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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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26.06.2006
 

Komplexer Murks
Neuer Versuch, den Stand der Dinge zu verstehen

Die Reformbestimmung, daß Adjektive auf ig/isch/lich weder mit Verben noch mit Adjektiven zusammengeschrieben werden dürfen, ist gestrichen, aber nicht ersatzlos. Bei den Adjektiven als Zweitgliedern lautet die Nachfolgebestimmung:
㤠36 (2.2) Verbindungen mit einem einfachen unflektierten Adjektiv als
graduierender Bestimmung, zum Beispiel:
allgemein gültig/allgemeingültig, eng verwandt/engverwandt, schwer
verständlich/schwerverständlich, schwer krank/schwerkrank

E4: Ist der erste Bestandteil erweitert oder gesteigert, dann wird getrennt geschrieben,
zum Beispiel: leichter verdaulich, besonders schwer verständlich, höchst erfreulich
In Zweifelsfällen entscheidet die Akzentplatzierung, vgl. er ist höchstpersönlich
gekommen – das ist eine höchst persönliche Angelegenheit
.“


Zunächst ist unklar, wieso die Akzentplazierung entscheiden kann, was durch die übergeordnete Regel bereits entschieden ist. Bei Komparationsformen im ersten Teil ist die Zusammenschreibung kategorisch ausgeschlossen, das kann der Akzent nicht mehr ändern.
Der behauptete Akzentunterschied trifft aber gar nicht zu. Wahrig setzt korrekterweise auch im ersten Fall zwei Betonungsgipfel an: höchstpersönlich. Damit widerspricht aber die Zusammenschreibung der Regel, denn der erste Teil ist ein morphologisch komplexes Adjektiv.

schmutzig gelb muß weiterhin getrennt geschrieben werden, nach Wahrig jetzt mit der neuen, aber ebenso willkürlichen Begründung, es handele sich beim ersten Teil „nicht um ein einfaches, sondern um ein abgeleitetes Adjektiv“. Selbst wenn schmutzig einfach wäre, könnte es nicht mit gelb zusammengeschrieben werden, weil man es kaum als „graduierend“ bezeichnen dürfte. Demgegenüber gilt allgemein offenbar nicht nur als einfach, sondern außerdem als „graduierend“, was einigermaßen zweifelhaft ist. allgemeinbildend, das jetzt wieder erlaubt ist, stellt ja keine Steigerung von bildend dar. Übrigens setzt Wahrig allgemein verständlich und allgemeinverständlich als gleichwertige Varianten an. Aber soll man noch allgemein verständlicher wirklich für korrektes Deutsch halten? Die beiden blauen Infokästen lassen es zu.

„Erweitert oder gesteigert“ scheint die Negativfolie zu sein, vor der man verstehen muß, was „einfach“ bedeutet. Bei den Verben lautet die entsprechende Formulierung allerdings „morphologisch komplex“ (§ 34 [2.2.]) – ein Ausdruck, der nur an dieser Stelle vorkommt und sich offenbar auch auf die Wortbildung (Ableitung und Zusammensetzung) bezieht.

Mit dem Verb fakultativ zusammengeschrieben wird nach § 34 (2.1) ein einfaches Adjektiv als Resultatsbezeichnung, nach der inoffiziellen „Handreichung“ aber nur als Objektsprädikativ. Ergibt sich eine idiomatische Gesamtbedeutung, gilt die Beschränkung auf einfache Adjektive nicht mehr: schuldigsprechen, madigmachen. Auch für tieferlegen (ein Auto tieferlegen) nimmt Wahrig offenbar eine idiomatisierte Bedeutung an, die sich aus den Bestandteilen nicht erschließen läßt. Nach E5 gilt: „Lässt sich in einzelnen Fällen keine klare Entscheidung darüber treffen, ob eine idiomatisierte Gesamtbedeutung vorliegt, so bleibt es dem Schreibenden überlassen, getrennt oder zusammenzuschreiben.“ Dabei muß er aber, falls er sich für nichtidiomatisierte Gesamtbedeutung entscheidet, wieder die Einschränkung auf „einfache“ Adjektive beachten.

