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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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25.05.2007
 

Wie lange noch?
Den Zeitungen ist inzwischen wohl alles egal

heisst es über die äussere Gestalt ... eine äussere Manifestation (FAZ 24.5.07)
Wo Ralph Giordano Recht hat, hat er Recht (FAZ 25.5.07, Untertitel)
Aber wo er recht hat, da hat er recht (ebd., Text desselben Artikels)
ausser Kraft setzen, heisst letzeres, Schluß (ebd.)
Die Großschreibung wie in ohne Weiteres wirkt auch unschön, wird aber sehr inkonsequent benutzt.
In mehreren großen Zeitungen lese ich heute Schreibweisen wie 36seitig und 65jährig. Auch dies scheint sich also wieder zurechtzurütteln.

Außerhalb der Rechtschreibfrage beobachtet:
"Nach dem Thema 'Mind', dem wir uns in der Frühlingsausgabe von SZ Wohlfühlen als Schwerpunkt gewidmet hatten, konzentrieren wir uns im Sommer folgerichtig auf den 'Body'." (SZ Magazin "Wohlfühlen")
Deutsche Ausdrücke scheint es für so exquisite Begriffe nicht zu geben. Da kommt einem der Magazin-Titel "Wohlfühlen" schon wie ein kleines Wunder vor; wahrscheinlich steckt aber bloß dahinter, daß "Wellness" schon besetzt ist. Der besagte Herausgeber-Beitrag fabuliert dann noch ein bißchen von Juvenal ("Mens sana" usw.). Aber mal ehrlich: Wenn jemand von seinem Body und seinem Mind spricht, muß man doch überlegen, ob er nicht letzteren sanieren lassen sollte.



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Kommentare zu »Wie lange noch?«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2016 um 04.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#31775

Häufiger als die fehlerhafte s-Schreibung findet man zwei andere Folgerungen aus der Reform:

1. Indefinita werden groß geschrieben:

Die AfD musste Einiges einstecken. (focus.de 25.2.16)

2. Nach Präpositionen wird groß geschrieben:

Manche Mütter haben keine Hemmungen, jederzeit ihr Kind zu Stillen. (heilpraxis.net 25.2.16)

Beides ist nur konsequent, das erste in Analogie zu Einzelne usw., das zweite folgt der Schrodtschen "universalgrammatischen" Regel.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 12.12.2007 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#10997

Nicht nur den Zeitungen ist alles egal. Folgende E-Mail bekam ich heute von einer namhaften deutschen Fluggesellschaft als Antwort auf meine Frage, ob ich ein Mobiltelefon im Flugzeugmodus während eines Fluges verwenden dürfe:

Sehr geehrter Herr Bluhme,

vielen Dank für Ihrer heutige Anfrage.

Auch wenn es in diesem modus läuft ( das die Telefonfunktion ausgeschaltet ist) müssen wir Sie darauf Hinweisen das eine Benutzung erst erlaubt ist, wenn die Anschallzeichen an Board erloschen sind. Da während Start und Landung oder Torbulenzen die benutzung jeglicher Technischer Geräte nicht erlaubt ist.

Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.

Mit freundlichen Grüßen

XXX

 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 17.06.2007 um 23.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9134

| Auch bayerische Grundschüler der vierten Klasse
| werden "verfolgt": Die Deutschnote ist mitentscheidend
| für die Übertrittsempfehlung für Gymnasium und
| Realschule. Wer zu stur an der sinnvolleren
| Rechtschreibung festhält, weil er/sie zuviele
| unzensierte Klassiker liest, muß auf die Hauptschule.

Den Viertklässler möchte ich sehen, der schon eine so gefestigte Rechtschreibung hat, daß er sich kompetent zu seinen (vor Fehlern starrenden) Lesebüchern stellen kann. In Niedersachsen geht die Rechtschreibleistung zu etwa einem Zehntel in die Deutschnote ein. Mal (rein hypothetisch) angenommen, man hätte einen wirklich kompetenten Rechtschreiber mit bereits 10 Jahren, der konsequent "daß" und "im allgemeinen" schreibt, dann würde dieser Schüler in Niedersachsen bei sonst guten bis sehr guten Deutschleistungen so wenig Note verlieren, daß eine Gymnasialempfehlung deshalb nicht in Zweifel stünde.

Als eines der wenigen Hefte habe ich mein Diktatheft aus der vierten Klasse aufbewahrt. Meine Diktate damals waren praktisch fehlerfrei; damit kann ein heutiger Schüler nicht im Ansatz mithalten. Allerdings darf man auch nicht vergessen, daß unsereiner in (Schul- und sonstigen Büchern, Plakaten und Zeitungen fehlerfreie Schreibungen fand, es gab unter uns Kindern damals immer ein großes Hallo, wenn man höchst gelegentlich mal einen Druckfehler fand. Heute sind nicht einmal mehr die Schulzeugnisse fehlerfrei geschrieben.

Gerade eben hat hierzubundesland die jährliche "Vergleichsarbeit der 3. Klassen im Fach Deutsch" stattgefunden; mir ist der Aufgabentext zugetragen worden. Ich habe mich an den Kopf gefaßt, wie wenig darin verlangt ist: Abschreiben ganzer Abschnitte; Lückentexte ausfüllen, damit auch ja keiner frei formulieren muß. Woher soll es denn kommen, wenn man es nicht übt?
 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 17.06.2007 um 20.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9133

> "Die FAZ-Sonntagszeitung bringt heute einen autobiographischen Text von Walter Kempowski in reformierter Schreibweise. Dürfen die denn das?"

Daß die FAZ es so abdruckt, zeugt vom Verfall der guten Sitten. Kempowski ist todkrank, man wird ihn kaum deswegen anfragen. Und er wird sich wohl auch kaum mehr dagegen wehren.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.06.2007 um 19.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9132

Auch bayerische Grundschüler der vierten Klasse werden "verfolgt": Die Deutschnote ist mitentscheidend für die Übertrittsempfehlung für Gymnasium und Realschule. Wer zu stur an der sinnvolleren Rechtschreibung festhält, weil er/sie zuviele unzensierte Klassiker liest, muß auf die Hauptschule.
Schön nachzulesen bei Theodor Ickler, Die sogenannte Rechtschreibreform, Vorspiel.
Dagegen hilft nur Bücherverbrennung. George Orwell läßt grüßen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2007 um 17.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9131

Die FAZ-Sonntagszeitung bringt heute einen autobiographischen Text von Walter Kempowski in reformierter Schreibweise. Dürfen die denn das? Haben sie den Verfasser überhaupt gefragt? In derselben Ausgabe sehe ich die Trennung "sich mo-ckieren", was natürlich doppelt entzückt.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 17.06.2007 um 11.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9130

Die große Freiheit der Schreiber?

Gibt es die große Freiheit hinsichtlich Schreibung wirklich? Schüler haben zwar "zu verantworten" (O-Ton MP Koch), was sie lesen, sind aber für ihr Zuwiderhandeln (vorerst) noch nicht strafrechtlich verfolgbar, obwohl sie die Staatsraison (d.h. z.B. die Ehre von MP Koch oder von Zehetmair) böswillig untergraben. Unbotmäßige werden bisher nur mit entsprechender "Bewertung" diszipliniert.

Anders Lehrer. Als Staatsbeamte sind sie zu staatsraisonwahrendem [zusammen] blindem Gehorsam verpflichtet; Zuwiderhandeln ist mindestens mit einem Disziplinarverfahren und ihm folgenden Rausschmiß unter Absegnung durch die GEW bedroht. Entsprechendes ministerielles Löwengebrüll ist in NRW zu hören.

Die "Verfolgung" der Schreibentwicklung ist also von vornherein ein Witz, weil die zur Wahrung der Staatsraison verdonnerten Lehrer wie ihre Schüler an ihr nicht teilnehmen dürfen. Daher stinkt das Ganze penetrant nach Komödienstadel bzw. "gesellschaftlicher Diskussion" in -- der GEW aus ideologischen Gründen unbekannten -- kommunistischen Landen.

Die "Verfolgung" der Schreiber zur Wahrung der Staatsraison indessen ist tägliche Wirklichkeit.

In beiden Fällen haben wir es mit Verfolgung zu tun, und in beiden Fällen vollzieht diese eine dem tumben Volke genädigliche Obrigkeit von der Demokratie Gnaden.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 17.06.2007 um 09.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9129

Im Märchen war es ein Kind. Die unterliegen diesmal leider der Regelungsgewalt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.06.2007 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9128

Natürlich wird mit der Zeit die Vernunft und mit ihr die sinnvollere Rechtschreibung siegen. Aber es verbittert, daß das offiziell nur in unmerklich kleinen Trippelschrittchen geschehen darf. Nur im Märchen durfte das Volk in einem befreienden Aufschrei rufen "Der Kaiser ist ja nackt". In der Wirklichkeit können Kaiser und höchste Politiker aller Parteien keine Irrtümer zugeben. Je höher, desto weniger. Warum eigentlich?
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 17.06.2007 um 08.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9127

So sehr ich Herrn Jochems auch schätze, muß ich dennoch seinem Abgesang auf den Widerstand gegen die Rechtschreibreform widersprechen. Vielmehr scheint es mir so zu sein, wie jms es beschreibt: Der Widerstand findet nicht mehr öffentlich statt - er ist Privatsache geworden.

Das heißt keineswegs, daß der Widerstand nicht mehr exisiert. Die Verkündung des zum 1. August 2006 vorläufig Endgültigen hat lediglich dazu geführt, daß der unangenehm gewordene Begriff "Rechtschreibreform" aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Es ist fast ein wenig wi bei Harry Potter: Man spricht nicht mehr offen über Sie-wissen-schon-was.

Die Probleme sind freilich geblieben. Und vielleicht setzt auch Herr Z. darauf, daß genau diese Probleme zu einem erneuten Wandel der Sprache führt, hin zu neuer Vernunft. Erste Ansätze sind schon zu sehen, wie man unter anderem an einigen Beispielen auf der von mir hochgeschätzten Webseite http://www.deutschland-kehrt-zurueck.de/ sehen kann:

www.deutschland-kehrt-zurueck.de/fotos/2007-05-08_ikea_phantasie.png
www.deutschland-kehrt-zurueck.de/fotos/2007-05-24_wie_schlau.jpg

Man scheint also auf einen organischen Prozeß statt auf öffentliche Diskussion zu setzen. Das ist wohl das Phänomen, das wir zur Zeit beobachten. Die FAZ trägt mit ihren Abweichungen von der Norm zur Rückkehr bei, die SOK tut das, und sogar die Agenturen werden das tun. Dabei mag es velleicht das eine oder andere Überbleibsel der Reform in die neue Rechtschreibung schaffen. Aber das ist nicht schlimm; das wäre vielleicht auch ohne Reform passiert.

Ich glaube, es geht weiter. Aber nicht im Fernsehen und in den Zeitungen, sondern hauptsächlich in den Köpfen.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 17.06.2007 um 08.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9126

Wer weiß einen Weg?
(Zur Frage von Herrn Falk Boruttas Beitrag vom 16.06.2007)

Im Gegensatz zum Kosmonauten Juri Gagarin, der am 12. April 1961 als erster Mensch die Erde umkreiste und wohlbehalten zurückkehrte, würden die Reformer garantiert vom Kurs abkommen. So würde ein Wiedereintritt in die Erdatmospähre unmöglich und die deutsche Sprachgemeinschaft könnte endlich aufatmen!
 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 16.06.2007 um 22.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9125

Der Widerstand gegen die Rechtschreibreform findet öffentlich nicht mehr statt, seit die FAZ ihn aufgegeben hat. Zwar erscheinen die Bücher vieler renommierter Autoren nach wie vor in klassischer Orthographie, aber das ist der letzte Rest öffentlicher orthographischer Freiheit (und Vernunft), der in diesem Lande noch zugestanden wird. Der Rest ist Privatsache.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.06.2007 um 22.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9124

Nach 10 Jahren darf man mit Recht Schiller zitieren: Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 16.06.2007 um 21.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9123

»Der symbolträchtigste Augenblick in der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform war wohl die Rede, die unser Beiratsmitglied Herr Krieger in der Akademie der Schönen Künste zu München - einem leeren Stuhl zugewandt - gehalten hat.«

Das war nicht Hans Krieger, sondern Reiner Kunze.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.06.2007 um 14.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9118

Schade, daß Ballistol nicht mehr mit von der Partie ist - weder unter diesem Pseudonym noch unter seinem schönen niederösterreichischen Namen. Er hätte die Zahl der Beiträge in diesem Strang noch über die 300er Linie gebracht. Wünschen wir ihm jedoch viel Glück mit seiner neuen Yahoogruppe.

Wenn man über eine schwierige Sache schreibt, geht es immer um die Suche nach den richtigen Einsichten. Für mich war in den letzten elf Jahren jeder kürzere oder längere Beitrag zu den Problemen unserer Rechtschreibung Teil eines Lernprozesses. Um nicht als Vielschreiber in Verruf zu geraten, habe ich mich einer ganzen Anzahl von Pseudonymen bedient. Das hat viel Kritik ausgelöst. Ob ich aber irgend jemand in bezug auf irgendetwas überzeugt habe, werde ich nie wissen.

Selbst mein Optimismus hat offenbar nicht ansteckend gewirkt. Schade. In dieser Sache wird es wohl weder Sieges- noch Versöhnungsfeste geben. Hätten wir irgendwann den Lauf der Dinge ändern können? Ich wüßte nicht, wann. Der symbolträchtigste Augenblick in der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform war wohl die Rede, die unser Beiratsmitglied Herr Krieger in der Akademie der Schönen Künste zu München - einem leeren Stuhl zugewandt - gehalten hat. Dort hätte nämlich Herr Zehetmair sitzen sollen, doch der war plötzlich erkrankt. So sieht in Deutschland der edle Wettstreit um die Wahrheit aus.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.06.2007 um 13.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9117

Bei einer ungewöhnlichen Schreibung erwartet man zunächst auch eine ungewöhnliche Bedeutung als Absicht des Schreibers, und dann ist man enttäuscht, wenn sie sich nur als Schlamperei oder Fehler herausstellt.

An der maschinellen Umsetzung von gesprochener in geschriebene Sprache wird schon seit Jahrzehnten entwickelt. Aber gerade die hier aktuellen Probleme mit bedeutungsunterscheidender Getrennt- und Zusammen- und Groß- und Kleinschreibung, also das Erkennen bedeutungsunterscheidender Schreibungen aus dem Satzzusammenhang heraus, wird eine Maschine nicht leisten können. Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung muß die Maschine ganz genau die richtige Betonung durch den Sprecher erkennen. Andernfalls unterbricht sie das flüssige Einsprechen dauernd mit "meinten Sie ...?"
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 16.06.2007 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9116

> Weder in den alten Zeiten, als es nicht weit her war mit
> der Einheitlichkeit, noch in den neueren und neuesten,
> da alles sich nach strengen Regeln richten muß,

... sollte, aber in Wirklichkeit fraglos nicht tut. Ich darf annehmen, Sie haben beim Lesen Augen im Kopf und verfolgen die Presselandschaft.

> hat hierzulande die Rechtschreibung den Lesern deutscher
> Texte Steine in den Weg gelegt und ihre Ratekunst
> herausgefordert oder gar auf die Probe gestellt.

Ich habe bereits andere Erfahrungen gemacht. Zugegeben, wir Deutschen sind vielleicht allgemein etwas streng mit der Schreibung, ich persönlich bin es sicherlich; daß Schreib- und Grammatikfehler aber keinerlei Folgen hätten, stimmt so nicht. Der Mensch mit seinem assoziatives Geist kann eine ganze Menge Fehler kompensieren, doch jeder einzelne trägt ein kleines bißchen Unsicherheit in den Text. Gerade die Assoziativität bringt es mit sich, daß das Textverständnis nicht graduell abnimmt, sondern mit zunehmender Fehlerzahl lange Zeit hoch bleibt -- beim Überschreiten einer unsichtbaren Grenze dann aber schlagartig praktisch auf Null abfällt. Der letzte Tropfen bringt das Faß zum Überlaufen, der letzte Fehler macht aus einem gerade noch verständlichen Text ein unverständliches Buchstabenkonvolut. Immer mehr Menschen bringen ein solches in Schrift -- aber sogar auch in der Sprache! -- zuwege, wenngleich vielleicht nicht in dem akademischen Umfeld, in dem Sie sich vermutlich gewöhnlich bewegen. Aber auch dort zeigen sich mehr und mehr Formulierungsmängel.

Gehen Sie einfach einmal in eins der vielen Internet-"Foren" und sehen, wie Leute dort schreiben. Sie werden nicht wenige Texte finden, die man schlichtweg nicht mehr verstehen kann. Sie stammen von Menschen, die immerhin schreiben. Wie die schreiben können, die sich auch in einer solchen Umgebung nicht äußern, weiß ich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, daß wir hier im Lande ein sehr viel größeres Analphabetismusproblem haben, als wir Schriftmenschen uns das vorstellen können.

> Lassen wir uns auch nicht vom falschen Augenschein
> täuschen. Die Leser werden heute mit Gedrucktem
> überschwemmt, immer aber hat ein intelligenter Automat
> Zeile für Zeile das Schriftbild gestaltet.

Auch hier bin ich ausdrücklich gegenteiliger Meinung. So ärgerlich der Automatismus des notorischen "Word" für den Schreiber ist (Man kann ihn übrigens abstellen!), so hilft er eigentlich nur dem kompetenten Schreiber weiter. Von echter "Endkontrolle" kann nicht die Rede sein. Gäbe es tatsächlich eine computerisierte Endkontrolle bei unseren Zeitungen, so dürften eindeutige Tippfehler oder klare Fehlschreibungen nicht stehenbleiben, wenn sie zu Buchstabenkombinationen führen, die es als deutsche Wörter nicht gibt ("muiss" statt "muss", "enie" statt "eine", "Stehgreif", "Zeugniss").

Gegenüber einem "nach dem" statt "nachdem" sind gängige heutige Korrekturprogramme ohnehin hilflos, auch "zurzeit" und "zur Zeit" kann man ohne Sinnanalyse nicht unterscheiden -- und das leistet "Word" nicht (und wird das voraussichtlich noch lange Zeit nicht leisten).

> Sogar im häuslichen Wohnzimmer nimmt die Kombination
> von Computer und Drucker den Menschen die kompetente
> Schreibarbeit ab, die sie sonst mit Kopf und
> Hand auszuüben pflegten. Bald wird alles noch
> leichter sein, wenn ein Computerprogramm die
> Umsetzung gesprochener in gedruckte Sprache
> besorgt.

Meinen Sie denn, daß dann die versprochene Änderung von 80% bei den Fehlern endlich mit dem richtigen Vorzeichen auftaucht? Ich fürchte, Sie sehen das zu optimistisch. Gegen die heute auch in akademischen Kreisen zu beobachtende Wortschatzverarmung hilft eine sichere Spracherkennung übrigens nicht.

> Vielleicht geht uns dann auf, daß unsere so
> ausdrucksfähige und dabei eindeutige Sprache
> der Nachhilfe durch allerlei orthographische
> Sperenzchen überhaupt nicht bedarf, um
> verständlich zu sein.

Geht es denn allein um die Verständlichkeit? Wenn ja, müßten sich unsere Literaten am Stil von Gebrauchsanweisungen orientieren: Kurze Sätze, möglichst wenig Nebensätze, nur Grundvokabular. Für die Inbetriebnahme einer Waschmaschine mag das angemessen sein, es gibt allerdings auch Bereiche, in denen eine differenzierte Ausdrucksweise nötig oder erwünscht ist.

> Gefühlsaufwallungen über übliche oder weniger
> übliche Schreibungen wird es aber gewiß nur
> noch eine Zeitlang geben.

Das mag stimmen. Schon jetzt ist bekanntlich ein "Egal, Hauptsache gedruckt" das oberste Gebot jedes Zeitungsmenschen. Fragt sich halt nur, ob das gut ist. Als es neulich mal dem Raumfahrtingenieur egal war, ob er in Füßen oder Metern mißt, ist ihm die Raumsonde auf dem Mars zerschellt.

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.06.2007 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9115

Unsere Rechtschreibung ist von heiterer Gemütsart: "eine Weile lang", "eine Zeitlang", "stundenlang". Man möchte meinen, daß die Unsichtbare Hand uns auf Ordnung erpichten Deutschen immer wieder eine milde Lektion erteilt, es doch nicht so genau zu nehmen mit den besseren Schreibungen und dem grammatisch Richtigen. Weder in den alten Zeiten, als es nicht weit her war mit der Einheitlichkeit, noch in den neueren und neuesten, da alles sich nach strengen Regeln richten muß, hat hierzulande die Rechtschreibung den Lesern deutscher Texte Steine in den Weg gelegt und ihre Ratekunst herausgefordert oder gar auf die Probe gestellt. So wird es auch weitergehen, denn die urtümliche Lebendigkeit, die allen Sprachen innewohnt, läßt sich weder durch orthographische Kongresse noch durch geheimbündlerische Hinterstübchenlinguistik ins Bockshorn jagen. Lassen wir uns auch nicht vom falschen Augenschein täuschen. Die Leser werden heute mit Gedrucktem überschwemmt, immer aber hat ein intelligenter Automat Zeile für Zeile das Schriftbild gestaltet. Sogar im häuslichen Wohnzimmer nimmt die Kombination von Computer und Drucker den Menschen die kompetente Schreibarbeit ab, die sie sonst mit Kopf und Hand auszuüben pflegten. Bald wird alles noch leichter sein, wenn ein Computerprogramm die Umsetzung gesprochener in gedruckte Sprache besorgt. Vielleicht geht uns dann auf, daß unsere so ausdrucksfähige und dabei eindeutige Sprache der Nachhilfe durch allerlei orthographische Sperenzchen überhaupt nicht bedarf, um verständlich zu sein. Gerade stirbt die Stenografie, die seit ihrer Wiedergeburt im Elisabethanischen England in den Kultursprachen die große Kluft zwischen Sprech- und Schreibgeschwindigkeit eingeebnet hatte. Eine großartige, den ästhetischen Sinn ansprechende Zeichenwelt versinkt so in Vergessenheit. Ihre letzten Anhänger weinen ihr eine Träne nach, denn Stenografierenkönnen hatte mehr als bloßes Schreibenkönnen einen besonderen Platz in ihrer Seele. Dabei hatten sie immer gemeint, ihrer Kunst gehöre die Zukunft. Ganz so wird es der aus anderen Gründen ehrwürdigen Buchstabenschrift nicht ergehen. Gefühlsaufwallungen über übliche oder weniger übliche Schreibungen wird es aber gewiß nur noch eine Zeitlang geben.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 15.06.2007 um 17.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9109

Heise Newsticker 15.6.2007:

"Nach dem Netscape jüngst tatsächlich eine Beta von Version 9 des Browser-Dinosauriers herausgebracht hat, folgte nun die Ankündigung, dass auch die Mail- und News-Komponente erneuert werden soll."

FAZ.NET 15.6.2007

"Eine Auto für 3000 Dollar?"
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 15.06.2007 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9107

Aus persönlichen Gründen lenke ich meine Schritte demnächst in andere Gefilde und danke hiermit allen Forumsteilnehmern für die stets bereichernden Diskussionen und manchen heißen Schlagabtausch. Auf Wiedersehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2007 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9106

Es wäre in der Tat ein Leichtes, dem französischen Vorbild zu folgen (wenn ich dies recht verstanden habe) und die Neuschreibungen zwar zu "empfehlen" (zwecks Gesichtswahrung), aber nicht verbindlich vorzuschreiben. Und das Ganze unbefristet. Nur dann hätte es auch Sinn, die weitere Entwicklung zu "beobachten", was sich ja der Rat vorgenommen hat. Andernfalls würde man nur beobachten, was man selbst in die Welt gesetzt hat - und dazu noch, wer sich fügt und wer nicht, aber ist das interessant genug?

Man könnte an die Schulministerien mit krassen Beispielen wie "jedesmal" herantreten und sie fragen, ob es nicht besser wäre, von einer Bestrafung solcher Alltagswörter abzusehen ...
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 15.06.2007 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9103

Lieber Herr Salzburg, "Einziger Freund" ist ein (wohl von Thomas Mann erfundener) altägyptischer Ehrentitel, der auch vor 1996 so zu schreiben war. "Heute Abend" in einem Satz, in dem noch zwei weitere Male "Abend" vorkommt, ist natürlich anders zu sehen. Die Textgeschichte der Werke Thomas Manns ist tatsächlich kompliziert und wird erst jetzt in der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe aufgearbeitet. Der Autor ist in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in Lübeck zur Schule gegangen. Das Manuskript der Buddenbrooks konnte deshalb noch nicht die Schreibungen der Zweiten Orthographischen Konferenz zeigen. Später haben Katja Mann bzw. in Amerika seine aus Wuppertal stammende Sekretärin schon bald nach der Niederschrift die Manuskriptseiten mit der Maschine übertragen. Weitere Änderungen gehen in der Tat auf Lektoren oder gar auf Setzer zurück. Die von mir benutzte Taschenbuchausgabe von 2003 der Tetralogie Joseph und seine Brüder bemerkt auf dem Revers der jeweiligen Titelseite: "Der Text wurde anhand der Erstausgabe (für den dritten Band: Bermann-Fischer Verlag, Wien 1936) neu durchgesehen". Schon in der neunten Zeile des Textes erscheint das erste "daß". Ein Neuschreiber hatte also seine Finger nicht dazwischen.

Sie schreiben: "Es geht aber nicht darum, früher Übliches für falsch zu erklären, sondern darum, das sinnvolle, oft nicht erst seit dem 20. Jahrhundert Übliche auch an den Schulen wieder gelten zu lassen und zu verhindern, daß eine kleine Bürokratenmafia über den Hebel der Schulen willkürliche Veränderungen an der Rechtschreibung durchsetzen darf." Dem kann ich nur zustimmen. Deshalb schließe ich mich ja auch der Forderung Professor Icklers an, alte wie neue Schreibungen müßten über den 1. 8. 2007 hinaus an den Schulen zulässig bleiben. Auf ein paar Varianten weniger oder mehr kommt es nun nicht mehr an, denn nur so könnte die Schreibgemeinschaft den "Beobachtern" zeigen, wie sie schreiben möchte. Auf unserer Seite neigt man dazu, "Reformschreibungen" nicht nur für unüblich, sondern auch für falsch zu erklären. Damit widersprechen wir uns aber selber. Wenn die Schreibgemeinschaft spontan zu "heute Abend" zurückkehrte, wäre das die Norm - auch ohne die kleine Bürokratenmafia. Leider werden die Rechtschreibprogramme der Computer den jetzigen Zustand aber so wirksam festschreiben, daß spontane Änderungen in Zukunft so gut wie ausgeschlossen sind.

Jetzt rächt es sich, daß die Auftraggeber Herrn Zehetmairs nicht auch Professor Augsts (Volks-)Etymologien und die vermehrte Großschreibung zur Revision freigegeben haben. Professor Eisenberg vermutet, in fünf Jahren ginge es mit dem Revidieren weiter, aber da sollte man sich nicht so sicher sein. Da richtiges Schreiben nicht von Strafgesetzen bedroht ist, könnte jedermann gefahrlos seinen Beitrag zur Wiederherstellung geordneter orthographischer Verhältnisse leisten. Die große Rätselfrage bleibt: Warum tut er es nicht?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.06.2007 um 09.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9102

Jeder Dichter oder Schriftsteller muß das Recht haben - auch gegenüber seinen Verlegern - eigene Wörter und Schreibweisen zu erschaffen. Von allgemeinem Interesse sind diese aber nur, wenn sie von vielen anderen übernommen werden. Sonst bleiben sie z.B. "Thomas-Mann-Deutsch". Die Frage ist eher, ob Schüler sie übernehmen dürfen oder dafür bestraft werden dürfen ("Du bist nicht Thomas Mann!").
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2007 um 09.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9101

Die Kleinschreibung der adverbialen Wendung "im wesentlichen" ist tatsächlich besser als die Großschreibung, deshalb hat sie sich durchgesetzt. Im 19. Jahrhundert gab es einen Rückschlag (Artikelprobe der Volksschullehrer), aber er war nicht von Dauer. Gestern las ich in der Süddeutschen Zeitung: "im Allgemeinen .... im besonderen". Zuerst also die verordnete Neuregelung, dann siegt das Gefühl für die bessere Tradition.

(Thomas Mann schreibt doch auch Choc und Shawl, nicht wahr?)

Noch eine Beobachtung zur feministischen Sprachveränderung: Ich habe schon die Angabe meiner "KundInnennummer" hinnehmen müssen, aber mir ist aufgefallen, daß ich noch nie eine "ÄrztInnenrechung" zu bezahlen brauche. Seit einigen Jahren haben wir in unserem Dorf angenehmerweise ein Ärztehaus, indem auch Ärztinnen arbeiten. Ein "ArztInnenhaus" finde ich nur auf der Internetseite der Universität Graz. Der übrige Text ist ebenfalls von dieser Art, hier eine Probe:

„Zur Vermeidung von Doppelstrukturen ist das ÄrztInnenhaus in Bezug auf aufwändige Untersuchungen mit den Support-Zentren des klinischen Bereiches zu vernetzen.“
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 15.06.2007 um 08.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9100

... nebenbei: „zum Einzigen Freunde“ ist sicher nicht grammatisches 19. Jahrhundert, sondern die Andeutung einer Sinneinheit oder einer Betonung, die sonst durch weniger nachdrückliche Kursive erzeugt wird. Dieses Mittel muß auch heute noch jedem Dichter offenstehen.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 15.06.2007 um 08.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9099

Die Erstausgabe der „Buddenbrooks“, erschienen 1901, verwendet noch ausgiebig die Schreibweisen des 19. Jahrhunderts. Warum sollte sich Thomas Mann diese plötzlich abgewöhnt haben? Viele der späteren, für besser erachteten Schreibungen werden auf die Lektoren zurückgehen. Es geht aber nicht darum, früher Übliches für falsch zu erklären, sondern darum, das sinnvolle, oft nicht erst seit dem 20. Jahrhundert Übliche auch an den Schulen wieder gelten zu lassen und zu verhindern, daß eine kleine Bürokratenmafia über den Hebel der Schulen willkürliche Veränderungen an der Rechtschreibung durchsetzen darf. Leider hat das parteiische Bundesverfassungsgericht in der Erkenntnis dieser Notwendigkeit versagt, und leider haben die Regierungsparteien der Länder dieses Fehlurteil noch in ihrem Sinne als Freibrief für jede Art von „Reform“ umgedeutet und mißbraucht.
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 15.06.2007 um 07.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9098

Herr Jochems benutzt sicher eine Ausgabe von 1997, die bereits umgestellt wurde.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 15.06.2007 um 06.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9097

Ich habe den Eindruck, die Mitglieder der Reformkommission haben auf ihren Zusammenkünften zunächst mit verteilten Rollen Thomas Mann gelesen, ehe sie sich an die Arbeit machten. Vielleicht war diese Stelle gegen Ende von Joseph in Ägypten dabei:

"Und gerade heute Abend, unter so vielen Abenden, muß dies Schrecknis mich treffen - am Abend des schönen Tages meiner Erhebung zum Einzigen Freunde, da ich nach Hause kehre, um Pharao's Liebe und Gnade mit einer kleinen Geselligkeit zu feiern, zu der demnächst die Gäste erscheinen werden." (S. 592)

Dies ist nicht tiefstes 19. Jahrhundert, sondern 1936. Die leichtverständliche Erklärung der Schweizer Syntaktiker liest sich wie ein Kommentar dazu:

"Die Tageszeitbezeichnung nach den temporären Adverbien gestern, heute, morgen bildet kein prototypisches Attribut. Insbesondere hat sie nicht den Charakter einer Phrase. Es liegt vielmehr eine determinative Juxtaposition vor, das heißt, die Tageszeitbezeichnung folgt dem Adverb als determinierender, nichtprojizierender Kern; die Semantik entspricht weitgehend derjenigen eines Vorderglieds einer determinativen Zusammensetzung." (1. Bericht d. Zwstl. Komm., Jan. 1998, S. 37)

In diesen Zusammenhang gehört wohl auch, was Thomas Mann sich eine Seite davor leistet:

"Im Wesentlichen aber ist deine Feststellung richtig: Hier sitze ich und habe neben mir, worauf du dich schon gräßlich sollst verstehen lernen." (S. 591)

Nun ist Thomas Manns Josphstetralogie gewiß keine Schullektüre, aber immerhin, einige jugendliche Leser wird auch dieses monumentale Erzählwerk gefunden haben und finden. Haben sie sich vor 1996 ihre Rechtschreibung verdorben, finden sie jetzt, daß die Reformer manchmal doch den Nobelpreisträger auf ihrer Seite haben? Uns sollten solche Lesefrüchte davon abhalten, bestimmte Schreibungen aufgrund abstrakter Kriterien für die besseren zu halten. Merkt man den beiden zitierten Sätzen nicht an, daß sie nicht zufällig die abweichenden Schreibungen zeigen? Wer von Schreibästhetik spricht, muß auch ihre Rolle bei der freien Wahl zwischen möglichen Schreibungen ernst nehmen. Übrigens könnte man die folgende Textstelle, aus ihrem Kontext genommen, als eine Anleitung zum Umgang mit der Rechtchreibreform lesen:

"Auch das Jahrhundert, in dem Josph sein ägyptisches Leben vollbrachte, war nicht berufen, diese Schönheit, die Einheit von Wirklichkeit und Amtlichkeit, zu schauen, und die Kinder Keme's, die damals unter der Sonne weinten und lachten, wußten es nicht anders, als daß es damit nun einmal nicht stimme - es war ihnen allen das wenigste." (S. 565)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.06.2007 um 12.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9078

Wenn schon "Probe fahren" (was nach Werbung für ein Ford-Modell aussieht), dann auch "Lahm legen" (z.B. den Fußballprofi Phillip Lahm). Wird die Rechtschreibung eigentlich von der Industrie und anderen gesponsort?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 14.06.2007 um 12.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9076

Welche Gemeinsamkeit verbindet Unwetter, Massenveranstaltungen, Generalstreiks und Straßenblockaden? Richtig, sie legen lahm. Keineswegs die menschlichen oder die tierischen Extremitäten. Doch davon später. Die Probleme mit dem Lahmlegen fangen – wie in allen anderen vergleichbaren Fällen – mit dem Infinitiv an. Schon 1988 wußte Burkhard Schaeder Rat: Man versuche, das mit dem Verb verbundene Adjektiv zu steigern. Ist das nicht möglich, schreibt man zusammen: lahmlegen. Hätte Professor Augsts Adlatus damit durchdringen können, wäre ihm der Dank der deutschen Schreibgemeinschaft sicher gewesen. Dummerweise genügte irgendeinem Pedanten zu Mannheim aber diese einfache Probe nicht. Er fügte hinzu: ... und wenn das Adjektiv keine Erweiterung zuläßt. Natürlich kann man sagen "ganz/völlig lahmlegen", aber hier ist der Bezug doch auf die gesamte Bildung. Den Unterschied mache man jedoch gewöhnlichen Schreibern klar, wie ihn ja auch die Reformkommission offenbar nicht begriff. Vielleicht wollte sie ihn auch nicht begreifen, denn für "ganz fertig stellen" wurde dieser Neubrauch zusätzlich durch die Mär gestützt, Adjektive auf "-ig" verhielten sich nun einmal so – also immer Getrenntschreibung. Der "Innere Kreis" des Rats für deutsche Rechtschreibung unter der Leitung von Professor Eisenberg beförderte Burkard Schaeders guten Vorschlag und die anschließende Verballhornung dorthin, wo besagter Germanist aus Potsdam das ganze Reformunwesen zu werfen empfahl. Regeln müssen aber sein, und so verfiel man 2006 auf die Formulierung "bei idiomatisierter Gesamtbedeutung". Weder wird beim Lahmlegen etwas "gelegt" noch ist der zusammenbrechende Verkehr wirklich "lahm" wie ein natürliches Fortbewegungsglied. Ergo: immer Zusammenschreibung. Dem Üblichen ist damit Genüge getan, aber um welchen Preis?
Wer Burkhard Schaeder verinnerlicht hat – und das sind immerhin zehn Jahrgänge an den Schulen –, schreibt getrennt, wie übrigens vor siebzig Jahren auch Thomas Mann. Im neuesten amtlichen Wörterverzeichnis steht das Verb mit einem Bindebogen, der in Mannheim aber etwas anderes bedeutet als bei Professor Ickler: immer zusammen. Arme Schüler, arme Lehrer! Hier bahnt sich wirklich ein Konflikt an, der die ganze revidierte Rechtschreibreform lahmzulegen droht. Wenn die DOK und der RfdR e.V. demnächst am Orte der Orthographiemalaise tagen, würden sie einen guten Einstieg mit dem Aufruf haben, "lahmlegen" aus der ab 1. 8. 2007 geltenden Obligatorik herauszunehmen, vielleicht mit Hinweis auf die drei Professores Munske, Augst und Ickler, die ohnehin in diesen Fällen zur Toleranz raten. Doch wiederum ist von alledem Niederösterreich nicht betroffen: Austria ...
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 14.06.2007 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9071

Wer wäre denn nun bereit, an der geplanten Lehrerhandreichung konstruktiv mitzuarbeiten?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 13.06.2007 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9064

Sehr geehrter Herr Germanist, man muß den Kurs der Wörterbuchverlage aber auch verstehen. Für den Dudenverlag und die mit ihm assoziierte Verlagsgruppe ging es seit dem Beginn der Rechtschreibreform um mehr als um die Größe des Marktanteils im Wörterbuchgeschäft. Offenbar hätten es die Rechtschreibreformer und der von ihnen favorisierte Großverlag gern gesehen, wenn der Duden sich den Neuerungen verschlossen hätte und damit aus dem Geschäft ausgeschieden wäre. Ganz unerwartet hat er sich aber an die Spitze der Rechtschreibreform gesetzt und mit ihm Brockhaus und Langenscheidt. Deren gesamtes Verlagsprogramm ist jetzt umgestellt, und zwar vorwiegend gemäß Version 1996 der Neuregelung. Schon die Empfehlungen im Rechschreibduden von 2006 waren der Versuch, den inzwischen erfolgten Teilrückbau nicht zu offensichtlich unter die Leute zu bringen. Riesige Lagerbestände zu makuklieren können sich auch Großverlage nicht leisten. Natürlich wird der Duden immer ein bißchen wider den Stachel löcken, wie das ja schon 2000 der Fall war. Einen völligen Gesinnungsumschwung kann man aber nicht erwarten. Bertelsmann muß bestrebt sein, den geringen Einbruch in die Dudendomäne nicht wieder zu verlieren. Auch dort kann die Lust auf Abenteuer nicht sehr groß sein. Ein nicht ganz amtlicher Rückbau, der nur über die Wörterbücher zu ermitteln ist, entfaltet ohnehin keine Breitenwirkung. Wenn die Rechtschreibprogamme so etwas ausstreuten, sähe das schon anders aus. Aber auch die Softwarehäuser haben ihr Terrain zu verteidigen. Ein Sonderkongreß aller deutschen, österreichischen und schweizerischen Germanisten mit der Schlußresolution, die Reste der Rechtschreibreform seien sofort aus dem Verkehr zu ziehen, könnte selbst die KMK aus ihrer Friedhofsruhe erwachen lassen. Wer aber an diese Möglichkeit glaubt, glaubt auch an manches andere.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.06.2007 um 15.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9063

Kaufmännisch gesehen gibt es im Rechtschreibrat zwei Parteien: Die Schul- und Jugendbuchverlage wollen, daß die Rechtschreibung möglichst lange so (schlecht) bleibt, wie sie jetzt drucken und verkaufen. Den Duden oder Wahrig kauft aber jedes Jahr neu niemand wegend einiger neuaufgenommener Wörter, sondern nur, wenn auf jeder Neuauflage draufsteht: "Die Rechtschreibung wurde angepaßt und an einigen (winzigen) Stellen verändert." Änderungen sind also nur über die Wörterbuchverlage möglich, allerdings in ganz kleinen Schritten über Jahre verteilt, denn der frühere Zustand "ein Duden fürs Leben" soll ja nicht wiederkommen.

Weiterentwicklungen der Schriftsprache sind über die Schriftsteller möglich, wie in der heutigen SZ-Buchbesprechung über die deutsche Schriftstellerin Marica Bodrozic, "Sterne erben, Sterne färben", geschildert wird, die als Kroatin mit neun Jahren nach Deutschland kam und "die Einheimischen überrascht, die plötzlich sehen, was sich mit dem Vertrauten alles anstellen läßt, woran sie nie gedacht haben - wenigstens nicht mehr, seit sie eingeschult wurden". Zu ihrer Sprachschöpfung "die kleinen Jahre" die SZ: "eine wunderbare Klammerform" (für die frühe Kindheit), zu "das sommerdarbende Gras" die SZ: "Was wir als die Plage unserer Sprache empfinden, ihre Widerstandslosigkeit gegen die nominale Zusammenrückung, den gefürchteten Brandschutzverordnungsaushangsstil, das ist hier als Chance erlebt und genutzt, den Vorrat zum Zweck der Genauigkeit zu vermehren."
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 13.06.2007 um 13.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9061

Sehr geehrter Herr Eversberg, wahrscheinlich würde der Rat für deutsche Rechtschreibung unsere privaten Einwände genausowenig zur Kenntnis nehmen wie das Bundesverfassungsgericht 1998 unsere privaten Stellungnahmen. Immerhin wurde Herr Riebes Verein für deutsche Rechtschreibung damals ernstgenommen und konnte Professor Ickler als Gutachter vorschlagen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache hat meines Wissens bei keiner Gelegenheit offiziell tätig werden können. Vielleicht versucht sie es einmal, ein Gutachten Professor Icklers zur weiteren Revisionsbedürftigkeit der Neuregelung in ihrem Namen vorzulegen.

In der Schweiz werden bekanntlich einige Zeitungen wieder "im übrigen" schreiben. Ob das aber als mangelnde Akzeptanz von "im Übrigen" genügt und eine Revision auslöst, muß man leider bezweifeln. Vorläufig wird es gewiß auch keine Untersuchungen über den Stand der Rechtschreibbeherrschung an den Schulen geben. Selbst wenn ein Abfall gegenüber früher festgestellt würde, gäbe es für die KMK immer noch das entschuldigende Argument, angesichts der uneinheitlichen öffentlichen Rechtschreibpraxis sei ja auch nichts anderes zu erwarten.

Das stärkste Argument der Reformbefürworter ist die Rückkehr der überregionalen deutschen Presse zur offiziellen Linie. Dem widerspricht auch nicht ein gelegentliches "überschwenglich" in der SZ. Mit den revidierten Rechtschreibprogrammen wird sich die deutsche Presseorthographie demnächst als ein monolithischer Block der Einheitlichkeit präsentieren. Wer kein anderes Kriterium für Üblichkeit vorweisen kann als die Usancen der Zeitungen, steht bald schon auf verlorenem Posten.

Da hilft nur der wehmutsvolle Blick in die Literatur. Auf einer Buchseite schreibt Thomas Mann im Abstand von 6 Druckzeilen das eine Mal "was ich dir nahelege" und ein anderes Mal "was du mir verlockend nahe legst" (JiÄ, 497). Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 13.06.2007 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9058

"Vieles spricht aber dafür, daß der jetzige Zustand einige Zeit andauern wird. "
Weil das wohl so ist, gehört dieser Zustand leidenschaftslos beleuchtet und ungeschminkt beschrieben. Dazu müßte sich der "Rat" dann stellen, wenn er keine Änderungen mehr will. Letztlich also zu der Frage, ob denn die Ziele der Reform erreicht sind. Wenn schon die politisch Verantwortlichen diese Frage nicht stellen und auch sonst keiner sie ihnen vorlegt.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 13.06.2007 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9055

Die Schreiber des Deutschen stehen auch nach den letzten Festlegungen keineswegs völlig hilflos der Neuregelung gegenüber. Daß die Entwicklung der Rechtschreibung weitergeht und für die Gültigkeit jeder einzelnen Schreibung die Akzeptanz durch die Schreibgemeinschaft maßgeblich ist, hat schon das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1998 festgestellt. Die Sache hat nur einen Haken: Die 60 bis 80 Prozent der Deutschschreibenden, die nach den letzten Umfragen die Übernahme der Reformschreibungen ablehnen, sind durch die Bank private Schreiber. Ihre orthographischen Gepflogenheiten sind folglich den beobachtenden Instanzen (vor allem dem Rat für deutsche Rechtschreibung und den in ihm vertretenen drei Wörterbuchredaktionen) nicht zugänglich, sie halten sich deshalb an das öffentliche Schreiben, das aber keineswegs den freien Schreibusus repräsentiert. Die Nachrichtenagenturen und die Zeitungen haben sich für die Neuschreibung entschieden, weil sie angeblich an ihre jungen Leser zu denken haben, und außerdem sorgen bei ihnen die elektronischen Korrekturprogramme dafür, daß mit Blick auf die angestrebte einheitliche Norm möglichst keine abweichende Schreibung in den publizierten Texten erscheint. Ebenso retardierend wirken die Schulen. Sie sind ohnehin auf die Neuregelung festgelegt und halten sich an die Lehrbücher, die diese in allen Einzelheiten vorführen. Viel sollte man sich auch nicht vom Sammeleifer der Wörterbuchredaktionen versprechen. Sie sind mehr an den 5.000 Neologismen interessiert, die sie alle fünf Jahre vorzuführen pflegen. Es ist nur ein schwacher Trost, daß das zuzeiten des Dudenprivilegs vermutlich auch nicht anders war. Die einzige verbliebene Hoffnung sind jetzt die Schriftsteller, die im Bereich der Erwachsenenliteratur unnötige Verflachungen meiden und bei ihren Lesern das Gefühl für eine ausdrucksfähige Rechtschreibung erhalten und vielleicht sogar stärken. Leider gibt es aber keine Statistiken darüber, wieviel Prozent der Schreibgemeinschaft davon noch betroffen sind. Überraschende und unerwartete Ereignisse sind auch in bezug auf die Rechtschreibung nicht ganz auszuschließen. Vieles spricht aber dafür, daß der jetzige Zustand einige Zeit andauern wird.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 13.06.2007 um 08.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9054

Der Rechtschreibrat hat die Option, die Schreibwirklichkeit zu beobachten. Dies wird vermutlich nur von den Wörterbuchverlagen zu schaffen sein. Es ist deshalb denkbar, daß diese über diese Aufgabe das Ruder übernehmen wollen. Der Rest kann dann abschmelzen.
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 13.06.2007 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9052

Der Rechtschreibrat schwebt außerhalb der Rechtschreibwirklichkeit oder nimmt diese nur selektiv zur Kenntnis. Ein Auge auf die *Reformfolgen* scheint er nicht werfen, auf Abhilfe folglich auch nicht sinnen zu wollen. Quousque tandem? Bis gar keiner mehr hingeht. Die Medien werden eh kaum berichten, und wozu soll's dann gut sein?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2007 um 06.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9051

In der "Süddeutschen" kommen heute noch das "Quentchen" sowie "Greuel" hinzu. Das alles ist erstaunlich, denn diese Schreibweisen werden ja von den Korrekturprogrammen sofort entdeckt. Zur Subversion hat sich die SZ bisher nicht offen bekannt, folgt aber in vielen Fällen der FAZ. In Trippelschritten geht es zurück. Der Rechtschreibrat scheint es aber nicht wahrnehmen zu wollen. Man sollte ihn ausdrücklich darauf hinweisen, damit er wenigstens Stellung nimmt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.06.2007 um 23.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9047

zu "Leid tun / leidtun":

Ich weiß nicht, ob es allgemein bekannt ist, was der Reformer Herr Heller mal in einem Interview im Mannheimer Morgen (01.08.2003, Seite 3) von sich gegeben hat:

"So ist zum Beispiel die Großschreibung von 'Leid tun' kritisiert worden - wegen der Steigerbarkeit 'sehr Leid tun' mit einem gewissen Recht. Aber bei 'Leid tun', 'Pleite gehen' usw. handelt es sich ja im Grunde um Substantive und die Großschreibung ist durchaus gerechtfertigt. Man vergleiche auch Beispiele wie 'Das hat mir sehr Spaß gemacht' oder 'Du hast mir sehr Mut gemacht', wo auch nach 'sehr' großgeschrieben wird. Die Kommission wird sich überlegen, ob sie neben der Großschreibung, die sie nach wie vor für richtig hält, eine zweite Schreibung zulässt, wo in der Distanzstellung 'das tut mir aber sehr leid' auch die Kleinschreibung erlaubt wird."

