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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.05.2007
 

Der Geist weht, wo er will
Bei der Süddeutschen sucht er besonders Willi Winkler heim

Gestern berichtete er von "proturbierenden Bäuchen". Ich habe meine letzten Bildungsreserven mobilisiert, um herauszufinden, ob mir vielleicht eine Pointe entgangen ist.
Es wird aber wohl so sein, daß dem anglophilen Autor ein "protrude" in die Tasten fließen wollte, dann aber die Masturbation dazwischenkam, so daß wir nun eine neue Wortmischung zu bewundern haben.

Im Feuilleton wird allerorten die Aufhebung der Buchpreisbindung in der Schweiz beklagt, während das Wirtschaftsressort zufrieden ist. Diese Kluft klafft seit Jahrzehnten. Der Börsenverein ereifert sich auch wieder, während er gegen die Rechtschreibreform nichts einzuwenden hatte. Das Gerede von der "Kultur" entlarvt sich immer wieder selbst als Heuchelei. Wenn der Staat die Buchwirtschaft subventionieren will, soll er es offen sagen. Verlage machen mit Büchern Geschäfte, und die Konzentration geht immer weiter, so daß wir z. B. in Erlangen praktisch nur noch eine einzige Buchhandlung haben, Thalia (Douglas-Konzern) mit diversen Filialen. (Es gibt noch ein paar kleine, ich weiß, aber nicht mehr lange.)



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Kommentare zu »Der Geist weht, wo er will«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.04.2015 um 07.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#28593

Hugendubel schließt seine riesige Verkaufsstelle am Marienplatz und will in Zukunft auch keine Gummistiefel mehr anbieten.

In der FAZ (10.4.15) polemisiert der Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler gegen Amazon und stellt aufs neue ein Gegenmodell des Buchvertriebs vor, das mir nicht ganz klar geworden ist. Er schreibt auch:
„Am krassesten ist die Entscheidung des Großhändlers Libri zu bewerten, den Kunden direkt zu beliefern und die Gewinne einfach einzustreichen.“

Wenn ein Großhändler die Kunden direkt beliefert, ist er kein Großhändler mehr, sondern sein eigener Einzelhändler. Daß Unternehmen den Gewinn "einstreichen", kommt mir auch bekannt vor, aber warum "einfach" – als ob es vorwerfbar wäre?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2015 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#28346

Die wirklichen Universitätsbuchhandlungen aus meiner Marburger Studentenzeit hatte ich ja schon gelobt. Allein die Erinnerung, daß z. B. die Oxford Classical Texts jederzeit fast vollständig im Regal standen! Schäbige, aber für mich interessante Bände aus Indien wurden ausfindig gemacht und besorgt, und wenn es ein halbes Jahr dauerte!
Mich stößt es schon ab, wenn hier die aktuellen Bestseller (Eintagsfliegen) zehnfach nebeneinanderliegen wie eine Art Wandbelag. Das Prinzip stammt aus den Supermärkten: Waschpulverpackungen, Kinderschokolade...
Es gibt auch noch inhabergeführte (liebhabergeführte) Buchhandlungen, aber die sind so klein, daß man sich kaum darin umdrehen, geschweige denn umsehen kann.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.03.2015 um 20.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#28345

Knesebeck 11. Ja, gibt's noch.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 19.03.2015 um 20.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#28344

Ist eben keine "richtige" Buchhandlung.
Ich erinnere mich noch aus alten Tagen an eine nicht-filialistische, aber ähnlich blöde Buchhandlung, die in Lichterfelde aufgemacht hatte. Beim Betreten merkte ich gleich: es fehlt etwas! Wo sind die Bücher? Viel leerer Raum und einige Büchertische. Und eine Fachverkäuferin, die ähnlich unfähig war, einen Titel zu finden. Nachdem der Chef gerufen werden mußte und der mit einiger Mühe Gregor von Tours: Historia regum Francorum im Computer ausfindig gemacht hatte, wollte er auch noch eine Anzahlung usw. Daraufhin bin zu einer richtigen Buchhandlung gegangen – Knesebeck 17 (Gibt's die noch?) Sofort das echte Buchgefühl: Bücher, Bücher überall, die sich auf fast jedem freien Platz stapeln. Die gleiche Frage an den Buchhändler. Sofortige Antwort: Habe ich nicht hier. Er greift zum VLB, schlägt nach – G, Gre... Gregor... nach zwei oder drei Sekunden die Auskunft: kostet soundsoviel, muß ich direkt beim Verlag bestellen, dauert ein paar Tage. Soll ich's bestellen? Da habe ich natürlich gekauft.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2015 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#28341

