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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.05.2005
 

Laut-Buchstaben-Zuordnungen
Was ist bei der Revision zu beachten?

Obwohl es noch nicht auf der Agenda steht, habe ich schon mal ein Memorandum für die Revision des ersten Teils der Reform entworfen. (Neufassung 21.5.2005)
(Der Text enthält keine Kursivierungen, ist aber hoffentlich trotzdem verständlich. Für Hinweise, auch per Mail, bin ich dankbar.)


Was ist bei der Revision der Laut-Buchstaben-Entsprechung zu beachten?

1. Etymogeleien Internationaler Arbeitskreis und Zwischenstaatliche Kommission hatten sich nur widerstrebend dem Wunsch ihres Mitgliedes und Vorsitzenden Gerhard Augst gebeugt, etwa ein Dutzend etymologisch-volksetymologisch begründete Neuschreibungen in das Reformwerk aufzunehmen. Einige davon sollen sogar erst nach den dritten Wiener Gesprächen ohne Wissen der anderen Mitglieder eingeschleust worden sein. (Der Arbeitskreis trat danach nie wieder zusammen.) „Die Etymologie als sprachlich und kulturell spannendes Phänomen verkommt zur Bildungsdemonstration, wenn sie dazu herhalten muss, Ausnahmen in der Rechtschreibung zu legitimieren.“ (Augst/Schaeder S. 16) Dasselbe ließe sich aber sagen, wenn sie dazu herhalten muß, Zusammenhänge künstlich wiederzubeleben wie bei behende/behände, Stengel/Stängel, Stendel/Ständel oder umgekehrt Wächte/Wechte. (Hier wird behauptet, das Wort komme nicht von wachen; ob es aber von wehen kommt, ist laut Kluge/Seebold auch ungewiß, denn der Konsonantismus stimmt nicht.) Schon Adelung hatte diese Manier verurteilt: „Unverzeihlich aber sind alle im Schreiben vorgenommenen Veränderungen, wenn sie sich auf sehr entfernte, ungewisse oder gar willkührliche und unbegründete Ableitungen stützen, wie ämsig für emsig von Ameise usw.“ (Deutsche Sprachlehre für die Schulen, 3. Aufl. 1795)

Die hohe Selektivität der etymologisierenden Schreibungen ist unplausibel. Umlaut ohne graphische Markierung zeigen auch besser, best, Elster, Eltern, emsig, eng, Engel, Enkel, Ente, Erbe, Ernte, Esche, Espe, Estrich, Ferge, Ferse, fertig, fest, fremd, Gelenk, gerben, Gerte, Geselle, Gesetz, Gespenst, Grenze, Hechel, Hecke, Heft, Hemd, hemmen, Henne, kentern, klemmen, Krempe, Lerche, Menge, Mensch, Mergel, merken, messen, Metzger, Nelke, nennen, prellen, rechnen, renken, schellen, schenken, Scherflein, Scherge, Schnepfe, senden, senken, Spengler, sperren, sprengen, stemmen, strecken, Vetter, wecken, welsch, wenden, widerspenstig Noch 1985 hatte Augst folgende Wörter zur Änderung vorgesehen: ätzen, dämmern, Färse, Geländer, hätscheln, Käfferchen, kätschen, Lärm, päng, plänkeln, plärren, räuspern, Schächer, schächten, Schärpe, Zärte (Fisch); dräuen, Räude, räuspern, Säule, sträuben, täuschen; aufwendig (Variante), behende, belemmert, Bendel, Gemse, Hetze, hetzen, Kerner, kentern, kleckern, Krempel, Quentchen, Reps (süddt.f. Raps), Spengler, Spergel, Stengel, stremmen (stramm sitzen), überschwenglich; Beuche, bleuen, Greuel, greulich, Keulchen, schneuzen

Davon ist eine Zufallsauswahl durchgesetzt worden. Zu Ständelwurz schreibt Rolf Bergmann:

„Die Wiederzulassung der <ä>-Variante erscheint wenig sinnvoll, zumal die der Pflanze zugeschriebne aphrodisiakische Wirkung, durch die die Bezeichnung einmal motiviert war, heute nicht mehr bekannt sein dürfte. Den Reformkritikern ist die Änderung offenbar entgangen; Stellungnahmen sind mir nicht begegnet.“ (Sprachwissenschaft 1998, S. 255; in meinem Kritischen Kommentar von 1997 ist die Änderung kommentiert)

Es gibt unzählige Belege dafür, daß der Zusammenhang zwischen behende und Hand nicht mehr empfunden wird: Der behände Läufer wurde nahezu unbeweglich. (Die Welt 1.3.2002) Behände springt er auf die Füße und rennt davon. (Agthe/Seck-Agthe: Flussfahrt mit Huhn. Rowohlt 2001)

(Augst hatte auch seelig geplant, obwohl es nicht mit Seele zusammenhängt; die Änderung ist nun für später in Aussicht gestellt. Statt Krebs will er Kreps schreiben, außerdem Apt, Biebel usw.) Die Änderung von Tolpatsch in Tollpatsch kann allenfalls geduldet, aber nicht vorgeschrieben werden. Es stimmt nicht, daß die meisten Menschen hier an Tollheit denken, viele assozieren auch den semantisch näherliegenden Tölpel oder einfach gar nichts Bestimmtes. Zierat wurde von Unwissenden gelegentlich mit zwei r geschrieben, weil die zugrunde liegende Ableitung nicht produktiv ist; aber auch dies kann nicht vorgeschrieben werden. Leider muß man feststellen, daß die Reformer hier wie auch sonst keinerlei sprachgeschichtliche Kenntnis hatten; sonst hätte Nerius nicht schreiben können, es solle nun „das r in Zierrat nicht mehr getilgt werden“ (Nerius 1996, S. 34; vgl. auch die ständig wiederholte Fehldeutung von selb(st)ständig). Augst irrt sich immer wieder, was die Herkunft der Wörter betrifft (Eidechse, Kleinod u. a.). Die Probleme, die das Augstsche Verfahren aufwirft und die zu verhängnisvollen Ergebnissen wie dem „Wortfamilienwörterbuch“ geführt haben, sind in meinem Diskussionsbeitrag „Spekulative Volkslinguistik“ (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 1999) dargestellt, den ich auf Wunsch gern übermittele. Von der Qualität der Augstschen Sprachkunde mag folgender Auszug aus seinem Wörterbuch einen Eindruck vermitteln: „a-, ab- an-, ana- /Präfix/ nicht; /oft mit der zusätzlichen Bed./: zuwiderlaufend: ahistorisch; apolitisch; asymmetrisch; abnormal; anorganisch; anachronistisch. Das Präfix verbindet sich (in geläufigen Wörtern) weniger häufig mit fremden Adjektiven u. ist kaum produktiv. Bem.: ab- ist etym. eine Variante des Negationspräfix a- (...).“ Da dies ohne jede Relativierung vorgetragen wird, muß man annehmen, daß der führende Rechtschreibreformer gar nicht weiß, wie falsch das alles ist. Schon deshalb sollte man sich nun endlich von den Augstschen Neuerungen grundsätzlich distanzieren. Es gibt keinen Grund, dem Adjektiv rauh sein h zu nehmen; es ist sowohl etymologisch berechtigt als auch in seiner Funktion als Blickfang-h, das die zum Vergleich herangezogenen Adjektive blau, schlau und genau nicht brauchen. (Sogar der SPIEGEL hat rauh am 25.4.2005 wiederhergestellt, und zwar demonstrativ auf der Titelseite, wie eine Woche zuvor schon recht haben. Die Wörterbücher hingegen haben sogar die Rauhnächte verkürzt, obwohl sie nicht mit rauh, sondern mit Weihrauch zusammenhängen.) Vgl. Meinhold/Stock in Nerius et al.: Deutsche Orthographie. Dudenverlag 2000, S. 391 über den Markantheitsgewinn durch das Blickfang-h.

Besonders ärgerlich ist, daß die Augstschen Einfälle bis auf wenige Ausnahmen allesamt obligatorisch sein sollen. Wer sprachrichtig Zierat, einbleuen usw. schreibt, bekommt also in Zukunft einen Fehler angerechnet. So weit darf es niemals kommen.

2. Dreibuchstabenregel

Die Erhaltung von drei gleichen Buchstaben an der Nahtstelle von Zusammensetzungen (Brennnessel, Missstand) greift auf alte Schreibgewohnheiten zurück, von denen man im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich abgekommen war. Jacob Grimm rechnete bekanntlich das Schreiben von drei gleichen Buchstaben, wo nur einer hörbar ist, zum Pedantischen der deutschen Sprache. Übrigens wäre die Vereinfachung in du reist (statt reisst), du musst (statt mussst) nach derselben Logik zu beanstanden, die auf die Beibehaltung aller Buchstaben in der Komposition drängt. Zu den ersten Ausdrücken, bei denen aus ästhetischen oder lesepsychologischen Erwägungen die Vereinfachung durchgeführt wurde, zählten Brennessel und Schiffahrt, weil sich hier eine selbständige Bedeutung eingestellt habe. Konrad Duden empfahl die Ausdehnung auf Bettuch und andere Wörter. Die bekannten Ausnahmen (Sauerstoffflasche) waren eine Konzession im Rahmen der Konferenz von 1901.

Die Rechtschreibreformer empfehlen den Bindestrich zur gefälligen Entzerrung der gerade erst eingeführten Dreifachbuchstaben; noch im Duden von 2004 steht: Eisschnelllauf, auch Eisschnell-Lauf. Unangenehmerweise sitzt der Bindestrich gerade an einer Stelle, an der nicht die primären Konstituenten des Kompositums zusammenstoßen. Der Duden gibt zwar noch Schiff-Fahrt an, traut sich aber nicht, die weiteren Zusammensetzungen ebenso zu gliedern, also Schiff-Fahrtsrecht, Großschiff-Fahrtsweg usw. Der Kalamität wäre nur durch noch mehr Bindestriche (Durchkupplung) zu entgehen (Groß-Schiff-Fahrts-Weg), womit aber gleich eine neue entstünde. Bei den Adjektiven ist es eher noch schlimmer. Die Reformer mußten erörtern, ob bei der Entzerrung von genusssüchtig das erste Glied nun nicht wortartgemäß groß geschrieben werden müsse; sie bejahten dies schließlich und empfahlen angesichts so unerwünschter Ergebnisse wie Genuss-süchtig (ÖWB) dann doch lieber, bei Adjektiven keinen Gebrauch vom sonst wohltätigen Bindestrich zu machen. Im Duden wird zwar die Still-Legung empfohlen, aber nicht still-legen.