Kein Wunder, daß die Wahrigredaktion Schwierigkeiten hatte, die neuen Regeln zu interpretieren, und daß es sich als notwendig erwies, den Empfehlungen des Rechtschreibrates inoffizielle Handreichungen beizugeben, die erst während der Arbeit am Wörterbuch entwickelt wurden und zum Teil ganz überraschende Zusatzregeln enthalten.



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Kommentare zu »Komplexer Murks«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2006 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4700

Interessanter als die läppischen "Empfehlungen" des Wahrig sind die Nebenbemerkungen, die gar nicht eigens als Empfehlungen gekennzeichnet sind. So wird vor "viel versprechend" gewarnt, wenn, wie bei "viel versprechenden Politikern", ein Mißverständnis möglich ist. Diese Warnung läuft auf das Eingeständnis hinaus, damals mit der gewaltsamen Auseinanderreißung Murks gemacht zu haben. Man sollte aber deutlicher sagen, daß "vielversprechend" und "viel versprechend" nicht dasselbe sind, folglich keine orthographischen Varianten, wie es im Haupteintrag immer noch behauptet wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2006 um 15.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4554

Zu Waggon/Wagon behauptet der Infokasten: "Die ins Deutsche integrierte Schreibweise Waggon und die der Herkunftssprache entsprechende Form Wagon sind beide gleichermaßen zulässig. § 2, § 55(4)." Wieso ist die eine Schreibweise ins Deutsche integriert? Der Verweis auf § 2 geht ins Leere, da dort von betonten Kurzvokalen die Rede ist; § 55 (4) betrifft die Großschreibung in festen Gefügen, eine hier gänzlich irrelevante Regel.
 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 30.06.2006 um 06.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4490

Der Rechtschreibrat schwimmt Delfin, Delphin!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2006 um 18.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4484

Wie ich in Gesprächen immer wieder feststelle, ist zwar die amtliche Neuregelung allen Mitstreitern bekannt, nicht aber der „Bericht“ mit den höchst bedeutsamen zwei Seiten „Handreichung“ am Schluß. Man kann auch diesen Text von http://www.rechtschreibrat.com/ unter „Aktuelles“ herunterladen. Das genaue Studium lohnt sich. Man sieht, wie hier am Rat vorbei ganz neue Regeln aufgestellt wurden, die von den beteiligten Wörterbuchredaktionen offenbar als ebenso verbindlich betrachtet und befolgt werden wie die amtlichen Regeln. Daß der Rat gegen diese obskuren Vorgänge keinen Widerspruch einlegt, erklärt sich natürlich aus seiner Zusammensetzung.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 28.06.2006 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4479

Die große Chance zu einer stillschweigenden Rückkehr bietet die zunehmende Wirrnis im Regelwerk. Wer blickt noch durch? (Vergl. den Beitrag von Prof. Ickler). Da kommt die Stunde der Praktiker. Wie gesagt: Wenn sie nur wollten und sich auf ihre alten Tugenden besännen, könnten sie sich fast alles erlauben. - Warum die etymologischen Scherze nicht angetastet werden, läßt sich wahrscheinlich nur psychologisch erklären. Sprachwissenschaftlich kann man da wohl nichts ausrichten, dafür sind sie einfach zu läppisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2006 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4478

Gibt es eigentlich bei Oldenbourg noch weitere Teile von Schoebes Ausarbeitung zum Herunterladen? Ich komme aus irgendeinem Grunde nicht dahinter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2006 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4477

Schoebe: „Zusammengesetzte Wörter werden selbstverständlich als ein Wort geschrieben.“

Als Beispiele werden auch Verbzusatzkonstruktionen wie fertigstellen angegeben, die keine wirklichen Zusammensetzungen sind und nur in bestimmten Fällen zusammengeschrieben werden, also z. B. nicht bei Topikalisierung des Zusatzes (fertig stellt er es nie, entzwei geht es nicht so leicht) und natürlich nicht in Distanzstellung. So „selbstverständlich“ ist die Zusammenschreibung also nicht.

