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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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28.10.2005
 

Verrenkungen
Die Zeitungen versuchen, ihre eigenen Falschmeldungen zu korrigieren

Kurz vor der nächsten Ratssitzung wollen die Zeitungen erfahren haben, daß der Rat sein ursprüngliches Programm erweitern werde.
Dabei war es nie auf die bisher behandelten Bereiche beschränkt gewesen. Diese von der KMK erzeugte Legende hatten die Zeitungen in ihrer unkritischen Art selbst verbreitet, und die Korrektur ist nun selbst wieder eine aufsehenerregende Nachricht. Die Einsetzung von Arbeitsgruppen zur GKS und Laut-Buchstaben-Entsprechung habe ich natürlich längst beantragt. Wenn der Rat sich heute mehrheitlich dagegen entscheidet, gibt er sich eine Blöße, die wir zu nutzen wissen werden.



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Kommentare zu »Verrenkungen«
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Kommentar von Der Tagesspiegel, Berlin, verfaßt am 28.10.2005 um 11.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1261

»Orthografie – schon wieder anders?

Berlin - Die Rechtschreibreform wird womöglich noch weiter zurückgedreht, als bisher angenommen. Der Rat für die deutsche Rechtschreibung werde sich voraussichtlich auch mit der Groß- und Kleinschreibung befassen, sagte der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair am Donnerstag dem Tagesspiegel. Damit würde der Rat sein Programm erweitern, ausschließlich Empfehlungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung, zur Interpunktion und zur Silbentrennung abzugeben. Bei der Sitzung des 39-köpfigen Expertengremiums am Freitag in Mainz wird der Reformgegner Theodor Ickler beantragen, dass der Rat über Reformschreibweisen wie „heute Abend“ (vor der Reform: heute abend) und „im Übrigen“ (im übrigen) diskutiert. Der Erlanger Sprachwissenschaftler will die weitgehende Rücknahme der Reform erreichen – auch bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung („Stängel“ statt früher „Stengel“). Die von Ickler angegriffenen Bereiche der Reform gehören allerdings zu dem Teil der Rechtschreibreform, die die Kultusminister der Länder als „unstrittig“ erklärt hatten und mit denen sich der Rat ausdrücklich nicht in diesem Jahr beschäftigen sollte. Denn seit dem Beginn des neuen Schuljahres sind diese Rechtschreibregeln an den Schulen in 14 Bundesländern verbindlich in Kraft getreten: Fehler, die Schüler bei der Groß- und Kleinschreibung, bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung und auch bei der Bindestrich-Schreibung machen, werden jetzt als Fehler gewertet und nicht mehr nur angestrichen. Bayern und Nordrhein-Westfalen hatten sich im Juli entschieden, die Übergangsfrist, in der Fehler nur angestrichen werden, bis August 2006 zu verlängern. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte die Hoffnung geäußert, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung auch noch mit der Groß- und Kleinschreibung befassen würde. -ry«


(Der Tagesspiegel, 28.10.2005, Seite 1)


»Klein, klein
Reformgegner will Großschreibung kippen – der Rechtschreibrat könnte zustimmen

Von Amory Burchard

Die Rechtschreibreform könnte in weiteren Teilen zurückgenommen werden, als bisher abzusehen war – wenn sich Reformgegner Theodor Ickler durchsetzt. Der Sprachwissenschaftler, Emeritus der Universität Erlangen-Nürnberg, will nach Informationen des Tagesspiegels dafür sorgen, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung ab sofort auch mit der Groß- und Kleinschreibung und mit der Laut-Buchstaben-Zuordnung befasst. Aus Kommentaren, die Ickler bei der morgigen Sitzung des Rates für deutsche Rechtschreibung vorlegen will, geht hervor: Reformschreibweisen wie im Allgemeinen, gestern Abend, Pleite gehen, Diät leben oder Stängel, platzieren und Zierrat sind nach Auffassung Icklers grammatisch falsch – oder schlicht „schlechtes Deutsch“. Ickler will eine Rückkehr zu den alten Schreibweisen erreichen.

Auch bei ss- und ß-Schreibungen sollten wieder die alten Regeln aus der Zeit vor der Rechtschreibreform von 1996 gelten. Wie der Tagesspiegel erfuhr, will Ickler in Mannheim zwei neue Arbeitsgruppen zu diesen Themen beantragen.

Der Vorsitzende des Rates, der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, unterstützt Ickler. Einige der neuen Schreibweisen bei der Groß- und Kleinschreibung „kann man zu Recht hinterfragen“, sagte Zehetmair.

Änderungen auch in der Laut-Buchstaben-Zuordnung lehnt Zehetmair dagegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Man dürfe den Rat nicht mit einer weiteren Arbeitsgruppe überfordern – und „Ansprüche nicht überborden lassen“.

Wäre die Rechtschreibreform weitgehend aufgehoben, wenn sich Ickler bei der Groß- und Kleinschreibung durchsetzen würde? Schließlich hat der Rat im Juli bereits empfohlen, vieles in der Getrennt- und Zusammenschreibung zu revidieren (leidtun statt Leid tun, eislaufen statt Eis laufen). Beide Bereiche sind in der Rechtschreibreform zentral. Auch bei der Getrennt- und Zusammenschreibung hatten die Experten besonders für Schüler eingängige Regeln wie „Verb und Verb schreibt man stets getrennt“ empfohlen. Und bei der Groß- und Kleinschreibung steht jetzt die einfache Regel, dass man alle substantivierten Wörter großschreibt, zur Disposition. „Den Eindruck, dass alles zurückgedreht wird, müssen wir verhindern“, sagt Zehetmair. Dafür würde sich in dem 39-köpfigen Rat keine Zweidrittel-Mehrheit finden. Auch die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung, Kerstin Güthert, geht davon aus, dass eventuelle Änderungen in der Groß- und Kleinschreibung „nicht so komplex“ wären wie bei der Getrennt- und Zusammenschreibung.

Trotzdem: Sollte der Rat Ickler bei der Groß- und Kleinschreibung folgen, droht ein Konflikt mit der Konferenz der Kultusminister (KMK), die den Rat Ende 2004 einberufen hatte. Schreibweisen wie im Allgemeinen und heute Abend sowie die Laut-Buchstaben-Zuordnung sind von der KMK als „unstrittig“ gesetzt und sollten vom Rat vorerst nicht behandelt werden. Denn seit dem Beginn des Schuljahres sind diese Rechtschreibregeln an den Schulen in 14 Bundesländern verbindlich in Kraft getreten: Fehler, die Schüler bei der Groß- und Kleinschreibung, bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung und auch bei der Bindestrich-Schreibung machen, werden jetzt als Fehler gewertet und nicht mehr nur angestrichen.

Bayern und Nordrhein-Westfalen hatten sich im Juli entschieden, die Übergangsfrist, in der Fehler nur angestrichen werden, bis 2006 zu verlängern. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hatte die Hoffnung geäußert, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung auch noch mit der Groß- und Kleinschreibung befassen würde.

Bis zum Frühjahr 2006 stehen über die Getrennt- und Zusammenschreibung hinaus ausschließlich umstrittene Neuregelungen der Interpunktion und der Silbentrennung auf dem offiziellen Programm. Weitere Änderungen soll der Rat erst diskutieren, wenn die ganze Rechtschreibreform zum 1. August 2006 bundesweit an allen Schulen verbindlich eingeführt wird. Dann soll der zunächst für sechs Jahre bestellte Rat die zweite Phase seiner Arbeit starten, in der er die Sprachentwicklung beobachtet und kleinere Änderungen der Regeln empfiehlt.

Selbst unter reformfreundlichen Ratsmitgliedern wird aber damit gerechnet, dass sich Ickler zumindest mit der Arbeitsgruppe für die Groß- und Kleinschreibung durchsetzt. Schreibweisen wie im Übrigen oder auch die Kleinschreibung des du in Briefanreden seien in der Öffentlichkeit so unbeliebt, dass man nicht darüber hinweggehen könne, ist zu hören. Geschäftsführerin Kerstin Güthert hält es für wahrscheinlich, dass der Rat das Thema trotz des Widerstandes der KMK angeht: „Wir möchten eine Regelung empfehlen, die dann auch wirklich auf viele Jahre trägt.“«


(Der Tagesspiegel, 28.10.2005)
 
 

Kommentar von Stuttgarter Nachrichten, verfaßt am 28.10.2005 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1262

»Sprachwächter auf der Ziellinie
Letzter Schliff an Schreibreform


Mannheim - Die Ferien dauerten für die Wächter der deutschen Sprache fast vier Monate. Aber auch ohne offizielle Sitzungs- und Arbeitsgruppentreffen rauchten bei den Mitgliedern des Rates für deutsche Rechtschreibung in der Sommerpause die Köpfe.

VON BERND GLEBE

Läuft alles nach Plan, dann wird das Expertengremium im Frühjahr nächsten Jahres seine Änderungsvorschläge für alle umstrittenen Teile der Rechtschreibreform vorlegen. Ausgerufenes Ziel bleibt, zum Schuljahr 2006/07 das Regelwerk vollständig in Kraft setzen zu lassen. Bei der Sitzung an diesem Freitag in Mannheim soll der Komplex Silbentrennung abgeschlossen werden. Als letzter der am meisten kritisierten Punkte bei der Einführung des Regelwerkes wartet dann noch die Zeichensetzung. Ein Beschluss dazu ist für die Sitzung am 25. November geplant, der siebten und vorerst letzten Runde in diesem Jahr.

Den schwierigsten Brocken auf dem Weg zu einem tragfähigen Kompromiss hatten die Sprachexperten bis zu ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause am 1. Juli unter Dach und Fach gebracht: Für die Getrennt- und Zusammenschreibung erarbeitete die aus Sprachwissenschaftlern und Praktikern bestehende Gruppe nach hartem Ringen ein Konsenspapier. Geeinigt hatten sich die 39 Mitglieder darauf, dass sich die Schriftsprache wieder mehr nach dem Sprachgebrauch der Menschen richten und damit wieder mehr zusammengeschrieben werden soll. Als Beispiele wurden "eislaufen, fertigmachen und leidtun" genannt. Im Gremium sitzen 18 Vertreter aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz sowie je einer aus Liechtenstein und der autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Dazu kommt der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair.

Obwohl die Erwartungshaltung vor allem von Seiten der Schulen groß ist, betont der frühere bayerische Kultusminister Zehetmair immer wieder die Unabhängigkeit der Sprachhüter. Nicht der Politik oder einem Zeitplan, sondern den Menschen mit ihrer Sprache sei der Rat verantwortlich. So sitzt die Kultusministerkonferenz (KMK) weiter in der Warteschleife. Erst nach der Anhörung und "im Paket" werden die Vorschläge des Rates dem Gremium offiziell präsentiert. "Wir warten so lange ab", lautet die offizielle Sprachreglung.

Die unstrittigen Teile der Rechtschreibreform wie Groß- und Kleinschreibung sowie Laut-Buchstaben-Zuordnung waren am 1. August in 14 Bundesländern verbindlich in Kraft getreten. Nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen gelten Übergangsregeln. "Nach Beginn des Schuljahres 2006/07 gehen wir in ruhigeres Gewässer", betont die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung, Kerstin Güthert. Vor allem beobachtend wolle man dann wirken: "Der Rat hat dann ja nicht die Aufgabe, eine neue Reform auszuarbeiten."

Weitere Informationen unter:
http://www.rechtschreibkommission.de
http://www.rechtschreibrat.de«


(Stuttgarter Nachrichten, 28.10.2005)

 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 28.10.2005 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1263

Wie schön, daß die Stuttgarter Nachrichten nicht ganz aufgepaßt haben: Unter www.rechtschreibrat.de gelangt man nicht auf die Seiten des Rechtschreibrats (die heißen www.rechtschreibrat.com), sondern zur Deutschen Sprachwelt.

 
 

Kommentar von Berliner Zeitung, verfaßt am 28.10.2005 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1264

»Gräuliche Stängel
Der Streit um die Rechtschreibreform geht weiter: Kritiker stellen auch bereits Amtliches in Frage


Torsten Harmsen

MANNHEIM, 28. Oktober. Die Reform der deutschen Rechtschreibreform ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfahl am Freitag, nun auch die Silbentrennung und Kommasetzung zu revidieren. So soll es keine Abtrennung von Einzelbuchstaben am Satzende mehr geben, wie etwa bei "O-blate", "E-sel" oder "A-bend". Das teilte Hans Zehetmair (CSU), der Vorsitzende des 39-köpfigen Rates, nach der Sitzung in Mannheim mit.

Mehr Kommata setzen

Sinnentstellende Trennungen sollen rückgängig gemacht werden, etwa die bei "Tee-nager", "Urin-stinkt" oder "Anal-phabet". Zudem schlägt der Rat vor, künftig wieder mehr Kommata zu setzen, um Missverständnisse zu vermeiden. Zehetmair gab das Beispiel: "Der Mann schlug die Orgel, und seine Frau backte Kuchen". Bei der Trennung von Worten mit "ck" soll die neue Regel beibehalten werden: also statt "Dak-kel" nun "Da-ckel". Bereits im Juli 2005 hatte der Rat empfohlen, auch bei der Getrennt- und Zusammenschreibung die Reform weitgehend zurückzunehmen und Wörter wieder zusammenzuschreiben, wenn es der Sinn verlange. Denn "vielversprechend" bedeutet etwas anderes als "viel versprechend".