Es sei noch erwähnt, daß Mehrfachanschlagen derselben Taste ergonomisch ungünstig ist, da anders als beim Klavier kein Fingerwechsel möglich ist. Bei Christoph Hein, einem der ganz wenigen Autoren, die bei Suhrkamp in Reformorthographie gedruckt werden wollten, liest man – neben vielen anderen Fehlern – gleich zweimal Gusstücke (Landnahme S. 175). Die Deutsche Bahn bietet im Speisewagen Pressack an (April 2004).

3. Fremdwortschreibung

Die Fremdworteindeutschung ist äußerst unsystematisch durchgeführt. Das soll an einigen Beispielen gezeigt werden. Geplant waren: Bopp (statt Bob!), fitt, Flopp, Frittfliege, Hitt, Mopp, Pepp, Popp, Sett, Stepp, Stopp, Stripp, Tipp, Topp. Davon sind übriggeblieben: Mopp, Stopp und Tipp. Das beweist, wie prinzipienlos die Neuregelung auch auf diesem Gebiet ist – ein Zufallsprodukt, von dem man ebensogut wieder Abstand nehmen könnte. Die Integration englischer Fremdwörter ist heute kaum noch üblich. Die Neuregelung führt zu so problematischen Einträgen wie „Tipp – engl. Bez. für Trinkgeld“ (Duden Universalwörterbuch). Stop ist international gebräuchlich, es gibt keinen Grund, es weiter einzudeutschen. Der Mop bot Schülern gewiß keine relevanten Schwierigkeiten, zumal der Staubbesen im Zeitalter der Staubsauger kaum noch gebräuchlich ist (weshalb in der Süddeutschen Zeitung am 8.1.2005 auch schon vom Vileda-Patent-Wischmob zu lesen war). Die Fritfliege ist samt der geplanten Schreibänderung aus den meisten Wörterbüchern wieder verschwunden. Wer Bopp statt Bob schreiben will, müßte eigentlich den Pub zum Papp machen, aber das scheint nie erwogen worden zu sein.

Völlig überflüssig ist die – außerdem regelwidrige – Neuschreibung Grislibär (statt, wenn schon, Grissli). Der Reformer Heller hat sie ebenso wie das sonderbare Hämorriden (statt, wenn schon, Hämoriden) mit dem Hinweis auf den Kompromißcharakter der gesamten Neuregelung gerechtfertigt.

Französische Wörter auf -é sollen künftig auch mit -ee geschrieben werden können, doch ist dies weder eine allgemeine Regel (denn zahlreiche Wörter wie Abbé, Attaché, Protegé, Rosé sind davon nicht betroffen), noch liegt der selektiven Eindeutschung eine empirische Erhebung zugrunde. Man muß vielmehr Wort für Wort im Wörterverzeichnis nachschlagen. Buklee, Exposee, Kommunikee, Kupee, Negligee, passee, Varietee, Schikoree u. a. waren keineswegs schon so weit üblich, daß die Neuschreibung wörterbuchreif genannt werden könnte.

Es soll heißen Nessessär, aber Glacé bzw. Glacee (nicht Glassee). Nur weil der Volksmund aus den Pommes frites die Fritten gemacht hat, soll das französische Wort Friteuse obligatorisch (!) durch Fritteuse ersetzt werden. Das gelehrte Wort Solstitium wird schon lange zu Solstiz verkürzt, aber deshalb muß man nicht die Variante Solstizium einführen; die Wörterbücher kennen neuerdings auch das Justizium ('Stillstand der Rechtspflege'), wegen Justiz, das aber ganz anders gebildet ist. In beiden Fällen kann man kaum sagen, daß mit der Neuerung einem dringenden Bedürfnis abgeholfen worden wäre.

plazieren/placieren ist nicht von Platz abgeleitet. Die neuschreibliche Form deplatziert sieht deshalb so ungeschickt aus, weil von deutschen Stämmen nur wenige Ableitungen mit dem Lehnsuffix -ieren und praktisch überhaupt keine mit dem Lehnpräfix de- gebildet werden (W. Fleischer in P. O. Müller [Hg.]: Fremdwortbildung, Frankfurt 2005, S. 73f.). Es gibt hausieren, grundieren, hofieren, stolzieren, buchstabieren und inhaftieren, aber die vielen Ad-hoc-Bildungen dieser Art, die Emil Öhmann in seinen Suffixstudien anführt, haben sich aus gutem Grund nicht eingebürgert. Wenn Joachim Fest deplaciert schreibt, will er es bestimmt mit scharfem s gesprochen wissen, aber das 10bändige Dudenwörterbuch ändert den Beleg in deplatziert.

Daß numerieren zwangseingedeutscht wird (nummerieren), bereitet dem Lexikographen Schwierigkeiten, wie schon Dudenredakteur Scholze-Stubenrecht beklagte: „So kann man allein dem amtlichen Wörterverzeichnis entnehmen, dass die Beziehungskette Nummer – nummerieren nicht weitergeführt werden soll zu Numero und Numerale, die von vielen Sprachteilhabern sicher als nicht allzu weit entfernt von Nummer angesehen werden dürften.“ (Sprachwissenschaft 2/2000)

Eine durchgreifendere, aber keineswegs überzeugender Fremdworteindeutschung war geplant. Bekanntlich wurden nach einer Intervention von Minister Zehetmair 35 Schreibungen durch die Amtschefkommission der Kultusministerkonferenz am 18.10.1995 in München abgelehnt,fast ausschließlich Fremdwörter: Karrosse, Karrosserie, Packet, Pot, Jackpott, Zigarrette, Zigarrillo, Restorant, Alfabet, Asfalt, Katastrofe, Apostrof, Strofe, Triumpf, Zellofan, Rabarber, Reuma, Rytmus, Eurytmie, Astma, Atlet, Biatlon, Triatlon, Teke, Apoteke, Artotek, Bibliotek, Diskotek, Hypotek, Kartotek, Videotek, Ortografie, Tron; dazu die einheimischen Wörter Frefel und Fede. (Eigentlich wäre Triumf zu erwarten gewesen, wenn ph durch f ersetzt wird.)

Geblieben sind Katarr, Myrre, -graf-, -fon-: Orthografie usw. - Kolofonium ist seltsam, weil im Eigennamen der kleinasiatischen Stadt Kolophon gar nicht das griechische Element phon vorliegt. (Die Litfaßsäule hat ja auch nichts mit dem Faß zu tun.) Die Maßnahme erweist sich als prinzipienlos, sonst wäre in allen griechischen Wörtern ph und th vereinfacht worden. Das Unberechenbare macht es schwieriger als zuvor, die richtigen Schreibweisen zu erahnen. (Der Umgang der Reform mit den Fremdwörtern ist von Grund auf widersprüchlich: Während die Fremdwörter bei der Silbentrennung als grundsätzlich undurchschaubar angesehen und entsprechend behandelt werden (Res-pekt, Mikros-kop, malt-rätieren, Tee-nager), soll man bei mehrteiligen Entlehnungen die Wortart in der Quellsprache kennen, um entsprechend groß schreiben zu können: Herpes Zoster, Dativus Commodi, Primus inter Pares, L'Art pour l'Art.)

4. s – ss – ß: Zur Problematik der „Heyseschen s-Schreibung“

1. Mancher Kritiker der Rechtschreibreform hat den Eindruck, die neue s-Schreibung sei so schlecht nicht und man könne den Kultusministern durch Kompromißbereitschaft in diesem Punkt entgegenkommen. Dem entspricht die Neigung der Kultusminister, gerade in dieser Neuerung, die einen großen Teil der Änderungen in reformierten Texten ausmacht, den Prüfstein der Unterwerfungsbereitschaft zu sehen. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat daher in einem „Kompromißvorschlag“ über die reformierte s-Schreibung mit Recht gesagt: „Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft.“ Sie ist der Geßlerhut der Reform, und die Frage ist nur, ob man aufgrund dieser Einsicht das Knie davor beugen soll oder eben gerade nicht. Man stößt auf studentische Arbeiten, in denen lediglich die Konjunktion dass automatisch an die Neuregelung angeglichen und damit für den Prüfer die Anpassung an die Rechtschreibreform signalisiert ist. Ähnlich verfahren manche Wissenschaftler, die sich die Förderung aus öffentlichen Mittel nicht verscherzen wollen.

Oft hört man auch, die ss-Schreibung sei akzeptiert, sie gehöre zu den unstrittigen oder weniger strittigen Neuerungen. Wahr ist, daß sie in vielen Bereichen durchgesetzt ist, aber akzeptiert ist sie deshalb nicht. Die meisten Schriftsteller z. B. lehnen sie entschieden ab. Aber auch Kenner der Orthographie und ihrer Geschichte haben ihre Bedenken so oft vorgetragen, daß der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes zu Unrecht behauptet: „Es gibt Teile der Rechtschreibreform, die unter Fachleuten weitgehend unumstritten sind wie etwa die neue ss/ß-Regelung.“

2. Worum geht es überhaupt? Nach der bisher üblichen Schreibweise (sie wird auch die Adelungsche genannt) gilt folgendes: Silbengelenke schreibt man mit ss: hassen, Flüsse (mit Buchstabenverdoppelung wie in hemmen, Latte usw.). Die Ligatur ß tritt ein, wenn stellungsbedingt kein Silbengelenk mehr vorliegt: Haß, Fluß; haßt. Faustregel für Grundschüler: „ss am Schluß bringt Verdruß.“ Die Heysesche Regel in der Fassung der heutigen Reformer sieht vor, daß nach betonten kurzen Vokalen ss geschrieben wird, nach langen Vokalen und Diphthongen ß für das stimmlose und s für das stimmhafte s. In beiden Schreibweisen dient der Buchstabe ß dazu, stimmloses s an denjenigen Stellen zu bezeichnen, an denen auch ein stimmhaftes s stehen kann, also nach langen Vokalen und Diphthongen; so werden reißen und reisen unterschieden. (Dieser Behelf wäre nicht nötig gewesen, wenn das Deutsche – wie einige andere Sprachen – den Buchstaben z für das stimmhafte s verwendet hätte und nicht zur Bezeichnung der Konsonantenverbindung ts. Die Zahl der Minimalpaare nach dem Muster reißen/reisen ist übrigens sehr gering, und in weiten Teilen des deutschen Sprachgebietes wird überhaupt nicht unterschieden.)

Die Heysesche s-Schreibung beseitigt also im wesentlichen die Schlußbuchstabigkeit und damit eine typographische Gefälligkeit gegenüber dem Leser. (Auch andere Schriftsysteme wie das hebräische und arabische kennen eine mehr oder weniger elaborierte Schlußbuchstabigkeit. Sie verleiht den Wörtern zusätzliche Prägnanz und erleichtert damit das Lesen.) Übrig bleibt die phonematische Verwendung des ß, die beiden Schreibweisen gemeinsam ist.

