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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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29.07.2007
 

Das Schlechte vom Guten am Schlechten
„Deutsch als Fremdsprache“ nörgelt, aber wehrt sich nicht

Unter
http://www.ualberta.ca/~german/ejournal/30/feuilleton30.htm
findet man einen reformkritischen Text zur Rechtschreibreform, der aber flau genug endet:

»Gibt es etwas zu feiern? Man muß schon ein bißchen grübeln, aber es gibt etwas: Die Schreibung der deutschen Sprache ist im Gespräch, und manche, die für gewöhnlich die Sprache eher mechanisch anwenden, setzen sich mit ihr auseinander und denken über sie nach. Für viele hat der gelehrte Streit um die Schreibung auch etwas schlicht Befreiendes, sie schreiben, wie es ihnen gefällt. Auch dieses Schreiben wirkt auf die Sprache zurück. Zu feiern gilt es also die Öffnung von Regelwerken hin zu einem Prozeß der Sprachentwicklung, zu der nicht nur Experten beitragen. Dieser Entwicklungsprozeß der Sprachverwendung ist um so bedeutsamer, als er einer Erstarrung entgegenzuwirken in der Lage ist, in die eine Sprache angesichts ihrer Existenzbedrohung durch ein globalisiertes Englisch versinken könnte. Zu feiern gibt es ein bißchen mehr Freiheit im Umgang mit der Sprache. Das tut gut.«

Wo bitte gibt es denn eine solche „Befreiung“? Niemand schreibt, „wie es ihm gefällt“, sondern alle wurschteln sich durch, so gut sie es können, und das tut gar nicht gut, am wenigsten den Lehrern des Deutschen als Fremdsprache.

Immerhin ist der Text in der „Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht“ noch in ordentlicher Rechtschreibung gedruckt, während die Zeitschrift „German as a Foreign Language“ in ihrem Stilblatt ausdrücklich verlangt, daß Manuskripte in Reformschreibung eingereicht werden. Alle Welt kuscht vor den Reformern, kein schöner Anblick.



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Kommentare zu »Das Schlechte vom Guten am Schlechten«
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 29.07.2007 um 19.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#9840

In "Deutsch als Fremdsprache" steht:

"Auch dieses Schreiben wirkt auf die Sprache zurück."
Das ist gottseidank ausgeschlossen.

"Dieser Entwicklungsprozeß der Sprachverwendung ist um so bedeutsamer, als er einer Erstarrung entgegenzuwirken in der Lage ist, in die eine Sprache angesichts ihrer Existenzbedrohung durch ein globalisiertes Englisch versinken könnte."
Wen "sie schreiben, wie es ihnen gefällt", ist das kein "Entwicklungsprozeß der Sprachverwendung". Keine Sprache ist bisher an ihrer evtl. sogar petrifizierten Schreibung erstarrt. Das elastische und – wie bedauerlich – nun auch schon "globalisierte" Englisch ist Beweis genug.
Wenn Sprachgebrauch (bzw. -"verwendung") und schriftliche Notation ineinanderfallen, werden ernsthafte Gedanken zu Sprache unmöglich.

Auch die schlimmsten Schreibungen gehen nicht mit Sprache um, sondern mit dank der Sprache geschaffenen Äußerungen. Verballhornt man solche graphemisch hinreichend, werden sie weitrgehend unverständlich. Dasselbe Spiel kann man auch artikulatorisch treiben (in Cockney z.B.).
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 28.08.2007 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10039

Zur Pflege von Irrtümern

Die Psychologie des Menschen ist folgende:
Er beschließt, etwas zu tun. Es stellt sich heraus, daß seine durch den Verstand gelenkte Entscheidung zu unerwartet miesen Ergebnissen führt. Der Mensch fühlt tief in seinem Inneren: Ich habe etwas falsch gemacht. Er fühlt es und empfindet Kränkung und Unmut. Deshalb geht sein DENKEN geht in die andere Richtung: Vor sich selbst und der Öffentlichkeit stellt er seinen Schritt als Erfolg hin, zumindest als Teilerfolg, in jedem Fall aber als unumgängliche Notwendigkeit; die Nachteile seien hinzunehmen und nicht dramatisch. Er wird seine Entscheidung um so vehementer verteidigen, als er selbst unsicher ist oder sich ärgert. Dieser psychologischen Trick der Realitätsverneinung soll, natürlich völlig schizophren, wider alle Vernunft noch das Gute und Richtige herbeizwingen.
Doch wie jeder weiß, „stoßen Dinge hart sich im Raume“. Die Realität läßt sich weder durch Willenskundgebungen noch durch Verneinen und Schönen ändern. Unsere Schöpfung ist von erbarmungsloser Konsequenz, sie vergißt nichts und reagiert immer. Die Sprache zählt zu den Erscheinungen der Kultur, die durch Zutun unzähliger Menschen über Generationen hinweg entstanden ist wie von unsichtbarer Hand: sie lebt mit den Menschen, die sich ihrer bedienen und formt sich im Gebrauch durch alle. Insofern ist Sprache, wie die gesamte Schöpfung, „unbeherrschbar“. Das hat der Versuch „RSR“ gezeigt. Sprache läßt sich nicht beliebig per Dekret verformen. Der Versuch von 1996 zeigt das plastisch. Die Demut, die nötig wäre, um dies einzusehen, fehlt Reformern und Politikern. Nun werden wir Zeugen der Rache eines selbstregelnden Systems, dessen Homöostase willkürlich gestört wurde.