Dennoch geht einzelnen Kritikern im Rat die Rücknahme der Reform nicht weit genug. Ihr wohl aktivster Vertreter, der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, hatte beantragt, Arbeitsgruppen einzusetzen, die sich mit der Groß- und Kleinschreibung und der Laut-Buchstaben-Zuordnung befassen sollen. Diese beiden Teile traten am 1. August 2005 in 14 Bundesländern für Schulen und Ämter verbindlich in Kraft. Der Rechtschreibrat folgte dem Vorstoß Icklers teilweise und beschloss, bis zu seiner Sitzung am 25. November die Groß- und Kleinschreibung durch eine Arbeitsgruppe überprüfen zu lassen. Ickler führte falsche oder schlechte Schreibweisen wie "Pleite gehen", "zu Eigen machen" oder "heute Abend" an. Weitergehende Revisionen sind bisher nicht geplant, obwohl Ickler darauf drängt, auch Schreibweisen wie "Stängel", "gräulich" oder "behände" wieder rückgängig zu machen. Doch dafür finde sich laut Zehetmair nicht die notwendige Zweidrittel-Mehrheit.

Die Vorschläge sollen der Kultusministerkonferenz im Frühjahr des nächsten Jahres als Paket vorgelegt werden. Ziel ist es, die gesamte Reform zum Schuljahr 2006/07 verbindlich einzuführen. Die Kultusminister müssten bis dahin zeigen, so die Kritiker, welches Gewicht sie dem von ihnen selbst eingesetzten Rat beimessen und wie sie dem Druck der Verlage standhalten, die größere Änderungen in den Wörterbüchern vermeiden wollen.

Auch auf die Justiz hofft man. Im September erst hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ein Wort für die alte Rechtschreibung eingelegt. "Wir empfinden sehr viel Sympathie mit der alten Regelung und haben den Anspruch anerkannt, wonach Schüler in der Rechtschreibung unterrichtet werden könnten, die in der Gesellschaft allgemein praktiziert wird", sagte der Richter Jürgen Rettberg. Allerdings hatte das Gericht die Klage einer Oldenburger Schülerin auf sofortigen Stopp der Reform abgelehnt, weil sie "schwerwiegende Nachteile" nicht zu befürchten habe. Ihre Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover aber wurde zugelassen.«


(Berliner Zeitung, Samstag, 29. Oktober 2005)

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 28.10.2005 um 19.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1265

Prof. Ickler ist zwar ein emeritus (ein sich verdient gemacht Habender), aber doch noch kein Emeritus (ein ausgedient Habender) - s. Tagesspiegel.

 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 28.10.2005 um 22.35 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1268

Weiß Herr Zehetmair eigentlich wovon er spricht? Erst hat er mit "auseinander setzen/auseinandersetzen" genervt, jetzt mit dem albernen "Urin-stinkt". Ich möchte ihm wünschen, daß er falsch zitiert wurde. Sonst darf man sich wirklich nicht wundern, daß so etwas wie die "Rechtschreibreform" in Deutschland möglich war. Eigentlich möchte man im Erdboden versinken vor Scham. Wie kann man da guten Herzens sagen: "Ich bin Deutschland"?

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2005 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1269

Bevor ich einen ausführlicheren Bericht von der Oktobersitzung gebe, nur schnell das Wichtigste: Nach einer sehr kleinschrittigen vierstündigen Debatte, die auch deshalb friedlich und beinahe langweilig verlief, weil diesmal acht Mitglieder fehlten (darunter "Altlasten" im Zehetmairschen Sinne), wurde der eigentlich Coup ganz am Schluß fast beiläufig geführt. Der Vorsitzende nahm mit großer Selbstverständlich meinen (schon lange angekündigten) Antrag auf, eine Arbeitsgruppe zur Groß- und Kleinschreibung zu gründen. Ich hatte auch eine AG zur Laut-Buchstaben-Entsprechung als wünschenswert bezeichnet, aber aus wohlerwogenen Gründen noch nicht förmlich beantragt.

Damit war der bekannte, seit einem Jahr unermüdlich bekräftigte Anschlag der KMK zurückgewiesen. Mit vollem Recht wird nun über geplante oder bevorstehende weitere Änderungen berichtet, und das ist eine äußerst nützliche Meldung. Ich möchte alle, die über das eine oder andere Ergebnis dieser sonderbaren Veranstaltung enttäuscht sind, nachdrücklich bitten, diesen Punkt gebührend zu würdigen. Schließlich stochern wir in einer Ruine herum, von der die KMK immer noch behauptet, sie sei ein prächtiger Palast.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 29.10.2005 um 07.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1270

Der Daaa-ckel soll also weiter mit dem Schwanze waaa-ckeln.
Dies sei „kein großes Problem” und kein „Drama”, betonte Zehetmair.
Mich würde nicht wundern, wenn mancher Schüler künftig "Dahkel" shreibt. Weil man es beim Silbentrennen doch so spricht, oder nicht?

 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 29.10.2005 um 08.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1272

Wenn Da-ckel, dann aber auch We-spe und ... Ham-ster.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2005 um 09.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1273

Außer mir haben nur zwei Kollegen die naheliegenden Gründe für die Trennung k-k vorgetragen, bei allen anderen scheint der Eindruck überwogen zu haben, daß es sich entweder um einen Digraphen wie ch handele oder doch um etwas hinreichend Ähnliches. Dazu darf man vielleicht daran erinnern, daß sogar Prof. Munske vor Jahren dieser Ansicht war, er hat seine damalige Ansicht dankenswerterweise in "Orthographie als Sprachkultur" noch einmal zugänglich gemacht, obwohl er schon davon abgekommen war. Die Neuregelung stellt allerdings mit überwältigender Evidenz klar, daß dem nicht so ist, so daß die schlichte Feststellung "Dasselbe gilt für ck" tatsächlich wie ein Schlag vor den Kopf wirkt. An dieser Stelle wurde auch der Geschäftsführerin Güthert das Wort erteilt, die über die geschichtliche Entwicklung der Trennung gearbeitet hat und sehr gut die wirklichen Verhältnisse und ihre lange historische Tradition darlegte. Aber wie gesagt, das machte der Mehrheit des Rates, der ja überwiegend der Sachkunde entbehrt, keinen Eindruck. Bleibt zu hoffen, daß immer mehr Medien sich von der Reformschreibung im ganzen verabschieden, damit dieser Krampf endlich aufhört.
Schwer zu ertragen sind solche Abstimmungen nicht nur wegen des dummen Ergebnisses, sondern weil die Mehrheit der Abstimmenden überhaupt nichts gesagt hat, so daß man nicht weiß, warum sie eigentlich so abstimmen. Das ist aber ein allgemeines Manko dieses Rates, in dem viele noch nie den Mund aufgemacht haben. Vielleicht hätte man sie vom Besseren überzeugen können, wenn man ihre Gedanken rechtzeitig erfahren oder erraten hätte. Da ist mir ja fast jener prominente Österreicher lieber, der bei der konstituierenden Sitzung dabeigewesen sein soll, seither aber immer entschuldigt fehlt. Er überträgt seine Stimme auf jemanden, dessen Verhalten vollkommen durchsichtig und vorhersehbar ist und sich daher bloß verdoppelt. Da weiß man doch, was man hat.

Was die nun wieder zitierten Beispiele aus der Pressekonferenz betrifft, so hat der Vorsitzende, wie wir wissen, manchmal keine ganz glückliche Hand, will wohl auch seine Zuhörer nicht mit den Subtilitäten überfordern, die tatsächlich diskutiert wurden. Weder über Urin-stinkt noch Anal-phabet wurde gesprochen. Es gibt nur, wie seit je, die allgemine Empfehlung, sinnstörende Trennungen zu vermeiden - meiner Ansicht nach überflüssig, aber ein Erbstück, von dem sich die anderen nicht gern trennen mochten. Jedenfalls wird auch in Zukunft kein Schüler bestraft, wenn er Anal-phabet trennt, wohl aber, wenn er A-nalphabet trennt, denn damit erweist er sich als so stumpfsinnig, daß er ohne weiteres Kultusminister werden könnte.

 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 29.10.2005 um 09.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1274

Ich lese hier:

Auch bei der Zeichensetzung kommen alte Regeln zu neuen Ehren: Vor einem erweiterten Infinitiv wird künftig wieder ein Komma stehen. Zehetmair betonte jedoch, dass bei der Zeichensetzung eine Kann-Bestimmung für die Schulen vorgeschlagen werde: "Wir wollen das als pädagogische Brücke verstehen."

Haben wir das nicht schon? Wo ist da die Änderung?

Im § 73 der 2004er Version der amtlichen Regelung heißt es:
„Bei gleichrangigen Teilsätzen, die durch und, oder usw. verbunden
sind, kann man ein Komma setzen um die Gliederung des Ganzsatzes
deutlich zu machen.“

Soll das in Zukunft etwa so lauten:
„Bei gleichrangigen Teilsätzen, die durch und, oder usw. verbunden
sind, kann man ein Komma setzen(,) um die Gliederung des Ganzsatzes
deutlich zu machen.“

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 29.10.2005 um 09.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1275

Hätte man nicht eine Gleichwertigkeit bei der Trennung von -ck und k-k erreichen können. So, daß jeder für sich entscheiden könnte, wie er lieber (sinniger) trennt? Dann hätte die Sprachevolution das schlechtere ausmerzen können.

Ganz allgemein denke ich, daß wir nur so die Reform überwinden können. Also möglichst viele der alten Regeln optional wieder einführen... und in der 30. Dudenausgabe sind wir wieder auf dem Stand von 1901.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 29.10.2005 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1276

Auch der kleinste Erfolg in Richtung Wiederherstellung der guten Rechtschreibung kann gar nicht hoch genug bewertet werden - angesichts der noch immer geballten Widerstandsmacht. Darum ein großer Dank an Prof. Ickler und auch an den Vorsitzenden und die anderen wackeren Kämpfer. Es ist schon so: Die Ruine kann nur steinchenweise abgerissen werden. Das ist mühsam und manchmal entmutigend. Den Vorsitzenden sollte man mit Nachsicht behandeln, er ist die Schlüsselfigur im Kampf gegen das Monster Rechtschreibreform. Wenn der Rat langsam schrumpft, und zwar an den richtigen Stellen, so ist das nur zu begrüßen. Hauptsache, er bleibt beschlußfähig.

 
 

Kommentar von Badische Zeitung, verfaßt am 29.10.2005 um 11.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1277

»Anarchie ist machbar!

Eine Dauerbaustelle produziert nicht nur Stau, sondern hat immer auch ihr Gutes: Sie verschafft Menschen Lohn und Brot und zeugt von Schaffensdrang und Gestaltungswillen. Deshalb: Wenn von der offensichtlich nur vorübergehend stillgelegten Dauerbaustelle namens Rechtschreibreform jetzt plötzlich wieder neue Geräusche kommen, sollte man sich nicht gleich aufregen. Es geht nämlich voran. Zwar weiß keiner der Architekten mehr so genau, in welche Richtung, und ob man da, wo man hin will, nicht früher schon einmal war. Aber darauf kann es hier nicht ankommen. Reformieren, haben wir gelernt, ist immer besser als nicht reformieren, selbst dann, wenn es dabei um die Reform der Reform der Reform geht. Kaum hat die zwischenstaatliche Kommission für Rechtschreibung Dutzende von Kommata aus weitgehend ästhetischen Gründen („Fliegenschiss, igitt“) aus dem Schriftbild getilgt, führt der Rat für Rechtschreibung die meisten der Kommata wieder ein. Und kaum haben Hunderttausende von Schulkindern versucht, sich an so merkwürdige neue Silbentrennungsregeln wie E-sel oder A-del zu gewöhnen, lässt die erlauchte Ortho-Grafschaft um Schulmeister a. D. Zehetmair den Nachwuchs erneut umlernen. Das hat aus Pennälersicht einen unschätzbaren Vorteil: Irgendwann blickt keiner mehr durch, vor allem der Lehrer und die Lehrerin nicht, und dann herrscht fröhliche A-narchie in Germany, pardon, Anar-chie. Oder doch nicht etwa An-archie? Stefan Hupka«


(Badische Zeitung vom Samstag, 29. Oktober 2005)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2005 um 12.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1278

Die endgültigen Formulierungen stehen noch nicht fest. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß eine Empfehlung ("soll" o. ä.) von Programmierern und anderen Praktikern als Vorschrift interpretiert wird. Bisher war beabsichtigt, die Nichtsetzung des Kommas zum Normalfall und die Setzung zur Ausnahme (gegen die Gefahr der Undeutlichkeit) zu machen. Das soll nun gerade umgekehrt sein. Mehr ist im Augenblick nicht zu erreichen. Die Schulbuchverleger haben aber längst angefangen, die Kommas weitestgehend wiedereinzusetzen, die sie vorher gestrichen hatten. Das ist auch der Wunsch der Lehrer. Wenn der "Wille zum Komma" da ist, wird sich das Weitere finden.

 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 29.10.2005 um 13.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1279

Es ist halt wie das Pickeln an der ehemaligen Berliner Mauer. Aber auch der härteste Beton geht einmal kaputt, wenn man ihn nur lange genug energisch bearbeitet.

 
 

Kommentar von Deutschlandradio, verfaßt am 29.10.2005 um 18.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1282

»Zehetmair sieht Korrektur der Rechtschreibreform als basisdemokratischen Akt

Der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair (CSU), sieht die geplanten Korrekturen an der Rechtschreibreform als basisdemokratischen Akt.