Beide Regeln kennen zahlreiche Ausnahmen wie Bus, das. Was das einfache s am Ende von Erkenntnis usw. betrifft, so bringt es zum Ausdruck, daß nur Stämme, nicht aber Suffixe mit der vollen Kennzeichnung ausgestattet werden; das entspricht der sparsamen Bezeichnungsweise in Funktionswörtern wie das, es, bis. Dieser moderne textsemantische Grundsatz hat sich erst in neuerer Zeit durchgesetzt; bis ins 19. Jahrhundert hinein schrieb man durchaus Erkenntniß (wie auch Freundinn wegen Freundinnen usw.). Dieser Gesichtspunkt wird in der Neuregelung im großen und ganzen durch das Zusatzkriterium der Betontheit berücksichtigt.

Die Heysesche Konstruktion ist ausschließlich auf die phonographische Komponente unseres Schriftsystems fixiert. Darauf beruht ihre augenscheinliche Überzeugungskraft und zugleich ihre Schwäche. Ginge es nur darum, die Kürze und Länge der Vokale zu kennzeichnen, wäre die ss-Schreibung tatsächlich etwas besser als die auf den ersten Blick verwirrende Verwendung eines dritten Buchstabens ß. Der Leser ist jedoch primär nicht am Klang des Gelesenen interessiert, sondern am Sinn, d. h. an der raschen Erfassung der Wörter oder Morpheme. Unter diesem Aspekt ist die Schlußbuchstabigkeit des ß vorteilhaft.

3. Für die Heysesche s-Schreibung wurde nachträglich das Stammprinzip, die sog. Schemakonstanz, bemüht. In der letzten Äußerung der bald danach aufgelösten Zwischenstaatlichen Kommission (Sprachreport-Extraausgabe Juli 2004) wird das Stammprinzip sogar zum Hauptgrund der Änderung stilisiert, was nachweislich falsch ist. Versteht man den Buchstaben ß als Ligatur für ss in Nichtgelenk-Position, ist das Stammprinzip auch in der Adelungschen Tradition gewahrt. Die Anhänger der Neuschreibung müssen für Fälle wie fließen-Fluss eine Ausnahmeregel ansetzen. Burkhard Schaeder schreibt:

„Auch weiterhin gilt selbstverständlich die Regel, dass nach langem Vokal ß steht: Fuß – Füße, Gruß – Grüße – grüßen – mit gelegentlichem Wechsel von ss und ß im selben Stamm entsprechend einem Wechsel von kurzem und langem Vokal, z. B. essen – aß – gegessen, fließen – floss – geflossen, der Fluss.“ (Burkhard Schaeder, hg.: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Frankfurt 1999, 44) Auch in anderen frühen Darstellungen wird der Widerspruch durch Überdetermination gar nicht bemerkt: „Die auffälligste Neuregelung zur Erhöhung der Wirksamkeit des Stammprinzips betrifft den bisherigen Wechsel von ß und ss, wie z.B. Flüsse-Fluß, Nässe-naß, Wasser-wäßrig, essen-ißt. Nach der Neuregelung gilt, dass nach kurzem Vokal generell ss zu schreiben ist, also z.B. Fluss/Flüsse, Nässe-nass, Wasser-wässrig, essen-isst-gegessen, müssen/muss/musste. In der Folge dieser Regelung wird die Konjunktion jetzt dass geschrieben. Nach langem Vokal steht weiterhin ß, also z.B. Fuß/Füße, Maß/Maße; zwar essen-isst-gegessen, aber ich aß.“ (Augst/Schaeder: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung - Die wichtigsten Neuerungen im Überblick. KMK 1996)

Schaeder hat nie verstanden, daß dies keineswegs mit dem Stammprinzip übereinstimmt. Augst sieht die Sache richtiger: „Grundsätzlich hat die graphische Kennzeichnung der Vokalquantität Vorrang vor der Schemakonstanz.“ (ebd. S. 90; vgl. auch ders. in Augst et al. 1997, S. 122) Er schlägt daher vor, die häufigsten 25 Einzelschreibungen auswendig lernen zu lassen: groß, weiß usw. (vgl. Augst/Dehn 1998) – im Grunde eine Bankrotterklärung für die angeblich so hilfreiche neue Regel. Es trifft zu, daß in einigen Fällen als zufälliger Nebeneffekt auch die Stammschreibung augenfällig verstärkt wird – jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung und in durchaus trügerischer Weise.

4. Die Heysesche s-Schreibung war im 19. Jahrhundert schon einmal erprobt worden, und zwar in der Schulorthographie Österreichs. Sie hatte sich jedoch nicht bewährt. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus dem Protokoll der Ersten Orthographischen Konferenz (1876):

„Demnächst empfahl Hr. Scherer, für jetzt bei der allgemein verbreiteten Adelungschen Regel stehen zu bleiben; Heyse sei bisher im wesentlichen nur in Schulen durchgedrungen, und aus Österreich könne Redner bezeugen, daß auch wer danach unterrichtet werde, die Heysesche Regel später wieder aufzugeben pflege.“ (Verhandlungen ... S. 97)

Mit der Zweiten Orthographischen Konferenz 1901 kehrte Österreich zur Adelungschen s-Schreibung zurück. Im Protokoll der Zweiten Orthographischen Konferenz von 1901 liest man, daß sich Otto Lyon, also der Bearbeiter der Heyseschen Grammatik, „entschieden gegen die Einführung der Heyseschen Schreibweise erklärt“ habe. In der sechsundzwanzigsten Auflage von 1900 schreibt Lyon: „Der Schreibgebrauch hat sich in überwiegender Weise dafür entschieden, am Ende einer Silbe wie auch vor einem t, das ss in ein ß zu verwandeln.“ Die Beschlüsse der Konferenz trugen dem Rechnung. Im Jahr 1901 wurde also der Schreibgebrauch bestätigt; er ist seither natürlich noch allgemeiner geworden.

Die heutigen Befürworter der Heyeschen Regelung erwähnen niemals, daß es diese historischen Erfahrungen bereits gibt. Ein österreichischer Kenner stellte kühl fest: „Die 'neue' Regelung für ss und ß ist nicht wirklich neu, sie galt bis 1901, dem Jahr der letzten Rechtschreibreform, im gesamten altösterreichischen Staatsgebiet. Was damals in einem Teilgebiet der Deutschsprachigen abgeschafft wurde, wird heute als Neuerrungenschaft gefeiert. Absurd.“ (Horst Fröhler: Rechtschreibreform – Ja oder Nein? Wien, Sept. 1997, S. 51)

5. Der leichthin gemachte Vorschlag, bei der s-Schreibung nachzugeben, übersieht die Folgeprobleme, die sich inzwischen deutlicher gezeigt haben. Der deutsche Sprachbau bringt es mit sich, daß nun ungemein häufig drei gleiche Buchstaben geschrieben werden müssen: Schlusssatz, Missstand, Nussschokolade usw. (häufiger als alle anderen Verdreifachungen wie Kammmolch zusammengenommen!) Der reformierte Duden empfiehlt zur Entzerrung solcher Gebilde den Bindestrich: Miss-Stand (wie auch Still-Legung, Eisschnell-Lauf, Kamm-Macher usw.). Das ist der ziemlich linkische Versuch, ein Problem zu lösen, das es ohne die Reform überhaupt nicht gegeben hätte. Jahrelang konnten die Reformer sich nicht einigen, welche Folgen dieser Bindestrich für die Groß- und Kleinschreibung hat: genuss-süchtig oder Genuss-süchtig? Im dritten Bereicht entscheidet sich die Zwischenstaatliche Kommission dafür, wegen dieser unangenehmen Folgen bei Adjektiven (aber nicht bei Substantiven) vom Entzerrungsbindestrich abzuraten! (Vgl. auch ÖWB-Schulausgabe 2001, S. 752.) Solche Sorgen hatte man vorher nicht. Der Kompromiß der Akademie enthält den desperaten Vorschlag, in solchen Fällen doch wieder das ß zu verwenden: Mißstand. Damit würde jedoch die Logik, die man der Heyseschen Regel als einzigen Vorzug nachrühmen kann, gänzlich unterhöhlt.

6. Die Heysesche s-Schreibung ist erfahrungsgemäß überaus fehlerträchtig. Die zahllosen Beispiele fehlerhafter Anwendung (anschliessen, heisst, gross – alle aus: Mathematik – Exponentialfunktionen verstehen und anwenden. Ernst Klett Verlag) können auch bei Erwachsenen nicht mehr als Übergangsschwierigkeiten erklärt werden. Es sind auch keine Rückfälle in die „alte“ Orthographie, denn in den meisten Fällen wurde vor der Reform gar nicht so geschrieben, wie man es jetzt überall findet, sogar in Schul- und Fachbüchern angesehener Verlage. Einige Untersuchungen des Psychologen Harald Marx zeigen eine Zunahme der Fehler in diesem Bereich auch bei Kindern, die von Anfang an die Neuschreibung gelernt haben.

7. Wenn so viele Fehler auch von professionellen Textverfassern gemacht werden, stellt sich die Frage nach den Ursachen. Zunächst ist zu erwähnen, daß die Vokallänge in den Regionen des deutschen Sprachraums oft nicht eindeutig feststeht. Viele Deutsche sprechen Spaß, Glas, Fußball usw. mit kurzem Stammvokal. Die herkömmliche Schreibweise ließ das nicht erkennen, und man brauchte sich auch als Schreibender keine Gedanken darüber zu machen.

Ein anderer Grund ist etwas subtiler: Diphthonge gelten zwar als metrisch lang, werden aber vom naiven Sprecher offenbar als eher kurz empfunden. Ein Grund mag sein, daß sie nicht emphatisch gedehnt werden können. Einfache Vokale werden in Wörtern wie groß oder riesig oft überlang gesprochen. Bei heiß u. ä. ist das nicht möglich. So findet man in Büchern zwar „korrekt“ lässt, dass usw., aber immer heisst, Zerreissprobe, die Weissen, Fleiss, ausserordentlich usw. (Beispiele aus „Wunschtraum und Wirklichkeit“ von Christa Meves, Christiana-Verlag1997) Sogar in der neuesten Dudengrammatik von 2005 findet man die Fehlschreibung weiss (S. 265). Die Überschrift Zerreissprobe (ZEIT vom 19.5.2005) ist nicht ungewöhnlich. Wegen der regelmäßigen Ersetzung des ß durch SS bei Schreibung in Großbuchstaben prägen sich einige Wörter mit ss ein: STRASSE, IMBISS, daher dann Strasse, Imbiss.