Zurück zur realistätsverneinenden Menschenseele. Zu einem nicht vorhersagbaren Zeitpunkt läßt der Verirrte – in der Regel verstohlen – fallen, was nicht funktionieren kann. Wobei er natürlich niemals zugeben wird, daß er sich geirrt hat. Für ihn ist auch eine Rückkehr zum Bewährten bewußt gewählter Fortschritt zum Besseren. Da wir Menschen mit der Chronologie der Zeit und daher mit der korrekten gedanklichen Rekonstruktion der Vergangenheit Probleme haben, kann der Irrende sein Trugbild vom Erfolg auch weiterhin pflegen.

Dies ist zumindest eine von vielen möglichen Erklärungen für die erstaunliche Gleichgültigkeit unserer Mitmenschen in der Hinnahme eines kaum zu übersehenden Qualitätsverlusts der zeitgenössischen Druckwerke. Die Teilnehmer dieses Forums haben immer wieder ihre Verwunderung, ja Fassungslosigkeit ausgedrückt, wenn sie dies vermerkten. Daß das Durchschnittsschulkind das richtige Schreiben immer schlechter beherrscht, wird in der Öffentlichkeit allenfalls oberflächlich beklagt und dient hauptsächlich als willkommene Quelle für (politisch gelenkte) Geschäftemacherei. Die Rechtschreibreform macht man dafür noch nicht verantwortlich. Man registriert die wahren Ursachen nicht, weil man (noch) nichts darüber wissen will. Siehe oben.

 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 28.08.2007 um 18.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10041

Und was, wenn der Mensch gezwungen wird, etwas zu tun? Und dann später erkennt, daß die zwar vom Verstand gelenkte aber unter Zwang und in Verzweiflung und Unkenntnis der möglichen Folgen getroffene Entscheidung falsch war? Was, wenn man sich genötigt fühlte, oder genötigt wurde, oder gar überrumpelt wurde und so eine unüberlegte Entscheidung getroffen hat?
 
 

Kommentar von Charlotte, verfaßt am 28.08.2007 um 18.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10042

An Pt:
Wer "A" sagt, muß nicht "B" sagen, er kann auch erkennen, daß A falsch war.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 30.08.2007 um 18.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10051

Zum Beitrag von Karin Pfeiffer-Stolz vom 28.08.2007:

Zur Pflege von Irrtümern

Ihr Beitrag hat mir eine schlaflose Nacht bereitet.

Der Grund dafür ist, daß der von ihnen geschilderte Mechanismus korrekt zu sein scheint, er aber trotzdem irgendwas in mir aufwühlt. Klar, jeder wird schon
einmal in einer Situation gewesen sein, in der er erkannte, daß er etwas falsch
gemacht, d. h. einen Fehler gemacht hat. Aber ist es wirklich so einfach, darf man es sich wirklich so einfach machen?

Ihre Argumentation – die offensichlich aus der Situation der Rechtschreibreform abgeleitet wurde – ist sehr allgemein gehalten,
und kann somit auch auf Dinge außerhalb der Reformproblematik angewandt werden. Wahrscheinlich war das auch intendiert.

Am Anfang ihrer Argumentation steht (sinngemäß) die Aussage, daß der Mensch irgend etwas zu tun beschließt. Aus diesem durch seinen Verstand gelenkten Beschluß zu handeln folgt dann, ob der unerwartet schlechten Ergebnisse, Kränkung und Unmut des Handelnden, aber auch schitzophrene Realitätsverneinung, die sich darin äußert, daß das schechte Ergebnis vor der Öffentlichkeit als unumgängliche Notwendigkeit auf dem Weg zum Erfolg dargestellt wird, sowie Unsicherheit und Ärger. Warum er das beschließt, darüber wird keine Aussage getroffen. Dies wäre aber für die weitere Bewertung sehr wichtig.

Aus einem nicht weiter spezifizierten Handeln folgt etwas Negatives!

Dies ist, besonders wenn der Mechanismus sich nicht auf konkrete Sachverhalte bezieht, sondern allgemeine Gültigkeit beansprucht, eine sehr niederschmetternde Bilanz menschlichen Handelns. Sie könnte einen dazu verleiten, generell die Hände in den Schoß zu legen und überhaupt nichts mehr zu tun – oder, da dies nicht möglich ist, nur gerade soviel, wie zur Sicherung der bloßen Existenz notwenig ist. Selbst schuld, wer mehr tut!

Diese Konsequenz aus ihrem Mechanismus läuft meinem menschlichen
Selbstverständnis zuwider.

Im wesentlichen sind zwei Fälle zu unterscheiden:

1. Der Mensch handelt aus freien Stücken, aus eigenem Antrieb.

2. Der Mensch handelt unter innerem oder äußeren Zwang.

Punkt 1 ist doch eher positiv zu bewerten: Er spricht von Selbständigkeit,
eigenständigem Denken, gesunden Unternehmergeist, alles Grundhaltungen,
ohne die gesellschaftlicher Fortschritt und Prosperität nicht möglich wären.
Im Zusammenhang mit der Vorgabe der vom ''Verstand gelenkte Entscheidung''
zeigt das, daß eben kein blinder Aktionismus betrieben wurde, der mit großer
Wahrscheinlichkeit in eine Katastrophe führen würde, sondern daß überlegt
gehandelt wurde.

Punkt 2 kann ebenfalls positiv bewertet werden, wenn der Zwang nicht
zu unüberlegten oder panikartigen Reaktionen führt: Er besagt,
daß der Mensch sich nicht alles gefallen läßt, daß er nicht alles mit
sich machen, sich nicht runterkriegen läßt, daß er Widerstand leistet
oder eine bedrängende Situation durch eigenes Handeln zu überwinden sucht.
Auch hier wieder: Unter der Voraussetzung einer vom ''Verstand gelenkten
Entscheidung'' zeigt sich damit eine eher verantwortungsvolle Grundhaltung.