Zehetmair räumte am Freitag im Deutschlandfunk ein, dass es sich bei den Entscheidungen des Rats um eine Revision der Rechtschreibreform handelt. Der frühere bayerische Kultusminister begründete die Korrekturvorschläge mit dem "immer weiter gewachsenen Verdruss, der aus der Bevölkerung und aus der Politik geltend gemacht wurde". Es sei "bedrückend, wenn neben der Zerrissenheit Deutschlands insgesamt in schwieriger Situation auch die Sprache noch zur Bruchstelle wird". Ziel müsse es daher sein, in der Frage der Rechtschreibung Schüler und Erwachsene miteinander zu versöhnen und damit die Sprache "insgesamt mit dem Volk".

Zehetmair zeigte sich zuversichtlich, dass die Kultusministerkonferenz den Empfehlungen des Rats folgen wird. Es gebe "Signale, dass die sich danach richten werden", sagte der CSU-Politiker.«


(dradio.de, 28.10.2005 · 17:35 Uhr – ein Interviewmitschnitt findet sich hier)

 
 

Kommentar von Tagesschau, verfaßt am 29.10.2005 um 19.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1283

»Rechtschreibreform soll wieder reformiert werden
Mehr Kommas, keine sinnentstellenden Trennungen


Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat weitere Änderungen zur Korrektur der Rechtschreibreform empfohlen: Es sollen künftig wieder mehr Kommas gesetzt und sinnentstellende Wörtertrennung vermieden werden.

"Ur-instinkt" statt "Urin-stinkt"

Der Rat empfahl, die Abtrennung von Einzelbuchstaben - etwa "A-bend", rückgängig zu machen. Außerdem sollten Trennungen wie "Urin-stinkt" oder "Anal-phabet" rückgängig gemacht werden, sagte der Ratsvorsitzende, Bayerns ehemaliger Kultusminister Hans Zehetmair.

Bei der Trennung von Wörtern mit einem "ck" einigte sich der Rat laut Zehetmair darauf, die in der Rechtschreibreform gefundene Lösung beizubehalten. Es werde damit nicht wie früher eine Trennung in zwei "k" geben, sondern eine Trennung vor dem "ck", also beispielsweise in "Da-ckel". Dies sei "kein großes Problem" und kein "Drama", betonte Zehetmair.

Wieder mehr Kommas setzen

Außerdem schlug der Rat vor, künftig wieder mehr Kommas zu setzen, damit "Sinneinheiten leichter durchschaubar werden". So solle etwa bei dem Satz "Der Mann schlug die Orgel, und seine Frau backte Kuchen" nun zwingend das Komma gesetzt werden.

Der Rat, der zum ersten Mal seit Einführung von Teilen der Rechtschreibreform am 1. August wieder tagte, wird den Angaben zufolge bei seiner Sitzung im November auch strittige Fragen der Groß- und Kleinschreibung behandeln.«

(www.tagesschau.de, 28.10.2005, 22:31 Uhr)

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 29.10.2005 um 22.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1284

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit hier in der Diskussion mit zweierlei Maß gemessen wird. Stellen wir uns einen Moment lang vor, Herr Zehetmair wäre ein engagierter Verfechter der Reformschreibung und er hätte sich so gravierende Fehler wie den vom Anal|phabeten geleistet. Alle wären wie die Hyänen über ihn hergefallen und hätten seine falschen Beispiele als unumstößlichen Beweis für seine absolute Inkompetenz dargestellt. Niemand hätte Nachsicht mit ihm geübt oder ihm eine unglückliche Hand attestiert. Stellen wir uns weiter vor, irgendein Kultusminister, der das Regelwerk unverändert lassen möchte, hätte vor der Presse zu bedenken gegeben, die „Reformschreibung“ aufwendig müsse ihrer vielen Vorteile wegen unbedingt beibehalten werden. Man hätte ihn in der Luft zerrissen!
Unter taktischen Gesichtspunkten mag die Milde gegen den Vorsitzenden opportun erscheinen. Die übergroße Mehrheit der Journalisten – und vermutlich auch der Leser – wird ohnehin nicht merken, wie perfide das Beispiel Urin|stinkt im Grunde ist und wie abwegig der Verweis auf den Anal|phabeten. Es ist aber wohl die Frage erlaubt, ob die Instrumentalisierung eines entweder wenig sachkundigen oder aber unredlich argumentierenden „Mitstreiters“ bei einer moralischen Bewertung – und die Moral spielt in der Diskussion, wie mir scheint, eine bedeutende Rolle – wirklich besser abschneidet als der unverfrorene Versuch der KMK, große Teile der Reform zu zementieren, indem man sie kurzerhand für „unstrittig“ erklärt, selbst wenn man das eine als Retourkutsche für das andere versteht.
Wichtiger aber noch ist mir dies: Zehetmairs Äußerungen zeigen erneut, wie unangemessen es ist, die Welt einzuteilen in solche Menschen, die aus Überzeugung und mit guten Argumenten die überkommene Rechtschreibung verteidigen, und solche, die sich aus Ignoranz oder Feigheit auf die reformierte Schreibung eingelassen haben. Zwischen beiden Extremen gibt es eine Vielzahl von Meinungen und „Rechtschreibbiografien“, die man zunächst einmal respektieren und für die man sich interessieren sollte. Mit einem Freund-Feind-Schema kommt man auf dem Weg zu einem „Rechtschreibfrieden“ gerade im jetzigen Stadium der Diskussion nicht weiter.
Vielleicht verfolgt Herr Zehetmair tatsächlich gute Absichten und ist dabei einfach nur ungeschickt, das vermag ich nicht zu beurteilen. Wenn ja, dann hat er Anspruch auf eine ernsthafte und wohlwollende Würdigung aller seiner Äußerungen, einschließlich der verunglückten. Aber einen solchen Anspruch haben auch alle anderen Diskutanten, sofern sie ihren Kredit nicht durch einen notorischen Mangel an Sachkenntnis oder Ernsthaftigkeit oder durch unlauteres Verhalten verspielt haben.

 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 29.10.2005 um 22.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1285

> Vielleicht verfolgt Herr Zehetmair tatsächlich gute Absichten und ist dabei einfach nur ungeschickt,

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, daß irgendjemand Herrn Z. ernsthaft für ungeschickt halten kann. Wenn man die gegenteilige Annahme macht, kommt man zu viel besseren Einsichten, insbesondere über die Gutartigkeit seiner Absichten.

Sei es so oder anders. Er möchte als redlicher Makler erscheinen, da ja nun mal die Redlichkeit der Makler sprichwörtlich ist. Letztlich versucht er nur dass Beste für seine Auftrag-Geber heraus zu holen. Hoffen wir das es möglichst wenig ist.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2005 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1286

Zehetmairs Beispiele sind nicht falsch, schon gar nicht "gravierend", denn sie stehen in der Vorlage, aber sie sind nicht zentral. Im übrigen sind die Argumente der Reformer hundertmal erörtert worden, auch rein sachlich. Ich sehe nicht, wo hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Natürlich ergreifen wir Partei, aber nicht ohne Grund. Die KMK hat mit der bewußt falschen Behauptung, einige Bereiche der Reform seine "unstrittig", Änderungsvorschläge daher nicht zu erwarten, Politik getrieben. Die Presse hat diesen Trick, den ich durchaus auch moralisch verwerflich finde, weitgehend unkritisch unterstützt. Nun ist es dem Vorsitzenden Zehetmair gelungen, dem Plan der KMK einen Riegel vorzuschieben. Das finde ich gut. Der Vertrauensvorschuß, den ich Herrn Zehetmair, ungeachtet seiner Verantwortung für die Fehlentwicklung vor zehn Jahren, eingeräumt habe, ist bisher nicht enttäuscht worden, im Gegenteil.
Was mich betrifft, so argumentiere ich nicht taktisch, sondern sage immer, was ich denke, wenn ich auch nicht alles sagen darf, was ich erfahren habe. Mir ist klar, daß unsere offene Diskussion hier (und früher auf anderen Seiten) der "Gegenseite" manchen Hinweis gibt, aber das nehme ich in Kauf. Sollen die anderen doch wissen, was wir vorhaben – verhindern können sie es nicht.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 30.10.2005 um 08.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1287

Ein kleines Problem scheint mir zu sein, daß der Vorsitzende des Rechtschreibrates den Inhalt der Reform, also das Regelwerk, nicht gründlich kennt. Das verbindet ihn im übrigen mit den Kultusministern. Beide sind auf Rat und Informationen von außen angewiesen. Sobald sie sich inhaltlich auf eigene Faust äußern, kommt es oft etwas schief heraus. Der Unterschied besteht darin, daß die MK sich ihren Subalternen, die genauso ahnungslos sind, ausgeliefert haben und seither in der Falle sitzen, während Herr Z. auf den geballten Sachverstand kompetenter Ratsmitglieder zurückgreifen kann. Dies tut er ja auch, und darin liegt überhaupt seine wichtigste Funktion als Vorsitzender. Trotzdem will und muß er natürlich verhindern, als verlängerter Arm der Reformgegner dazustehen. Das Bild des ehrlichen Maklers und "Versöhners" muß erhalten bleiben, und man sollte ihm deswegen nicht doppeltes Spiel unterstellen.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2005 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1288

Von den knapp 40 Mitgliedern beschäftigen sich schätzungsweise 8 auch zwischen den Sitzungen mit der Rechtschreibung, darunter die drei Wörterbuchredakteure, deren Beruf es ist. Den anderen kann man daraus auch keinen Vorwurf machen, denn es liegt an der Konstruktion des Rates selbst. Die Aufgabe, die ihm von der KMK zugedacht war, ist nicht die Rettung der Sprache, sondern die Rettung der Reform. Und immerhin gibt es auch einen Vorteil: Wir haben nicht ebenso viele Meinungen wie Personen, sondern erheblich weniger. Daß ein Linguistenzirkel von diesen Ausmaßen erst recht nicht zu greifbaren Ergebnissen kommen würde, ahnen wir nicht nur, sondern wissen es aus der Vergangenheit.
Aber nun genug davon! Ich finde es gut so, wie der Vorsitzende seine Aufgabe meistert, und überlege mir jetzt, wie man möglichst schnell eine wirklich überzeugende Lösung der GKS erreichen kann. Die nächste Sitzung ist ja schon am 25. November.

 
 

Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 30.10.2005 um 21.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1289

»Uschis Dackel in der Duschecke
Mit kleinen Schritten: Die Revision der neuen deutschen Rechtschreibung kommt voran


Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich am vergangenen Freitag darauf geeinigt, dass die jetzt geltende neue Orthographie an weiteren Punkten geändert werden soll - wobei Änderung wiederum vor allem Rückführung auf die alte deutsche Rechtschreibung bedeutet. Die Änderungen werden vor allem die Silbentrennung und die Zeichensetzung betreffen. In der Silbentrennung soll es in Zukunft keine Abtrennung von Vokalbuchstaben - wie in „A-bend“ oder „Dusche-cke“ - mehr geben. Bei der gegenwärtig möglichen Trennung von „c-k“ - wie in „Dac-kel“ - konnten sich die Kritiker der Reform nicht durchsetzen. Bei der Trennung von Fremdwörtern soll es in Zukunft wieder möglich seien, deren Morphologie zu berücksichtigen - „Re-spekt“ anstatt heute „Res-pekt“. Bei der Verwendung von „ss“ an Stelle von „ß“ scheint ein Mehrheit der Ratsmitglieder an der gegenwärtigen Regelung nichts mehr ändern zu wollen.

Auch in der Zeichensetzung sollen die Zustände wieder beinahe so hergestellt werden, wie sie vor der Reform waren: Infinitiv- und Partizipialsätze sollen in Zukunft wieder durch Kommata vom Rest des Satzes getrennt werden. Bei der Trennung gleichgeordneter Hauptsätze durch Kommata hatte sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon, mit schweigendem Zutun der Schulbuchverlage, die alte Regel wieder durchgesetzt, was vom Rat in seiner Sitzung nur bestätigt wurde. Die im Deutschen immer gebräuchlicher werdende Verwendung des Apostrophs bei Genitiven - „Uschi’s Blumenladen“ - soll geduldet werden.

Zu einer Überraschung kam es am Ende der vierstündigen Sitzung, als, unterstützt von Hans Zehetmair, dem ehemaligen bayrischen Kultusminister und Vorsitzender des Rates, die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Revision der Groß- und Kleinschreibung beschlossen wurde. In dieser Arbeitsgruppe wird es vor allem um die Wiederherstellung der Schreibung von „recht haben“, „im übrigen“, „des öfteren“ oder „seit langem“ gehen. Die Entscheidung des Rates stellt insofern eine Düpierung der Kultusminister dar, als diese per Dekret versucht hatten, alle aus Gründen der Agenda vom Rat noch nicht behandelten Teile der neuen deutschen Rechtschreibung als per se „unstrittig“ zu deklarieren. Mit der Formulierung einer Beschlussvorlage wurde der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler beauftragt. Die nächste Sitzung des Rats wird am 5. November stattfinden. THOMAS STEINFELD«


(Süddeutsche Zeitung Nr.251, Montag, den 31. Oktober 2005, Seite 15)

 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 30.10.2005 um 22.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1290

Th. Ickler: "Was mich betrifft, so argumentiere ich nicht taktisch, sondern sage immer, was ich denke, wenn ich auch nicht alles sagen darf, was ich erfahren habe. Mir ist klar, daß unsere offene Diskussion hier (und früher auf anderen Seiten) der "Gegenseite" manchen Hinweis gibt, aber das nehme ich in Kauf. Sollen die anderen doch wissen, was wir vorhaben – verhindern können sie es nicht."