Also so leid es mir tut, und so Spaß es Herrn Heller auch macht, ...
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 12.06.2007 um 21.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9043

Lieber Herr Markner, in Ihrem Artikel "Orthographische Legenden" (FAZ v. 3. 2. 2006) stellen Sie klar, Hofrat Johann Huemers Bemerkung auf der zweiten Berliner Orthographischen Konferenz, "... dass sich die Heysesche Schreibung in Österreich bewährt habe", könne sich lediglich auf den dortigen Schulstandard ab 1879 bezogen haben. In der Presse sei diese Regelung jedoch nur selten befolgt worden. Ohnehin habe Österreich die Heysesche Regelung 1902 offiziell wieder aufgegeben, um die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung diesseits und jenseits der Alpen nicht zu gefährden. Mein "üblich" ist also als "an den Schulen eingeführt, sonst jedoch nur sporadisch praktiziert" zu lesen. Merkwürdig bleibt in diesem Zusammenhang aber der Sonderweg der Schweiz, wo "dass" und "Schlussstrich" nebst "Flussaue" tatsächlich seit 1938, also seit fast 70 Jahren, üblich sind.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.06.2007 um 19.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9037

Die Heysesche Schreibung war, wie an anderer Stelle dargelegt, in Österreich-Ungarn keineswegs allgemein üblich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.06.2007 um 18.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9036

In der heutigen Süddeutschen Zeitung findet man "leid tun" und "behende", was einerseits nach acht Jahren Reformschreibung erstaunlich ist, andererseits auch wieder nicht, denn die Zeitungsleute lesen ja wohl nicht nur Reformtexte.
Der Rechtschreibrat wird sich auf seiner nächsten Sitzung nicht mit solchen Fragen beschäftigen, er will überhaupt keine weitere Revisionsarbeit am Regelwerk mehr in Angriff nehmen. Was wird die Schule machen? "behende" kommt in Schülerarbeiten naturgemäß kaum vor, aber "leid tun" um so häufiger. Schüler (oder ihre Eltern) könnten darauf verweisen, daß nicht nur die besseren Schriftsteller, sondern die besten Zeitungen "leid tun" schreiben. Sollen Lehrer trotzdem auf dem Rotstift bestehen? Zehetmair will das heiße Eisen nicht anfassen.
Das amtliche Regelwerk enthält einige höchst unbefriedigende Stellen, ganz abgesehen von dem "Bericht" nebst obsoleter, aber dennoch folgenreicher Handreichung.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.06.2007 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9019

Wie schon größere Geister hier gesagt haben, ist das Wesen der Unterscheidung von Getrennt- und Zusammenschreibung und von Groß- und Kleinschreibung die Bedeutungsunterscheidung bei neu aufkommenden Idiomatisierungen wie "jemanden kaltstellen" oder "kurzhalten". Die Schriftspracheentwicklung geht eindeutig in Richtung "sinnvollere Schreibweisen", und deshalb möchte ich der angeblich "einfacheren Rechtschreibung" die "sinnvollere Rechtschreibung" als Idee gegenüberstellen, mit Hilfe derer man sich mit möglichst kurzen Texten gut verständigen kann.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 12.06.2007 um 11.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9017

Mit der Umsetzung aus Fraktur in Antiqua haben wir dem Text von Thibaut (unten #8983) viel seines zeitgenössischen Flairs genommen. Nicht nur die Rechtschreibung zeigt nämlich an, daß wir uns "tief im 19. Jahrhundert" befinden, wie Herr Stirnemann gerne sagt. Vergessen wir also nicht, daß beide Aspekte das um 1859 Übliche zeigen. Rechtschreibliche Züge, die mit höherer Häufigkeit vorkommen, bestimmen natürlich am stärksten die zeitgebundene Physiognomie eines Textes. Bei Thibaut sind das die deutschen Wörter mit "th", in denen 1901/02 einfaches "t" eintrat ("werth", "eigenthümlichen", "Nothwendigkeit", "thun", "Reichthümer"). Wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese Schreibungen übernahm, mußte sich "modern" vorkommen. Das Gefühl wird sich bald verloren haben, aber die Epochenscheide zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert blieb natürlich. Wäre Heyses "ß"/"ss"-Regelung damals schon aufgegriffen worden (in Österreich war sie ja immerhin seit 25 Jahren üblich), hätten sich die Reformer von 1996 nach einem anderen "Modernitätssignal" umsehen müssen. Eigentlich war ja auch ein ganz anderes geplant, nämlich die Substantivkleinschreibung. Thibauts "daß", "mißlich" und "muß" blieben aber bis 1996 "amtlich" erhalten und boten sich für eine Ausweichlösung an. "ß" in "Bedürfniß" hat übrigens 1901/02 nicht überlebt. Weiter ist auffällig, daß die Univerbierung 1859 noch weniger weit fortgeschritten war, "auseinander gesetzt", "stehen bleiben", "zu Tage", "eben so oft" harrten also noch der Zusammenrückung. Auffällig sind schließlich noch "Etwas" (im Wörterbuch selbst auch "Jemand" und "Niemand") und "protestiren". Dagegen wird "Kombination" schon mit "K" geschrieben. Von den anderen für das 20. Jahrhundert ungewöhnlichen Schreibungen finden wir im Wörterverzeichnis noch "Schifffahrt" und "Brennnessel" (die 1901 allerdings als Varianten beibehalten wurden) und "im Trüben fischen".

Alle übrigen Einzelwort-Schreibungen dieses Textes - 466 von 478 - haben sowohl die Zweite Orthographische Konferenz von 1901 wie die Neuregelung von 1996 unverändert überlebt. "Kontinutität" ist also das hervorstechende Charakteristikum unserer Rechtschreibung, was sich in ihrer über einen langen Zeitraum unbeeinträchtigten Funktionstüchtigkeit praktisch auswirkt. "Wandel" hat mehr damit zu tun, daß jede Zeit sich in der schriftlichen Form ihrer Texte wiederfinden möchte. Professor Ickler hat gelegentlich darauf hingewiesen, daß die Festlegungen von 1901 bereits im Schreibgebrauch angebahnt waren, während sich die Reformer von 1996 lediglich auf Fehlerstatistiken berufen konnten. Solche Unterscheidungen spielen jedoch bei der Akzeptanz einer Rechtschreibung durch die Öffentlichkeit nur eine geringe Rolle. Was allem Anschein nach "modern" zu sein scheint, wird auch aufgegriffen. Freilich muß die Vorkommenshäufigkeit der Änderungen genügend hoch sein, um den Lesern ins Auge zu springen. Diesen Gesichtspunkt haben die Reformer des Jahres 1996 übersehen. Dem Bundesverfassungsgericht ist also recht zu geben, daß trotz unterrichtlicher Vermittlung und der Omnipräsenz der Korrekturprogramme nur ein Teil der neuen Schreibungen wirklich üblich werden wird. Heyses "ß"/"ss"-Regelung wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit dazugehören. Vielleicht wird sich auch die Einsicht durchsetzen, daß im Fluß befindliche orthographische Entwicklungen - die Univerbierung und die textsemantische Neubestimmung der Substantivgroßschreibung - sich kaum zur einheitlichen Festschreibung eignen. Im übrigen sind viele der neuen Probleme mit den alten identisch. Was Thibaut über die schwierige Arbeit des Lexikographen sagt, ist auch in seiner 1859er Schriftform für uns heute gültig.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.06.2007 um 13.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9010

Am meisten Unruhe stiften könnte ein solches Heft in der Referendarausbildung, denn in den Referendarseminaren wird die neue Rechtschreibung eingebleut und kontrolliert. Nach dem zweiten Staatsexamen kontrollieren nur noch die Eltern, und die bräuchten ebenfalls fundierte Kenntnisse über berechtigte Einsprüche und würden dafür auch Geld ausgeben, um Waffengleichheit zu bekommen. So könnten auf ein geschenktes Lehrerheft 30 bezahlte Elternhefte kommen.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 11.06.2007 um 11.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9009

Im Artikel egal findet man die Trennung ein-erlei. Nicht sehr vertrauenerweckend, gerade auf einer Musterseite.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 11.06.2007 um 09.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9008

Ich weiß ja nicht, woher Ihre besondere Affinität zum Weinviertel kommt, und sosehr ich den Ausstieg von "Austria inferior" aus der Rechtschreibreform wünschen würde, muß ich Ihnen doch auch hier widersprechen: Die Regeln sind unterschiedlich auslegbar, die Umsetzung der Regeln ist unterschiedlich auslegbar, und auch im Wörterverzeichnis gibt es grobe Abweichungen und Eigenmächtigkeiten, die durch das Regelwerk nicht gedeckt sind. Das liegt in der Natur der Sache.

Das ÖWB wird so beworben:

Neuerscheinung: das Österreichische Wörterbuch in aktueller Rechtschreibung

Im Juni 2006 ist die 40. Auflage des Österreichischen Wörterbuchs erschienen. Sie dokumentiert die amtliche Schreibung in Österreich auf dem Letztstand aller Regelungen der neuen Rechtschreibung. Das neue ÖWB – erstmals in Farbe und mit Infokästchen – berücksichtigt aber auch die Entwicklungen der Sprache und des Wortschatzes der letzten Jahre. Um die Arbeit mit dem Wörterbuch zu erleichtern, gibt es diesmal wieder zahlreiche Verbesserungen: übersichtlichere Artikelstruktur, mehr schülergerechte Definitionen, Beispiele und Redewendungen, benutzerfreundliche Infokästen und etymologische Angaben bei Fremdwörtern. In dieser großen Ausgabe gibt es zusätzlich noch das amtliche Regelwerk und Informationen, Übersichten und Beiträge zu Sprache, Grammatik und Rechtschreibung.

Das einzige amtliche Wörterbuch Österreichs
Mit besonderer Berücksichtigung der österreichischen Besonderheiten
Zweifärbig und mit Infokästchen


Hier gibt es eine Muster-Doppelseite:

http://www.oebvhpt.at/images/produkte/muster/muster3209055114_2.pdf

Jedenfalls kann auch dieses Wörterbuch für viel juristischen Zündstoff sorgen, wenn ein ahnungsloser Lehrer auf einen hochaggressiven Schüler stößt.

 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 11.06.2007 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9007

Eine "Handreichung" müßte die Lehrer erst einmal erreichen, dafür gibt es aber sicher ein paar Kanäle. Aber sei muß auch einen sofort einsehbaren Bedarf befriedigen, damit sie angenommen wird. Das geht zum Einstieg sicher nur über das Internet mittels einer gut gestalteten Eingangsseite. Man müßte dann leicht in einem erweiterten "Amtlichen Wörterverzeichnis" blättern können und darin prägnante Hinweise finden, wo z.B. die amtliche Schreibung grammatisch falsch ist, und wo noch Änderungen kommen könnten, weil der "Rat" das Thema noch nicht behandelt hat. Wenn der Lehrer darin leicht die zweifelhaften Fälle überblicken könnte, die ihm möglicherweise Ärger einbringen, das wäre eine Motivation zur Beachtung und Nutzung einer solchen Liste. Das Problembewußtsein ist womöglich schon im Schwinden und muß erst wieder geweckt werden.

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 11.06.2007 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9006

Nein, die Lehrer im niederösterreichischen Weinviertel sind gut dran. Dort läuft die Schonfrist nicht am 1. August des Jahres 2007 aus, und der Duden mit seinen Sperenzchen hat dorten nichts zu melden. Vom Österreichischen Wörterbuch (40. Auflage 2006) heißt es ausdrücklich: "Das einzige amtliche Wörterbuch Österreichs". Weder jetzt noch später müssen niederösterreichische Lehrer befürchten, irgendwann als pflichtvergessene Staatsdiener auf der harten Bank der Angeklagten zu landen: Austria Inferior, Du hast es besser.

Ansonsten dreht sich die Geschichte im Kreise. Professor Munske wurde einst vom Rechtschreibreform-Saulus zum Sprachpflege-Paulus, als ihm unter anderem diese Einsicht zuteil ward: "... die GZS ist überhaupt einer systematishen, vollständigen und zugleich vereinfachenden Regelung nicht zugänglich." (Sprachkultur, 314) Etwas später ist auch Professor Augst ein Licht aufgegangen: "Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund ihrer Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts bzw. schulischer Fehlerkorrektur sein." (Abschiedsbericht, 2004) Bekanntlich waren aber gerade die GZS-Paragraphen 33 bis 36 der Neuregelung der eigentliche Stein des Anstoßes. Burkhard Schaeders ungewöhnliche Schreibungen sind inzwischen zwar vom Tisch, aber die jetzigen Lösungen sind auch nicht einfacher als die alte Dudenpraxis und zeichnen sich allenfalls durch außerordentlich hochgestochene Regelfassungen aus. Und nun soll es sogar "sich bloß strampeln" heißen - schrecklich. Hätte man doch auf die Professores Munske und Augst gehört.

Noch zur "Handreichung für Lehrer": Das kleine Heftchen, das die Kultusverwaltungen der deutschen Bundesländer 1902 herausgaben, umfaßte 76 Seiten. Viel mehr dürften es wohl diesmal auch nicht sein. Und damit will man die Lehrer für alle Wechselfälle ihres nicht ungefährlichen Rechtschreibunterrichts wappnen? Unmöglich.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 11.06.2007 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#9004

Zur Aktuellhaltung des Lehrerwörterbuchs kam mir der folgende Gedanke:

Im Buch selbst wird ein Link veröffentlicht, auf dem ohne jede Zugangsbarriere, also für jedermann, laufend (heißt: quartalsweise) alle aktualisierten Stellen veröffentlicht werden. Die Korrektur braucht nicht seitenweise zu erfolgen (wie bei einem Loseblattwerk), sondern in breiten Streifen von je vier oder fünf Lemmata (damit es nicht so ein Gefummel wie bei einzelnen Zeilen wird). Diese Aktualisierungs-"Aufkleber" werden als pdf-Dokument in Originalgröße bereitgestellt und müssen nur noch ausgedruckt und ausgeschnitten werden. Dann klebt sie der Lehrer einfach mit Pritt oder einem anderen Klebstoff seines Vertrauens über die zu aktualisierende Stelle in seinem Buch. Es gibt bereits selbstklebendes bzw. gummiertes Papier, was diesen Vorgang nochmals erleichtert.

Einfacher, zweckmäßiger und vor allem (auch für den Verlag) billiger geht es keinesfalls. Das Buch kann mit dieser fortlaufenden Aktualität aktiv beworben werden. Diese Vorteile sind mit einem allmählichen Aufblühen des Wörterbuchs erkauft, an dessen wachsendem Umfang unmittelbar fühlbar sein wird, wie instabil und provisorisch jeder neue Regelungsstand nun einmal ist. Auch dies ist also ein Vorteil. Natürlich werden aber alle Änderungen auch in eine eventuelle gedruckte Neuauflage eingepflegt.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 10.06.2007 um 21.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8999

Ich halte nichts von der "Strategie", den Lehrern ein Wörterbuch anzudrehen, von dem in diesem Forum seit Erscheinen bekannt ist, daß es unbrauchbarer Murks ist (und an dem übrigens niemand von uns mitverdient). Abgesehen davon schweifen Herr Jochems und Sie offenbar mutwillig von Frau Pfeiffer-Stolzens Vorschlag ab, eine Handreichung aufzulegen. Was haben Sie dagegen?
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.06.2007 um 21.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8998

Lieber Ballistol, bevor ich jetzt meine Brille andersherum aufsetze, ziehe ich lieber den Hut vor dem bedeutenden strategischen Kopf, den wir zum Glück mit Ihnen in unseren Reihen haben. Etwas unfreundlicher ausgedrückt: Versuchen Sie es doch einmal mit Buntstiften.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler schrieb 2006:, verfaßt am 10.06.2007 um 20.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8997

14.07.2006
Warnung vor dem Duden

Der Duden erfindet zusätzliche Regeln, die keine Grundlage im amtlichen Regelwerk haben. Wie bisher hat der Duden die Regeln unter eigenen Kennziffern (1 bis 169) umformuliert, um sie dem Benutzer verständlich zu machen.

Unter K 56 wird zur GZS bei Adjektiv + Verb behauptet: "Ebenso gilt Getrenntschreibung bei intransitiven und reflexiven Verben." Daraus sollen sich "sich bloß strampeln" und "kalt werden" herleiten lassen.

Diese Regel kommt im amtlichen Regelwerk nicht vor, es kennt die Begriffe des transitiven und des reflexiven Verbs überhaupt nicht. Eingeweihte wissen natürlich, daß im Hintergrund eine "Handreichung" steht, die von der Wörterbuchgruppe im Rat nachträglich ausgeheckt, dem Rat aber nicht mehr vorgelegt und von ihm nicht gebilligt worden ist; sie hat keine amtlichen Charakter, sondern ist eine private Meinungsäußerung.

Damit wird der Duden geradezu gefährlich. Ein Lehrer, der K 56 beim Korrigieren anwendet, macht sich strafbar.

 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 10.06.2007 um 20.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8996

Herr Bärlein, wenn Sie den folgenden Satz lesen können, ohne unmittelbar den Eindruck zu gewinnen, da da etwas nicht stimmt, dann empfehle ich Ihnen dringend, Ihre Brille richtigherum aufzusetzen:

Für Unterricht und Korrektur eignen sich nur die großen Rechtschreibwörterbücher von Duden und Wahrig aus dem Jahre 2006.

Das ist falsch und bleibt falsch, und man kann sich nur wundern, wieso dagegen nicht das ganze Forum inkl. Prof. Icklers aufsteht.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.06.2007 um 20.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8995

Nach jeder Reform der Deform sollte notwendigerweise eine bundesweite Zwangs(um)schulung in entsprechenden Lagern in der Nähe von Mannheim für Deutschlehrer stattfinden. Sich (Ver)weigernde sind ohnehin wegen "falscher Korrekturen" der Ergüsse ihrer Adepten staatsanwaltschaftlich bedroht.

Diesen Machtbeweis anzutreten war der eigentliche Traum der Duodezfürsten für Fragen des (eigenen?) Kults.

Jetzt endlich dürfen sie in ihrer demokratischen Allmacht prüfen, welcher der ihnen als Hörige unterstellten Beamten -- zugunsten des Budgets -- heute gedeckelt und morgen gefeuert werden kann, weil er die Staatsmacht und das an ihr schon immer Wichtigste überhaupt, d.h. ihre Raison, in störrischem oder nachlässigem Ungehorsam untergräbt.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.06.2007 um 19.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8994

Lieber Ballistol, einem Schüler, der ähnlich konsistent wie Sie argumentiert, wird es kaum gelingen, einen Lehrer ernsthaft in Schwierigkeiten oder gar hinter Gitter zu bringen. Herr Jochems hat doch gar nicht behauptet, daß nur die Wörterbücher von 2006 für den Schulunterricht geeignet seien. Er hat auch nicht gesagt, daß sie überhaupt für den Schulunterricht geeignet seien. Er hat lediglich erklärt, daß eine entsprechende Nachricht die Lehrer jetzt schleunigst erreichen müsse. Was soll daran falsch, verwerflich oder gar redaktionell zu ahnden sein?
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 10.06.2007 um 18.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8992

Lieber Herr Bärlein,

es geht nicht darum, was herr Jochems wünschenswert findet, sondern darum, was er als geeignet bezeichnet. Die beiden von ihm genannten Bücher sind es jedenfalls nicht, das hat mit Mißverständnissen nichts zu tun. Keines der beiden Wörterbücher verzeichnet Schreibweisen, die durch die Rückreform abgeschafft wurden, aber immer noch bei Benotungen zu tolerieren sind. Beide Wörterbücher könnten einen Deutschlehrer hinter Gitter bringen, wenn er, sagen wir mal, auf einen Schüler mit einer ähnlichen Konsistenz wie meiner trifft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2007 um 17.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8989

Berufsbedingt komme ich viel mit Deutschlehrern zusammen. Fast ausnahmslos sprechen sie mich von sich aus auf die RSR an. Bisher habe ich noch keinen getroffen, der sich positiv über die Variantenfülle geäußert hätte, von Jauchzen und Frohlocken gar nicht zu reden.
Daß die Zahl der Änderungen gegenüber 1991 pro Textseite (etwa in Zeitungen) gering ist, haben wir durch entsprechende Zählungen immer wieder festgestellt, es ist nicht sehr interessant. Die Texte sind auch nicht unlesbar, nicht einmal schwer lesbar geworden, nur eben ein bißchen schlechter.

Was ist übrigens von Reformern zu halten, die gestern dies und heute jenes und morgen wieder etwas anderes durchsetzen, erläutern und vermarkten? Gestern war es "besonders fein", einzelne Buchstaben abzutrennen, und da stehen nun die Bücher, in denen es durchgeführt wurde, aber heute ist es schon wieder unzulässig. Usw.

Mit Bewunderung erfüllt mich, daß namhafte Reformer immer noch gutes Geld verdienen mit dem Wirrwarr, den sich angerichtet haben. Sogar die Aufräumarbeiten haben sie ihrer Firma noch übertragen lassen. So muß man es machen!
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.06.2007 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8988

Lieber Ballistol, da haben Sie, fürchte ich, mal wieder etwas nicht ganz richtig verstanden. Herr Jochems meint nicht, daß ein Rechtschreibunterricht bzw. eine entsprechende Benotung ausschließlich nach Duden und Wahrig 2006 wünschenswert seien. Für wünschenswert hält er lediglich, daß die Lehrer wenigstens nach den Wörterbüchern von 2006 und nicht mehr nach denen von 1996 verfahren. Die Lehrer haben nämlich auch manches nicht mitbekommen (vgl. u.a. den jüngsten Beitrag von Herrn Metz).
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 10.06.2007 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8987

1. Für Unterricht und Korrektur eignen sich nur die großen Rechtschreibwörterbücher von Duden und Wahrig aus dem Jahre 2006.

Da ja jeder Forderungen erheben darf, fordere ich hiermit, daß offenkundige Unwahrheiten entweder gar nicht erst geschrieben oder zumindest redaktionell geahndet werden.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 10.06.2007 um 15.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8986

Sehr verehrter Herr Metz, Ihr Beispiel zeigt, daß zwei Nachrichten jetzt schleunigst die Lehrer erreichen müßten:

1. Für Unterricht und Korrektur eignen sich nur die großen Rechtschreibwörterbücher von Duden und Wahrig aus dem Jahre 2006. 2. Die darin enthaltenen "Empfehlungen" sind für die Schule irrelevant.

Vermutlich kommt man im Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister auch auf diesen Gedanken, denn nichts fürchtet man bei Behörden mehr, als etwas außerhalb der Legalität ertappt zu werden.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 10.06.2007 um 15.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8985

Niemand ist hoffentlich so naiv[,] zu glauben, eine Liste, ein Heftchen oder was auch immer würde deutsche Lehrer dazu bewegen, „durch selektives Anstreichen die traditionelle deutsche Rechtschreibung wenigstens auf einigen Teilgebieten wieder in Kraft [zu] setzen“ (Prof. Jochems). Ein selektives Anstreichen im Sinne unserer Forderung könnte ohnehin allenfalls ein selektives Nichtanstreichen sein, denn daß die Lehrer plötzlich reformierte Schreibweisen als Fehler werten sollen, hat ja niemand verlangt. Es wäre übrigens auch gar nicht sinnvoll, Schülern einseitig alles austreiben zu wollen, was (zufällig) den reformierten Regeln entspricht. Manches entpuppt sich bei näherer Betrachtung als seit langem üblich oder zumindest auch üblich. Wer sich den Spaß macht, öfter mal im alten Duden zu schmökern, wird so manche Überraschung erleben. Und damit meine ich keineswegs nur die berüchtigten „Haarspaltereien“.

Mit meiner Anregung wollte ich die Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken, das meines Erachtens bisher viel zu wenig bedacht worden ist. Wer sich, wie wir hier, mehr oder weniger kompetent zum Teil mehrere Stunden in der Woche mit Fragen der deutschen Rechtschreibung auseinandersetzt, könnte meinen, jene, die sich von Berufs wegen mit solchen Fragen zu beschäftigen haben, hätten die Entwicklung mit dem gleichen Interesse und der gleichen Intensität verfolgt. Dem ist aber nicht so. Für die meisten Zeitgenossen ist die Rechtschreibreform längst vom Reiz- zum Gähnthema geworden. Und ich kann mir gut vorstellen, daß auch die meisten Lehrerinnen und Lehrer, nachdem sie sich anfänglich ernsthaft mit dem Thema befaßt haben, recht bald abgeschaltet haben, weil sie sich schlicht überfordert fühlten. Vor einiger Zeit wies ich eine mir über einen Freund bekannte Lehrerin auf zwei nun wieder mögliche Zusammenschreibungen hin, die sie in einer Klassenarbeit als Fehler angestrichen hatte, und, lieber, verehrter Herr Professor Jochems, ob Sie es mir glauben oder nicht, es ging – bei meiner Dudensammlung! – um die Arbeit eines Schülers, dessen Versetzung akut gefährdet war. Die Nichtanrechnung der beiden nach der Revision von 2006 wieder zulässigen Zusammenschreibungen hatte sehr wohl Einfluß auf die Benotung, denn nun bekam er eine schwache Vier statt einer Fünf. Ob er deswegen letztlich doch versetzt worden ist, kann ich nicht sagen. Es ist tatsächlich zu hoffen, daß die Damen und Herren Pädagogen ihre diesbezügliche Entscheidung auf einer breiteren Grundlage getroffen haben. Was ich aber weiß, ist, daß jene Lehrerin lediglich den Rechtschreibduden von 1996 besaß und von all dem, was sich in den gut zehn Jahren danach bei diesem Thema getan hat, nur äußerst lückenhaft informiert war (um es freundlich auszudrücken). Aus dieser und anderen Erfahrungen folgt für mich, daß es zunächst einmal gilt, den aktuellen Stand der Schulorthographie bei den Beteiligten bekannt zu machen (übrigens ein gutes Beispiel für „bessere Rechtschreibung“ in meinem Sinne: bekanntgemacht worden ist die Norm ja). Die Revision von 2006 hat trotz ihrer Halbherzigkeit deutliche Fortschritte gebracht, ist aber offensichtlich in der Praxis noch nicht angekommen.

Zu den Einwänden von Ballistol:

Ad 1: Na und?

Ad 2: Um so besser, wenn das „Büchel“ bald überholt ist. Es geht um eine Momentaufnahme, darum, das immense Gefälle zwischen 1996 und 2006 aufzuzeigen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 10.06.2007 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8983

Heute stelle ich den Freundinnen und Freunden eine Aufgabe, wozu sie nach Ausdruck des nachfolgenden Textes einen roten und einen grünen Kugelschreiber benötigen. Die Aufgabe lautet: In welchen Schreibungen weicht der vorliegende Text von der von 1902 bis 1996 hierzulande amtlichen Rechtschreibung ab (rot unterstrichen), in welchen von der ebenfalls amtlichen Neureglung (grün unterstrichen)? Vielleicht stellen Sie die Ergebnisse auch systematisch zusammen und äußern sich zu der Frage: Ist für die deutsche Rechtschreibung eher "Kontinutität" oder "Wandel" charakteristisch? Was Ihnen vorliegt, ist die erste Hälfte der Vorrede zu M. A. Thibaut, Vollständiges Wörterbuch der Französischen und Deutschen Sprache (34. Auflage, Braunschweig: Westermann, 1859). Der französische Text der Vorrede Thibauts ist dort ebenfalls abgedruckt - und weicht in keiner einzigen Schreibung von den heute üblichen ab.

Man wird sich bei einiger Vergleichung der vorliegenden Bearbeitung des Thibaut'schen Wörterbuchs mit den früheren Auflagen bald von den wichtigen darin vorgenommenen Veränderungen überzeugen können.

Haben diese so eingreifenden Verbesserungen (wie wir sie nennen dürfen) die äußere Einrichtung des Buches in Etwas umgestaltet, so ist der ursprüngliche Plan, den der Verfasser in seiner Vorrede zur ersten Ausgabe sehr hell auseinander gesetzt hatte, unverrückt beibehalten. Die Verpflichtung, Größe und Form des Buches auszudehnen oder beschränken zu dürfen, ohne jedoch sein Volumen zu erweitern, war für uns eine schwierige Aufgabe, der wir so viel als möglich zu genügen versucht haben. Die leitenden Grundsätze, von denen wir bei der Ausarbeitung des ganzen Werkes ausgegangen sind, wollen wir in wenigen Worten darlegen.

Gute Lexika finden ihre Anerkennung, haben aber ihr gemeinsames Schicksal, indem auch die besten mit der Zeit unzureichend und mangelhaft werden. Eine alltägliche Beobachtung, die kaum der Bemerkung werth ist, zeigt, daß die Sprachen gebildeter Völker, wie diese, jedes nach seiner eigenthümlichen Weise und Charakteristik, zur Mündigkeit und Reife gelangen, nicht unverändert stehen bleiben, sondern im steten Fortgange sich umwandeln, indem sie durch eine physische Nothwendigkeit sowohl den Ausdruck wie die Färbung der Ideen sich anzupassen suchen, welche der rastlose Menschengeist zu Tage fördert. Daraus entspringt für den Lexikographen eine eben so schwierige als mißliche Arbeit, nämlich jene neuen Errungenschaften der Sprache mit Beharrlichkeit und Bedacht zu verfolgen und kritisch zu untersuchen, um den Gewinn in jeder neuen Ausgabe seines Werkes, nach gehöriger Auswahl und Sichtung, niederzulegen. Dieser mühsamen Aufgabe ist aber keineswegs genügt, wenn man mit eilfertiger Hast alle neuen Ausdrücke, wie sie im Gehirn irgend eines Skribenten aufgesprossen sind, zusammenrafft. Soll ein neues Wort in einem Lexikon aufgenommen werden, so muß es der genaue und passende Ausdruck einer neuen Idee sein; nur unter dieser Bedingung darf es dort eine Stelle finden. Der Sprachgebrauch scheint freilich zuweilen, in Vernachlässigung des guten Geschmacks, fehlerhafte Neuerungen einzubürgern und festzuhalten, und der Lexikograph ist eben so oft gezwungen, sich vor der Allgewalt des Gebrauchs zu beugen; aber er darf es im Interesse der Leute, die bei ihm Belehrung und Aufklärung suchen, nie thun, ohne durch eine rügende Bemerkung dagegen protestirt zu haben. Ist in einem Lexikon der Ursprung und die Ableitung der meisten neuen Wörter angegeben, so hat man noch einem nicht weniger gebieterischen Bedürfniß zu genügen, nämlich den Sprachschatz mit den glücklichen Kombinationen, den üblichen und kühnen Verbindungen und unerwarteten und natürlichen Wendungen, wodurch es gewandten Schriftstellern der Neuzeit gelungen ist, viele veraltete Redensarten ein neues Gewand einzukleiden und ihnen einen kernigen, ausgedehnten Sinn beizulegen, zu bereichern. Sind endlich alle diese Reichthümer zur neuen Ausstattung eines Lexkikons zusammengetragen, dann bleibt das langwierige Werk noch zu vervollständigen durch die Blumenlese der Parömiologie oder Sprichwörter, wie sie das gesellschaftliche Leben darbietet, durch die stehenden Begriffsbeziehungen oder Termina der Wissenschaften, Künste und Gewerke, welche die Vervollkommnung der theoretischen und praktischen Kenntnisse neu geschaffen hat.

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 10.06.2007 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8975

Eine Bildung haben Herberg und Baudusch in ihren 111 traditionellen Regeln für die Getrennt- und Zusammenschreibung völlig übersehen: "zugehen", z. B. in "Sie müssen aufeinander zugehen". Nanu, das soll richtig sein? Natürlich, denn in "zu gehen" könnte "zu" als Infinitivpartikel verstanden werden, und das ergäbe doch keinen Sinn. Wenn wir schon einmal dabei sind, sollten wir aber auch folgendes bedenken: Bekanntlich wird besagte Partikel ohne Bedenken in jede Verbzusatzkonstruktion hinein inkorporiert, z. B. "um aufeinander zuzugehen". Warum hat daraus kein Sprachpfleger den Schluß gezogen, daß das Partikel-"zu" eigentlich immer mit dem Infinitiv zusammenzuschreiben sei? Was "zuviel" recht ist, sollte gewöhnlichem "zugehen" billig sein. Wie wäre dann aber das "approximative" Gehen zu kennzeichnen? Überhaupt nicht. Dem Verb "übersetzen" ist ja auch nicht anzusehen, ob ein Text oder ein Wasserlauf vorliegt. So schwierig ist die deutsche Rechtschreibung, für die unsere Freundin Frau Pfeiffer-Stolz den korrigierenden Lehrern jetzt ein Nachschlageheftchen an die Hand geben will.

Nun muß man aber wissen, wenn eine Berufsgruppe über Herrn Zehetmairs 3.000 Varianten jauchzt und frohlockt, dann die Lehrer. Da die Schüler in allen diesen Fällen keine Chance haben, einen Fehler zu machen, braucht auch der Rotstift nicht so häufig in Aktion zu treten. Gewiß wird man einwenden, 1.500 dieser Varianten seien sinnlos, denn sie entsprächen nicht den bewährten Schreibungen. Glaubt bei uns aber jemand, die Lehrer würden durch selektives Anstreichen die traditionelle deutsche Rechtschreibung wenigstens auf einigen Teilgebieten wieder in Kraft setzen? Ergo: Die Kosten für die Handreichung plus Verteilung sollte Herr Denk junior nicht den Milliardenkosten der unnötigen Rechtschreibreform zuzuschlagen haben.

 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 10.06.2007 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8973

Ich finde die Idee auch sehr gut und wollte mit meinen Einwänden keinen Defaitismus, sondern konstruktives Mitdenken äußern.

Eine Loseblattsammlung würde übrigens das Wesen der RSR treffend karikieren! Und der Aufwand wäre minimal. Alternativ könnte man den Beziehern die aktualisierten Seiten als PDF-Download gratis zur Verfügung stellen; Kosten = 0.

Die Frage ist jetzt nur: Wer liefert die Inhalte? Als Struktur schwebt mir vor: Klassisch / reformiert / jetzt wieder möglich. Anordnung der Lemmata nach trad. Orthographie wäre ein subtiler Hinweis auf die bessere Rechtschreibung. Verweis von Stängel --> Stengel.

Ich würde mich sehr für die Propagierung des Werks einsetzen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.06.2007 um 08.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8972

Der Idealfall wäre eine nachlieferbare Loseblattsammlung wie bei Gesetzestexten, wie sie z.B. jede Finanzbuchhaltung und Personalabrechnung braucht.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.06.2007 um 21.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8969

Eine Verteilung an alle Lehrer ist natürlich nicht möglich, weder zu finanzieren noch zu organisieren. Um so besser die Idee, ein entsprechendes Verlagsprodukt anzubieten.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 09.06.2007 um 20.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8967

Zwei Einwände:

1. werden die eifrigeren Reformlehrer so eine Handreichung gar nicht gern sehen,

2. kann das Büchel recht bald wieder überholt sein. Was machen Sie dann? Loseblattausgabe oder Gratisupdate?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 09.06.2007 um 13.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8958

Das bringt mich auf die Idee, man könne es mit einem kleinen, preiswerten "Leitfaden für Korrekturen" versuchen - kein dickes Buch wie der Duden oder der Ickler; ein schmales Praxisheft vielmehr mit aufbereiteten Wörterlisten - eine Sammlung der Wörter, deren rechte Schreibweise häufig Unsicherheit auslösen - darunter eben auch die wiederhergestellten Zusammenschreibungen.

Das Gegenstück zum Buchdruckerduden: ein Lehrerwörterbuch!

Ich kann mir den Vertrieb im Stolz Verlag vorstellen (auch das Verlegen). Ob unter der Lehrerschaft Interesse besteht, sollte man zunächst allerdings feststellen. Man kann das Werk erst einmal auf der Homepage anbieten.
Was halten die Mitstreiter davon? Das wäre "Handeln" im Sinne von Herrn Metz, dem ich ausdrücklich zustimme.

(Da fällt mir ein: wo ist Herr Dräger?)

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 09.06.2007 um 13.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8957

Wer heute etwas für die bessere Rechtschreibung tun will, erstelle eine Liste mit anschaulichen Beispielen für wieder mögliche Zusammen- und Kleinschreibungen und werfe sie allen Lehrern zwischen Kühlungsborn und Bad Säckingen in den Briefkasten! Das bringt jetzt mehr als jeder Aufruf. Wann immer ich im Fernsehen ein Interview mit Lehrern, Schulleitern, Politikern, Wissenschaftlern etc. sehe (egal zu welchem Thema) – immer, immer steht da irgendwo der Rechtschreibduden von 1996 im Bild, es ist zum Fürchten! Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Beteiligten über den aktuellen Stand informiert wären. Die Liste müßte so aufgemacht sein, daß sie dem Leser die Willkür, mit der der Rechtschreibrat einerseits den Rückbau minderwertiger Neuschreibungen bzw. die Wiederzulassung sinnvoller Altschreibungen abgebrochen und andererseits völlig unübliche neue Zusammenschreibungen aus dem Hut gezaubert hat, eindrücklich vor Augen führt. Wird ein Lehrer, der weiß, daß not sein wieder der Norm entspricht, ein leid tun monieren? Wird er ein spazierengehen noch als Fehler werten wollen, wenn ihn die Kunde erreicht hat, daß er die Schreibung (sich etwas) bietenlassen neuerdings unbeanstandet lassen muß – und wenn er zudem beim Blättern im aktuellen Duden zufällig auf (sich etwas) gefallen lassen gestoßen sein sollte? Wird er bis auf weiteres stehen lassen – und sogar stehenlassen! –, (ich möchte) auf folgendes (hinweisen) aber durchstreichen? Wird er bei der Korrektur der Arbeit von Fritzchen, der zum einen, die Einen und als Erstes geschrieben hat, zufrieden lächeln, während er bei Hänschen, der zum einen, die einen und als erstes geschrieben hat, zum Rotstift greift, und zwar nicht etwa wegen die einen und als erstes, sondern einzig und allein wegen als erstes? Wird er bei den Korrekturarbeiten am späten Abend wirklich ein rauh anstreichen, wenn es ihm noch am Morgen desselben Tages bei der Zeitungslektüre begegnet ist? Hoffentlich nicht. Hoffentlich sind die meisten Lehrer „weit blickend“ genug, dieses unwürdige Spiel nicht mitzumachen.

Mit Appellen ist es ein bißchen wie mit Rücktrittsdrohungen, zumal wenn die Forderung, die man erhebt, mit jedem Mal bescheidener wird. Gar nichts zu tun kann aber auch nicht richtig sein. Es wäre doch seltsam, wenn sich die Reformkritiker ausgerechnet jetzt, da der seit langem angekündigte Akt unmittelbar bevorsteht, nicht zu Wort meldeten. Die Bemäkelung von Schreibungen, die jahrzehntelang wunderbar funktioniert haben und die jeder Schüler, der mit offenen Augen und wachem Verstand durch die Welt geht, auch heute noch in zahllosen – oft besonders lesenswerten – Texten zuhauf antrifft, hat etwas so Borniertes und ist pädagogisch so fragwürdig, wenn nicht verheerend, daß man das ruhig noch einmal laut und deutlich sagen sollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2007 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8954

Sie würden natürlich zustimmen – mit der Bitte um Verständnis. Auf dem Altar der Einheitlichkeit ist schon viel mehr geopfert worden.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 09.06.2007 um 12.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8953

Lieber Herr Ickler, das mit dem "Fußfassen" war als Antwort auf Herrn Ballistols Mißverständnis gedacht. Da von der Reformrechtschreibung lediglich übriggeblieben ist, daß sie die traditionelle in einigen wenigen Randbezirken leicht verändert, besteht in der heutigen Schule das Gros der Schreibungen selbstverständlich weiter aus den üblichen, überkommenen, bewährten. Lediglich die neue Verteilung von "ss" und "ß" hebt die "Jugendschreibung" von der der Erwachsenen ab. Für deren Rückbau ist mehr erforderlich als gutes Zureden. Vielleicht erleben wir es ja, daß der Europarat die Abschaffung aller nationalen Besonderheiten dekretiert. Dann hätten wir die in der Schweiz übliche Orthographie. Wahrscheinlich würde man in Brüssel aber im gleichen Atemzuge auch die Abschaffung der Substantivgroßschreibung anordnen. Wie würden dann die Regierungen der drei deutschsprachigen Länder reagieren?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.06.2007 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8952

Der NZZ läßt sich überschwenglich nun gerade nicht entnehmen; sie hat nach eigener Darstellung immer schon überschwänglich geschrieben. Aber egal: Herrn Achenbachs Bedenken sind bedenkenswerter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2007 um 12.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8951

Manchmal kann ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren. Herr Jochems hat natürlich recht mit seiner These, daß in den Schulen "niemand mehr" die traditionelle Rechtschreibung beherrsche - bis auf das "mehr", denn auch schon früher wurde sie nicht beherrscht. Und die reformierte? Hier wählt Herr Jochems die schonende Ausdrucksweise, sie habe unleugbar in den Schulen "Fuß gefaßt". Wenn es nur auf einen Fuß ankommt, kann man wohl getrost behaupten, daß auch die herkömmliche Schreibweise noch einen solchen in der Tür hat.
Bei einigem guten Willen wäre die bisherige Orthographie mit wenigstens ebenso guten Chancen an den Schulen zu unterrichten wie die gerade mal fußfassende reformierte. (Ich meine natürlich sogar: mit besseren!)
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 09.06.2007 um 11.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8950

Verwaltungssgerichte überprüfen lediglich, ob bei der Entscheidung einer Behörde zum Schaden des Klageführenden die geltenden Bestimmungen und Vorschriften korrekt eingehalten wurden; eine inhaltliche Überprüfung findet im allgemeinen nicht statt. Zu denken ist in unserem Falle an die Nichtversetzung eines Schülers, u. a. wegen einer "5" in Deutsch. An dieser Note wäre, soweit sie vorwiegend auf schriftlichen Arbeiten beruht, die Rechtschreibnote nach den geltenden Beurteilungsrichtlinien nur minimal beteiligt. Wenn man weiter bedenkt, daß eine schlechte Teilnote für diesen Bereich nicht wegen genereller Mißachtung der neuen Regeln erteilt werden kann, sondern nur wegen wirklicher Verstöße, ist der von uns konstruierte Fall völlig ausgeschlossen. In der Schweiz könnten Schüler - theoretisch - aus der NZZ Schreibungen wie "rauh", "überschwenglich" oder "im übrigen" übernehmen. Wie oft kommen die aber in einem deutschen Aufsatz vor? Daß die reformierte Rechtschreibung in den Schulen Fuß gefaßt hat, wird wohl niemand leugnen. Selbst im Weinviertel wird es gewiß nicht anders sein.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.06.2007 um 10.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8949

Was für die Rechtschreibkenntnisse der Schüler gilt, trifft leider auch auf die Grammatikkenntnisse vieler Deutsch-Professoren zu, ganz besonders der für die Reform verantwortlichen. Wir müssen eben auf Prof. Ickler als sachkundigen Experten bestehen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 09.06.2007 um 09.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8948

Etwas anderes wäre es, wenn ein Schüler englische Klassenarbeiten in Sütterlinschrift schriebe. Der Fall ist freilich ganz hypothetisch, da niemand mehr die Sütterlinschrift beherrscht – was auch für die traditionelle deutsche Rechtschreibung gilt.