Die Handlungsmotive in beiden Punkten können sowohl positiv als auch negativ interpretiert werden, hier kommt also die Notwendigkeit einer Bewertung ins Spiel. (Diese muß nicht notwendig oder sollte nicht ''moralisch'' sein!) Dafür wäre es aber erforderlich, genau zu wissen, warum jemand beschließt, etwas zu tun, was also der konkrete Anlaß ist, und was er zu tun gedenkt.

''Der Mensch fühlt tief in seinem Inneren: Ich habe etwas falsch gemacht.''

Fehler haben die unangenehme Eigenschaft, daß man sie erst dann erkennt,
wenn es zu spät ist.

Wenn der Mensch aber den eigenen Fehler erkennt, dann kann er ihn u. U.
korregieren oder, falls das nicht möglich ist, zukünftige Fehler aufgrund
dieser Erfahrung vermeiden. Auch andere Menschen könnten aus diesen Fehlern Lehren ziehen. (Letzteres ist aber eher unwahrscheinlich, Menschen lernen nicht aus den Fehler anderer!)

Die Frage ist demnach, ob überhaupt ein Fehler vorliegt und ob man ihn
im voraus hätte erkennen können.

In ihrem Mechanismus gehen sie von einem Menschen aus, der auf sich gestellt handelt. Ein Mensch, der, bevor er etwas zu tun beschließt, andere um Rat fragt, könnte damit im voraus eine negative Entartung oder Bewertung seines Handelns verhindern. Sprichwörtlich ist guter Rat aber teuer. Erfahrungsgemäß sehen die meisten gar nicht das Problerm, wenn man sie um Rat fragt.

Was die Rechtschreibreform angeht, so handelten die Reformer eben nicht als
Einzelne, und sie haben bewußt jegliche Widerstände umgangen, um ihre Sache mit Hilfe des Staates durchzusetzen. Sie wußten also sehr genau, was sie tun, daher kann man ihnen nicht zugutehalten, daß sie jetzt durch die Verteidigung ihrer Entscheidung ''wider alle Vernunft noch das Gute und Richtige herbeizwingen'' wollen. Gutes und Richtiges kann nicht erzwungen werden! Sie haben sehr viel Vorbereitung und Energie aufgewandt, um an ihr Ziel zu kommen. Das ist der Unterschied zwischen einem Gelegenheitsdieb und einem Einbrecher. Ersterer nutzt spontan eine sich bietende Gelegenheit, letzterer benötigt viel kriminelles Wissen, Können und Erfahrung, entsprechende Ausrüstung, ein sich lohnendes Objekt sowie eine Hehlerorganisation, um von seinem Tun zu profitieren.

''Die Realität läßt sich weder durch Willenskundgebungen noch durch Verneinen und Schönen ändern.''

Was ist die Realität? Trägt nicht jeder seine eigene Realität mit sich herum?
Auch Realität ist nur eine Frage des Standpunkts, zumindest bis zu einem
gewissen Grad. Für den Fall, daß jemand unter Zwang gehandelt hat, und dadurch Folgen entstanden sind, die er bedauert, verabscheut oder die ihm sogar schaden, dann ist die Sache sogar tragisch. Ist das Nichtanerkennen der Realität dann ein Verneinen oder gar Schönen? Kann man jemanden, der unter Zwang gehandelt hat, für sein Handeln verantwortlich machen? Und wenn, geht dann derjenige, der den Zwang ausgeübt hat, unbestraft und moralisch integer aus der Sache hervor?

''Unsere Schöpfung ist von erbarmungsloser Konsequenz, sie vergißt nichts und reagiert immer.''

Was meinen Sie mit ''Schöpfung''? Woher wissen Sie, daß ihre Aussage wirklich
zutrifft? Daß sie nichts vergißt und immer reagiert, mag zwar aus einem
bestimmten Blickwinkel heraus zutreffen, in dem Sinne, daß das Gesetz von
Ursache und Wirkung gilt, und daß es somit auch Konsequenzen des Handelns gibt, aber inwiefern kann Schöpfung ''erbarmungslos'' sein? Wenn sie z. B. Menschen mit zur Schöpfung rechnen, dann brauchen diese eben nicht immer zu reagieren und können auch Erbarmen zeigen, wenn Sie Menschen (und eventuell auch höhere Tiere) ausschließen, dann haben wir ein nach Naturgesetzen ablaufendes Geschehen vor uns, auf das eine Eigenschaft wie Erbarmungslosigkeit nicht angewandt werden sollte, denn dafür müßten Bewußtsein, Weltwissen und Gefühle vorhanden sein.

''Insofern ist Sprache, wie die gesamte Schöpfung, ''unbeherrschbar''.

Ketzerische Frage: Können Sie das beweisen?

''Das hat der Versuch ''RSR'' gezeigt. Sprache läßt sich nicht beliebig
per Dekret verformen.''

Vielleicht war das auch gar nicht das Ziel, zumindest nicht vordringlich.
Vielleicht sollte zuerst nur das Bestehende außerkraftgesetzt werden, damit
dann, wenn der Widerstand verebbt und Gleichgültigkeit eingekehrt ist, die
eigentliche Umerziehung beginnen kann. Dies würde zumindest die
''Belehrungsresistenz'' der Reformer wie der Kultusminister erklären.
Zuerst müssen die Leute in sprachlichen und rechtschriftlichen Fragen
abgestumpft werden, damit sie dann für geschickte Sprachmanipulation
empfänglich sind. Damit wäre Sprache eben doch ''beherrschbar'',
vielleicht nicht vollständig, aber doch zu einem für die Zweicke der Mächtigen
hinreichendem Teil.