Einen Taktierer hätte man wohl nicht mit der Ausarbeitung der Beschlußvorlage zur Groß- und Kleinschreibung beauftragt. Weiter so!

Die bemerkenswerteste Äußerung Zehetmairs ist m.E. die, die Korrektur der Rechtschreibreform als basisdemokratischen Akt zu sehen. Seit seiner Zeit als KMK-Apparatschik hat er sich als lernwillig und -fähig erwiesen.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 31.10.2005 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1291

Später einmal, in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft, wenn die Geschichte der Rechtschreibreform geschrieben wird – und es wird eine lange, spannende, lehrreiche und streckenweise umwerfend komische Geschichte sein – und wenn die Namen der Reformer selbst und ihrer Steigbügelhalter nur noch eine Fußnote dieser Geschichte sein werden, wird der Name eines Mannes genannt werden, der ein leuchtendes Beispiel von fast unglaublicher Prinzipientreue und unbeugsamer Festigkeit im Dienste des als richtig Erkannten abgeben wird. Wie ein zweiter Luther kann er von sich sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Oder auch: Das Wort sie sollen lassen stan und kein Dank dazu haben. Es wird Ehrungen geben, und vielleicht wird er sogar in den Schullesebüchern als ein Art Prinz Eisenherz der Sprache erscheinen. — Um den Ausgang des Kampfes muß einem nicht bange sein, hat doch der wackere Ritter ohne Furcht und Tadel eine mächtige Verbündete: die Sprache selbst.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.10.2005 um 07.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1292

Thomas Steinfeld in der SZ: Bei der Trennung von Fremdwörtern soll es in Zukunft wieder möglich sein, deren Morphologie zu berücksichtigen – „Re-spekt“ anstatt heute „Res-pekt“.

Das ist nicht richtig, bisher lautete die Reform: Re-s-spekt und Kon-s-t-rukt, also Kon-strukt oder Kons-trukt oder Konst-rukt. Was hat denn der Rat hierüber entschieden?

Übrigens ein typisches Beispiel dafür, wie sich Neuerungen zwanghaft durchsetzen, die "nur" als Optionen eingeführt werden. Keineswegs weil jemand sie für gut hält, sondern der Mechanismus läuft wie folgt ab: Kaum sieht jemand eine neue Schreibweise, denkt er: "Alarm, das ist offenbar neue Rechtschreibung, das muß ich jetzt auch so schreiben." Deshalb erblicken wir massenhaft Delfin, aufwändig, selbstständig. Dazu regelmäßig die falsche Darstellung in den Zeitungen, auch schon in der Schule: Alt: Delphin. Neu: Delfin usw. Und hier ist Thomas Steinfeld reingefallen mit seiner Darstellung: Alt: Re-spekt. Neu: Res-pekt.

Man kann auch sagen: Ein Beispiel dafür, daß niemand mehr durchblickt. Einige Journalisten bringen es freilich immer wieder fertig, diesen Zustand als schöne Errungenschaft anzupreisen, weil auf diese Weise das Elitäre in der Schreibkultur ausgemerzt worden sei. Solange noch solche Kommentare veröffentlicht werden, soll sie ruhig noch weitergehen, diese tolle Reform zur Vereinfachung des Schreibens, bei der niemand mehr durchblickt.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 31.10.2005 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1293

Selbstabschaffung

Wenn Journalisten die Ausmerzung des "Elitären" in der Schreibkultur feiern, so beweist das nur, daß sie sich selbst offenbar nicht zur Elite zählen. Welcher Handwerker würde sich über den Ersatz guten Werkzeugs durch minderwertiges freuen? Überhaupt hat ja die Reform und der Wirbel um sie zu einer ungeahnten Zahl von Selbstentblößungen geführt. Die Dummheit liegt eben immer auf der Lauer, ob nicht die Stunde ihres gro0en Auftritts gekommen ist. — Lehrer zum Schüler: Ist das jetzt ne Demo, oder kannst Du das wirklich nicht?

 
 

Kommentar von nobody, verfaßt am 31.10.2005 um 09.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1294

Keine Rückkehr zur "alten" "ß-Regel"? Dann ist meine Freude wieder dahin.

 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 31.10.2005 um 10.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1295

Wolfgang Wrase: Das ist nicht richtig, bisher lautete die Reform: Re-s-pekt und Kon-s-t-rukt, also Kon-strukt oder Kons-trukt oder Konst-rukt.

Das ist richtig, und die Darstellung in der SZ trifft deswegen nicht so zu. Es kommt darauf an, wie die Formulierung letztlich aussehen wird – und was die Wörterbücher letztlich daraus machen. Die Vorgabe geht daher wohl in die richtige Richtung.

 
 

Kommentar von Bardioc, verfaßt am 31.10.2005 um 12.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1296

Wolfgang Wrase: Übrigens ein typisches Beispiel dafür, wie sich Neuerungen zwanghaft durchsetzen, die "nur" als Optionen eingeführt werden. Keineswegs weil jemand sie für gut hält, sondern der Mechanismus läuft wie folgt ab: Kaum sieht jemand eine neue Schreibweise, denkt er: "Alarm, das ist offenbar neue Rechtschreibung, das muß ich jetzt auch so schreiben."

Dieser Mechanismus wird auch greifen, wenn das ß optional wird, also wenn man sich auf einen Kompromiß einläßt.

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 31.10.2005 um 13.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1298

Aber ein Kompromiß als Chance ist mehr, als weiterhin die ärgerliche ss-Schreibung nutzen zu müssen. Ich persönlich sehe die neue Rechtschreibung als Zwang (und damit auch Unterdrückung meiner Freiheit), dem man sich letztendlich unterwerfen wird... natürlich "darf man so schreiben, wie man will"... aber viele Verlage drucken in der neuen Rechtschreibung, weil es eben nur zwei mögliche Optionen gibt: Entweder alte Rechtschreibung verwenden und "unmodern" sein oder neue Rechtschreibung nutzen und "mit dem Zeitgeist" gehen (wobei letzteres ja auch eine Form von Selbstbetrug ist ;-).
Sofern im Duden gleichberechtigt Kompromiß und Kompromiss stünde (und nicht neu: Kompromiss alt: Kompromiß), würde das Bessere sicherlich gewinnen.
(Anmerkung am Rande: Beim eintippen von Kompromiss sträuben sich mir die Nackenhaare... das Wort sieht einfach falsch aus.)

An dieser Stelle aber auch von mir ein großes Lob für Professor Ickler, für das bisher Erreichte – lassen Sie sich nicht unterkriegen.

Jedoch muß ich gleichzeitig auch kritisch anmerken, daß jegliche Akzeptanz eines Kompromisses in der Rechtschreibfrage immer auch eine Niederlage sein wird. Die gekittete Ming-Vase ist einfach nicht so schön und wertvoll, wie das unzerstörte Original einmal war.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.10.2005 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1302

Man darf den Zwang, der sogar von Neuerungen ausgeht, die "nur" als Option gedacht waren, aber auch nicht überschätzen, wie ich zu meiner eigenen Berichtigung hinzufügen muß. Man denke an Schrimps mit Ketschup. Man denke an die E- / heberatungsstelle. Und man denke an etliche Neuerungen, die mehr oder weniger rundweg abgelehnt werden, obwohl sie angeblich sogar obligatorisch sind. Musculus biceps Brachii nach dem Muster von Ultima Ratio – wer schreibt das denn?

Preisfrage: Müßte man Musculus peronaeus oder Musculus Peronaeus schreiben? Kleiner Tip: Peronaeus war nicht der Onkel von Perikles und Ptolemäus.

 
 

Kommentar von Bardioc, verfaßt am 31.10.2005 um 17.30 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1303

Man darf den Zwang, der sogar von Neuerungen ausgeht, die "nur" als Option gedacht waren, aber auch nicht überschätzen, wie ich zu meiner eigenen Berichtigung hinzufügen muß.

Natürlich, aber es geht hier um den Kompromiß zur Rechtschreibreform schlechthin, die Wahlmöglichkeit zwischen ß oder Doppel-s. Auch wer sonst nichts von der Rechtschreibreform mitbekommen hat, das mit dem Doppel-s hat er mitbekommen, vielleicht nicht ganz verstanden. Die von Ihnen angeführten Beispiele sind eher marginal und deshalb vielen gar nicht bewußt. Das würde erklären, warum sich diese Beispiele nicht durchgesetzt haben. Es gibt aber viele Leute, die ganz versessen auf das Doppel-s sind, auch wenn sie sonst nicht viel von der Reform begriffen haben.

 
 

Kommentar von Martell, verfaßt am 31.10.2005 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1304

Später einmal, in hoffentlich nicht allzu trostloser Zukunft, werden manche ihren Enkeln tatsächlich ein modernes Märchen mit Happy End erzählen können. Und einige werden auch jenen Mitstreiter hinreichend zu würdigen wissen, der weniger Schriftgelehrter war, dafür umso redemächtiger, und der das seine hinter den Kulissen auf seine Weise sprechend beitragen konnte.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.10.2005 um 19.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1308

Ich stimme Bardioc zur Hälfte zu. Ich hatte bisher nicht von einer Option bei ss und ß gesprochen. Dies ist tatsächlich der zentrale Punkt, und hier wäre eine Freistellung fatal – aber nur, wenn die Reform eine solche vollkommene Aufweichung überleben würde.

Da dies aber nach meiner Einschätzung sehr fraglich wäre und somit eine Freistellung von ss/ß für die Reformhanseln eine Gefahr darstellt, rechne ich nicht damit, daß es offiziell zu dieser Freigabe kommt.

Vorerst haben wir also weiterhin: offiziell die Neuregelung für Unterworfene und Mitmacher, insgesamt ein Durcheinander aus alt, neu, repariert neu (ein bißchen alt dabei), revidiert neu (noch mehr alt dabei), in verschiedensten Varianten gemischt (mal alt, mal neu, mal irgendwie) und ganz viel falsch.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 01.11.2005 um 07.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1310

Die Ecke steht beleidigt in der Ecke. Man hat ihr das Recht genommen, getrennt zu werden. Neidisch schielt sie nach ihren Brüdern und Schwestern, denn die spielen fröhlich "Trennen": Eg-ge, Es-se, An-no, El-le, al-le ... Die Ecke würde so gern mitspielen: Ek-ke.
Aber sie darf nicht. Schuld daran ist der ol-le Da-ckel. Weil er mit seinem zum ck gewordenen kk die bisherigen Spielregeln zum Wa-ckeln gebracht hat.

So ist das, wenn man den Versuch macht, Seidenstrümpfe zu stopfen: Sobald man ein Loch zugenäht hat, reißt daneben ein neues auf. Am Ende bekommt man statt eines Strumpfes einen löchrigen Fetzen.

Wie wird das allgemeine Sprachgefühl künftig mit der Ek-ke umgehen?

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 01.11.2005 um 09.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1311

Die Reformierung der Trennregeln zeigen aufs Schönste den Unsinn der Reform. War nicht das Lippenbekenntnis der Reformer, das Schreiben den Schülern einfacher zu machen? Die Leser standen ja wohl nie im Zentrum ihres Interesses, denn sonst könnte man sich die verqueren Kommaänderungen und die neuen ß-Regeln kaum erklären.
Aber welcher Schüler oder Schreiber trennt denn heute noch selbst? Das erledigt die Textverarbeitung oder das DTP-Programm, und die brauchen nur wenige Regeln und eine akzeptable Trennliste – beides bot der Duden ja auch schon zur 20. Auflage.
Ist der Da-ckel oder Dack-el nun wirklich schüler- oder lesefreundlicher als der Dak-kel? Ich denke, das ist gehupft wie gesprungen und damit ein ziemlich fadenscheiniger Kompromiß... es ist hier ganz offensichtlich, daß wieder einmal die Reformer ihr Gesicht wahren wollten, um in fünf Jahren noch sagen zu können: "Und die Trennregeln, die haben wir damals auch reformiert" um in Gedanken anzuschließen: "auch, wenn es nur das CK war!"

Gerade bei der Ecke muß ich Frau Pfeiffer-Stolz rechtgeben... es wird für die Schulkinder ziemlich unverständlich sein, daß die Ecke, ein zweisilbiges Wort mit jeweils mehr als einem Buchstaben in jeder der Silben (die meisten Kinder würden es ja wohl beim "Silbenklatschen" Ek-ke sprechen und nicht Eck-e oder E-cke), nun nicht mehr getrennt werden darf.
Aber natürlich gibt es auch hierfür eine einfache und praktikable Lösung für das Problem... Die Ecke wird in den neuen Schulbüchern einfach nicht mehr auftauchen...
Oder man wird folgenden Satz öfters von den Lehrern zu hören bekommen: "Nee, Kevin... verlaß dich nicht auf dein Sprachgefühl... es heißt nicht Ek-ke... du mußt bei der Ecke nicht klatschen..."

Die arme kleine Ecke ;-)

BTW: Stimmt es wirklich, daß die Österreicher das ß wieder auf die Tagesordnung des Rates gebracht haben?

 
 

Kommentar von Old Orthography, verfaßt am 01.11.2005 um 10.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1313

Ich habe beim "ß" lieber einen Kompromiß als nur die jetzige Regel. Denn sollte die Reform noch in weiteren Punkten zurückgeschraubt werden, die jetzige "ß"-Regel aber bleiben, dann werden wir das "dass" gar nicht mehr los, weil dann alle damit zufrieden sind, wenigstens in allen anderen Bereichen die alte Rechtschreibung wieder zu haben, weshalb ihnen das "muss" und der "Missstand/Miss-Stand" gar nicht mehr als solcher erscheint.