Nach längerer Zeit heute morgen mal wieder bei "Thalia" gewesen, weil ich ein Computerbuch sofort brauchte. Immerhin haben sie die größte Abteilung, im weitläufigen dritten Stock mit den Fachbüchern. Personal war zunächst nicht zu entdecken, Kundschaft auch nicht. Nur vor einem Regal mit Sprachlehrwerken übte sich eine jüngere Frau in der unternehmenseigenen Mimikry: Um niemanden bedienen zu müssen, tat sie so, als sei sie selbst eine Kundin. (Ladenpersonal sollte eine einheitliche Dienstkleidung tragen.) Ich faßte mir ein Herz und sprach die Fremde an, und tatsächlich war sie es! Nur weil ich die bibliographischen Angaben genau im Kopf hatte, war sie in der Lage, im Computer des gesuchte Werk zu finden. Es müsse im Regal stehen, sagte sie und begann zu suchen. Das hätte bei ca. 150 m Computerbüchern lange dauern können, denn sie hatte die Systematik der durchaus beschrifteten Aufstellung noch nicht bemerkt, konnte auch mit exotischen Abürzungen wie HTML oder CSS nichts anfangen. Ich sah ihr eine Weile zu, um sie nicht zu beschämen, dann ging ich absichtlich unentschlossen zum CSS-Regal und nahm den schon längst erspähten Band heraus. Ich ging zur 50m weit entfernten Kasse und spürte den angewiderten Blick der selbsternannten Buchhändlerin im Nacken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.11.2014 um 07.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#27465

Der Buchhandel und das PEN-Zentrum versuchen es mit einer Aktion Lieblingsbuch, suchen Autoren, die ihre Bücher signieren sollen, damit sie in der Buchhandlung und nirgendwo sonst verkauft werden können. Das ist recht putzig. An der Unterschriftenaktion gegen Amazon habe ich mich natürlich nicht beteiligt. Wie kann man für einen "fairen Buchhandel" werben - unter den Bedingungen eines Kartells (Buchpreisbindung)? Die stets genannte "Buchhandlung meines Vertrauens" ist Amazon. Soll ich etwa zu Thalia oder Hugendubel gehen? Warum sollte ich mich für diese Unternehmen einspannen lassen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2014 um 09.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26826

Das Börsenblatt berichtet mit Genugtuung von einem Aufkleber der Buchhandlung Proust in Essen: "Nicht bei Amazon gekauft!" Ein Leser fühlt sich geschmackloserweise an schlimme Zeiten erinnert: "Kauft nicht beim..."

"Der sonnengelbe Aufkleber soll signalisieren, dass der Buchkäufer nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Stadt etwas Gutes tut. "

Man könnte sich manches vorstellen: "Nicht bei Thalia gekauft!" Und warum nur auf Bücher? Handys, Kaffeemaschinen, Schuhe... Wir tun doch so gern etwas Gutes, für die Stadt und für Deutschland!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2014 um 04.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26634

„Buchhandel und Kulturministerin gemeinsam rufen jetzt das Kartellamt gegen Amazon zu Hilfe. Ein origineller Einfall, weil die Branche selbst ihre Kartellmacht – die Buchpreisbindung – nie aus der Hand geben würde.“ (Rainer Hank, FAS 31.8.14)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2014 um 06.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26627

Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters polemisiert gegen Amazon und will sogar das Kartellrecht ändern (woraus natürlich nichts wird). In diesem Zusammenhang lobt sie ein Preisgeld von 1 Million aus, um kleinere Buchhandlungen mit jeweils 7000 bis 10000 Euro zu unterstützen. Hubert Spiegel findet das in der FAZ richtig, damit die eine oder andere Buchhandlung „ein kleines Lesungsprogramm durchführen oder anstehende Renovierungsarbeiten in Angriff nehmen kann.“ „Gewachsene Struktur“, „Kulturlandschaftspflege“? (Bertelsmann und die anderen Konzerne werden nicht erwähnt.) Alle Leserbriefschreiber – durchweg wohl keine Bücherfeinde – sind dagegen. Natürlich findet sich für Staatsknete immer eine Verwendung, aber ist es wirklich Sache des Staates und des Steuerzahlers, den Strukturwandel im Buchgeschäft aufzuhalten? Spiegel führt die Sündenfälle bei Banken und Autoherstellern an, als rechtfertigten sie weitere staatliche Eingriffe. Er findet auch den Bestsellerfabrikanten Patterson vorbildlich wegen seiner Spende – ein Argument, das von kundigen Lesern gleich plattgemacht wird.
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Die Verlagskonzerne und Großbuchhandlungen, die Bücher selbstverständlich als die Handelsware betrachten, die sie sind, freuen sich sehr über die Idealisten, die das nicht so sehen, sondern unverdrossen für die Buchpreisbindung werben, die das Kulturgut Buch dem Markt entzieht, fast als einziges Produkt. Zusätzlich nun die direkte Subventionierung des Buchhandels, wenn auch nur symbolisch mit einer Million. Das wird sich ändern, wenn erst die Kirchensteuer in eine allgemeine Kultursteuer umgewandelt ist, analog der Rundfunkfinanzierung. Dann kann ohne weiteres eine Milliarde für den Buchhandel abgezweigt werden. Kaufen werden die Leute weiterhin bei Amazon, falls nicht Ministerin Grütters, wie sie ankündigt, das Kartellrecht ändert (Lex Amazon). An den deutschen Grenzen könnte sich ein neues Delikt Bücherschmuggel breitmachen. Im Land selbst werden leere Buchhandlungen herumstehen wie jene Brücken, die dann doch nicht zu Ende gebaut wurden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2014 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26575

Im "Spiegel" schreibt der Schriftsteller Jan Brandt:

„Trotz dieser beeindruckenden Zahlen macht Amazon jedoch Verluste. Das wird noch billigend in Kauf genommen. Expansion und Dumpingpreise funktionieren so lange, wie die Aussicht auf eine Monopolstellung erhalten bleibt, weil Amazon nach Ausschaltung der Konkurrenz die Preise beliebig anheben kann.