Schoebe lehrt die obligatorische Getrenntschreibung von da gewesen. Das entspricht nicht dem amtlichen Wörterverzeichnis, wo dagewesen als einzige Ausnahme verzeichnet ist; Wahrig weist ausdrücklich darauf hin.

„In einigen ähnlichen Fällen ist sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung zugelassen (Doppelschreibung). Das gilt auch für gebeugte (konjugierte) Formen: (...) Max saugt Staub. Ich staubsauge.

Das ist aber bei brustschwimmen, staubsaugen usw. nicht das Problem, denn sonst hätte man diese Verbindungen teils bei den „trennbaren“ Verben und teils bei den „untrennbaren Verben“, also den echten Zusammensetzungen unterbringen müssen. Mit „Doppelschreibung“ hat das nichts zu tun. Schon die amtliche Regelung ist hier unklar, und Schoebe kann sie auch nicht aufklären.

Das „Diagramm“ zeigt, wie man in dreizehn (!) Schritten zur richtigen Schreibweise einer Verbindung wie wieder sehen gelangt.

„Bei Wortartenwechsel zum Substantiv [Nomen] wird ausschließlich zusammengeschrieben: die Alleinerziehenden, das Obenstehende, das Schräggedruckte.“

Das ist eindeutig falsch.

Die angebliche Unterscheidungsschreibung so genannt vs. sogenannt entspricht nicht dem amtlichen Regelwerk.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 28.06.2006 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4476

@Kratzbaum...

solch eine "Rückkehr" würde aber nur die Bereiche betreffen, die unverständlich geregelt sind und daher vom Wörterbuch individuell interpretierbar wären. Also in erster Linie die GZS und in weitaus geringerem Maße auch die GKS.
Die scheußliche ss/ß-Schreibung, die dreifachen Konsonanten, das Komma nach wörtlicher Rede mit "!" oder "?" sowie die Etymologeleien werden aber von Auflage zu Auflage weiter zementiert.

Wirklich mutig wäre ein Wörterbuch nur, wenn es neben der farblich beibehaltenen Alt-Schreibung (irgendwann wird NRS = schwarz und bewährte Rechtschreibung = rot – davon bin ich überzeugt) auch noch einen Prä-1996-Regelteil beinhalten würde. Erst dann können die Wörterbuchnutzer wirklich vergleichen...
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 28.06.2006 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4475

Sehr geehrte Frau Morin, ich habe nicht von einer "letzten Instanz" im Sinne von Legitimation und Kompetenz gesprochen. Für mich steht in der augenblicklichen Lage immer die Frage im Vordergrund, von welcher Seite eine Weiterentwicklung = Revision der Rechtschreibung am ehesten zu erwarten ist. Rechtschreibung ist Praxis, und welche Praxis sich durchsetzen wird, bestimmen wesentlich, wenn nicht ausschließlich die Wörterbücher. Natürlich nur dort, wo das richtige Schreiben verbindlich gefordert ist. Diese Schlüsselstellung der Wörterbücher könnte im günstigsten Falle eben auch für die allmähliche Rückkehr zur bewährten Orthographie nutzbar gemacht werden - wenn sie denn wollten, sprich: wenn es in ihrem Geschäftsinteresse läge.
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 28.06.2006 um 13.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4474

Da die Wörterbücher nur die neueste Variante der RSR abzubilden versuchen und diese wiederum nur für die Schulen verbindlich ist, kann man sie doch wohl kaum als letzte Instanz betrachten. Welche "letzte Instanz" würde man denn auch wählen?

Ich bin mir ziemlich sicher, daß der neue Duden vom Wahrig auch wieder in vielen Punkten abweichen wird. Ich jedenfalls habe dieses Chaos nun satt und werde zukünftig schreiben, wie ich es selbst für richtig halte (mit gelegentlichem Blick in meinen alten Wahrig und den "Ickler" natürlich). Für Kunden, die von mir die "neue Rechtschreibung" fordern (das werden immer weniger), werde ich gelegentlich ein "ss" einfügen.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 28.06.2006 um 10.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4473