Lieber "Kompromiß" und "Kompromiss" als nur das zweite.

 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 01.11.2005 um 11.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1314

Um auf die Ecke zurückzukommen: Warum behandeln wir eigentlich den De-facto-Doppelkonsonanten ck nicht genauso wie tz und trennen nicht die Ec-ke einfach so wie die Kat-ze?

 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 01.11.2005 um 11.28 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1315

Und wie sollte der Kompromiß ausschauen – „alt“ und „neu“ nebeneinander und/oder kein „ss“ am Wortende („Fluß“), aber „ss“ vor Konsonanten („musste“)?

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 01.11.2005 um 12.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1316

Trennung "Ec-ke":
Der Leser würde bei dieser Lösung arg gebeutelt, denn "Ec" liest man "Etz". Dann bekommt der Leser eine "Etzke", muß wieder zurück an den Ausgangspunkt und erkennt, daß die "Ecke" gemeint ist.

Deshalb erscheint mir "Ec-ke" als nicht praktikabel im Sinne des Lesens.

 
 

Kommentar von Old Orthography, verfaßt am 01.11.2005 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1320

Für mich sähe der Kompromiß so aus, daß beide Schreibungen nebeneinander existieren würden. Man könnte also sowohl "daß" als auch "dass" schreiben. Nein, verstehen Sie mich nicht falsch, ich fände diese Lösung nicht gut, überhaupt nicht. Aber bevor wir das "daß" ganz aufgäben, wäre es mir lieber, einen solchen Kompromiß einzugehen.

 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 01.11.2005 um 14.10 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1321

Vielleicht sollte man die "Ecke" nicht überstrapazieren. Sie gehört zu den kurzen Wörtern, die, egal wie, getrennt nie ein glückliches Bild machen, und die man am besten im Interesse des Schreib- und Leseflusses und weil es so gut wie niemals wirklich nötig ist, gar nicht trennt, wie zum Beispiel "alte", "Elle", "ohne", "Mühe" oder "Wabe". Es lohnt sich im Ernst nicht, sich darüber allzu viele Gedanken zu machen.
Ob die Nußek-ke der Nusse-cke vorzuziehen wäre, darüber mag man auch unterschiedlicher Meinung sein. Wenn man schon so an der Auflösung von ck in k-k hängt, dann wäre doch die Forderung nicht absurd, anstelle von ck grundsätzlich kk zu schreiben, dann hätten wir die Reformer sozusagen ausgetrikkst.

Die "Regel", ck wie ch zu behandeln, gehört nun einmal zu den paar Trümpfen der Reformer, die vordergründig irgendwie einleuchten Wem ist es schon ein Anliegen, hier nach der inneren Sprachlogik zu verfahren, die wohl den wenigsten Schreibern geläufig ist, und wo wir doch gerade lernen, daß es mit dieser inneren Sprachlogik in der "natürlichen" Sprachentwicklung ohnehin nicht immer zum besten bestellt ist und sich die Sprache in ihrem eigenen Interesse selbst immer wieder über sie hinwegsetzt?
Hätten uns die Reformer nur den Da-ckel und die He-cke beschert, könnte man darüber mit knappem Stirnrunzeln hinweggehen.

 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 01.11.2005 um 14.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1322

Hm,
bei „En-“ weiß ich aber auch nicht, ob es mit „gel“ oder „de“ weitergeht und ob ich deshalb nicht auch „wieder zurück an den Ausgangspunkt“ muß.

Was sollte denn auf „Ec-“ folgen, das nicht mit „k“ weiterginge? Ecclesia? Ecce?
Und was sollte folgen, was „E/ec-“ getrennt werden könnte? Ec-ho?
Und was erst recht sollte folgen, das man "Etz" liest?

Was ich meine: An „Dac-kel“ könnte ich mich u.U. eher gewöhnen als an „Da-ckel“. Und gegen „Dak-kel“ spricht, daß das Schriftbild eben nicht paßßt. Andererseits paßt „Da-ckel“ nicht zu „We-ste“ und „We-spe“, wobei es aber „Wes-pe“ heißt (und hieß).
Was ich meine: Ich weiß nicht, was _ich_ wollte (wollen würde). Ich hätte (nicht nur da) nichts geändert. Ganz sicher!

Gerade habe ich „paßßt“ getippt. Ich lass’ das stehen.

 
 

Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 01.11.2005 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1325

Man muß ja nur nachlesen, was über die Vorteile der Frakturschrift geschrieben wurde – denn da kommt das jetzige Problem her und damit ist es auch zu lösen.

Die Ligaturen ch, ck, ß, st und tz sind ja nicht aus reiner Bleinot entstanden. Vielmehr sind sie als spezifische deutsche Sonderzeichen für bestimmte Laute anzusehen. Das ch gibt das "ich"-ch oder das "Bach"-ch wieder. Deshalb schreibt man es zusammen und läßt es als Zeichen stehen. Das ck gibt einen k-Laut wieder. Auf der Schachtel vom Lübecker Marzipan (Antiqua-Versalschrift) prangt es bis heute als Ligatur!

Bei Wortfugen ist natürlich nicht die Ligatur zu verwenden, was sich ja von selbst versteht.

Ligaturen nicht zu trennen, bedeutet nicht Rückwärtsgewandtheit, sondern sehr modernen Pragmatismus der Schriftlichkeit! Nur ein Idiot oder ein Menschenfeind kann solche Trennungen durchsetzen wollen.

ck → k-k ist ein Sonderfall, der funktioniert, der leicht zu lernen ist und dessen Abschaffung nur eine Verschlechterung bedeuten kann.

 
 

Kommentar von Bardioc, verfaßt am 01.11.2005 um 16.02 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1326

''ck → k-k ist ein Sonderfall, der funktioniert, der leicht zu lernen ist und dessen Abschaffung nur eine Verschlechterung bedeuten kann.'' (Alexander Glück)

Dem ist nur zuzustimmen. Ich finde, solche ''Sonderfälle'' machen unsere Rechtschreibung doch erst interessant. Sie zeigen, daß sie nicht nur die bloße Wiedergabe von Lauten ist, sondern daß da noch mehr drinsteckt. Das beste Beispiel dafür ist das ß. Schon deshalb ist seine Abschaffung oder ein Kompromiß nicht angebracht.

 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 01.11.2005 um 17.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1328

A. Glück: ck → k-k ist ein Sonderfall, der funktioniert, der leicht zu lernen ist und dessen Abschaffung nur eine Verschlechterung bedeuten kann.

Für den Lernenden stellt es sich zwar so dar, jedoch muß man bei der Diskussion, wie mit der Trennung von ck zu verfahren ist, beachten, daß der Sonderfall eigentlich nicht in der Trennung liegt, sondern in der Schreibung von ck, wo ja nach dem allgemeinen Prinzip der Konsonantenbuchstabenverdopplung kk hingehören würde. Der Ausgangspunkt wird von § 2 und § 3 (1) der reformierten Rechtschreibregelung zutreffend beschrieben:

§ 2: Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantenbuchstabens.

§ 3: Für k und z gilt eine besondere Regelung:
(1) Statt kk schreibt man ck.

Diese Ausnahme zu beseitigen, bedeutete eine erhebliche Änderung des gewohnten Schriftbildes. Deshalb wurde diese Möglichkeit verworfen (vgl. Abschnitt I.1 bei Munske, hier nachzulesen).


A. Glück: Die Ligaturen ch, ck, ß, st und tz sind ja nicht aus reiner Bleinot entstanden. Vielmehr sind sie als spezifische deutsche Sonderzeichen für bestimmte Laute anzusehen. Das ch gibt das "ich"-ch oder das "Bach"-ch wieder. Deshalb schreibt man es zusammen und läßt es als Zeichen stehen. Das ck gibt einen k-Laut wieder. [...] Ligaturen nicht zu trennen, bedeutet nicht Rückwärtsgewandtheit, sondern sehr modernen Pragmatismus der Schriftlichkeit!

Der Analogieschluß, den Sie hier bemühen (Ligatur zieht Untrennbarkeit nach sich), trägt nicht weit, denn das tz wird ja getrennt – wie auch andere Ligaturen (siehe dazu weiter unten). Vor einigen Jahren bin ich diesem Trugschluß selber erlegen, habe mich aber schnell eines besseren belehren lassen. Leider ist die damalige Diskussion aus dem Netz verschwunden; vielleicht taucht sie ja irgendwann wieder auf (Teile finden sich übrigens unter www.warburger-appell.de bzw. rechtschreibung.com).

Diesem Trugschluß liegt die Verwechslung von „Digraph“ (bzw. „Trigraph“) und Ligatur zugrunde. Erstere sind rein orthographischer, letztere rein (!) typographischer Natur (was nicht ausschließt, daß ein Di- bzw. Trigraph als Ligatur gesetzt wird, aber die Umkehrung gilt eben nicht). Herr Lachenmann schrieb vor einigen Jahren:

„Zu den Ligaturen nochmals: Mit Platzersparnis oder Umbruchvermeidung haben Ligaturen nichts zu tun, es geht nur um Formales: Der »Schweif« des f oder des langen s hat die Tendenz, über den folgenden Buchstaben hinüberzuragen. Bleisatzlettern hatten unter diesem Schweif in manchen Schriften tatsächlich kein »Fleisch«, d.h. die Schweife ragten frei über den Bleikegel hinaus, was immer wieder zu beschädigten Buchstaben geführt hat (insbesondere bei Kursivschriften, da ragten sie auch nach hinten hinaus!) Da bei ff fi ffi fl usw. bei den folgenden Buchstaben (wegen der Oberlängen) kein Platz für das Drüberragen vorhanden ist, mußten Ligaturen gebildet werden, die die Zeichenverbindung als Gesamtgebilde darstellten.“

Und an anderer Stelle:

„Viele Ligaturen entstanden in den Frakturschriften und wurden in ähnlicher Weise auch in den Antiquaschriften gestaltet. Die klassischen Ligaturen sind ff fi ffi fl ffl ft ch ck und - (mit langem s!) si ss ssi st ß, aber auch Qu Te usw je nach Schriftgestaltung. Mit Orthographie hat das nichts zu tun, und die Rechtschreibregeln haben sich sicherlich nie nach den Setzern gerichtet, sondern umgekehrt.“


J. Stock: Um auf die Ecke zurückzukommen: Warum behandeln wir eigentlich den De-facto-Doppelkonsonanten ck nicht genauso wie tz und trennen nicht die Ec-ke einfach so wie die Kat-ze?

Weil, wie sich aus den Beiträgen von Frau Pfeiffer-Stolz und "rrbth" ergibt, Ec- nicht eindeutig auf die Lautung /ek/ führt – im Gegensatz zu Kat-, das unproblematisch ist: Man kann genausogut mit -ze wie mit -rin u.a. fortfahren.

 
 

Kommentar von Bardioc, verfaßt am 01.11.2005 um 18.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1329

Bei einem Kompromiß in bezug auf das ß ergibt sich noch das zusätzliche Problem, daß dann in ein und demselben Text sowohl korrektes ß als auch reformiertes Doppel-s in beliebigen Kombinationen vorkommen kann. Um das zu verhindern, müßte man noch eine zusätzliche Regel einführen. Auf jeden Fall bedeutet dieser Kompromiß, daß Rechtschreibung in Zukunft nicht mehr nur nach sprachwissenschaftlichen, deskriptiven oder praktischen Vorgaben festgelegt wird, sondern nach politischen Vorgaben bzw. Kompromissen. Ich denke, das ist ein Rückschritt.

 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 01.11.2005 um 18.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1331

ck → k-k ist ein Sonderfall, der funktioniert, der leicht zu lernen ist und dessen Abschaffung nur eine Verschlechterung bedeuten kann.

Darin stimme ich Herrn Glück fast völlig zu. Allerdings sehe ich den Sonderfall eher in kk → ck. Denn das ck ersetzt ja das doppelte k. Die Trennung ck → k-k stellt gewissermaßen nur die Ausgangssituation wieder her. Daß sich die Trennung k-k und nicht c-k durchgesetzt hat, dürfte darin liegen, daß c in deutschen Wörtern allein nicht vorkommt. Übrigens ist die ck-Schreibung im Englischen der Deutschen sehr ähnlich, was fehlt ist das eindeutige Verhältnis zur Silbenlänge.
Mit der Abschaffung der k-k-Trennung haben sich die Reformer wohl nur von dem primitiven Gedanken der Vermeidung von Ausnahmen leiten lassen – vermutlich auch aus propagandistischen Gründen.
Dabei haben sie sich aber ein phonetisches Problem eingehandelt: bei verdoppelten Konsonanten liegt die Silbenfuge ja zwischen den Konsonanten: Ret-ter, Hek-ken. Bei der Trennung He-cken liegt der Trennstrich daher eben nicht an der Silbenfuge. Außerdem wird der Leser in die Irre geführt, denn er erwartet bei He- eine lange und nicht eine kurze Silbe.
Daß die Reformer eine phonetisch sinnvolle und kinderleichte Trennregel mutwillig dem Fetisch der Ausnahmenvermeidung geopfert haben, das ärgert mich – und vermutlich viele andere auch – wesentlich mehr als das ungewohnte Schriftbild. Auch Wörter mit ch und sch nach kurzer Silbe kann man ja nicht an der phonetischen Silbenfuge trennen. Im Gegensatz zu ck läßt sich hier das Problem aber nicht sinnvoll beheben.