Wie kann sich ein selbstregelndes System rächen? Es kann nur reagieren.
Diese Reaktionen kann man studieren und daraus Schlüsse ziehen, wie man
zukünftig vorgehen muß, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Ich erinnere mich an einen Beitrag, in dem Sie, Frau Pfeiffer-Stolz,
ausagten, daß der Mensch um keinen Preis wieder zu dem zurückkehren will,
von dem er z. B. durch die Reform distanziert wurde. Falls die Aussage dieses
Artikels zutreffen sollte – ich hoffe, daß sie das nicht tut – dann könnten
die Reformer mit der von mir skizzierten Vorgehensweise auf lange Sicht gesehen Erfolg haben. Ich habe mal einen Brief vom hessischen Kultusministerium bekommen, in dem ausgesagt wird, daß in zehn bis dreißig Jahren weitere Reformen geplant wären. Nun, seitdem sind etwas zehn Jahre vergangen. Wir sollten die Reformer nicht unterschätzen!

''Realitätsverneinende Menschenseele''

Es ist anzunehmen, daß das von ihnen Beschriebene stimmt, wenn die Sache
irgendwann im Sande verrinnen sollte. Wenn aber weiter reformiert wird, dann
ist dieser Weg nicht möglich, dann wird sich Gleichgültigkeit ausbreiten.
Was langfristig geschieht, ist dann aber nicht vorherzusehen. (Es könnte ja auch sein, daß die Leute beginnen, die Sache zu durchschauen.)

Ich denke, daß die Leute sehr wohl wissen, daß der Qualitätsverlust auf Konto
der Rechtschreibreform geht. Es ist nur nicht opportun, dies zuzugeben. Es ist
aber opportun, sich auf seiten der als Rechtschreibgeiseln gehaltenen
Schulkinder zu stellen. Sie zu befreien wäre ein Akt der Gewalt, und darauf hat
nur der Staat ein Monopol. Leider! Und da die Überschreitung des staatlichen
Gewaltmonopols mit der Ausübung desselben durch den Staat, also mit harten
Strafen belegt ist, tut es auch niemand und läßt der Sache ihren Lauf.

Irgendwie ist mir nicht klar, wen sie mit ihrem Beitrag meinen. Die Reformer
können es nicht sein, denn für sie läuft die Reform ja blendend, und sie
verdienen kräftig daran. Die Lehrer können nichts unternehmen, denn sie stehen ja in Lohn und Brot des Staates, der die Reform vorschreibt. Martyrertum ist auch nicht mehr ganz aktuell. Was die Zeitungen angeht, siehe oben.
Die anderen Menschen haben kaum wirklich Einfluß, allenfalls, wenn sie sämtliche reformierten Druckerzeugnisse boykottieren würden. Dies bezieht sich weniger auf Zeitungen, die ja nach einmaligem Lesen weggeworfen werden, sondern eher auf Belletristik, also auf Bücher, zu denen man ein inniges Verhältnis aufzubauen bereit ist. (Hier wäre z. B. Harry Potter zu nennen. Ich habe mir noch kein solches Buch gekauft, da reformiert geschrieben.) Leider wird aber Belletristik von Herrn Ickler als nicht relevant für sein Wörterbuch angesehen, sondern nur tagesaktuelle Zeitungen.

Es wäre für ein effektives Vorgehen gegen die Reform wichtig, zu wissen,
inwieweit sich die einzelnen Belletristikverlage an die Reform halten.
Belletristik wird zum Genuß gelesen, nicht der schieren Tagesaktualität wegen.
An solchen Verlagen hängen viele Arbeitsplätze und viel Umsatz.
Wenn hier nur Reformvarianten zur Anwendung kommen, denen die meisten Giftzähne – bis auf das Paar Doppel-S-Zähne – gezogen wurden, dann beweist das ja das Scheitern der Reform. Würden auch solche Bücher nicht mehr gekauft, auch wenn viele offenbar mit diesem Gift leben können, dann wäre die Reform schnell am Ende.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 30.08.2007 um 20.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10052

Was ich noch nachtragen möchte: Mich selbst schließe ich aus diesem Mechanismus der "Selbstbeschwichtigung und -täuschung" im Umgang mit eigenen Fehlentscheidungen keineswegs aus. Pt sei die Lektüre der Schriften von F.A. Hayek oder Ludwig von Mises empfohlen. Gegebenenfalls könnten die daraus gewonnenen Erkenntnisse noch mehr "schlaflose Nächte" bereiten, was aber durchaus als gutes Zeichen zu werten wäre ...
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 31.08.2007 um 07.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10053

Während meiner Schulzeit habe ich von einem Jesuitenpater den Satz gelesen "Ein Mann wird erst dadurch zum Mann, daß er seine Fehler eingesteht."
Es ging zwar um das Druchlesen der eigenen Klausur, nachdem man sie geschrieben hatte, um vielleicht noch den ein oder anderen Fehler zu entdecken, und zweifelsohne war dieser Satz für den Schüler einer – so gut wie reinen – Jungenschule konzipiert, der sich natürlich an seiner Ehre gepackt fühlen sollte – aber ich bin der Ansicht, daß man sich ihn ruhig zum Grundsatz erheben sollte: Fehler macht jeder, denn niemand ist perfekt; und sich das, wenn es sein muß, auch öffentlich einzugestehen, "adelt" geradezu. Daß das manchmal die Überwindung des berühmten inneren Schweinehundes kostet, will ich ja nicht abstreiten.