Doch ein schon bezähmt geglaubter Global Player der Buchbranche begehrt auf: der Verlagskonzern Hachette, der weltbekannte Autoren wie J.K. Rowling oder James Patterson im Programm hat. Deren Bücher sind bei Amazon seit Monaten entweder nicht vorbestellbar oder werden mit Verzögerung ausgeliefert. In Deutschland sind die Verlage der Bonnier-Gruppe betroffen: Ullstein, Piper, Carlsen und der Berlin Verlag.“

Der erste Absatz bezieht sich auf den Gesamtumsatz von Amazon, und da ist schwer zu erkennen, wie das Unternehmen jemals sollte die Preise beliebig anheben können? Welche denn? Es ist wohl bloß die alte Mär vom Monopol, die uns schon in der Schule beigebracht wurde und erfahrungsresistent ist. Bisher sind künstlich überhöhte Preise immer auf Absprachen zwischen marktbeherrschenden Unternehmen zurückgegangen, nicht auf Monopole (außer Staat, Staatsfernsehen und Kirche).
Im zweiten Absatz werden immerhin die "Global Player" erwähnt, denen im Augenblick die Heldenrolle zugedacht ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2014 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26574

Zum "falschen Fuffziger" (oder "Fuffzger") noch eine Beobachtung: Manche Leute setzen ja auch "fürn Appel und 'n Ei" ins Hochdeutsche um, aber es klingt genau so falsch wie der "falsche Fünfziger". Ich glaube, diese Erscheinungen sind noch nicht untersucht, ich denke auch an "Hast du etwas, so bist du etwas" usw. Wir sind im Zusammenhang der Rechtschreibreform vor langer Zeit mal auf die Frage gestoßen, ob es eine korrekte Schreibweise für Mundartliches überhaupt geben kann.

Ja, sicher, den Hunni und Fuffi gab es schon, aber inzwischen haben wir den Euro, das ist doch etwas ganz anderes ...
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 17.08.2014 um 19.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26573

Herr Virch und Herr Ludwig haben recht; die beiden jugendsprachlichen Ausdrücke sind älter als als man denkt.

Der Küpper (8 Bde, 1982 ff.) nennt 1978 als frühestes Belegdatum für Hunni ("Hunderter"). Und das heute so verbreitete geil ("hervorragend, schwungvoll, sympathisch") setzt er noch deutlich früher an, nämlich 1965!

Dieser Verwendung vorauf liegt die ab 1960 verzeichnete soldatensprachliche mit den Bedeutungen "titelsüchtig; übertrieben diensteifrig" und "draufgängerisch, mutig; kraftstrotzend". (Wobei letzteres ja dem ursprünglichen mhd. Sinn entspricht.)
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 17.08.2014 um 15.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26572

"Gab es knappe Hunnis und Fuffis übrigens nicht auch schon vor Jahrzehnten unter Studenten?" – Mir ist überhaupt aufgefallen, daß so mancher modische Schocker aus dem sich absetzenden Jugendjargon gar nicht so erfinderisch, sondern schon lange dagewesen und bestenfalls clever angewandt ist. (Vgl. "geil" von vor jetzt schon ein paar Jahrzehnten und, meine ich, auch schon auf der Bartaufwickelmaschine im Keller.) – Interessant finde ich übrigens, daß es bei diesen Geistes Kindern nur falsche Fuffziger, aber keine falschen Fünfziger gibt.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 17.08.2014 um 13.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26571

Lieber lassen sich die Leute von ihm beraten, probieren Fernseher, Musikanlagen, Musikinstrumente etc. in Ruhe aus und bestellen sie dann online beim günstigsten Anbieter. Der Fachhändler darf sich fragen, was er verschlafen hat, und der „Buchhändler des Vertrauens“ inmitten seiner literaturduftenden Kochbuchregale ist mit blumigen Appellen auch nicht zu retten. Gab es knappe Hunnis und Fuffis übrigens nicht auch schon vor Jahrzehnten unter Studenten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2014 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26570

Ja, das ist der Preis der Freiheit. Man kann niemanden daran hindern, sich ungesund zu ernähren. Ungesunde Bücher gibt es übrigens auch in den Buchhandlungen, dazu noch ungesunden Ärger, und die Preisbindung macht es nicht gerade leichter, gegen den Versandhandel zu wettern.
Bei anderen Waren, z. B. Elektronik, kommt noch der Preisunterschied ins Spiel. Soll ich einen Hunni oder Fuffi drauflegen, nur um den örtlichen Fachhändler zu retten? (Die Gossensprache habe ich von meinen Töchtern gelernt, die sind im Gegensatz zu mir Akademikerkinder.)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 17.08.2014 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26568

Der Kunde ist für gar nix verantwortlich. Er kauft einfach bloß mehrheitlich dort, wo es bequem und günstig ist, seien es Billigfleischprodukte, Bücher oder sonstwas. Eklige Massentierhaltung und erpresserische Monopolistenmethoden sind zwar nicht schön, aber der Kunde kann nichts dafür. Er bestimmt nur das Angebot.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2014 um 07.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26567

