zurück zur Startseite Schrift & Rede, Forschungsgruppe dt. Sprache    FDS - In eigener Sache
Diskussionsforum Archiv Bücher & Aufsätze Verschiedenes Impressum      

Theodor Icklers Sprachtagebuch

Die neuesten Kommentare


Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag

Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben


27.04.2007
 

Greuel
Verwirrendes aus der „Fackel“

Die „Fackel“ kann man jetzt im Internet lesen. Judith von Sternburg schreibt dazu in der „Frankfurter Rundschau“ u. a.:

Besser hält man sich also an die „Rechtschreibung“. Zum Beispiel beklagt ein Leser die Fehler anderer Zeitungen und fügt hinzu (1906): „Weit mehr wundert es mich, dass Sie in derselben Nummer das Wort ,Gräuel‘ verwenden, respektive, wenn Sie es nicht niederschrieben, so doch stehen ließen, da besagtes Wort ,Greuel‘ geschrieben werden muss, was jedes Wörterbuch der neuen Rechtschreibung bezeugen wird.“ Da kennt Karl Kraus aber nichts. „Und für solche Leser schreibt man!“, schreibt er: „Natürlich sind mir die Wünsche der ,neuen Rechtschreibung‘ nichts weniger als Befehle, und natürlich ist Gräuel richtiger als Greuel. Aber dass es Menschen gibt, die wirklich glauben, dass ich gegen die (Kultur, Gesundheit, Wohlstand und Sprachschatz des Volks bedrohende) Journalistik einen orthographischen Kampf führe, ist ein Selbstmordmotiv.“ Es lohnt sich, das zweimal zu lesen. Allerdings: „Das Verlangen, dass ein Satz zweimal gelesen werde, weil erst dann Sinn und Schönheit aufgehen, gilt für anmaßend oder hirnverbrannt. So weit hat der Journalismus das Publikum gebracht.“ So gibt es kein Entrinnen. Zu schön um wahr zu sein ist aber, dass die jüngste Rechtschreibreform aus „Greuel“ wieder „Gräuel“ machte. „Er hat so oft, er hat fast immer recht behalten“, bekräftigte Hans Weigel 1980 in einem Band namens Journalisten über Journalisten. Karl Kraus unter Journalisten, das hätte ihn auch wieder geärgert.

Also noch einmal: Greuel geht auf mittelhochdeutsches griuwel zurück, die weitere Entwicklung entspricht den Lautgesetzen (frühneuhochdeutsche Diphthongierung). Die Schreibweise mit äu ist eine volksetymologische Änderung und war gelegentlich anzutreffen, aber die Rechtschreibreform maßt sich an, diese Schreibweise als einzige zuzulassen. Dadurch kommt es zu den besonders von Stefan Stirnemann dokumentierten Mißverständlichkeiten mit gräulich. Einige Zeitungen kehren zur sinnvollen Unterscheidungsschreibung zurück, aber noch nicht systematisch. Es wäre zu wünschen, daß die dpa demnächst mit den Volksetymologien aufräumt (oder sie nur als Optionen übrigläßt, womit sie wohl ebenfalls bald erledigt wären), aber die Hoffnung ist gering, weil die Agenturen schon bisher sehr schlecht beraten waren.



Diesen Beitrag drucken.

Kommentare zu »Greuel«
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben

Kommentar von "Germanist", verfaßt am 28.04.2007 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=824#8360

Die beiden unterschiedlichen ursprünglichen Wortstämme ahd. "grao", mhd. "gra" vs. mhd. "griu" bilden durch die frühneuhochdeutsche Diphthongierung noch im Duden, 14. Aufl. 1955, die Schnittmengen "grauen" 1.) grau werden, 2.) Furcht haben sowie "graulich" 1.) etwas grau, 2.) unheimlich, wobei die zweite Bedeutung aus "graulen" gebildet wurde. In späteren Dudenausgaben sind diese beiden Homonyme nicht mehr so deutlich enthalten. Die Schrachgemeinschaft hat diese Doppelbedeutungen abgestellt, indem das Vorgangsverb durch das Präfix "er-" zu "ergrauen" vom Zustandsverb "grauen" getrennt wurde und das Adjektiv "graulich" in den Farbton "gräulich" und den Zustand "greulich" getrennt wurde. Die Schnittmengen wurden zu leeren Mengen. Das war nun wirklich keine "Fehlentwicklung". Auch hier ist die "Reform" nur eine Zurückformung auf einen längst überholten Stand.
 
 

nach oben


Ihr Kommentar: Sie können diesen Beitrag kommentieren. Füllen Sie dazu die mit * versehenen Felder aus und klicken Sie auf „Kommentar eintragen“.

Sie können in Ihrem Kommentar fett und/oder kursiv schreiben: [b]Kommentar[/b] ergibt Kommentar, [i]Kommentar[/i] ergibt Kommentar. Mit der Eingabetaste („Enter“) erzwingen Sie einen Zeilenumbruch. Ein doppelter Bindestrich (- -) wird in einen Gedankenstrich (–), ein doppeltes Komma (,,) bzw. ein doppelter Akut (´´) werden in typographische Anführungszeichen („ bzw. “) umgewandelt, ferner werden >> bzw. << durch die entsprechenden französischen Anführungszeichen » bzw. « ersetzt.

Bitte beziehen Sie sich nach Möglichkeit auf die Ausgangsmeldung.
Für sonstige Diskussionen steht Ihnen unser Diskussionsforum zur Verfügung.
* Ihr Name:
E-Mail:
(Wenn Sie eine E-Mail-Adresse angeben, wird diese angezeigt, damit andere mit Ihnen Kontakt aufnehmen können.)
* Kommentar:
* Spamschutz:   Hier bitte die Zahl einhundertvierundfünfzig (in Ziffern) eintragen.
 


Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht


© 2004–2018: Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

Vorstand: Reinhard Markner, Walter Lachenmann, Jan-Martin Wagner
Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

Webhosting: ALL-INKL.COM