Um dem Vorwurf zu begegnen, unnötige Haarspaltereien zu betreiben, möchte ich hervorheben, daß ich die Trennregeln für überhaupt die überflüssigsten Regeln der deutschen Rechtschreibung halte. Die eine Regel "Trenne so, wie du sprichst" reicht – jedenfalls für deutsche Wörter – vollkommen aus. Im Duden stehen ja auch keine Ausspracheregeln. Wer seinem Sprachgefühl nicht traut, der möge sich eine
Stilkunde zulegen.

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 01.11.2005 um 21.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1332

Klaus Achenbach: Auch Wörter mit ch und sch nach kurzer Silbe kann man ja nicht an der phonetischen Silbenfuge trennen. Im Gegensatz zu ck läßt sich hier das Problem aber nicht sinnvoll beheben.

Danke für diesen Hinweis! Genau dies ist meines Erachtens der Punkt, an dem die Diskutanten aneinander vorbeizureden drohen. Wo ist denn die phonetische Silbenfuge bei einem Wort wie Becher? Wir trennen Be-cher. Sagen wir aber beim „Silbenklatschen“ Bech-cher? Ich tue das nicht. Aber ich sage auch nicht Bäk-ker, sondern würde beim langsamen Sprechen dieses Wortes das ä nur unwesentlich länger als bei normalem Sprechtempo aussprechen. So komme ich zu Bä- (kurz) plus -ker, zumindest wenn man mich auffordert, das Wort in Sprechsilben zu zerlegen.
Hier ist wiederholt der Da-ckel kritisiert worden, unter anderem mit dem Argument, Schüler könnten angesichts dieser Trennung irgendwann glauben, man müsse Dahckel schreiben. Aber warum eigentlich? Diese Gefahr besteht doch nur dann, wenn man kurze Vokale beim „Silbenklatschen“ lang ausspricht. Tut man das? Kann man, wenn eine Schulklasse Silben laut zerlegt, die Lache (Gelächter) tatsächlich nicht von der Lache (Pfütze) unterscheiden? Wie sollen wir die erste Silbe von Becher aussprechen, wenn wir das Wort laut trennen? Bä-, Bäää-, Beee-?
Was ist eigentlich eine Sprechsilbe? Nach Duden (1991) trennt man der Grundregel zufolge so, „wie es sich beim langsamen Sprechen von selbst ergibt, also nach Sprechsilben“. Doch ergibt sich Bäk-ker beim langsamen Sprechen wirklich von selbst, oder kommt man nicht doch erst dann zu dieser Gliederung, wenn man die Schreibung des ungetrennten Wortes kennt? Anders ausgedrückt: Zerlegt man in diesem Fall nicht eher das Schriftbild als die eigene normale Aussprache? Ist das gemeint, wenn Professor Ickler (2005) formuliert: „Dabei ist ein verlangsamtes Sprechen (zum Teil ‚nach der Schrift‘) zugrunde zu legen.“?
Ich würde manches in der Diskussion besser verstehen, wenn ich darüber Klarheit hätte. Wer hilft mir auf die Sprünge?

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 02.11.2005 um 00.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1333

Gibt es überhaupt eine eine handfeste (wissenschaftlich fundierte) Regel für die Auftrennung der Silben eines Wortes, oder beruht nicht alles vielmehr auf Sprachkonsens und Regionalismen (*)? Ich würde intuitiv Bäk-ker trennen, aber Bä-cker "klingt" auch vernünftig. Hingegen klingt Da-ckel in meinen Ohren nicht richtig – aber eben nur in meinen Ohren... andere Ohren hören das vielleicht oder sogar wahrscheinlich ganz anders.

Letztlich würde ich sagen, daß die Silbentrennung gar nicht [warum wird gar nicht eigentlich gar nicht zusammengeschrieben... frage ich mich gerade so?!] unter die Rechtschreibung fällt, sondern in den Textsatz (und damit den Druckerduden). Es ist aber auch typisch deutsch, daß man alles bis ins kleinste Detail ordentlich geregelt haben will, ob man es nun tagtäglich braucht oder nicht. Auch, wenn das bei einer natürlich gewachsenen Sprache in einigen Bereichen von vornherein zum Scheitern verdammt ist.

Eigentlich ist es nur schade, daß für die Re-Reformierung der Silbentrennung soviel Anstrengung, Überzeugungskraft und wertvolle "Manpower" vergeudet werden muß.

(*) Ich habe vor einigen Jahren einen Algorithmus geschrieben, der die Anzahl der Silben eines Wortes bestimmt (für eine Lesbarkeitsanalyse)... ich war mit dem Ergebnis, das oftmals aber eben nicht immer funktionierte, nie ganz zufrieden ;-)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2005 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1334

Für die Behelfsschreibungen mit ch und sch enthält jede Regelung den Hinweis, daß diese Di- und Trigraphen zwar für einen einzigen Konsonanten stehen, aber selbst im Silbengelenk nicht verdoppelt werden. Der Grund ist die Vermeidung graphischer Überlänge.
Eine unbedachte pädagogische Übung kann sehr wohl zu einer ganz unnatürlichen Aussprache führen, so wie ja viele dann glauben, man spreche und höre das Dehnungs-h bzw. silbentrennende h. Durch das Silbenklatschen werden Schreibweisen wie "her-rab" geradezu provoziert.
Die Logik der ck-Schreibung und -Trennung war sehr einfach, und es gab längst keine Probleme mehr damit, sogar die automatischen Programme haben es verstanden.
Im "Rat" gehört es zu den größten Unannehmlichkeiten, daß nun die Neuregelung als "Status quo" gilt und Änderungsvorschläge mit Zweidrittelmehrheit durchgebracht werden müssen. Die Beweispflicht ist dadurch in unrealistischer Weise verschoben. Das ist so ähnlich wie damals beim Volksentscheid in Schleswig-Holstein: Wer Änderungen ablehnt, ist für die Neuregelung! Nimmt man die von der KMK bestimmte Zusammensetzung des Rates und die grammatische Unempfindlichkeit vieler Mitglieder hinzu, kann man ermessen, wie zäh die Geschichte vorangeht.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 02.11.2005 um 06.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1335


Silbentrennung aus Sicht des Pädagogen

Silbentrennung ist nicht nur eine Sache des Textsatzes. Dort wird sie verwendet, um formalen und ästhetischen Kriterien gerecht zu werden. In der Schule aber dient die Silbentrennung auch und vor allem dem Zweck, den Schülern durch die sinnvolle Zergliederung von Wortganzen zum Verständnis unserer Sprache – nicht nur der geschriebenen – zu verhelfen. Zergliedern und wieder Zusammensetzen ist beim Lesen- und Schreibenlernen eine wirksame (und wahrscheinlich unumgängliche) Lernmethode.

Jeder gute Lehrer wird mit seinen Grund- und Sonderschülern regelmäßig das Silbenklatschen praktizieren. Auch wird man durch gemeinsames und lustvoll übertriebenes Artikulieren der Silben ein Gefühl für die Bausteine der Sprache wecken können. Den Kindern machen solche Rhythmus- und Sprechübungen Spaß. Gleichzeitig bilden sich Denkgewohnheiten heraus. Wörter lassen sich wie Puzzleteile aus Silben immer wieder neu zusammensetzen. Auf diese Weise überträgt man das einmal Gelernte intuitiv auf neue Inhalte. Stimmig ist das nur, wenn auch die Bausteine als kleine Einheiten einen Sinn ergeben. Werden sie beschädigt, sind sie zum Konstruieren von Neuem ungeeignet.

Ich glaube, daß auch hier der Vorteil der Nichttrennung von st gelegen hat. Frau Barth machte mich darauf aufmerksam, daß es viele Wörter gibt, die nach einer Vorsilbe mit „st“ beginnen: abstellen, umsteigen, verstehen, unterstreichen, abstürzen und so weiter. Wer jemals Kinder unterrichtet hat, weiß, daß diese dazu neigen, so zu trennen: ums-teigen, vers-tehen usw. Das st wird in vielen Wörtern als Einheit empfunden, und es gehört ja auch bei der Steigerung von Adjektiven zu den Anhängen, nicht zum Wortstamm: schön, schön-er, am schön-sten; dringend, dringend-er, am dringend-sten. Die Trennung dringends-ten nimmt sich schon etwas leseunfreundlich aus. Auch das langsame Sprechen nach Silben drängt mich persönlich mehr dazu, das s dem t zuzugliedern. (Das könnte man sich natürlich abgewöhnen – aber welchen Vorteil hätte das?) Trennen wir das st, erhalten wir am Zeilenende eigenartige Wortteile wie finsters-, rücksichtsloses-, brennends-, vollendets- usw. Trennen wir das st hingegen nicht, so heißt es finster-, rücksichtslose-, brennend-, vollendet-. Das sind sinnvolle Bausteine. Sie erschließen sich dem Leser müheloser.

Für die Pädagogik ist das neue „Chaos-Trennen“ ein Dilemma, das nur der Lehrer empfindet, der mit seinen Kindern auf diese verantwortungsvolle Weise übt. Es können keine „Muster“ gebildet werden, die zu neuen richtigen Wortkonstruktionen führen. (hi-nauf, he-rab ... mit hi- und he- lassen sich keine neuen Wörter bilden – oder jedenfalls keine, die in das Schema „Vorsilbe“ passen.) Auch in Förderklassen und im Unterricht fremdsprachiger Kinder haben wir heute eher Nachteile durch die progressive Trennweise. Es kommt doch nicht darauf an, daß die Kinder keine Fehler beim Trennen machen (wenn man an allen Stellen trennen darf, machen sie de facto keinen Fehler mehr.) Es kommt darauf an, daß sie die Strukturen durchschauen und Wortbausteine handhaben lernen. Geben wir ihnen keine sinnvollen und gleichbleibenden Strukturen vor, dann können sie solche auch nicht lernen.

Auch folgendes habe ich in meiner langjährigen Praxis immer wieder erfahren: Gerade die beiden griffigen Regeln „Trenne nie st“ und „Aus ck wird beim Trennen k-k“ waren für die Schüler etwas Konkretes, leicht Faßbares. Das haben sich nun wirklich alle gut eingeprägt und waren stolz darauf, das zu beherrschen. Es war sogar ein Spaßfaktor dabei. Den hat man den Kindern nun genommen und konfrontiert sie stattdessen mit einem bierernstem, „gelehrten Nebel“ (Ickler?) abstrakter und seelenlos konstruierter Regelungen, die in der Praxis versagen und auch keine Freude machen. Als Beispiel sei die dümmliche Scheinregel „ss nach kurzem Vokal“ genannt. Wie gewaltig der Gegendruck gegen diese Unsinnregel ist, beweisen in zunehmendem Maße die – noch nach fast zehn Jahren! – als „Grüße“ notierten Schlußformeln bei Briefen von Lehrern und Geschäftsleuten. Der Drang zu „grosse“, „Füsse“ und „ausser“ ist unwiderstehlich groß! Es zwingt die Leute dazu, „heiss“ und „fleissig“ zu schreiben! Gestern erhielt ich einen Brief eines Verlegers, der früher einwandfreies Deutsch schrieb. An drei Stellen dieses Einseitenschreibens las ich „das“, wo „dass“ hätte stehen müssen.

Zuletzt möchte ich noch einmal auf die Trennung von ck eingehen. Hier bekam ich ein Schreiben von Hilde Barth, das ich hier mit ihrem Einverständnis auszugsweise wiedergebe. Ihre Ausführungen sind äußerst interessant und regen zum Nachdenken an:

»Ich habe mir in meiner jahrzehntelangen Volksschullehrer-Tätigkeit viele einleuchtende Erklärungsmöglichkeiten verschiedenster Rechtschreibregeln ausdenken müssen für meine Grundschüler.
Va-ter: langes a, die Zunge bleibt beim trennenden Sprechen und Klatschen unten vor den unteren Schneidezähnen liegen und läßt das a ungehindert ausströmen, bis beim Sprechen der 2. Silbe dieser Laut durch nur ein t verschlossen wird.
Mu(t)-ter: kurzes u, wobei man das erste t beim trennenden Sprechen aber nicht ausgesprochen hört. Aber die Zunge bäumt sich nach kurzen Vokalen sofort auf und verschließt den Luftstrom am Gaumen vor den Schneidezähnen und macht den t-Laut erst beim Sprechen der 2. Silbe hörbar. Also 2 t, von denen das erste nur durch die Zunge angezeigt und erst mit dem zweiten t hörbar wird.
spu-ken: ungestörtes Ausströmen der Luft zur Formung des u wie bei Va-ter.
spu(k)-ken: Das kk (ck=kk dient der Verkürzung des vorausgehenden Vokals wie vor bb,dd,ff,gg,ll,mm,nn,pp,rr,ss,tt,tz) wird durch das Aufbäumen der Zungenmitte an den Gaumen vor dem Zäpfchen angekündigt, ohne laut zu werden. Der Luftstrom wird unterbrochen, und wir merken nicht nur beim Lesen bei k-k Trennung die 2 k bzw. das ck, sondern sogar beim Sprechen.
Das kann man mit allen Doppelkonsonanten durchspielen:
Re-gel / E(g)-ge; Bu-ben / blu(b)-bern; schla-fen / erschla(f)-fen; Sa-men / zusa(m)-men; Lu-pe / Pu(p)-pe; wir verla-sen einen Bericht / verla(s)-sen ... Immer deutet sich der doppelte Mitlaut nach kurzem Vokal beim Sprechen oder Singen (die einzelnen Töne erhalten immer eine Silbe in dem Kinderlied: „Es war eine Mu(t)-ter, die ha(t)-te vier Kinder, den So(m)-mer, den Früh-ling, den Herbst und den Win-ter.“) bereits in der ersten Silbe an, indem die Zunge mit dem Gaumen oder den Lippen den Luftstrom abbricht.«