8. Die Wiedereinführung der Heyseschen s-Schreibung löst nicht das einzige nennenswerte Problem, das es außerhalb der Grundschule je mit der Wiedergabe des s-Lautes gegeben hat: Die Unterscheidung der Konjunktion daß bzw. nun dass von Artikel und Pronomen das ist ja eine grammatische und setzt entsprechende grammatische Kenntnisse voraus. Allerdings muß man sagen, daß es in Zeitungs- und anderen Texten erwachsener Autoren praktisch keine Verwechslungen mehr gab, während die Heysesche Regel selbst hier zur Verwirrung führt. Einer der Gründe mag sein, daß nun am Ende eines Wortes drei verschiedene s-Buchstaben in Frage kommen, während es bei der Adelungschen Schreibweise nur zwei waren und die Buchstabenkombination ss am Schluß eines Wortes intuitiv überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen wurde, weil sie eben schlechterdings nie vorkam und daher für den routinierten Leser „unmöglich“ aussah.

9. Die Reformer hatten ursprünglich nicht die Absicht, ausgerechnet die Heysesche s-Schreibung wiedereinzuführen, sondern wollten die Einheitsschreibung das (auch für die Konjunktion). Das war sogar einer der wichtigsten Programmpunkte: „Von großer Bedeutung sei der Vorschlag, die Schreibung der Konjunktion daß zu ändern, betonte Mentrup.“ (dpa 29.9.92. Wolfgang Mentrup war damals ein führender Reformer. Gegen das Zeugnis der Sprachgemeinschaft, die vor 600 mit der Unterscheidungsschreibung das/daß anfing und sie seither mit zunehmender Konsequenz, in den letzten 300 Jahren praktisch ohne jedes Schwanken beibehielt, setzte Mentrup eine einzige Ostberliner Dissertation, in der angeblich nachgewiesen wird, daß halbwüchsige Schüler ohne eine solche Unterscheidung weniger Fehler machen und beim Lesen nicht wesentlich langsamer sind. Das zeigt noch einmal, welcher Geist die Reform beseelte.) Es wäre paradox, wenn von der ganzen Rechtschreibreform etwas übrigbliebe, was eigentlich niemand gewollt hat.

10. Der Kompromiß wäre zwar das Ende der Rechtschreibreform, zugleich aber der Beginn einer neuen – mit allen Konsequenzen, die eine Rechtschreibreform nach sich zieht. Nicht nur die bereits reformierten Texte würden ungültig, sondern auch die tausendmal umfangreicheren Bestände nichtreformierter Literatur. Der „Rechtschreibfriede“ würde gerade wegen der symbolischen Bedeutung dieses „roten Tuchs“ nicht wiederhergestellt. Kann man das ernsthaft wollen?

Fazit: Weder bei der Fremdwortschreibung noch im gesamten Bereich der „Laut-Buchstaben-Entsprechung“ gibt es einen Grund, von der bisher üblichen Regelung anzugehen. Eindeutschungen fanden immer statt, man braucht sie nicht zu forcieren.



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Kommentare zu »Laut-Buchstaben-Zuordnungen«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2021 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#47499

Wenn Menschen mit keltischen Namen prominent werden, entspinnen sich lange Diskussionen über die Aussprache: Siobhán, Saoirse... Die Träger selbst nehmen es gewöhnlich nicht übel, wenn man sie „nach der Schrift“ anspricht. Chinesen lächeln nur auf ihre bekannte unergründliche Art, wenn jemand sich mit ihrer Sprache abquält, die sowieso keiner lernen kann. Das war schon immer der Lauf der Welt, wie die Geschichte der Entlehnungen zeigt. Ich weiß nicht, wann die Empfindlichkeit aufkam, die uns cringen macht, wenn wieder mal jemand sich gründlich irrt. Also, liebe Saoirse...
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.10.2021 um 11.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#47413

In Wikipedia steht übrigens immer Braunrote Stendelwurz, außer bei einem Weblink:

"Epipactis atrorubens (Hoffm.) Besser, Braunrote Ständelwurz. FloraWeb.de"
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.10.2021 um 10.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#47412

Orchidee des Jahres 2022 gekürt

Die „Braunrote Ständelwurz“ ist auf einer Jahrestagung der Arbeitskreise Heimischer Orchideen der Bundesländer am Samstag im thüringischen Arnstadt zur Orchidee des Jahres 2022 gewählt worden. Ihren Namen hat die Orchidee aus der Gattung der Stendelwurzarten aufgrund ihrer braunrot gefärbten Blütenblätter. Ihre Blüten duften zart nach Vanille.
(Freie Presse, 25.10.21, S. 8, genauso dieser Tage auch in anderen Zeitungen, z. B. Süddeutsche)

Die Ständelwurz ist also eine Stendelwurzart!
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 29.09.2020 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#44389

Statt Hämorriden hätte man die Schreibweise Hämorrhiden aufnehmen können, es fehlt ja nur der Bindevokal o nach Hämorrh-, man vergleiche das mit veralteten rassenkundlichen Adjektiven: europ(o)id, mongol(o)id, negr(o)id. Der Fremdwörterduden erklärt negroid mit „den Negriden ähnliche Merkmale aufweisend“, soweit ich weiß, ist es aber wirklich bloß ein Synonym von negrid.

Vor 1986 wurde Hämorrhiden möglicherweise häufiger gebraucht: https://books.google.com/ngrams/graph?smoothing=3&year_start=1838&year_end=1986&corpus=31&content=H%C3%A4morrhiden%2CH%C3%A4morriden&direct_url=t1%3B%2CH%C3%A4morrhiden%3B%2Cc0%3B.t1%3B%2CH%C3%A4morriden%3B%2Cc0#t1%3B%2CH%C3%A4morrhiden%3B%2Cc0%3B.t1%3B%2CH%C3%A4morriden%3B%2Cc0

Man stößt auch auf Meteorid.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2020 um 03.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#44350

Kleine Ergänzung: Wir haben an verschiedenen Stellen über das Problem mit Schreibung und Aussprache von geschrien/geschrieen diskutiert, auch mit Hinweis auf Rilke. Leicht zu finden mit Sucheintrag geschrieen.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 18.09.2020 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#44349

„Übrigens wäre die Vereinfachung in du reist (statt reisst), du musst (statt mussst) nach derselben Logik zu beanstanden, die auf die Beibehaltung aller Buchstaben in der Komposition drängt.“

Na ja, bei Suffixen kann man von Allomorphen ausgehen. In rechnet haben wir -et, in geht dagegen offenbar -t. In tritt (statt trittt) kann nun schlicht ein Nullallomorph angenommen werden, während es sich bei Wörtern als Kompositionsgliedern anbietet, sich an deren selbständigem Auftreten zu orientieren, so galt schon vor der Reform zwar mixt statt mixst, aber zum Beispiel Reliefform statt Relieform.

Ich erkenne also zumindest eine Logik darin, Schifffahrt, aber musst (statt mussst) zu schreiben, habe jedoch an einer anderen Stelle ein Problem, und zwar wird auch in Reformschrieb Manien statt Manieen geschrieben. Man könnte sich auf die zweisilbige Aussprache ohne [ə] berufen, allerdings ist die Trennung Mani-en zugelassen, zudem heißt es Mondseer statt Mondseeer, obwohl das dreisilbig gesprochen wird. Übrigens wird des Sees als Beispiel zu § 19 genannt. Die Schreibweise Seees ist in alten Texten durchaus nachweisbar, aber kann Sees heutzutage überhaupt noch zweisilbig gesprochen werden?

In § 19 fehlen die Endungen -est und -et wie in kniest und kniet statt knieest und knieet (Konjunktiv I) oder schriest und schriet statt schrieest und schrieet (Konjunktiv II), meines Erachtens stehen die Schreibweisen mit e-Ausfall aber auch nicht im Widerspruch zu den Regeln, laut § 10 schreibt man ja wenige einheimische Wörter mit dem Langvokal [iː] ausnahmsweise mit i, da könnte man nun auch schriest mit i für [iː] (e dagegen für [ə]) einreihen, so schlimm sind geschlossene Listen also nicht unbedingt. § 19 gibt uns immerhin ein Muster vor und auf schriest kommen wir per Analogie, da es offenbar keinen Grund gibt, das anders zu behandeln als schrien. (§ 26 deckt übrigens Fälle wie mixt ab, aber nicht tritt.)

Vor der Reform konnte Photogramm-metrie getrennt werden, heute schreibt der Duden jedoch Fotogrammetrie/Photogrammetrie (außerdem wird Radiogrammetrie üblicherweise mit nur zwei m geschrieben). Das ist vertretbar, da wir es mit „Wortbildung in der Fremdsprache“ zu tun haben (es wird ja nicht Metrie als selbständiges Wort verwendet) und es aber nicht Photogrammometrie heißt, sondern eben verschmolzen wird. Im Griechischen wird φωτογραμμετρία mit nur zwei My geschrieben, im Spanischen heißt es fotogrametría, also auch hier eine Verschmelzung. Eigentlich nennt man Photographien nicht Photogramme, aber: „Wie Meydenbauer selbst schrieb, hat er das noch von Porro herrührende unglückliche Wortgebilde Photographometrie auf Anregung von Dr. Kersten in das phonetisch bessere Photogrammetrie umgewandelt.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2020 um 05.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#43137

In der interessanten Erläuterung der Herkunft von Quarantäne bei Wikipedia wird auf das AT hingewiesen, aber nicht auf die Evangelien und die Versuchungen Jesu. Das Ganze liest sich natürlich ziemlich archaisch, und ich weiß auch nicht, worauf die 40 überhaupt zurückgeht. Die Isolation der Wöchnerin hat mich immer irritiert. Überhaupt daß die Frauen an allen Ecken und Enden für unrein erklärt werden.

Ich spüre übrigens eine Neigung, "Kwarantäne" zu sagen, weil es mich stört, mitten im deutschen Satz die Artikulation zu ändern. Mir ist "Jatz" auch gerade recht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.03.2020 um 01.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#43136

Die ka- schreiben, haben wohl das Griechische zum Vorbild. Die qua- schreiben (auch span. cua- oder poln kwa-), richten sich wohl nach dem Lateinischen.

Von den letzteren mit Schreibung qua- wird nur im Französischen und Deutschen ka- gesprochen. Für das Deutsche finde ich das halt besonders wegen des sonst so starken englischen Einflusses, und weil es das einzige solche deutsche Wort ist, sehr seltsam.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.03.2020 um 19.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#43133

In vielen europäischen Sprachen wird das Wort im Anlaut mit ka- geschrieben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.03.2020 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#43132

Gegen Ende des ersten Schuljahres habe ich gelernt, daß qu immer wie kw ausgesprochen wird.

Doch irgendwann bemerkte ich, daß es im Deutschen zu dieser Regel eine Ausnahme zu geben scheint:
Quarantäne sprechen die meisten nicht [Kwarantäne], sondern [Karantäne], angelehnt ans Französische.

