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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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29.11.2005
 

Flucht ins Substantiv
Peter Gallmann plädiert unbeirrt für die gemäßigte Kleinschreibung – oder radikale Großschreibung

Gallmann argumentiert in seinem Beitrag Konzepte der Nominalität (1997) ungefähr so:
Es ist schwer, die Verbindung heute abend usw. grammatisch zu analysieren. Deshalb soll man sich umsehen, ob es in der Sprache ein frei vorkommendes Lexem der Form /abend/ gibt, dem sich eindeutig eine bestimmte Wortart zuordnen läßt. Dabei stößt man natürlich auf das Substantiv Abend. Per default ordnet Gallmann nun auch das fragliche Wort, das bisher in der Fügung klein geschrieben wurde, dem Lexem Abend zu. Es läuft also auf eine Petitio principii hinaus, die Identifikation mit einem Homonym.

Zur Erläuterung führt Gallmann u. a. an: der über das Essen fluchende Patient. Hier sei fluchend adjektivisch flektiert, aber dem verbalen Lexem fluchen zuzuordnen. Nun sind Lexeme und Lexemklassen Abstraktionen oder Konstrukte des Linguisten, real sind nur die Wortformen. In Konstrukte kann man keine Merkmale eintragen, die nicht aus den real vorkommenden Wortformen und ihren syntaktischen Umgebungen abgelesen sind. So auch hier: nur weil fluchend die verbale Rektion zeigt, ist es als Verbform einzuordnen. Gerade deshalb spricht man bei den Partizipien von Verbaladjektiven und eben auch von „Partizip“ (griechisch „metoche“). Sie können vom verbalen Lexem wegdriften und ein eigenständiges neues bilden: reizend, gelaunt usw.

Gallmann führt an: Wir treffen uns heute Abend. Der Abend war sehr unterhaltsam. (1997:229) Es müßte ihm auffallen, daß auf den „Abend“ des ersten Satz nicht referiert werden kann: Wir trafen uns gestern Abend. *Er zog sich sehr lange hin. Das gilt auch für ein paralleles Beispiel: Die Leute standen Schlange. Die Schlange wurde immer länger. Aber nicht: *Sie wurde immer länger oder *die immer länger wurde. Der Hinweis, daß es das Substantiv Schlange ebenfalls gibt, ist trivial und ohne Wert. Wie er die „Juxtaposition“ morgen Abend mit der gleichgebauten morgen früh abgleichen will, ist ebenfalls nicht zu erkennen.

Im gleichen Aufsatz zeigt sich, daß Gallmann neuschreibliches Pleite gehen, Leid tun usw. offenbar für korrekte Substantivgroßschreibung hält (S. 223f.). (Der ganze Aufsatz geht natürlich wie die Reform überhaupt von der „Substantivgroßschreibung“ aus, womit ein Verständnis des modernen Schreibbrauchs von vornherein verstellt ist.)



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Kommentare zu »Flucht ins Substantiv«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.09.2017 um 04.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#36283

Schulz gebe über sein Privatleben selten etwas Preis, meint FOCUS.
Diese Großschreibung entspricht der Logik der Reformer, besonders Gallmanns: Wenn die Wortart nicht klar ist, halte man sich an ein Homonym. Dieses „Preis“ kommt zwar nicht vom „Preis“, wie sie irrigerweise meinen, aber auch das „schadt nix“, wie Augst sagen würde.
(Im selben Beitrag wird Schulz eine Neigung zum "Autodikatentum" nachgesagt.)
 
 

Kommentar von Kratzbürste, verfaßt am 23.12.2005 um 23.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#2039

"test" Nr.1 Januar 2006, Seite 95: "Wenn die Gene Schuld sind"
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 01.12.2005 um 18.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1824

Lieber Kratzbaum,

die Reformer fürchteten den Spott der Allgemeinheit. Deshalb ja die Heimlichtuerei und das Vor-vollendete-Tatsachen-Stellen, das Abwürgen jeder Diskussion.

Jede Zeitung hat einen Karikaturisten, ohne dadurch unseriös zu werden. Solange sie sich nicht auf das Karikieren beschränkt.