Da ja jeder Forderungen erheben darf, fordere ich hiermit, daß offenkundige Unwahrheiten entweder gar nicht erst geschrieben oder zumindest redaktionell geahndet werden.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 09.06.2007 um 02.35 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8947

Ich teile die Skepsis zu den Erfolgsaussichten eines solchen Aufrufs. Ich hätte auch inhaltliche Bedenken zu Ballistols Fassung.
Im einzelnen:
Zu 1.
Toleranz ja, aber was ist genau die "klassische Orthograpie" - mit oder ohne "Dudenspitzfindigkeiten"? Dann doch gleich noch mehr Toleranz. Es gibt ja auch plausible Abweichungen von alter und neuer Rechtschreibung zugleich.
Zu 2.
Wer bestimmt, was der "allgemeine Gebrauch" ist?
Zu 3.
In der nun einmal entstandenen, durch die RSR verbogenen Lage hätte das "deskriptive Prinzip" verheerende Konsequenzen.
Zu 4.
Über das grammatisch Richtige kann man sich genauso streiten wie über das orthographisch Richtige.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.06.2007 um 01.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8946

Daß es wenig Zweck hat, eine solche Forderung zu erheben. Es würde eher kläglich wirken. Überdies fehlt der Neuigkeitswert.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 09.06.2007 um 00.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8945

Und was folgt daraus?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.06.2007 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8944

Jeder darf Forderungen erheben, nicht bloß Gewerkschaften. Fragt sich nur, ob sie auch gehört oder gar erhört werden. Und das ist in diesem Fall nicht zu erwarten, weil die meisten reformkritischen Politiker die Uniformität noch stets über die Qualität der deutschen Rechtschreibung gestellt haben.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.06.2007 um 22.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8943

Daß es noch einmal zu Klagen vor den Verwaltungsgerichten kommt, ist unwahrscheinlich. Dafür ist das Konfliktpotential nach der Revision der Neuregelung zu gering. Angenommen, unsere Jeanne d'Arc aus Elsfleth hielte bis zum Abitur mit ihrem Widerstand gegen die Reformschreibungen durch: Würde ihr das Nachteile bei der Beurteilung ihrer schriftlichen Arbeiten einbringen? Ganz ausgeschlossen. Josefine ist - wie alle ernsthaften Reformkritiker - so sehr für die Probleme der deutschen Rechtschreibung sensibilisiert, daß sie ihre eher gleichgültigen Altersgenossen mit Leichtigkeit aussticht. Ihre Lehrer könnten natürlich in der bewußten Verwendung von wegreformierten Schreibungen einen Verstoß gegen die Schuldisziplin sehen. So fanatisch ist jedoch kaum jemand unter ihnen. Etwas anderes wäre es, wenn ein Schüler englische Klassenarbeiten in Sütterlinschrift schriebe. Der Fall ist freilich ganz hypothetisch, da niemand mehr die Sütterlinschrift beherrscht - was auch für die traditionelle deutsche Rechtschreibung gilt. Außer den Schulbüchern ist die gesamte Jugendliteratur auf die neue Rechtschreibung umgestellt. Es ist also nicht erkennbar, was einige Eltern nach dem 1. 8. 2007 vor die Gerichte treiben könnte.

Genausowenig wird es zu heftigen Reaktionen in der Öffentlichkeit kommen. Bei welchen traditionellen Schreibungen kann denn überhaupt der Gesichtspunkt der grammatischen Richtigkeit ins Feld geführt werden, und wie viele wären das wohl? Die Reformer haben in einer Anzahl von Fällen die Berücksichtigung textsemantischer Gesichtspunkte aufgehoben, was aber nichts mit Grammatik zu tun hat. Nein, rechtzeitig vor dem 1. August 2007 kann man den Schulpolitikern lediglich klarmachen, daß die weitere Duldung traditioneller Schreibungen in Schülerarbeiten - sollten sie denn vorkommen - ein Gebot demokratischer Fairness ist. Fordern können wir übrigens nichts, wir sind keine Gewerkschaft. Wahrscheinlich werden wir sogar vergeblich nach einigen hochgestellten Persönlichkeiten suchen, die unser Anliegen glaubwürdig vortragen könnten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.06.2007 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8935

Für "was grammatisch richtig ist, darf kein zensurenrelevanter Rechtschreibfehler sein" kann schon vorbeugend die öffentliche Meinung sensibilisiert werden und den Lehrern mit Gerichtsverfahren gedroht werden. Wie sagte Max Streibl, früherer bayerischer Ministerpräsident: In Bayern wird eben etwas härter hingelangt.
 
 

Kommentar von Werner D'Inka, verfaßt am 08.06.2007 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8934

Vielen Dank für Ihre Nachricht, die ich vorerst leider nicht beantworten kann, denn ich bin erst am Montag wieder im Büro. Ihre Mail wird nicht weiter geleitet.

Mit freundlichen Grüßen

Werner D'Inka
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.06.2007 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8933

Allenfalls vor Gericht könnten diese Forderungen, so bescheiden sie erscheinen mögen, durchdringen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.06.2007 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8932

Einige Corpi Delicti sind in Rom zu sehen. (SZ 8.6.07)
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 08.06.2007 um 15.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8931

Also

4. Was grammatisch richtig ist, darf kein Fehler sein.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.06.2007 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8930

Jeder Fall, bei dem in der Schule grammatisch richtige Schreibweisen als zensurenrelevante Fehler gewertet werden, muß ganz groß herausgestellt werden, um die Lehrer abzuschrecken, solches zu tun. Sie brauchen nämlich zu vernünftigem Handeln die Rückendeckung durch die Öffentlichkeit, und die Kultusminister registrieren als Politiker sehr wohl heftige Reaktionen der Öffentlichkeit.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 08.06.2007 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8929

Dann sollte man das doch anders gestalten, vielleicht in drei kernigen Punkten:

1. Toleranz gegenüber klassischer Orthographie

2. Wie zu schreiben ist, bestimmt der allgemeine Gebrauch

3. Primat des deskriptiven Prinzips

Das kann jeder unterschreiben (außer Sitta, Gallmann, Augst, aber die sind uns wurscht), es klingt vernünftig und modern. Wenn das durch ist, können wir die Freigabe der klassischen Rechtschreibung feiern!

 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 08.06.2007 um 15.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8928

Der Satz "Tatsächlich bietet die jetzige Unsicherheit die Chance, ..." steht recht unmotiviert inmitten geharnischter Kritik. Sollte man ihn nicht ergänzen um
", aber nur wenn wieder die Beobachtung des Schreibgebrauchs zum Prinzip macht und ausdrücklich abrückt vom formalistischen Regulieren ohne Rücksicht auf Grammatik und Ästhetik."
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 08.06.2007 um 15.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8927

Ich halte dies für eine diskutable Basis, wüßte aber doch gern, wen Sie unter "Wir" verstehen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.06.2007 um 15.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8926

In Sinne von Herrn Ballistols geplanten Aktivitäten schlage ich folgenden Aufruf zum 1. August 2007 vor:

In wenigen Monaten tritt die seit elf Jahren umstrittene Rechtschreibreform endgültig für die Schulen in Kraft. In vielen Fällen haben die Kultusminister inzwischen die größten Versehen der Neuregelung von 1996 zurückgenommen oder zumindest die bewährten Schreibungen wieder für zulässig erklärt. Die meisten unserer Schriftsteller haben die Reformschreibungen ohnehin nicht übernommen, und die Zeitungen behelfen sich mal so, mal so. Wie deutsche Kinder und Jugendliche angesichts dieser Verhältnisse sichere Rechtschreibkenntnisse erwerben sollen, wird von den Schulen und den zuständigen Behörden geflissentlich übersehen. Tatsächlich bietet die jetzige Unsicherheit die Chance, daß sich nach einiger Zeit eine von der Schreibgemeinschaft getragene neue Rechtschreibung herausbildet. Aus rechtlichen wie aus praktischen Gründen wäre es ein Skandal, wenn ab Herbst 2007 die Lehrer ihren Schülern die besseren Schreibungen als Fehler anstreichen müßten. Wir fordern deshalb eine Regelung für alle Schulen, die über das jetzt Übliche hinaus den Schülerinnen und Schülern die Verwendung traditioneller oder reformierter Schreibungen freistellt.


 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 08.06.2007 um 13.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8925

Auch die jetzige Klimadiskussion verläuft auf der Basis der Pseudowissenschaftlichkeit. Der Unterschied ist: die Politiker sind daran interessiert, die Sichtweise der staatlich bezahlten "Klimaforscher" absolut zu setzen, weil sie daran verdienen und es ihnen die Möglichkeit gibt, das "verängstigte" Volk "zu beschützen". An der Rechtschreibreform war nicht viel oder nichts zu verdienen. Und deshalb stimmt die ganze Sache in der Tat verwunderlich, wenn man sie nicht als bloße Agitation abtut. Man wird sehen, was die Zeit noch ans Licht befördern wir.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.06.2007 um 12.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8924

Was die moralische Argumentation betrifft, habe ich mich wohl so einigermaßen zurückgehalten, aber daß man sie ganz aus dem Spiel lassen könnte oder sollte, scheint mir auch wieder nicht richtig. Mit mehr Recht als Herr Augst, der jede Kritik publikumswirksam als "Verunglimpfung" zu bejammern pflegt, könnten die Reformkritiker auf zahllose Versuche hinweisen, sie zu diffamieren - bis hin zu jenem kläglich gescheiterten Denunziationsversuch, dem ich von seiten einer "Kollegin" ausgesetzt war. (Ich will den Fall nicht noch einmal aufwärmen, mancher wird sich noch erinnern.)

Aber ich stelle nebenbei mit Interesse und Verwunderung fest, daß mein kleiner Tagebucheintrag schon 217 (!) Kommentare hervorgerufen hat. Wie kommt denn das?

Sehe gerade, daß kratzbaum im Diskussionsforum auch etwas dazu geschrieben hat. O ja, es gab der Intrigen genug, u. a. hat Munske davon berichtet. Unterm Strich bleibt ja die Frage, wie eine Reform gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit und praktisch ohne Interesse der Politiker durchgesetzt werden konnte. Man kann natürlich auch die Lüge mit naturwissenschaftlicher Objektivität als Phänomen wie jedes andere betrachten, aber diese Haltung eignet sich mehr für später.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 08.06.2007 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8923

Ich hätte dafür noch ein ganz anderes Vokabular, will aber nicht schon wieder Herrn Wrase mit Übersetzungsnöten beschweren. Ich rufe sowas künftig in den Windeleimer unseres Buben hinein.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 08.06.2007 um 09.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8922

Was einen am "dass" ärgert, ist seine Unnötigkeit. Die ss-Regel wurde ja nur reingenommen, weil es sonst kein Erkennungsmerkmal gab für reformierte Texte. Eine bessere und bewährte Lösung wurde zum Bauernopfer ohne sachlich stichhaltige Begründung. Und ferner ärgert es einen, daß die erwiesenen Konsequenzen, die höhere Fehlerzahl, von den Verantwortlichen nicht zur Kenntnis genommen werden. Und es ärgert einen sehr, wenn es vorkommt, daß auf nichts anderes als ss geachtet und ein Text abqualifiziert wird, weil "daß" drin vorkommt.
Ohne dieses bequeme Erkennungsmerkmal wäre die bornierte und barbarische Aussonderung von Büchern aus Schulbüchereien ja gar nicht durchführbar oder würde selbst von Kleingeistern wohl kaum als nötig empfunden werden! Wenn solche Kollateralschäden stillschweigend und ungerührt in Kauf genommen werden, darf man das schon unmoralisch nennen. Oder wie sonst?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.06.2007 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8921

Sehr geehrter Herr Bärlein, mir ging es um die Reaktion von Lesern auf ungewöhnliche Schreibungen. Diese unterscheiden sich von den uns durch lange Lese- und Schreiberfahrung geläufigen ja nur dadurch, daß sie in irgendeinem zweitrangigen Zug vom Gewohnten abweichen. Da wir beim Lesen von der Präsupposition ausgehen, daß der vorliegende Text sinnvolle Aussagen macht, ordnen wir normalerweise jede ungewöhnliche Schreibung einer geläufigen zu. Der Leseprozeß ist also nie auch nur geringfügig behindert. Im Laufe der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform hat sich jedoch bei einigen Lesern die Gewohnheit herausgebildet, die staatlich dekretierten neuen Schreibungen nicht nur für orthograpisch schlecht, sondern auch für moralisch minderwertig zu halten, nämlich als Ausweis einer unterwürfigen Gesinnung. Auf diesen Seiten war schon zu lesen, der Anblick der häufigen Neuschreibung "dass" sei so abstoßend, daß dadurch das Weiterlesen unmöglich gemacht werde. Ein so hoher Grad von Emotionalität in bezug auf Rechtschreibung hat es hierzulande noch nie gegeben, wie auch parallele Beispiele aus anderen Ländern fehlen. Bei allen Einwänden, die wir gegen die Rechtschreibreform haben, sie ist nicht gegen den erklärten Willen der germanistischen Sprachwissenschaft oder gegen nennenswerten Widerspruch seitens unserer gewählten politischen Vertreter eingeführt und durchgesetzt worden. Der einzelne Lehrer oder der einzelne Journalist, der die veränderten Schreibungen heute vermittelt bzw. in seinen Texten benutzt, handelt weisungsabhängig. Ihnen darf nicht angehängt werden, was sie nicht zu verantworten haben. Die Revision seit 2005 hat in einem großen Bereich unserer Rechtschreibung die in der freien Schreibpraxis nach wie vor üblichen Schreibungen rehabilitiert. Gewiß ist zu bedauern, daß diese Aufräumarbeit zu früh unterbrochen wurde. Wir sollten deshalb entschieden fordern, daß dieser Prozeß weitergeführt wird. Die Moral sollten wir aber aus dem Spiel lassen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 07.06.2007 um 23.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8920

"Wenn wir bei Thomas Mann oder bei Günter Grass eine abweichende Schreibung finden, die allerdings so auch in der Neuregelung vorgesehen ist, regen wir uns nicht darüber auf. Hier sehen wir die Intuition oder die besondere Aussageabsicht des Schreibers am Werk. Dieselbe Schreibung in einer heutigen Zeitung deuten wir als ein Zeichen gewissenloser Unterwürfigkeit." (Helmut Jochems, # 8906)

Das ist es eben. Ernst Jünger, 1996 als über 100jähriger einer der ersten Unterzeichner der Schriftstellerresolution gegen die Reform, setzte in seinen Texten schon zu seinen Lebzeiten seit langem vom allgemeinen Gebrauch überholte Getrenntschreibungen - neulich stolperte ich über ein "kennen lernen" - bewußt als Stilmittel ein. Niemand wird deshalb auf die Idee verfallen, es ihm als Inkonsequenz auszulegen, wenn er dergleichen nicht zur zwingenden Norm erhoben sehen wollte. Und schon gar nicht wird man dem Autor der Marmorklippen deshalb "gewissenlose Unterwürfigkeit" unterstellen. Diese wäre, wie übrigens auch im Fall von Thomas Mann, sowieso nur als sogenannter vorauseilender Gehorsam konstruierbar.

Wenn dagegen in der Zeitung z.B. "seit Langem" (auch bei Gottfried Benn belegbar), "Wut entbrannt" (meines Wissens nirgendwo belegbar) oder "Bund der Selbstständigen" steht (von der Schlußredaktion so geändert, obwohl der Verein sich nach wie vor "Bund der Selbständigen" nennt), habe ich selten den Eindruck, daß dort die Intuition von Könnern mit besonderen Aussageabsichten am Werk gewesen sei. Schon eher den, daß es sich um Unterwürfigkeit handelt - ob nun eine gewissenlose oder eine andere.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2007 um 20.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8919

In der „Zeit“ vom 6.6.07 zitiert Hans Peter Kunisch aus einem neuen Suhrkamp-Roman „diese Sprachverselbständigung“ und fährt seinerseits fort: „Gefährlich ist diese Sprachverselbstständigung.“

In derselben Nummer eröffnet Jens Jessen eine sprachkritische Ecke. Er macht seine Sache diesmal gar nicht schlecht, aber einen Beigeschmack hat das Unternehmen doch. Die "Zeit" ist seinerzeit vorangeprescht und seither den Kultusministern auf den Fersen geblieben, jede Wendung diensteifrig mitmachend. Wird es jemals möglich sein, in der "Zeit" die Schreibweisen "bis auf Weiteres" usw. als rückständig zu kritisieren? Wohl kaum.
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 07.06.2007 um 16.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8918

Wenn es gewünscht wird, können wir die historischen Beiträge, die ja an anderen Stellen ohnehin auffindbar sind, jederzeit entfernen.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 07.06.2007 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8917

1997 oder 1998 sagte in einer Fernsehdiskussion (an der auch Professor Ickler teilnahm) einer der französischen Rechtschreibreformer: "Wir hatten an alles gedacht, nur die Leute hatten wir vergessen." Als Beispiel nannte er deren Vorliebe für die etymologisch falsche Schreibung "nénuphar", die sie nämlich aus vielen Bildunterschriften kennen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.06.2007 um 15.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8916

Franz. nénufar ist kein geeignetes Beispiel, denn so wurde bis 1935 etymologisch richtig geschrieben, weil das Wort arabisch-persischen und nicht griechischen Ursprungs ist, was nénuphar glauben machen könnte. Die Neuempfehlung kehrt nur zur früher üblichen Schreibweise zurück. Quelle: franz. Wikipedia.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 07.06.2007 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8915

Wenn auch nach Martin Luthers Meinung Apokryphen "doch nützlich und gut zu lesen sind", ich habe sie nicht ins Netz gestellt.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 07.06.2007 um 13.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8914

"In beiden Fällen hat die Wirklichkeit für Aufklärung und Ausräumung der Irrlehren gesorgt."

Lieber Herr Jochems,

Sie wissen wohl, daß das Dritte Reich ohne Kriegsniederlage nicht zu anderen Einsichten gelangt wäre. Auch die Volkslenker von Wandlitz hätten sich weder von Ochs noch Esel aufhalten lassen.

Die Reformschreibung kann keinen Bestand haben, sie entspricht nicht der Natur unserer Sprache.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems anno 1999: lesenswert!, verfaßt am 07.06.2007 um 13.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8911

Noch etwas aus der Abteilung "An ihren Früchten werdet ihr sie kennen"


Schlußstrich oder Schlussstrich?

Die neue deutsche Rechtschreibung im zweiten Jahr ihrer Erprobungsphase

Für Lehrerinnen und Lehrer muß es am 2. 8. 1999 ein eigenartiges Erlebnis gewesen sein, die amtliche Sonderschreibung der Schulen schon beim Frühstück in der Zeitung anzutreffen - freilich nicht vollständig und dazu sehr nachlässig gehandhabt. Doch an diesen Zustand hatte sich ja seit spätestens Herbst 1998 jedermann gewöhnen können, der von Schülern geschriebene Texte durchzuarbeiten hat. Etwas konsequenter verfahren die Behörden, aber die frühere Korrektheit der amtlichen Schreiben ist ebenfalls dahin. Dabei sollte die Rechtschreibreform doch nur einen kleinen Teil der Wörter orthographisch verändern, damit das Schreiben insgesamt logischer und einfacher würde. Nach einem Jahr amtlicher Gültigkeit der Neuregelung gilt es als Ergebnis festzuhalten: Die früher für selbstverständlich gehaltene Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung gibt es nicht mehr. Wird es sie je wieder geben?

Daß es zu dem jetzigen Zustand kommen mußte, war allen Eingeweihten schon im Sommer 1996 klar. Die angeblich über Jahre hinweg sorgfältig vorbereitete „Neuregelung” war tatsächlich 1994/95 unter der Federführung deutscher Ministerialbeamter aus den zum Teil nicht einmal abschließend beratenen Einzelentwürfen des Internationalen Arbeitskreises in aller Hast zusammengestellt worden. Für die Überprüfung der neuen Regeln an Texten und Wortsammlungen oder gar im Unterricht fehlte die Zeit. Die fachliche Kritik hatte deshalb nach dem Bekanntwerden des amtlichen Regelwerks keine Mühe, zahlreiche Widersprüche und Unzulänglichkeiten aufzudecken. Den überzeugendsten Beweis für die Verfehltheit der Rechtschreibreform traten jedoch die Lexikographen der Wörterbuchverlage an, die auf Anhieb mehrere tausend Abweichungen produzierten.

Den Kultusministern war natürlich schon vor ihrer Zustimmung zur „Wiener Absichtserklärung” klar, daß die Neuregelung in der 1996 beschlossenen Form keinen Bestand haben würde. Die überstürzte Schuleinführung hatte einzig den Zweck, die Reform überhaupt zu retten, um später nach einer in amtlichen Dingen meist sehr reichlich bemessenen Schamfrist die schlimmsten Schäden zu beseitigen. Die Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, die ja auch ihr akademisches Renommee zu wahren haben, sahen diesen Zeitpunkt schon Dezember 1997/Januar 1998 als gekommen an. In ihrem ersten Bericht an die Konferenz der Kultusminister schlugen sie Regelveränderungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie der Groß- und Kleinschreibung vor. Betroffen waren etwa 500 bis 800 Wörter. Der Vorsitzende der Mannheimer Kommission, Prof. Gerhard Augst (Siegen), hielt diese Nachbesserung für derart „unumgänglich notwendig”, daß er die wiederhergestellten traditionellen Schreibungen schon in seinem großen „Wortfamilienwörterbuch der deutschen Sprache” (Tübingen 1998) verwendete, und zwar in den Einträgen selbst und in seinen Erläuterungen. Zur großen Überraschung aller Beteiligten lehnten die Kultusminister der Bundesrepublik nach Beratung mit ihren Kollegen aus Österreich und der Schweiz die Veränderung des Regelwerks ab. Mit ihrer Zustimmung vor der amtlichen Einführung am 1. 8. 1998 hätten sie der Rechtschreibreform den Boden entzogen. Die Professoren Eisenberg (Potsdam) und Munske (Erlangen-Nürnberg) reagierten auf die Brüskierung der Zwischenstaatlichen Kommission mit ihrem Austritt.

Was aber eine amtliche Kommission für unhaltbar hält, kann nicht unendlich lange beibehalten werden. Prof. Augst ist deshalb im Augenblick nicht zu beneiden. Einerseits muß ihm daran gelegen sein, den verheerenden Eindruck der stark divergierenden Wörterbücher aus der Welt zu schaffen, andererseits muß er aber auch auf die Reparatur des Regelwerks selbst dringen. Dem ersten Anliegen diente Ende 1998 eine Reihe von Besprechungen mit den leitenden Lexikographen von Duden und Bertelsmann. Die einzige verläßliche Autorität für die neue deutsche Rechtschreibung ist nämlich zur Zeit Prof. Augst. Im Grunde entscheidet er freilich nach eigenem Gusto, welche der von dem ungenauen und widersprüchlichen Regelwerk erzeugten Schreibvarianten gelten soll. Diese Schreibungen gehen in die neuesten Wörterbücher der beiden Großverlage ein, an denen sich dann die übrigen einschließlich der Schulbuchverlage zu orientieren haben. Merkwürdigerweise hört man aus Mannheim keinen Widerspruch gegen den Sonderweg der Nachrichtenagenturen und noch stärker abweichende Hausorthographien wie die der ZEIT. Seit Ende 1997 schweigt die Zwischenstaatliche Kommission aber ohnehin, während vorher häufige Presseerklärungen die Regel waren. Offenbar geht es jetzt ausschließlich um Zeitgewinn in der Hoffnung, daß der Widerstand der Reformgegner erlahmt und dann von der Rechtschreibreform gerettet werden kann, was nicht auf eklatante Weise verfehlt ist.

Bei genauer Lektüre des didaktischen Handbuchs „Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht” (Stuttgart 1998), das Prof. Augst gemeinsam mit der als Ersatz für Prof. Munske in die Zwischenstaatliche Kommission berufenen Professorin Mechthild Dehn (Hamburg) verfaßt hat, findet man die neue Marschrichtung schon vorgezeichnet:
Der geübte Schreiber beherrscht in der Rechtschreibung das meiste unbewusst, ohne zu wissen, was er kann. (199) Die Frage, was ein zusammengesetztes Wort ist, hat schon ganze Generationen von Sprachwissenschaftlern beschäftigt. Wir können sie hier auch nicht lösen. In den allermeisten Fällen gehen die Schreibenden von einem intuitiven Verständnis aus. (138) Die meisten Erwachsenen wenden in diesem Bereich keine bewussten Regeln an, sondern verlassen sich auf ihre Intuition und ihr Gedächtnis, d. h. gespeicherte Zusammensetzungen oder feste Wortgruppen. Die Verzwicktheit der Regeln verschlechtert beim Lernen oft die Leistungen in diesem Bereich. (140) Eine linguistische Theorie, die nicht die üblichen Schreibungen erzeugt, ist falsch. (48)

Offenbar soll künftig auf künstlich kreierte Schreibungen verzichtet werden, und statt der ständigen Orientierung an explizit formulierten Regeln soll das Sprachgefühl der kompetenten Schreiberinnen und Schreiber wieder eine größere Rolle spielen. Wie ein Relikt aus vordemokratischen Zeiten mutet freilich der Satz an, der wohl aus einer älteren Redaktionsstufe stehengeblieben ist:
Ist sonst für alle sprachlichen Theorien der sprachlich kompetente Erwachsene das Maß aller Dinge, so ist es in der Rechtschreibung das amtliche Regelbuch. (49)

Damit ist natürlich noch nichts über den Zeitpunkt gesagt, zu dem die Reform der Reform ins Werk gesetzt wird. Das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister hält noch starr an 2005 fest, nennt den jetzigen Zustand aber vorsichtshalber „Erprobungsphase”. Aus den Wörterbuchverlagen erfährt man frühere Termine. Die Rede ist von zwei bis drei Jahren bis zu einer Revision des Regelwerks. Für den späteren Termin plädieren erwartungsgemäß die Schulbuchverlage, die ja einiges in die orthographische Umstellung ihrer Publikationen investiert haben.

Offen muß bleiben, wie sich im Hinblick auf die geplante Reform der Reform die Zeitungen verhalten werden. Deren eigenes Regelwerk (aus der Arbeitsgruppe der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen) verzichtet zwar auf die eindeutschenden Fremdwortschreibungen, die das Lesen erschwerende vereinfachte Zeichensetzung und die manchmal abenteuerliche neue Silbentrennung, läßt aber sonst die heftig kritisierten Regeln in den Abschnitten Getrennt- und Zusammenschreibung bzw. Groß- und Kleinschreibung unverändert. Eine Ausnahme bildet lediglich DIE ZEIT, die in ihrer Hausorthographie wenigstens die meisten zusammengesetzten Partizipien wieder zusammenschreibt. Eine allgemeine Rückkehr zu der von allen Ungereimtheiten gereinigten früheren Duden-Schreibung dürfte allerdings weder den Medien noch den Behörden schwerfallen. Außerhalb der Schulen ist die neue Orthographie nämlich im wesentlichen eine Domäne der Rechtschreibkonverter. Kaum jemand macht sich die Mühe, das verwirrende Regelwerk wirklich zu lernen, denn der Computer wird’s schon richten. Daß in den Zeitungen neuerdings so häufig divergierende Schreibungen für ein und dasselbe Wort anzutreffen sind, hat einen einfachen Grund: Konverter speziell für die dpa-Rechtschreibung gibt es noch nicht, folglich muß vorläufig bei jeder Schlußredaktion improvisiert werden.

Unterdessen ergeben auch die neuesten Befragungen, daß etwa Dreiviertel aller Deutschen bei der traditionellen Rechtschreibung bleiben wollen. Ihnen bietet sich das Rechtschreibwörterbuch (mit neuformuliertem Regelwerk) Deutsche Einheitsorthographie (St. Goar 1999) des Erlanger Sprachwissenschaftlers Theodor Ickler als Hilfe an. Prof. Ickler spricht von der „üblichen” Rechtschreibung, die er in Texten aus Zeitungen und anderen Quellen – heute per CD-ROM leicht zugänglich – findet. Dabei ergibt sich übrigens, daß der Duden bislang zur „amtlichen” Norm erhob, was in den Belegen überwog. „Üblich” bedeutet aber nicht per se „einheitlich”. Alle neueren Entwicklungen, wie zum Beispiel die Zusammenschreibung von „ernstnehmen” oder „nochmal”, tauchen zunächst nur in wenigen Quellen auf, um dann allmählich mehrheitsfähig zu werden. Eine Rechtschreibnormierung, die solche Entwicklungen von vornherein abblockt, ist gegen den Geist der Sprache. Prof. Ickler unterscheidet deshalb in seinem Regelwerk wie in seinem Wörterbuch Schreibungen, über die es in der Schreibgemeinschaft keinen Dissens gibt, von solchen, die für Neuerungen offen sind. Für letztere gelten „fakultative” Regeln. Beim Vergleich von Prof. Icklers Regelwerk mit den Korrekturvorschlägen der Zwischenstaatlichen Kommission vom Januar 1998 kommt man zu dem verblüffenden Ergebnis, daß in weiten Bereichen die Reformbefürworter und die Reformkritiker (sofern sie sprachwissenschaftlich und nicht ideologisch oder populistisch argumentieren) in ihren Ansichten gar nicht so weit auseinander liegen.

Ausländische Freunde, besonders die Franzosen, überrascht die Passivität, mit der die deutsche Öffentlichkeit auch die unsinnigsten Rechtschreibänderungen hinnimmt. Daß die Deutschlehrer aller Schularten nicht gleich 1996 protestierten, mag man mit deren Erfahrungen im Umgang mit den Schulbehörden erklären. Jede politische Richtung, die gerade in den Kultusministerien das Sagen hat, setzt dort ihre Lieblingsideen durch. Lehrer sind Beamte und haben die staatlichen Vorgaben zur übernehmen. Im Falle der Rechtschreibreform kommt freilich hinzu, daß vielen Deutschlehrern seit ihrem Studium die anti-elitären Vorstellungen vertraut sind, auf die die Reformer sich gern berufen. Prof. Augst schrieb im Frühjahr 1997 an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz (damals Rolf Wernstedt aus Niedersachen):
Die Rechtschreib-Norm darf auf keinen Fall große Teile des Volkes von dem Gebrauch der richtigen Schreibung ausgrenzen, und dies erst recht nicht in einem demokratischen Gemeinwesen, wo jeder Bürger das grundgesetzlich verbriefte Recht hat, sich in Wort und Schrift frei zu äußern. [...] Bei dem ungeheuren gesellschaftlichen Stellenwert, den die Rechtschreibung hat, ist es auch nicht möglich, eine einfache Rechtschreibung für das einfache Volk und eine sophistizierte Rechtschreibung für die Gebildeten zuzulassen. [...] Eine Rechtschreibung für jedermann muss bestimmt sein durch klare Grundregeln, die möglichst wenig Ausnahmen oder gar Ausnahmen von den Ausnahmen haben.

Die sprachwissenschaftliche Kritik – gleich von welcher Seite – hält das Regelwerk von 1996 für ungeeignet, die hier aufgestellten Ziele zu erreichen. Untersuchungen über Änderungen des allgemeinen Schreibverhaltens gibt es verständlicherweise noch nicht, aber auch aus den Schulen erfährt man wenig. Einiges deutet jedoch darauf hin, daß pauschalierende Hinweise wie „In der Regel getrennt!” und „In der Regel groß!” jetzt schon zu Falschschreibungen führen, die es früher nicht gab.

Sind die Lehrer von Amts wegen gehalten, die „amtliche” Rechtschreibreform mitzumachen, hätte man von den Journalisten ein unabhängiges Urteil erwarten dürfen, zumal diese Berufsgruppe ja wirklich die kompetenten Schreibpraktiker par excellence stellt. In der Tat hat es um den 1. August nicht an sarkastischen Kommentaren in den Zeitungen gefehlt, aber von ausgesprochenem Widerstand einzelner Journalisten oder ganzer Redaktionen war nichts zu hören. Immerhin haben die Zeitungsverlage es vermieden, die Zustimmung ihrer Redakteure zu der geplanten Umstellung einzuholen, und sie begründen ihren Schritt entsprechend dürftig mit dem Hinweis auf die „Leser von morgen”, an die sie zu denken hätten. Angesichts der Kapitalverflechtung und der Beteiligungsverhältnisse im Medienbereich muß man eher annehmen, daß die Großen der Branche mit Interessen im lukrativen Wörterbuchgeschäft sich durchgesetzt haben. Da aber praktisch alle mitmachen, versagt hier der investigative Journalismus. Man wird wohl nie erfahren, wie es zu der von der Öffentlichkeit nicht gerade herbeigesehnten Umstellung der Zeitungsorthographie kam. In diesen Zusammenhang gehört jedoch die Enttäuschung der Journalisten darüber, daß ihre Leser nicht energischer gegen die neuen Schreibweisen protestieren. Es hat zwar kritische Leserbriefe gegeben, doch wer wird sein Abonnement nur wegen „Missbrauch” und „Essstörungen” kündigen?

Schon jetzt ist jedoch abzusehen, daß von der Einführung der neuen Schreibungen in den Druckmedien eine viel größere Wirkung ausgeht als von der bislang nicht sehr gründlichen Umsetzung in den Schulen und bei den Behörden. Konsequenterweise hat Anfang August die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihren Kompromißvorschlag vom Februar 1999 zurückgezogen, mit dem sie kurzfristig eine vernünftige Revision der Neuregelung erreichen wollte. Zugrunde lag Prof. Eisenbergs „minimalistisches” Programm, alles Sinnvolle und Hinnehmbare aus dem neuen Regelwerk beizubehalten. Insgesamt ist jedoch sein Urteil über die Rechtschreibreform trotz aller Zugeständnisse eindeutig: „Auch evidente Dummheiten muß sich eine Sprachgemeinschaft vom Staat nicht auferlegen lassen.” Das war wohl der letzte Versuch der Darmstädter Akademie, mit dem Sachverstand und dem Renommee ihrer hundert „Weisen der deutschen Literatur” etwas gegen die mißglückte Rechtschreibreform zu unternehmen.

Unter diesen Umständen könnte es scheinen, als zöge der schleswig-holsteinische Landtag mit der skandalösen Aufhebung des Volksentscheids zur Rechtschreibreform den Schlußstrich unter die turbulenten Entwicklungen der letzten drei Jahre. In allen anderen Bundesländern sei der Protest gegen die Neuregelung zusammengebrochen, hieß es am 15. September in Kiel. Nur eine Partei, die vor kurzem noch konsequent für die traditionelle deutsche Orthographie eintrat, sieht weiterhin „erheblichen Korrekturbedarf”. Hieran ist zweierlei bemerkenswert: Unter den deutschen Kultusministern gibt es auch nach der Offenlegung der gröbsten Ungereimtheiten im neuen Regelwerk vorläufig keinerlei Bereitschaft, die einmal getroffene Entscheidung wenigstens teilweise zu revidieren. Wo Politiker die Unzulänglichkeiten zugeben, verweisen sie auf spätere Korrekturen. Auch die objektiv als falsch erkannten Schreibungen müssen also weiterhin an den Schulen gelehrt und gelernt werden. Erst wenn es nach 2005 mit der Wiederherstellung normaler Bewertungspraktiken offenbar wird, daß die Reform die deutsche Rechtschreibproblematik eher verschlimmert hat, wird man in den Kultusministerien wieder „Handlungsbedarf” sehen. Hoffentlich läuft es dann nicht auf jene Radikalreform hinaus, die den eingefleischten Reformern immer schon vorschwebte.

„Die Sprachwissenschaftler haben die Rechtschreibung nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, die Rechtschreibung zu verändern.” Von dieser 11. These über Duden ist Prof. Augst inzwischen abgerückt und wird wohl auch für neue Experimente nicht mehr zu haben sein. In seiner Rechtschreibdidaktik (Augst/Dehn) hat er sogar seinem alten Steckenpferd „Volksetymologie” (fast) abgeschworen:
Da es in der Sprachgeschichte zu tolerierten Umdeutungen kommen kann, sind in der Reform einige Wörter rechtschreiblich angepasst worden, z. B. Quäntchen, Zierrat. (135)

Das ist ehrlicher und zugleich konzilianter als alles, was man bis vor kurzem vom Vordenker der Reformer hörte. Konkret ist freilich noch nichts zurückgenommen, und immer noch stehen die orthographischen Scherze von 1996 mit dem „Tollpatsch” an der Spitze in den Wörterbüchern. Übrigens ist in Frankreich vor ein paar Jahren eine Rechtschreibreform an der Neuschreibung des Namens der Seerose gescheitert: „nénufar” statt „nénuphar”. Es gibt also doch noch Unterschiede zwischen den beiden großen kontinentalen Kulturnationen – bei der Orthographie und im Demokratieverständnis.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems an Klaus Heller im Jahre des Herrn, verfaßt am 07.06.2007 um 12.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8910

Helmut Jochems, Prof. em. an der Gesamthochschule Siegen, an Dr. Klaus Heller, Mitglied der 'Zwischenstaatlichen Kommission'.

Offener Brief v. 3. 4 2000.

Der Verfasser ist Prof. em. für das Fachgebiet 'Didaktik der englischen Sprache' an der Universität-Gesamthochschule Siegen und ein langjähriger Kollege des Angesprochenen

Sehr geehrter, lieber Herr Heller,

als Sie im Januar resignierend in den zweiten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission schrieben, angesichts der starren Haltung der Kultusminister bliebe Ihnen nichts anderes übrig, als die Neuregelung in ihrer unrevidierten Fassung durchzusetzen, ahnten Sie noch nicht, welches Unwetter sich über Ihnen zusammenbraute. Die Kritiker haben recht behalten: Nicht in den Schulen mit ihrem beschränkten Rechtschreibvokabular, sondern in den Druckmedien scheitert die 'amtliche Regelung'. Ein halbes Jahr hat genügt, um die Absurdität der neuen Rechtschreibung Journalisten und Zeitungslesern vor Augen zu führen. Davon liest man in Ihrem Bericht nichts, aber nun halten es Ihnen die Zeitungen vor.

Auslöser der Unmutsäußerungen war die Dreistigkeit der Duden-Redaktion, in ihrem zehnbändigen Wörterbuch Textbelege im Sinne der „Neuregelung“ zu verfälschen. Hans Krieger berichtete darüber in der 'Süddeutschen Zeitung' von 4. 3. 2000 und wurde von der Wiener Zeitung 'Die Presse' am 7. 3. 2000 so zitiert:

"Rechtschreibreform: 'Neuer Großer Duden vermehrt das Chaos' Einen Abbruch der Reform fordert eine prominente Stimme aus München: Das Unterfangen sei rettungslos gescheitert, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung". [...] Klarheit hätte mit dem neuen Großen Duden geschaffen werden sollen; statt dessen werde die Reform in dem Nachschlagwerk teilweise zurückgenommen, teilweise aber verschärft. So sei „aufsehenerregend“ (statt „Aufsehen erregend") nun wieder erlaubt, nicht mehr aber „wohlschmeckend", sondern nur noch „wohl schmeckend". Hier sei eine fragmentarische „Reform der Reform“ versucht worden, die so widersprüchlich sei wie die Reform selbst. Der Große Duden „vermehrt das Chaos und dokumentiert, daß die Reformer sich längst in ihrem eigenen Laden nicht mehr auskennen".[...] Auch von einer Nachjustierung der Rechtschreibreform, an der jetzt gearbeitet werde, erwartet sich der Autor nichts - außer neuer Unsicherheit und neuen Kosten. Wirkliche Klarheit könne nur - bei kaum höheren Kosten - der Abbruch der Reform bringen: „Der Zug (der Rechtschreibreform, Anm.) ist abgefahren. In Zügen gibt es Notbremsen. Einen Fehler zu korrigieren, ist teuer; ihn nicht zu korrigieren, kommt noch teurer, wenn man auch die immateriellen Kosten mitrechnet."

Die nächste Hiobspost für Ihr Unternehmen kam von Harald Marx (Bielefeld, jetzt Leipzig), der die Auswirkungen der neuen s-Regel auf das Rechtschreibverhalten von Grundschülern ermittelt hat. Hermann Unterstöger von der 'Süddeutschen Zeitung' referierte die Ergebnisse dieser Untersuchung am 27. 3. 2000 folgendermaßen:

"Dem der Studie zu Grunde liegenden Test unterzogen sich gut 300 Dritt- und Viertklässler, die seit Beginn des Schuljahres 1996/97 nach den neuen Regeln unterrichtet werden; den Kontrast bildete ein ähnlicher Test, den Marx zwei Jahre vorher angestellt hatte. Das Material entstammte 'Knuspels Schreibaufgaben'; ausgewertet wurden die Schreibungen für 34 Wörter ohne und zehn Wörter mit s-Laut, wobei sich in fünf Fällen reformbedingt die Schreibweise verändert hatte: schloß zu schloss oder näßt zu nässt. Das Ergebnis zeigt, dass die Reform in einer Weise wirkt, die nicht beabsichtigt war. Zum einen machen 'die Kinder aller Klassenstufen bei den von der Reform betroffenen s-Laut-Wörtern signifikant mehr Fehler'. Zum anderen registrierte Marx ein Phänomen, das auch bei erwachsenen und sonst durchaus geübten Schreibern festzustellen ist. Es wird 'übergeneralisiert', das heißt, die neue Schreibweise wird auch auf Wörter angewandt, die von der Reform gar nicht betroffen sind. Man schreibt etwa, um gewiss auf der richtigen Seite zu stehen, 'grosses' statt 'großes' Kino."

Einige Tage vorher hatte die 'Neue Zürcher Zeitung' dem Romanisten Harro Stammerjohann (Frankfurt, jetzt Chemnitz) Gelegenheit gegeben, die inzwischen offensichtlichen Mängel der Rechtschreibreform aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu kommentieren (22. 3. 2000):

"Die Reformer wollten Ordnung in die deutsche Rechtschreibung bringen, die in Wirklichkeit ein Kinderspiel war und ist, verglichen mit der französischen - ganz zu schweigen von der englischen Rechtschreibung, die der Erlernbarkeit und Verbreitung der englischen Sprache offensichtlich nicht im Wege ist. Angesichts des Umfangs der deutschen Rechtschreibereform mag man den Widerstand dagegen unverhältnismässig finden, aber die Art und Weise, wie sie betrieben und durchgesetzt wurde, war es auch. Zum Teil sind ja Varianten zugelassen, mindestens bis 2005; man fragt sich, warum nicht alle Änderungsvorschläge zunächst als Varianten eingeführt wurden, zwischen denen der Gebrauch unmerklich entscheiden kann - so unmerklich, wie er sich gegen Photograph und für Fotograf entschieden hat. Wenn die Reformer sagen, sie hätten aus ihrer Arbeit kein Geheimnis gemacht und Gelegenheit genug gegeben, dazu Stellung zu nehmen, so behandeln sie die Rechtschreibung wie eine Fristsache: Als der Inhalt der Reform allgemein bekannt war, hätte der öffentliche Widerstand dagegen kaum grösser sein können, und man hat sich darüber hinweggesetzt. Die Deutschen mokieren sich gerne über den Sprachdirigismus der Franzosen, aber selbst in Frankreich ist man vor dem Oktroi der neuen französischen Rechtschreibung zurückgeschreckt und hat sich mit ihrer Empfehlung begnügt. Was die historisch gewachsenen Orthographien der grossen Kultursprachen anbelangt, sollte man vielleicht die Maxime beherzigen, die da auf EDV-deutsch lautet: 'Never touch a running system'."

Und nun legt der neueste Spiegel v. 1. 4. 2000 noch nach: "Freie Bahn dem Alkoholissmuss".

"Die mühsam eingeführte Reform-Orthografie bringt keine Übersichtlichkeit, sondern Wirrwarr und Zweifel. Viele Zeitungen folgen hausgemachten Regeln, und die meisten Literaten tun es der Mehrheit der deutschen Schriftnutzer gleich: Sie üben sich in stummem Boykott. [...] Lektor Matz beobachtet an sich als 'üble Folge' des Tohuwabohus eine wachsende Gleichgültigkeit. Wenn er in der 'Frankfurter Allgemeinen' über eine sonderbare Schreibweise stolpere, überlege er: 'Ist das ein Druckfehler oder die Rechtschreibreform? Irgendwas wird es schon sein, sagt man sich, das ist sowieso alles kurios - und liest weiter. Es gibt jetzt eine Grauzone.' Die hatten Fachleute seit langem vorhergesagt. Doch nun sind alle Zwangsmitglieder im orthografischen Chaos-Club Deutschland. Und wo Präzision ohnehin futsch ist, schwindet die Furcht vor dem Rotstift. Kurse für Unsichere, wie Volkshochschulen sie anbieten, sind kaum einmal ausgebucht. Auch in Amtsstuben erregt sich niemand. 'Es geht ja selten um Delfine', witzelt Rainer Schwing von der Frankfurter Stadtverwaltung."

Alle zitierten Schreiber kannten noch nicht den zweiten Kommissionsbericht aus Mannheim. Herzlichen Glückwunsch! Diesmal hat es mit der Geheimhaltung besser geklappt als 1998. Wer jedoch Ausführungen wie die nachfolgenden liest, empfindet eher Mitleid als Zorn. Die Arbeitskreise der Rechtschreibreformer waren immer eine von der freien fachlichen Diskussion wie auch von der sprachlichen Wirklichkeit abgeschottete Welt. Welche Stimmung jetzt im Raumschiff Mannheim herrscht, kann kein Außenstehender wissen, da die Kommission seit Ende 1997 beharrlich schweigt. Ihren Bericht für die Kultusminister wird aber jeder unvoreingenommene Leser als das empfinden, was er ist: ein Dokument Ihres Scheiterns auf ganzer Linie:

"Die Arbeit der Kommission wurde im genannten Zeitraum zunächst dadurch bestimmt, dass die deutschen Kultusminister es ablehnten, ohne gründlichere Überprüfung und ohne ausreichende Erfahrungen im Umgang mit den neuen Regeln auf die Änderungsvorschläge einzugehen, die die Kommission in ihrem ersten Bericht (Januar 1998) unterbreitet hatte. Die Kommission sah daher ihre vordringliche Aufgabe darin, zunächst auf einheitliche, dem amtlichen Regelwerk entsprechende Eintragungen in den Wörterbüchern hinzuwirken. [...] Im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie im Bereich der Groß- und Kleinschreibung wurde Wert darauf gelegt, das Regelwerk konsequent anzuwenden und ihm zuwiderlaufende, lediglich als Zugeständnis an das Hergebrachte, Altgewohnte zu verstehende Schreibungen nicht zuzulassen... [...] Da die Korrekturen an der 1996 beschlossenen neuen amtlichen Regelung, wie sie die Kommission in ihrem ersten Bericht empfohlen hatte, bisher unberücksichtigt geblieben sind, prüft die Kommission diese Vorschläge erneut unter Einbeziehung der Erfahrungen, die sich aus der Umsetzung der Neuregelung ergeben. Sie hält es für verfrüht schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt Schlussfolgerungen zu ziehen, ist aber bestrebt die Grundlagen dafür zu erarbeiten, dass bis zum Ende der Übergangszeit gegebenenfalls Maßnahmen ergriffen werden können, die der Optimierung der Neuregelung dienen können."