Jaaa... hätten doch so viele Politiker auf dieser weiten Welt noch ein Fünkchen Anstand in den Knochen... so etwas wie die RSR hätte einfach nicht sein müssen. Aber der innere Schweinehund ist wohl bei vielen eingeschläfert worden.
 
 

Kommentar von Vardapet, verfaßt am 31.08.2007 um 10.08 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10054

Bei Eugen Roth findet sich zur Selbsttäuschung folgendes hübsche Gedichtchen:

Das Schnitzel

Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet,
Bemerkte, daß ihm das mißriet.
Jedoch, da er es selbst gebraten,
Tut er, als wär es ihm geraten,
Und, um sich nicht zu strafen Lügen,
Ißt ers mit herzlichem Vergnügen.

Hier ist sich der Mensch des "Selbstbetrugs" aber durchaus bewußt. Bleibt zu fragen, wie es damit bei den Reformbetreibern war / ist ...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 31.08.2007 um 11.14 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10055

Sprache entzieht sich Herrschaftsgelüsten

So ist gewiß der letzte folgender Sätze aus dem Beitrag von Karin Pfeiffer-Stolz zu verstehen:
"Die Sprache zählt zu den Erscheinungen der Kultur, die durch Zutun unzähliger Menschen über Generationen hinweg entstanden ist wie von unsichtbarer Hand: sie lebt mit den Menschen, die sich ihrer bedienen und formt sich im Gebrauch durch alle. Insofern ist Sprache, wie die gesamte Schöpfung, `unbeherrschbar´".

Versuche ihrer Privatisierung sind aussichtslos, denn eine Sprache samt ihrer Schreibung ist der einzige sinnvolle Kommunismus (s. Mauthner). Hätten das die linkelnden "Sprachrevolutionaire" von 1968 oder wenigstens die "Reformer" 1998 zur Kenntnis genommen, wären sie in entsprechende Demut vor dem gemeinsamen Gut verfallen. Ihre Ignoranz war die Voraussetzung ihrer Arroganz.

Weil die Schreibung einer Sprache als sekundäres Phänomen entschieden arbiträrer ist als etwa ihre Lauteigenschaften, läßt sich zwar in sie "eingreifen", jedoch nur sehr bescheiden, denn auch die Schreibung ist das jeweils gültige Resultat des permanenten, nicht koordinierten Wirkens der Schriftgemeinschaft am Ganzen. Die Vereinheitlichung der Schreibung zu Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Gebot der damaligen Umstände (Schriftzustand wider Kommunikationserfordernisse). Vorsicht und Umsicht des "Eingriffs" bedingten seinen bis heute gültigen Erfolg. Die Sprache hätte damals nicht zugelassen, daß in ihrer Schreibung Elephanten herumtrampeln. Sie erlaubt es auch heute nicht.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 31.08.2007 um 15.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10056

In meinen Beitrag ging es eben nicht darum, Fehler zuzugeben, sondern zu hinterfragen, was denn überhaupt als Fehler zu werten ist.
(Ich wollte diesen Aspekt noch vertiefen, der Beitrag war aber schon lang genug.)
Dies, weil es in ziemlich vielen Bereichen – auch in der Rechtschreibung, siehe die Diskussion hier auf diesen Seiten – nicht immer klar ist, was denn als Fehler anzusehen ist. Ich erinnere z. B. an die Diskussion über brillant vs. brilliant, wo aus guten Gründen, die auch von den Reformgegnern hier üblicherweise vertreten werden, z. B. der Sprache als sich ständig verändernden Organismus, aber auch aufgrund von möglichen Mehrfachentlehnungen eines Wortes, etc. auch der Variante brilliant eine gewisse Berechtigung einzuräumen wäre.

Was als Fehler anzusehen ist, hängt auch von der Ideologie bzw. der religiösen Überzeugung der jeweiligen Gesellschaft ab. (Was die Rechtschreibung betrifft, dann ist die Auseinandersetzung über die Reform ja fast schon so etwas wie ein Glaubenskrieg.) Wenn Sie ein liberales Menschenbild voraussetzen, dann sollte jemand wählen können, welcher Religion oder Ideologie jemand anhängen und bis zu welchem Grad er die dort geforderte Moral leben will oder nicht, oder ob er ganz darauf verzichtet. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, ist ein bestimmtes Verhalten ein Fehler, den man demütigst einzugestehen und zu bereuen hat, oder auch nicht.

Ehre sollte keine Frage des Geschlechts sein. Wenn Sie sich von dem sexistischen Dummgeschwafel dieses Paters beeinflussen lassen . . .

In Kontext einer Klausur sind Fehler zumeist eindeutig bestimmbar, denn es gibt ein Regelwerk, bzw. eine Liste von als korrekt vorgegebenen Wörtern. Liegt eine Schreibweise vor, die nicht aus dem Regelwerk abgeleitet werden kann oder die nicht in dieser Liste verzeichnet ist, dann liegt eindeutig ein Fehler vor.
Daß ein Regelwerk auch minderwertig, weil in sich unstimmig, sein kann, ist uns allen ja hinlänglich bekannt. Bezüglich eines vorgegebenen Regelwerks kann man also Fehler machen. Man kann es beherrschen oder nicht. Man kann auch ein Regelwerk schlechtmachen oder in Frage stellen. Im ersteren Fall liegt ideologische Agitation vor, siehe Rechtschreibreform, die andere, die sich damit nicht so gut auskennen, dazu verleiten soll, ihr Verhalten diesbezüglich zu ändern, im letzeteren Fall eine überlegte Wertung in Kenntnis des Sachverhalts (mit der andere nicht notwendig übereinstimmen müssen).