Und selbst das Satiremagazin Titanic, das nach wie vor in normaler Rechtschreibung erscheint, hat damit eine Aussage getroffen: In staatlich verordneter verquaster Rechtschreibung kann man keine Satiren verfassen. Auch das wird verstanden. Auch von den Reformern – die ja nicht begriffsstutzig sind, sondern allenfalls übermotiviert in ihrem akademischen Eifer.

Die Ausführungen von Herrn Wrase ("Transexuell (heute zu Tran)" vs. "Transse") karikieren die Denkweise der Refomer in überzeugender und daher komischer Weise.

Wenn man die Inkonsistenz dieser Reform zeigen will, ist es durchaus ein probates Mittel, ihre "Regeln" tatsächlich anzuwenden. Strikt angewandt kommt man zu Icklers "Spängler"; etwas freier, aber dennnoch treffend, eben zur "Transse".

 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 01.12.2005 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1822

Wenn Wissenschaftler von einer Theorie überzeugt sind, ist es ihr Bestreben, durch den Durchbruch ihrer Theorie in die Geschichtsbücher Eingang zu finden; sich also unsterblich zu machen, sich zu verewigen.

An Bösartigkeit, bloßen Mutwillen o.ä. glaube ich da gar nicht.

Nur schlüssige, sachliche und auf wissenschaftlicher Basis geführte Gegenbeweise können solche Theorien entkräften. Ich hoffe nur, daß das überall möglich ist.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 01.12.2005 um 15.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1820

Daß die Korrekturen durch den Rat ausschließlich zur herkömmlichen Schreibung zurückführen, stimmt nicht. Vgl. leidtun, abhandenkommen, demnächst wohl auch pleitegehen.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 01.12.2005 um 14.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1819

Nicht verzetteln

Man kann sich anhand der bereits gefundenen Beispiele in der Presse und sonstwo beliebig weiter ausmalen, wohin die Reformschreibung führen könnte (Stichwort "Übergeneralisierung").
Das ist unterhaltsam bis geistvoll. Mit solchem karikierenden Spott wird man allerdings die Verantwortlichen wenig beeindrucken. Eher besteht die Gefahr, nicht mehr ernst genommen, ja als harmloser Spintisierer abgestempelt zu werden. Wenn wir die Reform loswerden wollen, muß die Kritik an ihr ein Mindestmaß an Ernsthaftigkeit erfüllen. Ich denke, drei Wege sind dabei erfolgversprechend:

1. Immanente Kritik. Die reformierte Schreibung ist nicht erlernbar im Sinne einer intuitiv beherrschbaren Routine. Sie führt im Gegensatz zum erklärten Ziel der Reformer zu mehr Fehlern und verführt zu unabsehbar vielen neuartigen Fehlern. Es findet keine Selbstoptimierung statt.

2. Im Vergleich zur neuen Schreibung weist die herkömmliche nur Vorzüge auf. Der beste Beweis für diese Behauptung ist die Tatsache, daß alle Änderungen, die der Rechtschreibrat beschließt, zur alten Regelung zurückführen. Tertium non datur. Es wäre doch auch denkbar, daß jenseits von alter und neuer Orthographie den Ratsmitgliedern noch bessere Lösungen einfielen.

3. Kritik an den Reformern ist nur insoweit nützlich, als sie noch aktiv sind, z.B. als Ratsmitglieder. Auch hierbei sollte auf Sachlichkeit geachtet werden, wenn es auch angesichts der führenden Figuren oft schwerfällt. Die eigentlichen Adressaten jeder Kritik sind die politisch Verantwortlichen. Die reformierte Rechtschreibung muß aus der Schule vertrieben werden, der Rest fällt dann von selbst.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 01.12.2005 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1817

> ein Stück wissenschaftliche Unsterblichkeit

Ob den Herrschaften mit folgendem Eintrag in dem – im übrigen unsäglichen – Wikipedia-Artikel über Rechtschreibung geholfen ist?