Ihre Schlußfolgerungen werden Sie sich ersparen können. Wenn Ihnen das Gespür für wissenschaftliche Redlichkeit und demokratischen Gemeinsinn in der Mannheimer Klausur nicht völlig abhanden gekommen ist, sollten Sie jetzt das einzig noch Mögliche tun: Treten Sie und die anderen Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission zurück! Den erwachsenen Sprachbenutzern in den drei deutschsprachigen Ländern haben Sie mit Ihrem abenteuerlichen Unternehmen vielleicht ein paar unterhaltsame Jahre beschert. An der Schuljugend aber haben Sie sich versündigt. Geben Sie auf, ehe das Chaos noch größer wird!

Mit einem herzlichen kollegialen Gruß bin ich

Ihr Helmut Jochems

 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 07.06.2007 um 12.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8909

Zu Peter von Polenz vgl. Reinhard Markner im Rheinischen Merkur vom 29. 1. 2004:

Die Sprachwissenschaft wiederum war unaufmerksam, weil niemand mit dem Erfolg der schon so oft gescheiterten Bestrebungen zur Veränderung der deutschen Orthographie rechnete. Einer ihrer namhaftesten Vertreter äußerte sich erst, als die neuen Regeln bereits in den Schulen unterrichtet wurden. Im dritten Band seiner "Deutschen Sprachgeschichte" gab Peter von Polenz zu Protokoll, daß er die "neuen Richtungen 'vermehrte Großschreibungen' und 'Getrenntschreibung' als opportunistische Reformertaktiken zur Rettung ihres Berufungsbewußtseins nach dem Scheitern der Kleinschreibungsreform" ansehe. Das war deutlich, kam aber sehr spät. Zu diesem Zeitpunkt konnte man die gravierenden linguistischen Mängel und Widersprüche der amtlichen "Orthografie" nicht mehr nur als das Resultat eigentümlicher Verirrungen zweitrangiger Fachkollegen abtun. Auf Betreiben der Kultusminister entwickelten sie sich bereits zu einem Problem der gesamten Sprachgemeinschaft, dessen Lösung voraussichtlich noch etliche Jahre beanspruchen wird.

 
 

Kommentar von Germanistin, verfaßt am 07.06.2007 um 11.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8908

Die deutsche Germanistik hat keinen Doyen, sondern einen Elferrat.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.06.2007 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8907

Ist Peter von Polenz vom Amt des Doyens zurückgetreten? Er schrieb einst ein paar hübsche Sätze über die eigentlichen Motive der Kollegen Rechtschreibreformer.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 07.06.2007 um 11.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8906

Zu Ballistol in Beitrag 200: In beiden Fällen hat die Wirklichkeit für Aufklärung und Ausräumung der Irrlehren gesorgt. Danach gab es kein Vertrauen mehr, das zu schützen gewesen wäre. Was nicht besagt, daß sich im zweiten Falle nicht weiterhin die "klassische" marxistische Literatur (insbesondere Rosa Luxemburg) zu lesen lohnte. Andererseits ist bei einigen der ursprünglich Affizierten auch einiges hängengeblieben. 1999 las ich in einer eMail tatsächlich, finstere Mächte seien dabei, mittels der Rechtschreibreform die deutsche Sprache zu zerstören, und dies in der Absicht, das deutsche Volk zu schwächen. Die Leser können sich denken, an welche Verschwörung hier gedacht war, und die skurrile Nachricht kam nicht etwa von der Peripherie, sondern aus den gehobenen Rängen der Kritikerbewegung. Wir alle haben es uns jedoch mit der Verteufelung der Gegenseite zu leicht gemacht. Haben wir es wirklich nur mit Bösewichten oder bestenfalls mit Narren zu tun? Haben tatsächlich ideologische Verblendung, Bestechung, Profitsucht, Opportunismus und dergleichen die entscheidende Rolle gespielt? Wir haben uns mit solchen Annahmen keinen Gefallen getan. Wenn wir bei Thomas Mann oder bei Günter Grass eine abweichende Schreibung finden, die allerdings so auch in der Neuregelung vorgesehen ist, regen wir uns nicht darüber auf. Hier sehen wir die Intuition oder die besondere Aussageabsicht des Schreibers am Werk. Dieselbe Schreibung in einer heutigen Zeitung deuten wir als ein Zeichen gewissenloser Unterwürfigkeit. Wir trauen uns ein Urteil über ganze Berufsstände zu: die Hochschulgermanisten, die Deutschlehrer, die Journalisten und noch einige mehr. Auch hier soll ein Name fallen: Peter Eisenberg ist der anerkannte Doyen der deutschen germanistischen Sprachwissenschaft. Was ist hier nicht alles über ihn geschrieben worden. Die vom Gefühl der Ohnmacht ausgelöste Aggressivität, auf die Kratzbaum vom Ewigen Meer kürzlich in einem bedenkenswerten Beitrag aufmerksam machte, entschuldigt nicht alles.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 07.06.2007 um 10.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8905

Vertrauensschutz hätte zuallererst gelten müssen und ist immer noch energisch einzufordern für alle, die so schreiben, wie es sich in 100 Jahren entwickelt und bewährt hatte. Es scheint mir geradezu absurd, ihn nur denen zu gewähren, die seit 10 Jahren verordneten Unsinn mitmachen und vermutlich vielerlei anderen Unsinn auch mitgemacht hätten, die aber anstandslos auch das Bewährte weiter mitgemacht hätten und dann weniger Fehler machen würden als mit dem Unsinn. Und dann stünde die Frage jetzt nicht im Raum.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 07.06.2007 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8904

Nochmal an Herrn Jochems:

Wie halten Sie es denn mit dem Vertrauensschutz in Sachen Staatsbürgerkunde und politische Erziehung in deutschen Schulen 1933-1945 bzw in der DDR bis 1989? Dürfen die damaligen Schüler einfordern, daß das alles wahr bleibt?

Übrigens ist dies der 200. Beitrag in diesem Strang.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.06.2007 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8902

Auch beim ss vs. ß wird man mit einer außerschulischen Übergangszeit leben müssen, in der im gleichen Satz Adelungsche und Heysesche Schreibung auftreten können. Aber nur so kann sich auf Dauer die praktischere beweisen. Für die bessere Rechtschreibung gilt danach: Auferstanden aus Ruinen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 07.06.2007 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8900

Ich bin eine bescheidene Natur, kein Linguist. Meine Position ist, daß die neue Rechtschreibung verworfen und die klassische wiederhergestellt werden soll. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, jetzt eine weiterentwickelte Orthographie zu ersinnen, und ich traue die Lösung dieser hehren Aufgabe auch nur wenigen anderen in diesem Forum zu. Meine persönlichen Ansichten über den möglichen Ausweg habe ich als solche gekennzeichnet und nicht als Dogma, sondern als denkbare Variante dargestellt. Ich weiß im Augenblick nicht, ob viele andere ebenfalls ihre Konjunktive deponiert haben, kann mich diesbezüglich aber nicht an viele Vorschläge erinnern. Die Bedenkenträgerei und das Zaudern überwiegen, was jeder zugeben muß.

Wie sonst könnten wir die klassische Schreibung wiedererlangen, wenn nicht im ersten Schritt durch Überlegungen im Konjunktiv? Das ist gewiß konstruktiver als die Sägerei unseres Siegerländers und sicher auch zweckdienlicher als die Benimmdogmatik unseres Verlegers bunter Jazzbücher. Hier steht ein Mensch mit seinen Ansichten und seinen Unzulänglichkeiten, kritik- und debattenfähig; bereit, auszuteilen und auch einzustecken. Wir sind keine Avatare ohne Mimik und Gefühl, geknebelt durch eine irreale und willkürliche Netiquette. Dieses Forum muß zwischen dem Gelehrtensalon und dem biernassen Kneipentisch pendeln können, wenn es nicht den Anschluß an die gelebte Wirklichkeit verlieren will.

Dafür bin ich eingetreten, nicht zuletzt mit der einen oder anderen kleinen Rüpelei. Ich kann das auch lassen, befürchte dann aber ein allgemeines Versumpfen in klammer Wohlanständigkeit.

"Die Entscheidung liegt bei uns, den Nutzern." (Tron)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2007 um 08.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8899

Mit dem alten Duden konnte man leben, weil auch die Lehrer nicht genau wußten, was drinstand (Beispiel: "beiseite schieben", "schneller Brüter"), und daher die Schüler nicht übermäßig triezten. Und man kann auch heute mit einer solchen Grundlage leben, weil selbst eine Unmenge Einzelfestlegungen für das Programmieren kein Problem sind. Aber schön ist es nicht.
Ich habe schon mehrmals berichtet, daß die Dudenleute das auch so sahen. Bei meinem Besuch auf Einladung der Redaktion vor zehn Jahren stellten es die Herren Wermke und Scholze-Stubenrecht so dar, als habe der Duden jahrzehntelang in einem "goldenen Käfig" gesessen. Also zwar golden, wie es sich beim Monopol von selbst versteht, aber man habe auch nicht wagen dürfen, das ganze Darstellungsverfahren zu ändern, wenn man nicht des Privilegs verlustig gehen wollte. Das ist gut nachvollziehbar und eigentlich ganz einfach, so daß es wenig Sinn hat, sich den Kopf anderer Leute zu zerbrechen. Aber nun ist die Lage anders, und man kann neu nachdenken, ob nicht das empirische, in anderen zivilisierten Ländern übliche Verfahren der Sprachbeschreibung insgesamt für alle Betroffenen und Beteiligten besser wäre.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 07.06.2007 um 06.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8898

Natürlich würde ich Prof. Ickler noch "ungerner" widersprechen wollen. Deshalb stimme ich ihm ausdrücklich darin zu, daß die staatliche Privilegierung des Duden ein Ärgernis und ein Übel war. Aber in der damaligen Situation, verglichen mit dem Reformvorschlag der 50er Jahre, war sie eben das weitaus kleinere Übel.
Der Duden und dessen Privilegierung kamen ja auch einem weitverbreiteten Bedürfnis entgegen: dem der Lehrer und Buchdrucker, die eine möglichst eindeutige Grundlage füe die Korrektur wünschen, und dem des Mannes auf der Straße, der einfach wissen will, wie er schreiben soll, ohne sich den Kopf über allerlei Varianten zu zerbrechen.
Und der Duden, ob gut oder schlecht, war eben schon lange vorher das Leitwörterbuch geworden. Ich vermute, daß Lehrer, Buchdrucker und einfache Deutsche sich ohnehin schon seit langem nach dem Duden gerichtet haben. Daher war die damalige förmliche Privilegierung eigentlich kaum viel mehr als die Anerkennung des status quo.
Dennoch war sie schädlich, weil sie der volkstümlichen Vorstellung, es könne immer nur eine "richtige" Schreibweise geben, Vorschub leistete.
Vielleicht hätte etwas Konkurrenz dem Duden durchaus gut getan. Vielleicht hätte er sich dann etwas mehr Mühe gegeben, den tatsächlichen Schreibgebrauch festzustellen, und hätte er der Versuchung, über Sprachbeobachtung hinaus auch Sprachlenkung zu betreiben, stärker widerstanden.
So hoch ich dem Duden das Festhalten an der Schreibung "radfahren" anrechne, so vermute ich doch auch, daß er auf objektiv empirischer Grundlage auch Schreibungen wie "Rad fahren" und "ich fahre rad" hätte anerkennen müssen.Und seit meiner Kindheit hat es mich geärgert, daß Schreibungen wie "umso" oder "zuhause", die nach meinem Sprachempfinden sehr naheliegen, nicht anerkannt wurden.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.06.2007 um 06.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8897

Ballistol hatte geschrieben:
Ich würde den Duden von 1991 für eine Übergangszeit vorschlagen und dann eine neue, deskriptive Wörterbuchausgabe ...

Darauf hat Professor Jochems geantwortet:
"Zurück zum Duden 1991" ist heute eine ganz unrealistische Forderung.

Ich wüßte nicht, was man an der Antwort von Professor Jochems zu interpretieren hätte. Sie ist nicht mißverständlich und auch nicht provokant formuliert. Man kann anderer Meinung sein, etwa daß eine solche Forderung nicht "ganz unrealistisch" ist, sondern nur "bis auf weiteres unrealistisch" oder "eher unrealistisch."

Was das (nicht ganz ernst gemeinte) Multiplizieren betrifft: Ich bezog mich darauf, daß man Provokationen nicht nur dadurch vermeiden kann, daß man sie als Schreiber unterläßt, sondern auch dadurch, daß man als Leser über sie hinwegsieht, anstatt auf jede Provokation loszugehen wie der Stier auf das rote Tuch. Ein Vorschlag zur Großzügigkeit. Er steht ja nicht im Widerspruch zu den bewährten Maßnahmen: Aufrufe zur Mäßigung und notfalls Löschungen.

Professor Jochems drückt sich sehr gepflegt aus, aber seine Stellungnahmen sind teilweise auch nicht leicht zu ertragen, weil sie oft klingen wie: "Man muß die Neuregelung jetzt einfach akzeptieren, das meiste ist doch sowieso harmlos." Das liest man natürlich nicht gern, wenn man unter der Verhunzung der Rechtschreibung leidet und gern etwas unternehmen würde, um den Zustand zu verbessern.

Ansonsten stimme ich Professor Jochems zu: Ballistol hat zwar eine gute Lösung formuliert, aber ich sehe nicht, daß man mit ihr offene Türen einrennen könnte. Vielleicht bei der Mehrheit der Bevölkerung, wenn man jeden einzeln nach seiner Meinung befragen würde. Aber das Volk hat ja nichts zu melden bei diesem Thema.

Vielleicht ergibt sich ein klareres Bild, wenn die Zeitungen mit ihrer neuesten Mischorthographie herauskommen. Je schlechter sie ist, desto bessere Chancen bestehen, daß die allgemeine Unzufriedenheit irgendwann den Wunsch nach einer Rückkehr zu vernünftigen Verhältnissen auf die Agenda bringt.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 07.06.2007 um 01.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8896

"Es ist doch völlig weltfremd zu meinen, ein deutscher Personalchef würde seine Zeit damit verschwenden, Bewerbungsschreiben auf Feinheiten der GKS oder der GZS zu durchforsten", hat Herr Achenbach am 5. Mai (#8854) treffend zur egalitär-emanzipatorischen Begründung der Reform bemerkt. Seine Beobachtung läßt sich noch ausbauen. Die Annahme, man könne eine größere Chancengleicheit von Bewerbern dadurch herstellen, daß alle gleich gut (oder schlecht) schreiben, setzte voraus, daß den Personalchefs dieser Schachzug verborgen bleiben würde. (Mit einem Ergebnis etwa in der Art "Ich kann mir nicht helfen, aber neuerdings geben die Rechtschreibleistungen kein Entscheidungskriterium mehr her; da muß ich jetzt wohl würfeln" - statt die zuvor tatsächlich oder vermeintlich aus orthographischer Kompetenz herleitbaren Fähigkeiten anderweitig abzuprüfen.)

Der Befund läßt, wie üblich, zwei Möglichkeiten zu. Entweder man echauffiert sich über einen berechnenden Zynismus, mit dem Ideologen ihre sprachzerstörerischen Obsessionen verfolgt hätten: wissend, daß auf dem von ihnen propagierten Weg eine größere Chancengleichheit von Stellenbewerbern nicht zu erreichen ist. Oder man billigt den Reformern Gutgläubigkeit zu: den guten Glauben, durch eine Vereinfachung der Rechtschreibung tatsächlich die Chancengleichheit von Bewerbern fördern zu können. Es ist die klassische Alternative - Bösartigkeit oder Dummheit?

Man muß diese Frage gar nicht entscheiden. Zwar neige ich der zweitgenannten Möglichkeit zu, sowohl weil die Reformer auch sonst nicht an Kostproben ihrer intellektuellen Fähigkeiten gespart haben als auch aus der Erfahrung heraus, daß, von Politikern einmal abgesehen, Menschen Unsinn nur dann überzeugend vortragen können, wenn sie selbst an ihn glauben.

Aber darauf kommt es nicht so sehr an. Es ist vor allem pragmatisch, davon auszugehen, es nicht mit Bösewichten, sondern mit Narren zu tun zu haben. Ihr nächster Streich wird sein, in die angestammte Rolle des deskriptiv, d.h. phänomenologisch vorgehenden Sprachwissenschaftlers zurückzuschlüpfen und die durch Beobachtung der Sprache gewonnene Inventurliste der durch ihr Experiment angerichteten Schäden als durch den Usus gesicherte Norm zu verkünden. Dem müssen wir mit kühlem Verstand entgegentreten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.06.2007 um 00.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8895

Entschuldigung für die kleine Abschweifung hin zum Tagebucheintrag:

Da gibt es in der FAZ vom letzten Sonnabend (2.6.07, S. 26) zunächst ein vielverheißendes ß in vierfacher Größe des Normaltextes in der Überschrift "Schluß mit dem Schönheitswahn". Der dazugehörige Artikel enthält neben zwei dass auch die Wörter befaßt, gewiß, muß und zum Ende nochmal einen Schluß.

Das macht dann genau 4x1 + 4 = 8, also 8 : 2 für Adelung!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.06.2007 um 00.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8894

"Zurück zum Duden 1991" ist heute eine ganz unrealistische Forderung.

Kann man so etwas auch mit einem Faktor multiplizieren? Muß man es vielleicht sogar? Kenne mich leider mit dem System nicht so aus.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.06.2007 um 23.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8893

Ach, darum geht es Ihnen. Um Modernitätssignale. Ihre Sorte Reglernaturen hat sich auch nicht darum gekümmert, was solche Modernitätssignale 1996 bei Menschen wie mir ausgelöst haben. Jetzt nehmen Sie Ihresgleichen, gehen Sie hin und erklären Sie den Schülerlein, warum sie in der Schule Unsinn gelernt haben.

Ich multipliziere mit 0,1 und erhalte:

Modernitätssignale? Für mich und viele andere war die "Modernität" seit 1996 eine Zumutung, aber das zählte ja nicht. Wenn die Überrumpelung mit neuen Vorschriften so toll ist, dann können Sie doch jetzt dasselbe mit den Schülern von heute machen. Kehren wir zurück zu den Schreibungen vor der Reform: Dann machen die Schüler dieselbe Erfahrung wie wir, und dann ist wieder alles ganz anders als zuvor, also modern!
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.06.2007 um 22.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8892

Hilfe, ich muß mich dauernd erklären und rechtfertigen. Mit meinem Stil stimmt etwas nicht. Bei Ballistol weiß man wenigstens, woran man ist ...

Mit fundamentalistisch bezog ich mich gedanklich auf das Gegensatzpaar Fundi vs. Realo. Ich hatte spontan die beiden Flügel der Grünen vor Augen (zugegeben, diese Fundi-Realo-Zweiteilung bei den Grünen ist seit zehn oder fünfzehn Jahren überholt) und hatte übersehen, daß der Ausdruck mittlerweile mit den Islamisten und ähnlichen Gestalten besetzt ist. Entschuldigung.

Also ich finde es teilweise unrealistisch, was Sie schreiben, Ballistol, oder theoretisch.

Aus Ihrem vorletzten Beitrag: Was meiner Ansicht nach not tut, das ist eine ordentliche Sprachbildung durch die Schule, und zwar auf der Grundlage dessen, was sich als orthographischer Konsens entwickelt und bewährt hat. Und wenn Sie es geneuer wissen wollen: Ich würde den Duden von 1991 für eine Übergangszeit vorschlagen und dann eine neue, deskriptive Wörterbuchausgabe ohne Korinth... na, Sie wissen schon. Bei dieser Gelegenheit also die vorhandene Überregulierung zu beenden, wäre zu wünschen. Ein Wörterbuch soll aber nicht nur beobachten ("nichtsdestotrotz"), sondern dies auch filtern. Daß Mannheim sich dann gleich in die Sprach- und Denksteuerung versteigt (p. c.), muß gleichwohl unterbunden werden.

Das ist alles berechtigt und wünschenswert, aber daß es so kommt, ist alles andere als wahrscheinlich, also unrealistisch, meine ich. Es sind Forderungen und Betrachtungen im Konjunktiv: Was meiner Ansicht nach not tut ... Ich würde ... vorschlagen ... wäre zu wünschen ... muß gleichwohl unterbunden werden.

Derselbe Irrealis auch in Ihrem letzten Beitrag: Ein Modernitätssignal im richtigen Sinne könnte es sein, daß ...

Nun, wir müssen hier alle mit dem Konjunktiv arbeiten. Keiner von uns kann das Notwendige herbeireden oder herbeischreiben oder sonstwie herbeiführen. Darauf wollte ich hinweisen. Es ist wie verhext. Manchmal sind einem wirklich die Möglichkeiten versperrt.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 06.06.2007 um 22.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8891

Darf ich es mal probieren, lieber Herr Wrase? Wenn man den von Ihnen empfohlenen Temperamentsfaktor (oder besser gesagt: schlechte-Manieren-Bonus) in Anrechnung bringt, lautet der Text etwa so:

»Lieber Herr Professor Jochems,
ich glaube, jetzt habe ich Sie endlich verstanden. … Menschen wie Sie, die von Natur aus geordnete Verhältnisse schätzen, was ja durchaus respektabel ist und in vielerlei Hinsicht vieles für sich haben kann, haben 1996, sicherlich ohne dies zu wollen, mir und anderen, die ähnlich wie ich geschlagen sind mit einer unseligen Mentalitätsmischung von kaum zügelbarem Temperament bei gleichzeitig äußerster Sensibilität, entsetzliches Leid zugefügt. Es ist so entsetzlich, daß ich leider nicht nur einen Großteil meiner Wahrnehmungsfähigkeit, sondern auch jegliche guten Manieren habe einbüßen müssen. Sonst müßte ich nämlich hier nicht so herumpoltern und hätte erkannt, daß Sie gerade den Wunsch nach starren Regelungen kritisieren und die „Modernitätssignale“ gar nicht als positive Errungenschaft der reformierten Rechtschreibung gutheißen, sondern nur feststellen, daß es diese gibt und es deshalb großen Teilen der Schreibenden kaum vermittelbar sein dürfte, daß sie sich von diesen wieder verabschieden sollten.« Usw.

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.06.2007 um 21.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8890

Ihre Sorte Reglernaturen?

Herr Wrase, Ihr Einsatz! Bitte übersetzen Sie mal.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 06.06.2007 um 21.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8889

"Zurück zum Duden 1991" ist heute eine ganz unrealistische Forderung. Wer den Neuschreibern - jung und alt - ihr "Schluss" und "muss" nehmen will, löst Protestbewegungen und Unterschriftensammlungen wie 1996 aus. Hier geht es nicht nur um Logik, sondern um das Modernitätssignal für die Schreibung des 21. Jahrhunderts. Vor hundert Jahren hatten "Mut" und "Tat" statt "Muth" und "That" genau die gleiche Funktion.

Ach, darum geht es Ihnen. Um Modernitätssignale. Ihre Sorte Reglernaturen hat sich auch nicht darum gekümmert, was solche Modernitätssignale 1996 bei Menschen wie mir ausgelöst haben. Jetzt nehmen Sie Ihresgleichen, gehen Sie hin und erklären Sie den Schülerlein, warum sie in der Schule Unsinn gelernt haben.

Ein Modernitätssignal im richtigen Sinne könnte es sein, daß die Orthographie wieder der Sprachrichtigkeit folgt und nicht einem Regelgespinst aus den Köpfen derer, die alles und jeden lenken zu müssen glauben.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.06.2007 um 21.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8888

Wenn Thomas Mann im selben Satz vom Äon spricht (schreibt), dann kann es sich bei dem Laufenden nur um den Götterboten Apoll handeln.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 06.06.2007 um 19.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8887

Jeder weiß aus seiner eigenen Schreibpraxis, daß die Wahl von "das" oder "daß" nach einem Komma der Knackpunkt ist. Hier steht nämlich manchmal die Konjunktion und manchmal das Relativpronomen. Man muß also nachdenken, auch wenn man "daß" und "das" deutlich graphisch unterscheidet. Beim schnellen Überfliegen könnte falsches "dass" als Relativpronomen gewiß eher übersehen werden und entsprechend "das" als Konjunktion. Beim Schreiben aber kommt man um die bewußte Entscheidung nicht herum. Ich habe 1988 gegen die Einheitsschreibung "das" das Argument ins Feld geführt, die graphische Unterscheidung von gleichlautender Konjunktion und Relativpronomen sei in der Grundschule der Einstieg in grammatisches Denken. Die beiden Merkssätzchen benutze ich übrigens seit meinem zweiten Schuljahr - 1935/36. Sie haben mir bis auf den heutigen Tag gute Dienste getan.

Nein, Herr Ballistol, dem "Apfel" droht kein Ungemach. Die Schreibung gehört zum sicheren Grundstock unserer Orthographie, die weder jetzt noch in absehbarer Zukunft von einem Lautwandel bedroht ist. Weniger fest ist bei uns lediglich der bekannte Überbau, und daran ändert auch kein Wunschdenken etwas. Ich habe hier mehrfach auf die orthographischen Sitten in der Familie Mann verwiesen. Alles deutet darauf hin, daß sie weder in München vor 1933, noch in der Schweiz in den dreißiger und fünfziger Jahren noch in Amerika in der Zwischenzeit einen Duden besaßen. Thomas Mann hätte den vermeintlich guten Rat, da doch mal reinzuschauen, mit Verachtung gestraft. Günter Grass geht es ähnlich, und Walter Kempowski hat mehrfach gestanden, daß er so etwas den Verlagslektoren überläßt. Journalisten, Stenografen und Sekretärinnen haben das Schreiben nach der jeweils geltenden Norm natürlich immer ernst genommen und tun es heute noch. Das ist halt ihr Beruf. Lehrer vermitteln die jeweilige Norm und achten darauf, daß sie in den Schülerarbeiten auch eingehalten wird. Wie wir bei Franziska gesehen haben, geht es da meist um ein paar elementare Phänomene.

"Zurück zum Duden 1991" ist heute eine ganz unrealistische Forderung. Wer den Neuschreibern - jung und alt - ihr "Schluss" und "muss" nehmen will, löst Protestbewegungen und Unterschriftensammlungen wie 1996 aus. Hier geht es nicht nur um Logik, sondern um das Modernitätssignal für die Schreibung des 21. Jahrhunderts. Vor hundert Jahren hatten "Mut" und "Tat" statt "Muth" und "That" genau die gleiche Funktion.

Ich komme noch einmal auf Thomas Mann zurück. In Joseph in Ägypten (Wien, 1936) schreibt er:

Erst muß er essen und satt werden, das ist wahr, aber sobald er satt ist und dieser Sorge ledig, tritt die Gedankensorge ihn an ums Heilige und ob's auch noch heilig ist und nicht schon verhaßt, weil angebrochen ein neuer Äon und man sich sputen muß, aufs Laufende zu kommen der neu ausgerufenen Tagesordnung und sich mit ihr zu versöhnen durch irgendein Weihopfer, um nicht zu verkommen. (S. 204 der Taschenbuchausgabe 2003)

"Wohl wahr, wohl wahr", bestätigte Huij. "So trug sich's zu, wie du sagst, mit Anstand und sogar Heiligkeit, und war doch ein Haken dabei für das stillste Vermuten und für die heimliche Sorge, die acht hat auf den Äon und auf dem Laufenden bleiben möchte der Tagesordnung ..." (S. 205)

Der zweite Beleg ist eindeutig. Hier handelt es sich um die Redensart "auf dem laufenden sein/bleiben", worin die Substantivierung vor 1996 nur klein zu schreiben war, seitdem nur groß. Im ersten Beleg prägt Thomas Mann die Wendung, die sein Lektor natürlich orthographisch wie die vorhandene hätte behandeln können. Dieses Problem tauchte offenbar erst gar nicht auf. So gehen freie Menschen mit der Norm um, die aus dem einen oder dem anderen Normenhaus zu Mannheim kommt.

Noch ein Nachtrag: Ist nottäte schreibästhetisch eleganter?

 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 06.06.2007 um 19.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8886

Weiß der Geier (auch ein Fluch), warum Pädagogen bis heute nicht dämmert, daß sich "das" und "daß" (neu: "dass") ohne Grammatik bzw. Denken (Kognition und so) nicht auseinanderhalten lassen. Deutsch als Muttersprache Lehrende indessen sollten keine hinfälligen und das Denken ihrer Schüler behindernde oder gar beschädigende "Regeln" erfinden, sondern diese mit dem Herrschaftswissen Grammatik ausrüsten. Das ist ihre vornehmliche Aufgabe. Sinnvolles und -gerechtes Schreiben ergibt sich dann -- abgesehen von "Stängel" -- fast von selbst als resultierende Fertigkeit. Voraussetzung für solches Tun (Handeln) ist allerdings ein hinreichendes und deklaratives Wissen um die deutschen Grammatik.
 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 06.06.2007 um 19.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8885

Ich kann mir nicht helfen, dieser Strang unterscheidet sich von einem Chatroom nur noch dadurch, daß die Sprache gepflegter ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.06.2007 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8884

Schreib-Usus, der Grammatikfehler enthält (Wut schnaubend) oder der Etymologie widerspricht (Afpel), kann nicht zugelassen werden.

Übrigens: Das Praktische an Univerbierungen ist, daß sie im Gegensatz zu Wortgruppen nicht an Grammatikregeln gebunden sind (wutschnaubend). Das dürfte der Grund für ihre Beliebtheit sein.
 
 

Kommentar von Gerd Dudenhöfer, verfaßt am 06.06.2007 um 18.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8883

Mer fluche hier aba nid, Frau Pfeiffer, gell, dr Herrgott hört alls!
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 06.06.2007 um 18.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8882

"das" versus "daß"
Wir lesen Wortbilder und schreiben intuitiv richtig, wenn wir uns an sie erinnern. Wir schreiben NICHT nach Regeln.
Jeder Versuch, richtiges Schreiben nach Regeln zu lernen, scheitert (worüber manche Lehrer arg verwundert sind). Jeder Versuch, den rechten Gebrauch von "das" und "dass" durch Anwendung von Merksätzen in den Griff zu bekommen, ist fruchtlos, wie man doch täglich vorgeführt bekommt.
Zum dreibeinigen Kuckuck noch einmal, ist das so schwer zu begreifen: "das" und "dass" sehen einander einfach zu ähnlich - das ist schon das ganze Geheimnis!!!
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 06.06.2007 um 17.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8881

"Über Defiziehte"

Am gestrigen Tag, um 19.33 Uhr berichtete H. Jochems von „Defiziehten“ der Rechtschreibung (ganz speziell wunderte er sich über die ungenügende Unterscheidungsfähigkeit einer Germanistikstudentin im Fehlerbereich „das“ oder „daß“), und knapp zweieinhalb Stunden später (21.59 Uhr) nahm er menschliche Defizite aufs Korn, beanstandete die nichtprofessionelle Form der Kritik an der Rechtschreibreform, die ausgerechnet auf der Plattform „Schrift und Rede“ vorgetragen würde. Vereinskritik schimmerte durch.

Was die Unterscheidungsfähigkeit von „das/daß“ angeht, kann ich behaupten, mehr als einmal diesen fehlerträchtigen Rechtschreibbereich (u.a. vor zwei Jahren im hiesigen Leitfaden „Hoher Lerneffekt oder eine Katastrophe“/begonnen am 26.08.2005) thematisiert zu haben, wohlwissend, daß es sich hierbei um ein grammatikalisches Problem (Konjunktion, Artikel, Pronomen) handelt.

Niemals habe ich auf meine Anfragen und Diktionen eine verbindliche Antwort bekommen. Herrn Jochems aber will ich auf seine Frage antworten, ob denn der Herr Augst und seine Mitreformer schuld seien an besagter Fehlerquelle. Meine Doppelantwort: „Sie sind es nicht. Sie haben aber auch nichts unternommen, um die Fehlerquelle zu entschärfen; bzw.: ihr Lösungsversuch fand keine politische Unterstützung.“

Lieber Herr Jochems!
Ich wundere mich entschieden, daß die Herren Reformer vorgeschlagen haben, die Unterscheidung zwischen „das“ und „daß“ komplett aufzugeben. Ich wundere mich aber auch darüber, daß Sie persönlich behaupten, daß es ein leichtes sei, sich mit Hilfe zweier „billiger“ Merksätze des Problems zu entledigen. (Ihre Merksätze: Wenn man "das" nicht durch "dieses" oder "welches" ersetzen kann, schreibt man "daß" (dass)." und: "Wenn man beim Vorlesen eine kleine Pause macht, setzt man ein Komma".)
Im ersten Falle hat man wohl versucht, vor dem Problem davonzulaufen, im zweiten Falle hat man meiner Meinung nach tiefgestapelt und das Problem einfach nicht erkannt.

Dergleichen erkennen und benennen zu dürfen, behalte ich mir vor, und ich empfinde dies keineswegs als Respektlosigkeit, Weitschweifigkeit oder gar fehlenden Durchblick.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 06.06.2007 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8879

Ich weiß nicht, was daran fundamentalistisch sein soll, wenn man sich nach einem deskriptiven Wörterbuch richten will. Wo es ein Spiel der Varianten gibt und dieses sprachrichtig ist, könnte ich mir vorstellen, daß man die Getrennt- und Zusammenschreibung z. B. durch einen Halbbogen unter der Nahtstelle kenntlich macht. Dann weiß jeder, daß er es hier so oder so halten kann. Wir haben gesehen, daß den Getrennt- und Zusammenschreibungen auch zuviel Sinn eingeblasen werden kann, der ihnen von der Sprachentwicklung her noch gar nicht innewohnt. Solche Sinnunterscheidungen wurden auch schon bei "selbst" und "selber" durchgespielt. Dem normalen Schreiber im Felde bringt das nichts. Jeder muß auch seinem eigenen Gefühl vertrauen dürfen. Nur bedeutet das eben, daß sich so ein Gefühl auch entwickeln können muß. Ich bin viel bei Ebay, Yahoo und anderswo unterwegs, und da könnte ich oft noch weitaus polemischer werden als in diesem gehobenen Zirkel hier (der ja meine Ausbrüche zuweilen auch amüsant findet).

Was meiner Ansicht nach not tut, das ist eine ordentliche Sprachbildung durch die Schule, und zwar auf der Grundlage dessen, was sich als orthographischer Konsens entwickelt und bewährt hat. Und wenn Sie es geneuer wissen wollen: Ich würde den Duden von 1991 für eine Übergangszeit vorschlagen und dann eine neue, deskriptive Wörterbuchausgabe ohne Korinth... na, Sie wissen schon.

Bei dieser Gelegenheit also die vorhandene Überregulierung zu beenden, wäre zu wünschen. Ein Wörterbuch soll aber nicht nur beobachten ("nichtsdestotrotz"), sondern dies auch filtern. Daß Mannheim sich dann gleich in die Sprach- und Denksteuerung versteigt (p. c.), muß gleichwohl unterbunden werden.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.06.2007 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8878

Mir kommt das irgendwie fundamentalistisch vor, was Sie schreiben, Ballistol. In der Theorie kann man falsch und richtig bzw. (relativ) üblich und (relativ) unüblich ganz gut unterscheiden, so daß es egal sein könnte, wer den Schreibvarianten diese Merkmale zuteilt. In der Praxis bzw. in der Realität ist das aber nicht so einfach.

Zum einen, schon ohne Reform: Getrennt oder zusammen, klein oder groß, das sind jeweils nur zwei Möglichkeiten. Wenn man den Befund zugrunde legt, welche Schreibung wie häufig ist, dann würde sich im Einzelfall zum Beispiel ergeben: 20 Prozent Getrenntschreibung, 80 Prozent Zusammenschreibung. Was soll nun der Wörterbuchredakteur tun? Wo ist die Grenze, ab der man Varianten der Einfachheit halber vernachlässigen oder als "falsch" bezeichnen kann? Schon bei ein und demselben Wort können sich ungeahnte Bedenken auftun, Professor Ickler hat gerade ein schönes Beispiel gebracht: Die Zusammenschreibung rechthaben sieht ganz passabel aus, sie dürfte einen gewissen Anteil im Variantenspektrum erobert haben. Aber bei deutlicher Flexion, etwa rechthättest: ganz und gar unüblich. Solche "widersprüchlichen" Ergebnisse bekommt man natürlich um so mehr, wenn man strukturell gleich gebaute Fügungen untersucht, die aus den verschiedensten Gründen in der Realität dennoch nicht genau gleich geschrieben werden; ich verzichte auf Beispiele.

Und nun haben wir, zweitens, aufgrund der Reform eine Fülle von Varianten hinzubekommen mit einem ganz breiten Qualitätsspektrum, von grammatisch falsch über ungenießbar und ärgerlich und völlig überflüssig bis zu tolerabel oder auch brauchbar. Wer will dies alles sortieren? Es kommt ja noch die Problematik hinzu, daß man bis auf weiteres die Üblichkeit kaum als Entscheidungsgrundlage ernst nehmen kann, solange so viele Schreiber dem Diktat der Rechtschreibreform unterworfen sind, also keineswegs diejenigen Schreibungen verwenden, die ihnen am meisten zusagen würden.

Ich fürchte, wir müssen den Schlamassel erst einmal ertragen. Was wirklich unbrauchbar oder kreuzdoof ist (A), wird früher aussortiert werden, was ja zum Teil schon geschehen ist; was zur Not erträglich ist (B), wird sich länger halten. Und was zwar minderwertig ist, aber die große Masse der Mitmenschen nicht stört (C), könnte sich vielleicht am Ende sogar durchsetzen. Als Beispiele könnte ich mir vorstellen:

A: u. Ä. statt u. ä.
B: heute Abend statt heute abend
C: Potenzial statt Potential

Ihre theoretisch völlig berechtigten Forderungen werden einstweilen von zu wenigen anderen erhoben. Die Diktatur der Faktischen ist im Moment leider stärker.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2007 um 15.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8877

Der pädagogische Umgang mit der gegenwärtigen, nicht von uns, sondern von den Reformern verschuldeten Situation ist eine Sache. Eine andere ist es, daß der orthographische Zustand, wie Eisenberg ganz richtig bemerkt, kein Gegenstand sprachwissenschaftlicher "Beobachtung" sein kann, in dem Sinne nämlich, daß es hier sprachliche Entwicklungen festzustellen gälte. Es ist ein unnatürlicher, erzwungener Zustand. Ich habe jahrelang zu einer lockeren Gruppe gehört, die sich mit der Beobachtung der DDR-Sprache beschäftigte, und meine Aufgabe immer so aufgefaßt, daß es um die Beobachtung einer staatsparteilichen Sprachregelung handelte: der SED-"Sprache". Nach der Wiedervereinigung war das meiste davon verschwunden. Im Keller bewahre ich noch einige 1.-Mai-Ausgaben des ND auf. Was ist mit dem "Kampftag der internationalen Arbeiterklasse" usw. geschehen? Das Ganze war ein unwürdiges, zuletzt nur noch komisches Schauspiel. Ein ganz klein wenig ähneln die umgestellten Zeitungen von heute den damaligen Zuständen. (Bitte diesen Vergleich nicht überbewerten!). Die Beflissenheit wirkt ebenso künstlich wie erzwungen.
Das Aufräumen wird noch eine Weile dauern, und natürlich sollen die Schüler nicht darunter leiden ("Vertrauensschutz"). Aber wir können auch nicht auf das Aufräumen verzichten, nur weil es vorübergehend ein bißchen ungemütlich wird, wie es eben bei jedem Hausputz zu sein pflegt. Also können wir auch den Schülern die Belehrung nicht ersparen , daß manches von dem, was sie gerade gelernt haben, infolge neuer Einsichten der Schulbehörden schon wieder falsch ist. Durch das Lesen guter Bücher wird das Umlernen immerhin erleichtert, das können wir den Kindern guten Gewissens nahebringen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 06.06.2007 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8876

Danke für Ihre Ausführungen. Natürlich reagiere ich auf Ihre Gegenfrage.

Auch künftig wird, in welchen orthographischen Verhältnissen auch immer, eine Gruppe von Wörterbuchredakteuren (in einer oder in mehreren Redaktionen) die Pflege des verzeichneten Wortschatzes besorgen. Diese Leute haben schon bisher verzeichnet, was z. B. in Österreich gebräuchlich, was mundartlich oder gehoben ist, was veraltet oder veraltend ist. Nicht immer billigt der mündige Benutzer jedes dieser Urteile, er kann dann abweichen. Meist jedoch geben solche Informationen willkommene Orientierung, selbst wenn sie nicht so präzise sein können, wie es zu wünschen wäre. Und natürlich entscheiden diese Redakteure auch, welche Schreibweise als "richtig" ( = üblich und grammatikkonform) und welche als "falsch" (unüblich bzw. üblich, aber nicht grammatikkonform) ist. Ohne eine Begriffswelt von richtiger und falscher Schreibung eines Wortes könnten wir unseren Schülern den Deutschunterricht der Klassen 1 bis 5 getrost ersparen.

Das Wort "Apfel" so zu schreiben: "Afpel", ist falsch und aus gutem Grund. Wir brauchen da nicht über Üblichkeit und Chancengleichheit zu reden. Falsch ist falsch. Rechtschreibung ist Konvention, Konvention ist nicht Dogma. Der Afpel hat die Möglichkeit, sich eines Tages durchzusetzen. Solange ihm das nicht gelingt, bezeichnen wir ihn als falsch. Ein Schreiber, der verstanden werden will, richtet sich danach.

Die Schuljahrgänge 1996 ff. sollte man als zivilen Kollateralschaden des menschenverachtenden Massenexperiments über die Klinge gehen lassen. Sie wurden bewußt in einer sprachlich und grammatisch falschen und verdorbenen Rechtschreibung unterrichtet, die zum Absterben verurteilt ist. Der hier vielzitierte "Vetrauensschutz" gilt nicht nur auch für uns, die wir die Schule vor 1996 verlassen haben, sondern er impliziert auch zwingend, daß kein Nonsens in den Lehrplan rutschen darf. Diejenigen, die darüber zu wachen haben, verhinderten dies nicht. Sie haben dadurch den "Vertrauensschutz" aufgekündigt.

Wie halten Sie es denn mit dem Vertrauensschutz in Sachen Staatsbürgerkunde und politische Erziehung in deutschen Schulen 1933-1945 bzw in der DDR bis 1989? Dürfen die damaligen Schüler einfordern, daß das alles wahr bleibt?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 06.06.2007 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8875

Sehr geehrter Herr Ballistol, die meisten Fragesätze in diesem Strang finde ich in meinen eigenen Beiträgen. Außer in einem einzigen (und unbeantworteten) Fall sind es aber eher Denkanstöße, wie ich ja auch sonst kein Mann der Aktion bin, sondern vielmehr Klarheit und Einsicht mein Anliegen sind. Einmal haben Sie jedoch eine direkte Frage an mich gerichtet, nämlich:

... sind Sie denn der Meinung, daß eine konsensfähige einfache Rechtschreibnorm überhaupt irgendwann der Gängelung durch eine Normierungsinstitution bedurfte bzw. bedarf?

Die Antwort steht eigentlich im Kontext des Satzes, den Sie aufgreifen. Nein, wie Professor Ickler halte ich die staatliche Normierung für das Hauptübel der deutschen Rechtschreibung. Die überkommenen Einzelwortschreibungen haben ihre eigene Autorität und müssen nur in kritischen Einzelfällen den Schreibanfängern besonders vorgeführt werden. Der sich darüber wölbende deutsche Sonderbereich besteht jedoch aus Regeln, für die sich irgend jemand zuständig fühlen muß. Das war bis 1996 die Dudenredaktion, die hier ihre "Marotten" (wie Professor Ickler sagt) unterbrachte, und es ist nach dem Zwischenspiel "Zwischenstaatliche Kommission" jetzt der "Rat für deutsche Rechtschreibung" - beide mit staatlichem Auftrag. Selbst wenn Professor Icklers Vorschlag, nicht mehr von "falsch" und "richtig", sondern von "üblich" und "unüblich" zu reden, sich einmal durchsetzen sollte, bliebe das Problem, wer in einer sich weiterentwickelnden Orthographie diese Prädikate verteilt. Wer auch immer fleißig sammelte, würde bald erkennen, daß "üblich" ein skalierbarer Begriff ist, daß also "weniger üblich" unbedingt dazugehört. Professor Ickler hat dem bei der lexikographischen Behandlung der Verbzustzkonstruktionen dadurch Rechnung getragen, daß er jeweils die beiden Glieder der Bildung durch einen Bogen verbunden hat. Dies läßt zwei Schreibungen zu, wovon er aber in seinem Regelwerk sagt, die Zusammenschreibung sei oft die bessere. Damit kommt ein weiteres Beurteilungskriterium ins Spiel, was nicht unwichtig ist, da ja Professor Ickler in Übereinstimmung mit der deutschen Tradition auf eine einheitliche Rechtschreibung aus ist, die in der Schule und im öffentlichen Schreiben die Norm bilden soll. Wie will man es aber unter diesen Umständen bewerkstelligen, daß am Ende nicht doch wieder die "üblichere" Schreibung die richtige, die "weniger übliche" dagegen die falsche ist? In Frankreich hat sich die Gewohnheit eingebürgert, bei öffentlichen Wettschreiben eine Schreibung immer dann als richtig gelten zu lassen, wenn sie entweder im Larousse oder im Robert verzeichnet ist. Im Bereich seltener Übernahmen aus exotischen Sprachen oder Neubildungen auf griechischer oder lateinischer Grundlage kommen nämlich Abweichungen vor. Bei uns wäre für so etwas an Duden und Wahrig zu denken, die uns diesen Fall ja schon in ihrer neuesten Auflage vorführen. Da der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht eingreift, haben wir für den korrigierenden Lehrer heute schon die Abhängigkeit von zwei normativen Wörterbüchern. Die Kultusministerkonferenz muß diesen Zustand wohl oder übel dulden, da das aus den Revisionsschüben hervorgegangene Variantenwesen ja auch dem Vertrauensschutz für diejenigen dient, die sich die inzwischen wieder aufgegebenen Schreibungen fest angeeignet haben. Professor Augst hat in der Anfangszeit der Rechtschreibreform einmal gesagt, bei den neuen Schreibungen werde beobachtet, ob die Schreibgemeinschaft sie annehme. Sei dies nicht der Fall, würden sie wieder aus dem Lehrplan der Schulen gestrichen. Das erinnert natürlich an Professor Icklers Vorwurf, es handele sich um ein "menschenverachtendes Massenexperiment". Das Problem ist aber mit dem oben skizzierten identisch: Wer entscheidet darüber, was "üblicher", "weniger üblich" oder "unüblich" ist? Ich beantworte Ihre Frage, sehr geehrter Herr Ballistol, also mit einer Gegenfrage. Ich rechne nicht mit einer Antwort.