Noch eine Gedankenverbindung, die vielleicht ein wenig überrascht: Die Kirchensteuer ist ja nun ins Gerede gekommen. Aus den Statistiken geht hervor, daß das Kirchensteueraufkommen kräftig gewachsen ist, obwohl immer weniger Menschen den Kirchen angehören. Die Abkoppelung der Einnahmen von der Nachfrage erinnert manchen an die Haushaltsabgabe fürs Fernsehen. Nun, man hat vorgeschlagen, die Kirchensteuer durch eine Kultursteuer nach italienischem Vorbild zu ersetzen (so auch schon vor langer Zeit J. Ratzinger), die dann jeder zahlen müßte, wobei die Bürger selbst bestimmen können, ob ihr Geld der Kirche oder einem anderen Zweck zukommen soll. Es ist zu erwarten, daß Deutschland, bevor es die Kirchensteuer ganz abschafft, einem solchen Modell zustimmt. Wahrscheinlich geht der größte Teil des Geldes dann an einen Fonds, aus dem die Regierung großzügig ihren Segen regnen läßt und sich die Loyalität meinungsführender Gruppen erkauft. Der Geldregen könnte dann auch über die notleidenden Schriftsteller niedergehen und müßte nicht mehr kümmerlich aus systemwidrigen Kopiergebühren finanziert werden. Wetten, daß die Schriftsteller damit mehr als zufrieden wären?

Das Modell der Haushaltsabgabe herrscht schon jetzt im Bereich der Minijobs, für die der Arbeitgeber pauschal eine Einkommensteuer und Kirchensteuer zahlt, auch wenn der Jobber gar nicht kirchensteuerpflichtig ist. Sobald er wieder mehr verdient, fällt diese Steuer weg... Die "Vereinfachung" geht eben immer in dieselbe Richtung. In einigen Schweizer Kantonen zahlen Unternehmen Kirchensteuer, können auch nicht "austreten", weil sie als juristische Personen keine Gewissensgründe geltend machen können – so die offizielle Begründung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2014 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26566

Es ist ziemlich leicht, Massen von Leuten hinter einer passend formulierten Protestaktion zu versammeln, daher die vielen Unterschriftenlisten. Nützlicher wäre es, von einem der Unterzeichner eine klare Analyse der Tatsachen zu lesen und einen Vorschlag, wie es in der Buchbranche weitergehen soll. Stattdessen bringt der SPIEGEL einen überaus törichten Beitrag von Thomas Andre, auch gleich mit einem Beispiel von Doppelpunktitis:

Was bringt der Protest dann überhaupt? Er bringt: ganz schön viel. (...) Und außerdem darf man als Käufer ja auch ein wenig romantisch sein. In der guten, alten Buchhandlung riecht es förmlich nach Literatur, und man kann, eine erwiesene Tatsache, sogar in den Büchern blättern, bevor man sie kauft. Man kann sich auch vom Buchhändler des Vertrauens beraten lassen – ein unschlagbares Vergnügen (meistens) und ein klein bisschen persönlicher als die eiskalten und streberhaften Fingerzeige der Algorithmen. (...) Was weiß die Maschine denn schon von guter Literatur?

Bildunterschrift: Einfach mal wieder in den Buchladen um die Ecke gehen. Dort gibt es keine Algorithmen, aber echte Menschen.

Fast alle Leser haben andere Erfahrungen gemacht und verurteilen den Artikel als weltfremd. Wer läßt sich denn „gute Literatur“ vom Buchhändler aussuchen? Wahrscheinlich Leute, die ein „gutes Buch“ verschenken wollen. Der „Buchhändler des Vertrauens“ ist auch so eine Kitschfigur. Übrigens paßt der Vorwurf der Manipulation nicht zu den „eiskalten Algorithmen“, die bloß an schultypische Vorurteile gegen die Mathematik appellieren. Bei Amazon erfahre ich in der Regel mehr über ein Buch als bei Thalia. Nicht zuletzt kann ich mich im Internet schnell über den Verfasser mit allem Drum und Dran informieren.
Die Konzentration im Verlagswesen, die Bertelsmannherrschaft – auch im gesamten Bildungswesen – hat man klaglos hingenommen oder gar nicht bemerkt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.08.2014 um 22.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26564

Erst heute war ich wieder bei Thalia, mein sonnabendlicher Einkaufsbummel führt mich meist noch gewohnheitsmäßig durch wenigstens einen Bücherladen. Aber das, wonach ich gern stöbern möchte, finde ich nicht. Wo früher Bücher standen, stehen jetzt DVDs. Gegen Kinderbücher habe ich nichts, nur ist aus der Kinderbuchecke eine ganze Spielzeugetage geworden. Wenn ich etwas Spezielles suche, muß ich erst nachfragen. Man kann dann etwas zur Ansicht bestellen, aber da kann ich auch gleich selbst im Netz suchen und habe die benötigte Information schneller. Auch früher stand nicht jedes Buch gleich im Regal, aber doch wesentlich mehr. Die Buchhandlungen machen sich selbst kaputt, sie brauchen die Schuld nicht dem Internet zu geben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2014 um 19.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26562

Thalia steht vor dem Verkauf, ist das Sorgenkind des Konzerns, also keineswegs "erfolgreich". (Ich hatte wohl schon erwähnt, daß die "Bereinigung" der Erlanger Buchhandlungsszene bereits vor der Amazon-Herrschaft stattgefunden hat. Was Herr Markner über die stille Subventionierung sagt, trifft zu. Ich habe sagen hören, daß eine relativ neue, ziemlich große Buchhandlung hier die Hälfte ihres Umsatzes mit den Zeitschriften der UB macht.)