Bedeutende Personen der deutschen Orthographiegeschichte
15./16. Jh.: Niklas von Wyle, Heinrich Steinhöwel
17. Jh.: Justus Georg Schottel, Philipp von Zesen
18. Jh.: Johann Christoph Gottsched, Johann Christoph Adelung
19. Jh.: Johann Christian August Heyse, Konrad Duden, Jacob Grimm, Rudolf von Raumer
20. Jh.: Gerhard Augst, Burkhard Schaeder, Peter Gallmann, Max Mangold, Dieter Nerius, Kerstin Güthert, Horst Sitta, Klaus Heller, Christoph Stillemunkes, Eugen Wüster, Hermann Zabel
21. Jh.: Theodor Ickler

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 01.12.2005 um 13.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1816

Herr Lachenmann, da stimme ich ihnen gerne zu...

...denn letztlich bleibt uns keine andere Möglichkeit, als die saubere, wissenschaftliche und fehlerfreie Kritik an der Reform – Kritik an den Reformern (persönlich wie fachlich) kann sofort immer auch als unsachlich und subjektiv entlarvt werden.

Aber gleichzeitig muß man auch die Verlogenheit in der zugehörigen Politik sehen. Diese Verlogenheit ist jedoch keine grundsätzliche Eigenschaft der Politik, als vielmehr der Politiker – auch, wenn sich seit Thukydides' Zeiten (*) nicht viel geändert hat. Diese Politiker sind auch nur Menschen... mit Ambitionen und Plänen, Ersatzplänen und Zielen und mit der Bereitschaft, die eigenen Grundsätze für höhere (= niedere; siehe dazu Thukydides) Ziele zu opfern. Mythische Lichtgestalten, die Jesusse und Buddhas, haben in unserer Politik wahrlich nichts zu suchen.

Nun... was hat Heide Simonis dazu getrieben, das eindeutige Votum ihres Volkes zu ignorieren? Warum redet Christian Wulff mal so und mal so? Warum haben Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers die Reform "nur" vorübergehend ausgesetzt, aber nicht mehr getan (z.B. dauerhaft das Nebeneinander von "alt" und "neu" zu garantieren)? Es war sicherlich nicht die Angst vor dem Wahlvolk – denn einmal gewählte Poltiker wird man nicht wieder los... sie tauchen in einem "cycle of reanimation" immer wieder auf (erst in Talkshows, dann auf den Parteilisten ganz unten und schließlich als "wiedergeborene" Direktkandidaten).


Nun, zumindest Frau Simonis hat ja ihre gerechte Strafe erhalten... nur, daß die "betrogene ..." jetzt einen sehr sehr sehr gut dotierten Posten bei der UNO hat und für sie in jeder deutschen Talkshow ein bequemer Sessel warmgehalten wird, von dem aus sie sich über die Ungerechtigkeit der Welt auslassen kann (dabei redet sie mehr über sich, als über die 1,5 Milliarden Kinder, für sie neuerdings verantwortlich ist).


Kann man also aus Blindheit (für die man nichts kann) etwas so wertvolles wie die Rechtschreibung zerstören? Sicherlich... aber viel einfacher ist es, dieses mit Ambitionen (für die man selbst verantwortlich ist) zu erklären – als Physiker wird man gelehrt, immer das Einfache vor dem Komplizierten zu vermuten. Worin genau die Ambitionen bestehen... das kann ich bei den Politikern und Verbändlern nun nicht sagen.
Eines ist aber gewiß. Die "alte" Rechtschreibung war untrennbar mit dem Namen Duden verknüpft... und ich liege bestimmt nicht falsch, wenn die Väter der neuen Rechtschreibung für sich auch ein Stück wissenschaftliche Unsterblichkeit gesucht haben. Auch, wenn viele von ihnen inzwischen von ihren Kindern (den Mißgeburten, denn eine Missgeburt wäre in Denglisch ja wohl ein Mädchen ;-) nichts mehr wissen wollen, und diese lieber der Obhut der staatlichen Fürsorge (will sagen: der KMK) überlassen.

----
(*) Ein Blick in die "Historien" (III 82; 4–7) von Thukydides bringt einem schrecklichschöne Einblicke in die Vergangenheit und die Gegenwart! Sechsundzwanzig Jahrhunderte – und nichts hat sich geändert.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 01.12.2005 um 12.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1815

Wie wäre es mit folgender Version?