Seltsam, wo das Wort doch in den meisten Sprachen, vor allem auch im Englischen, mit kw gesprochen wird. Das französische "Journalist" hat sich ja auch längst zum Englischen [dshournalist] gewandelt.

Bei der Quarantäne hat auch das gehäufte Auftreten in Zeiten der Corona-Krise nur zu gelegentlicher [Kwarantäne] geführt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.01.2020 um 00.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#42799

In Finnland überkommt mich immer ein leichtes Schmunzeln, wenn ich die Verschriftung der Sprache sehe. Ich finde es im Vergleich zum Deutschen, wo z. B. Saal, Haar, Paar beim Umlauten (Plural, Diminutiv) einen Vokal einbüßen (Säle, Härchen, Pärchen), immer bemerkenswert, wie im Finnischen streng nach Aussprache auch Umlaute gnadenlos verdoppelt werden.

So enthält gefühlt jedes zweite Wort mindestens ein ää, außerdem meist noch ein paar einzelne ä, wozu auch die Vokalharmonie beiträgt, wie z. B. bei jääteetä (den Eistee, Akk.).
Auch uu, ii, sogar yy kommen ziemlich oft vor, dazu jede Menge doppelte Konsonanten. Die Aussprache verlangt es eben, daß Kultur auf finnisch kulttuuri geschrieben wird.
Es gibt Wörter, da stehen drei Doppelbuchstaben hintereinander.

Na ja, so sind eben die Regeln in anderen Sprachen, ist schon in Ordnung. Es wirkt halt auf uns nur so archaisch. Wenn ich denke, wie die deutsche Schrift aussähe, wenn wir ein ähnlich pedantisches Lautschriftsystem hätten ...

Dreifachkonsonanten wie im Deutschen den Reform-Spitzenreiter sss habe ich in Finnland allerdings noch nicht gesehen. Wollten die deutschen Reformer die Finnen übertrumpfen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2019 um 09.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#42389

Grundschüler üben die Rechtschreibung

Das stand unter einem Foto des Schwäbischen Tagblatts vom 1.8.18. Und was üben sie? Stillleben!

(Der dazugehörige Artikel von einem Mathias Puddig ist ein Musterbeispiel der oberflächlich-munteren Plauderei, die sich über totale Ahnungslosigkeit hinwegmogelt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2019 um 02.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#42266

säht, sähte usw. sind erstaunlich oft belegt, allein schon in der Metapher sähte Zweifel. Gewissermaßen eine Regularisierung des visuell abnormen säen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2017 um 18.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#37399

Die gar nicht mehr so neue Neue Rechtschreibung hat ein für allemal klargestellt: Das Stillleben heißt so, weil es auf den Bildern dieser Gattung ausgesprochen ruhig zugeht – und nicht weil der Künstler stilvoll malte. Das Leben steht darin wortwörtlich still. Die bis 2007 währende sprachliche Irritation mag im ursprünglich holländischen Begriff „stil leven“ ihre Ursache haben. Im Niederländischen bedeutet „stil“ unbewegt. (Tagesspiegel 28.12.17)

Von diesem Mißverständnis sind wir nun befreit und sprechen auch nicht mehr von "Stielleben" wie früher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2017 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#37109

Wie im Haupteintrag vermerkt, hätten die Reformer eigentlich auch die Schnepfe ändern müssen. Interessanter Eintrag im Grimm:

schnepper, m. schnappendes werkzeug. von schnappen abgeleitet, sodasz die häufige schreibung schnäpper durchaus berechtigt ist.

Hierher auch die Sperlingsvögel gleichen Namens; vgl. auch Schnabel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2017 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#36236

„Alle Sprachen beruhen auf verschiedenartigen Kombinationen von etwa 90 Phonemen. Das Englische beispielsweise gebraucht (ebenso wie das Deutsche) 40 von ihnen, und andere Sprachen haben zwischen 15 und 40 dieser Basisphoneme oder Laute.“ (Richard Thompson: Das Gehirn. Heidelberg 2001:442)

Aber Phoneme sind keine Laute, und man kann sie nicht einfach zusammenzählen über die Sprachgrenzen hinweg. Es sind Unterscheidungen, die in jeder Sprache für sich gemacht werden.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2017 um 17.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#34586

So einfach geht es wohl nicht. Adjektive werden attributiv, prädikativ und adverbial gebraucht – was liegt also vor? Die Deklination der substantivierten Adjektive ist allerdings weiterhin die der Adjektive (stark), wenn sie nicht vollständig zu Substantiven geworden sind (das Gut – das Gute).

Darum finde ich die Großschreibung richtig: Bewahre uns vor Bösem, während sie in Wendungen, die gar nicht von dem bezeichneten Etwas handeln, durch textsemantische Intuition überholt ist, also nicht gerade falsch, aber rückständig und ein bißchen primitiv: seit Langem und auch mit Artikel: des Öfteren.

Die Reformer halten sich viel auf ihr "rein formales" Vorgehen zugute, während ich in Übereinstimmung mit den gebildeten Schreibern und Leser seit über 100 Jahren gerade dies einfältig finde. Es entsprang dem Interesse der Volksschullehrer an einfachen Faustregeln.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2017 um 14.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#34585

Wenn man Substantive und Substantivierungen meint groß schreiben zu müssen, [...] (#34581)

Sind es denn überhaupt Substantive und Substantivierungen? Wird nicht das Adjektiv kurz einfach nur dekliniert – vor kurzem?
Mir kommt das Argument, es handele sich um eine Substantivierung, weil ein Artikel oder eine Präposition davorsteht, nicht stichhaltig vor:

- die kurzen Tage
- Die Wintertage sind die kürzesten.
- Im Park gibt es viele Bäume, ich schaue vom höchsten herab.
- Im Garten wachsen große Beeren. Ich stehe aber auf die kleineren aus dem Wald.
- Das war vor kurzem noch anders.

Leider selbstgemachte Beispiele, aber ich will damit nur zeigen, wie sich das Adjektiv immer weiter vom Substantiv entfernt. Im letzten Satz scheint das Substantiv gar nicht mehr zu existieren, aber meiner Ansicht nach ist es da, es wird nur nicht genannt, weil es unwichtig ist. Es kann sogar mehrere Möglichkeiten geben, sie spielen eben keine Rolle.

Wenn man hier konsequent von Adjektiven statt von Substantivierungen spräche, käme man auch mit der GKS (Substantive groß, alles andere klein) nicht in Verlegenheit.
(Zu Substantiven gehören in diesem Sinne selbstverständlich auch Namen, Nominationsstereotype und "echte" Substantivierungen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2017 um 05.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#34581

Und Horst Sitta bedauert noch einmal, daß der Schweizer Vorschlag, die Großschreibung von vor Kurzem usw. in die Neuregelung einzufügen, nicht erfolgreich war, gibt aber die Hoffnung nicht auf. Tatsächlich hat Gallmann ja wenig später dieses Ziel erreicht. Diese Großschreibung ist zwar eine Rolle rückwärts in vormoderne Zeiten, aber "konsequent"... Nichts zeigt deutlicher den Starrsinn und begrenzten Horizont dieser Leute.

Ein wenig liegt es auch an der Schwäche jener, die vielleicht ein ungutes Gefühl dabei hatten, aber nicht recht formulieren konnten, was für Kleinschreibung spricht. Wenn man Substantive und Substantivierungen meint groß schreiben zu müssen, also an der Wortart-Markierung als A und O der GKS festhält, fehlt es tätsächlich an Argumenten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2017 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#34579

Das erwähnte Buch, eine kleine Festschrift für Franz Spechtler, dient großenteils dem Lob der Rechtschreibreform. Eine Verfasserin rühmt es als revolutionäre Leistung der Reform, endlich die Schreibweise der deutschsprachigen Länder vereinheitlicht zu haben, eine andere behauptet, an österreichischen Schulen habe die Fehlerzahl wegen der Reform um 53 % abgenommen. Komisch ist in jedem Fall, daß die Reform seither mehrmals revidiert und repariert werden mußte, so daß das Lob einer Toten gilt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2017 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#34577

Rolf Bergmann kritisierte im Jahre 2000 die Reform und ihre Kritiker gleichermaßen (in "Specht und Gämse", Göppingen). Den Reformern warf er vor, die etymologisierende Umlautschreibung nicht konsequent umgesetzt zu haben (s. Haupteintrag), mir selbst, daß ich einbläuen aus etymologischen Gründen ablehnte, behände aber trotz der Etymologie ebenfalls. "Der Schreibusus wird von den Reformkritikern überhaupt nicht beachtet." (S. 26)

Nun, damals lag mein Wörterbuch schon vor, das erste und einzige empirische orthographische Wörterbuch, das nichts als den Schreibusus festhielt, für den ich mich auch in theoretischen Schriften (ein umfangreicher Aufsatz war in Bergmanns eigener Zeitschrift "Sprachwissenschaft" erschienen) ausgesprochen hatte.

Außerdem verkennt Bergmann die Asymmetrie der Lage: Wer ändern will, muß gute Gründe haben, und die hatten die Reformer nicht. Warum sollte man obligatorisch (!) behände, einbläuen schreiben? Für mich war Augsts richtige Etymologie ebenso irrelevant wie seine falsche; das war keineswegs inkonsequent.

Schnee von gestern, aber man wundert sich immer noch, wenn es einem wieder mal in die Hände fällt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.11.2016 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#33797

Es war Anfang des ersten Schuljahres, als mich meine Mutter mal zum Einkaufen beim Fleischer mitnahm. (Wo ich jetzt wohne, sagt man ja Metzger.) Unter der Fleischtheke standen nebeneinander, je einer pro Fliese, die Buchstaben
F L E I S C H

Ich buchstabierte vor mich hin, indem ich den Lautwert jedes einzelnen Buchstaben aussprach, die Kombinationen ei und sch kannte ich noch nicht, so wußte ich nicht, was es bedeuten sollte. Meine Mutter sagte mir dann, wie das Wort richtig hieß.