Seriöse Wissenschaft bezieht die Praxis mit ein. Sie ist ohne diese überhaupt nicht denkbar. Sie schaut auch auf die Folgen ihres Tuns. Und sie überprüft ihre Thesen anhand der Wirklichkeit. Verantwortungsvoll handelt, wer falsche Hypothesen widerruft. Unverantwortlich ist, das als falsch Erkannte mit den Mitteln der Staatsmacht zu erzwingen, es zu Dogmen und Glaubenssätzen zu erklären, gegen die dann mit Sachkritik schwer anzukommen ist und die sich erst dann selbst verzehren, wenn sich der Gegenstand – hier die Sprache – selbst wehrt.
Hätten die Reformer als ehrliche Wissenschaftler einige Jahre lang geduldig an Schulen und in allen Klassen ihre Denkprodukte an der Praxis erproben müssen, hätten sie als Lektoren oder Übersetzer gearbeitet, dann wären ihre Reformideen an der Wirklichkeit zerschellt und sie hätten sich kleinlaut zurückziehen müssen, noch ehe sie mit großem Trara und Tamtam die Erlösung der deutschsprachigen Welt aus den Kümmernissen der orthographischen Hölle verkünden hätten wollen.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.11.2005 um 07.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1337

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mich mit einer (älteren) Grundschullehrerin zu unterhalten. Natürlich kamen wir auch auf die Rechtschreibreform und ihre Folgen für den Elementarunterricht zu spechen. Die Dame machte mir klar, daß die Reform sie nur am Rande berührt. Ihr Hauptproblem sei die immer geringer werdende Sprech- und Artikulationsfähigkeit ihrer Schüler ("Stammelsprache"). — Der Weg vom richtigen Sprechen zum richtigen Schreiben ist niemals eine direkter. Gutgemeinte Didaktik kann ihn auch zum Irrweg bzw. zu einer Sackgasse werden lassen. Ich verstehe und respektiere die Bemühungen von Grundschullehrern, ihren Zöglingen mit kindgemäßen Mitteln Lesen und Schreiben beizubringen. Die Gefahr und ernüchternde Erfahrung – im Lehrerdasein überhaupt – liegt im Scheitern der illusionären Überschätzung einer Methodik. Was Frau Barth über Lautbildung als Basis des Schreibens äußert, scheint mir exemplarisch hierfür zu sein.

 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 02.11.2005 um 09.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1338

Na ja, wer sich wissenschaftlich mit der Vermittlung von Sprachkenntnissen befaßt, darf sich schon so tiefgehende Gedanken machen, wie wir das von Frau Barth hier erfahren. Natürlich werden die Schüler die wissenschaftlichen Grundlagen und Hintergründe nicht voll durchdringen, doch sie werden in vielen Fällen wichtige Analogien erkennen und somit ausgehend von bekannten Musterbeispielen weitere richtige Schreibungen bzw. Trennungen von Wörtern erschließen. So ist es beispielsweise sinnvoll, hin-durch, hin-fort, hin-gegen und hin-über zu trennen, nicht etwa hi-nüber.

Daß ck und tz Doppelkonsonanten sind, die, sofern sie im Silbengelenk stehen, so getrennt werden sollten wie alle anderen Doppelkonsonanten auch, halte ich für geradezu selbstverständlich. Mit der Trennung Da-ckel kann ich mich deshalb nicht anfreunden. Da aber der als "z" ausgesprochene Buchstabe c im Deutschen so gut wie gar nicht vorkommt (vor allem an denkbaren Trennstellen), verstehe ich nicht, weshalb ck bei der Trennung in k-k aufgelöst werden muß. Ich halte diese Auflösung zwar für gut mach- und erlernbar, aber für unnötig. Man könnte schließlich genausogut tz zu z-z werden lassen und macht es nicht.

An Herrn Lindner: Wieso man gar nicht zusammenschreiben soll, leuchtet mir, nebenbei gesagt, nicht ein. Ich schreibe überhaupt nicht getrennt, also auch gar nicht. Daß "gar" nur drei Buchstaben hat, ist unerheblich. Ähnlich verhält es sich bei "zur Zeit". Ich schreibe im Moment und im Augenblick getrennt, also auch zur Zeit.

An Frau Pfeiffer-Stolz: Die Tatsache, daß sehr viele falsche ss auftauchen, wo eigentlich auch in der Reformschreibung ein ß stehen müßte, liegt nur zu einem gewissen Teil daran, daß die Reform-ss/ß-Regelung nicht so durchschaubar ist, wie die Reformer sich das gedacht haben. Ich kenne viele Leute, die dazu tendieren, das ß ganz wegzulassen, die dieses Weglassen aber nicht konsequent praktizieren. Sie schreiben z.B. handschriftlich "Grüße" und per Tastatur "Grüsse". Darauf angesprochen, antworten sie etwa: "Das ist doch egal! Bis ich die Sondertaste für das ß gefunden habe ... Hauptsache, jeder versteht es." Und ich merke: Mit keinem noch so guten Argument komme ich weiter. Oder doch?

 
 

Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 02.11.2005 um 09.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1340

Dank an Herrn Wagner für die luziden Erläuterungen.

Der Analogieschluß, den Sie hier bemühen (Ligatur zieht Untrennbarkeit nach sich), trägt nicht weit, denn das tz wird ja getrennt – wie auch andere Ligaturen (siehe dazu weiter unten).

Gemeint war eine kleine Gruppe von Ligaturen, die ich in der Tat für tendenziell untrennbar halte, wobei mir leider das sch durch den Rost gefallen war.

Ihre Informationen bringen hier aber in der Tat mehr Licht in die Sache.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 02.11.2005 um 12.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1341

Lieber Jens Stock,
leider teile ich Ihre sympathische Meinung zur fehlerhaften s-Schreibung nicht. Wenn sogar die Deutsche Bibliothek in Leipzig auf ihren gedruckten (!) Briefbogen freundliche "Grüsse" schickt und dies erst nach einem Hinweis durch uns ändert ("Das haben wir noch gar nicht gemerkt"), dann muß schon etwas anderes dahinterstecken als bloße Nachlässigkeit.
Das zeigen mir auch viele tägliche Beispiele – und – ich fühle es selbst beim Schreiben. Da ich sechs Jahre lang Heyse geschrieben habe, zuckt es mich noch manchmal in den Fingern, wenn ich "heißen" schreibe. Ich möchte es, ob Sie es glauben wollen oder nicht, mit ss schreiben ...

Was ck und st und das vorhin angesprochene Problem betrifft, so kann man eigentlich da nur mitreden, wenn man in der Praxis mit Kindern pädagogisch tätig war, sonst bleibt alles Spekulation.

 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 02.11.2005 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1342

Liebe Frau Pfeiffer-Stolz,
zufällig bin ich – hauptberuflich und in der Praxis – pädagogisch mit Kindern tätig und fühle mich in der Lage mitzureden. Aber ich finde ohnehin, daß hier jede(r) Interessierte mitreden darf (wenn er/sie sich nicht im Ton vergreift, versteht sich). Wäre ja auch noch schöner!

Meine Beobachtung zur fehlerhaften ss/ß-Schreibung schließt nicht aus, daß die fehlerhaften Schreibweisen nicht ausschließlich auf den laxen Umgang mit der Thematik, sondern auch auf "echte" Schwierigkeiten der Reformregelung, Schreibgewohnheiten (z.B. Heyse) oder schlichte Unwissenheit zurückzuführen sind. Ich sehe hier keinen Widerspruch, sondern ich habe eben lediglich eine Beobachtung geschildert. Und diese Erfahrung mache ich oft bei Schülern einerseits und bei Freunden/Bekannten im privaten Bereich andererseits.

Daß Sie Leute, die mit den Grundlagen der Rechtschreibung eigentlich vertraut sein müßten, auf fehlerhafte Schreibweisen aufmerksam machen, finde ich prima. Und wenn die Leute zugeben, daß sie dadurch Neues gelernt haben, hat es sich allemal gelohnt. Ich schrecke vor solchen Maßnahmen außerhalb der Schule oft genug zurück, weil ich nicht immer als Besserwisser dastehen möchte (was einem ja leider in so einer Situation passieren und sehr unangenehm sein kann).

Die Heyse-Praxiserfahrung habe ich selbst übrigens nicht. Wann bzw. in welchem Zusammenhang haben Sie eigentlich diese Schreibweise selbst praktiziert?

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 02.11.2005 um 14.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1344

@Jens Stock
Laut dem Duden ist "gar" ein Synonym für "überhaupt" ... und in diesem Zusammenhang ist eine Auseinanderschreibung voll in Ordnung – schließlich geht es hier (in diesem Forum) um die Rechtschreibung.

Aber von der Aussprache her geht das gaR fließend ins Nicht über und bildet in meinen Ohren ein eigenständiges Wort. Und der Satz: "Das geht gar nicht ohne mein Wissen" klingt mit einer gesprochen Pause zwischen "gar" und "nicht" vollkommen anders und man muß schon zweimal darüber nachdenken, was mit dem Satz dann überhaupt gemeint gewesen sein könnte.

Letztlich ist es ja auch das Hauptproblem der reformierten Getrennt-Zusammenschreibung, daß Wörter wie "leichtfallen" und "leicht fallen" allein durch eine (jetzt durch das Leerzeichen mögliche) gesprochene Pause ihren Sinn verändern können. Beziehungsweise, daß man erst aus dem Satzsinn erschließen muß, ob eine gesprochene/gedachte Pause ins Wortpaar gehört, oder eben nicht.

 
 

Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 02.11.2005 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1346

Laut dem Duden ist "gar" ein Synonym für "überhaupt" ... und in diesem Zusammenhang ist eine Auseinanderschreibung voll in Ordnung – schließlich geht es hier (in diesem Forum) um die Rechtschreibung.

Folglich:

"Das Fleisch ist jetzt gar." = "Das Fleisch ist jetzt überhaupt."

Ich glaube, da stimmt etwas nicht, lasse mich aber gern belehren.

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 02.11.2005 um 17.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1347

@ Alexander Glück

Aus dem Rechtschreibduden = zwei Bedeutungen
1} gar (fertiggekocht; südd., österr. ugs. für zu Ende); das Fleisch ist noch nicht ganz gar, erst halb gar; vgl. ganzgar, halbgar; gar kochen (vgl. gargekocht)
2} gar (ganz, sehr, sogar; stets getrennt geschrieben); ganz und gar, gar kein, gar nicht, gar nichts; gar sehr, gar wohl; du sollst das nicht gar so sehr ernst nehmen

Und im Synonymwörterbuch
1. absolut, einfach, ganz und gar, rundherum, schlechthin, schlicht, überhaupt, vollständig; (ugs.): durch und durch, partout, rein, total; (salopp): ums Verrecken; (emotional): restlos; (ugs. emotional übertreibend): auf den Tod; (meist salopp verstärkend): voll.
2. sehr.

"Überhaupt" wählte ich, weil Jens Stock das Wort als Beispiel brachte... das Wort "gar" muß wohl so eine Art Verstärkung sein...

 
 

Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 02.11.2005 um 18.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1348

"Das Fleisch ist gar gar."

Zum Dadaismus ist's dann auch gar nimmer weit...

 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 02.11.2005 um 19.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1350

Im "Struwwelpeter" heißt es von Friederich, dem argen Wüterich: "Er peitschte, ach sein Gretchen gar." Da kann man sich's dann aussuchen.

 
 

Kommentar von ub, verfaßt am 02.11.2005 um 19.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1351

Pardon, es mußte natürlich heißen: "Er peitschte, ach, sein Gretchen gar."

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 02.11.2005 um 19.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1353

Das Struwwelpeter gar, ist aber wohl ein sogar ohne so.

 
 

Kommentar von ub, verfaßt am 02.11.2005 um 21.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1356

Eben. Außer "gar nicht" (und außerhalb der Garküche) fallen mir zumindest keine Belege für eine andere Verwendung ein.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 03.11.2005 um 06.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1358

Zitat Jens Stock: „Da aber der als „z“ ausgesprochene Buchstabe c im Deutschen so gut wie gar nicht vorkommt (vor allem an denkbaren Trennstellen), verstehe ich nicht, weshalb ck bei der Trennung in k-k aufgelöst werden muß. Ich halte diese Auflösung zwar für gut mach- und erlernbar, aber für unnötig. Man könnte schließlich genausogut tz zu z-z werden lassen und macht es nicht.“

Diese Argumentation muß doch verwundern. Sagen Sie das ABC so auf: A - B – Z(ett) ...?

Der Buchstabe c mag wohl im Verband mit anderen Buchstaben in deutschen Wörtern häufig als k ausgesprochen werden, denn er hat dort so etwas wie eine Hilfsfunktion, die vielleicht eher graphischer Natur ist. Ich spreche jetzt nicht von Fremdwörtern wie z.B. „Clown“. Das c im Deutschen aber ist kein k. Und die Kinder lernten eben schon zu allen Zeiten das A Be Tse! Wenn man den isolierten Buchstaben c erblickt, formt sich im Kopf daher auch sofort der Laut „Tse“ - oder ist das bei Ihnen anders? Jeder Buchstabe erzeugt im Betrachter einen stillen Laut, das geht gar nicht anders, weil wir alphabetisiert sind.
Vielleicht habe ich mit meiner Vermutung recht, daß das c im ck nichts anderes ist als eine graphische Eigenheit, um das Schreiben des Doppelkonsonanten kk zu erleichtern - so wie das ß eine schreib- und leseerleichternde Form des ss ist.
Wörter wie „Dackel“ und „Wecker“ soll man deshalb nicht „Dac-kel“ und „Wec-ker“ trennen. Die Silbe „Dac“ formt sich sicher nicht nur in meinem Kopf blitzschnell zur Lautform „Daz“.