DIE (wer auch immer) sind weder unwissende Vergebungsbedürftige vom Kaliber derer, die Christus ans Kreuz geschlagen haben, noch Menschenhasser und Sadisten, die den Untergang der abendländischen Kultur im Schilde führen. Sondern bei näherem Hinsehen – fast – Menschen wie du und ich. Jedenfalls nicht mit absoluter Sicherheit weniger ehrenwerte.

Sie sitzen nur im falschen Dampfer, wissen es nicht oder nicht genau oder es ist ihnen egal oder sie haben einfach andere Überzeugungen und Motivationen als die Reformgegner.

Was nützt es, sie auf charakterliche Defizite hin unter die Lupe zu nehmen und das, was man gefunden zu haben glaubt, an den Pranger zu stellen? Das riecht nach Irrtum, Un- bzw. Selbstgerechtigkeit und hilft in der Sache nicht weiter.

Viel überzeugender ist doch die Kritik am mißglückten Reformwerk selbst und auch viel ergiebiger.

(cf. Matthäus 7,1)

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 01.12.2005 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1814

Die große Frage beim Milgram Experiment ist doch, ob die Täter-Probanden nicht sogar gerne Täter waren – in jedem Mensch steckt schließlich auch ein kleiner Sadist (so, wie in jedem Menschen alles an Möglichkeiten steckt – zum Guten oder zum Bösen). Die Psychologen sehen so etwas, glaube ich, immer durch eine rosa Brille... "Der Mensch ist gut... die Kindheit hat es verbockt... der Proband mußte sich dem Druck beugen! Blabla".

Und in diesem Sinne sehe ich auch die "Mitläufer" im Rat, in den Ministerien und in den Verbänden als kleine Sadisten... Pseudozitat: "Ich habe den Deutschunterricht immer gehaßt... jetzt bin ich Staatssekretär/Verbandsfunktionär/Germanist/Jurist und kann denen mal zeigen, daß ich deren Fachgebiet kontrolliere. Und wenn ich mit denen fertig bin, dann..."

Ich sehe die Rechtschreibung und das Drumherum eher mit dem Blick eines Liebhabers... so wie es auch Kunstliebhaber gibt, die selbst nicht in der Lage sind ein gescheites Bild zu malen, die Schönheit des Ganzen aber erkennen können.

Und ich unterstelle den Menschen lieber Böses als Dummheit. Gegen Dummheit kann man sich nämlich nicht schützen... gegen Boshaftigkeit schon.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 01.12.2005 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1813

Ich bin für: Sie wissen nicht genau, was sie tun. Sie wollen es auch nicht genau wissen. Es ist ihnen gleichgültig. Eventuelle Zweifel werden mit ein paar Propagandaformeln niedergemacht.

Mich erinnert die "Arbeit" des Rates, aber auch überhaupt die ganze Rechtschreibreform an das berühmte Milgram-Experiment. Es wurde bewiesen, daß ganz normale Menschen unglaublichen Scheiß machen können, wenn sie in einem institutionellen Rahmen dazu aufgefordert werden, in dem sie nur als Rädchen dienen und den Anweisungen einer Autorität Folge leisten sollen. Es ist ihnen dann egal, wenn sie anderen einen Schaden zufügen. Der Rat ist in einen solchen Rahmen eingebunden und fürchtet die Autorität der Kultusminister. Die Mitglieder wissen, was sie in deren Sinne machen sollen, und das machen sie. Es ist Müll, aber sie können nichts dafür. Sie tun ja nur, was sie meinen, daß sie tun sollen.