Ich war einerseits verblüfft (so daß mir diese Situation bis heute vor Augen ist), andererseits dachte ich ungefähr, ach so ist das, und war fast etwas verärgert, daß ich nicht selbst drauf gekommen bin. Solche Erlebnisse sind besser als Schulunterricht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2016 um 08.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#33796

Aus alten Texten geht hervor, daß die Kinder früher quälend lange brauchten, bis sie Wörter und Texte lesen konnten. Angefangen haben sie mit einzelnen Buchstaben, aber daran lag es nicht.
Unsere Töchter haben auch mit einzelnen Buchstaben angefangen. In den Büchern (ausgezeichnet damals "Mein erster Brockhaus") gingen sie mit dem Finger an den Buchstaben entlang und versuchten, gleitende Übergänge herzustellen und dann die Silben und Wörter zu erraten, die zu den ungelenken eigenen Artikulationen paßten. Das ist der entscheidende Schritt und wird auch von den Kindern so erlebt, eine Offenbarung. Damals waren sie vier, keine Wunderkinder, sondern ganz normal, nur mit einer gewissen Neugierde und dem Ehrgeiz, auch selbst die Wunderdinge aus den Büchern herausholen zu können, die sie beim Vorlesen erlebt hatten und durch Beobachtung ihrer ständig lesenden Eltern darin vermuteten.
Entwicklungsgestörte Kinder schaffen es nicht bis zu diesem entscheidenden Schritt. Die Lehrerin versteht nicht, was daran so schwer sein sollte. Meine inzwischen als Logopädin tätige Tochter versucht älteren Kindern und Erwachsenen dazu zu verhelfen.
Umgekehrt dann das Schreiben, das eine Abbildung des Lautkontinuums mit seinen undeutlichen Diskontinuitäten auf die diskreten Buchstaben erfordert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2016 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#32112

Daß ein Kammmolch neun Beinchen hat, erinnert mich an den jungen Maler Klecksel:

Zwei Augen aber fehlen nie,
Denn die, das weiß er, haben sie.


Scharfsinnigen Menschen wie Peter Schmachthagen leuchtet das ein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2016 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#31603

Der Kammmolch hat einen Kameraden bekommen: den Papppanzer. Die Zeitungen schreiben ihn folgsam mit Bindestrich.

(Ist es denkbar, daß der Karnevals-Papppanzer nicht satirisch gegen die Asylabwehrer gerichtet war? Manche scheinen ihn als "Schießbefehl" verstanden zu haben.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.09.2015 um 21.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#29915

Immer wieder doppelt gemoppelt wird beim "Kiewer Maidan-Platz". Majdan heißt einfach nur "Platz", und der richtige Name ist "Majdan Nezaleschnosti", Platz der Unabhängigkeit. In Kiew gibt es sicher noch mehr Majdani.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2015 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#29914

In Erlangen sind gerade sogenannte "Pinnadeln" abgebaut worden, überdimensionale Stecknadeln, die an bestimmten Stellen der Innenstadt zusammen mit Tafeln 10 Jahre lang auf Ereignisse während der Nazizeit aufmerksam machten.

Pinnadel ist doppelt gemoppelt, dagegen ist eine Pinnnadel nach Reformschreibung eine Nadel zum Pinnen, steht auch im Duden. Immerhin wußte jeder, was mit den Pinnadeln gemeint war, und Doppelmoppelung ist ja in der Sprache nicht ungewöhnlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2015 um 04.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#28272

In einem Roman von Antonia Baum, Vorabdruck in der FAS, heißt es Pappmachee. Das ist die Umsetzung des reformierten Regelwerks (§ 20), aber diese Regel darf nur auf Wörter angewandt werden, auf die sie im Wörterverzeichnis bereits angewandt ist, sie ist also gar keine Regel. In allen solchen Fällen muß man nachschlagen, sonst kommt es zu diesen "Fehlern".
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.02.2015 um 22.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#27974

Die SZ vom 31.1.15 auf Seite 1 über angesagte, aber ärmliche Kleidung im sittenstrengen Urlaubsland Iran:

Für Männer reichen lange Hose und Hemd; Frauen müssen langärmliche Oberteile so mit langen Hosen oder knöchellangen Röcken kombinieren, dass das Gesäß bedeckt und die Form verhüllt ist.

Aber dafür, rein urlaubstechnisch, gibt es einen zynischen Vorteil: Man reist sicher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2014 um 05.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#27600

„In fact, illiterate adults are not aware of phonemes.“ (Usha Goswami: „Reading and the brain: A cross-language approach“. In Antonio Battro et al., Hg.: The educated brain. Cambridge. 2008:198-212, S. 199) Der Phonembegriff ist ihr zufolge an die Beherrschung einer Buchstabenschrift gebunden und folgt ihr historisch und entwicklungspsychologisch. Goswami hält die deutsche Orthographie für ähnlich phonematisch wie die italienische oder finnische, weshalb deutsche Kinder leichter lesen und schreiben lernten als die englischen. Sie spricht immer von „phonological representation“, von „mentaler Repräsentation der Phoneme“.

(In den Tabellen und im Text wird die deutsche Schreibweise wohl zu sehr auf der Seite der phonematischen Schriften angesiedelt.)

Daß der Phonembegriff erst unter dem Eindruck einer Buchstabenschrift aufkommen konnte, ist ein attraktiver Gedanke, den auch andere Forscher vorgetragen haben. Das indische Beispiel spricht dagegen. Sowohl die Phonetik als auch die Phonologie waren im alten Indien ohne erkennbaren Einfluß der Schrift hoch entwickelt. Die Lehrwerke beruhen einerseits auf genauer Selbstbeobachtung deim Artikulieren, andererseits auf jenem Abstraktionsprozeß, den angeblich erst die Buchstabenschrift ermöglichte. Es ist eine Ironie, daß ausgerechnet eine Psychologin mit offenbar indischem Migrationshintergrund das verkennt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2014 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#26672

Nennen Sie ein deutsches Wort, das die Buchstabenverbindung ifffi enthält!

(Rifffische, s. v. Zackenbarsch)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.04.2014 um 00.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#25553

Diese Frage ist anhand anderer Beispiele (i-Punkt usw.) hier schon diskutiert worden. (Einfach hier die Suche benutzen oder bei Google auf site:sprachforschung.org eingrenzen.)
 
 

Kommentar von Frank Weller, verfaßt am 06.04.2014 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#25552

Sie schreiben "s-Schreibung", Herr Ickler - als ginge es bspw. um die Frage, wie das (kleine) lateinische "s" in die Fraktur umzusetzen sei (Lang-s vs. Rund-s).

Oben geht es aber doch vielmehr darum, wie die Schreibung der S-Laute (!) erfolgen soll, also um die S-Schreibung, zumal da ja auch durchaus nicht nur Minuskeln herauskommen können - sogar das scharfe S gibt es heute als Großbuchstabe.

Oder folgen Sie in diesem Punkt dann doch den Deformisten, die ja auch s-Laut statt S-Laut schreiben?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.09.2012 um 12.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#21491

Die FAS bringt heute (S. 9) wieder mal den guten alten Rolladen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2010 um 14.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#15815

Vielleicht hätte ich anmerken sollen, daß die von Herrn Fleischhauer zitierte Verwechslung von das und daß (siehe hier) keinem anderen als mir selbst vor 25 Jahren unterlaufen war.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.02.2009 um 18.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#13877

zu "2. Dreibuchstabenregel" und "4. s – ss – ß":

Wenn ich in anderthalb Zentimeter hohen Lettern einer Überschrift lese (heutige FAS, S. 14):

"Licht über den Wasssern",

dann glaube ich erstmal nicht an einen Druckfehler. Sowas kann ja niemand übersehen haben. Vielleicht soll damit lautmalerisch das Zischen und Spritzen des Wassers angedeutet werden, etwa wie auf S. B4 das absichtlich langgezogene "bittttteee" von um gute Bilder kämpfenden Reportern.

Aber nichts dergleichen findet sich im Artikel über die "Wassser", statt dessen die Nennung eines "Wasser- und Schifffahrtsamts", und man liest über das "Automatische Informationssystem Schifffahrt".

Außerdem in der gleichen Zeitung: Stillleben, Eisschnelllauf, Abschlussschwäche, Fitnessstudio, vielleicht noch mehr davon. Am Ende wundert man sich nicht mehr, daß keiner die "Wassser" bemerkt hat.

Daneben auch das in der gleichen Zeitung (S. 9):
Tintenfaß und Raubtiergebiß
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2005 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#409

Die Zahlenangaben stützten sich wahrscheinlich auf eine Auftragsarbeit des bayerischen Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung (ISB), wo Wieland Zirbs die Daten zusammenstellte, mit denen dann die Ministerialräte eine Zeitlang alle Zweifler plattzuschlagen versuchten, bis das Ganze wieder in der Versenkung verschwand, wie so mancher Flop.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 13.06.2005 um 01.25 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#408

Anläßlich des nahenden Volksentscheids in Schleswig-Holstein wurden die ersten Seiten der Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages am 20.8.1998 mit Unterstützung des Dudenverlages in „neuer“ Rechtschreibung gedruckt. Unter „Standpunkte“ schrieben die Chefredakteure Lipsky und Richter gemeinsam mit Dr. Wermke (Duden) unter anderem:

Die überregionalen Selten in der ersten Hälfte Ihrer Zeitung sind nach den neuen Regeln verfasst, die Lokalseiten Im zweiten Teil entsprechen der „alten“ Rechtschreibung. Doch was heißt „alte“ Rechtschreibung? Schon vor der Rechtschreibreform unterlag die deutsche Orthographie einem ständigen Wandel. Nur ein Beispiel; Von der Erstausgabe des Dudens von 1880 bis zur Duden-Ausgabe von 1991 ergab sich bei der Kleist-Novelle „Michael Kohlhaas“ ein Änderungsbedarf von mehr als 1100 Wörtern, ohne dass ein Aufschrei durchs Land gegangen wäre, Werden nun die 34 300 Wörter der Novelle an die neuen Rechtschreibregeln angepasst, so müssen nur ganze vier Änderungen vorgenommen werden. Von einer „Bedrohung“ oder gar „Vernichtung“ der Sprache unserer Klassiker kann da wahrlich nicht die Rede sein.