Die Tatsache, daß sich Menschen anmaßen, anderen Menschen vorschreiben zu dürfen, was denn als Fehler anzusehen ist und was nicht, ist einer der Gründe für die vielen Probleme auf dieser Welt.

Vardapet, Sie dürfen nicht annehmen, daß in jedem Gedicht eine allgemeingültige Wahrheit ausgedrückt wird. Besagter Mensch weiß natürlich, daß ihm sein Schnitzel mißraten ist, eine echte Selbsttäuschung wird da wohl kaum gelingen. Dafür ist die geschilderte Situation auch viel zu unwichtig.
(''Einmal Essen ist bald vergessen.'') Ist er allein, wird er wohl fluchen und sich ärgern, nehmen andere an dem Mahl teil, dann würde er vor diesen ziemlich seltsam dastehen, wenn er so tun würde als ob.

Wo habe ich etwas von Selbsttäuschung oder Selbstbetrug geschrieben?

Mir ging es darum, zu zeigen, daß es sehr einfach ist, jemanden – u. U. auch sich selbst – einen Fehler vorzuwerfen, den es dann demütig einzustehen gilt.
Wir leben in einem freien Land – angeblich – nicht in einer Monarchie oder gar Theokratie, wo demütige Eingestehen von Fehlern (Beichte) verlangt wird.

Es gibt Fehler – wie Rechtschreibfehler (bezüglich der klassischen RS) – die macht man, man bekommt sie angestrichen, man nimmt das zur Kenntnis und beim nächstenmal macht man's richtig. Das hat nichts mit Ehre, Eingestehen und Demut zu tun, sondern etwas mit Lernen.

Dann gibt es da noch das Leben und Entscheidungen, die sich später vielleicht als ungünstig oder ''falsch'' herausstellen. Hier spielen Kränkungen, verletzte Ehre, Gefühle, Mobbing, erlittene Demütigungen etc. eine Rolle, alles Dinge, die Verhalten beeinflussen und gegen die man sich nicht so einfach zur Wehr setzen kann. Wenn jemand unter solchen Druck einen ''Fehler'' begeht, so ist das meiner Ansicht nach kein Fehler oder darf aus Gründen der Fairneß nicht als Fehler gewertet werden. Damit gibt es auch micht einzugestehen. Diese ''Fehler'' sind schon deshalb keine Fehler, da sie auf echten Fehlern anderer aufbauen und nur deren Folgen sind. Beispiel: Wenn eine ganze Klasse ein Kind sechs Jahre lang mobbt, und die Notsignale des Kindes verhallen bei Eltern und Lehern zehn Jahre lang ungehört, und das Kind bekommt kryptische Vorwürfe wie ''Du verhältst dich falsch!'' und das Kind wehrt sich dann irgendwann und schlägt einem seiner Peiniger den Schädel ein, ist das dann ein Fehler? Nein! Es ist tragisch, aber kein Fehler. Wenn ein Fehler vorlieght, dann haben ihn Eltern und Lehrer und die Klasse begangen, das Kind handelte in Notwehr. Und Notwehr ist kein Fehler! Natürlich werden auch – vielleicht bis zu einem gewissen Grade auch zu recht – Eltern und Lehrer und die Klasse die Fehler zurückweisen, Eltern müssen arbeiten, haben keine Zeit, verstehen nicht, was vorgeht, Lehrer müssen sich um anderes kümmern, z. B. die neue RS, und die Mitschüler haben beim Mobbing mitgemacht, weil sie eben dazugehören wollten, oder weil sie selbst Angst vor dem Mobbing-Terroristen haben. Jeder von den vielen, die sechs Jahre lang leicht hätten eingreifen oder das gemobbte Kind hätten einmal daraufhin ansprechen können, wird dann seine Ausflüchte haben, nur das gemobbte Kind soll mit einem ''Fehler'', einer ''Schuld'' leben. Ist das gerecht? (Leider habe ich denjenigen meiner Mitschüler, die mich während meiner ganzen Realschulzeit über mobbten, wie man heute sagt, nicht den Schädel eingeschlagen. Sollte ich dieses Versäumnis als Fehler ansehen?)

Das sind aber keine Fehler vergleichbar mit Rechtschreibfehlern, die man hätte vermeiden können, wenn man sich besser auf die Klausur vorbereitet hätte. Da Frau Pfeiffer-Stolz keine Einschränkung des Geltungsbereiches ihres Mechanismus gemacht hat, spielen da auch solche Dinge mit an, die wirklich tragisch sich, was man von Rechtschreibfehlern wohl kaum behaupten kann, schon gar nicht nach der Reform.

Es geht nicht um Selbstbeschwichtigung und -täuschung. Es geht darum, daß das Einreden, daß jemand einen Fehler gemacht hat, selbst schon ein Mittel zur Manipulation und zur Etablierung geistiger Unfreiheit ist.
Ich möchte darauf hinweisen, das das Schuldkonzept eben nicht von Anfang an Teil menschlicher Moral war. Es dürfte mehr oder weniger eine christlich-jüdische Erfindung sein, gedacht um Menschen gleichzuschalten.

Es geht darum, fair zu sein bezüglich des Vorwurfs eines Fehlers, sich selbst und anderen gegenüber! Und diese Fairneß vermisse ich in diesem Beitrag von Frau Pfeiffer-Stolz wie auch in den anderen Beiträgen, die sich darauf und auf meinen Kommentar beziehen.