 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.06.2007 um 13.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8874

Zwischen Axt und Wattebausch

Mein Zwischenruf bezog sich weniger auf die Wortwahl einiger Mitdiskutanten als auf jene schier endlose Abfolge von persönlich gefärbten Attacken und Gegenattacken, die ich nicht nur als unproduktiv, sondern auch als zermürbend empfinde. Jeder soll reden und schreiben, wie es seinem Temperament entspricht, alles andere wäre unecht und öde. Auch gelegentliche Scharmützel haben ihren Charme und ihre Funktion. Aber müssen wir uns – jenseits der ohnehin schwierigen Diskussion über die Sache – das Leben gegenseitig so schwermachen? Mehr wollte ich nicht gefragt haben.

 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 06.06.2007 um 12.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8872

Es ist egal, wer diese Regeln aufstellt, solange die Regeln die der Sprache innewohnenden Gesetzmäßigkeiten beschreiben, aber nicht diktieren.
 
 

Kommentar von P. L., verfaßt am 06.06.2007 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8871

Als Liebhaber der deutschen Literatur versuchte ich mich von Anfang an gegen die Rechtschreibreform zu wehren. Nachdem die verheerenden Auswirkungen der ersten Reform sichtbar wurden, erwartete ich in meiner Einfalt einen großen Aufstand der Deutschlehrer, Sprachwissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten, zumal ich es für möglich hielt, daß die unzähligen schriftlichen – und folglich sprachlichen – Mißverständnisse, welche durch die Reform hervorgerufen wurden, einem jeden aufmerksamen Menschen sogleich auffallen würden.

Die Schrift sollte der Verständigung dienen, d.h. Mißverständnisse möglichst vermeiden. Um in diesem Sinne Klarheit zu erreichen, sind verbindliche Rechtschreibregeln erstrebenswert. Nur sollten sie frei von staatlicher Willkür aufgestellt werden und nicht bloß Empfehlungen sein. Die Schreibgemeinschaft sollte die Regeln bestimmen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.06.2007 um 12.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8870

Das Temperament des Schreibers

Jetzt geht es schon wieder los. Herr Metz spricht auf engem Raum von ... schon viel gefallen lassen ... billige Retourkutschen ... Dieses grimmige Gestichel ... bleibt einem das Lachen alsbald im Halse stecken.

Da werden sicherlich einige Leser zustimmend reagieren. Ich schlage –zusätzlich zu den stets berechtigten Appellen, man möge doch zurückhaltend formulieren – vor, daß man bei der Rezeption von feuriger Rede in Rechnung stelle, wer sie von sich gegeben hat. Ich fand einmal einen Hinweis der Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel erhellend, der ungefähr so lautete: Wenn ein Orientale sagt: "Unsere Feinde werden in ihrem Blut schwimmen", dann würden wir stattdessen sagen: "Wir werden es denen schon zeigen."

So muß man auch Ballistols kräftige Wortwahl einordnen. Ballistol ist ein leidenschaftlicher Mensch, unerschrocken und tatkräftig; das finde ich sehr sympathisch, wie schon bemerkt. Der Leser multipliziere die Emotion seiner Formulierungen deshalb am besten mit dem Faktor 0,1. Das ergäbe etwa folgende Übersetzung des vorangegangenen Beitrags:

Das mag ja sein. Aber er debattiert eher über sprachliche Feinheiten als über die konkreten Fragen, die ich gestellt habe. Gleichzeitig fordert er ein hohes Niveau der Beiträge. Bei mir stellen sich da gemischte Gefühle ein.

Nicht nur der Schreiber, sondern auch die Leser haben die Möglichkeit, einer unnötigen Eskalation vorzubeugen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 06.06.2007 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8869

Das mag ja sein. Aber er debattiert über jedes Fliegenbein, nur nicht über die ganz konkreten Fragen, die ich in diesem Strang an ihn gerichtet habe. Gleichzeitig kanzelt er die Niveaulosigkeit der Niveaulosen ab, nicht ohne sich lustvoll in seinem eigenen vermeintlichen Niveau zu räkeln wie ein nackertes Blondchen auf dem Bärenfell.

Aber zur Versöhnung noch etwas lustiges: Bei Ikea gibt es eine Sitzauflage, die heißt "Sitta". Weil der eben so sitzfest ist.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.06.2007 um 10.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8868

Herr Jochems hat sich hier schon viel gefallen lassen und vorgeführt, wie der Verzicht auf billige Retourkutschen aussehen kann. Daß auch er in dieser Hinsicht nicht heilig ist, versteht sich von selbst. Vielleicht sollten wir insgesamt etwas achtsamer miteinander umgehen. Dieses grimmige Gestichel kann zwar durchaus unterhaltsam sein, aber wenn einem die Sache selbst nicht gleichgültig ist, bleibt einem das Lachen alsbald im Halse stecken.

(An Ballistol: Ihre Sorge ist unbegründet. Nähme Herr Jochems Ihre Beiträge nicht ernst, hätte er sicher nicht Ihre strategischen Überlegungen in diesem Strang zur Diskussion gestellt – und unterstützt.)
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 06.06.2007 um 08.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8866

Verehrter Herr Prof. Jochems,

auch wenn meine Fragen an Sie natürlich nicht auf gleicher Höhe mit dem germanistischen Niveau der zu erwartenden Antworten gestellt werden können, empfinde ich es doch als sehr traurig, daß Sie darauf gar nicht reagieren. Im Blick auf die stetigen Insistierungen und Nachhakungen von Ihnen, die bis ins Antichambrieren gehen, bekomme ich dadurch sogar den Eindruck, Sie könnten arrogant sein.

Bevor Sie sich also über die Beiträge beschweren, die nicht so toll sind wie Ihre eigenen, arbeiten Sie bitte die an Sie gerichteten Fragen ab, auch solche, die von Unwürdigen stammen. Sie werden dadurch noch glaubwürdiger.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 05.06.2007 um 22.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8864

Was Germanist mit "Freiheit für die Wörter!" einfordert, ist eigentlich das ganz Normale, was die etwas kreativeren Schreiber ohnehin seit ehedem ohne den "Duden" oder Neopräskriptoren nach ganz bestimmten -- nicht unbedingt ministeriell beglaubigten -- Regeln tun. Sie schreiben dabei nicht, wie sie wollen, sondern, was sie wollen, und verschriften das Gemeinte so, daß sie verstanden werden -- ganz ohne oder neben der RSR und Ähnlichem.

"... und die Polizei störe die Freude nicht."
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 05.06.2007 um 21.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8863

Dieser Strang hat einiges in bezug auf den Zustand der nichtprofessionellen Kritik an der Rechtschreibreform zutage gefördert. Es gibt einen soliden Kern, der sich ernsthaft um weitere Klarheit und vor allem um zumutbare Lösungen bemüht. Daneben gibt es die in Foren übliche Talkshow-Atmosphäre: Was zählt, ist der Unterhaltungswert des Vorgebrachten. Vertreter dieser Einstellung meiden den Kern der Beiträge und halten sich fast ausschließlich an die Peripherie. "Forschungsgruppe Deutsche Sprache" nennt sich das ganze Unternehmen - darf man daran erinnern?
 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 05.06.2007 um 21.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8862

Hat Herr Jochems eigentlich ein Problem oder ist seine Enkeltochter einfach nur zu bequem, sich in einer Buchhandlung kundig zu machen?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 05.06.2007 um 19.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8861

Heute morgen machte ich mich im Internet auf die Suche nach einer Interpretation von Ilse Aichingers Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater", um nämlich unsere Enkeltochter entsprechend beraten zu können. Ich wurde fündig bei Franziska, die hier offenbar eine Proseminararbeit ins Netz gestellt hat, obwohl als Genre "Schulaufsatz" angegeben ist. Franziska beherrscht das Interpretationsvokabular und trägt kluge Gedanken vor, doch ihre Rechtschreibung und Zeichensetzung sind unter aller Kanone.

Überwiegend ist die personale Erzählperspektive vorhanden, die bewirkt, das der Leser die Handlung aus dem Blickwinkel der Frau sieht.

Einmal kommt richtig verwendetes "dass" vor; dem stehen aber 13 falsche "das" gegenüber. Zehnmal fehlt das Komma. Selbst wenn man bedenkt, daß einige dieser Fälle von der Neuregelung gedeckt sind, ist das Ergebnis insgesamt blamabel.

Wer ist schuld an den "Defiziehten" dieser intelligenten jungen Germanistin - etwa die Jugendverderber Augst und Stillemunkes? Keineswegs. Biedere Deutschlehrer am Gymnsium waren es, die ihr so hochgestochenen Quatsch wie "auktoriale Textpassagen" beigebracht haben, nicht aber diese beiden schlichten Faustregeln: Wenn man "das" nicht durch "dieses" oder "welches" ersetzen kann, schreibt man "daß" (dass)." und: "Wenn man beim Vorlesen eine kleine Pause macht, setzt man ein Komma". Man kann nicht beides gleichzeitig haben - Wolkenkuckucksheim und eine solide Allgemeinbildung.

PS. Von "Defiziehten" berichten Augst/Dehn 1998, S. 40.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 05.06.2007 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8860

"Inzwischen ist so viel an den Regeln selbst und in der Schreibpraxis verändert worden, daß im Augenblick auch für Kenner der Materie alle Klarheit verloren ist. Der große Kernbestand der deutschen Rechtschreibung ist aber - zum Glück - nicht betroffen, so daß die schriftliche Kommunikation in jeder Form so funktioniert, als sei nichts geschehen."
Wenn der erste Satz stimmt, besteht keine Hoffnung mehr. Wenn der zweite stimmt, ist diese Website überflüssig.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.06.2007 um 12.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8859

Freiheit für die Wörter!
Alle Wortarten müssen gleichberechtigt sein, sich zu neuen Wörtern zusammenschließen zu dürfen, ohne daß es amtlich genehmigt werden muß!
Wenn durch Getrennt- oder Zusammenschreibung sowie durch Groß- oder Kleinschreibung unterschiedliche Bedeutungen ausgedrückt werden können, muß das erlaubt sein, ohne daß es amtlich genehmigt werden muß!
In diesen Fällen können statt Rechtschreibfehlern höchstens unsaubere Ausdrücke angestrichen werden.
Der Schreiber muß sich eben vorher überlegen, was er meint.
Daß jeder privat schreiben darf, wie er will, ist ein Witz, weil dann jeder seinen eigenen Verlag gründen müßte, um die Öffentlichkeit zu erreichen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 05.06.2007 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8858

Bei allen Überlegungen zur Situation der deutschen Rechtschreibung dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, daß sowohl vor der Reform wie seitdem nur marginale Bereiche betroffen waren bzw. sind. Die Schreibung der Wortstämme ("Laut-Buchstaben-Entsprechungen") ist - von zwei für den Lesevorgang unwesentlichen systematischen Retouchen abgesehen - zumindest seit dem 18. Jahrhundert unverändert geblieben. In den Nachbarsprachen ist das nicht anders. So sichern die europäischen Buchstabenschriften die unbehinderte Lesbarkeit auch des älteren Schrifttums. Im Deutschen hat sich besonders seit dem 19. Jahrhundert die Gewohnheit herausgebildet, dem Leser orthographisch zusätzliche - nicht in der Lautung schon vorgegebene - Informationen zu vermitteln. Durch Großschreibung der eigentlichen Redegegenstände erhält der Satz eine semantische Strukturierung, die bei durchgehender Kleinschreibung fehlt, und die Zusammenschreibung von bestimmten Wortgruppen (Univerbierung) macht deren Status als begriffliche Einheit sichtbar. Da bei der Groß- und Kleinschreibung natürlich auch das grammatische Prinzip weiterhin gilt, ergibt sich hier die Möglichkeit, durch bewußte Kleinschreibung von Substantiven und Substantivierungen eine semantische Besonderheit (etwa "übertragener Gebrauch") auszudrücken. Entsprechend läßt sich durch Verzicht auf die Zusammenschreibung von Univerbierungen die wörtliche von der übertragenen Verwendung unterscheiden. Was die deutsche Rechtschreibung komplizierter macht als die anderer Sprachen, ist also die Möglichkeit der Unterscheidungsschreibung im weitesten Sinne.

Die häufiger vorkommenden Fälle dieser deutschen Besonderheiten werden natürlich geübten Schreibern zur Gewohnheit. Ansonsten aber hilft der Blick ins Wörterbuch oder, auf einer höheren Ebene der "Schreibbeherrschung", die Besinnung auf eine Regel. Wie kompliziert das Regelgefüge allein für die Univerbierung im Bereich der Verbzusatzkonstruktionen inzwischen geworden ist, war auf dieser Webseite vor einiger Zeit anhand der umfangreichen Zusammenstellungen Professor Icklers zu besichtigen. Ein ausführliches Regelwerk als Begleiter des orthographischen Wörterbuchs ist jedoch selbst hierzulande eine relativ junge Erscheinung. Wenn ich mich nicht täusche, hat erst Walter Jung von der Leipziger Dudenredaktion mit seinem "Leitfaden der deutschen Rechtschreibung und Zeichensetzung mit Hinweisen auf grammatische Schwierigkeiten" (in: Der große Duden, 15. Auflage, 1957) eine derart ausführliche Zusammenstellung vorgelegt. Die Lektüre dieses unpedantischen, gefällig geschriebenen Textes ist heute noch ein Genuß. Er umfaßt übrigens 492 unterschiedlich lange Regeln. Gegen Ende der DDR-Zeit haben Petra Ewald und Dieter Nerius ("Die Groß- und Kleinschreibung") und Dieter Herberg und Renate Baudusch ("Getrennt oder zusammen?") dieses Regelwerk anhand der Duden-Belege überprüft und dabei für die genannten Bereiche 48 (GKS) bzw. 111 (GZS), zusammen also 159 Regeln ermittelt.

Unter "Regel" verstand man traditionell in der deutschen Sprachwissenschaft die Beschreibung einer in der Sprachwirklichkeit vorgefundenen "Regularität" (so Peter Eisenberg, 1993). Es versteht sich von selbst, daß man darin auch eine Anleitung zum Sprachgebrauch sehen kann. Dann aber brachte das Bekanntwerden mit der amerikanischen generativen Transformationsgrammatik ein völlig neues Regelverständnis: Erst die in der Tiefenstruktur der Sprache schlummernden Regeln "generieren" die in den Äußerungen zum Vorschein kommende Oberflächenstruktur, Sprachgebrauch ist also "rule-governed behavior", was unsere Reformer auf einen naheliegenden Gedanken brachte: Wenn man das komplizierte Regelsystem der deutschen Rechtschreibung entsprechend zusammenstutzt, wird auch die Schreibpraxis einfacher, und die Wenigschreiber sind ein schlimmes Trauma los. Mehr noch: Wenn man aus diesen Regeln "Proben" ableitet, mit denen jeder Schreiber die Richtigkeit einer Schreibung überprüfen kann, wird aus der naiven Unbekümmertheit Gewißheit. Die Sache hat nur einen Haken: Künstlich vereinfachte Regeln produzieren auch ungewöhnliche Schreibungen, die Schreiblerner arglos aufgreifen, die erfahrenen Schreibern aber ein "Gräuel" sind.

Inzwischen ist so viel an den Regeln selbst und in der Schreibpraxis verändert worden, daß im Augenblick auch für Kenner der Materie alle Klarheit verloren ist. Der große Kernbestand der deutschen Rechtschreibung ist aber - zum Glück - nicht betroffen, so daß die schriftliche Kommunikation in jeder Form so funktioniert, als sei nichts geschehen. Niemand weiß heute, ob die nachrückende Jugend schließlich mit ihren veränderten Schreibungen die "Altschreiber" überflügeln wird, oder ob es zu einem neuen Konsens kommt, der dann von den Nachfahren der jetzigen Kultusminister in einem umfangreichen Dokument zur neuen Norm erhoben werden kann. Bis dahin werden auch die schlimmen Verdächtigungen über die Urheber und die Durchsetzter der Rechtschreibreform in Vergessenheit geraten. Freilich wird sich auch niemand daran erinnern, daß Gerhard Augst ein munterer Bauernsohn aus dem Westerwald war, der aus Übermut einen Stein in den Teich warf ...

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 05.06.2007 um 09.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8857

Weise Zurückhaltung wäre auf Dauer angelegt gewesen und hätte auf der Erkenntnis beruht, daß eine staatliche Regelung der Orthographie nicht notwendig ist. Diese Einsicht lag dem KMK-Beschluß aber nicht zugrunde, und so hatte er denn auch nur vorläufige Geltung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2007 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8856

So ungern ich Herrn Achenbach widerspreche: Hier scheint er mir doch das Ärgernis der staatlichen Autorisierung etwas zu unterschätzen. Die Autorität des Dudens war eben leider nicht die Folge seiner Qualität als Leitwörterbuch (das mag hundert Jahre früher der Fall gewesen sein), sondern hing wenigstens teilweise von jener Privilegierung ab, die der Todfeind der qualitativen Verbesserung war. So ähnlich sieht es übrigens auch der Verlag bzw. die Redaktion.
Die Reformer haben diesen Fehler nicht gemacht, sondern aus dem Junktim von Aufhebung der Privilegierung und Durchsetzung ihrer ursprünglich kulturrevolutionären Ideen Kapital geschlagen. Mein Gegenvorschlag bestand von Anfang darin, die Privilegierung aufzuheben und gleichzeitig von jenen inzwischen reichlich verstaubten Ideen Abstand zu nehmen, vielmehr erst einmal die wirkliche Schreibweise zu ermitteln und festzuhalten. Daß letzteres versäumt wurde, beklagte seinerzeit übrigens auch Herr Munske. Die Reformer um Augst waren natürlich nicht daran interessiert, und so kam es eben, wie es kommen mußte: Man änderte, ohne das verstanden zu haben, was man ändern wollte. Ohne den Staat wäre es nicht gegangen, ja, schließlich haben die Ministerialbeamten sogar über die Köpfe der Sprachwissenschaftler hinweg reformiert. Aus intimster Kenntnis hat darüber wiederum Herr Munske berichtet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2007 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8855

Mit der neuen Zusammenschreibung leidtun, nottun und dem noch nicht eingeführten rechthaben scheint ein altes Problem recht elegant gelöst zu sein, nach dem Wüsterschen Motto: "Entweder klein und zusammen oder groß und getrennt!", das sich ja die Reformer auch zu eigen gemacht haben, daher von Seiten/vonseiten. Leider funktioniert es im verbalen Bereich nicht ohne weiteres, und daran ist Schaeder ja auch gescheitert.
Das ganz ansprechende rechthaben führt zu stark gewöhnungsbedürftigen und daher auch keineswegs angebahnten Schreibweisen wie rechthättest. Außerdem erhebt sich bei unfesten Zusammensetzungen mit Substantiven als Erstglied immer noch die Frage, ob dies bei Distanzstellung wirklich klein geschrieben werden soll. Der neueste Duden Bd. 9 (2007) ringt immer noch damit (delfinschwimmen usw.). ohne überzeugendes Ergebnis.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 05.06.2007 um 06.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8854

Dieser lange Gesprächsfaden erscheint mir sehr erfreulich. Trotz einigen Störfunks wird hier nach langer Zeit immerhin wieder über die Sache gesprochen. Dieses Forum ist doch – in allererster Linie wegen der Teilnahme von Prof. Ickler – sicherlich das wichtigste Forum der Reformgegner. Umso bedauerlicher war die Verflachung der Diskussion in den letzten Wochen und Monaten. Aber auch einige Beiträge in diesem Faden sind leider geeignet, uns alle nach außen als Haufen eifernder Sektierer, die sich gegenseitig wegen orthographischer Petitessen an die Gurgel gehen, erscheinen zu lassen. Daß das der gemeinsamen Sache nicht dienlich ist, sollte eigentlich allen klar sein.

Die Beiträge von Herrn Jochems sind immer wieder erfrischend. Allerdings scheint mir, daß er die Nachteile der herkömmlichen (Duden-)Schreibung über Gebühr dramatisiert. Bis 1996 hatten wir keine staatlich „verordnete“ Rechtschreibung, sondern ein Leitwörterbuch, den Duden. Durch solche Leitwörterbücher ist auch in anderen Sprachen eine einheitliche Rechtschreibung entstanden, in Deutschland früher etwa durch den „Adelung“. Bis 1996 bestanden die staatlichen Eingriffe nur in sehr behutsamen Vereinheitlichungen noch bestehender Varianten. Schließlich müssen die Schullehrer ja auf irgendeiner Grundlage korrigieren. Das ist heutzutage angesichts der erdrückenden Verrechtlichung aller Lebensbereiche noch unumgänglicher (ich erlaube mir hier bewußt eine an sich kritikwürdige Steigerung). Ohne „Rechtsgrundlage“ ist man hierzulande ja handlungsunfähig. Die offizielle Sanktionierung des Duden war deshalb keine staatliche „Regulierung“, sondern Ausdruck weiser Zurückhaltung.
Die deutschen Lehrer habe ja wohl schon vorher den Duden benutzt. Auch englische Lehrer korrigieren vermutlich auf irgendeiner Grundlage, etwa dem Oxford Dictionary. Ob das dort durch förmliche Verordnung geregelt ist oder nicht, weiß ich nicht; es ist auch unerheblich.

Herr Jochems scheint mir auch die Bedeutung der "Regeln" in der hergebrachten Rechtschreibung zu überschätzen. Mit Ausnahme einiger Bereiche wie der Zeichensetzung und der Worttrennung haben die Dudenregeln doch kaum eine Rolle gespielt. Wer hat denn in der Praxis sich den Kopf darüber zerbrochen, wann denn wohl ein "neuer Begriff" entstanden ist? Fühlte man sich unsicher, hat man das Wort einfach nachgeschlagen.

Dadurch perpetuiert Herr Jochems auch noch die Legende der Rechtschreibreformer, wonach die deutsche Rechtschreibung so fürchterlich kompliziert und "überreguliert" gewesen sei. Man hat den Menschen systematisch die Angst eingejagt, ihr Fortkommen im Leben, ihre Karriere hingen von der perfekten Beherrschung der Duden-Orthographie ab. Aber welcher deutscher Personalchef hat denn die Feinheiten der Duden-Schreibungen beherrscht? Es ist doch völlig weltfremd zu meinen, ein deutscher Personalchef würde seine Zeit damit verschwenden, Bewerbungsschreiben auf Feinheiten der GKS oder der GZS zu durchforsten. Ich würde mir sehr viel mehr darüber Sorgen machen, daß der Erfolg meiner handschriftlichen Bewerbung von obskuren graphologischen Gutachten abhängen könnte, oder der Erfolg meines Bewerbungsgesprächs vom Urteil nicht minder obskurer Psychologen.

Dadurch wird auch verdunkelt, daß mit den staatlich verordneten Regeln von 1996, 2004 und 2006 eine grundlegend neue Lage entstanden ist. Verbindlich (für Schule und Verwaltung) sind nur noch diese "Regeln", allenfalls noch die amtliche Wörterliste, obwohl man an vielen Stellen begründete Zweifel daran hegen kann, daß die Regelinterpretation der Wörterliste zwingend ist. Alles andere aber, alles was die Wörterbücher hinzuinterpretieren, ist völlig unverbindlich. Das muß man den Leuten in unserem Lande immer wieder sagen. Wer will, darf sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen. Noch gibt es keinen Bundesrechtschreibgerichtshof, und die KMK wird sich hüten, sich nochmals an der Rechtschreibung die Finger zu verbrennen. Aber natürlich ist es viel bequemer, im Wörterbuch nachzuschlagen.

Noch zu den sog. "Spitzfindigkeiten" ("Korinthenkackereien") des Duden:
Wer sich konsequent an der allgemeinen Übung, am Usus, orientiert, der wird scheinbare "Unlogik" nicht vermeiden können. Gerade die Erfahrung mit der RSR hat doch gezeigt, daß die Intuition, die die Schreibenden bei der GKS und der GZS leitet, sich der Regelung entzieht, nach wie vor nicht systematisch verstanden wird (mit Ausnahme vielleicht von Herrn Schatte).
Die scheinbare Unlogik von Auto fahren/radfahren ist doch seit Jahrzehnten das Paradebeispiel aller Rechtschreibreformer. Daß der alte Duden sich davon nicht hat beirren lassen und an der Schreibung "radfahren" festgehalten hat, rechne ich ihm hoch an.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 05.06.2007 um 00.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8853

Zum Alter:
Daß "dem Alter" mehr Respekt gebührt als jüngeren Zeitgenossen, bestreite ich ganz entschieden!
Ist es nicht so, daß zunächst allen, unabhängig vom Alter, der genau gleiche Grundrespekt zuteil werden sollte? Wie sich dieser später weiterentwickelt, hängt doch dann ganz von den individuellen Erfahrungen mit einem Menschen ab und nicht von seinem Alter!

Zur Schreibung:
Ich bin kein Sprachwissenschaftler, meine aber, daß gerade die deutsche Sprache spontane Bildung neuer Wortkreationen zuläßt. Das gilt natürlich bei Hauptwörtern (Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän...) aber auch bei anderen Wortarten. Jeder hat die Freiheit, entweder eine getrennte oder eine verbundene Schreibweise zu wählen, je nachdem wie jemand den Sinn versteht oder Dinge betonen will oder einen unüblichen Akzent setzten will, oder was immer.
Daß sich unabhängig von dieser Freiheit eine übliche Schreibweise für Allerweltstexte herausbildet, widerspricht dem nicht. Übliche Schreibweise bedeutet lediglich, daß die Mehrheit aller erfaßten Schreiber ein und denselben Sinn in übereinstimmende Schreibung kleidet, und zwar nicht aufgrund von Regeln sondern aufgrund des Sprachgefühls und aufgrund des Sinnes, der ausgedrückt werden soll. Wenn die Mehrheit so schreibt, ist auch die Wahrscheinlichkeit hoch, daß ein Leser genau wieder den gewünschten Sinn versteht.
Zu kritisieren ist niemals die Schreibung einzelner Privatleute sondern das Unterfangen, sich über die genannten Wortbildungsmöglichkeiten hinwegzusetzen und diese durch ein künstlich geschaffenes Chaossystem zu ersetzen, welches in seiner Gesamtheit weder intuitiv ist und daher unlernbar bleibt, sondern das sich bei regelkonformer Anwendung sogar sinnverfälschend auswirken kann. Beispiele dafür können in diesem Forum in großer Zahl besichtigt werden.
Und natürlich zu kritisieren sind jene Massenmedien, die sinnentfremdende Schreibungen gegen besseres Wissen verbreiten.

Zur Schreibfertigkeit:
Egal ob Sportler, Autofahrer oder Schreiber, jeder benötigt neben etwaigem Talent auch Training, um seine Leistungen zu verbessern. Wer wenig schreibt, der kann es weniger gut, das gilt für Deutsch und auch für jede andere Sprache. Die Orthografie für schwächere Leistungen von Wenigtrainierern verantwortlich zu machen, wäre ähnlich, wie dem 100m-Lauf vorzuwerfen, daß nur wenige die 10sec-Grenze unterbieten können.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 04.06.2007 um 23.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8852

Unsere Freunde stellen sich unter traditioneller bzw üblicher Rechtschreibung eine starre Norm vor.

In diesem Satz macht Herr Jochems auf den Kern des Problems aufmerksam, das der hier (nicht zum erstenmal) mit ihm geführten Debatte zugrundeliegt. Man kann den Satz polemisch angehen und zuerst einmal fragen, wer denn, bitte, mit "unseren Freunden" gemeint ist (und wessen Freunde es sind). Aber Polemik hat es in den letzten Tagen schon zuviel gegeben. Deshalb versuche ich lieber, den Satz am anderen Ende anzufassen. Dort fällt sowohl die Vorstellung von traditioneller als auch die von üblicher Rechtschreibung mit einer starren Norm zusammen. Tradition kann sich gegenbegrifflich zu Norm verhalten, muß es aber nicht. So ist es durchaus möglich, sich die Tradition als - gesetzte (so verstehe ich jetzt einmal "starre") - Norm vorzustellen. Anders beim Usus. Das Gebräuchliche ist die vorfindliche Regel, im Unterschied zur gesetzten Norm. Deshalb ist die Aussage "Herr Meier stellt sich unter der üblichen Rechtschreibung eine starre Norm vor" nur als - despektierliche - Äußerung über den Geisteszustand von Herrn Meier sinnvoll. Sie impliziert dann, daß die Gleichsetzung von Usus und Norm konzeptuell unmöglich ist.

Nur (und das führt dann doch wieder auf den Anfang des Satzes zurück): Wer sind denn die Leute, die diese Unterscheidung nicht zu treffen vermögen? Es sind, im kleinen, diejenigen, deren Frage "Wie schreibt man das?" schon vor zehn Jahren nicht "Was ist sprachrichtig?" sondern "Wie steht es im Duden?" meinte und die heute gerade so brav die vermeintlich geltenden Vorschriften zu befolgen bemüht sind wie schon immer. Im großen sind es Leute mit wissenschaftlichem Anspruch, bei denen das Propädeudikum nicht einmal so weit reicht, daß sie zwischen experimenteller und phänomenologischer Erkenntniserwartungshaltung unterscheiden können, und die mit derselben Ungeniertheit, mit der sie vor zehn Jahren der Sprachgemeinschaft ihre Theorien als Norm aufoktroyiert haben, heute darauf warten, das Ergebnis dieses Eingriffs als Usus ausgeben zu können.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 04.06.2007 um 20.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8849

Die "heute anzutreffende Vielfalt" ist zu differenzieren. Die vor 1996 anzutreffende Vielfalt lasse ich mir gern mit aller Nachsicht schmecken, die Sie einfordern.

Was danach kam, war nicht Vielfalt, sondern Einfalt.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 04.06.2007 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8848

Lieber Herr Ickler, ich habe die "Lesefrüchte" ja auch nicht abgedruckt, um auf ein Problem aufmerksam zu machen. Günter Grass schreibt offenbar so, wie es seinen Absichten am besten entspricht, und dabei schöpft er zumeist aus dem uns allen gemeinsamen Fundus. Er weicht aber auch ab, und wer wollte hier "Fehler!" rufen? Unsere Freunde stellen sich unter traditioneller bzw üblicher Rechtschreibung eine starre Norm vor. Wenn man dieses Vorurteil aufgibt, ist man schon einen Schritt näher daran, die heute gelegentlich anzutreffende Vielfalt mit Nachsicht zu beurteilen. Ein Verb "rechthaben" zum Beispiel kennt keine der z. Z. anzutreffenden Rechtschreibversionen. Löst diese Schreibung aber nicht elegant die mit "recht haben" verbundenen Probleme? Ob man wie Grass getrennt "heil geblieben" oder in einem Wort "heilgeblieben" schreiben sollte, hört man in den betreffenden Sätzen. Es gibt eine Schlichtheit der Intuition, von der weder die Vertreter der einen noch der anderen Seite etwas wissen wollen. Wo Grass vom Üblichen abweichend schreibt, ist er gewiß nicht darauf aus, die deutsche Schreibkultur zu zerstören und die Jugend ins Analphabetentum zu führen. Gibt es überhaupt jemanden, der das will?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.06.2007 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8847

An schöpferische Zerstörung (Zauberwort der Nationalökonomie) kann ich im Falle der Rechtschreibreform nicht glauben. Es war ja nichts kaputt, warum sollte man es also reparieren? Die Kosten waren ebenfalls zu hoch. (Eine größere Vergeudung von Volksvermögen fällt mir nicht ein, vom kulturellen Schaden mal ganz abgesehen.)
Das einzige, was an der "alten" Rechtschreibung ärgerlich war, betraf die staatliche Normierungspraxis, mit Privileg für den Duden. Es hätte nur eines Federstrichs bedurft, die Rechtschreibung freizugeben, d. h. den Umgang der Schule mit ihr neu zu ordnen und damit das letzte Hindernis vor der stetigen Selbstregulation niederzureißen. Die Schreibweisen selbst waren aber in Ordnung.
Was Grass betrifft: Er kann doch schreiben, wie er will, er ist ja kein Schuljunge mehr. Die meisten von Herrn Jochems angeführten Schreibweisen entsprechen dem Üblichen, ein paar Eigenheiten werden dem Ausdruckswillen des Schriftstellers zugute zu halten sein. Wo ist das Problem?

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 04.06.2007 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8846

Mit meinem albernen Zwischenruf wollte ich eigentlich nichts Ernstes sagen, sondern einen humorvollen Schlußpunkt unter das Thema Lebensalter setzen.

Nun im Ernst. Ich meine, lieber Herr Professor Jochems, daß "dem Alter" mehr Respekt gebührt als der dahinschwirrenden Jugend und daß dies heute zu wenig beachtet wird. Es ist ja nicht zu leugnen, daß die ältere Generation mehr Lebenserfahrung mitbringt, mehr geleistet hat, mehr Verantwortung übernommen, mehr Schicksal zu tragen gehabt hat als das junge Gemüse. Wobei ich mich tatsächlich in der Mitte befinde: Ich habe einige Lebenserfahrung, schwirre aber immer noch herum ...
 
 

Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 04.06.2007 um 15.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8842

Mir hat hier schon mal jemand erklärt, welchen Fehler ich begehe, damit so eine Beitragsverdoppelung überhaupt entstehen kann - ich muß zugeben, daß ich das inzwischen wieder vergessen habe. (Darf ich nochmals um diese Erklärung bitten? Dann gelobe ich Besserung!)
 
 

Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 04.06.2007 um 15.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8840

Danke! Ich hatte mir das als "nichtformatierten Text" kopiert und nur den Ausdruck gelesen; daher konnte ich die Kursivschrift nicht sehen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 04.06.2007 um 15.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8839

"...die dann der Gängelung durch eine Normierungsinstitution nicht mehr bedürfte."

Verehrter Herr Prof. Jochems, sind Sie denn der Meinung, daß eine konsensfähige einfache Rechtschreibnorm überhaupt irgendwann der Gängelung durch eine Normierungsinstitution bedurfte bzw. bedarf? Sie selbst lassen doch allenthalben das Toleranzcornett tröten.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 04.06.2007 um 14.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8837

Wie schon aus der Kursivierung ersichtlich, natürlich
warmhalten sollte
 
 

Kommentar von nos, verfaßt am 04.06.2007 um 14.30 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8834

Das Zitat von Herrn Jochems anno domini 1997 erinnert mich ganz stark an die tröstenden Worte von Onkel Hugo, die er gesprochen hat, als Tante Ernas kostbare chinesische Vase vom Tische fiel: „Scherben bringen Glück!“
 
 

Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 04.06.2007 um 14.30 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8833

Ich habe gelegentlich in amerikanischen Zeitungen Auseinandersetzungen über sprachliche (z.T. auch orthographische) Zweifelsfälle verfolgt. Ich erinnere mich konkret an die Frage, inwieweit es zulässig sei, "I" durch "me" zu ersetzen (wie es umgangssprachlich häufig geschah). Immer ging es in solchen Fragen um die "beste" Möglichkeit, ganz, wie es Professor Ickler hier erneut formuliert hat. (Ich habe bei diesem konkreten Beispiel den durch fast nichts fundierten Eindruck, daß das "I" ein bißchen gestärkt aus diser Auaseinandersetzung hervorgegangen ist.)
Das ist - bei allen Unterschieden in Temperament und Charakter - auch die Basis, die "uns" bei allen Diskussionen in den letzten Jahren geeint hat (und m.E. immer noch eint): die Suche nach der besseren Qualität!
Für Herrn Professor Jochems spielen dabei seit je "Regeln" eine höhere Bedeutung als für andere; ich habe, wenn ich mich selbst richtig einschätzen sollte, relativ durchgängig den Pol Ästhetik/Kunst (in Verbindung mit der Zweckmäßigkeit) stärker betont, Frau Pfeiffer-Stolz hat vielleicht särker die Pädagogik im Blick - kurzum: jeder reitet eigene Steckenpferde. Aber praktisch jeder ist in seiner Orthographie wesentlich näher am "Ickler" als an irgendeiner Variante der RSR - ich bin sicher, in erster Linie wegen derer qualitativer Mängel.
So verstehe ich auch den Vorschlag von Ballistol: Nimmermüde Qualitätsmängel zu belegen, also an Beispielen zeigen, wie es warum besser geht.

An den Grass-Zitaten stört mich eigentlich nur "warmhaltensollte" (290), das halte ich für einen übersehenen Fehler - und (176); ansonsten darf Herr Grass als ausgewiesener Künstler so kreativ mit der deutschen Sprache umgehen, wie er es nur immer mag.
Also: Wir "Normalos" bemühen uns um die möglichst gute, treffende, ästhetisch nicht aneckende, leichtverständliche orthographische Umsetzung dessen, was wir im Sinn haben - und der Künstler spielt mit diesem Instrument. Dabei können ihm auch richtige Fehler unterlaufen (in meinen Augen: "warmhaltensollen") - dann sollte der Lektor ihn fragen: "Herr Grass, wollten Sie das wirklich so?" (Und dann sollte Herr Grass diese Schreibweise begründen - oder korrigieren lassen.)
 
 

Kommentar von Ronald71, verfaßt am 04.06.2007 um 14.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8832

(@ Germanist / #8828:) Da haben Sie etwas mißverstanden. Grass hat seine Orthographie nie umgestellt; darüber, ob etwas "noch" nicht oder "wieder" funktioniert, gibt sie also keinen Aufschluß.

Herr Jochems (#8823) möchte vielmehr zeigen, daß Grass die Rechtschreibreform zwar ablehnt, sich aber einzelner Schreibweisen bedient, die erst durch die Reform "erlaubt" wurden. Für Herrn Jochems scheint das eine Art Widerspruch zu sein. Daß er sich hier täuscht, ist freilich "schon sehr oft gesagt worden" (Herr Ickler in #8799, alles weitere dort).
 
 

Kommentar von Zitat von Herrn Jochems Anno Domini 1997, verfaßt am 04.06.2007 um 13.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8831

Da die Deutsche Rechtschreibung 1996 die bisher gültigen komplizierten Regeln durch noch kompliziertere ersetzt, für die Leser deutscher Texte aber mindestens einige Jahrzehnte lang die alten Schreibungen überwiegen werden, ist eine längere Periode großer Unsicherheit auf orthographischem Gebiet zu erwarten. Diese durch die mangelnde Sorgfalt der staatlichen Stellen heraufbeschworene Situation könnte sich jedoch auch positiv auswirken. Gefordert ist jetzt ein tolerantes Verhalten in allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere im Erziehungswesen. Am Ende könnte sich eine konsensfähige einfache Norm herausbilden, die dann der Gängelung durch eine Normierungsinstitution nicht mehr bedürfte.

(Aus dem damaligen Jochems'schen Dekalog)
 
 

Kommentar von Köpcke, verfaßt am 04.06.2007 um 13.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8829

Gestern tauchte in der 20-Uhr-Tagesschau tatsächlich eine Schriftgrafik mit einem "daß" auf (ein Putin-Zitat). Versehen oder Subversion? Auf jeden Fall markant und wohltuend gut lesbar. Gerade die Darstellung im Medium Fernsehen bewies auf Anhieb, wie überlegen diese Schreibweise ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.06.2007 um 13.04 Uhr  
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An den Beispielen aus dem Buch von Günter Grass sieht man sehr gut, daß die Getrennt- und Zusammenschreibung wieder einigermaßen sinnvoll funktioniert, aber die Groß- und Keinschreibung unbedingt noch repariert werden muß. Bis dahin kann es keinen Rechtschreibfrieden geben und so lange müssen wir als Störer und Unruhestifter tätig sein. Von selbst wirkt nur die Gewöhnung an Fehler und Ungenauigkeiten, und damit rechnen die Reformer. Also sammeln wir weiter nicht hinnehmbare Fehler der Reform! Die Nachbesserung der Getrennt- und Zusammenschreibung erfolgte auch erst, nachdem einfach keine Ruhe einkehrte.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 04.06.2007 um 12.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8826

Sehr verehrter Herr Prof. Jochems,

auch wenn ich Ihre Beiträge der letzten Tage mit stetig zunehmender Hochachtung über Ihre Präzision, Sachlichkeit und Kompetenz gelesen habe, verstehe ich Sie nicht ganz. Einerseits fordern Sie Liberalität ein, aber nur hier, im eigenen Lager, nicht jedoch bei den Reformern. Sie fordern, daß das, was die Schule lehrt, richtig sein müsse, lassen dies aber nicht als Argument für mich Reformgegner gelten, der ich im Lande Hessen in den siebziger Jahren Schreiben beigebracht bekommen habe, auf eine Art, die nun falsch sein soll. Und schließlich schreiben Sie nun, Rechtschreibgegner könne im Grunde nur der sein, der alles von Prof Ickler mit nahezu gleicher Sachkompetenz zu käuen vermag — ein Ding der Unmöglichkeit selbst bei unseren besten Leuten, Wagner, Germanist usw. usw., bei normalen, germanistisch weniger Beschlagenen wie mir die reinste Träumerei — , fast im gleichen Atemzug werfen Sie aber dem, der uns allen dabei ganz weit vorausleuchtet, Herrn Markner nämlich, Starallüren und Arroganz vor.

Ich brauche nicht diese Kompetenz zu besitzen, um selbst eine wohlbegründete Position gegen dieses Reform-Monstrum haben zu dürfen (übrigens ebenfalls schon seit 11 Jahren, eigentlich sogar seit 1985/86).

Der Sinn dieses Forums kann natürlich auf der einen Seite sein, über Verbzusatzkonstruktionen zu schwadronieren — weit wichtiger aus meiner Sicht ist aber, eine Handhabe zur möglichst schnellen und kostengünstigen Erledigung der Reformumtriebe zu gewinnen. Die Art Eisenbergscher und Icklerscher Kompromißhaltung unterscheiden sich übrigens diametral, weswegen ich — in Ihrer Diktion — glücklich bin, daß es da zu keiner Seilschaft gekommen ist. Unsere Seite braucht klare Positionen und keine nassen Schwämme.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 04.06.2007 um 12.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8825

Lieber Herr Wrase, Sie verstehen die letzten Beiträge wohl nicht ganz richtig. Abfällige persönliche Bemerkungen über Mitmenschen sind insgesamt kein Zeichen von guter Bildung. Darüber hinaus sollten auch in einer demokratischen Gesellschaft Alter und Verdienst zusätzlich einen taktvollen Umgangston auslösen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache hat eine Anzahl so zu charakterisierender Persönlichkeiten eingeladen, auf ihrer Webseite als Beirat zu fungieren. Professor Ickler ist selbstverständlich unter ihnen, dazu etliche weitere, die sich freilich (mit Ausnahme von Herrn Krieger) nie auf "Schrift und Rede" geäußert haben. Ich habe vor einigen Monaten darum gebeten, meinen Namen aus der Liste zu entfernen. Ich meine nämlich, daß nicht mein Alter oder meine akademischen Titel mir ein Anrecht auf unvoreingenommenes Gehör verschaffen, sondern mein inzwischen fast elfjähriges eifriges Eintreten für die Sache der deutschen Rechtschreibung. Aus der ersten Generation der Kritiker ist kaum noch jemand dabei, und etliche Namen sind inzwischen aufgetaucht und wieder verschwunden. Natürlich ist die Rechtschreibung ein kulturelles Phänomen und sollte so behandelt werden, übrigens auch im Stil der Beiträge. Sie hat aber auch eine außerordentlich wichtige praktische Seite, mit der nur auf der Basis gründlicher Erfahrung umzugehen ist. Wenn das auf der Webseite der Forschungsgruppe Deutsche Sprache nicht der allgemeine Konsens sein sollte, kann man ihr wohl kaum ein erfolgreiches Weiterbestehen voraussagen. Dann helfen auch die illustren Namen im Beirat nicht, der im übrigen nie befragt worden ist. Jeder Diskutant auf dieser Seite müßte sich indes fragen, ob er während der Monate der Mitgliedschaft Professor Icklers im Rat für deutsche Rechtschreibung dessen ausführliche und detaillierte Berichte, Analysen und Vorschläge kompetent zur Kenntnis nehmen konnte. Wie könnte man nämlich den Reformern Dilettantismus vorwerfen, wenn man selber der komplexen Problematik der deutschen Rechtschreibung hilflos gegenübersteht. Die Kritikerbewegung hat ohnehin von Anfang an darunter gelitten, daß Sprachwissenschaftler, Lehrer der philologischen Fächer und erfahrene Schreibpraktiker nur am Rande eine Rolle spielten. Ich war sehr glücklich, als im RfdR sich eine Zusammenarbeit von Professor Eisenberg und Professor Ickler anzubahnen schien. Daraus ist leider nichts geworden. Allem Aktionismus, der jetzt angeregt wird, fehlen ohnehin die Ansprechpartner. Aus der Diskussion der letzten Tage sind also einige Lehren mitzunehmen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 04.06.2007 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8824

Ich bin 45,5 Jahre alt und fordere hiervon ausgehend ca. 50 Prozent Respekt für meine Beiträge.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 04.06.2007 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8823

Gern gehe ich auf Herrn Lachenmanns Anregung ein und stelle ein sachliches Problem zur Diskussion. Wer wie ich in den letzten Monaten Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass gelesen hat, wird sich hin und wieder gefragt haben: Wie schreibt unser Gesinnungsfreund denn nun: traditionell ohne Abstriche, traditionell mit individuellen Abweichungen, traditionell mit Zugeständnissen an die Neuregelung? Wie beurteilen die Mitdiskutanten die nachfolgenden Schreibungen:

"sind mir [...] einige Worte haftengeblieben" (257),
"daß sein bergauf gerollter Stein oben nicht liegenbleibt" (380),
"Schnee, der liegenblieb" (399);
"Landschaft, die spärlich verschneit flach lag" (397),
"welch üble Kumpanei einen Staat kaputtgemacht hatte" (256),
"sollten sie [= grüne Heringe]mich fortan satt machen" (402),
"als ich das einladende Telegramm glattstrich" (460),
"keimte die Hoffnung, endlich zum Hohlraum geworden, besenrein leergeschrieben zu sein" (329), "erschöpfte ich mich und war dennoch nicht leergelöffelt" (478),
"Pullover, der mich noch lange warmhaltensollte" (290);
"Eines ihrer Lieblingswörter war das Wörtchen 'genau': genaugesehen, genaugesagt, genaugedacht (257),
"nur weil das schnellgesagt unbegreiflich ist" (322)
rechthaben, 8,
zustandekamen (200),

Gelegentlich schreibt Grass mal so, mal so. Wie sind diese Schreibungen zu beurteilen:
"Äußerlich heil geblieben, doch im Inneren ausgebrannt und verwüstet, diente der versehrte Backsteinbau während Jahrzehnten den polnischen Restauratoren als Magazin für die Wiederverwendung von im Detail heilen Bruchstücken." (117) "Ich saß in der heilgebliebenen Stadtbibliothek und sah mich als Vierzehnjährigen in der Stadtbibliothek sitzen." (477)

Sind folgende Univerbierungen üblich, unüblich, unzulässig?
"untertage" (255), "übertage" (256), "den allewelt kennt" (279)
wassonstnoch (88), soundsoviele (112), weißnichtwielang (174), weißnichtmehrwo (265), von frühan (302)

Wie sind folgende Großschreibungen zu beurteilen:
"bis ins Einzelne glaubhaft" (145),
"bis ins schmerzhaft Einzelne " (346),
"für den Umgang mit Seinesgleichen" (176),
"schon wieder ging es ums Ganze" (342);

Und wie steht es mit dieser Kleinschreibung?
"Die einzige Schülerin gab ihrem Akt die schwellenden Ausmaße ihres Körpers. Sie schien die begabteste zu sein." (401)
 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 04.06.2007 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8822

Fragt sich nur, ob diese Schlußsteinmentalität der Sache wirklich dient. Auf konkrete Fragen und Anregungen, außer Herrn Jochems', gab es in diesem weitschweifigen Strang bisher kaum Antworten. Sachdienliches wäre auch mir weitaus lieber als solche Catfights.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 04.06.2007 um 07.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8821

Und ebenso daneben ist es, von "Bubenstück" zu sprechen. Es paßt weder auf Herrn Jochems noch auf Herrn Lachenmann; weder in der einen noch in der anderen Bedeutung. Vorschlag: Wer ernsthaft an der "Wahrheitsfindung durch Diskussion" interessiert ist, sollte das jetzt einmal in einem anderen Strang versuchen. Dieser hier scheint nur noch als Beispiel dafür zu taugen, wie man es nicht machen soll -- als Gegenstand stiller Betrachtung.
 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 04.06.2007 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8820

Das ist schon ein gewagtes Bubenstück, ausgerechnet die Frau Pfeiffer-Stolz in die 68er-Ecke zu stellen und ihr mangelnden Respekt vor dem Alter vorzuwerfen. Sie kommt aus dem wertekonservativen Bildungsbürgertum und ist auch nicht gerade zwanzig.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 04.06.2007 um 00.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8819

Auch ich finde es ziemlich übel, wenn das argumentum ad rem durch das argumentum ad hominem ersetzt wird. Aber war es nicht der "79jährige Emeritus aus den Siegerländer Haubergen", der hier sein Lebensalter als Argument ins Spiel gebracht hat? Faute de mieux, nehme ich an. Jedenfalls kann man Frau Pfeiffer-Stolz keinen Vorwurf daraus machen, wenn sie dies in ihrer Verwahrung gegen "väterliche" Beschwichtigungsreden dann ironisch aufnimmt.
 