Wie 1100 Wörter mit Änderungsbedarf bis 1991 zusammenkommen, ist kaum erklärlich, wenn nicht alle alten „th“ einzeln angerechnet werden. Es wäre nun nicht der erste Zählschwindel aus dem Hause Duden: Bei den angeblich nur erforderlichen vier Änderungen ab 1996 kann die Umwandlung von etwa 660 der 1100 „ß“ in neue „ss“ nur als eine einzige Änderung gezählt worden sein. Darunter liefern die 375 neuen „dass“ keinen Beitrag zum „leichteren“ Schreiben. Der verbliebene Rest, hauptsächlich die Wörter „Schloß“ und „Roß“, hatte vorher weder beim Schreiben noch beim Lesen Schwierigkeiten bereitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2005 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#209

Im Falle von "Tollpatsch" hat Augst einmal nichts erfunden, sondern dies ist ein klassischer, schon von den ersten Autoren behandelter Fall von Volksetymologie, seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Ich weiß nicht, wie oft ich das Wort inzwischen auch bei klassischen Autoren in dieser Schreibweise gefunden habe, Grimms Wörterbuch bespricht es ebenfalls. Natürlich ist ein Tollpatsch nicht toll, aber eine Hängematte ist auch keine Matte und ein Felleisen kein Eisen. Das stört die Leute aber nicht.
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 20.05.2005 um 16.01 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#207

Herr Ickler erwägt, die Änderung von Tolpatsch zu Tollpatsch könne allenfalls geduldet, nicht aber vorgeschrieben werden. Ich hätte Bedenken, das Wort in der reformierten Gestalt auch nur zu dulden. Die Künstlichkeit der Augstschen Etymogelei erweist sich doch gerade darin, daß sie den Tollpatsch ausgerechnet in einer Zeit einführen wollte, wo die ursprüngliche Bedeutung von toll (verrückt, überspannt) – und nur an sie kann sich die Etymogelei ja anlehnen – im breiten Sprachgebrauch zugunsten von großartig nahezu an den Rand gedrängt ist und sich auf eine Handvoll Redensarten zurückgezogen hat. Wer versteht heute noch ohne Erläuterung einen Novellentitel wie Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau? Was für einen aufregenden Burschen stellt sich jemand vor, der vom tollen Halberstädter hört? Nein, ich meine, Augsts unglaubwürdige Ausgeburt ist auch in diesem Falle in den Orkus zu schicken.
 
 

Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 19.05.2005 um 21.44 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#199

Aufschriften: HEISSE WÜRSTCHEN, WEISSNÄHEREI, HEISSMANGEL, SOSSEN usw.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 19.05.2005 um 19.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#198

> Als Beispiel für eine falsche Übertragung von der Großbuchstaben- zur Normalschreibung ist hier nur STRASSE–Strasse zu gebrauchen, IMBISS–Imbiss entspricht ja der Heyseschreibung. Als andere Beispiele kämen GRÜSSE oder GROSS in Betracht.

Möglicherweise handelt sich um überhaupt keinen Fehler im engeren Sinn. Die Heyse-Schreibung erscheint mir so unfügig, daß ich für mich die Schweizer Lösung, also das ß gar nicht mehr zu verwenden, vorziehen würde.

Die Rückstufung dieser Frage auf die Pragmatik von Ligaturen würde es allen Beteiligten ermöglichen, ohne Gesichtsverlust wieder zu ordentlichen Schriftbildern zu kommen.

M.E. war die Entscheidung, das ß zu einem eigenen Buchstaben hochzustufen, ein kolossaler Fehler. Wann ist er geschehen? 50er Jahre, würde ich mal schätzen. Zu meiner Überraschung steht er schon in der 16. Aufl. des Duden.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.05.2005 um 16.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#196

Th. Ickler: »Schließlich werden gewisse Wörter sehr oft als Inschriften in Großbuchstaben geschrieben und prägen sich mit ss ein: STRASSE, IMBISS, daher dann Strasse, Imbiss.« (Ende von Punkt 7 unter 4. Heyseschreibung)

Als Beispiel für eine falsche Übertragung von der Großbuchstaben- zur Normalschreibung ist hier nur STRASSE–Strasse zu gebrauchen, IMBISS–Imbiss entspricht ja der Heyseschreibung. Als andere Beispiele kämen GRÜSSE oder GROSS in Betracht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2005 um 09.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#188

Wenn man strenge Maßstäbe anlegt, ist überhaupt noch kein Buch in reformierter Rechtschreibung erschienen, aber durch Null kann man ja nicht dividieren.
Bei Durchsicht unserer Neuanschaffungen im Institut für Germanistik stelle ich fest, daß ziemlich wenig in Neuschrieb erscheint. Die seriösen Verlage und die großen Reihenwerke verweigern sich. Dumm ist nur, daß selbst Unternehmen wie de Gruyter sich darauf eingelassen haben und ganz furchtbar fehlerhafte Bände herausbringen, selbst nach den Maßstäben der Reform. Institute kaufen HSK-Bände zu mindestens 300 Euro und bekommen dafür mindestens zwei orthographische Fehler pro Seite. Das hat es noch nie gegeben, vielleicht haben solche Werke bald Sammlerwert wie fehlgedruckte Briefmarken.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.05.2005 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#187

Ich habe mich das auch gefragt, ob "tausendmal" als Elativ einfach "sehr viel mehr" bedeuten soll. Das Problem ist, daß es mit "umfangreich" kombiniert ist – ich verstehe darunter etwas Meßbares, anders als bei dem schönen Schneewittchen – und am Ende eines Textes steht, der sehr präzise und aufklärerisch argumentiert. Deshalb droht zumindest der Eindruck "Der Verfasser übertreibt im Sinne seiner Sichtweise, hier sieht man es". Ich selbst finde das Auszählen von Kilometern unangemessen und bevorzuge wie auch Herr Lachenmann eine qualitäts- und bedeutungsgewichtete Sichtweise, nach dem Motto: Die Literatur vor der Reform wurde tausendmal besser gedruckt als der reformierte Murks. (Bei der Quantität könnte man übrigens veranschlagen, daß in vielen von den angeblich reformierten Büchern nur Teile der Reform zum Vorschein kommen. Insgesamt kann man nur herauslesen: Die Reform insgesamt wendet eigentlich keiner freiwillig an.)
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 16.05.2005 um 19.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#186

"Aber Schneewittchen hinter den sieben Bergen,
bei den sieben Zwergen,
ist tausendmal schöner als Ihr."

Doch, Herr Wrase, die Angabe von Herrn Ickler ist haargenau richtig. Oder glauben Sie etwa, die sieben Zwerge hätten eine solche Angabe des "Spiegels" aus freien Stücken auf 50mal heruntergesetzt? Im übrigen ist die Frage, was man unter "Beständen" zu verstehen hat. In neuer Rechtschreibung – in welcher Abmischung auch immer – gehaltene Literatur ist zum größten Teil solche, die keine nachhaltige Relevanz hat. Schöngeistige und wissenschaftliche Literatur – die künftig als bleibende Bestände in Bibliotheken von Bedeutung sein dürfte – ist tatsächlich weit überwiegend in "alter" Rechtschreibung. Qualitativ anspruchsvollere Verlage bevorzugen diese nach wie vor. Im Interesse einer orthographischen Kontinuität und der damit verbundenen Rezeptionseindeutigkeit der deutschsprachigen wissenschaftlichen und literarischen Textbestände sollte man auf jeden Fall die neue Rechtschreibung so schnell wie möglich wieder abschaffen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.05.2005 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#183

Zu: "Bestände", "Literatur", "Umfang", "tausendmal"

"Bestände" war mir schon klar; aber ich kann mir nicht helfen, mir kommt die Angabe "tausend" zuviel vor, wie ein kleiner polemischer Ausreißer am Ende einer sonst wunderbar präzisen und ausgewogenenen Beurteilung. Vielleicht wäre das Feilschen um diese Schätzung kleinkariert, aber es geht doch um ein zentrales Argument in der entscheidenden Frage, ob die Reform besser "nur" zum großen Teil oder besser zur Gänze zurückgenommen werden sollte:

"10. Der Kompromiß wäre zwar das Ende der Rechtschreibreform, zugleich aber der Beginn einer neuen – mit allen Konsequenzen, die eine Rechtschreibreform nach sich zieht. Nicht nur die bereits reformierten Texte würden ungültig, sondern auch die tausendmal umfangreicheren Bestände nichtreformierter Literatur."

Zunächst scheint mir, daß die Begriffe "Umfang" und "Literatur" verschieden aufgefaßt werden können, so daß man im Zweifel vielleicht die vorsichtigere Zahl ansetzen sollte. Was bedeutet "Umfang": Titel, Seiten, Regalkilometer, Tonnen? Ich verstehe am ehesten "Regalkilometer" darunter und bilde mir ein, daß im Lauf der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte immer mehr Masse produziert wurde, so daß die letzten Jahre mit ihrem Anteil reformierter Literatur stärker ins Gewicht fallen als derselbe Zeitraum vor 50 oder 100 oder 200 Jahren. Im Prinzip gilt dasselbe auch bei einer anderen Definition von "Umfang", aber die Gewichtung würde ggf. nicht genau gleich ausfallen.

Und was gehört zur Literatur? Auch Jugendliteratur und Kinderliteratur? Auch die umfangreiche ausländische, übersetzte Literatur? Beides kam doch in den letzten Jahren fast vollständig bzw. deutlich überwiegend reformiert heraus. Wo ist die Grenze zum Sachbuch, zur trivialen "Literatur"? Kishon ja, aber Heimatromane nicht – warum? Und wieso sollte überhaupt das Reich der Sachbücher hier nicht zählen, spricht man nicht auch von "Fachliteratur"? Wäre es nicht gerechter, alles zu werten, was in Buchform gelesen wird, anstatt von irgendwie existierenden "Beständen" auszugehen?

Also, je nachdem, was man alles zur "Literatur" zählt und was man unter "Umfang" versteht, dürfte diese zwar in den letzten fünf bis acht Jahren insgesamt noch im nichtreformierten Bereich liegen, aber der reformierte Anteil ist auch nicht zu vernachlässigen. Hierfür setze ich gefühlsmäßig einen Kompromißfaktor von 3:1 an und veranschlage das mit den letzten fünf Jahren. Dagegen steht das letzte Jahrhundert: Das wäre Faktor 20 (Zeitraum) gegen die Reform. Es stünde dann 60:1, in Wirklichkeit aber weniger, weil früher nicht so viel prodziert wurde – weniger Titel und weniger Seiten pro Jahr. Dasselbe Spiel mit den früheren Jahrhunderten: viel größere Zeiträume, aber viel weniger Produktion. (Wobei zu fragen ist, ob man das gleichberechtigt mitzählen kann, denn Werke aus dem 19. Jahrhundert und früher werden ja kaum mehr gelesen und erscheinen ohnehin, zum Beispiel von den verwendeten Schriften her, als mehr oder weniger veraltet.)

