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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.11.2005
 

not
Oder doch Not?

Bisher sind nicht einmal die einfachsten Irrtümer der Reformer richtiggestellt worden. »Den „Adorno-Schock“ nennen Musikschullehrer gern das Phänomen. Der deutsche Philosoph hat nämlich nach dem Krieg den Satz geprägt: 'Nirgends steht geschrieben, dass Singen Not sei'. Und damit verschwand es ...« (WAZ 05.03.04)
Singen kann auch Not sein, zum Beispiel bei den Hühnern der Witwe Bolte, deren Hals lang und länger und deren Gesang infolgedessen bang und bänger wird. In Wirklichkeit hatte Adorno auf der 5. Arbeitstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt 1952 gesagt: „Nirgends steht geschrieben, daß Singen not sei. Zu fragen ist, was gesungen wird, wie und in welchem Ambiente.“
Die Dudenredaktion fälscht den Befund:
DUW *N. tun/sein, werden (geh. veraltend, noch landsch.; nötig, vonnöten sein, werden): Hilfe tut N.; das tut doch nicht N.! (das brauchst du nicht zu tun!, das muss nicht sein!); jmdm. N. tun (veraltend; für jmdn. nötig sein): ihm tut Beistand N. (Duden, Deutsches Universalwörterbuch 2001)

Die früheren Auflagen wußten noch, daß desubstantiviertes not ein Synonym von nötig ist, das prädikativ und adverbial gebraucht wird: not sein, not tun. Die ursprüngliche Genitivkonstruktion wurde umgedeutet: es ist Not ('dessen ist Mangel') > es ist not.
Der Eintrag im DUW macht 1000 Jahre Sprachentwicklung rückgängig. Schon im Mittelhochdeutschen wurde das Adjektiv kompariert: im nie des orses nœter wart (Wolfram, Willeh. 42, 23 var.)
Deutsches Wörterbuch:
„noth wird adjectivisch verwendet in festen formeln, in denen es immer artikellos steht, was wol zunächst und zwar schon im mhd. nach analogie von leit sîn, leit tuon u. a. zur adjectivischen behandlung desselben geführt hat, wozu im nhd. noch andere gründe kommen.“


Hier noch ein Hinweis: Weil ich gerade aus dem Grimm zitiert habe: Bei Ebay gibt es ständig Angebote des Digitalen Grimm. Der Preis pflegt zwar gegen Ende, wie üblich, noch erheblich zu steigen, aber trotzdem ist es sehr günstig, sich diese Scheiben zuzulegen und komplett auf die Festplatte zu kopieren. Auf dem PC kann man dann höchst bequem alles mögliche abfragen oder einfach ein bißchen schmökern. Die Buchfassung (dtv) habe ich zwar auch im Regal (1,20 m), benutze sie aber kaum noch. Höchstens um mal einen Tippfehler festzustellen, der den beiden Teams von Chinesinnen unterlaufen ist, als sie das von Kurt Gärtner verdienstvollerweise betriebene Projekt verwirklichten ...



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Kommentare zu »not«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2019 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#41973

Wolfgang Prinz: „Neue Ideen tun Not“. Gehirn und Geist 6/2004, 34-35

Das war vor der Revision, aber man wundert sich doch über die Willfährigkeit deutscher Zeitungsmenschen.

Wie aus dem Haupteintrag ersichtlich, bestimmt das Deutsche Wörterbuch die Wortart aus historischer Sicht. Einmal feminines Substantiv - immer feminines Substantiv, auch wenn die "adjektivische Verwendung" (und morphologisch der Komparativ: nöter, ebd.) dagegen spricht. Die Weigerung, einen Wortartwechsel anzuerkennen, wird aber nicht durchgehalten und wirkt ja auch irgendwann absurd.