 

Kommentar von W.L., verfaßt am 03.06.2007 um 23.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8818

Es ist wirklich ziemlich übel und der Meinungsfindung wenig dienlich, wenn man Meinungen, die man nicht gerne hört oder meinetwegen auch aus guten Gründen nicht teilt, auf persönliche Defizite dessen zurückführt, der sie geäußert hat, wobei der Hinweis auf dessen Lebensalter so in etwa das Unqualifizierteste ist, was man vorbringen kann. Über dieses Niveau ist diese Seite im allgemeinen weit hinaus, Ausrutscher dieser Art sollten jedoch in den Genuß des Toleranzbonus' fallen, den wir alle immer wieder in Anspruch nehmen müssen.
Sind Bedenken an der übereingekommenen Meinung, sofern sie begründet sind (überzeugender oder weniger überzeugend), nicht ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um die übereingekommene Meinung auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen? Wie schade, daß die Sachlichkeit der Diskussion immer wieder von Emotionalitäten beeinträchtigt wird, als ob Emotionalität - oder rhetorisches Temperament - etwas mit größerer Wahrheitsnähe zu tun hätte oder überhaupt etwas mit der Qualität der Argumentation zu tun haben könnte.
Aber das kriegen wir hier auch noch besser hin, insgesamt ist die Diskussion hier, wie Wolfgang Wrase erfreulicherweise bestätigt, auf einem ziemlich erfreulichen Niveau - die Ausrutscher stecken wir weg. Und vielleicht nehmen wir uns jetzt alle mal ein bißchen zusammen!
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 03.06.2007 um 21.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8816

An alle Wohlmeiner und Schönfärber: Wenn man nicht dort wohnt, wo Minarette in den Himmel wachsen, sollte man sich väterliche Beschwichtigungsreden sparen, sie wirken in den Ohren der Betroffenen schal.

Der mangelnde Respekt vor dem Alter gehört zu den übelsten Hinterlassenschaften der 68er, die Mißachtung der Wahrheitsfindung durch Diskussion ebenfalls. Wer unseren Erkenntnisstand von 2005 nachlesen möchte, wird hier fündig: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=330. Die meisten der damaligen Einsichten verdankten wir Kratzbaum - ebenfalls im Ruhestand.

 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 03.06.2007 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8815

Ich meine, daß dieser Liberalismus weniger von unserer Seite einzufordern ist und vielmehr von den Reformverbissenen.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 03.06.2007 um 13.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8812

Der Schaden ist auch gesellschaftspolitischer Natur und hat Auswirkungen bis ins Private hinein. Sind doch alle Leser gezwungen, sich eine Orthographie gefallen zu lassen, die schlecht und mißverständlich ist. Das ist eine Beschneidung der persönlichen Freiheit, denn nicht immer ist ein Ausweichen möglich.

Und dann das: Angehörige bestimmter Berufsgruppen sind gegen eigenen Sprachgebrauch und eigenen Willen durch das staatliche Diktat gezwungen, die willkürlich aufgestellten Orthographieregeln aktiv anzuwenden; andernfalls drohen Maßregelungen verschiedener Art bis hin zur „Existenzvernichtung“.
Die (für das Gedeihen eines Gemeinwesens und Staates völlig unnötige) Beschneidung der persönlichen Freiheit ist unmoralisch und einer Demokratie unwürdig.

Daß der Staat mit den ihm anvertrauten Schülern Schindluder treibt, muß hier nicht eigens erwähnt werden.

An alle Wohlmeiner und Schönfärber: Wenn man nicht dort wohnt, wo Minarette in den Himmel wachsen, sollte man sich väterliche Beschwichtigungsreden sparen, sie wirken in den Ohren der Betroffenen schal.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.06.2007 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8810

Der eingetretene und von den Reformern beabsichtigte Schaden ist der Verlust des Sprachgefühls bei denen, die vor der Reform auch ohne Duden richtig schreiben konnten und diesen fast unbenutzt im Schrank stehen hatten und sich schon gar nicht alle paar Jahre einen neuen kauften. Das war geschäftsschädigendes Verhalten, dem entgegengewirkt werden sollte, und dieses Ziel wurde erreicht.

Vergeßt den Duden! Macht Werbung für das Ickler-Rechtschreibwörterbuch! Das ist zur Zeit das mit Abstand beste.

Gut ist auch der Mackensen, Deutsches Wörterbuch, aber dessen Wortschatz benötigt eigentlich eine Aktualisierung.
 
 

Kommentar von W.L., verfaßt am 03.06.2007 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8809

"Alle Athener nämlich, auch die Fremden, die bei ihnen wohnten, hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören." (Actor 17.21)

Daß Reformkritiker keine "neuen" Argumente vorbrächten, war für Reformverteidiger, die allerdings auch sehr bald nichts Neues mehr wußten, ein beliebtes Argument der Abwehr jeglicher Kritik.
Die Diskussion wird dann langweilig, wenn sich diejenigen, die sich gegenseitig nicht grün sind, immerzu dieselben Langweiligkeiten um die Ohren schlagen. Wenn die Diskussion aber die Probleme der Reformschreibung bzw. ihrer Folgen aufzeigt, und verfolgt, wie das Bächlein Rechtschreibung wieder sein altes oder vielleicht sogar ein behaglicheres Bettlein sucht und dies mehr und mehr auch findet, dann ist das schon ganz interessant. Sonst können wir uns jetzt ja endgültig voneinander verabschieden.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 03.06.2007 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8808

Auch der Versuch, die Verteidiger der besseren Rechtschreibung verächtlich zu machen, ist bekanntlich nicht neu.
Gilt nicht ebenso: Auch der Versuch, die Verächtlichmacher der Besonnenen unter den Kritikern zu verteidigen, ist bekanntlich nicht neu.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 03.06.2007 um 11.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8807

Die Diskussion ist nicht gegenstandslos, aber uninteressant, weil keine neuen Argumente vorgebracht werden. Auch der Versuch, die Verteidiger der besseren Rechtschreibung verächtlich zu machen, ist bekanntlich nicht neu. Was treibt eigentlich Rudolf Walther dieser Tage?
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 03.06.2007 um 10.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8806

Die Funktionstüchtigkeit der deutschen Rechtschreibung ist nicht gefährdet. Sie ist aber durch die Reform nachhaltig gestört und verschlechtert worden. Sie wird sich im Lauf der Zeit wieder verbessern. Darüber wird hier diskutiert. Niemand behauptet, man könne sich seit der Reform schriftlich nur noch mit größter Mühe verständigen. Aber weil es sich nicht um einen Totalschaden handelt sondern um einen begrenzten, ist die Diskussion darüber doch nicht gegenstandslos!

Wie es weitergeht? Der deregulierte Bach wird sich wieder ein Bett suchen, in dem er nach eigener Dynamik fließen kann. Vielleicht sind einige neue Kanäle so fest betoniert worden, daß ihm das nicht ganz oder nur sehr langsam gelingt. Aber davon abgesehen geht es wohl tatsächlich weiter wie immer.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 03.06.2007 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8805

Lieber Herr Wrase, die Rechtschreibkontrolle von OpenOffice.org 2.2 beanstandet lediglich Ihr "daß", denn "weitergegangen", das ebenfalls unterkringelt wurde, ist natürlich nach Revision 2006 richtig. Im Sinne der kürzlich hier aufgelisteten drei oder vier Faustregeln der Reform verstoßen Sie also lediglich gegen die Indikatorensetzung, aber das ist kein orthographischer Fehler, wenn auch Heyse bekanntlich die Adelungsche Regelung für "verwerflich" hielt. "So what?" würde ein nüchterner Amerikaner an dieser Stelle sagen. Nach den letzten Äußerungen von Professor Ickler müßten die lautstärksten Kritiker der Rechtschreibreform ohnehin verstummen. Wenn es kein "richtig" oder "falsch", sondern nur "üblich" oder "unüblich" gibt, und sich diese aufgeklärte Einsicht durchsetzen könnte, ja dann wäre es mit dem deutschen Rechtchreibrigorismus vorbei. Fragt sich also, ob hier nicht einige versprengte japanische Weltkriegssoldaten auf einer einsamen Pazifikinsel treu weiter für den Tenno kämpfen, obwohl es in der Welt seitdem etliche grundstürzende Veränderungen gegeben hat?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 03.06.2007 um 08.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8804

Solange wie im gestrigen Leitartikel der FAZ in den meisten Texten lediglich drei "dass" vom bisher Üblichen abweichen, ist die Funktionstüchtigkeit der deutschen Rechtschreibung freilich nicht gefährdet.

Es gibt nicht nur einen Leitartikel der FAZ, nicht nur eine Ausgabe der FAZ, nicht nur einen Jahrgang der FAZ, nicht nur mehrere Jahrgänge der FAZ usw. Es gibt alle Ausgaben aller Zeitungen und Zeitschriften sowie alle Exemplare aller Bücher und noch weitere Texte in deutscher Sprache. Es gibt nicht nur drei abweichende dass, sondern viele, viele Milliarden Schreib- und Lesevorgänge, die durch diese Reform uneinheitlich und teilweise auch deutlich erschwert wurden.

Es wird mit ihr weitergehen wie gehabt. Es ist weder zu befürchten noch zu hoffen, daß sich irgendwann einmal die Militanten dieser Sache annehmen.

Das Schreiben und Lesen, das Unterrichten des Schreibens und Lesens, das Verfassen, Bearbeiten und Korrigieren von Texten, all dies ist seit 1996 keineswegs so weitergegangen "wie gehabt", denn Militante haben sich der Sache angenommen. Wer einmal die Vertreter der Macht um den Finger gewickelt hat, braucht weder Sturmhaube noch Molotow-Cocktail, um seine zerstörerischen Absichten in die Tat umzusetzen.

Aber ob das Ganze letztlich harmlos oder eine gigantische Sauerei ist? Das ist auch Ansichtssache. Dem persönlichen Geschmack ist mit Argumenten nicht beizukommen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 03.06.2007 um 08.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8803

Es ist nicht verboten, unüblich zu schreiben, zumal dann, wenn es in ein gegebenes Muster paßt.

Dieser Satz in Ihrem letzten Beitrag, lieber Herr Ickler, faßt unüberbietbar Glanz und Elend der deutschen Rechtschreibung zusammen, wobei er den Rotstift des Deutschlehrers und den arroganten Kommentar des Vorsitzenden der Forschungsgruppe Deutsche Sprache wie im Falle unserer Besucherin Ingrid ausklammert. Das ermutigt mich, einen letzten Anlauf mit meiner Vergewisserungsfrage zu nehmen:

Professor Icklers Wörterbuch mit seinen Bindebögen enthält die wichtige Botschaft: Hier sind zwei Schreibungen möglich. Wie immer sich der Schreiber entscheidet, er schreibt nicht falsch.

Noch einmal: Verstehe ich Sie hier richtig? Im Vorwort zu Normale deutsche Rechtschreibung äußern Sie sich zwar auch zu dieser Frage, aber doch so, daß bei Ihren Lesern Zweifel bleiben. Sie schreiben:

Aus dem Kreise wohlwollender Kritiker ist vorgeschlagen worden, die Getrennt- und Zusammenschreibung „eindeutiger" zu regeln. Dagegen sprechen zwei Gründe. Erstens berechtigt das Material nicht zu Festlegungen, wie sie der Duden in zahllosen Einzeleinträgen getroffen hatte. Noch wichtiger ist aber der zweite Grund: Entschiede der Lexikograph im Sinne der „Eindeutigkeit" bei jedem Wort, ob es getrennt oder zusammenzuschreiben sei, dann wüßte der Benutzer zwar, daß eine Festlegung existiert, er müßte aber jedesmal nachschlagen, um herauszubekommen, wie sie aussieht. Diese geradezu monströse Erschwerung würde zum vielbeklagten früheren Zustand zurückführen, der allmählich eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Dudennorm erzeugt hatte.

In Ihrem unveröffentlichten Kommentar zu Duden 1991 weisen Sie darauf hin, daß die "Norm" ohnehin einen Gegenspieler in der "intuitiven Logik" jedes einzelnen Schreibers hat:

Wenn man den Schreibenden mitteilt, wie die Mehrheit (angeblich) schreibt, trägt man dazu bei, das Schreiben immer gleichförmiger zu machen. Allerdings wirkt dieser Selbstverstärkung die intuitive Logik entgegen, der die Schreibenden in Wirklichkeit folgen und die sich gegen eine offenkundig unangemessene Setzung stets behaupten wird.

Sollten wir nicht spätestens hier einräumen, daß dies alles nicht die Einzelwortschreibung des Deutschen betrifft, "Vieh" und "Jagdpacht" also in der schriftlichen Kommunikaton ungefährdet sind? Problematisch ist lediglich unser deutscher orthographischer Überbau, also das vermeintlich geistreiche Spiel mit "getrennt" vs. "zusammen" und "groß" vs. "klein", wo die Anerkenntnis des "Üblichen" natürlich auf eine minutiöse Kenntnis von Regeln hinausläuft.

Solange wie im gestrigen Leitartikel der FAZ in den meisten Texten lediglich drei "dass" vom bisher Üblichen abweichen, ist die Funktionstüchtigkeit der deutschen Rechtschreibung freilich nicht gefährdet. Es wird mit ihr weitergehen wie gehabt. Es ist weder zu befürchten noch zu hoffen, daß sich irgendwann einmal die Militanten dieser Sache annehmen.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 02.06.2007 um 23.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8800

Soweit ich weiß, haben Sie diesen Kommentar nicht veröffentlicht. Planen Sie, dies zu tun? Ich wäre daran interessiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2007 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8799

Wie gesagt, es ist alles schon sehr oft gesagt worden, deshalb kann ich mich kurz fassen.

"möglich" und "falsch", wie von Ihnen zitiert, ist natürlich in meinem Sinne zu verstehen, d. h. als "üblich" und "unüblich".
Da ich deskriptiv vorgehe, ergeben sich die Antworten auf Ihre Fragen von selbst (und sind hier wie unter rechtschreibreform.com immer wieder gegeben worden).

Der Duden hat in Regelwerk und Wörterverzeichnis versucht, sich einen Reim auf die vorfindlichen Schreibweisen zu machen. Ich habe immer gesagt: das ist die Theorie zu den vorliegenden Daten, und die Theorie kann falsch sein. Manchmal war sie falsch, manchmal waren schon die Daten nicht richtig erfaßt. Es gab Spielräume, aber sie waren zu eng, das Bedürfnis nach strikter Einzelfallfestlegung war übermächtig, durchaus auch bei einigen Benutzergruppen.

Über attributiven und prädikativen Gebrauch und hinsichtlich der orthographischen Behandlung "übertragener Bedeutungen" ("neuer Begriff") herrschten einige Irrmeinungen. Die Großschreibung z. B. wird in meinem Wörterbuch sowohl besser erfaßt als auch besser erklärt.

Was soll ich zu den Einzelheiten noch sagen? Ich habe eben hinreichend oft "aus dem vollen" und "aus dem Vollen" gefunden, deshalb steht beides nebeneinander in meinem Wörterbuch, während ich "ins leere" nicht oft genug gefunden habe. Bei "um so/umso" war mir schon lange vor der RSR klar, daß beides üblich ist. Muß ich "die Aufzählung von kritischen Fällen noch eine Weile fortsetzen"? Wohl nicht.
Natürlich kann sich der Brauch ändern, er wird es sogar unweigerlich tun. Da ich kein Strafgesetzbuch verfaßt habe, kann jedermann "ins leere" schreiben. Es ist nicht verboten, unüblich zu schreiben, zumal dann, wenn es in ein gegebenes Muster paßt.

In Wirklichkeit ist es gar nicht schwer, ein solches Wörterbuch zu machen und den Lehrern in die Hand zu geben, nur ein bißchen mühsam.

Ich habe nicht nur die Zeitungskorpora benutzt, sondern viele andere Quellen. Warum Zeitungen besonders wichtig sind, habe ich auch begründet.

Welche Einsichten Herr Markner in den Wind schlägt, ist mir nicht deutlich, und ich kann es mir bei ihm auch nicht gut vorstellen. Er hat doch glänzende Beiträge zu den verschiedensten Aspekten verfaßt und stets außerordentliche Um- und Einsicht bewiesen.

Habe ich "Anhänger"? Um Himmels willen, bloß das nicht! Ich bin einer von den Arbeitern im großen Weinberg und habe mich niemals als Stifter, Prophet usw. gegeben, das liegt mir auch überhaupt nicht.

Ich wiederhole seit über zehn Jahren immer dasselbe, bin nie schwankend geworden und habe es meiner Ansicht nach auch an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Hier noch einmal die Einleitung zu meinem Dudenkommentar, geschrieben vor etwa zehn Jahren:


(Kommentar von Th. I. zum Rechtschreibduden von 1991, Einleitung, ohne Auszeichnungen)


Beschreiben und Vorschreiben
Das Rechtschreiben besteht zunächst darin, so zu schreiben, wie es allgemein üblich ist. Die Kenntnis des Üblichen ist unterschiedlich verbreitet. Daher kann seine Darstellung durch Listen und zusammenfassende Regeln von Nutzen sein.
In der Bundesrepublik Deutschland beanspruchte der „Duden“ jahrzehntelang, die verbindliche Darstellung der Orthographie für den Schulunterricht und den amtlichen Schriftverkehr zu sein. Er berief sich auf entsprechende Beschlüsse der Kultusminister. Die rechtliche Seite dieser Konstruktion soll hier nicht erörtert werden.
Durch die „Beleihung“ des Duden mit dem Privileg, die einzige für Schulen und Behörden verbindliche Darstellung der Orthographie zu sein, gewinnen die einzelnen Richtlinien und Einträge dieses Werkes einen problematischen Doppelcharakter. Einerseits sind es nach wie vor Beschreibungen des Üblichen. Die übliche Schreibung zu ermitteln ist eine wissenschaftliche Aufgabe, vergleichbar der Ermittlung der geltenden Grammatik und Semantik, und kann daher von jedermann unternommen werden, der sich dazu befähigt fühlt. Was im Duden als allgemein üblicher Schreibbrauch verzeichnet ist, kann falsch sein und ist es in manchen Fällen auch. Falsches für wahr zu halten kann aber nicht durch Ministererlasse vorgeschrieben werden, Falsches zu lehren kann nicht Aufgabe der Schule sein.
Aus einer anderen Sicht besteht eine solche Problematik jedoch gar nicht. Der Duden enthält, so könnte man sagen, keine wahrheitsfähige Beschreibung des Üblichen, sondern nur Vorschriften, die per definitionem setzen, was richtig ist. Wenn das Vorgeschriebene weitgehend mit dem Üblichen übereinstimmt – um so besser.
Diese Zwitternatur des Duden zeigt sich bis in die Formulierung der Regeln hinein.
So heißt es zum Beispiel in § 33, daß Zusammensetzungen „gewöhnlich“ ohne Bindestrich geschrieben werden. In § 82 liest man, daß Einzelbuchstaben, die einen Sprachlaut wiedergeben, „gewöhnlich“ klein, in Zusammensetzungen mit Bindestrich jedoch „meist“ groß geschrieben werden. Manches gilt nur „in der Regel“. Die Richtlinie 138 lautet sogar ausdrücklich: „Zusammensetzungen aus einem Substantiv und einem Vornamen schreibt man in der Regel zusammen.“ (Vgl. auch R 205.) Der ratsuchende Benutzer wird daraus nicht die Anweisung entnehmen, die betreffenden Elemente „gewöhnlich“, „meist“ oder „in der Regel“ in der angegebenen Weise zu schreiben. Er versteht die Angaben vielmehr als vage statistische Aussagen über das Übliche.
In einigen Fällen scheint die Einschränkung auf die Existenz von Ausnahmen vorzubereiten, vgl. etwa R 107, so daß die allgemeine Regel und die Ausnahmen je für sich zwingenden Charakter hätten. Eine entsprechende Interpretationsregel gibt es jedoch nicht; daher schließt der Wortlaut die liberale Deutung auch hier nicht aus.
Andererseits heißt es ausdrücklich vorschreibend bzw. verbietend:
Ein Abkürzungspunkt darf nicht in die Auslassungspunkte einbezogen werden. (R 27)
Eine getrennt geschriebene Fügung darf hierbei keinen Bindestrich erhalten. (R 32)
Wenn aber dem reinen Infinitiv ein als Hilfsverb gebrauchtes Verb vorausgeht, darf vor dem Infinitiv kein Komma stehen. (R 108)
Nach ck darf k nicht ausfallen, und nach tz bleibt z erhalten. (R 204)
Vokalverbindungen dürfen nur getrennt werden, wenn sie keine Klangeinheit bilden. (R 180)
Zwei [gleiche] Vokale (Selbstlaute), die eine Klangeinheit darstellen, und Doppellaute (Diphthonge) dürfen nicht getrennt, sondern nur zusammen abgetrennt werden. (R 180)
Folgt auf drei gleiche Konsonanten noch ein anderer, vierter Konsonant, dann darf keiner von ihnen wegfallen. (R 204)
Bei ungebräuchlichen Auslassungen dagegen muß der Apostroph stehen. (R 22)
Auch bei Abkürzungen dieser Namen muß im Genitiv der Apostroph gesetzt werden. (R 23)
Tritt aber eine Umstandsangabe oder eine Ergänzung zu einem dieser Verben, dann ist es ein selbständiges Verb. Folglich muß in diesen Fällen ein Komma gesetzt werden. (R 107)
Bei verschiedenen Subjekten dagegen muß das Komma stehen. (R 121)
Ein „kann“ läßt sich immer als statistische Aussage lesen, z. B.
Der zu einem Titel gehörende Artikel kann mit in die Anführungszeichen gesetzt werden, wenn der volle Titel unverändert bleibt. (R 12)
Unter der Voraussetzung, daß der Benutzer schreiben will, wie es üblich ist, kann umgekehrt auch eine vorschreibende oder verbietende Wendung als Tatsachenbehauptung gelesen werden. Wenn die Setzung eines Kommas unter bestimmten Bedingungen vorgeschrieben ist, so bedeutet das: Hier wird immer ein Komma gesetzt. Das kann natürlich eine falsche Behauptung sein. Dann wäre sie nichtig.
Eine unzulängliche oder fehlerhafte Erfassung des Üblichen findet sich besonders häufig im Wörterverzeichnis des Duden, das im folgenden nicht systematisch untersucht und kommentiert werden soll. So müßte laut Wörterverzeichnis der schnelle Brüter klein und krank machend getrennt geschrieben werden. Die Beobachtung zeigt jedoch Groß­schreibung im ersten und Zusammenschreibung im zweiten Fall; und das Regelwerk gibt in R 75 bzw. R 209 auch die Regel dazu an.
Wenn man den Schreibenden mitteilt, wie die Mehrheit (angeblich) schreibt, trägt man dazu bei, das Schreiben immer gleichförmiger zu machen. Allerdings wirkt dieser Selbstverstärkung die intuitive Logik entgegen, der die Schreibenden in Wirklichkeit folgen und die sich gegen eine offenkundig unangemessene Setzung stets behaupten wird.

Gebieten und Verbieten
Die Schreibanweisungen des Duden sind teils positiv, teils negativ formuliert. So gibt es Regeln, die unter bestimmten Bedingungen die Setzung eines Kommas vorschreiben, und es gibt Regeln, die die Setzung eines Kommas verbieten, anders gesagt: die Nichtsetzung eines Kommas vorschreiben. Dieser Unterschied ist aber ohne Bedeutung. Oft erläutert die eine Regel nur, was die andere ohnehin festlegt. Wenn jemand gelernt hat, daß der erweiterte Infinitiv mit Komma abgetrennt wird, könnte er meinen, beim nichterweiterten Infinitiv dürfe ebenfalls ein Komma stehen, da es nicht ausdrücklich verboten sei. Die negative Regel schiebt dem einen Riegel vor, indem sie die positive restriktiv interpretiert: Wenn und nur wenn der Infinitiv erweitert ist, darf und muß ein Komma stehen.
Jede zulässige Schreibweise muß von Regeln ableitbar oder als Einzelfestlegung aus dem Wörterverzeichnis zu entnehmen sein. Freiräume müssen eigens vorgesehen sein, als Kann-Bestimmungen oder statistisch modifizierte Beschreibungen des Üblichen. Andernfalls würde sich ein unendlicher Spielraum für alle erdenklichen Schreibungen eröffnen, was nicht der Sinn einer Orthographie sein kann.

Orthographie und Grammatik
Die Orthographie berührt die Grammatik. Legt sie fest, wie Nebensätze zu behandeln sind, so enthalten Einzelregeln Aussagen darüber, ob bestimmte Gebilde Nebensätze sind oder nicht. Die Regeln der Groß- und Kleinschreibung sind mit Bezug auf die Wortart Substantiv formuliert; folglich ist in Einzelvorschriften eine Aussage über die Wortartzugehörigkeit enthalten. Solche Aussagen können wahr oder falsch sein. Die von der Neuregelung 1996 vorgeschriebene Getrenntschreibung bestimmter Komposita (tief schürfend, Zeit lang) beruht auf der falschen Aussage, daß es sich nicht um Komposita handele.
Was einem produktiven grammatischen Muster entspricht, kann von der Orthographie nicht verboten werden. Der Duden gibt seit langem an, radfahren könne in einem Wort geschrieben werden. Daraus wird vielfach gefolgert, die Getrenntschreibung sei untersagt. Das ist aber gar nicht möglich. Das Verb fahren kann unbeschränkt mit Bezeichnungen geeigneter Fahrzeuge verbunden werden: Auto fahren, Dreirad fahren, Fahrrad fahren, Rad fahren. Aus bestimmten Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, gibt es bei Rad fahren die Lizenz der Zusammenschreibung.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 02.06.2007 um 13.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8798

Lieber Herr Ickler,

herzlichen Dank für die prompte Antwort. Nun aber konkret gefragt:

Professor Icklers Wörterbuch mit seinen Bindebögen enthält die wichtige Botschaft: Hier sind zwei Schreibungen möglich. Wie immer sich der Schreiber entscheidet, er schreibt nicht falsch.

Habe ich Sie hier richtig verstanden? Im Zusammenhang damit: In vielen Fällen, war bisher die Wahl zwischen Getrennt- oder Zusammenschreibung kontextabhängig: "dichtgedrängt" nur attributiv, "freimachen" nur in übertragener Bedeutung, "zuviel" nur unflektiert usw. Sollen in einer wieder zur Norm erhobenen "üblichen" bzw. "bewährten" Rechtschreibung diese Bedingungen entfallen? Wie steht es mit "zurzeit", "zuhause", "zutage", "umso" und ähnlichen? Bleibt es bei der unterschiedlichen Behandlung von "ins Leere treffen" vs. "in die vollen greifen"? Sie wissen ja, daß sich die Aufzählung von kritischen Fällen noch eine Weile fortsetzen ließe. Die Rechtschreibreform hat bekanntlich die Abhängigkeit der Schreiber vom Wörterbuch keineswegs abgeschafft. Ganz im Gegenteil, durch den für die meisten unerklärbaren Variantenreichtum ist sie noch gesteigert. Daß Erwachsene Angst haben, Fehler zu machen, ist die unwürdige Nebenwirkung des deutschen Rechtschreibrigorismus. Soll das wirklich so weitergehen?

In Ihrer Entgegnung schreiben Sie: "Es würde genügen, den Lehrern die Anweisung zu erteilen, daß sie mit den reforminduzierten Fehlern und Ungeschicklichkeiten tolerant umgehen sollten. Aber die Wörterbücher sollten die bestmögliche Rechtschreibung darstellen." Sie haben für Ihr Wörterbuch Jahrgangs-CDs großer deutscher Periodika aus den Jahren vor 1996 durchgearbeitet, und zwar in der Annahme, so die übliche Rechtschreibung ermitteln zu können. Strenggenommen handelt es sich natürlich um die Presseorthographie, und wo Sie abweichende Varianten registrierten, mußten sie hypothetisch annehmen, die von der Norm abweichenden Schreibungen beruhten auf bewußter Wahl und seien nicht als Versehen oder echte Fehler zu betrachten. Auf dieser Webseite ist es inzwischen üblich geworden, die nicht einmal von der Reform gedeckten Andersschreibungen der reforminduzierten allgemeinen Nachlässigkeit zuzuschreiben. Wie sollen es in dieser Situation die Wörterbücher schaffen, lediglich "die bestmögliche Rechtschreibung darzustellen"?

Der Vorsitzende der Forschungsgruppe Deutsche Sprache schlägt die Erkenntnisse in bezug auf die problematischen Besonderheiten der deutschen Rechtschreibung in den Wind und behauptet apodiktisch: "Die Mehrheit hier [...] ist nicht auf eine solche Norm „fixiert", sondern nimmt schlicht zur Kenntnis, daß die Beibehaltung oder Wiederherstellung einer solchen Norm von Öffentlichkeit und Politik gewünscht wird und daß die Orthographie der meisten Kultursprachen in dieser Weise aufgefaßt und gelehrt wird." Vermutlich hat er recht mit seiner Annahme, daß den meisten Deutschen bisher nicht aufgegangen ist, daß staatlicher Zwang keineswegs naturgegeben mit einer für die schriftliche Kommunikation sinnvollen Schriftform ihrer Sprache verbunden ist. Sie, lieber Herr Ickler, plädieren nicht für die bloße Restauration der Verhältnisse von vor 1996. Sie würden Ihren Anhängern aber einen großen Dienst erweisen, wenn Sie auf dieser Webseite konkret Ihren Standpunkt darlegen würden.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2007 um 11.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8797

Eigentlich ist alles schon oft gesagt worden, und auch Ihr liberaler Standpunkt, lieber Herr Jochems, ist bekannt und akzeptiert. Vielleicht hat es gerade deshalb keine weitere Diskussion gegeben.

Wir dürfen annehmen, daß die meisten Leute so schreiben wollen, wie es üblich ist. Wer viel liest (oder sowieso viel schreibt, z. B. Sekretärinnen), weiß in den meisten Fällen, was üblich ist, den anderen hilft ein Wörterbuch.

Dem alten Duden war bloß vorzuwerfen, daß er mit der empirischen Erfassung des Üblichen nicht recht mitgekommen war. Und es gab zuviel "so und nicht anders", was in Verbindung mit der staatlichen Privilegierung zu der sich selbst erfüllenden Prophezeiung berechtigte: "Den Duden braucht jeder".

Wer wenig liest und wenig schreibt, kann die deutsche Rechtschreibung nicht beherrschen, das ist klar. Mit Regeln allein ist auch niemandem geholfen, weil die Regeln erstens nicht ganz einfach sind und zweitens ihre Anwendung immer schwierig bleiben wird. Regeln sind aber sowieso nur von theoretischem Interesse, kein Mensch schreibt nach Regeln.

Die meisten Menschen wollen orthographisch einwandfreie Texte lesen, was in der Regel heißt: bessere Texte, als sie selbst sie zu schreiben vermöchten. Die Forderung, das Optimum müsse für jedermann erreichbar sein (und wohl gar noch ohne Mühe), ist weltfremd.

Was sind die gegenwärtig gebräuchlichen Schreibungen, die Ihrer Ansicht nach alle gleichberechtigt in den Wörterbüchern aufgelistet werden sollten? Hier scheint mir Eisenberg recht zu haben: im Augenblick kann man den Schreibbrauch nicht erheben, weil die Massenmedien noch keinen solchen herausgebildet haben, sondern weisungsgebunden irgendwelche oktroyierten Normen befolgen (oder auch nicht). Ich bin nicht der Meinung, daß ein Wörterbuch - wenn auch nur für eine Übergangszeit - "heute Früh" usw. enthalten sollte. Dazu konsultiert man kein Wörterbuch. Es würde genügen, den Lehrern die Anweisung zu erteilen, daß sie mit den reforminduzierten Fehlern und Ungeschicklichkeiten tolerant umgehen sollten. Aber die Wörterbücher sollten die bestmögliche Rechtschreibung darstellen.

Wir brauchen keine staatliche Rechtschreibung. Die bestmögliche und übliche Schreibweise zu vermitteln und auch zu begründen ist die Aufgabe der Lehrer, besonders der Deutschlehrer - und der Wörterbücher. Beiden darf man etwas zutrauen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.06.2007 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8796

Die Mehrheit hier „plädiert" so wenig für eine einheitliche orthographische Norm wie die Teilnehmer an einem Juristenkongreß für die Beibehaltung des Strafrechts. Sie ist nicht auf eine solche Norm „fixiert", sondern nimmt schlicht zur Kenntnis, daß die Beibehaltung oder Wiederherstellung einer solchen Norm von Öffentlichkeit und Politik gewünscht wird und daß die Orthographie der meisten Kultursprachen in dieser Weise aufgefaßt und gelehrt wird. (Der Verweis auf das Englische als Gegenbeispiel führt nicht weit, da die Orthographie des Englischen nicht als vorbildlich gilt und im übrigen weder völlig regellos noch völlig unnormiert ist.) Es geht nicht um die Existenz einer solchen Norm, sondern um ihre Ausgestaltung, ferner um ihre Vermittlung und den Umgang mit ihr.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 02.06.2007 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8794

Lieber Herr Ickler,

wahrscheinlich gibt es nur noch den einen gangbaren Ausweg aus der gegenwärtigen Rechtschreibproblematik, den Sie neuerdings ins Gespräch bringen: eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Freigabe der zulässigen Schreibungen an deutschen Schulen über den 1. 8. 2007 hinaus. Das würde den Druck von den Deutschlehrern nehmen, alle Absurditäten der Rechtschreibreform im Unterricht vermitteln zu müssen, so daß vielleicht auch jugendliche Schreiber allmählich zu den üblicheren traditionellen Schreibungen zurückfinden könnten. Problematisch bliebe dann immer noch die Haltung in den Kreisen der Öffentlichkeit, die in den Neuerungen der letzten elf Jahre eine willkommene Modernisierung unserer Rechtschreibung sehen. Wenn künftige Rechtschreibwörterbücher ohne Wertung alle zur Zeit gebräuchlichen Schreibungen nebeneinanderstellten, wäre schon viel gewonnen.

Wie Sie wissen, gehen auch auf dieser Webseite die Meinungen über das Wesen von Rechtschreibung auseinander. Die Mehrheit plädiert offenbar für eine einheitliche Norm, die, in einem Regelwerk kodifiziert und in einem damit verbundenen Wörterbuch dokumentiert, für jedermann - zumindest aber für die Schule und das öffentliche Schreiben - verbindlich sein soll. Ich habe diese Haltung in einem kürzlichen Beitrag in Frage gestellt, ohne damit freilich eine Diskussion auszulösen. Darf ich Sie deshalb bitten, Ihre eigene Meinung dazu ohne Wenn und Aber kurz darzulegen? Was ich aus den Auseinandersetzungen der letzten Jahre an Überzeugung gewonnen habe, formuliere ich so:

Jetzt sollte endlich ehrlich gefragt werden: Was war an der letzten Version der Dudenorthographie so schwierig, daß sie nicht von jedermann zu beherrschen war? Warum haben weder die Neuregelung von 1996 noch die Revisionen von 2004 und 2006 Remedur schaffen können? Vielleicht lautet die Antwort ganz einfach: Weil eine Rechtschreibung, die zu ihrer sicheren Anwendung nicht nur das Einprägen unzähliger Einzelwortschreibungen verlangt, sondern auch die Fertigkeit der kontextabhängigen Verwendung hunderter Regeln voraussetzt, die intellektuellen Möglichen normaler Schreibbürger übersteigt. Die traditionelle deutsche Rechtschreibung mit ihrer Ausdrucksfülle und ihrer hohen ästhetischen Qualität hat in der Belletristik und in der gehobenen Publizistik gut funktioniert - aber doch nur dank hochqualifizierter Lektoren in den Verlagen und Korrektoren in den Redaktionen. Es war und ist ja jedermann unbenommen, es ihnen gleichzutun, was aber eine Kehrseite hat: Wer das nicht kann oder nicht will, ist kein Banause. Professor Icklers Wörterbuch mit seinen Bindebögen enthält die wichtige Botschaft: Hier sind zwei Schreibungen möglich. Wie immer sich der Schreiber entscheidet, er schreibt nicht falsch. Das Erzübel der deutschen Rechtschreibung ist nämlich nicht nur ihr hoher Schwierigkeitsgrad, sondern ihre Fixierung auf die einheitliche Norm und das mit ihr traditionell assoziierte Beckmessertum.

Herzlichen Dank im voraus.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 02.06.2007 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8793

Ich finde es übrigens reichlich übertrieben, daß in diesem Strang so viel von angeblich übermäßiger Emotionalität, von "Axtwerferei" oder "Verbalorgien" die Rede ist. Das trifft doch alles überhaupt nicht zu, vor allem wenn man die Beiträge auf diesen Seiten insgesamt betrachtet, die in ihrer Gemessenheit schon fast langweilig sind. Daß ab und zu ein pfeffriger Kommentar oder auch ein Wortgefecht auftaucht, was ist dabei? Vermint ist, schon bei Andeutungen, eigentlich nur das Vergleichen oder Inbezugsetzen mit den geistigen Grundlagen der Nazi-Diktatur, und das ist ganz allgemein so. Wir sind versucht, solche Bezüge hin und wieder aufzuzeigen, weil es sie gibt. Alsbald landet man in der immergleichen Diskussion über Berechtigung oder aber Angemessenheit. Ebendiese Diskussionen sind fruchtlos und lästig, nicht die seltenen polemischen Anwandlungen, die nur allzu verständlich sind. Wenn wir die nicht hätten, würden wir doch alle nur noch gähnen und uns zur Entschädigung einen Thriller im Fernsehen ansehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2007 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8791

Dank für den Hinweis auf "nicht im geringsten"! Eine von bestimmt nicht wenigen kleinen Lücken. Im Regelwerk S. 47 ist das Beispiel "nicht im geringsten" ausdrücklich angeführt, aber es gehört natürlich auch ins Wörterverzeichnis..
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 01.06.2007 um 20.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8790

Zur Toleranz: Wir sind allzumal Sünder und der Gnade bedürftig. Das Löschen ist eine heikle Sache, oft ist es wirklich notwendig, aber auch dabei kann dem Mann an der Spritze aus höchst unterschiedlichen Gründen oder Gemütslagen der Gaul durchgehen, nicht nur auf der anderen Seite beim leidenschaftlichen Diskutieren. Übrigens ist auch nicht jede Gegenrede als Intoleranz abzutun, sondern eben als Gegenrede zur Kenntnis zu nehmen.

Der Appell an die Toleranz ist gut und gilt für alle.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 01.06.2007 um 19.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8789

Wer "8 gegen 80 Millionen" schreibt, ist nicht harmlos, sondern durchtrieben.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 01.06.2007 um 19.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8788

Am 14. 5. 2007 schrieb hier "Ingrid": "So lange der Kampf für die frühere Rechtschreibung hier im Verhältnis von '8 gegen 80 Millionen' geführt wird, wird sich vermutlich nicht viel ändern."

Darauf der Vorsitzende der FDS: "Solange man nicht gelernt hat, solange von so lange zu unterscheiden, sollte man sich Kommentare zur orthographischen Lage der Nation besser verkneifen."

Was wiederum "Kratzbaum" von der Waterkant auf den Plan rief: "Ich finde es dann doch stark übertrieben, wie hier die harmlose Ingrid niedergemacht wird. Es wäre überhaupt wünschenswert, mal ein paar Leute außerhalb des engeren Kreises zu hören. Sonst klopfen wir uns alle nur noch gegenseitig auf die Schulter. Hier lesen sicher viele mit, die sich auch mal trauen sollten, ihre - vielleicht nicht hochqualifizierte - Meinung zu äußern. Wenn ihnen allerdings gleich über den Mund gefahren wird..."

Was folgt aus alledem? "Toleranz fängt zu Hause an." Diese Äußerung des 79jährigen Emeritus aus den Siegerländer Haubergen wurde vorgestern von der Redaktion gelöscht. So sieht die Welt des unter "Schrift und Rede" versammelten moralisch überlegenen Widerstandes gegen die Rechtschreibreform aus. Liebe Freunde, laßt alle Hoffnung fahren. Die deutsche Rechtschreibung wird schon irgendwann wieder in Ordnung kommen. Die starken Reden im Internet werden freilich wenig dazu beitragen.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.06.2007 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8787

Wenn ich meine alte Schulgrammatik mit dem Ickler-Wörterbuch vergleiche, sind in ihm eigentlich alle Besonderheiten erklärt. Nur zur Unterscheidung von "auch im Geringsten sorgfältig (= in kleinen Dingen)" und "nicht im geringsten fleißig (= überhaupt nicht)" vermisse ich einen Eintrag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2007 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8786

Also vorab: Ich habe nicht den Eindruck, von Spinnern umgeben zu sein und diskreditiert zu werden und möchte am liebsten nicht so oft genannt und für Ansichten in Anspruch genommen werden, die ich nicht teile und nicht geäußert habe. Zu wehren weiß ich mich selbst, besten Dank!

Die Reformkritiker werden gern auf den alten Kaiser Wilhelm festgelegt, den sie angeblich wiederhaben wollen (so auch Eisenberg in seiner märchenartigen Erzählung in Greifswald).

Bevor ich mein eigenes Wörterbuch machte, hatte ich die Dudenregeln von 1991 für den eigenen Gebrauch durchkommentiert, im selben Stil wie die amtliche Neuregelung, auf 94 Seiten, also recht ausführlich. Leider habe ich die Haarspaltereien bzw. unrealistischen Einzelfestlegungen des alten Duden-Wörterverzeichnisses (beiseite schieben, schneller Brüter usw.) nicht listenmäßig zusammengestellt, sondern sie sind überall verstreut, auch hier und unter rechtschreibreform.com, und das kann ich im Augenblick auch nicht ändern. Jedenfalls habe ich in elf Jahren des Herumstöberns im Rechtschreibduden (vorher hatte ich gar keinen im Hause) allerlei entdeckt, wie es wohl seither jedem gegangen ist. Für mich gab es keinen Grund, das alles zusammenzustellen, denn ich hatte nicht die Absicht, den alten Duden zu verbessern. Mein Wörterbuch ist ganz frisch erarbeitet, nur selten habe ich die alte Dudenregelung einfach übernommen (per default). So erklären sich Vorzüge und Nachteile.

Da, soviel ich sehe, niemand den alten Duden wieder in seine alten Rechte einsetzen möchte, sondern jeder hier Mitkämpfende die bewährte Rechtschreibung hochhält, kann es nur um diese gehen und nicht um den alten Duden. Vergessen wir ihn doch ganz einfach!
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 01.06.2007 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8785

--> Herrn Jochems

Erstens sind solche Haarspaltereien, u. a. von Prof. Ickler, hundertfach erwähnt bis durcherklärt worden. Eine davon ist z. B. Auto fahren vs. radfahren. Daß es sie gab, ist den meisten ernsthaften Gegnern der Rechtschreibreform klar, ihre Nichtwiederherstellung ein Anliegen. Das kann aber jeder sehen, wie er mag.

Zweitens besteht kein Zwang, daß sich die Vorstellungen der FDS-Forumsteilnehmer mit den Vorstellungen der Yahoogruppenteilnehmer decken. Im Gegenteil: Wenn hier emotionale Ausbrüche und hysterische Anwürfe (wohlgemerkt unter Gleichgesinnten) nicht länger geduldet werden, bietet sich auf diese Weise allen Pathetikern eine Möglichkeit, sich andernorts aneinander abzuarbeiten. Die Sachlichkeit von Schrift & Rede kann hierdurch nur profitieren.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 01.06.2007 um 16.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8784

Die heute gegründete Yahoo-Gruppe hat bisher nur ihr Programm ins Internet gestellt:

Trotz zahlreicher undemokratischer Durchsetzungsversuche gegen den erklärten Willen der Bürger ist die Rechtschreibreform auch in ihrer dritten Fassung nicht beim Schreibvolk angekommen. In den Schulen, Zeitungen, Behörden und dem Alltag des Schreibgebrauchs herrschen anarchistische Zustände. Wir sind von einer einheitlichen, vernünftigen Orthographie himmelweit entfernt.

