Stunden zuvor bei meinem geliebten Antiquariat Kastner in München bestellt hatte, für ganze 10 Euro.



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Kommentare zu »gräulich«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2016 um 07.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#33432

Seit wir Einwanderer ins Land lassen, haben sich Linsengerichte ganz schön verändert. Jetzt sehen Suppen nicht mehr nur greulich wie die Berliner Mauer aus, sondern hellrot, zum Beispiel. (FAS 2.10.16)

Wahrscheinlich hat die automatische Korrektur gräulich in vermeintlich hauseigenes greulich geändert.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 28.03.2012 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#20303

Das war keine Korrektur, sondern nur eine nützliche Anmerkung; denn Professor Ickler hatte sich ja gar nicht über die Schreibung überhandnehmen vor der Reform geäußert. Wenn er die Ergänzung aus Höflichkeit "Korrektur" nennt, entsteht nachträglich der falsche Eindruck, er habe sich geirrt. Ich nehme an, daß er seinen eigenen Hinweis auf die Revision von reformiert überhand nehmen mit Absicht in Klammern gestellt und knapp gehalten hat, weil es in diesem Strang vor allem um die Nachteile des Zusammenfalls von gräulich (Farbe) und gräulich ("scheußlich, abstoßend", reformiert für greulich) geht, der in dem zitierten Beispiel eine wahrhaft absurde Blüte hervorgebracht hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2012 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#20301

Danke für die Korrektur! Man soll eben nie glauben, man wüßte schon, was im alten Duden stand!
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.03.2012 um 22.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#20300

Die Schreibung überhandnehmen ist auch die herkömmliche Duden-Schreibung. Im Ur-Duden stand zwar noch überhand nehmen, aber schon 1988 hieß es überhandnehmen.

Nach den Regeln von 1996 mußte auseinander geschrieben werden, seit 2006 wieder zusammen.

Der tatsächliche Schreibgebrauch war allerdings unterschiedlich. Im DWDS-Korpus sind die Varianten gleichmäßig verteilt: 32 Fundstellen für Getrennt-, 31 Fundstellen für Zusammenschreibung. Im 20. Jahrhundert ist auch keine Verschiebung zugunsten der einen oder anderen Schreibung festzustellen.

Daher vollkommen zu Recht gibt der Ickler beide Schreibungen an.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2012 um 08.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#20298

Karl May über sich selbst:

Ich trage Schnurrbart und Fliege; beide waren, wie auch das Kopfhaar, sehr dunkelblond; jetzt beginnt eine zwar ehrwürdige, mir aber gräuliche Färbung überhandzunehmen, denn ich zähle 54 Jahre, sehe aber 10 Jahre jünger aus. (SPIEGEL 26.3.12)

Ich trage Schnurrbart und Fliege; beide waren, wie auch das Kopfhaar, sehr dunkelblond; jetzt beginnt eine zwar ehrwürdige, mir aber "gräuliche" Färbung überhand zu nehmen, denn ich zähle 54 Jahre, sehe aber 10 Jahre jünger aus. (Projekt Gutenberg)

(überhandnehmen entspricht der Reform von 2006.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2009 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#15126

"Gräulich" war das Gammelfleisch, dessen Verarbeitung gerade vor Gericht verhandelt wird. So die Süddeutsche Zeitung in einer Überschrift am 20.10.09.
 
 

Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 14.12.2005 um 10.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#1963

Daß - wie Albrecht Schöne mutmaßt - Goethe die Schreibung 'gräulich' gewählt hätte, um das Grauen durchschimmern zu lassen, ist wohl eher spekulativ. Entsprechend dem Befund im Dt. Wörterbuch findet sich auch bei Goethe neben 'greulich' des öfteren die Schreibung -äu-, ohne daß daraus eine Systematik abzuleiten wäre. Daneben gibt es sogar einmal die Varianten-Schreibung 'greulig' (Wanderjahre).

Interessanter ist ein anderer Fall: Im 'Urfaust' sagt der Student, nachdem Mephisto ihm die universitären Zustände drastisch geschildert hat: "Mir wird ganz greulich vorm Gesicht!" (Vs. 291). Das Goethe-Wörterbuch setzt dafür einen eigenen Bedeutungspunkt an: "als (unbewußte?) Kontamination mit dem Farbwert grau bzw mit der Vorstellung des Dunklen, Düsteren". Das geht deutlich über das Dt. Wörterbuch hinaus, das die Stelle nur im Hinblick auf die verkürzte Wendung "mir wird greulich" interpretiert und umschreibt: "mich ergreift schrecken, entsetzen". Ich habe, als Autor des GWb-Artikels, damals mit der Fortführung "... vorm Gesicht" argumentiert, was goethesprachlich soviel bedeutet wie: vor Augen. (Das wiederum weist das GWb unter dem Stichwort 'Gesicht' (Punkt C2) nach.) Daraus ergäbe sich für die ganze Wendung dann der Sinn: mir wird schwarz vor Augen, mir schwinden die Sinne. Dem entspricht auch eine frühe Goethe-Stelle aus dem 'Jahrmarktsfest zu Plundersweilern': "Mir wird ganz grün und blau!"

So weit kann das gehen, wenn der Lexikograph einen solchen Beleg in die Finger bekommt... Für die Rechtschreibfrage hat das im übrigen keine Bedeutung; Goethe bleibt bei 'greulich', obwohl bzw. selbst wenn im Wort hier das Grau durchschimmert. (Überhaupt: Wer glaubt, sich in Sachen Orthographie auf Goethe berufen zu können, ist auf dem Holzweg schon ziemlich weit fortgeschritten.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2005 um 11.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#1934

Dt. Wörterbuch zu „gräulich“:

„orthographische nebenform zu greulich; seit dem 16. jh. bezeugt, in der zweiten hälfte des 19.jhs. zurücktretend.“

Eben!

Ein bayerischer Ministerialrat, der heute nichts mehr von seiner Rolle bei der Reformdurchsetzung wissen will, rechnete seinerzeit vor, in wie vielen Fällen die Neuregelung Goethesche Schreibweisen wiederherstelle. Bei der s-Schreibung hat er gemogelt, aber was die Getrenntschreibung betrifft, geht das tatsächlich auf. Nur daß man ein Auto nicht gerade mit dem Hinweis bewerben würde, es habe viele Züge der Postkutsche.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 11.12.2005 um 09.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=320#1933

Bei Nacht sind alle Katzen grau.
Neben Goethes Faust fand ich Schillers Handschuh im Deutschbuch meiner Tochter:

Und herum im Kreis,
von Mordsucht heiß,
Lagern die gräulichen Katzen


(Verstehen und Gestalten C7, Oldenbourg)
Auch Schiller im Original?
 
 

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