Vergleiche: de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment

Man kann vieles wörtlich oder fast wörtlich auf die Rechtschreibreform übertragen. Was hören diejenigen, die nicht mehr mitspielen wollen? Ich zitiere:

Satz 1: „Bitte, fahren Sie fort!“ Oder: „Bitte machen Sie weiter!“
Satz 2: „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!“
Satz 3: „Sie müssen unbedingt weitermachen!“
Satz 4: „Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!“

Im anschließenden Zitat habe ich nur wenige Wörter angepaßt:

Es gibt noch zwei weitere Standardsätze: Wenn man fragte, ob die Gesellschaft nicht einen permanenten Schaden davontragen könnte, sagten die Kultusminister: „Auch wenn die Reform unangenehm ist, die Kommunikation wird keinen dauerhaften Schaden davontragen, also machen Sie bitte weiter!“ Auf die Aussage, man wolle nicht weitermachen, wurde standardmäßig geantwortet: „Ob es den Betroffenen gefällt oder nicht, wir müssen weitermachen, bis sie alle Wörter korrekt gelernt haben. Also bitte machen Sie weiter!“

Das Milgram-Exeperiment beweist, was man aus jedem Krieg sowieso schon lernen kann. Neu daran war, daß dasselbe auch für zivile Situationen nachgewiesen wurde.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 01.12.2005 um 10.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1812

Buchenstock: "Sie wissen, was sie tun. Und sie tun es mit ingrimmigen Haß!"
Nun möchte man dies angesichts der hanebüchenen Sturheit, mit der die Reform durchgeboxt werden soll, manchmal wirklich denken. Aber stimmt das so?
Reformer und Politiker haben in der Tat Freude am Herrschen, und dank unserer wohlfahrtsstaatlichen Subventionierung überflüssiger oder gar schädlicher Dienstleistungen - als solche kann auch die sog. Rechtschreibreform begriffen werden - sind sie in der glücklichen Lage, ihre abstrusen „Reformideen“ zu realisieren. Das ist das eine.

Das andere aber ist, daß diese Leute einfach nicht zu begreifen scheinen, welchen nachhaltigen Schaden sie der Gesellschaft damit zufügen. Und daß sie selbst mit im Boot sitzen. Sie fügen auch sich selbst den Schaden zu, den sie der Allgemeinheit verordnen, hier setzt schon eine gewisse Realitätsblindheit ein. Der geistige Horizont unserer staatlich subventionierten Wohlstandsintellektuellen hat im Bezug auf gewisse praktische Erkenntnissegmente einen Schrumpfradius. Hauptursache: sie müssen keine Verantwortung für ihr Handeln tragen. Der mögliche kleine Nutzen wird individualisiert, der meist viel größere Schaden kollektiviert. Dieses Verhalten hat gute Tradition in Ost, aber auch in West. Wo der Nutzen einseitig auf die Machthaber verteilt wird, während den Schaden die Allgemeinheit bezahlt, verkommt auf Dauer jedes Gemeinwesen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich bei der Kollektivierung um Wirtschafts- oder abstrakte Kulturgüter wie die Sprache handelt. So lange niemand Verantwortung zu übernehmen bereit ist, kommt es zu Verfallserscheinungen.

Auch das ein Appell an die Presse!
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 30.11.2005 um 09.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1796


Das Selbstverständliche und unsere Blindheit

Was uns selbstverständlich erscheint, halten wir für unzerstörbar. Darin liegt eine große Gefahr. Ohne zu wissen, was wir tun, können wir das Selbstverständliche nachlässig behandeln oder gar für überflüssig halten. „Reformen“ sind in allen Lebensbereichen möglich, und meist sind sie nichts anderes als Experimente mit ungewissem Ausgang. Daß der Mensch nur als experimentierendes Wesen Fortschritte erzielen kann, ist klar. Daß er dabei etwas riskieren muß, unumgänglich. Daß es deshalb immer wieder experimentierende Menschen gibt, die aus Unkenntnis der tieferen Zusammenhänge Fundamente beschädigen, zeigt die Geschichte. Die sogenannte Rechtschreibreform ist dafür geradezu ein Prototyp.

Ludwig Wittgenstein hat gesagt:

„Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. (Man kann es nicht bemerken – weil man es immer vor Augen hat.) Die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung fallen dem Menschen gar nicht auf.“

Dieser Gedankengang erhellt die Vorgänge um die Rechtschreibreform. Letztere ist vor allem das Ergebnis fehlender Einsicht. Das aber ist nicht alles. Denn fehlende Einsicht allein muß noch nicht zu zerstörerischem Handeln führen. Wäre das so, es gäbe das Menschengeschlecht nicht mehr. Im allgemeinen beseelt den Menschen eine intuitive Ehrfurcht vor grundlegenden Dingen. Er schreckt davor zurück, an den nicht durchschauten Fundamenten der Lebenserscheinungen zu rühren – mit gutem Grund, siehe Wittgenstein. Er ist sich also seiner Unwissenheit bewußt. Nur wo Hybris mit Anmaßung und eisernem Machtwillen (und der Möglichkeit, Macht auszuüben) gepaart ist, kann sich menschlicher Unverstand am Fundamentalen vergreifen.