Das ist schon richtig, Herr Lindner: Über die derzeitige Qualität der Wörterbücher besteht wohl kein Zweifel. Ich habe nur versucht, den Gang der Dinge zu skizzieren, wie er sich abzeichnet. Und trotz allen Elends bleibe ich hoffnungsvoll. Da der große Kehraus wenig wahrscheinlich ist, setze ich auf eine ausschleichende Therapie. Das fordert uns allen viel Geduld ab, und natürlich muß ständig das Bewußtsein der Misere wachgehalten werden. Aber die Wörterbücher setzen Fakten und sind die einzige Instanz, die wirklich in den Rechtschreiballtag hineinwirkt.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 28.06.2006 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4472

ein "freistehendes" Haus - nicht bewohnt??
Das ist doch wohl falsch. Freistehend hatte sich mir immer als "nicht an ein anderes angebaut" vermittelt, also mit Garten oder Land drumherum. Ein "freistehendes" Haus kann sowohl bewohnt oder unbewohnt sein.

Steht das wirklich so im Buch?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2006 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4471

Schoebe (Oldenbourg Internet 2006) deutet so:

»a) Bei Wortverbindungen mit Adjektiv als rechtem Bestandteil hat der Schreibende dann Wahlfreiheit, wenn der linke Bestandteil ein unflektiertes Adjektiv mit graduierender Bedeutung ist. Der Schreibende kann nach Belieben zusammen- oder getrennt schreiben, wenn er das unflektierte Adjektiv als graduierend versteht (Doppelschreibung). schwerverständlich oder schwer verständlich, halbfett oder halb fett, schwerkrank oder schwer krank, leichtverdaulich oder leicht verdaulich, hochgiftig oder hoch giftig.

b) Ist der erste Bestandteil aber erweitert oder gesteigert, dann wird ausschließlich getrennt geschrieben. besonders schwer verständlich, leichter verdaulich.«


Den Begriff "adjektivisch gebraucht" versteht Schoebe als "nicht Bestandteil einer Verbform". Allerdings bleibt der Widerspruch bestehen, daß in der fakultativen Schreibweise Rad fahrend das Partizip, da es ein Objekt regiert, zweifellos verbal und nicht adjektivisch gebraucht ist.

Schoebe:

»In manchen Fällen gibt es Unterscheidungsschreibung:
ein freistehendes Haus (nicht bewohnt) – ein frei stehendes Haus (nicht Wand an Wand mit anderen)«

Wahrig sieht es anders:

»frei stehend (blau) auch: freistehend unbewohnt
frei stehend auch: freistehend (blau) für sich, ungestützt«

Die Unterscheidung ist also ausdrücklich aufgehoben. Deshalb sind auch die "frei stehenden Zeilen" aus dem amtlichen Regelwerk von 1996 seit 2004 durch "freistehende Zeilen" ersetzt.

Schoebe: »In einigen Fällen bevorzugt man Zusammenschreibung, wenn eine Eigenschaft bezeichnet werden soll, Getrenntschreibung, wenn ein Vorgang beschrieben werden soll:

eine fleischfressende Pflanze
ein (gerade jetzt) Fleisch fressender Hund«

Das Regelwerk und Wahrig wissen davon nichts, beide Schreibweisen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Was Schoebe hier darstellt, ist der Zustand vor der Reform. So steht es denn auch in meinem Schildbürger-Büchlein von 1997:

»Auch Fachausdrücke wie fleischfressend (= karnivor), eisenverarbeitend usw. wurden bisher aus gutem Grund anders geschrieben als die Wortgruppen, mit denen man aktuelle Zustände oder Vorgänge beschreibt. Man vergleiche: Fleischfressende Pflanzen gibt es auch bei uns, aber: Der Hund saß Fleisch fressend vor seiner Hütte.«
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 28.06.2006 um 00.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4470

@Kratzbaum

nur... waren die Wörterbücher in früheren Zeiten nicht qualitativ besser als es die heutigen sind?

Abgesehen einmal von 'unserer' generellen Ablehnung gegen die NRS... so ist das Niveau doch ganz generell gesunken. Wenn schon mit 5000 neuen Wörtern geworben wird, wo doch nur die "-in"-Formen in manchmal ganz grotesker Weise hinzugekommen sind, dann ist das "Kulturgut" Wörterbuch kaum noch das Papier wert, auf das es gedruckt wird.
Wieviele neue Wörter mag sich die Duden-Redaktion als Superlativ für die kommende Auflage ausgedacht haben?

