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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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12.03.2005
 

Blockade

Der Dudenverlag und einige im Rat sitzende Dudenautoren sowie das Stammpersonal aus Österreich und der Schweiz blockieren die Arbeit am neuen Regelwerk, indem sie inhaltliche Änderungen ganz oder weitestgehend ablehnen.
Die sprachwissenschaftlich nachgewiesenen Mängel, um derentwillen der Rat eingesetzt wurde, übergehen sie. Wie zur Verhöhnung des Rates, der sich gerade anschickt, die neuen Regeln zu reparieren, schreibt der Dudenverlag auf den Einband des 2005 erschienenen Fremdwörterbuchs: „Darstellung aller Schreib- und Trennvarianten der Fremdwörter nach der ab August 2005 verbindlichen Rechtschreibung“. (In dudentypischer Weise wird verschwiegen, für wen die Rechtschreibreform verbindlich ist: nur für die Schüler.) Die Beschwörung der Endgültigkeit soll sich normativ auswirken; je mehr vollendete Tatsachen dieser Art geschaffen werden, desto stärker wird der Rat in seiner auftragsgemäßen Arbeit behindert. Dudenautor Hoberg lehnt jede Arbeit am Inhalt der Reform ab – wie stellt er sich die Mitarbeit in einem Rat vor, der genau diese Arbeit leisten soll? Die Blockierer fordern mehr „Öffentlichkeitsarbeit“ (= Propaganda) statt inhaltlicher Korrekturen. Es geht ihnen nur ums Geld, ein bißchen auch noch um die drohende Schande – obwohl kaum noch Reformer aktiv sind, nur noch Reformunternehmer.
Der Wunsch, alles beim alten zu lassen, kommt besonders in der Tatsache zum Ausdruck, daß sieben von zwölf Mitgliedern der entlassenen Zwischenstaatlichen Kommission gleich sitzen geblieben sind: alle Schweizer und Österreicher sowie Hoberg. Was sagt eigentlich die KMK dazu?



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Kommentare zu »Blockade«
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.03.2005 um 11.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=39#4

Die Neuregelung ist der politische Wille der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten. [1.8.2005:] Man muss den Termin halten, man kann Lehrer und Schüler nicht ständig in neue Regeln hetzen. In den Ämtern ist die Neuschreibung quasi in Kraft. [Übergangsfrist?] Die braucht man nicht. Wenn sie politisch gewollt wird - bitte. Aber der Rat hat freie Hand, wir sind zeitlich nicht begrenzt. Ich will die Beschlüsse des Rates nicht vorweg nehmen. Sie fallen frühestens im Mai/Juni, mit Zweidrittel-Mehrheit. Aber ich vermute, dass der Rat, um Ärger zu vermeiden, ein 2-Phasen-Modell einführt. Ich denke, es wird mehr Kann-Regeln geben, also zwei oder mehrere richtige Varianten. In Phase zwei, wenn die Emotionen etwas abgeebbt sind, legt man dann eine allein gültige fest. Je nachdem, was sich durchsetzt. Kombiniert mit einigen kleineren Änderungen könnte das dann relativ unauffällig in vier, fünf Jahren sein, immer dann, wenn es etwa den neuen Duden gibt. [RfdS = Alibi-Veranstaltung?] So reden die Gegner der Reform, aber sie sind eine Minderheit. Die meisten wollen die Reform, mit Verbesserungen. [Rechtschreibung ein Dauerproblem?] Wenigstens ein Dauerthema. Die Experten sind gut beraten, wenn sie die Entwicklung beobachten und die Orthografie-Regeln nach vier oder fünf Jahren wieder anpassen. Bei unseren Nachbarn im Norden, in Schweden, Dänemark, Norwegen ist das ganz normal. Davon kann man lernen.

Peter Gallmann redet Tacheles. Dieser Extrakt aus einem längeren Interview in der Thüringer Allgemeinen läßt keine Frage offen, nun wissen wir, wohin die Ratsreise geht: in ein Phasenmodell zur unauffälligen Durchsetzung der Rechtschreibreform, "wenn die Emotionen etwas abgeebt sind". Denn: "Die Neuregelung ist der politische Wille der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten." Alle vier bis fünf Jahre - im Rhythmus der Duden-Neuauflagen - gibt es dann nicht weniger, sondern mehr Rechtschreibreform. Herr Markner wird uns sagen, ob Gallmanns Sicht der skandinavischen Verhältnisse stimmt. Immerhin: Davon kann man lernen. Im Rat sind die Gegner wirklich eine Minderheit. Aber draußen? Vielleicht erleben wir doch noch das Wunder, daß die tatsächliche Mehrheit aufwacht.