Insgesamt komme ich im Hin und Her eher zu oder "fünfzigmal" und würde Ihre Schätzung gerne um eine Größenordnung herunterhandeln, lieber Professor Ickler. Es wäre ja auch nicht gut, wenn ein Mitstreiter bei demselben Argument von "zehnmal" spricht, ich von "fünfzigmal" und Sie von "tausendmal".
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 16.05.2005 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#182

Mein letzter Beitrag war ein kleiner Ausrutscher – ins Heyse-Thema wollte ich mich eigentlich nicht mehr einmischen.
Der Fall das/dass ist wohl schwer zu beurteilen. Hier sind es ja gleich zwei Fehlermöglichkeiten, die zusammenkommen – Grammatik und Orthographie. Zudem ist die "Lerngeschichte" des Schreibers nicht optimal abgelaufen. Zunächst hat er die grammatische Unterscheidung im Zusammenhang mit der Adelungschen Schreibweise gelernt. Das stelle ich mir wie eine Einheit vor: man entscheidet sich für eine bestimmte grammatische Struktur, einen "Satzbauplan", dann kommt die orthographische Entscheidung fast wie ein Reflex hinterher; ein fest eingeprägtes Verhaltensmuster. Wenn nun nachträglich die Orthoraphie umgestellt wird, müssen alle möglichen Muster neu eingeübt werden. Ansonsten müßte man seine ursrüngliche Entscheidung für daß nachträglich korrigieren. Wenn man das Sächseln lernen will, reicht es ja auch nicht, ein paar Besonderheiten an einzelnen Vokalen zu üben. Man muß alle möglichen Wörter und Sätze sprechen, bis es nur so flutscht. Das dauert eben seine Zeit.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.05.2005 um 15.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#181

Zu Herrn Fleischhauer:

Daß dieselbe Verwechslung früher auch schon vorkam oder einem auch selbst einmal passieren kann, bestreitet niemand. Mit dem Argument (verallgemeinert) "Früher gab es auch schon Fehler" kommt man nicht weiter. Entscheidend sind natürlich die Häufigkeiten. Diese kann man sehr wohl untereinander vergleichen. Im Lauf der Zeit bekommt man ein deutliches Bild, jedenfalls als Korrektor.

Und dann gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Verwechslung das/daß bei den guten Schreibern insgesamt viel, viel seltener auftrat als heute die Verwechslung das/dass. Jedenfalls in Texten, die mit der Tastatur geschrieben wurden, und das trifft ja zu über 99 Prozent auf berufliches Schreiben zu. Die Gründe leuchten unmittelbar ein. Die überwältigende Zunahme ist weit überproportional gegenüber den sonstigen Fehlerzunahmen aufgrund der Reform, so daß man zwar "Übergangsschwierigkeiten" geltend machen kann, diese aber keinesfalls zur Erklärung hinreichen.

Der wesentliche Grund ist die viel größere Ähnlichkeit von dass und das im Vergleich mit daß und das. Und zwar ist dass eine während des Schreibens kaum merkliche Erweiterung von das. Ganz anders bei daß – ein eigenes, deutlich von das verschiedenes Fingerprogramm mit auffälliger Beteiligung der rechten Hand. Dies wirkt sich nun einerseits beim Tippen aus, andererseits noch einmal in der stark reduzierten Auffälligkeit für das mitlesende Auge, so daß die Korrekturmöglichkeit unterdrückt wird.

Dazu kommt, daß man bei so elementaren und auch sehr kurzen Funktionswörtern wie und, da, ist, sie, wie usw. eben keine Aufmerksamkeit mobilisieren kann. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die individuelleren Teile des Satzes und auf längere Wörter; die Verwendung von das und dass bzw. daß drängt in höchstem Maße auf Automatisierung. Darum ist es im Blick auf die Fehleranfälligkeit fatal, die Schreibähnlichkeit solcher Funktionswörter zu maximieren, gerade dann, wenn aus anderen Gründen schon eine erhöhte Verwechslungsgefahr gegeben ist, wie sie auch Herr Fleischhauer aufgreift.

Meiner Meinung nach kann man das nur anzweifeln, wenn man es von vornherein anzweifeln möchte, weil man insgesamt für die Reform ist oder weil man sich speziell für die neue ss-Schreibung erwärmt.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 16.05.2005 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#180

Wenn die Heysesche Schreibweise einen Teil der Aufmerksamkeit absorbiert, so daß Grammatikfehler unterlaufen, sehe ich das als Bestätigung meiner These der fortbestehenden Übergangsschwierigkeiten.
Wenn ich gedankenlos bin, passieren mir selbst solche das/daß-Verwechselungen. Wenn solche Fehler auch in Zeitungen zunehmen, kann es auch an geänderten redaktionellen Bedingungen liegen.
Früher gab's das natürlich auch; hier ein Beispiel aus einer sprachwissenschaftlichen Zeitschrift:
Deshalb war es m.E. richtig, daß die Valenzwörterbücher des Instituts für deutsche Sprache zunächst von semantischen Angaben abgesehen haben. Dabei spielte unter anderem die Einsicht eine Rolle, das "Informationen dieser Art nur wenig zur Lösung der Probleme im Ausländerunterricht beitragen" (Engel/Schumacher 1978:11). Leider ist dieser Weg inzwischen verlassen worden.
Lexikographie und Grammatik. Akten des Essener Kolloquiums zur Grammatik im Wörterbuch 28.-30.6.1984. Tübingen 1985. S.370
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2005 um 10.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#178

Die BESTÄNDE nichtreformierter Literatur sind gewiß tausendmal umfangreicher; es geht ja hier nicht um den Anteil am gegenwärtig Gedruckten.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.05.2005 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#177

"Die Unterscheidung der Konjunktion daß bzw. nun dass von Artikel und Pronomen das ist ja eine grammatische und setzt entsprechende grammatische Kenntnisse voraus. Allerdings muß man sagen, daß es in Zeitungs- und anderen Texten erwachsener Autoren praktisch keine Verwechslungen mehr gab, während die Heysesche Regel selbst hier zur Verwirrung führt."

Sehr richtig. Dazu zwei typische Beispiele.

Aus dem aktuellen SPIEGEL Nr. 20 vom 14.5.05 (das Datum auf der Titelseite ist übrigens ohne Abstände gesetzt), Seite 178 unten:

"Die steigenden Öl- und Benzinpreise in den Staaten ... haben kürzlich zu einem Gesetzespaket geführt, dass die Abhängigkeit vom Import langfristig mindern und letztlich Preisstabilität bringen soll."

Aus dem aktuellen Angebot von SPIEGEL Online, ein Beitrag von Matthias Matussek zu den deutsch-britischen Beziehungen:

"Ein Großbritannien, dass sich allzu sehr im Besitz der Tugend wähnt, hat gefährlich selbstherrliche Züge."

Früher monatelang nicht zu entdecken, ist dieser Fehler jetzt ein stabiler Bestandteil der täglichen Lektüre. Auch in Texten der besten Autoren und Verlage.

Frage am Rande: Gegen Ende des Tagebuch-Textes steht da "auch die tausendmal umfangreicheren Bestände nichtreformierter Literatur". Die "Literatur" ist zwar eher zu einem geringen Anteil reformiert herausgekommen, aber ist das nicht übertrieben? (Ich würde eher auf "fünfzigmal" tippen, und vielleicht würde "zwanzigmal" noch besser klingen, weil es manchem Leser glaubwürdiger erscheint.)
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 15.05.2005 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#175

Vielleicht ist es ja so, daß es »ein Argument« für diese oder jene Praxis bzw. Regelung gar nicht gegeben hat. Beim Argumentieren in dieser Materie stößt man so gut wie immer auf Beispiele, die sich der Konsequenz entziehen. Die Ligaturen mögen eine Rolle gespielt haben, das klingt plausibel, aber vielleicht auch die Erkenntnis, daß bei Dreifachkonsonanten, nach denen ein weiterer Konsonant folgt, die Lesbarkeit deutlicher wird, wenn man hier alle drei schreibt: Bettruhe, Betttruhe – es gibt ja gar nicht so viele davon. Bei Stilleben könnte mancher auf die Idee kommen, es hieße Stil-Leben. Es paßt halt nicht alles über einen Kamm, und das wird kaum zu ändern sein.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 15.05.2005 um 09.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#174

»...während bei Sauerstoffflasche ohne das dritte f eben auch eine Sauerstoff-lasche gelesen werden könnte«

An sich schließe ich mich der Meinungsäußerung meines Vor-Posters WL an, daß die alte Regelung bezgl. der Konsonantenverdreifachung sinnvoll war. Obiges Argument leuchtet mir allerdings nicht ein. Wäre das ein gültiges Argument, müßte man mit gleichem Recht das dritte l im Stilleben fordern.

Nach meinem Dafürhalten handelt es sich bei der Konsonantenausnahme um eine – übermäßig – simplifizierte Form der Ligatur-Regeln. Konsonantenverdreifachungen mit folgendem weiteren Konsonant können nur bei den Buchstaben s,f,t,p und k auftreten. Im Fall des s liegt die Lösung in der Adelung-Ligatur ß, beim k im ck (und man sieht hier, daß wg. des ck in Sackkarre das 3. k effektiv stehenbleibt, obwohl ein Vokal folgt). Die Sauerstoffflasche wird mit zwei Ligaturen geschrieben, darin liegt m.E. der tiefere Grund, warum die Verkürzung entfällt. In de.etc.sprache.deutsch wurde mir auf dieses Argument vorgehalten, daß f auch mit folgendem i eine Ligatur bildet, dh. auslautendes ff mit anlautendem fi könne dann ja auch mit drei f geschrieben werden: Rifffischer. Täte ich auch. Bleibt das p: Pappplakate gibt es nicht, außer als schlechtes Beispiel.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 15.05.2005 um 00.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=85#172

»Die bekannten Ausnahmen (Sauerstoffflasche) waren eine Konzession im Rahmen der Konferenz von 1901«.

Daß diese lediglich eine Konzession waren, mag sein. Aber sie waren wohl auch sinnvoll. Es gibt ja gar nicht so viele Fälle, wo ein Verständnisproblem entstehen kann, wenn drei Konsonanten auf zwei verkürzt werden, sofern man zugunsten der Lesbarkeit bei Wörtern wie Schlußstrich, Baßsolo, Kußszene usw.beim ß bleiben würde. Brennessel kann immer nur als Brennessel gelesen werden, und Rolladen nur als Rolladen, während bei Sauerstoffflasche ohne das dritte f eben auch eine Sauerstoff-lasche gelesen werden könnte. Außerdem ist die Regel so einfach und wird so selten beansprucht im Schreibgebrauch, daß man die wenigen Fälle, wo jemand gegen sie verstößt, mit Nachsicht übergehen könnte. Anhaltspunkte dafür, daß ein Bedürfnis der schreibenden Bevölkerung bestanden hätte nach vollem Ausschreiben aller drei Konsonanten in Gebilden wie Schlammmassen, Kammmolch, Seenschifffahrt (wo bleibt hier das dritte e? Um 1900 trug man ihm hierzulande immerhin noch durch ein Apostroph Rechnung: (»Tegernsee'r Anzeiger«) oder Klemmmappe, dürften schwerlich nachzuweisen sein. Aber die Bayerische Seenschifffahrtsgesellschaft hat vom Königsee bis zum Ammersee mit großem Fleiß und ohne die Kosten dafür zu scheuen alle Anlegestellen neu getüncht, damit die Passagiere sich ja nicht auf dem falschen Dampfer wiederfinden müssen.
 
 

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