Nein... die Wörterbücher können die Rechtschreibung nicht retten oder zumindest wieder auf einen brauchbaren Standard bringen. Sie protokollieren nur die Dummheit der Rechtschreibreform.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 28.06.2006 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4469

Die Schreibweise in zwei Wörtern zusammen schreiben ist aus zwei weiteren Gründen (neben dem Häufigkeitsbefund) als Option anzuerkennen: zusammen muß man nicht zwingend als Angabe des Resultats bzw. als Verbzusatz auffassen, sondern man kann es ebenso wie getrennt als adverbial auffassen: Wie, auf welche Weise werden die beiden Wörter geschrieben? Als Einheit, ohne Leerzeichen, also zusammen. Zweitens gibt es sehr häufig die Formulierung etwas getrennt oder zusammen schreiben. Hier kann man und sollte man getrennt oder zusammen als komplexe Erweiterung von schreiben auffassen, als adverbiale Angabe bestehend aus drei Wörtern. Das ist zwar kein zwingender Grund, das einzelne zusammen vor schreiben genauso als Adverb einzustufen, aber ein weiterer Hinweis darauf, daß es möglich ist, neben der üblichen Auffassung von zusammen als Verbzusatz mit resultativer Bedeutung. Außerdem sieht getrennt oder zusammen schreiben mindentens so gut aus wie getrennt oder zusammenschreiben.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 27.06.2006 um 22.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4467

Instanzenzug

Eines zeichnet sich klar ab:

Die maßgebende Stelle zur Festlegung der Rechtschreibung im einzelnen werden (wieder) die Wörterbücher sein. Was der Rat noch beschließen mag, wird durch Auslegung und Empfehlungen erst brauchbar gemacht werden müssen, es wird für den Alltag zurechtgeschnitzt. Darum ist es nur folgerichtig, daß ausgerechnet die Geschäftsführerin eine entscheidende Rolle spielt. "Richtig ist, was im Wörterbuch steht." So war es schon immer und kann auch gar nicht anders sein. Denn bei aller Kritik und Anfechtbarkeit sind die Wörterbuchredaktionen die eigentlich Zuständigen. Ganz vergessen kann man die Kultusbürokratie. Von ihr ist kein Einspruch mehr zu erwarten. So geht der Rückzug gerade umgekehrt wie seinerzeit die Offensive.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2006 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4464

Wie mir erst nachträglich auffällt, haben die reformierten Wörterbücher von Anfang an etwas gegen Russisch Brot gehabt und wollten nur noch Russischbrot zulassen, übrigens weiterhin mit zwei Akzenten. Dabei ist es geblieben, Wahrig hebt die Neuerung in Blaudruck hervor. Ich weiß aber nicht, auf welche Regel es zurückgeht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2006 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4463

Zwischen getrennt schreiben und zusammenschreiben besteht ein Unterschied: Wer etwas getrennt schreibt, schreibt erst das eine und dann das andere, er schreibt also nacheinander. Beim Zusammneschreiben wird so geschrieben, daß die Teile nachher zusammen sind, resultativ. Entscheidend sind aber nicht solche Überlegungen, sondern die Gewohnheiten. Ich würde bei zusammenschreiben nur eine Tendenz zur Zusammenschreibung sehen (daher in meinem Wörterbuch der Rundbogen nebst Vermerk), während für getrenntschreibst usw. kaum ein Beleg zu finden sein dürfte. Das deutet auf eine ganz starke Intuition hin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2006 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4462