Das Problem ist natürlich, daß Buchhandlungen, um Kunden anzuziehen, viel vorrätig haben, also groß sein müssen, zugleich aber in guter Lage. Ich weiß nicht, wie die öden Ein-Euro-Shops in bester Lage über die Runden kommen, sie haben ja kaum Kunden, und die wenigen hinterlassen Kleckerbeträge. Vielleicht nur eine Zwischenvermietung, kaschierter Leerstand.

Ich betrete ungern Buchhandlungen, ja, das war früher anders, aber wie Herr Markner schon andeutet, ist die Gefahr des Fremdschämenmüssens zu groß.

Früher hatten Universitätsbuchhandlungen zum Beispiel Abteilungen für Latein und Griechisch, alle möglichen Textausgaben jederzeit vorrätig, auch Sprachwissenschaft. Ich wüßte gar nicht, wo ich bei Thalia danach suchen sollte. Auch die Reclam-Bändchen standen früher fast vollständig beieinander. Thalia hat ein paar davon, nicht der Rede wert. Aus den Kochbüchern könnte man den Turm von Babel nachbauen...
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.08.2014 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26561

Man könnte ja mal in eine »alteingesessene« (und das heißt in einer Universitätsstadt wie Erlangen übrigens: durch die UB-Ankäufe subventionierte) Buchhandlung gehen und sich ein Buch empfehlen lassen, das nicht in neuer Rechtschreibung gedruckt ist. Da würde man ganz bestimmt eine kompetente Auskunft bekommen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 16.08.2014 um 15.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26560

Buchhandlungen leben von der romantischen Vorstellung, daß sich dem Kunden eine neue Welt erschließt, sobald er den Laden betritt. Der Kunde soll mit dem Vorsatz kommen, ein bestimmtes Buch zu kaufen, und dann fünf andere beim Schmökern entdecken.

Das Konsumverhalten der Leute ist aber anders, ob man so weit geht wie Herr Ickler, dem das Betreten des Ladens sogar lästig ist, oder nicht. Es ist dem unternehmerischen Geschick des Buchhändlers anheim gestellt, dem Kunden ein attraktives Angebot zu machen.
Wenn der Kunde Bücher kaufen will wie Butter und Kekse im Supermarkt, sehen erfolgreiche Buchhandlungen auch so aus (Thalia und andere Ketten machen es vor). Wenn Bücher etwas Besonderes sind, das der Kunde mit Bedacht auswählt, wofür er sich Zeit nimmt und das den Menschen verzaubert, müssen sie anders präsentiert werden. Der Erfolg von Amazon, das ich nicht "Ämäsen" nenne, spricht dafür, daß zumindest die Mehrheit der Konsumenten den Buchsupermarkt bevorzugt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2014 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26558

In Erlangen entwickeln die Einzelhändler "pfiffige Ideen", um sich gegen Amazon zu behaupten. So stellt es die Presse dar. Zum Beispiel ein Lederwarengeschäft:

„Wie kann ich schneller sein als ein Versandhändler wie Amazon, aber gleichzeitig die besondere Situation der Fahrradstadt Erlangen berücksichtigen?“
So entstand die Idee des Fahrradkuriers. Für einen Aufpreis von 8,50 Euro können sich Kunden ihre bestellte Ware in Erlangen nach Hause liefern lassen. Einziger Schönheitsfehler der an sich guten Idee: Das Angebot besteht schon seit einem Jahr, wurde aber noch nie in Anspruch genommen.


So sehen hier die "an sich guten Ideen" aus.

Ich könnte mir übrigens den Buchhandel der Zukunft so vorstellen: Wie jetzt schon die Geldautomaten befinden sich entsprechende Geräte an der Straßenseite von Buchlagern. Man gibt seine Wünsche ein, navigiert auf dem Bildschirm unter Inhaltsangaben und Rezensionen wie jetzt schon bei Amazon, bestellt, bezahlt, und das Buch fällt in ein Fach, sofern es auf Lager ist. Andernfalls kann man es am nächsten Tag abholen oder per Post zuschicken lassen. Damit entfällt das lästige Betreten einer Buchhandlung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2014 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26553

In der FAZ vom 15.8.14 ist ein guter Leserbrief von Helga Kurz abgedruckt, der sich auf das Lamento über Amazon bezieht, aber den Schriftstelleraufruf noch nicht kennen konnte. Die Verfasserin meint, die Buchbranche habe die Gelegenheit verschlafen, ein modernes Vertriebssystem aufzubauen, und appelliere nun an den Kunden, der am wenigsten dafür verantwortlich ist, ihm aus der Patsche zu helfen. Frau Kurz ist gern bereit, für die Bücher und den Transport einen angemessenen Preis zu zahlen. "Ich bin aber nicht bereit, mich bevormunden zu lassen, und schätze es auch nicht, wegen Umständen, die ich nicht zu vertreten habe, geächtet zu werden. Als Kunde bin weder für die Besteuerung von Großkonzernen im In- und Ausland verantwortlich noch für tarifliche Rahmenbedingungen von Arbeitnehmern. Ich bin auch nicht für hohe Mieten in Lauflagen von Städten verantwortlich, die nicht nur den inhabergeführten Buchläden zu schaffen machen. Und vor allem bin ich als Kunde nicht dazu da, die Hausaufgaben der Buchhandelsbranche zu machen."