Sie wissen wirklich nicht, was sie tun. Und deshalb tun sie es guten Gewissens. Wie wir heute erkennen müssen, fehlen ihnen sowohl das nötige Fachwissen wie auch – nach den Maßstäben der Ethik – grundlegend positive soziale Eigenschaften. Ich halte es für eine moralische Verpflichtung, den Widerstand gegen die Beschädigung und Zerstörung unserer Schriftkultur mit aller Kraft aufrechtzuerhalten.
 
 

Kommentar von Dirk Schmidt, verfaßt am 29.11.2005 um 22.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1792

Es ist noch viel schlimmer. Nicht nur legen nicht alle Fische Eier, sogar innerhalb einer Art ist die Fortpflanzung nicht klar geregelt. Es gibt sowohl eierlegende als auch lebendgebärende Haie. Drecksviecher, verdammte! Sofort reformieren! Herr Gallmann, an die Harpune.

Sollte 'Art' hier der falsche Begriff sein, entschuldige ich mich schon im voraus. Oder sollte ich lieber eine Reform fordern?
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 29.11.2005 um 18.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1789

Weil die widerspenstige Sprache sich erdreistet, nicht in Modelle hineinzupassen, wird sie eben jetzt hineingeregelt.
Herr Künzer, lassen Sie uns doch ihren Einwand mit den Walen aufgreifen und zu einer Schul-Biologie-Reform ausbauen: Evolution mal anders - wie sich die Organismen wehren, in die Theorie zu passen, und was moderne Fachleute dagegen unternehmen. Auf daß die Kinder die Erde besser verstehen!
Dann revolutionieren, nein: reformieren wir mal ganz schnell die Wissenschaftstheorie per se und hinterfragen dann die Tatsächlichkeiten der rational faßbaren Wirklichkeit, drehen und wenden sie, bis sie eben passen. Worein...? Ach, das wird nach ca. zehn Jahren des Streites zwischen Politikern und Kommissionen dann ohnehin egal sein.
Vielleicht gibt es ja Verlage, die unsere Ergüsse veröffentlichen und damit dann ihren Reibach machen. Und die können das ganze dann auch weiterführen.

Da fällt mir was auf: Herr Künzer, so geht's ja nu nicht! Nicht alle Fische legen Eier! Aber wir sollten die Wale endlich dazu bringen, ihren Sauerstoff anständig aus dem Wasser zu filtern!
...
Reformen machen durchaus Spaß!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2005 um 17.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1785

Vielen Dank, lieber Herr Metes, für diesen interessanten Hinweis! Als Nichtfernsehteilnehmer, der gleichwohl ab 2007 Fernsehgebühren zahlen soll, weil er das Internet nutzt, konnte ich so etwas natürlich nicht bemerken.
 
 

Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 29.11.2005 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1782

Das DWB hält morgen in diesen Fügungen für den Dativ des Substantivs, hat aber keinen Beleg für die unverkürzte Form Morgene. Für am Abende gibt es natürlich historische Belege zuhauf. Nicht hingegen für gestern Abende.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 29.11.2005 um 16.36 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1780

Also kurz gesagt, wir sollen eine gewisse Auswahl von Adverbien groß schreiben, weil sonst die Lexemklassen der Linguistiker durcheinandergeraten. Nach demselben Prinzip könnte man auch Wale zwingen, Eier zu legen (Wasser -> Fisch -> Eier).

 
 

Kommentar von Jörg Metes, verfaßt am 29.11.2005 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=303#1779

Seit nunmehr sieben Jahren sind die Wetterkarten der ARD-Tagesthemen beschriftet mit morgen früh, aber morgen Vormittag, morgen Nachmittag etc.
 
 

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