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 18.03.2005 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=39#2

Was haben wir vom Rat für deutsche Rechtschreibung zu erwarten?

In seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause wird der RfdR vermutlich über eine Empfehlung abstimmen, wie die Kultusministerkonferenz zum 1. August 2005 verfahren solle. Drei Anträge könnten zur Abstimmung stehen. Falls die Schweiz ihren 9. Sitz bis dahin nicht eingenommen hat, der Vorsitzende Zehemair dagegen an der Abstimmung teilnimmt, sind 34 Mitglieder stimmberechtigt. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung könnte allerdings in der Zwischenzeit dem Vorbild des PEN-Zentrums Deutschland gefolgt sein und ihre zwei Sitze eingenommen haben. Dann wären 36 Mitglieder stimmberechtigt. Im folgenden wird dieser Fall in Klammern berücksichtigt.

1. Antrag: "Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, die Neuregelung in der Fassung von 2004 mit den ergänzenden Änderungsvorschlägen der Arbeitsgruppe des RfdR in Kraft zu setzen."
Vermutliches Ergebnis: 26 Ja-Stimmen, 8 (10) Nein-Stimmen.

2. Antrag: "Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, die Neuregelung in der Fassung von 2004 ohne Ergänzungen in Kraft zu setzen."
Vermutliches Ergebnis: 19 Ja-Stimmen, 15 (17) Nein-Stimmen.

3. Antrag: "Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, zu der vor der Neuregelung gültigen Rechtschreibung zurückzukehren."
Vermutliches Ergebnis: 8 (10) Ja-Stimmen, 26 Nein-Stimmen.

Daraus folgt: Wenn es der "Arbeitsgruppe" gelingt, fristgerecht einen Vorschlag zur Getrennt- und Zusammenschreibung und vielleicht auch zur Eindeutschung von Fremdwörtern, zur Silbentrennung und zur Interpunktion vorzulegen, könnte der erste Antrag mit einer großen Mehrheit rechnen. Das wäre im Sinne des Auftrags der KMK und der Konferenz der Ministerpräsidenten. Sonst würde es - mit oder ohne Abstimmung - bei der "Neuregelung in der Fassung von 2004" bleiben. Für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung würden zwar mehr Ratsmitglieder stimmen, als nach den ersten Meldungen über die Zusammensetzung des Rats zu befürchten stand, mehrheitsfähig wäre ein entsprechender Antrag aber nicht.

Für die unveränderte Neuregelung treten insbesondere die aus der Zwischenstaatlichen Kommission in den neuen Rat übergewechselten Mitglieder ein, dazu die Vertreter der Wörterbuch- und Schulbuchverlage. Die Vertreter des Instituts für deutsche Sprache, der Lehrerverbände und der Jugendbuchverlage würden Nachbesserungen begrüßen, vor allem aber die Vertreter der Journalistenverbände und der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger sowie der Nachrichtenagenturen.

Letztere Gruppe würde auch für die Rückkehr zur bisher üblichen Rechtschreibung stimmen, sich also dem deutschen PEN, dem österreichischen Autorenverband und den deutschen Akademien der Wissenschaften anschließen. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würde vermutlich ebenfalls diesen Antrag unterstützen.

Und wie kommen wir dabei weg? Vom Rat für deutsche Rechtschreibung ist keine Rückkehr zur Rechtschreibnormalität zu erwarten. Wichtig ist aber, daß Professor Ickler und andere jetzt die Verlogenheit der offiziellen Reformbefürwortung in einem offiziösen Gremium entlarven können, vielleicht sogar medienwirksam. Darüber sollten wir nicht vergessen, daß auch die vernünftigsten Beschlüsse dieses Rates an der anonymen Arbeitsgruppe Rechtschreibung des Schulausschusses der KMK scheitern würden. Von der Politik ist nichts zu erwarten - weder in der Schweiz (wie gerade gesehen) noch bei uns. Es gibt aber hoffnungsvolle Anzeichen, daß die deutschen Nachrichtenagenturen und fast die gesamte Presse die offizielle Hinhaltetaktik leid sind. Wenn ab 1. August 2005 die Presseorthographie in Deutschland zu den traditionellen Schreibungen zurückkehrte, wäre die Rechtschreibreform bald vom Tisch - nicht nur bei uns. Was sich im Rat abspielen wird, ist jetzt schon nebensächlich. Die Rückreform der Reform muß aus der Schreibgemeinschaft kommen.
 
 

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