Daß auch die „Da-ckel“-Trennung für den Leser eine Zumutung ist, wurde von vielen aufmerksamen Sprachbenutzern bereits ausführlich dargelegt.

Es würde mich interessieren, welche Schüler Sie unterrichten, Herr Stock. Und ob Sie Deutschlehrer sind.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 03.11.2005 um 06.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1359

Noch ein Zitat von Jens Stock: "Man könnte schließlich genausogut tz zu z-z werden lassen und macht es nicht."

Nein, man macht es nicht. Es ist auch nicht nötig, denn die Orthographie hat sich langfristig nach ökonomischen Kriterien herausgeformt und trennt sich von Überflüssigem.
Meine Meinung zum t-z:
Der Buchstabe t ist dem Buchstaben z vom Zungenansatz her ähnlich bzw. gleich. Sprechen Sie, und beobachten Sie sich selbst: T-ante. Z-ange. Die Anfangsstellung der Zunge ist dieselbe: T.., Ts.. Wenn wir nun tz als t-z trennen, ändert sich beim langsamen Sprechen (und lautierendem Denken) nichts, und wir verstehen auf Anhieb:

Kat-ze / Kaz-ze

Das liest sich beides richtig. Wohl aber ergeben sich Irritationen beim vielzitierten

Dac-kel

Siehe dazu den zeitlich vorausgegangenen, untenstehenden Eintrag.
Die Trennung Kaz-ze wäre zwar für die Lautierung kein Problem, schaffte aber wiederum den Ärger, aus dem gerade das ck nicht mehr zu k-k zerlegen hat werden sollen.
Man kommt bei all diesen Betrachtungen immer wieder zu dem Ergebnis, daß unsere Sprache wesentlich klüger ist als unsereins. Kein Wunder, wurde sie doch von Millionen Menschen allmählich geformt. Darin steckt mehr Weisheit als zwölf "gelehrte" Sprachapostel zusammen jemals aufbringen werden. Sie haben sich in Übermut und Arroganz über die Meisterin Sprache erheben wollen und sind in die Schranken gewiesen worden. Ob sie diese Lehre annehmen, ist ungewiß. Wir aber sollten schon dazu bereit sein.

 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.11.2005 um 09.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1389

Zum "Dackel": Daß bei uns die Verdoppelung von Konsonanten-Buchstaben vorausgehenden kurzen Vokal anzeigt, ist klar. Weshalb sich diese Verdoppelung bei "k" fast ausschließlich als "ck" eingeführt hat, weiß ich nicht; aber so ist es nun einmal. Jens Stock hat jedoch Recht, wenn er bei Silbentrennung die "Auflösung" von "ck" in "k-k" "für unnötig" hält. Er plädiert nicht dafür, sagt aber, "c-k" tät's auch, also "Dac-kel". Karin Pfeifer-Stolz denkt dagegen: "Die Silbe 'Dac' formt sich sicher nicht nur in meinem Kopf blitzschnell zur Lautform 'Daz'." Nun, in meinem nicht; denn (und wir spielen hier ohnehin das ganze ja nur durch; von uns ist keiner gegen die historische "k-k"-Trennung): Wenn das "c (plus Trennstrich)" als [ts] zu lesen wäre, müßte es eigentlich auf der nächsten Zeile stehen, und dort würde es ja vor einem Vokal stehen müssen. Das "c" im Dackel wäre also auch an der Silbengrenze nur "k" zu sprechen. Übrigens ist mir eben trotz langen Nachddenkens kein Beispiel hierzu eingefallen, zum "[ts]-c" auf der neuen Zeile! Aber das heißt nicht, daß es nicht vielleicht doch eins gäbe. Auf jeden Fall stünde das "c" in "dac-" immer für den "k"-Laut.
Was ist so falsch beim deformierten "Da-ckel", daß wir uns nicht daran gewöhnen wollen oder können? Vor allem die naive Gleichsetzung von "ch" und "ck", deren Auseinanderhalten tatsächlich viel Funktion hat! Während die "Doppelkonsonanz" beim "ck" immer Kürze des vorausgehenden Vokals anzeigt, ist das beim "ch" nicht der Fall; dem können kurze und lange Vokale vorausgehen (brechen/brachen). Formen, wo vor einem "k plus Trennstrich" ein langer Vokal steht, wollen mir auch nicht viele einfallen: Zu "gokeln/kokeln" haben wir "ich gokle/kokle", natürlich neben "ich gokele/kokele". Im ersteren und im Substantiv "Gokler/Kokler" hätten wir aber einen langen Vokal vor "k plus Trennstrich". — Normalerweise sind wir jedoch gewohnt, vor diesem "k plus Trennstrich" einen kurzen Vokal zu erkennen. Aber das ist nicht ohne Ausnahme (nas-se/nas-lang; däm-men/däm-lich)... Doch was bei einigen Konsonanten häufiger der Fall ist, muß nicht bei "k" genauso sein... "Ich bekakle" wäre aber ein weiteres Beispiel.
Zur "Kat-ze": Ich bin dem Terminus "Silbe" und der "Silbierung" durch "Silbenklatschen" gegenüber sehr skeptisch (nicht jedoch der Definition von "Silbe"). Ich weiß, daß in "kommen" der Vokal im Stammteil kurz ist; aber das heißt noch lange nicht, daß die Silbengrenze von Natur her inmitten des "m" liegt! Sie könnte ja auch nach dem kurzen "o" liegen. Bei "la-chen" haben wir uns ja auch daran gewöhnt, daß sie hinter dem kurzen "a" liegt, durch "Silbenklatschen" oder sonstwie; — und bei "riechen" läge sie für Zweifler — wo? Und ich selbst spreche eben nicht "plat-zieren", sondern "pla-zieren", mit kurzem "a" und auf jeden Fall anders als "plat-ze" (übrigens [plat-se], nicht [plat-tse]!). Silbierung "lernen" ist also gut für Rechtschreibung, aber nicht in allen Fällen gut zur Identifizierung dessen, was wirklich ist. Das "m" in "Ihr Kinderlein, kommet" ist nicht länger als das in "Kommt, Kinder". Es gibt kein Sprachgesetz, wonach das "m" durch den Ausfall vom folgenden "e" kürzer wird! Und man höre mal genau hin und schaue den Leuten aufs Maul, wenn sie ganz begeistert (und also ohne an vorgeschriebene Aussprache zu denken) singen: "Ihr Kinderlein, ko- [mit offenem "o" und der Silbengrenze vor dem "m" in] -met"! Bei "Kaz-ze" würde ich aber doch zu sehr an zwei [ts]-Laute denken und mir, weil die natürliche Aussprache hier ja, wie gesagt, keinesfalls zwei [t]-Ansätze hat!) die Zunge zerbrechen bei dem Versuch, mindestens eine unnatürlich lange Affrikata zu produzieren. Wo das [t] eigentlich nur etwas durch ein homorganes [s] "angerieben" sein sollte, würde der Reibelaut [s] unnatürlich stark sein. Paralleles ist bei der "Silbengrenzsetzung" ins "m" in "kommen" und ins "k" in "backen" nicht der Fall. (Aber irgendwann in der deutschen Sprachgeschichte hat in anderen Wörtern der hinzugekommene Reibelaut doch die Führung übernommen und den usprünglichen Verschlußlaut total verdrängt: netzen/naß, Water/wetzen/Wasser, wappnen/Waffe, engl. drop/tropfen/troffen.)
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 05.11.2005 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1391

Trennung von tz:
Horst Ludwig: "plat-ze" (übrigens [plat-se], nicht [plat-tse]!)."

Entschuldigung, lieber Herr Ludwig, aber hier kann ich Ihnen nicht mehr folgen. Man spricht plat- (dann verharrt die Zunge einen Moment ohne Explosionslaut, quasi eingefroren) -tze (und jetzt "platzt" das tz!)
Wer spricht denn im Ernst so: plat- (Explosion des t-Lautes) und dann -se (ohne t)??? Daraus ergibt sich ein ganz anderes Wort! Wenn Sie so diktieren, schreiben alle Kinder "platse".
Zu der von Ihnen genannten Sprechweise passen Wörter wie: tot-sagen, rat-suchend, Rät-sel usw.
Im übrigen sollte guter Deutschunterricht nicht streng den Gesetzen einer mathematischen Logik folgen. Beim Sprachenlernen ist immer auch etwas Spiel dabei - das scheinen Frauen besser zu fühlen als die eher naturwissenschaftlich und mathematisch begabten Männer. Weswegen es doch "Muttersprache" heißt, aber "Vaterhaus" (das der Vater mit mathematischer Strenge errichtet hat). Im Unterricht geht es auch - auch(!) darum, ein freundliches Gefühl für die (unlogische) aber schöne Sprache zu entwickeln. Die Kinder üben beim Sillibieren Rhythmus und Takt. Sie eignen sich auf spielerische Weise an, was sie danach wie beiläufig beherrschen werden: Kat-ze, plat-ze, Dak-kel! Wer von uns hat denn früher mit mathematischem Ingrimm darüber nachgedacht, weshalb das so und jenes anders geschrieben wurde? Wir wollten INHALTE aufnehmen und INHALTE vermitteln. Und dazu gab es das lernbare und wunderbar gut funktionierende Werkzeug der Schriftsprache, das heute von Technokraten so schrecklich verbogen und verstümmelt worden ist.
Meine langjährigen Erfahrungen im Unterricht mit Grundschulkindern haben mich die oben geschilderten Erfahrungen machen lassen, und ich bin sicher, daß sie sich verallgemeinern lassen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.11.2005 um 18.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=270#1403

Ich stimme mit Ihnen überein, liebe Frau Pfeiffer-Stolz, daß guter Deutschunterricht nicht in allem gleich die letzte Wahrheit bringt, — die übrigens gar nicht immer "streng" mathematischer Logik folgt. Und so lächle ich auch hocherfreut über Ihre Hinweise aufs "Vaterhaus" und die "Muttersprache", habe ich doch mal mein Pädagogikum mit Betonung auf Pestalozzis Werk gemacht, dessen linguistische Theorien beim Muttersprachenunterricht nicht im geringsten den guten Einsichten moderner Linguistik entsprechen, der aber wunderbar erfolgreich war und seinen Schülern auf spielerische Weise und dabei glänzend vor Begeisterung gutes Deutsch beibrachte und der mich deshalb heute noch begeistert. Sie wissen jedoch aus meiner Argumentation an anderen Stellen, daß ich sehr wohl die Muttersprache zur Grundlage meiner Beobachtungen mache und indirekt auf Luther verweise, wenn ich davon spreche, daß man doch dem Volke aufs Maul schauen solle und nicht oberlehrerhaft nur dem Duden nachplappert, was dessen Herausgeberstab durchaus nicht immer richtig sieht. Ihr "Wenn Sie so diktieren, schreiben alle Kinder 'platse'" entspricht durchaus richtiger Beobachtung, und Sie sprechen daher beim Diktat schön langsam und fehlervermeidend [plat-tse]. Nur ist Muttersprache eben nicht die superlangsame Sprache des Lehrers beim Diktat, sondern die, wenn er vor Wut platzen möchte, weil die Schüler beim Diktat so viele Fehler machen. Sie dagegen wissen und sagen ihm kollegial, daß solches wütige [platsn] gar nichts hilft; und Ihre Schüler lernen trotz oder gerade wegen einer sehr sonderbaren (nämlich superlangsamen) Vorsprache beim Diktat (*nonce*-Aussprache!) sehr schön das, was sie fürs Leben lernen sollen, nämlich "platzen" richtig schreiben. — Dennoch setzt bei der normalen Aussprache dieses Wortes (und das ist die, die wir haben, wenn wir zu jemandem erregt oder aber auch ganz ruhig sagen: "Nun platzen Sie mal nicht gleich los vor Wut!") die Zunge nur einmal an den Alveolen (oder hinter den oberen Schneidezähnen) an und nicht zweimal. Bei den stimmlosen Explosivlauten in "Katze" und "Dackel" verzögert sich vielleicht die Explosion an der "Silbengrenze", aber zweimal gesprochen werden sie eben nicht, weder im Ernst noch im Scherz, sondern nur im langsamen Diktatdeutsch.
Bei "totsagen" und "ratsuchend" haben wir im Standarddeutsch ein stimmhaftes "s" nach dem Explosivlaut, kein stimmloses. Hier haben wir also keine Affrikaten. Bei "Rätsel" haben wir in der normalen gesprochenen Sprache die gleiche Aussprache, die wir hätten, würde das Wort *"Rä(h)zl* geschrieben. Ich hoffe aber, mit diesem Hinweis unseren uninformierten Reformern nicht noch mehr auf ihre seltsamen Sprünge geholfen zu haben, — wollen die uns doch sogar gegen jedes vernünftige Wissen zu Herkunft und in Unkenntnis dessen, wie Pädagogik wirklich funktioniert, ein "Zierrat" aufschwatzen. Wobei doch zunächst nur wichtig ist, daß die Schüler richtig schreiben lernen, — und das tun sie bei Ihnen, liebe Frau Pfeiffer-Stolz. (Und "richtig" heißt bei mir: so daß sich Leute getrost danach richten können. Und bei Ihnen auch. Sie nennen es INHALTE.)
 
 

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