Die Reformer sind an solchen Fragen zuerst gescheitert und haben sich dann mit der Verlegenheitslösung der Zusammenschreibung nottun aus der Affäre gezogen. Der Rechtschreibrat treibt seit 15 Jahren Allotria und beschäftigt sich nicht mehr mit den liegengelassenen Problemen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2017 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#34609

Was jetzt Not tut? Die feste Entschlossenheit, der türkischen Führung die Grenzen aufzuzeigen. (Tagesspiegel 28.2.17)

Vielleicht scheut man die Schreibweise nottut?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2014 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#27066

Was in der Ukraine Not tut - das weiß BHL und teilt es in der FAZ mit. Er berichtet über einen Vortrag, den er in Wien gehalten hat, auch über das Erstaunen, das er damit auslöste. Er sei kein Wirtschaftswissenschaftler, aber das hindert ihn nicht, Vorschläge zu machen, wenn sie Not tun.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2014 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#25857

Dass Indien den Wechsel vollzieht, tut mehr als Not. (FAZ 17.5.14)

Diese Großschreibung war eine Glanznummer der Reform von 1996. Die Reformer haben sie zwar aufgegeben, aber - soweit ich weiß - niemals einen Grund dafür angegeben oder gar einen Irrtum eingestanden. Die FAZ verwendet sie immer noch, und zwar in Eigentexten wie diesem Kommentar. Diktatwettbewerbe kann man damit nicht mehr bestehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2013 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#24427

Die Not ist groß – das kann man sich ganz einfach merken, also:

Harte Regeln tun Not (FAZ 20.11.13, Überschrift und Text)
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 06.11.2005 um 12.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#1422

Trotzreaktion? Frei nach dem Motto: Ihr habt uns die Kleinschreibung nicht umsetzen lassen, also drehen wir den Spieß um! Großschreibung bis Euch schlecht wird! Ich hatte diesen Eintrag aus dem Wörterverzeichnis 2004 schon einmal an anderer Stelle zitiert:

probieren; das Probieren § 57(2); Probieren/probieren geht über Studieren/studieren § 57 E3

Im 1996er Wörterverzeichnis war dieser zynische Eintrag noch nicht vorhanden. Dokumentiert er wirklich nur eine "infantile Geisteshaltung", wie Kratzbaum sagt, oder steckt dahinter mehr?
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 06.11.2005 um 11.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#1420

Ist es auch Wahnsinn...

Auf keinem anderen Teilgebiet, ausgenommen vielleicht noch die Silbentrennung, scheint mir das Gewaltsame, Gewalttätige der Reform und ihrer Urheber deutlicher zutage zu treten als auf dem der vermehrten Großschreibung. Bei der Zusammen- und Getrenntschreibung kann man mit guten Gründen von einer Zone des Übergangs und des Unfesten sprechen. Die albernen gräulichen, sich schnäuzenden Gämsen können wir einfach als Spinnerei eines linguistischen Possenreißers abtun. Hingegen die Großschreibung als einzigartiges Merkmal und nicht genug zu rühmender Vorteil für den Leser verträgt eine Beschädigung ganz besonders schlecht. Man mag es einfach nicht glauben, daß die Refomer tatsächlich in dem Beispiel "Hilfe tut Not" das Substantiv "Not" wiederfinden. Was aber dann? Sollte durch die absurde Großschreiberei nicht doch eine Zwangslage geschaffen werden, aus der nur der Ausweg "gemäßigter" Kleinschreibung bliebe? Prof. Ickler vermutet es an einer Stelle seiner Schriften. Oder ist es nur eine Trotzreaktion: Wenn ihr uns schon die Kleinschreibung nicht erlaubt, dann ärgern wir euch mit Großschreibung auf Deubel komm raus. – Bei der infantilen Geisteshaltung, die die Reform auch sonst verrät, wäre auch das denkbar.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.11.2005 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=280#1416

Professor Ickler muß vielleicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Groß-/Kleinschreibung zu den unstrittigen Teilen der neuen Rechtschreibung gehört. Demnach ist es seine Pflicht, die Großschreibung (Singen) ist Not als verbindlich anzuerkennen. Historische Betrachtungen spielen da keine Rolle. Wir sind keine Zeitgenossen von Jacob Grimm und 1000 Jahre Vergangenheit sollte man hinter sich lassen können.

Rechtschreibung ist als allgemein verbindlicher Konsens Nötig, da macht auch ein Professor keine Ausnahme.

(Diese Ermahnung ist ironisch gemeint. Es gibt aber durchaus Leute, die dasselbe ernst meinen, auch und gerade im Rat für deutsche Rechtschreibung.)
 
 

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