Usw. – all das bestärkt mich in meiner Absicht, den Schriftstelleraufruf nicht zu unterzeichnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler , verfaßt am 14.08.2014 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#26543

Auch mir ist der offene Brief zum Unterschreiben vorgelegt worden, den die deutschsprachigen Schriftstellerverbände an Amazon schicken wollen, in enger Verbindung mit dem Börsenverein und dem bereits hochgradig konzentrierten Verlagswesen. Ich unterschreibe aber nicht. Zunächst gefällt mir die Kombination aus Preisbindung und Verlagskonzentration grundsätzlich nicht.

Im Brief steht: „Amazon manipuliert Empfehlungslisten.“

Gibt es Empfehlungslisten, die nicht manipuliert sind?

Der Tagesspiegel schreibt: „Die Diversifizierung wäre Amazon nicht vorzuwerfen, wenn man dem Unternehmen sein Herz für Bücher abnehmen würde.“

Ich bestelle bei Amazon Bücher und nicht Herzen. Wie schon Adam Smith sagte ...

ZVAB gehört zu Amazon, aber bei ZVAB hat sich nichts geändert. Was Amazon selbst betrifft, so habe ich schon erwähnt, daß ich es sehr schätze, entlegene antiquarische Literatur zum Teil spottbillig für 3 Euro Porto aus Amerika zu bekommen. Wenn ich dort direkt bestelle, ist das Porto meist höher als der Preis des Buches.

Ich nehme an, daß Amazon gut verkäufliche Bücher auch gut verkauft, man will ja verdienen.

Wie die Angestellten eines Unternehmens entlohnt werden, hat mich noch nie interessiert. In Wirklichkeit wissen wir bei den allermeisten Waren nicht, was auf den einzelnen Stufen von Herstellung und Vertrieb gezahlt wird. Wissen Sie, wieviel der Koch beim Griechen verdient, und erwägen Sie, nicht mehr dort zu essen? Na also. Die Journalisten stürzen sich mal auf Hemden aus Bangladesh und mal auf Amazonpakete, das ist doch alles Unsinn.

Von den Unterzeichnern werden eine Handvoll prominente erwähnt, die meisten Namen dürfte keiner je gehört haben. Das ist kein Argument, aber wenn wir bedenken, was deutsche Schriftsteller schon alles unterschrieben haben ...
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.03.2014 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#25491

Der Hugendubel am Münchner Marienplatz hat die alteingesessenen Buchhandlungen Lindauer-Schäfer in der Kaufingerstraße und Kaiser am Marienplatz verdrängt. Nur die Geo-Buchhandlung für Landkarten konnte in der Nähe überleben. Das Beste im Marienplatz-Hugendubel ist das Café oben mit Blick auf den Marienplatz. Fachbücher aller Gebiete und Landkarten kauft man übersichtlicher und mit mehr Auswahl im Hugendubel am Stachus. Das Problem bei kleinen Buchhändlern sind Fachbücher, die ihr Großhändler nicht liefert: "Oh Gott, das müssen wir ja beim Verlag bestellen."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2014 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#25484

Zur Schließung von Hugendubel am Marienplatz werden die Münchner aufgefordert, den 2000 Quadratmetern eine Träne nachzuweinen. (Zumal jetzt die Telekom einziehen soll.)

Ein Leser der SZ schreibt: "Selbst beim Kulturgut Buch wird Geiz dank Amazon immer geiler. Wieder stirbt ein so wertvolles Münchner Unternehmen ..."

Nun, erstens sind preisgebundene Bücher auch bei Amazon nicht billiger, so daß der Geiz nicht auf seine Kosten kommt. Zweitens bietet Amazon eben noch etwas mehr, vor allem die gebrauchten Bücher und weltweite Verbindungen zu Drittanbietern, was z. B. auch aus den USA bloß 3 Euro Porto kostet.

Aber vor allem: Es waren doch Hugendubel und Thalia, die schon vor dem Internethandel die kleineren Buchhändler verdrängt und aufgesogen haben. Hier in Erlangen u. a. die Universitätsbuchhandlungen Merkel und Palm & Enke samt Filialen.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 07.08.2013 um 12.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#23861

Nicht zu vergessen Amazons Kindle.
Jemand schmökert auf wochenlanger Reise am Strand gern Krimis.
Erstaunlich, was das Ding auch bei hellem Sonnenlicht leistet.
Ein neuer Titel per Tastenklick und Abbuchung, gleich, wo man sich befindet. Keine Versandkosten und -wege, kein Papierverbrauch(!).
Ein Beispiel, das Michael Hanfeld als Leiter der Medienredaktion der FAZ entgangen ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2013 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#23859

Als Leitartikel der heutigen FAZ bringt Michael Hanfeld eine alttestamentarische Kritik an Jeff Bezos und seinem Amazon, wegen des Kaufs der Washington Post:

„Bezos ist ein Händler, der Preise drückt, ein Monopolist, der die Buchbranche vernichtet, ein Verkäufer, der in Tagesfrist die Ware zum Kunden bringt, koste es die Produzenten, was es wolle. Er beherrscht die Wertschöpfungskette, ohne selbst Werte zu schaffen. Einen Wert aber weiß er zu bedienen wie kein Zweiter: Bezos kennt die Wünsche seiner Kunden, er sagt sie sogar voraus. Wer einmal bei Amazon eingekauft hat, der weiß es.“

Lassen wir die "Post" beiseite, die ist heilig und steht über allem Kommerz, nicht wahr? Aber warum soll Amazon schlecht sein? Jeder Händler "drückt die Preise" (beim Einkauf), sonst könnte er gleich wieder dichtmachen. Amazon ist kein Monopolist, sonst könnte Hanfeld nicht anderswo einkaufen, was er anscheinend tut; Amazon ist nur oft die günstigste Einkaufsmöglichkeit. Na und? Ein Händler, der ungeheure Mengen Bücher verkauft, "vernichtet die Buchbranche"? Das ist wohl erklärungsbedürftig. Amazon liefert schnell, das ist wahr, aber ist es schlecht? Bisher war ein wesentlicher Nachteil des Versandhandels, daß er zu langsam war. Amazon schafft keine Werte? Das ist wohl nur der beschränkte Begriff von "Werten", der dem Händler im Gegensatz zum Produzenten die Existenzberechtigung abspricht. Einkaufen auf dem Bauernhof ist die Alternative. Das machen wir ja auch, aber leider ist das Angebot dort beschränkt. Die Wünsche der Kunden sind kein "Wert", den Bezos "bedient", das ist nur eine Begriffsverwirrung des wirtschaftsfremden Journalisten. Amazon-Kunden kriegen Werbung in die Mail und Vorschläge auf ihre persönliche Amazon-Seite. Das muß man aber nicht beachten, und mich stört es nicht weiter.

In anderen Teilen derselben Zeitung sieht man die Sache anders.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2012 um 13.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#20446

Früher leisteten die Buchhändler noch etwas. In Marburg haben meine Freunde und ich oft Literatur zu exotischen Sprachen aus exotischen Ländern bestellt. Die mußten zuerst in entlegenen Katalogen gefunden und dann bestellt werden. Die Lieferung konnte ein halbes Jahr dauern, und am Ende kostete das Buch vielleicht nur zwei DM, aber sie haben es besorgt.
Heute wäre das bloße Ansinnen in den Augen der Buchkettenangestellten ein Fall von Beleidigung in Tateinheit mit Körperverletzung.
Was ich heute bei Amazon bestelle, habe ich morgen auf dem Tisch. Noch reizvoller ist der verzweigte "Marketplace". Da habe ich schon unzählige sonst kaum noch (nicht einmal bei ZVAB) auffindbare Bücher bekommen, oft praktisch umsonst, nur fürs Einheitsporto – selbst aus den USA. Was ist daran schlecht?
 
 

Kommentar von Peter Küsel, verfaßt am 16.04.2012 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#20444

Man kann auch online beim Grossisten bestellen und als Abholadresse den Buchhändler seiner Wahl angeben: www.buchkatalog.de
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.04.2012 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#20442

Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich Bücher bei Amazon kaufe. Obwohl es nicht nur Bequemlichkeit ist. Neulich wollte ich einem Verwandten ein Buch über Typographie schenken, in dem die verschiedenen Schriftarten abgebildet und erläutert werden. Ich ging in den großen Hugendubel in München am Marienplatz, weil ich dem stationären Buchhandel etwas Gutes tun wollte. Die hatten ein solches Buch einfach nicht vorrätig. Bestellen und dann extra noch mal in die Stadt fahren, um das Buch abzuholen, das war mir dann doch zuviel Aufwand. Ich habe bei Amazon gekauft. Mit schlechtem Gewissen. Der Buchhandel geht kaputt, und ich kann nicht behaupten, daß ich damit nichts zu tun hätte.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2012 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#20441

In Mannheim gibt es zwei große Thalia-Buchhandlungen. An ihnen stört mich in letzter Zeit, daß sie immer mehr zu Ramschläden verkommen. Hörbücher würde ich ja noch akzeptieren. Aber nach und nach wurden immer mehr Bücher regalweise von Film-DVDs verdrängt. Außerdem gibt es Unmengen von Spielzeug, Duftkerzen, Schampoo, Küchengeräte, aller möglicher Kram, er nimmt wohl bald (gefühlt) die Hälfte der Verkaufsfläche ein. Dafür ist das Angebot an Fachbüchern geradezu lächerlich. Die Buchhändler brauchen sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Bücher online bestellt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2012 um 08.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#20438

In den Zeitungen steht, daß etliche Thalia-Läden schließen müssen, weil der Buchverkauf die hohen Mieten in besten Lagen nicht mehr trägt. Man versucht mit allerlei Schnickschnack (40 % des Umsatzes mit Non-Books) davonzukommen, aber das wird nicht lange klappen.