In dieser Gruppe können Informationen ausgetauscht und mögliche Strategien zur Beseitigung dieses Desasters ventiliert werden. Ziel ist die Wiederherstellung der traditionellen Rechtschreibung, wie sie bis 1996 vorhanden war, zugleich aber die dauerhafte Beseitigung des Dudenmonopols und der damit verbundenen Haarspaltereien.

Dazu frage ich: Stimmen die Diskutanten von "Schrift und Rede" dem letzten Satz zu? Wer versucht sich einmal an einer Liste der "Haarspaltereien", die dauerhaft beseitigt werden sollen?
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 01.06.2007 um 15.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8783

„Was Leiden schafft“

Bevor auf diesen Diskussionsseiten die Emotionalität völlig verpönt wird, möchte ich etwas sagen. Ich denke, daß ich aufgrund meiner häufig unter Beweis gestellten Eigenart ein gewisses Recht dazu habe.

Betonen will ich, daß ich von den Kuriositäten und Skurrilitäten der 96er Rechtschreibreform extrem betroffen, persönlich berührt und moralisch zutiefst bestürzt war (noch immer bin), und ich kann belegen, daß ich als freier Mitarbeiter einiger Zeitungen und Zeitschriften, als hauptberuflicher Grund- und Hauptschullehrer sowie als hobbymäßiger Schriftsteller im Gebrauch meines Arbeitswerkzeuges reichlich Routine hatte (noch immer habe).
Ich möchte erklären, daß eine solcherart zustandegekommene Betroffenheit emotionales Handeln geradezu herausfordert.

Hinzufügen möchte ich, daß mein Können durch staatliche Parolen verunglimpft wurde. U. a. sagte man mir „in aller Sachlichkeit“, daß ich unfähig sei, umzulernen. Zudem lancierte der Staat Einschüchterungsversuche gegen mich; er drohte mir disziplinäre Verfolgung an und zwang mich somit, meine Schreibkompetenz zugunsten einer minderwertigen Ausdrucksweise hintanzustellen. Meine persönliche Betroffenheit gipfelt folglich in jener Scham, diesen bornierten Schergen die angemessene Antwort schuldig geblieben zu sein.

Aus letztgenanntem Grunde stehe ich der Kritik an der Rechtschreibreform auch weiterhin gerne zur Verfügung, falls man u.a. auch meine Leidenschaft benötigen sollte.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.06.2007 um 14.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8782

Ich war bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im richtigen jugendlichen Alter, um nach der anfänglichen Euphorie den schrittweisen Rückbau der bürgerlichen Freiheiten aufmerksam beobachten zu können. Für ein Langzeitgedächtnis ist diese "Reform" nur einer von ganz vielen kleinen Schritten.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 01.06.2007 um 12.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8781

"Und ich halte "Schrift & Rede" für einen Versuch, Prof. Ickler zu diskreditieren, indem man ihn mit einem Kreis von Spinnern umgibt."

Willkommen also, K.S., im Kreis der Prof. Ickler diskreditierenden Spinner. Im Ernst: Nachdem die diversen Feindschaftsvermutungen ausgesprochen worden sind, sollten sich die Diskutanten wieder den Sachthemen zuwenden. Sonst wird es hier langweilig.
 
 

Kommentar von K. S., verfaßt am 01.06.2007 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8780

Und ich halte "Schrift & Rede" für einen Versuch, Prof. Ickler zu diskreditieren, indem man ihn mit einem Kreis von Spinnern umgibt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.06.2007 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8779

Ich halte die Rechtschreibreform für einen Versuch, die freiheitlich demokratische Grundordnung auszuhebeln. (Was die genau ist, kann man in dem bei Wikipedia zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.)
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 01.06.2007 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8778

Wie hoch die "Akzeptanz der Neuerungen an den Schulen" ist, das bleibt erst zu klären. Weder Lehrer noch Schüler wurden gefragt, die Sache wurde verordnet und basta! Schülermeinungen wären ohnehin von begrenztem Aussagewert, wenn sie mit Neuschrieb aufgewachsen sind. Zu betrachten und zu dokumentieren ist die Wirkung, der Erfolg oder Mißerfolg, der Zustand vorher und nachher, die Rechtschreibleistungen - denn die sollten sich ja bessern.
Wenn man jedoch die Akzeptanz an den Schulen derart hoch hängen will, dann ist zu fragen, wie es denn angehen konnte, die Akzeptanz der in 100 Jahren gewachsenen Orthographie im gesamten schreibenden Volk zu übergehen, nein zu überfahren. Soll das jetzt unter den Teppich?
 
 

Kommentar von AG, verfaßt am 01.06.2007 um 11.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8777

Für Strategiedebatten, Streitereien, Handlungsmodelle und Kampfaufrufe, die nicht die eigentliche Arbeit der FDS und ihrer Internetseite beeinträchtigen oder das Feingefühl ihrer Betreiber verletzen sollen, kann man sich der folgenden Yahoogruppe bedienen:

http://de.groups.yahoo.com/group/rechtschreibchaos/
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 01.06.2007 um 11.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8775

Internetforen dienen bekanntlich dem Meinungsaustausch innerhalb kleiner, überschaubarer Gruppen, die im allgemeinen nicht den Ehrgeiz haben, die weitere Öffentlichkeit zu erreichen. Mit der verdienstvollen Webseite "Schrift und Rede" verhält es sich nicht anders. Offenbar geht es hier jedoch auch um einen Gruppenkonsens, was die "Richtigstellungen" der Redaktion zeigen. Das stört vielleicht ein wenig das Bild einer geradezu basisdemokratischen Gleichheit aller Teilnehmer. Wer jedoch überhaupt mitmachen will, muß diesen Zug halt respektieren.

Auffällig an "Schrift und Rede" ist die Emotionalität der Diskussion, die in einem eklatanten Widerspruch steht zu der überall sonst herrschenden Gleichgültigkeit gegenüber dem Reizthema Rechtschreibreform. Im einzelnen ist schwer zu entscheiden, woher die Erregung stammt, die in Forumsbeiträgen ihr Ventil findet. In den Foren größerer Internet-Periodika gilt häufig ein Verhaltenskodex, der völlig Unerwünschtes abblockt. R. M. äußert sich etwas vager auch für "S&R": "Zum Beispiel halten wir, ohne darüber lange Strategiedebatten geführt zu haben, recht wenig davon, Leute zu attackieren, die mehr oder minder weisungs- und regelgemäß reformiert schreiben." Dem Anspruch, als "Forschungsgruppe" zu agieren, würde ohnehin die gemeinsame Beschäftigung mit den Problemen unserer Rechtschreibung angemessener sein als die abfällige Kritik an Einzelpersonen oder Berufsgruppen.

Natürlich ist die Rechtschreibung auch ein gesellschaftliches Phänomen, das jedoch nicht ohne seine konkreten Umstände betrachtet werden kann. Hier gebe ich zu bedenken, daß für inzwischen zehn Jahrgänge von Schülerinnen und Schülern das deutsche Prinzip des Vertrauensschutzes gilt. Was auch immer für die Weiterentwicklung unserer Rechtschreibung vorgeschlagen oder gar gefordert wird, die Akzeptanz der Neuerungen in den Schulen kann dabei nicht übergangen werden.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2007 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8772

Wir spenden regelmäßig für den Bund Naturschutz und bekommen dafür auch eine Zuwendungsbestätigung "anläßlich der Haus- und Strassensammlung". Das ist also genau wie bei unserer Universitätsverwaltung, die Post vom "Schloßplatz" in die "Bismarckstrasse" schickt. Apropos: Eisenberg berichtet ja in seinem Greifswalder Vortrag, daß das Ministerium den Universitätsangehörigen für den Dienstverkehr die Reformorthographie vorschreibe. Hier in Bayern habe ich von einer solchen Anordnung bisher nichts bemerkt. Eisenberg selbst hält sich nicht daran, aber den Lehrern, für die dasselbe gilt, gesteht er eine solche Verweigerungsmöglichkeit nicht zu. (Jovi, non bovi). Vielmehr hat er mit Tangermann zusammen sogar an der Um- und Durchsetzung im Schulbereich mitgewirkt ("Regelungsgewalt" - er gebraucht das Wort selbst). Ihm diese Inkonsequenz vorzuhalten, bezeichnet er im voraus als "Quatsch".
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 01.06.2007 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8770

Trotzdem sollte man doch wohl tolerieren, daß sich auf diesem Forum Klänge, Zeiten und Musikanten tummeln, die nicht alle der gleichen Meinung wie der Kassierer sein müssen. Manche sind lieber Axtwerfer als Wattewerfer.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 01.06.2007 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8769

Die Rede war eigentlich von einem „engeren Kreis“. Wie dem auch sei, die FDS hat einen Vorstand, weil das Vereinsrecht das so vorsieht. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Walter Lachenmann ist für die Finanzen zuständig, nicht für die Bedenken. Diese äußert er nicht kraft seines Amtes, sondern weil er sie hegt. Und dazu besteht ja nicht selten Anlaß. Zum Beispiel halten wir, ohne darüber lange Strategiedebatten geführt zu haben, recht wenig davon, Leute zu attackieren, die mehr oder minder weisungs- und regelgemäß reformiert schreiben.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 01.06.2007 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8767

Lieber Herr Lachenmann,

daß Sie mich nicht mögen, wissen inzwischen alle, Sie müssen es nicht in jedem Beitrag zeigen.

Mir zu unterstellen, ich hätte von einem Inneren Kreis der FDS geschrieben, ist schlicht unfair und läßt sich rasch aus Schopenhauers Mottenkiste unfairer Argumentationen "Eristische Dialektik" hervorblättern. Ich meinte einen Inneren Kreis von RSR-Gegnern, diese könnte man namentlich benennen, weil sie gelegentlich erhellende Nachrichten per Email erhalten. Sie wissen das genau, Sie gehören ja selbst dazu. Sehr wohl hat auch dieses Forum einen Inneren Kreis, nämlich die Funktionäre der FDS.

Selbstverständlich hat auch die FDS immer wieder formuliert, was "wir wollen", namentlich "Red." sowie der Vorsitzende haben dies unregelmäßig getan und Debatten damit beeinflußt. Ich finde das, soweit es Strategieüberlegungen betrifft und nicht Einstellungen, gar nicht schlecht.

Strategien wurden (abgesehen von hochgeheimen Telephonaten, ja, auch die gibt es) hier immer wieder diskutiert, u. a. von Prof. Ickler selbst, eher hintergründig von Frau Pfeiffer-Stolz, manchmal von Herrn Kliegis, sehr konkret auch immer von Herrn Eversberg. Auch "Kratzbaum" fällt mir da bald ein, auch Herr Wagner in seiner aus dem Wunsch nach absoluter Präzision gespeisten Zurückhaltung. Nur Sie nicht. Sie haben sich hier stets, wenn es konkret wurde, als Bedenkenträger positioniert und als einer, der nach Maßhaltung ruft, statt die Engagierteren einmal tun zu lassen. Wenn sich Signalwörter an Ihre Rezeptoren schmiegen, gehen Sie doch sofort in Duckstellung und pochen darauf, keine Wehrsportgruppe zu sein. Wer von uns allen würde Ihnen das schon unterstellen?

Und ich erlaube mir das Urteil, daß, wenn auch nicht jede Spontanaktion sinnvoll ist, doch in unserer Sache (die wohl auch Ihre ist) mehr erreicht worden wäre, wenn wir weniger Bremser in unseren Reihen hätten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.06.2007 um 00.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8766

Da schraube ich doch gleich mal den Rührquirl in meine Handbohrmaschine und rühre damit im Wesentlichen.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 31.05.2007 um 23.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8765

Meine private Stellungnahme zu jüngsten Äußerungen die FDS und die Diskussion auf diesen Seiten betreffend:

Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) unterhält zwar diese Internetseite „Schrift & Rede“ und sieht unter anderem ihre Aufgabe darin, sich kritisch mit Problemen der Sprachwissenschaft und in logischer Konsequenz auch mit der Rechtschreibreform bzw. deren Folgen zu beschäftigen. Insofern ist hier die Diskussion auch in kontroverser Weise über diese Themen willkommen. Die FDS ist aber keine Strategiekommission oder gar ein Sammelbecken von Kampfgruppen zur Durchsetzung irgendwelcher Programme. Es ist also unsinnig, sich öffentlich über Strukturen der FDS („Vorstand“ und „Führungsriege“ oder gar „Innerer Kreis“) Gedanken zu machen oder darüber, welcher Wein dort möglicherweise kredenzt wird.

Mag jeder auf diesen Seiten seine Vorstellungen zum Besten geben, aber das sind dann eben seine Vorstellungen. Bei genauerem Hinsehen sind diese je nach individuellem Hintergrund oder Temperament erfahrungsgemäß gar nicht so einmütig, wie mancher sich einredet, und so kann hier auch niemand verkünden, „was wir wollen …“

Daß die Axtwerferei keinen Applaus bringt, sollte der Autor dieser Formulierung aus eigener Erfahrung am allerbesten wissen. An die Adresse von Herrn Jochems gerichtet, wird aus der Axtwerferei zwangsläufig ein Bumerang. Herr Jochems kann zwar mitunter ganz schön nerven, wie manch andere auch, aber immerhin auf einem Niveau, das manch andere eben leider nicht an den Tag legen.

 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 31.05.2007 um 23.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8764

Mir fiel vor einigen Jahren dieser Satz auf (Zitat der amerikanischen Fotografin Susan Sontag, gleichzeitig TItel eines Artikels in Spiegel-Online):

"Die Fotografie brachte den Menschen ein neues und im Wesentlichen rührendes Selbstverständnis."

Was ist nun gemeint? Ist das Selbstverständnis vorwiegend rührend (also eigentlich kleines 'im wesentlichen')? Oder rührt es im Wesentlichen (also groß)? Es läßt sich nach der RSR nicht eindeutig entscheiden. Nur der Sinn des Satzes und des Artikels legt eher nahe, daß um letzteres geht. Wobei man beim ersten Lesen zunächst die erste Variante hindeutet; ganz einfach deswegen, weil sie fast ausschließlich vorkommt.

Korinthenkackerei? Wohl nicht. Mit der Groß-Klein-Schreibung war eine sofortige und eindeutige Unterscheidungsmöglichkeit gegeben. Die RSR hat diese weggenommen und nötigt den Leser hier zum Spekulieren.

Das Beispiel mit seiner echten Doppeleutigkeit ist allerdings ein eher seltener Fall. Der m.E. größere Schaden der durchgehenden Großschreibung ist die Einführung des Scheinsubstantivs, welche - aufgrund der Häufigkeit dieser Wendung und gerade mit dem breit auftragenden Buchstaben W - die Großbuchstabeninflation tüchtig anheizt.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 31.05.2007 um 22.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8763

Ballistol wiederholt eine in diesem Forum (nicht unbedingt in dieser Formulierung) vielfach erhobene Forderung, zum alten Duden ohne die "Korinthenkackerei" zurückzukehren. Leider ist nie definiert worden, worin diese "Korinthenkackerei" eigentlich bestand.
Gehört z.B. die Unterscheidung zwischen "im wesentlichen" und "im Wesentlichen", die von einigen in diesem Forum mit viel Herzblut verteidigt wurde, zu dieser "Korinthenkackerei" oder nicht?
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 31.05.2007 um 19.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8762

--> Herrn Jochems

"Mir ist natürlich die bescheidene Forderung bekannt, über die jetzt per eMail diskutiert wird. Solange Vorstand und Führungsriege ihrem hochemotionalisierten Anhang aber keinen reinen Wein eingießen, werden die Verbalorgien auf diesen Seiten kein Ende nehmen."

Ich persönlich würde es begrüßen, wenn gerade Sie als der Realo, für den Sie sich ausgeben, in diesen Dingen etwas mehr Realitätssinn zeigen könnten. Sonst schaut man schnell wie ein Utopist (oder Schwätzer) aus.

Was wir wollen, ist der Status quo ante abzüglich der Korinthenkackerei der Dudenredaktion. Dorthin zu kommen, ist ein Weg der kleinen Schritte. Anstatt die Überlegungen des Inneren Kreises hier ins Lächerliche zu ziehen, könnten Sie sich auch konstruktiv an der damit verbundenen konkreten Fragestellung beteiligen. Ich gebe zu: Die Axtwerferei bringt mehr Applaus.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 31.05.2007 um 18.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8761

"Präposition"

Daß alles, was nach einer "Präposition erscheint, ein Nomen sein muß, wird schon sehr lange, ausdauernd und unverweigerlich an Schulen wie an Germanistiken gelehrt -- mit entsprechenen Folgen. Daher haben wir ja in den Schulen nach (Prp!) wie vor (Prp!) den "präpositionalen Infinitv" und ähnliches die "Grammatik" zum Witz Verderbendes. Vielleicht lohnt es, darüber nachzudenken, ob denn alles, was aussieht wie eine Präposition, wirklich eine solche ist? Damit wäre man schon einen kleinen Schritt weiter. In "Ihm sind die Schuhe zu klein" entdecken die meisten Sprachlehrer bis heute ein "präpositionales Adjektiv des subjektiv(!) zu hohen Grades". Dagegen scheint kein Kraut gewachsen. Des Kaisers Orthographie wurde zwar zwangsreformiert, des Kaisers Grammatik indessen bleibt uns sicher noch sehr lange erhalten und mit ihr die schon bei den Kleinen durchgesetzte Schreibverunsicherung, sogar ohne eine der -- wie immer mehrheitlich folgsamen -- Nation von Schimmel, Amts- ordinierte "RSR (Variante 3)".
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 31.05.2007 um 18.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8760

Tatsache ist, daß die französische Rechtschreibreform in der Praxis des Lesens und Schreibens so gut wie keine Rolle spielt und keinerlei Änderungen des gewohnten Textbildes zur Folge hatte, weder in den Zeitungen und erst recht nicht in Büchern. Es ist schon so: niemand kümmert sich darum, egal, ob das nun institutionell verankert ist, vielleicht sogar in den Schulen behandelt wird oder nicht. Außerdem sind die Änderungen so geringfügig, daß es auch kaum jemandem auffallen würde, wenn ein Text "reformiert" geschrieben ist.

Herrn Jochems sei dafür gedankt, das unter anderem schwäbische "Schwätzen" nicht von seinem Kränkungspotential sondern von seiner kommunikationsfreundlichen Seite zu nehmen. Mit ihm zu schwätzen ist immer interessant, man muß ihm ja nicht immer recht geben.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.05.2007 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8759

Die deutsche Übersetzung der französischen Rechtschreibreform gibt es auf nur 8 Seiten unter

http://sf.gidoo.de/download/orthographe.pdf

Man kann sie mit der deutschen eigentlich nicht vergleichen, denn die Anwendung ist nur offiziell empfohlen, beide Schreibweisen sind richtig, die Schreibung einiger Wörter wird vereinheitlicht, einige Zusammenhanglosigkeiten und verwirrende Schreibungen werden beseitigt und der Abbau von Unregelmäßigkeiten wird forciert. Deswegen wird es etwas länger dauern und sich vielleicht nicht alles durchsetzen.

Frankreich hat aus seiner Vergangenheit gelernt und ist auch von der früheren gewaltsamen Durchsetzung der französischen Hochsprache zur Tolerierung der Regionalsprachen übergegangen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 31.05.2007 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8758

Nein, "schwätzen", die verbreitete mundartliche Entsprechung von "sprechen", "reden", ist nicht beleidigend. Was nun die französischen "Rectifications" angeht, so informiert man sich am besten hier auf "Schrift und Rede":
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=310. Falls das nicht klappt, gibt man oben im Suchfeld "Coute que coute" ein, dann erhält man den Eintrag vom 24.07.2005. Bonne chance.

Um auch zum Schießen auf Pappkameraden etwas zu sagen, möchte ich noch folgendes hinzufügen: Man sollte von einer Gruppierung mit einem wissenschaftlich anmutenden Namen doch erwarten können, daß sie klipp und klar ihre Ziele benennt. Ballistol hat dazu ja einen Anlauf unternommen, und nun kann man gespannt sein, was daraus wird. Mir ist natürlich die bescheidene Forderung bekannt, über die jetzt per eMail diskutiert wird. Solange Vorstand und Führungsriege ihrem hochemotionalisierten Anhang aber keinen reinen Wein eingießen, werden die Verbalorgien auf diesen Seiten kein Ende nehmen.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.05.2007 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8757

Ein bloßer Irrtum? Herr Jochems weiß doch sehr wohl, daß die französische Rechtschreibreform nicht abgeblasen worden und im Gegenteil inzwischen an deutschen Schulen angekommen ist. Das war hier vor einigen Monaten Thema, und er hat sich damals an der Diskussion beteiligt.

Man muß leider feststellen, daß Richtigstellungen bei ihm wenig Wirkung hinterlassen. So ist Herr Jochems immer wieder ebenso freundlich wie bestimmt darauf hingewiesen worden, daß von unserer Seite nicht gefordert wird, zum Zustand von Duden 1991 zurück[zu]kehren. Daß niemand erwartet, daß die Kultusminister zu diesem Schritt bereit sein könnten, versteht sich ohnehin von selbst. Aber er feuert halt gern auf Pappkameraden, in diesem Falle ungenannte Utopisten.
 
 

Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 31.05.2007 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8755

Siehe #8747

Könnte zu dem, was hier angebracht ist (siehe #8752), nicht ebenso gehören, einen Irrtum in sachlicher Weise als solchen zu bezeichnen (wenn denn einer vorliegt, das kann ich nicht beurteilen) und Geschmacklosigkeiten im Umgang miteinander zu unterlassen? Der Wirkung dieser Seiten auf - dringend benötigte - "Mitstreiter" täte es gut.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.05.2007 um 16.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8754

Wer ist denn der Schwätzer?
Siehe #8747.
 
 

Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 31.05.2007 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8753

Prof. Jochems:
"Wer jetzt noch glaubt, die Kultusminister würden nach der allgemeinen Beruhigung aus heiterem Himmel die Neuregelung in ihrer dritten Fassung außer Kraft setzen und zum Zustand von Duden 1991 zurückkehren, hat alle Züge eines Utopisten."

Zustimmung!

Prof. Jochems:
"Was ist also zu tun? Ballistol hat recht mit seinem Vorschlag, die Gleichberechtigung aller zur Zeit üblichen Schreibungen zu fordern, und dies auch oder gerade für die Schule."

Ebenfalls Zustimmung!

R. M.:
"Vom Ende der französischen Rechtschreibreform zu schwätzen ist daher nicht angebracht."

Wer ist denn der Schwätzer?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.05.2007 um 15.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8752

Die Wahrheit ist, daß die neue französische Rechtschreibung an französischen, an belgischen, an schweizerischen, an kanadischen und auch an deutschen Schulen Unterrichtsstoff ist. Sie ist von der Académie française gebilligt worden, ihre Schreibungen haben Aufnahme in die aktuellen Wörterbücher gefunden. Die Anwendung der orthographe nouvelle wird vom Conseil supérieur de la langue française und entsprechenden Einrichtungen anderer frankophoner Nationen empfohlen. Vom Ende der französischen Rechtschreibreform zu schwätzen ist daher nicht angebracht.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 31.05.2007 um 14.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8751

Das Internet müßte "Prawda" heißen, denn dort findet man - mit etwas gutem Willen - die Wahrheit. Zu dem Einwand des Vorsitzenden der Forschungsgruppe Deutsche Sprache würde es sich lohnen, bei "Orthonet", der quasi-offiziellen französischen Sprachberatung im Internet nachzulesen. Dort steht auch nach der letzten Änderung im April 2007 folgende Beschreibung der Situation in Frankreich unter

OÙ EN EST "LA RÉFORME DE L'ORTHOGRAPHE"?

Pratiquement, en 2005, une grande partie de la presse française ignore la « réforme », et reste fidèle aux événements et aux ambiguïtés. La plupart des logiciels de correction persistent à traiter les formes rectifiées (ambigüité, aigüe, interpeler, évènement) comme des fautes. Quelques revues se risquent à « réformer », mais peu de lecteurs s’en aperçoivent. Le plus grave est qu’aucun des ministres successifs de l’Education nationale française ne s’est décidé non pas à imposer la « réforme », mais au moins à informer les enseignants des formes nouvelles, qui cessent d’être des « fautes d’orthographe » ; des démarches seraient en cours ( ?) pour mettre fin à ce silence.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.05.2007 um 13.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8749

. . . es geschah einfach nichts, und das war das Ende der französischen Rechtschreibreform.

Ach so. Merkwürdig nur, daß die neue französische Rechtschreibung auch nach ihrem Ende noch an französischen, an belgischen, an schweizerischen, an kanadischen und auch an deutschen Schulen gelehrt wird. Da kann man wohl nur sagen: Totgeschwätzte leben länger.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 31.05.2007 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8747

Als in Frankreich vor fünfzehn Jahren eine höchst bescheidene Rechtschreibreform eingeführt werden sollte, gab es keinen landesweiten Aufschrei, keine Leserbriefe, es entstanden keine Internetforen, in denen linke Politiker, Wissenschaftler und normale Bürger als Vollidioten beschimpft wurden - es geschah einfach nichts, und das war das Ende der französischen Rechtschreibreform. Bei uns gehen die Uhren eben anders, aber so sehr auch wiederum nicht. Wer jetzt noch glaubt, die Kultusminister würden nach der allgemeinen Beruhigung aus heiterem Himmel die Neuregelung in ihrer dritten Fassung außer Kraft setzen und zum Zustand von Duden 1991 zurückkehren, hat alle Züge eines Utopisten. Nichts gegen diese Gattung, aber in der gesellschaftlichen Praxis sind ihre Anhänger zum Glück eine ausgesprochene Randgruppe. Alle deutschen Kultusminister wissen, daß das große Projekt Schreiberleichterung für alle durch Rechtschreibreform gescheitert ist, sie wissen aber auch, daß die stillschweigende Aufgabe die Verwirrung nur noch vergrößern würde. In dieser Situation ist mit emotionalen Ausbrüchen niemandem gedient. Jetzt sollte endlich ehrlich gefragt werden: Was war an der letzten Version der Dudenorthographie so schwierig, daß sie nicht von jedermann zu beherrschen war? Warum haben weder die Neuregelung von 1996 noch die Revisionen von 2004 und 2006 Remedur schaffen können? Vielleicht lautet die Antwort ganz einfach: Weil eine Rechtschreibung, die zu ihrer sicheren Anwendung nicht nur das Einprägen unzähliger Einzelwortschreibungen verlangt, sondern auch die Fertigkeit der kontextabhängigen Verwendung hunderter Regeln voraussetzt, die intellektuellen Möglichen normaler Schreibbürger übersteigt. Die traditionelle deutsche Rechtschreibung mit ihrer Ausdrucksfülle und ihrer hohen ästhetischen Qualität hat in der Belletristik und in der gehobenen Publizistik gut funktioniert - aber doch nur dank hochqualifizierter Lektoren in den Verlagen und Korrektoren in den Redaktionen. Es war und ist ja jedermann unbenommen, es ihnen gleichzutun, was aber eine Kehrseite hat: Wer das nicht kann oder nicht will, ist kein Banause. Professor Icklers Wörterbuch mit seinen Bindebögen enthält die wichtige Botschaft: Hier sind zwei Schreibungen möglich. Wie immer sich der Schreiber entscheidet, er schreibt nicht falsch. Das Erzübel der deutschen Rechtschreibung ist nämlich nicht nur ihr hoher Schwierigkeitsgrad, sondern ihre Fixierung auf die einheitliche Norm und das mit ihr traditionell assoziierte Beckmessertum.

Was ist also zu tun? Ballistol hat recht mit seinem Vorschlag, die Gleichberechtigung aller zur Zeit üblichen Schreibungen zu fordern, und dies auch oder gerade für die Schule. Als falsch können nur Schreibungen gelten, die den Leser verwirren. Da Lesen ein aktiver Vorgang ist und davon ausgeht, daß der jeweilige Text sinnvolle Aussagen enthält, kann natürlich die mangelnde Verstehensbereitschaft einzelner Leser nicht das Kriterium sein. Professor Eisenberg sagt mit Recht in seinem Greifswalder Vortrag, daß im Augenblick die Erhebung üblicher Schreibungen wenig sinnvoll ist. In ein paar Jahren wird es aber so weit sein. Dann sollten die Wörterbücher ehrlich Auskunft darüber geben, wie die Deutschsprachigen schreiben. Vielleicht dämmert dann auch die Erkenntnis, daß am Ende die Roßkur Rechtschreibreform etwas in Bewegung gesetzt hat.

 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 31.05.2007 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8746

Politiker veranlassen nicht selber eine Prüfung ihres Erfolgs, klar. Aber Rechnungshöfe können und sollen das tun - wo bleiben die eigentlich in dieser Sache? Das Projekt war ja nicht kostenneutral.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 31.05.2007 um 11.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8745

Die Maßnahmen zur Senkung der VOC-Emissionen der Druckindustrie wurden evaluiert, allerdings nur in der Schweiz, und auch da nur kantonweise. In Deutschland evaluieren traditionell nur die Lobbyisten, z. B. der Bund der Steuerzahler die Steuerverschwendung. In diese Kategorie gehören auch die diversen Weiß- und Schwarzbücher, z. B. wurde da auch das Wirken von Franz Josef Strauß evaluiert.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 31.05.2007 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8744

Stichwort Evaluation...

Ansich eine gute Idee... aber wo macht unsere Politik denn Evaluation? Kurze Antwort: Nirgends.
Wird es irgendwann einmal eine Evaluation des Afghanistankrieges oder des "War on Terror" geben? Oder eine Evaluation des Aufbau-Ost? Eine Evaluation von Entwicklungshilfe? Oder eine Evaluation der Förderung regenerativer Energie?

Evaluation bedingt die Gefahr, daß man politische Fehler öffentlich macht und Konsequenzen ziehen muß. Aber unsere Politiker machen nunmal keine Fehler -- die sind perfekt!

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 31.05.2007 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8743

@Ballistol...

Die Wikipedia gibt es in Deutsch nicht in bewährter und *nicht* in neuer Rechtschreibung... es gibt sie nur in schlechter Rechtschreibung. Selbst wenn es die Rechtschreibreform gar nicht gegeben hätte, wäre die Qualität von Wikipedia (Revision 2007) -- was Inhalt und Form angeht -- heute kaum besser!

 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 31.05.2007 um 10.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8742

Für strategisch wichtig halte ich auch das Einfordern einer Evaluation oder Erfolgskontrolle des Reformprojekts, natürlich nicht durch eine von den Kultusministern eingesetzte Unterarbeitsgruppe. Die Frage ist zu stellen: Sind die Ziele erreicht - wenn nicht, was dann? Nach mehr als 10 Jahren wird's ja wirklich Zeit...
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 31.05.2007 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8740

--> Herrn Lindner

Die Wikipedia gibt es in allen möglichen Sprachen, sogar in Norfuk. Wieso gibt es keine Version in klassischer Rechtschreibung?
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 31.05.2007 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8739

Ich fasse einmal die derzeitigen Strategien zusammen, wobei sich Überschneidungen ergeben und ich vielleicht auch etwas vergesse.

1. Aufklärung der breiten Masse

Bestärkung der Schreibgemeinschaft, die klassische Rechtschreibung zu benutzen. Aufzeigen von Sinnwidrigkeiten. Hinweis auf Rechtslage.

Problem: Die breite Masse interessiert das nicht (von den Reformern letztlich sowenig beeinflußbar wie von uns). Erreichen können wir allenfalls die Handelnden, also Redakteure, Programmierer, Verleger, über diese indirekt die breite Masse --> vgl. Punkt 3.

2. Gezielte politische Aktionen

Unterschriftensammlungen, Petitionen, Gründung von Pressure Groups (SOK, was fehlt: DOK und ÖOK), Gerichtsverfahren. Erfolg wegen Problems bei Punkt 1. nicht gesichert. Strategie des steten Tropfens, allerdings noch ohne konkrete Perspektive. Sinnvoll erscheint die Durchsetzung des Toleranzprinzips, unklar ist allerdings der Weg dorthin.

3. Gezielte Aktionen in der Privatwirtschaft

Hier wäre eine Nadelstichtaktik zu diskutieren, die von den Adressaten konkret gefühlt würde (Abmahnungen Modell Eversberg, Reklamation wie gegen www.wien.at, Diskreditierung einzelner Verlage und Entscheidungsträger Modell Sprachpanscher). Im Helotenlager muß die Befürchtung geweckt werden, bei zuviel Engagement für die RSR schnell in der falschen Ecke zu stehen. Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger gegenüber den Eignern und Aktionären beachten!

4. Geschichtsschreibung und Perspektive

Dokumentation der Geschichte der RSR über bisherige Sammlungen hinaus, allerdings mit effizienteren Verbreitungskanälen (Medien sensibilisieren, Bücher veröffentlichen). Aufzeigen von Lösungen insbesondere gegenüber unseren Gegnern (Goldene Brücke). Auch wir können den "Rechtschreibfrieden" ( = Chance für Einheitsorthographie) für unsere Sache nutzen, wir müssen nur herausfinden, wie (Modell SOK?).

Wir sollten diesen Torso ausbauen und weiterentwickeln und dann konkrete Aufgaben formulieren und verteilen.

Für vertrauliche Strategiediskussionen eines engeren Kreises schlage ich hiermit eine geschlossene Mailgruppe vor (alternativ Yahoogruppe).
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 31.05.2007 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8738

Bei EDV Programmen sind lediglich die Online-/Offlinehilfe sowie einige Dialogfelder auf "neu" Programmiert. Doch bei so gut wie allen Programmen, die mit Sprache zutun haben, kann man noch zwischen alt und neu wählen -- So auch bei "MS Office 2007" oder "Corel Office X3".

Und ich denke mal, daß es sich keiner der Softwarehersteller mit einer potentiellen Nutzergruppe (~ "ältere" Menschen, die die NRS gar nicht gelernt haben) verscherzen will, denn ein Upgrade muß dem Nutzer immer einen Mehrwert und keinen Minderwert bieten.

Das auch, zumal wohl nur sehr geringe Programmiererressourcen in die Verbesserung der Rechtschreibkorrektur fließen dürften. Und ich würde wetten, daß die MS-Office Rechtschreibkorrektur in einigen Teilen noch auf dem NRS Stand von 1996 ist, weil die ganzen wirren Änderungen nicht professionell eingepflegt wurden... denn wenn sich schon viele Germanisten nicht einig sind, wie eine Rechtschreibregel angewandt/ausgelegt werden muß, wie sollen das dann ein Programmierer fertigbringen?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 31.05.2007 um 09.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8737

Wie lange noch?
In jedem Fall so lange, wie die EDV-Programme auf "neu" programmiert sind. Jemand in diesem Forum - wer war es? - hat richtigerweise darauf hingewiesen, daß die Software entscheidend zur Verbreitung des orthographischen Unsinns beiträgt. Man muß dort drehen, wo die Wasserhähne installiert sind: bei den Herstellern der Software und Korrekturprogramme. Leider wird dieser Gedanke nicht weiterverfolgt. Politisch können wir mit unserem Wünschen und Wollen nichts bewegen, denn zu einer Korrektur der Richtung gehört nun einmal Macht, politische oder/und wirtschaftliche Macht.
Hat jemand Kontakte in diese Richtung? Allerdings ist zu befürchten, daß auch in der EDV der Staatskapitalismus mit Verflechtungen und gegenseitigen Vorteilsnahmen den Weg vorgezeichnet hat. Trotzdem sollte man darüber intensiver nachdenken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2007 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8736

Manchmal ahne ich wirklich nicht, was ich mit einem Tagebucheintrag alles in Gang setze ... Mir scheint, daß die Schriftlichkeit der Diskussion an allem schuld ist, denn in mündlichen Diskussionen wäre manches starke Wort schnell vergessen und verziehen, was hier eine Dauer bekommt, die es nicht verdient. Alle Diskutanten sind ja im Grunde sehr verschiedene Menschen, und außer der gemeinsamen Sache verbindet uns wenig. Sobald das Thema ein wenig verschoben wird, geht es heiß her und bringt dann natürlich für die Sache gar nichts mehr. Und damit verabschiede ich mich aus diesem Strang und werde im Laufe des Tages einen neuen beginnen. Zwei Aufgaben gibt es ja immerhin noch: die Vergangenheit aufzuklären und einen Weg in die Zukunft zu zeigen, letzteres sicher im Sinne von Herrn Jochems.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 31.05.2007 um 00.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8735

Ich sehe ja jetzt erst, was ich da angerichtet habe. (#8702).

Natürlich habe ich nicht Herrn Kerner persönlich gemeint. Ich habe eher auf alles, was da medial schön für die Reform getan wird, abzielen wollen. Und diesbezüglich möchte ich meine Wortschöpfung "emporklugsch..." verteidigen, die einem auch dann durchaus in den Sinn kommen kann, wenn man sich das aktuellste amtliche Regelwerk mal ansieht, oder aber einen Blick in eines von so vielen Büchern wirft, deren Verfasser (vollkommen uneigennützig) die "endlich endgültige Rechtschreibung" kompetent und souverän den bedürftigen Lesern näherzubringen versuchen.
Wem wird da nicht schlecht?

Aber wenn mein Stil gar allzu stillos war, bitte ich um Entschuldigung. Allerdings übertreibe ich mitunter auch mal ganz gerne. Das geht aber hier wohl auch ebenso gerne mal unter.
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 30.05.2007 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8731

Von weiteren gegenseitigen Vorhaltungen bitten wir abzusehen.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 30.05.2007 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8730

Ich habe auf die Unzumutbarkeit dieses Satzes auch innerhalb dieses Forums hingewiesen und zu bedenken gegeben, daß es unserer Sache schadet, wenn solche Formulierungen von unseren Gegnern aufgegriffen werden.
 
 

Kommentar von Karl-Heinz Isleif, verfaßt am 30.05.2007 um 17.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8729

Ballistol:
"(...) Auch bin ich und sonst niemand aufgestanden und habe meine Meinung gesagt, als hier jemand die sehr geschmacklose Formulierung "Kauft nicht beim Duden!" (in Anspielung auf "Kauft nicht beim Juden!") bemüht hat.(...)"

Ja, Herr Ballistol, Ihre Meinung haben Sie gesagt. Aber die lautete nicht, daß es schlimm sei, Anleihen bei den schlimmsten Nazi-Sprüchen zu machen, sondern daß man (sinngemäß): "den Gegnern keine derartige Munition geben" dürfe.

Einer der mitliest und nicht vergeßlich ist.

Karl-Heinz Isleif
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 30.05.2007 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8728

Da zu einer vernünftigen Hermeneutik der Zugang zu Originalquellen gehört, hier besagte Mail im Wortlaut:


Betreff: Fortschritt! Von den Reformern lernen heißt Siegen lernen.

Guten Abend,

ich persönlich sehe eine Reformkritikverdrossenheit bei den Adressaten dräuen, sofern sie nicht schon da ist.

Anstelle dieses für die so mühevoll reformierten Menschen so sinnlosen wie schmerzlichen Zurückruderns sollten wir den Fortschritt auf die Fahnen schreiben, also:

Verbesserung der Lesbarkeit
Verbesserung der Ausdrucksmittel
Behebung von Problemen
Lösung der letzten offenen Fragen
Klärung letzter Zweifelsfälle

Ich glaube, eine saftige neue Rechtschreibreform hat jetzt bessere Chancen als ein allgemein diskreditiertes Zurückrudern, auch wenn ich in meinem Betrieb ja nie richtig losgerudert bin. Also weitermarschieren nach VORNE mit dem Ziel der traditionellen, besseren Rechtschreibung. Anderes ist unverkäuflich. Wir müssen diese Katze also erst in den Sack stecken und dann verkaufen.

Viele Grüße

Ballistol

 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 30.05.2007 um 12.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8727

Zur Geschichte der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist eigentlich alles gesagt, und was jetzt noch im dunklen liegt, wird vermutlich nie an den Tag kommen. Immerhin gibt es gelegentlich Nachträge. Die deutsch-deutsche Rechtschreibverständigung zwischen Egon Bahr und Michael Kohl, von der Peter Eisenberg in Greifswald berichtete, gehört ebenso dazu wie seine Enthüllungen über das Türenknallen und die Schreiereien beim Kompromißgespräch zwischen DASD und der Zwischenstaatlichen Kommission. Was aber eindeutig fehlt, ist eine Darstellung des Widerstandes gegen die Rechtschreibreform. Die Zeitzeugen der ersten Stunde, die natürlich auch die Interna kennen, leben ja noch, und reichlich Material liefert ohnehin die jahrelange Präsenz der verschiedenen Gruppierungen im Internet. Sigmar Salzburg besitzt eine umfassende Sammlung, und eine ganze Menge enthält auch mein Littfelder Archiv. Daß es eine Konstante in den letzten zehn Jahren gegeben hat, ist aber auch ohne das Studium der "Dokumente" allen klar: die nie erschlaffenden und nie in ihrer Überzeugungskraft nachlassenden Bemühungen Professor Icklers. Ohne ihn wäre die Einführung der Neuregelung geräuschlos über die Bühne gegangen, und zwar in der ursprünglichen Fassung von 1996. Niemand außer ihm hat einerseits die Verfehltheit des Regelwerks sprachwissenschaftlich unanfechtbar nachweisen und andererseits die tatsächlich jenseits der Dudenmarotten übliche deutsche Rechtschreibung systematisch darstellen können. Wenn sein Wörterbuch Normale deutsche Rechtschreibung vor 1996 erschienen wäre, hätte es zwar auch aus den verschiedensten Ecken eine wilde Kritik gegeben. Die vernünftigen Deutschen hätten es aber als die Befreiung von der staatlich sanktionierten Pedanterie gesehen, zu der unsere Rechtschreibung zuletzt verkommen war. Unser Freund Ballistol hat in einer Mail an einen kleinen Kreis Gleichgesinnter eine "saftige neue Rechtschreibreform" gefordert. Die hat bereits stattgefunden, sie muß nur noch unter die "Leute" kommen.

Gibt es für die Forschungsgruppe Deutsche Sprache also keine Aufgaben mehr außer dem Sammeln von orthographischen Absurditäten aus der teilweise orientierungslos gewordenen Schreibpraxis und natürlich der nicht verstummenden Anklage gegen die Urheber der jetzigen Verwerfungen und die wie auch immer motivierten Mitmacher? Wiederum Ballistol in seiner programmatischen Mail: "Anstelle dieses für die so mühevoll reformierten Menschen so sinnlosen wie schmerzlichen Zurückruderns sollten wir den Fortschritt auf die Fahnen schreiben, also: Verbesserung der Lesbarkeit, Verbesserung der Ausdrucksmittel, Behebung von Problemen, Lösung der letzten offenen Fragen, Klärung letzter Zweifelsfälle". Ob die nach der teilweisen Rückumstellung der Nachrichtenagenturen und hoffentlich vieler Zeitungen ab 1. 8. wieder im Druckbild erscheinenden richtigen Schreibweisen ins Bewußtsein der lesenden Öffentlichkeit eindringen, wird auch von deren verständlicher Kommentierung abhängen. Mit "idiomatisierter Gesamtbedeutung" und "resultativen Objektprädikativen" kann niemand etwas anfangen. Aber Vorsicht: Die Getrennt- und Zusammenschreibung eignet sich nicht für einen neuen Rigorismus. Von Professor Ickler lernen heißt hier: tolerant werden.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 30.05.2007 um 12.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8726

Ein wichtiger praktischer Schritt, und nun kein sehr großer mehr, bleibt die Respektierung klassischer Formen, und zwar überall. Soviel Toleranz muß sein! Um das zu begründen und einzusehen, sollte noch nicht einmal ein Rückgriff in die Geschichte nötig sein. Findet sich denn keine Allianz von ein paar Leuten, die öffentliches Ansehen und Gehör genießen und dies als pure Selbstverständlichkeit ganz ruhig einfordern? Ein Verbot von bewährten, ästhetischen, sinntragenden, selten falsch geschriebenen Formen ist Willkür und blanker Unfug und gehört so genannt.

 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 30.05.2007 um 11.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8724

Ich würde mir ein bißchen weniger Hysterie wünschen...auch im Umgang mit dem Dritten Reich.

Gerade wenn sich in unserer Zeit Strukturen und Denkmuster neu herausbilden, die man eigentlich seit über 60 Jahren überwunden geglaubt hatte... dann sollte es erlaubt sein, alles mit allem zu vergleichen und insbesondere alle seine Befürchtungen offen und frei zu äußern -- selbst, wenn manche Zeitgenossen das als geschmacklos oder Tabubruch empfinden könnten. Andernfalls können sich die Unterdrücker von Morgen all zu leicht mit flachen Ausreden und schwammigen Hinweisen auf "verbotene[s] Gedanken[gut]" durchwurschteln. Schließlich äußert man seine "NS-Vergleiche" ja nicht, um die Opfer zu schmähen...

Wir Deutschen sind ohnehin eine durch staatliche Indoktrination all zu sehr in freies Denken und Handeln eingeschränkte Masse. Siehe als Beispiel dazu nur einmal rote Fußgängerampeln -- selbst wenn kein Auto weit und breit zu sehen ist, bleiben wir stehen, weil es eben so Gesetz ist und der Staat dieses uns als Kinder schon eingebleut hat. Und gehen wir dann doch rüber, so haben wir ein schlechtes Gewissen. Da ist ein Urlaub in Paris eine reine Wohltat -- dort kümmert sich kaum ein Fußgänger um die roten Ampeln; und trotzdem gibt es dort nicht mehr Verkehrsunfälle als bei uns. Vive la liberté...