Zu Christoph Schatte:

»Sprache entzieht sich Herrschaftsgelüsten

So ist gewiß der letzte folgender Sätze aus dem Beitrag von Karin Pfeiffer-Stolz zu verstehen:
"Die Sprache zählt zu den Erscheinungen der Kultur, die durch Zutun unzähliger Menschen über Generationen hinweg entstanden ist wie von unsichtbarer Hand: sie lebt mit den Menschen, die sich ihrer bedienen und formt sich im Gebrauch durch alle.''«

So sehe ich das auch, und so habe ich den Beitrag von Frau Pfeiffer-Stolz auch verstanden.

»Insofern ist Sprache, wie die gesamte Schöpfung, ''unbeherrschbar''.«

Diese Schlußfolgerung verstehe ich nicht.

Natürlich ist Sprache insofern beherrschbar, als daß ein Muttersprachler sie beherrscht. Aber das meinen Sie natürlich nicht. Sie und Frau Pfeiffer-Stolz meinen, das jemand über die Anwendung der Sprache bzw. der Schöpfung herrscht, d. h. ihre Entwicklung bestimmt.

Das dies nicht möglich ist, wenn man von der Herrschaft als einer allumfassenden, totalen ausgeht, ist unstrittig. Wenn man sich aber mit weniger begnügt, dann, denke ich, ist das schon möglich und wird auch praktiziert, Stichworte sind Sprachplanung (z.B. die Schaffung einer Hochsprache aus den Dialekten einer Sprache, siehe das Baskische) und Sprachpflege.
Es beginnt schon damit, daß man Wörter aus Gründen der ''political correctness'' meidet oder durch Euphemismen ersetzt. Wenn sich sowas durchsetzt, wurde in einem (zugegebenermaßen kleinen) Bereich Herrschaft über die Sprache bzw. deren Sprecher ausgeübt.
Herrschaft kann ja nicht nur durch offene Gewalt, sondern auch durch sanfte, unsichtbare Manipulation ausgeübt werden und hat dann sogar mehr Aussicht auf Erfolg.

»Versuche ihrer Privatisierung sind aussichtslos, denn eine Sprache samt ihrer Schreibung ist der einzige sinnvolle Kommunismus (s. Mauthner). Hätten das die linkelnden "Sprachrevolutionaire" von 1968 oder wenigstens die "Reformer" 1998 zur Kenntnis genommen, wären sie in entsprechende Demut vor dem gemeinsamen Gut verfallen. Ihre Ignoranz war die Voraussetzung ihrer Arroganz.«

Wenn man ein Staatsunternehmen wie z. B. die Bahn privatisiert, dann fahren zwar immer noch die Züge, verdienen tun aber Privatfirmen. Die Leute verwenden immer noch die deutsche Sprache und Rechtschrebung, wobei letztere durch die Reform zwar in die Obhut des Staates zurückgegeben wurde – was ja das Ziel der Reform war –, der aber wenig mit ihr anzufangen weiß. Aber Privatleute wie die Reformer verdienen Geld mit Reformprodukten und mit der weiteren Verschlimmbesserung der Reformschreibung.
In diesem Sinne hat man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Teil und herrsche.

Glauben sie wirklich, daß ein 68er jemals vor etwas in Demut verfallen könnte?
Das ist ein Widerspruch in sich!

»Die Vereinheitlichung der Schreibung zu Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Gebot der damaligen Umstände (Schriftzustand wider Kommunikationserfordernisse). Vorsicht und Umsicht des "Eingriffs" bedingten seinen bis heute gültigen Erfolg. Die Sprache hätte damals nicht zugelassen, daß in ihrer Schreibung Elephanten herumtrampeln. Sie erlaubt es auch heute nicht.«

Anders ausgedrückt, damals wurde Herrschaft über die Schreibung ausgeübt, soweit es die Sprache zuließ. Ein Herrscher kann Herrschaft über sein Volk ausüben, nur soweit es das Volk zuläßt! Anderenfalls gibt es eine Revolution. Ob diese dann Erfolg hat, sei dahingestellt.

Sie sitzen, wie viele, der romantischen Vorstellung auf, daß Sprache wie ein Lebewesen agiert, vielleicht sogar wie eines, das von Menschen nicht unter Kontrolle gebracht werden kann. Als ob sie einen eigenen Willen hätte und sich nichts aufzwingen ließe. Diese Überzeugung ist wie die Goliaths, der sich auf seine Größe und Stärke verließ und so den kleinen und schwachen, aber gewitzten David unterschätzt. Wie die Sache ausging, steht in der Bibel.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.08.2007 um 18.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10057

Mehrfach-Entlehnungen: Wer im Deutschen die französische Schreibweise "brillant" und daneben die engliche Schreibweide "brilliant" zuläßt, muß neben franz. "Billard" auch engl. "Billiard" zulassen usw. Die deutschen "Billiarden" sind dann vermutlich Kampf-Billiard-Spieler. Im Englischen sind "Billiards" ein Billardspiel; als Zahl gibt es nur Billions.

Wir sollten nicht über die Schweizer Masse spotten, auf deutschen Volksfesten darf man auf staatliche Anordnung nur noch Maß halten, maßhalten ist amtlich verboten. Cui bono: der Getränkewirtschaft.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 31.08.2007 um 18.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10058

Warum muß er das? Es werden doch Einzelwörter entlehnt, nicht ganze Wortklassen.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 31.08.2007 um 23.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10059

Oha! Da hat mich aber jemand gründlichst falsch verstanden.