Ich brauche Thalia nicht, ich brauche überhaupt keine Buchhandlungen mehr. Vielleicht habe ich's schon mal berichtet: Vor einiger Zeit wollte ich was Ansehnliches von Alexander von Humboldt einem lieben Verwandten schenken, und ging erst mal zu Thalia, um mir etwas anzusehen. Mein Wunsch löste Ratlosigkeit aus. Zuerst wurde ich in die Reiseabteilung geschickt, wo tatsächlich ein Taschenbüchlein mit irgendwas Ausgewähltem stand. Dann bequemte sich eine "Buchhändlerin" nach gutem Zureden an ihren Computer, fragte mich aber vorsichtig nach der Schreibweise des Namens Humboldt, den sie offenbar noch nie gehört oder gelesen hatte. Amazon hilf! (Amazon half.)

Man sollte meinen, daß eine Buchhandlung, die das ganze riesige Gebäude des früheren Kaufhofs einnimmt, wenigstens das Wichtigste der gelben Reclamreihe vorrätig hat. Pustekuchen! Rowohlts Monographien werden überhaupt nicht gehalten, man muß jedes einzelne Bändchen bestellen.

Jahrzehntelang ist uns eingeredet worden, die Buchpreisbindung diene dem Erhalt der Buchhandlungen. Die Rabatte, von denen der Endabnehmer nichts sieht und nichts hat, haben aber die wirklichen Buchhändler ruiniert und zur beherrschenden Stellung der Ketten geführt, die nun in die verdiente Pleite segeln.
 
 

Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 05.05.2007 um 08.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8441

Aber Herr Theodor Ickler! Es gibt doch keine Buchhändler mehr, man nennt ihn neuerdings doch "Medienberater". Es wird ihm so ergehen, wie es dem Setzer erging (der wiederum ja längst zum "Mediengestalter" mutierte): er kann alles ein bißchen und nichts. Die Listen im VLB sind ja übrigens längst mit Kuriosa vollgestopft, wir nannten das noch schön mit unserem Spartendenken "Non-Books". So wird wohl der Antiquar die Rolle in Zukunft übernehmen müssen. Auch die letzten Buchhandlungen werden in den nächsten Jahren demzufolge zu "Medienkaufhäusern" hochgerüstet werden -- und die Buchhandlung um die Ecke wird wohl zum Synonym für das Antiquariat werden, Staubgeruch und Sessel wandern einfach mit.
 
 

Kommentar von "Germanist", verfaßt am 04.05.2007 um 21.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8438

lat. turbare in Unordnung bringen; proturbare forttreiben;
trudere stoßen, drängen;
dt. Protuberanz Med. stumpfe Vorsprünge an Organen und Knochen
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 04.05.2007 um 19.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8437

Ach so! Aber wenn schon, dann: protuberierend

Gemeinsam schaffen wir den Winkler! Ich bezweifle aber, daß Willi Winkler das meinte und sich dann verschrieben hat. Es schreibt ja auch niemand Proturbanzen, wenn er Protuberanzen meint. Ich glaube, Sherlock Ickler ist schon auf der richtigen Spur.
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 04.05.2007 um 19.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8435

Google weiß eine ganze Menge, man muß es allerdings zu deuten wissen.

Frontzähne protrudieren nicht, sondern sind allenfalls protrudiert oder man protrudiert sie (beispielsweise durch prolongiertes Daumenlutschen in früherer Jugend). "Protrudieren" heißt "nach vorn neigen", das Gegentum dazu wäre "retrudieren".

Im Bedarfsfall einfach mal den Kiefernorthopäden fragen; das ist bekanntlich der Mann, der dafür sorgt, daß im Wald die jungen Kiefern gerade wachsen.

"Proturbierend" dürfte richtig "protubierend" heißen. "Tuber" ist lat. "Beule, Höcker", und "hockerartig nach vorn herausstehend" dürfte einen Bierbauch ganz gut charakterisieren. Woher das r kommt? Keine Ahnung. Möglicherweise hyperkorrektes postvokales r.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 04.05.2007 um 16.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8432

Die besten Behänden vom April

Saurier stapften vor Millionen von Jahren auch durchs Ünglertstal
Diese Saurier haben sich behände auf vier Beinen fortbewegt, die meisten von ihnen waren Fleischfresser.
Rhein-Neckar-Zeitung 13.04.07

WAS MACHT EIGENTLICH ... der Trabi?
… Noch kann man sie in Treptow-Köpenick, Pankow und vereinzelt auch in Mitte und Kreuzberg sehen. Behändeschlängeln sich die winzigen DDR-Autos mit Vollplaste-Karosserie durch den Stadtverkehr und parken frech in jeder noch so kleinen Parklücke….
(taz Berlin lokal vom 10.4.2007)

Das kleine Wunder Pierre Boulez

Alles an diesem 82-jährigen Dirigenten ist bewundernswert: Wie er leichten Schrittes in den Saal huscht, wie behände er die vier Stufen auf die Bühne nimmt, ...
(WirtschaftsWoche - 4. Apr. 2007)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2007 um 15.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8430

Ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung erfreut uns heute Franziska Augstein mit der Erkenntnis, "dass manch ein Zirkushund sehr behände auf seinen Hinterläufen einherschreiten kann". - Aber wieso dann "behände"? Besser wäre doch "geläufig"!
Es ist immer wieder hübsch zu beobachten, wie die Zeitungsleute in die selbstgestellte Falle tappen.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 04.05.2007 um 10.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=831#8426

Laut Google protrudieren hauptsächlich Frontzähne.
 
 

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