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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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13.06.2005
 

Orthographischer GAU am 1. August

»Nicht Häme derer, die mit ihren Warnungen nur zu Recht behielten, tut nun Not.«
Dieser Satz aus den Nürnberger Nachrichten vom 8.4.2004 soll ab 1.8.2005 als korrektes, ja einzig korrektes Deutsch gelten. Deutschland wird zum Gespött der zivilisierten Welt. Die Germanistik, Deutschdidaktik usw. schaut gleichgültig zu.



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Kommentare zu »Orthographischer GAU am 1. August«
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Kommentar von Edwin Baumgartner, verfaßt am 22.06.2005 um 14.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=135#528

Wiener Zeitung, 22. 6. 2005

Sieg der Vernunft

Die "alte Rechtschreibung" kehrt nicht wieder. Überlegungen, ob wir die "neue" überhaupt gebraucht haben (nein, haben wir nicht), sind daher fehl am Platz.

Bedarf war und ist freilich an einer behutsamen Reform der neuen Rechtschreibung � und zwar überall dort, wo die Lesbarkeit erschwert und der Wortsinn sich im Buchstabenbild entstellt widerspiegelte. Die Schreibungen "Eis laufen" und "Brust schwimmen" waren Paradebeispiele für echte Wort- Miss geburten.

Es gab auch Kuriosa wie "Leid tun". Denn Leid tun kann einem schon jemand, dem Leid getan wurde. Er könnte zum Beispiel Rache nehmen und Leid mit Leid vergelten. Aber der wahrscheinlichste Zusammenhang ist mit dem Wort "leidtun" besser ausgedrückt.

Die größten Unstimmigkeiten der Getrenntschreibung werden somit beseitigt. In einem weiteren Durchgang sollen auch noch Ungereimtheiten der Groß- und Kleinschreibung ausgemerzt werden.

Ob die neue Rechtschreibung in ihrer reformierten Form mehr Anhänger findet, lässt sich natürlich noch nicht abschätzen. Nur eines scheint relativ sicher: Eine verbesserte Rechtschreibung ist zwar ein Fortschritt. Aber noch lange keine gute Rechtschreibung.

Edwin Baumgartner
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.06.2005 um 14.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=135#421

GAU oder kein GAU?

Der Begriff bedeutete ja ursprünglich "größter anzunehmender Unfall in einem Atomkraftwerk" und ist immer noch damit assoziiert. Man kann einwenden, daß es hier nicht um etwas so Katastrophales wie hunderttausend Tote, Millionen Verstrahlte und jahrhundertelang verseuchte Landstriche gehen wird. Aber das versteht sich von selbst, und der Begriff "GAU" wird längst für alles mögliche verwendet, z. B.: "Die Neuwahl-Initiative wurde zum GAU für den Kanzler."

Ich sehe aber noch einen weiteren Unterschied: Die Vergiftung, um die es sich bei unserem Thema handelt, kommt nicht schockartig über das Land, sondern ist ein schleichender Prozeß. So gesehen, war schon die Wiener Absichtserklärung der GAU - das auslösende Ereignis. Oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Volk um die Möglichkeit betrogen hat, die Reform auf dem Rechtsweg zu verhindern. Die schleichende Verseuchung der deutschen Schriftproduktion mit mehr Unsicherheit, mit mehr Mißverständnissen, mehr Fehlern, unnötigem Streit usw. ist also schon weit vorangeschritten. Sie ist eher mit der schleichenden atomaren Verseuchung zu vergleichen, die von einem Atomkraftwerk im Normalzustand ausgeht.

Im Gegensatz zu radioaktiven Strahlen sind die permanente Verkomplizierung des Schreibens und die anderen Nachteile der Reform aber sehr wohl spürbar. Nicht besonders intensiv bei jedem betroffenen Schreib- oder Lesevorgang, aber in der Summe kommt da bei Millionen sensiblen und nachdenklichen Mitmenschen schon ein gewaltiger Ärger zusammen - je länger, je mehr. Die Festschreibung der Reform zum 1. August wäre "nur" so etwas wie die Errichtung eines weiteren, besonders großen Atomkraftwerks. Einen GAU - einen plötzlichen Unfall mit gigantischen Sofortschäden - wird es nicht geben, aber die öffentliche Empörung wird weiter zunehmen. Und irgendwann kommt der Ausstieg. Je nachdem, wie lange insbesondere die Mehrheit der Journalisten sich das Schauspiel noch achselzuckend anschauen. Je nachdem, wie lange es sich einige von ihnen noch leisten, gar die Fortschrittlichkeit und Unbesiegbarkeit der neuen Schreibtechnologie zu rühmen.
 
 

Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 13.06.2005 um 12.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=135#415

Hm ... – Die Devise der Neuregelung heißt ja: „Sprachgefühl ausschalten, formales Regelwerk beachten und dann schreiben“. Wenn man diesen Grundsatz beachtet, wird man wahrscheinlich nichts Schlimmes im obigen Beispielsatz entdecken.

Ein schönes Beispiel ist auch das folgende: „Ich habe das Schloss des Öfteren besichtigt.“ Ich frage mich da eben, wer eigentlich „der Öftere“ sein soll. Man sieht, es kommt offenbar nicht darauf an, ob ein Wort einen substantivischen Charakter hat, ob es als Hauptwort empfunden wird, sondern das Signalwort „des“ gibt den Ausschlag. Wieder geht es um eine rein formale Regelung, die vermutlich gerade von Lehrern ganz gern gesehen wird, weil sich formale Kriterien im Unterricht leicht besprechen und in Merksätze fassen lassen.

Ob den Schülern damit wirklich gedient ist, ist eine ganz andere Frage ...
 
 

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