"Ehre sollte keine Frage des Geschlechts sein. Wenn Sie sich von dem sexistischen Dummgeschwafel dieses Paters beeinflussen lassen . . ."

Dummgeschwafel: das ist eine Beleidigung. Ich bitte Sie, das muß nicht sein.
Es geht hierbei nicht um Sexismus. Überhaupt nicht. Es geht nur darum, daß man (damit sind auch Frauen gemeint) anständigerweise seine Fehler auch vor sich selbst eingestehen sollte – sofern man überhaupt Anstand hat und nicht sich selber schon zu seinem eigenen Schweinehund erklärt hat, somit den natürlichen selbigen bereits ausgemustert hat, damit man nichts mehr überwinden muß – außer sich selbst, was dann aber meistens nicht getan wird, denn das schmälert ja die eigene Glorie...

Von mir zitierter Ausspruch war auch nur Mittel zum Zweck; und nicht so bitterernst gemeint (können Sie mir glauben, ich kenne den Mann), wie Sie es vielleicht jetzt genommen haben. Denn daß Rechtschreibfehler keine Frage der Ehre sind, das wußte auch von mir zitierter Pater.
Betrachten Sie seine Worte als Methode, jemanden zur Sorgfalt zu erziehen.
Wenn Sie, Pt, ein liberaler Mensch sind, dann lassen Sie jemandem seine Erziehungsmethoden. Seien Sie versichert: sie haben sich gut bewährt.

Die Diskussion darüber, was ein Fehler ist und was nicht, sollte nicht in zu vielen Spitzfindigkeiten münden. Letztendlich ist es natürlich Sache der Konvention, im moralischen Sinne wie auch im orthographischen. Und Konventionen als solche sind ein wenig problematisch geworden, seitdem die Gesellschaft zu Gesellschaften geworden ist. Hat ja alles was für sich, aber ich für meinen Teil möchte schon in einigen Bereichen lieber auf festem Boden stehen, sonst schwankt man eben zu oft. Hundertausende von Schulkindern können hinsichtlich des schriftlichen Sprachgebrauches aber nur noch taumeln. Und dann finde ich, sollte man schon von "konventionalisierten Maßstäben" reden können, an denen "man" sich ausrichten sollte.
Mit einer RSR geht das aber nicht, darüber sind wir uns ja einig, Pt. Oder irre ich mich da jetzt?


 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.09.2007 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10060

Vielleicht ist die Rechtschreibkatastrophe eine Spätfolge der von Georg Picht 1964 beschriebenen "Bildungskatastrophe", von der möglicherweise einige der Verantwortlichen betroffen wurden, über deren fachliche Unbildung wir hier rätseln.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 01.09.2007 um 17.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=882#10061

Lieber Pt,
Sie haben mich mißverstanden, wenn Sie schreiben:
"Das dies nicht möglich ist, wenn man von der Herrschaft als einer allumfassenden, totalen ausgeht, ist unstrittig. Wenn man sich aber mit weniger begnügt, dann, denke ich, ist das schon möglich und wird auch praktiziert, Stichworte sind Sprachplanung (z.B. die Schaffung einer Hochsprache aus den Dialekten einer Sprache, siehe das Baskische) und Sprachpflege.

Zu der Feststellung von Frau Pfeiffer-Stolz
"''Insofern ist Sprache, wie die gesamte Schöpfung, ''unbeherrschbar''.
ist die
"Ketzerische Frage: Können Sie das beweisen?"
etwas feuilletonistisch. Anzutreten ist der Beweis der Beherrschbarkeit von Sprache als Falsifikation dieser Behauptung.

Der Name "Herrschaft" meint das, was er sagt. Der Einfluß der sog. Sprachpfleger ist höchst marginal (m.W. konnten bisher nur die Sprachreformer Ende des 18. Jahrhunderts einigen Schaden anrichten). Die sog. Hochsprache wurde nicht von jemandem "geschaffen", sondern verdankt sich in erster Linie der Alphabetisierung und der sozioökonomischen Notwendigkeit einer national weitgehend einheitlichen Sprache. Das Beispiel des Baskischen ist daher disparat.
Von einer Biologisierung der Sprache ("Organismus") halte ich absolut nichts und habe das im Forum schon deutlich gesagt. Die Sprache ist mir auch kein Gegenstand, sondern die konstitutive Eigenschaft des Menschen, die allein durch das Nomen zu ihrer Hypostase wird.

Den Begriff der Privatisisierung habe ich übrigens nicht im ökonomischen Sinne gebraucht. Die DB und andere scheinprivate Firmen haben mit einer Privatisierung der Sprache nichts zu tun.

"Glauben sie wirklich, daß ein 68er jemals vor etwas in Demut verfallen könnte? Das ist ein Widerspruch in sich!"
Es ist einer, aber schließlich war es ja nur die fixe Idee einer halben Handvoll von ihnen. Die diese Idee aufgegriffen und durchgesetzt haben, hätten schon wissen können, woran sie sich machen (in jedem Sinne).

Man hat Anfang des 20. Jahrhunderts dem Schriftvolk sehr spät etwas gegeben, was es brauchte: eine Vereinheitlichung unter weitestgehender Berücksichtigung des Usus. Diese Vereinheitlichung hat sich dann langsam durchgesetzt, auch weil sie die Kommunikation erleichterte. Herrschaftsausübung ist etwas anderes.

Sprache agiert nicht, denn sie ist kein Wesen.

Eine strikte Scheidung des Gegenstands der Herrschaft über Sprache von dem der Herrschaft über deren Sprecher scheint mir äußerst notwendig, damit wir wissen, wovon wir handeln.
 
 

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