Schoebe spricht immerhin klar aus, daß eine Zusammensetzung wie herzerfrischend dann vorliegt, wenn die angeblich zugrunde liegende verkürzte Wortgruppe zwei notwendige Teile enthält: das Herz erfrischend. Wahrig macht das ganz falsch, allerdings in Anlehnung einen frühen, inzwischen wohl nicht mehr verfochtenen Einfall des Getrenntschreibers Schaeder. Das reformierte Leid tragend ist jetzt getilgt, es gibt nur noch leidtragend, aber eben mit der sonderbaren Begründung: "In der Zusammensetzung leidtragend ist der Erstbestandteil durch eine Wortgruppe (viel Leid, großes Leid) ersetzbar." Also erst erweitern und dann wieder weglassen – und schon hat man die "verkürzte Wortgruppe". Aber auf diese Weise wären auch Besorgnis erregend usw. ausschließlich zusammenzuschreiben, denn man kann sie allesamt erst erweitern und dann wieder verkürzen. Mir kam das damals wie ein fauler Witz vor, aber im Wahrig steht es ganz ernsthaft.
 
 

Kommentar von Wolf Busch, verfaßt am 27.06.2006 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4461

Wenn schmutzig kein einfaches Adjektiv im Sinne der amtlichen Regelung ist, dann sollte das doch eigentlich auch auf flüssig zutreffen, aber laut Wahrig (und laut Wörterverzeichnis der amtlichen Regelung) darf man flüssigmachen nicht nur in übertragener Bedeutung zusammenschreiben: "Wachs flüssigmachen/flüssig machen". Die Unterscheidung zwischen "einfachen" und "nicht einfachen" Adjektiven scheint also ziemlich schwierig zu sein.

Da es bei übertragener Bedeutung nicht darauf ankommt, ob das Adjektiv einfach ist oder nicht, müßte man doch eigentlich auch sich scheckiglachen zusammenschreiben, analog zu sich schwarzärgern (obligatorische Zusammenschreibung laut Wahrig).

Auf der Duden-Website findet man eine "umfangreiche Zusammenstellung der künftig geltenden neuen, gegenüber der alten Regelung von vor 1996 veränderten Schreibungen" in Listenform. Allerdings werden dort die meisten der hier diskutierten Schreibungen überhaupt nicht erwähnt, so daß beispielsweise nicht klar ist, was der Duden bei Zusammenschreibungen mit fest, tot und voll genau vorschreibt.

Im Gegensatz zum Wahrig hält man beim Oldenbourg-Verlag die Getrenntschreibung fest schrauben für korrekt, wie man hier nachlesen kann. Von einer Unterscheidung zwischen Subjekts- und Objektsprädikativen steht dort auch nichts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2006 um 09.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4460

Nein, die adjektivische Flexion ist erst spät aufgekommen und nie ganz durchgedrungen; heute wird sie wieder abgebaut.
 
 

Kommentar von Scharlachzwerg, verfaßt am 27.06.2006 um 07.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4457

--> Frau Morin

"aber ist jemand hier schon aufgefallen"

...muß es da nicht "jemandem" heißen?
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 27.06.2006 um 02.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4455

Es gehört zwar nicht hierher, denn die RSR hat sich wohl noch nicht an einer offiziellen Demontage der deutschen Grammatik versucht, aber ist jemand hier schon aufgefallen, daß Journalisten neuerdings auch mit der Deklination Schwierigkeiten haben?
Beispiel aus einer Tageszeitung: "... dem Ökonom ..." und, noch besser, "... des Ökonoms"!
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 26.06.2006 um 21.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4446

Daran kann man sehen, daß das Sprachgefühl eine sehr persönliche Angelegenheit und als Orientierung für "richtiges Schreiben" eine höchst fragwürdige Referenz ist. "Richtig" ist in der Rechtschreibung eben das, was der Schreiber für richtig hält. Und wenn seine Leser derselben Meinung sind, dann braucht es keine Regeln. Wenn nicht, dann merkt es der Schreiber früher oder später und ändert seine Schreibweise.
 
 

Kommentar von Charlotte, verfaßt am 26.06.2006 um 21.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4445

Zusammen schreiben .. können auch ein paar Leute, die sich zusammengefunden haben, um etwas zu schreiben bzw. etwas zusammenzuschreiben ;-)
 
 

Kommentar von borella zu #4441, verfaßt am 26.06.2006 um 21.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4444

Mein Sprachgefühl sagt mir, "zusammen schreiben" bedeutet, etwas als ein Wort zu schreiben; "zusammenschreiben" aber würde ich anwenden, wenn ich sage, "Der hat aber wieder einen Stuß zusammengeschrieben".
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 26.06.2006 um 20.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4443

Richtigstellung:
Die in #4440 genannten Verhältniszahlen beziehen sich auf die Formen ohne "zu", also 8:0 für "zusammengeschrieben" versus "zusammen geschrieben" und 7:1 für "getrennt geschrieben" versus "getrenntgeschrieben" (Download des Regelwerks am 3. 3. 06).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.06.2006 um 20.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4442

Zur Mehrfachbedeutung: In schriftlichen Prüfungen wird fast immer getrennt geschrieben (und nicht in Gruppenarbeit).
 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 26.06.2006 um 20.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4441

„Getrennt schreiben“ schreibt man in zwei Wörtern, würde ich sagen. Da gibt es aus meiner Sicht nicht viel zu erklären. Man fragt: „Wie schreibt man das?“ – Antwort: „Man schreibt es getrennt.“ Jedenfalls sehe ich keinen Grund für eine Zusammenschreibung.

Mit „zusammenschreiben“ sollte es sich eigentlich genauso verhalten, aber hier handelt es sich um eine Ausnahme, die es nur deshalb gibt, weil „zusammen schreiben“ soviel heißt wie „miteinander schreiben“ (oder zumindest so mißverstanden werden könnte). Auch in der 96er Regelung war „zusammenschreiben“ in dieser Hinsicht als Besonderheit angegeben. Ich nehme an, daß sich an dieser Sache nichts geändert hat.

Hinzufügen möchte ich noch: Warum man „großschreiben“ und „kleinschreiben“ zusammenschreiben soll, leuchtet mir übrigens nicht ein. Auch hier frage ich: „Wie schreibt man dieses Wort?“ – Antwort: „Man schreibt es groß.“ Übertragene bzw. idiomatisierte Bedeutung hin oder her ...
 
 

Kommentar von borella ;-(, verfaßt am 26.06.2006 um 19.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4440

„Lässt sich in einzelnen Fällen keine klare Entscheidung darüber treffen, ob eine idiomatisierte Gesamtbedeutung vorliegt, so bleibt es dem Schreibenden überlassen, getrennt oder zusammenzuschreiben.“ (§34, E5)
Hier hat mein Verständnis Schwierigkeiten.
Heißt es in der vollständigen Schreibung "getrenntzuschreiben oder zusammenzuschreiben", dann wäre in der Abkürzung eigentlich ein Bindestrich zu setzen, also: "getrennt- oder zusammenzuschreiben" .
Fehlt der Bindestrich, interpretiere ich: getrennt zu schreiben oder zusammenzuschreiben" .
In diesem Fall frage ich mich, aus welchem Grund die Kombinationsschreibung für "getrennt" bzw. "zusammen" im amtlichen Regelwerk unterschiedlich ist?
Die Zählung bestätigt allerdings 8:0 für "zusammenzuschreiben" versus "zusammen zu schreiben" und 7:1 für "getrennt zu schreiben" versus "getrenntzuschreiben" im amtlichen Regeltext.
Kann mir das jemand erklären?
 
 

Kommentar von Bärentöter, verfaßt am 26.06.2006 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4439

Habe heute Bruno abgeschossen. Würde mir jetzt gerne die Rechtschreibreform vornehmen, die ist noch viel problematischer und gefährlicher. Von wem bekomme ich die Erlaubnis?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 26.06.2006 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4438

Murx oder nicht Murx - alles paßt gut zusammen.
Orthographie eines modernen Lehrers:

"Folgende Bestellnummern bitte ich sie aus der Bestellung heraus zu nehmen, ..."

So etwas ist leider keine Ausnahme.
ABER: Wehe, wenn in unseren Lernhilfen kein "dass" erscheint!!!
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.06.2006 um 11.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=537#4437

Es gibt Partizipien, die gar nicht für sich allein gebraucht werden können: gestellt, verdienend usw. Sie existieren nur als Verbindung mit einem Adjektiv: höhergestellt, besserverdienend usw. "besser" ist außerdem mehrdeutig: Er fährt besser als ... - Er sollte besser wegfahren.
 
 

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