BTW: Ich bevorzuge McCartney ... ;-)
 
 

Kommentar von The Beatles, verfaßt am 30.05.2007 um 10.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8720

Der Hauptunterschied zwischen Paul McCartney und John Lennon lag darin, daß für McCartney die Gefälligkeit der Form in Vordergrund stand, für Lennon aber die Wahrhaftigkeit des Inhalts.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 30.05.2007 um 09.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8719

Bevor mir jemand unterstellt, ich hätte tierquälerische Massentransporte mit Menschtransporten im Dritten Reich verglichen: Nein, habe ich nicht! Das Beispiel ist völlig austauschbar.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 30.05.2007 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8718

Wer einen falsch verstehen will, der ist resistent gegen die geschriebenen Sätze. Ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, hier den Vergleich zwischen der Rechtschreibreform und dem Dritten Reich gezogen zu haben. Sie alle sind meine Zeugen, daß ich es war, der in der Vergangenheit immer wieder auf den Tisch gepocht hat, wenn solche Vergleiche am Horizont dräuten. Erst kürzlich habe ich mich in dieser Richtung nochmals geäußert, und zwar nicht, weil die Auschwitzkeule verbraucht oder überstrapaziert wäre, sondern ausschließlich wegen des ungeheuerlichen Verharmlosens des Riesenverbrechens, den dieser Vergleich mit sich brächte. Auch bin ich und sonst niemand aufgestanden und habe meine Meinung gesagt, als hier jemand die sehr geschmacklose Formulierung "Kauft nicht beim Duden!" (in Anspielung auf "Kauft nicht beim Juden!") bemüht hat.

Ich habe das Verhalten der kleinen Rädchen im Getriebe verglichen, des verläßlichen Uhr- und Räderwerks in unserem Land. Der Holocaust fand ja nicht nur in der Gaskammer statt, sondern z. B. im Wiesbadener Hauptbahnhof bei der Abfertigung, an jeder gestellten Weiche und jeder geschlossenen Bahnschranke, in den Jugendämtern, in den psychiatrischen Kliniken, in den Kinderheimen, in der Schule, in der Nachbarschaft. Und das kann man sehr wohl heranziehen zur Beantwortung von Fragen wie etwa der, wieso auch nach acht Jahren rot-grüner Bundesregierung noch immer tierquälerische Massentransporte durch Deutschland fahren, oder der, warum nach wie vor eine Reformschreibung durchzusetzen versucht wird, von der jeder (außer Sitta und Gallmann) weiß, daß sie überholt und nutzlos ist. Ein Politiker sagte vor einiger Zeit, auch wenn man erkannt habe, daß eine Sache falsch sei, müsse man sie doch zuendebringen. Was fällt einem denn dazu spontan ein? Singende Kindergruppen ~ "...bis alles in Scherben fällt!". Ich würde heute gerne Köln sehen, wie es 1932 ausgesehen hat, und ich sehne mich nach einer intakten einheitlichen Orthographie. Das wir beides nicht mehr haben, ist nicht meine Schuld, aber ich kann mich dagegen äußern.

Ich habe meinen Magister unter anderem bei Prof. Falter in Politikwissenschaft gemacht und mich zum Abschluß übers Dritte Reich prüfen lassen. Ich habe mehrere Klötze Hitler-Biographien intus und kann nebenbei Eitner, "Hitlers Deutsche", sowie Höhne, "Gebt mir vier Jahre Zeit", empfehlen, wenn jemand begreifen will, "wie das Unmögliche möglich wurde". Diese spezifische Steuerbarkeit der Deutschen, liebe bemühte Ballistol-Verfemer, die finden Sie so nicht bei den Franzosen, nicht bei den Briten und auch nicht bei den Italienern, mag das nun rassistisch zu nennen sein oder nicht.

Was mich betrifft, teile ich viele Affekte mit meinen Mitmenschen und habe selbst noch so manchen, der vielleicht noch etwas tiefer liegt. Eins aber weiß ich ganz gewiß: Für meine Meinung und für mein Rechtsempfinden stelle ich mich hin und beziehe Position, ungeachtet der Konsequenzen. So verhalte ich mich auch in Sachen Rechtschreibreform. Anders könnte ich es leichter haben. Ich habe auch öffentlich gegen den völkerrechtswidrigen Überfall der USA auf den Irak angeschrieben, noch bevor das en vogue wurde. Ich bitte meine Kritiker, dies künftig zu berücksichtigen.
 
 

Kommentar von b. eversberg, verfaßt am 30.05.2007 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8716

Sine ira et studio muß konstatiert und dokumentiert werden, was geschehen ist, mit allen historischen, politischen, kulturellen, psychologischen, pädagogischen Facetten und Auswirkungen, mit sachlicher Gegenüberstellung von "Vorher" und "Nachher". Ein Größtversuch ist angestellt worden, der jenseits aller persönlichen Empfindungen von hohem Interesse ist und bleiben wird. Dazu gehört auch die Beobachtung, daß die Initiatoren und die Umsetzer des Versuchs (und dazu zählen ja auch die Medien) eben keine Anstrengungen machen, Erfolg und Wirkung des Unternehmens zu betrachten, geschweige zu bewerten - falls sie denn überhaupt noch darüber reden.
Wertvolle Ansätze sind ja vorhanden mit den Arbeiten von Ickler, Kuhlmann, Quambusch und anderen. Die jüngsten Wendungen und Entwicklungen sind noch aufzuarbeiten. Als Desiderat für den 1.8.2008 würde ich mir eine prägnante, abgesicherte, leicht faßliche Gesamtschau des Geschehenen und der entstandenen Zustände wünschen, mit "vorher - nachher", wie gesagt. Ein Dokument, das den Diktatfrieden entlarvt, dem Gras den Boden entzieht, das viele drüber wachsen lassen wollen, und als Mahnung für alle dienen kann, die irgendwann auf ähnliche Ideen kommen sollten.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 30.05.2007 um 08.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8715

Wo ein Gefängnis gebaut wird, werden sich alsbald auch Insassen finden. (Analog: Babykrippen und ähnliche Einrichtungen zur Zwangsaufbewahrung von Kindern). Wir haben einen neuen Duden mit neuen Regeln, also wird er auch gebraucht. Basta! Keine Konstruktion kann so verunglückt sein, als daß der Mensch sie nicht ausprobieren würde, mit Intensität und einer Portion verbissenen Ernstes: jetzt erst recht! Er hat sich ein Paar viel zu weite Hosen gekauft, der Schritt hängt ins Knie – sehr modern! alle tragen sowas! – er trägt sie, fast trägt sie ihn, er liebt sie! Es wird sehr lange dauern, ehe er sich die Nachteile seiner eigenen Wahl eingesteht und die Hose dorthin befördert, wo sie gleich hätte landen sollen: nein, nicht in der Altkleidersammlung! Sondern im Müll! Soviel zur Verhaltenspsychologie.

Auch wenn es über Gender Mainstreaming hartnäckig versucht wird: den Menschen selbst können wir nicht ändern. Aber da er ein neugieriges und nach Neuerungen gierendes Wesen ist, wird er auch immer etwas Neues erfinden und auch benutzen. Neukonstruktionen können ihn tragischerweise auch in die Irre führen, und er kann sich unter ungünstigen Umständen auf dem schlechten Weg eine sehr lange Zeit fortbewegen, weit über ein Menschenleben hinaus, wie die Geschichte lehrt.
Es ändert nichts an der Realität, wenn wir sie verneinen. Wie verhält sich ein Massenmensch? Jeder von uns ist, mag es ihm gefallen oder nicht, Teil der Masse bzw. eines Massensegments, je nachdem welche Rolle er gerade innehat. Ehrlich zu sich selbst sein, heißt ohne Schrecken zu erkennen, wie schnell man bereit ist, sich gängigen (und unverstandenen) Meinungen und Verhaltensweisen anzuschließen, ohne sie zu hinterfragen. Das ist einerseits bequem. Andererseits auch Selbstschutz. Selbst in einem „freien“ Land werden die Bürger vor Meinungsäußerungen zurückschrecken, wenn sie sich damit außerhalb des Gesinnungsklimas des herrschenden Zeitgeistes stellen würden. Das Risiko, verlacht oder gemieden oder als Kauz und Dauernörgler betrachtet zu werden, geht niemand gerne ein. Deshalb verbirgt er seine eigene Meinung und „lebt in Lüge“ – so stellt es Timur Kuran nüchtern fest. (Leben in Lüge). Mit solchen Erkenntnissen ist er nicht allein.
Ich empfehle Lektüre von Le Bon, Ortega y Gasset (beide zur Massenpsychologie). Lesen Sie die Denker der Österreichischen Schule der Ökonomie (was hat Wirtschaft mit Rechtschreibung zu tun? Sehr viel, denn die Wurzeln sind dieselben: Positivismus, Konstruktivismus und Regulierungswahn in allen gesellschaftlichen Bereichen – gekoppelt mit Staatsgläubigkeit der durch Propaganda indoktrinierten Masse). Hätten wir es vielleicht noch komplizierter? Im Grunde ist es das aber nicht. Besorgen Sie sich Veröffentlichungen von Roland Baader, einem wortgewaltiger Streiter für die Freiheit. Lesen Sie Hans Hermann Hoppe, Gerard Radnitzky, Robert Nef, Ludwig von Mises, Friedrich A. von Hayek, Murray N. Rothbard usw. Sie alle beschäftigen sich u.a. mit der Frage der Freiheit. Eine zentrale Frage, wenn man Antworten auf das orthographische Desaster sucht.
Man findet sie überall. Auch bei sich selbst.

Ich plädiere dafür, die Abscheu eines David Weiers und die „Kritik“ von Ballistol in milderem Lichte sehen. Wir wissen, welchen Einfluß die äußere Form auf die Wahrnehmungsfähigkeit hat. Daß die Verpackung den Inhalts bestimmt, kann man sehr schön an diesem Beispiel studieren: mag das Gesagte noch so richtig sein – wenn die Form anstößig ist, kommt sie nicht beim Publikum an.
Das ist schade. Denn inhaltlich muß man zustimmen. Dazu: Deutschland hat eben aufgrund der Geographie und Geschichte (die weit vor 1933 beginnt), anders als seit jeher zentralistische Staaten – ein traditionell gespaltenes Nationalbewußtsein. Dies wirkt auf vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und deshalb auch in der Frage der Orthographie, die man davon nicht ausnehmen kann, weil der Staat die Regelungskompetenz an sich gerissen hat. Ob man es will oder nicht: gewisse Vergleiche drängen sich immer wieder mit Wucht auf. Dinge stoßen sich hart im Raum, das ist die Realität. Könnte es nicht sein, daß man damit auch eine gewisse Trauer darüber loswerden möchte, daß wir nicht unbelastet stolz und frei sind? Es wird uns nicht leichtgemacht. Selbstbewußtsein kommt, wenn wir echte Trauer zulassen und in die Zukunft schauen.

Also handeln. Und was könnte man tun? Der einzelne von uns kann im persönlichen Umkreis wirken. Er kann im kleinen die Zivilcourage leben, die er von den anderen im großen fordert. Aufklärung wirkt durch geduldiges Vorbild (Zeitfaktor!). Wir alle sind „Gläubige“, überschwemmt durch stündlich über viele Kanäle verbreitete „News“, welche auf jene wie Gehirnwäsche wirken, die sich nur aus diesen „gelenkten Quellen“ informieren. Die Mehrzahl der Menschen weiß bis heute nicht, was mit der Rechtschreibreform losgetreten worden ist. Man kann ihnen deshalb nicht ernsthaft böse sein, wenn sie sich dem vermeintlichen Fortschritt mit hanebuchener Konsequenz widmen (siehe Einleitung).

Zuletzt drei Aphorismen, die uns motivieren sollen, im eigenen Umkreis zu wirken – auch wenn wir oft genug deprimiert sind:

Es entscheiden eben letzten Endes nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, meint Gerd Habermann.
Die gefährlichsten Unwahrheiten sind die Wahrheiten, mäßig entstellt, sagte Georg Christoph Lichtenberg.
Mit Edmund Burke will ich schließen: Nobody makes a greater mistake than he who did nothing because he could only do a little.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 30.05.2007 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8714

Ich war selber jahrelang von Haß erfüllt und hatte dieselben Gedanken wie Ballistol. Ich habe sie auch ab und zu hier niedergeschrieben, was regelmäßig mindestens zu Unbehagen in der Runde geführt hat, obwohl es nicht falsch war, oder wie Urs Bärlein als Fazit sagte: "Daher halte ich Ballistols Assoziationen in diesem Fall nicht für lächerlich, und auch nicht für blasphemisch." Von Folgsamkeit bei Ballistol (oder bei mir) kann gewiß nicht die Rede sein. Aber darum kommt es auch nicht an, denn um so mehr hat Herr Markner recht, wenn er auf das Unpassende abhebt.

Unpassend ist die Äußerung der an sich berechtigten Beobachtungen, weil sie schon in den eigenen Reihen teilweise als unpassend erlebt wird. Das führen regelmäßig Professor Jochems und Walter Lachenmann vor. Der gewaltige Unterschied in der Dimension "Zerstörung" oder "Grausamkeit", der natürlich zwischen der Nazi-Diktatur und der Rechtschreibreform besteht, ist Anlaß genug, das Vergleichen als unpassend zu empfinden. Das gilt erst recht im Blick auf die allgemeine Öffentlichkeit, die mehrheitlich unfähig ist, die Dimension "Zerstörung" oder auch "Grausamkeit" (besser vielleicht: Rücksichtslosigkeit) der diktatorisch und zugleich folgsam exekutierten Rechtschreibreform zu begreifen. Dieser tauben Öffentlichkeit muß man sich ein Stück weit anpassen, sonst wird man nicht für voll genommen, sondern als Spinner eingestuft.

Meinerseits kann ich den mühsam errungenen Verzicht auf die Leidenschaft, die Ballistol antreibt und die ich sehr sympathisch finde, nur mit entsprechend viel Zynismus und Passivität erkaufen. Meine Bewunderung gilt vor allem jenen Vorbildern, die engagiert und ernsthaft bleiben können, obwohl sie sich die Demonstration der eigenen Empörung mit Rücksicht auf das magere Erkenntnisvermögen der Öffentlichkeit verbieten; oder die gar so weise sind, daß sie die naheliegende Empörung über das Ekelhafte der Rechtschreibreform selten oder kaum je nötig haben. Allen voran Professor Ickler, aber natürlich gibt es noch mehr Mitstreiter, die mich in den Schatten stellen.

Auch bei der Stilfrage ist das rechte Maß wohl in der Mitte: Man muß nicht bei jedem kräftigen Wort zusammenzucken bzw. es sich verkneifen; nur noch mit Flüchen um sich zu werfen ist jedoch nicht das Gelbe vom Ei.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 30.05.2007 um 01.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8713

Es beweist eine gewisse Folgsamkeit, bei jeder meist unpassenden Gelegenheit „Auschwitz“ oder „Hitler“ zu assoziieren. Man könnte von Mitläufertum im Historisieren sprechen, wäre es nicht besser, von dieser verbrauchten Terminologie überhaupt zu lassen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 30.05.2007 um 00.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8712

Eine Anmerkung zu Herrn Lachenmann. Wir hatten es hier vor einigen Wochen schon einmal mit dem Vergleichen. Wenn man nur Gleiches miteinander vergleichen darf, wird das Vergleichen sinnlos; es läßt sich aus ihm kein Erkenntnisgewinn ziehen. Wenn man prima vista völlig Ungleiches miteinander vergleicht, z.B. den Mond mit einem grünen Käse, kann es außerhalb literarischer Texte (in diesem Fall dem von Tucholsky) mit dem Erkenntnisgewinn jedoch auch nicht sehr weit her sein.

Die Gewinnchance liegt in der Mitte. Selbstverständlich ist die Rechtschreibreform nicht mit Auschwitz gleichzusetzen. Dennoch gibt es Parallelen im Mitläuferverhalten. Das Erstaunliche ist doch, daß die These von Konrad Löw ("Das Volk ist ein Trost"), die Deutschen seien im Dritten Reich mehrheitlich Nazigegner gewesen, sich ebenso belegen läßt wie die gegenteilige (und da muß es nicht gleich Daniel Goldhagen sein). Nun, demselben Phänomen begegnen wir heute wieder: eindeutige bis überwältigende Mehrheiten gegen die Reform in Umfragen (und einer Volksabstimmung), zugleich mehrheitlich beflissene bis widerborstige Folgsamkeit.

Daher halte ich Ballistols Assoziationen in diesem Fall nicht für lächerlich, und auch nicht für blasphemisch. Aus den Parallelen lassen sich durchaus Erkenntnisgewinne ziehen, sowohl für die Historiker, die darüber rätseln, wie Auschwitz möglich wurde, als auch für die Gegner der Reform, die sich fragen, wie diese möglich war. Beide Ereigniszusammenhänge erhellen einander, ohne deshalb gleich zu sein.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 29.05.2007 um 22.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8711

Ein paar Anmerkungen zu Herrn Jochems: Die "unsinnigen Getrenntschreibungen" in den Zeitungen sind keineswegs bloße Versehen. Geändert hat sich nur ihr Muster. An die Stelle etwa von "eine Tür zuzuschlagen" tritt heute eher "eine Tür zu zuschlagen" als "eine Tür zu zu schlagen". Eine Kollegin, die, von Heyse einmal abgesehen, vor ein paar Jahren noch tadelloses Deusch schrieb, hat neulich im selben Bericht einmal auf die "nebenstehende" Meldung und dann auf den "neben stehenden" Kommentar verwiesen. Versehen? Im Einzelfall immer dem Autor zugute zu halten bzw. ihm anzulasten, aber in der Masse nicht mehr. Eine Mitarbeiterin, sonst sprachlich nicht ganz unbeholfen, bot mir heute die Formulierung an, ein Bürgermeister sei "aller ehrenwert". In diesem Fall ist der Zusammenhang zwischen Schreibung und Bedeutung völlig verlorengegangen. Bedrückend auch die Beobachtung, daß gerade diejenigen freien Mitarbeiter, die lange nonsensresistent waren, inzwischen damit begonnen haben, Wörter zu zerlegen, und zwar verstärkt seit einem Jahr.

Die "Zerstörungsprozesse", von denen Eisenberg - zu Recht - spricht, greifen jetzt erst richtig; sie sind gewissermaßen an der Basis angekommen. Daran wird sich auch am 1. August nichts ändern, schon gar nicht "schlagartig". Dafür haben der Duden und in seinem Gefolge die Nachrichtenagenturen Vorsorge getroffen. Man gewinnt den Eindruck, daß derzeit alle Normierungsversuche nur noch Luftschläge sein können.

 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 29.05.2007 um 21.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8710

"Ich bin Deutscher und habe das Recht, das zu kritisieren."

Quatsch bleibt es dennoch, und erst recht typisch deutsch, zu meinen, unerfreuliche Eigenschaften, die bei Menschen jeder Herkunft angetroffen werden können, als "typisch deutsch" brandmarken zu müssen, womit man sich ja zugleich als untypischer und deshalb irgendwie besserer Deutscher ausweist. Warum halten "typisch deutsche" Menschen gewisse unerfreuliche Eigenschaften für "typisch deutsch"? Weil sie es zumeist mit deutschen Mitmenschen zu tun haben und die unerfreulichen Eigenschaften natürlich überwiegend an diesen beobachten.

Und natürlich muß wieder einmal Auschwitz herhalten als Menetekel, hier für alberne Untugenden der Leute in ihrem Berufsalltag, Gedankenlosigkeiten oder Befolgung von objektiv für sie irrelevanten Dienstanweisungen, die die Rechtschreibreform nicht verhindert haben und die sich zumeist mit schierer Unkenntnis der Problematik erklären lassen.

Wenn diese Assoziation nicht so schrecklich blasphemisch wäre, wäre sie schlicht lächerlich.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 29.05.2007 um 21.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8709

Lieber Herr Jochems,

in allem stimme ich Ihnen zu, nur nicht in Ihrer Meinung zu meiner Formulierung. Nur ein Beispiel unter sehr vielen aus meiner täglichen Praxis als Journalist:

Ein Mitarbeiter einer recht tiefstehenden Firma, die für teuer Geld kurze, aber sehr konzentrierte Beratungstexte vertreibt, schrieb mir, meine Texte seien voller Fehler (!), ich würde ja dauernd "daß" und bestimmte Kleinschreibungen anwenden.

Und da (wie anderswo) schließe ich vom Symptom auf dir Krankheit und spreche ganz offen aus, daß ich mir so einen Unsinn von einem 24jährigen Hanswurst nicht schreiben zu lassen brauche. Es ist intolerant, dünkelhaft, engstirnig und zudem gedankenlos (bis blöde), eine durch staatlichen Ukas aufgenötigte Schreibung als "gesetzlich", "richtig", "gültig" usw. und sich selbst als legalistisch und rechttuend, mich und 80 000 000 Sprachbenutzer aber als falschschreibend usw. hinzustellen.

Um es ganz deutlich zu sagen: Dieses Mentalitäts-Uhrwerk ließ US-Bomber auf dem Mörderweg nach Vietnam und Kambodscha in Deutschland auftanken, dieses Mentalitäts-Uhrwerk fertigte Züge voller Menschen nach Auschwitz ab. Es ist dieser Untertanengeist, der immer wieder aus "aufgeklärten" Bürgern tumbe Ausführungsmaschinen staatlichen Unfugs macht. Ich bin Deutscher und habe das Recht, das zu kritisieren.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 29.05.2007 um 21.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8708

Lieber Ballistol, daß die inzwischen elf Jahre währende Rechtschreib-Köpenickiade etwas mit dem deutschen Nationalcharakter zu tun hat, glaube ich auch. In Frankreich ist dergleichen vor einigen Jahren am staatsbürgerlichen Selbstbewußtsein der Franzosen gescheitert, und in England oder in Amerika würde erst niemand auf den Gedanken kommen, so etwas zu versuchen. Trotzdem meine ich, daß Sie übers Ziel hinausschießen, wenn Sie behaupten, was da vor unseren Augen ablaufe, zeuge "von ebenjener widerlichen und leider sehr deutschen Mischung aus Charakterlosigkeit und Überheblichkeit, die alle düsteren Kapitel unserer Geschichte doch erst möglich gemacht hat". Wir haben noch vor kurzem stolz auf die Umfrageergebnisse gezeigt, die der Rechtschreibreform im weisungsfreien privaten Gebrauch einen eklatanten Mißverfolg bestätigten. Die hier in letzter Zeit dokumentierten unsinnigen Getrenntschreibungen in den Zeitungen könnten doch auch pure Versehen sein bzw. auf längst überholten Rechtschreibprogrammen beruhen. Ab 1. August wird sich das Bild bei den Verbzusatzkonstruktionen schlagartig ändern. In der Schweiz geht man sogar noch mehrere Schritte weiter. Dort werden auch die unmotivierten neuen Großschreibungen verschwinden, desgleichen die (volks)etymologisch veränderten Schreibungen. Da die Schweizer unser Heyse-Problem nicht kennen, wird man dann in ihren Zeitungen die "Neuschreibungen" mit der Lupe suchen müssen. Auch wenn Peter Eisenberg mit seiner Ankündigung recht behält, daß es bei uns demnächst den angeblich "unstrittigen" reformierten Schreibungen ebenfalls an den Kragen geht, bleibt die Heysesche Verteilung von "ß" und "ss" erhalten. Leider ändert sich aber auch nichts am staatlichen Rechtschreibregelungsmonopol. Viele der vernünftigen Lösungen in Professor Icklers Normale deutsche Rechtschreibung gelten dann weiterhin als unzulässig. Lesen Sie nur nach, was im "Ickler" unter "zuviel" steht. Auf dieser Grundlage könnte man sich ein Wörterbuch vorstellen, das die in der Schreibpraxis vorkommenden Variantenschreibungen sämtlich dokumentiert, und zwar die verbreitetste jeweils vorweg. Dies würde zugleich als Empfehlung gelten und als Hinweis für das öffentliche Schreiben, wie eine einheitliche Norm aussehen sollte. Einen gebildeten erwachsenen Menschen als orthographisch unzuverlässig oder nachlässig zu brandmarken, wenn er seiner Intuition folgend "zuviele" schreibt, würde dann ebenfalls als "deutsche Mischung aus Charakterlosigkeit und Überheblichkeit" in der Versenkung verschwinden wie die Sünden der Reformer. Sie haben doch recht mit Ihrem anderenorts ausgedrückten Optimismus. Es wäre schön, wenn wir uns alle daran hielten.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 29.05.2007 um 20.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8707

Herr Kerner ist gewiß nicht ein orthographisch "beruflich an staatliche Vorgaben Gebundener". Gerade intelligente und gebildete Lehrer, die sich von der Rechtschreibreform in den Konflikt zwischen Gewissen und Existenz gesetzt sehen, müssen sich von seiner Darbietung verhöhnt fühlen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.05.2007 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8706

"Mitläufertum und Gruppenzwang am Beispiel der Rechtschreibreform" wäre doch ein schönes Thema für eine Dissertation in Soziologie.
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 29.05.2007 um 17.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8705

Wir hätten es gern auch etwas gesitteter.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 29.05.2007 um 16.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8704

Lieber Herr Jochems,

als Forumsteilnehmer, der selbst oft einen gewissen Hang zur Polemik und zu drastischen Formulierungen verspürt, stimme ich Ihnen in der Auffassung zu, daß untergriffige und beleidigende Angriffe auf unsere Gegner nicht unbedingt von bestem Stil zeugen.

Auf der anderen Seite obliegt es nicht dem Staat, den Bürgern, ob staatsbedienstet oder nicht, ihre Schreibweisen vorzuschreiben, schon gar nicht mit der Methodik und dem Nachdruck, die wir seit 1996 besichtigen mußten. Abgesehen davon bringe ich nur sehr wenig Verständnis auf für diejenigen, die aus Beamten- oder Angestellten-"Räson" Neuschreibweisen nur aufgrund gefühlten Zwangs anwenden, sich dann aber mit dem Mäntelchen des Fortschritts über "Rechtsradikale", "eitle alte Männer", "Schülerverunsicherer", "Vorgestrige", "Miesmacher und Kritikaster", "Reformverweigerer", "Zurückruderer" und was nicht noch alles, womit wir Reformgegner etikettiert wurden, erheben.

Was da vor unseren Augen abläuft, zeugt von ebenjener widerlichen und leider sehr deutschen Mischung aus Charakterlosigkeit und Überheblichkeit, die alle düsteren Kapitel unserer Geschichte doch erst möglich gemacht hat. Wenn David Weiers ob solcher Zustände sich mal eben über die Reling erbrechen muß, dann sehe ich da einen Kausalzusammenhang. Und Sie doch sicher auch.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 29.05.2007 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8703

Das Forum von "Schrift und Rede" ist zwar nicht das Sprachrohr der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, aber eigentlich sollte es den gebildeten Freunden der deutschen Sprache nicht gleichgültig sein, wenn beruflich an staatliche Vorgaben Gebundenen hier vorgeworfen wird, "mit Borniertheit und Massengehorsam gegen Vernunft und Bildung zu rebellieren, um sich selbst als das Maß der Dinge im Sumpf der Geistlosigkeit hervorzublöken".

Es gibt meines Wissens kein Internetforum der Reformbefürworter. Aber auch in anderen Zusammenhängen habe ich aus diesem Lager keine Äußerung wie die folgende gehört: "Endlich kann jeder dahergelaufene Vollidiot sich als Kenner der deutschen Sprache bis in alle Ewigkeit emporklugsch..., solange er nur fähig ist, den Willen der Obrigkeit buchstäblich bis ins letzte Komma zu befolgen. Sein Hirn wird nun endlich amtlich zum sinnlosen Ballast gestempelt, so daß er es getrost über Bord werfen kann."

 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 29.05.2007 um 13.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8702

War in den Augen der Reformeiferer vor dem erlösenden Jahr 1996 die deutsche Rechtschreibung ein Mittel der erzkonservativen Lebensfeinde, die schrankenlose Kreativität des modernen Bundesbürgers und der nachfolgenden Erlösergenerationen zu hemmen, so ist die reformierte Rechtschreibung nunmehr ein Mittel neunmal- und altkluger Medienknechte, mit Borniertheit und Massengehorsam gegen Vernunft und Bildung zu rebellieren, um sich selbst als das Maß der Dinge im Sumpf der Geistlosigkeit hervorzublöken.

Kurz: Endlich kann jeder dahergelaufene Vollidiot sich als Kenner der deutschen Sprache bis in alle Ewigkeit emporklugsch..., solange er nur fähig ist, den Willen der Obrigkeit buchstäblich bis ins letzte Komma zu befolgen. Sein Hirn wird nun endlich amtlich zum sinnlosen Ballast gestempelt, so daß er es getrost über Bord werfen kann.
...
Wir alle hier haben die Reformer falsch verstanden, denn in Wahrheit tragen sie einen erheblichen Teil dazu bei, daß die Qualen der sprachlichen und geistigen Mündigkeit endlich von uns genommen werden.
Wir sollten uns lieber jetzt schon mal was schämen, anstatt hier so rumzumurren; dank der Reformer und ihrer glorreichen Werke werden wir es in Zukunft besser haben. Ja!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.05.2007 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8701

Von Eisenberg kann man auf jeden Fall viel lernen, das habe ich doch immer gesagt.

Und das bringt mich auf eine Nachbemerkung zu Kerner: "Wie schlau ist Deutschland?" Das ist in der Tat ein sehr treffender Titel, denn "schlau" ist es unbedingt, die reformierte Rechtschreibung zu benutzen und sich gegen ihre Rücknahme zu sperren. Wr sind gesegnet mit schlauen Zeitungen, schlauen Germanisten usw.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 29.05.2007 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8699

Aus dem Siegenlernen wird nun wohl doch nichts. Dabei wären schon die Hintergrundanekdötchen in Peter Eisenbergs Greifswalder Plauderei interessante Lektüre für Besucher und Beiträger von "Schrift und Rede". Mit dem von Ballistol zitierten Satz greift der Ex-Potsdamer sogar in die gegenwärtige Diskussion um die (vorübergehend) sinnlos vermehrte Getrenntschreibung ein, aber lassen wir das. Eisenbergs Erklärung für die lange Durststrecke von 1996 bis 2006 sollte man dagegen aufmerksam lesen: "Die Kultusminister …den Kultusministern wurde es immer unheimlicher mit der Sache, weil man ja annimmt, daß die Deutschen in ihrer Obrigkeitshörigkeit nun irgendwann mal das tun würden, was von ihnen verlangt wurde in dieser Hinsicht, und niemand konnte sich erklären, daß die Leute einfach nicht das taten, was sie tun sollten." Das ist wirklich eine wichtige Lehre. Wer weiterhin Rechtschreibnormierung ohne die "Leute" betreiben möchte, sollte sie rechtzeitig beherzigen.

Dafür lieferte ausgerechnet der Unterhaltungskünstler Kerner in seiner Sendung "Wie schlau ist Deutschland?" ein interessantes Beispiel. Carmen Nebel hatte in ihrer schönen Lehrerhandschrift "zuviele" an die Tafel geschrieben. "Falsch", monierte Kerner (vielleicht sogar ohne Teleprompter). Klar, "zuviele" wird getrennt geschrieben - klassisch, reformiert und revidiert. Nun könnte es aber doch sein, daß viele "Leute" wie Frau Nebel schreiben. Was ist an ihrer Schreibung falsch? Ganz einfach: Sie verletzt die geltende Norm. Hier zeigt sich an einer ganz harmlosen Stelle der Pferdefuß aller deutschen Rechtschreibung(en). Kreative Schreiber wie Herr Krieger fordern den Erhalt von Unterscheidungsmöglichkeiten für ihre subtilen Ausdrucksbedürfnisse, allerdings nicht durch freie Wahl beim Schreiben, sondern als Vorgabe in der Norm. Unter letzterer verstand man zu Dudenzeiten die Schreibgewohnheiten der Mehrheit der Schreibenden, ohne dafür den Nachweis antreten zu müssen. Norm war eben, was das amtliche Rechtschreibwörterbuch vorschrieb, und daran hat die angeblich basisdemokratische Rechtschreibreform nichts geändert. Gesetzt den Fall, wir nähmen das Mehrheitsargument ernst. Wie stünde es dann um die Minderheit? Ganz einfach: Sie schreibt falsch. Das ist die Malaise einer Rechtschreibung, die sich ohne viel Federlesens über die "Leute" hinwegsetzt. Dieser Rigorismus wird auch nicht durch den Hinweis auf die Schreibästhetik gemildert. Professor Ickler hat weiter unten in diesem Strang Lanzen für die s-Regelung bei Adelung, bei Heyse und bei den Eidgenossen gebrochen. Ein solcher versöhnlicher Ton durchzieht auch Eisenbergs Greifswalder Vortrag. Man kann sowohl von Freunden wie von (angeblichen) Feinden siegen lernen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 28.05.2007 um 13.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8690

Eisenberg betreibt Schönfärberei und Selbstlobpreisung. In Wirklichkeit ist die Situation, vor allem durch die Übergeneralisierungen, viel schlimmer. Hinzu kommt die Untergrabung des Rückbaus durch Duden.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 28.05.2007 um 13.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8689

Vielleicht ist dies doch aufschlußreicher:

»Insgesamt kommt es mir darauf an, ganz deutlich zu sagen, daß die ganze Bewegung von 1996 bis 2006 kein Hin und Her war. Es war eine Bewegung in immer derselben Richtung. Es war eine Bewegung, die langsam, Schritt für Schritt, die Neuregelung rückgebaut hat – also kein Chaos, immer Bewegung in die gleiche Richtung – und heute stehen wir dicht vor der alten Orthographie. Etwas müssen wir noch tun. Das ß kriegen wird nicht mehr, das ist klar. Das ist weg. Obwohl das auch nicht nötig war und auch möglicherweise ein Schade für die deutsche Sprache ist. Die Akademie jedenfalls hat gesagt, damit können wir eher leben, als mit dem, was wir jetzt tatsächlich rückbauen konnten.«
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 28.05.2007 um 12.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8688

Trauriger Kernsatz:

"Aber da ist richtig ein Zerstörungsprozeß in Gang gesetzt worden."

Da hilft nun auch meine Strategie nicht viel.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 28.05.2007 um 12.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8687

Bislang ist offenbar übersehen worden, daß seit einem Monat Sigmar Salzburgs Transkription des Greifswalder Vortrags Prof. Eisenbergs ("Das Ende des Rechtschreibkriegs?") im Internet steht: http://rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=1370
Die Lektüre lohnt sich - auch mit Blick auf Ballistols Vorwärtsstrategie.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 28.05.2007 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8686

Das ist ein ganz simples Prinzip, das in der Kampfsportart Aikido zentrales Gebot ist: Man nutze die Energie des Gegners und bringe diesen durch ihre Umleitung zu Fall. Daher könnte es sinnvoller sein, weiter nach vorn zu reformieren, als den Rückzug zu fordern.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 27.05.2007 um 12.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8678

"Von den Reformern lernen heißt siegen lernen", schrieb mir vor ein paar Tagen ein wohlgemuter Mitstreiter. In der Tat, vor den Reformern war niemand auf den Gedanken gekommen, daß Rechtschreibung Spaß machen kann. Das griffen hiesige Realschüler schon im November 1996 auf, als sie die neuen Regeln so zusammenfaßten: "Ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu beschreiten bereitet offenkundig sogar einigen Spaß, ... weil bisher Richtiges nunmehr falsch und Falsches plötzlich richtig ist." Glaubt denn jemand, Gerhard Augst und sein Kreis hätten "Tollpatsch", "belämmert", "verbläuen" und das "Känguru" mit abgezwacktem "h" allen Ernstes für dringende Reformbedürfnisse gehalten? Ihnen ging es vielmehr darum, Vorgaben für lustige Rechtschreibstunden in der Grundschule zu liefern und damit die Kleinen und ihre Lehrerinnen auf ihre Seite zu ziehen. "Alles ist jetzt viel logischer", erscholl es bald aus den Schulen, und die jetzt gelegentlich laut werdende Kritik betrifft wohl eher die durch die Revision entstandene neue Komplizierung. In diesem Sinne heißt es in der Anleitung zum Siegenlernen weiter: "Ich glaube, eine saftige neue Rechtschreibreform hat jetzt bessere Chancen als ein allgemein diskreditiertes Zurückrudern ... Anderes ist unverkäuflich."
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.05.2007 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8677

Wird an den Schweizer internationalen Schulen im Fach Deutsch und im Studiengang "Deutsch für Ausländer" die Schweizer oder die "deutsche" Rechtschreibung gelehrt? Oder lernt man in der Schweiz die "deutsche" Rechtschreibung nur an den Goethe-Instituten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2007 um 10.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8676

Die Schweizer Schreibweise funktioniert natürlich auch. Sie war ja auch in Deutschland jederzeit möglich, spielte allerdings für die Schule keine Rolle, weil dort beim handschriftlichen Schreiben nie die technische Möglichkeit fehlte, das ß zu verwenden.
Jede Schrift hat irgendwo Mängel, auch die herkömmliche deutsche Orthographie. Was man an der einen Ecke spart, möchte man an einer anderen nicht missen. So waren wir mit dem ß immer ganz gut bedient. Mit Heyse geht es auch, aber ein kleines bißchen weniger gut. Die Schweizer Schreibweise ist vielleicht etwas weniger fehlerträchtig als Heyse, aber lesepsychologisch noch schlechter. Rundweg verdammen würde ich sie aber auch nicht, schon aus Respekt vor den Schweizern, die sich ja etwas dabei gedacht haben, als sie ihre Tastatur neu ordneten.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 27.05.2007 um 07.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8675

An R. M., Stichwort "konstruiert": Wenn es zur Manie wird, konstruierte Negativbeispiele anzubringen, haben Sie mit der Warnung recht.
Aber als gelegentliche Beleuchtung der schlimmen Wortbilder - von denen ja oft schon eines genügt, um einem den Appetit beim Lesen zu verderben, tun sie ihren Dienst. Auch die Reformer haben so agiert.
Alles mit "Massen", und alles zu seiner Zeit.
Negativbeispiele erhellen die abstrakte Diskussion in erwünschter und auch erheiternder Weise. Auch ich halte die eszettlose Schweizer Schreibung für eine Zumutung.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 27.05.2007 um 07.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8674

Süssspeisen müssen wir wegen der Essstörungen mit Süssstoff süssen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.05.2007 um 01.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8673

Ja, die Sätze sind konstruiert, das war vielleicht keine gute Idee.
Ich hatte es mehr als Aufzählung und Gegenüberstellung einiger markanter Wörter gedacht, um zu zeigen, wie häufig die Schweizer Schreibweise zu Mißverständnissen oder zumindest Irritationen führen kann.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.05.2007 um 23.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8672

Das Operieren mit erfundenen „Beispielen“ fangen wir hier besser gar nicht erst an.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.05.2007 um 22.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8670

Herrn Gerdes' Faustregeltheorie stimme ich zu, außer dem Punkt, daß sie mit dem amtlichen Regelwerk nicht viel gemein habe. Gerade diesem unsinnigen Regelwerk sind die "tollen" Faustregeln ja zu verdanken!
Die gängigste der neuen Faustregeln möchte ich noch ergänzen:
Im Zweifel oder bei Zeitmangel schreibe man irgendwie, denn Rechtschreibung ist nicht so wichtig.

Daß die Abschaffung des ß etwas vereinfacht hätte, halte ich aber für ein sehr schlimmes Gerücht.
Schon die Schreibung nach Heyse ist erstens nicht einfacher und hat zweitens einen früher nie dreifachen zum mit Abstand häufigsten Dreifachbuchstaben überhaupt gemacht. Und jetzt sollen auch noch süsssauer, Massstab usw. dazukommen?

Nachfolgend eine Auswahl des meiner Meinung nach katastrophalen schweizer Deutsch:

Die Sportlerinnen wurden wegen ihrer traumhaften Masse bestaunt.
Der Papst freute sich bei seinem Besuch über alle Massen.
Die Insassen sassen im Auto.
In den engen Gassen vergassen wir die richtige Adresse.
Zusammen mit den Matheassen assen wir in der Pause Frühstück.
Der Vogel sass im Fass und frass.

Max sagte zu Moritz: "Am liebsten zöge ich die Hühner durch die Esse und ässe sie auf."

Das Geschoss landete auf ihrem Schoss.
Der Kloss ist gross.
Sie gossen die Sossen ein.
Er gab dem Ross einen Stoss.
Sie schwammen mit Flossen zu den Flossen.
Alles floss am Floss vorbei.

Der Russe fragte, warum der Ofen so russe.
Ich habe einen Fussel am Fusse.
Schwarzfahrer zahlen in den Bussen Bussgeld.

Den Kaffee müssen wir süssen.
Dafür müssen wir büssen.
Viele Grüsse und Küsse ...
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 26.05.2007 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8669

Die "Liste" von Herrn Gerdes im Hinblick darauf, was die Leute sich so unter der Reform vorstellen, kann ich im großen und ganzen bestätigen. Nur beim ß beobachte ich, daß man peinlichst bemüht ist, die neue Vorschrift umzusetzen, selbstverständlich mit den zu erwartenden Fehlern (egal nach welchem Schlüssel man sie betrachtet).
Ich habe das Gefühl, daß vor allem die ss-Schreibung als das Erkennungsmerkmal der "Reform" angesehen wird. Ansonsten kann man Fehler machen, daß sich die Balken biegen: man schreibt ja reformiert und ist modern!
Herrn Gerdes' Liste wäre noch hinzuzufügen:
"Man muß möglichst viele Kommas weglassen. Wirklich nötig ist überhaupt keines."
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 26.05.2007 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8668

Die Rechtschreibreform ist bei den Leuten angekommen in Form verschiedener Faustregeln, die mit dem "Amtlichen Regelwerk" nicht viel zu tun haben. Beispielsweise:

"Heute schreibt man alles aus ein ander."

"Wenn ein Wort aussieht wie ein Substantiv, dann ist es eins."

"Wenn vor einem Wort ein Artikel steht, dann schreibt man es groß."

Eine dieser Faustregeln ist: "Das ß ist abgeschafft."

Ich bin bekanntlich harter Altschreibler und komme so nicht in den Verdacht, die BRaZ verteidigen zu wollen. Und doch habe ich Verständnis für Leute, die auf die Schweizer Art für sich das ß abgeschafft haben und stets ss schreiben. Schon vor der BRaZ haben verschiedene Leute so geschrieben. Ich nehme für mich in Anspruch, wie bisher regelhaft dort ß zu setzen, wo es nach meiner Überzeugung hingehört. Damit liege ich außerhalb der staatsverordneten Norm und meine doch, daß eine Gesellschaft nur dann freiheitlich zu nennen ist, wenn das möglich ist. Genauso muß ich nun aber auch einem Menschen, dem die BRaZ nicht weit genug geht, zubilligen, daß er nach Schweizer Art gar kein ß mehr schreibt.

Wenn man überhaupt schon die ß-Regel ändern mußte, hätte die Abschaffung des Buchstabens ohne Frage zu einer Vereinfachung geführt. Heyse hingegen ist nur so wenig einfacher als die Adelungsche Regel, daß die Verwirrung durch die Änderung die Wirkung der Vereinfachung überkompensiert. Es ist kein Wunder, daß bei der ß-Schreibung nun mehr Fehler gemacht werden als früher. Schrieben wir alle wie die Schweizer, gäbe es hier weniger Fehler, davon bin ich überzeugt.

In einem Artikel "Die Versprecherrächer" über die "Aussprachedatenbank" in der heutigen HAZ beklagt der Autor: "Wer hört heute noch einen Unterschied zwischen Gewehr und Gewähr? Zwischen Mehr und Mähr?" Mir wäre es etwas peinlich, in einem Artikel über Sprache öffentlich zu demonstrieren, daß es mit meiner eigenen Sprachkenntnis auch nicht so weit her ist (Wer schon die "gute, neue Mär" nicht kennt, könnte als Sprachwerker doch wenigstens die Verbindung zu Grimmschen Märchen ziehen). Ein heutiger Journalist aber ist diesbezüglich gestählt: Wäre ihm so etwas bereits peinlich, käme er ja vor lauter Schämen überhaupt nicht zum Arbeiten. Nein, sowas "fechtet" einen heutigen Zeitungsmacher nicht mehr an.

Sofern man versteht, was gemeint ist ...
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 26.05.2007 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8667

Tippen und Lesen

Das mühsame Suchen der Buchstaben auf der Tastatur bei ungeübten Nutzern behindert und zerstückelt den Denkprozeß zusätzlich, das ist keine Frage. Aus Eigenbeobachtung weiß ich, wie wunderbar schnelles Schreiben im Zehnfingersystem ist. Ich möchte das nicht missen! Auf diese Weise kann man Gedanken fast simultan zu Papier bringen, was mit Handschrift (Steno ausgenommen) kaum möglich wäre.
Nun darf man aber nicht vergessen, daß die heute Erwachsenen mit ziemlicher Sicherheit als Kinder in der Schule viel geschrieben haben und somit über eine automatisierte Handschrift verfügen. Und hier ist das Problem! Gegen die Reihenfolge: zuerst Handschrift, erst später Tippen und Benutzen von Computer und Keyboard, ist nichts, aber auch gar nichts einzuwenden.
Fatal wirkt sich erst die Umkehrung der Lernschritte aus: zuerst Technik, danach der Versuch der handwerklichen Durchdringung. Meines Erachtens klappt das nicht oder nur unter großen Anstrengungen.
Das eher abstrakte Lesen und Tippen setzt die Beherrschung der konkreten Schreibbewegung (Handschrift) voraus, nicht umgekehrt!

Noch ein Aspekt ist mir bei der jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Pädagogik klargeworden: Handschrift entschleunigt. Wer gezwungen ist, handschriftlich zu formulieren, muß seinen Gedankenfluß an die Langsamkeit der Hand anpassen. Er muß sich weiters Gedanken über die Struktur der Sprache machen, weil Korrekturen des handgeschriebenen Textes ungleich mühsamer sind als Korrekturen auf dem Bildschirm. Schreiben mit der Hand erzieht auf diese Weise nebenbei (heimlicher Lehrplan) zu Sorgfalt und überlegtem Handeln: hervorragende Lernziele für alle Bereiche des menschlichen Daseins!
Für das Lernen gilt: Beim langsamen Schreiben mit einem Stift werden Wörter im Kopf hin und hergewälzt, Gedanken vertieft. Für den akademischen Bildungsprozeß ist das Handschriftliche durch nichts Vergleichbares ersetzbar. (Man denke an Randnotizen, die beim Lesen eines Buches entstehen, was ebenfalls der gedanklichen Reflexion dient).
Selbstverständlich sind andere Formen der Bildung denkbar, und es ist wahrscheinlich, daß sich ebensolche in Zukunft entwickeln werden. Allerdings dürfte dies nicht schon morgen der Fall sein. Aktuell – und sicher noch auf unabsehbare Zeit – sind wir auf das Schreiben und Lesen im herkömmlichen Sinne angewiesen. Die staatlichen Schulen, von Zeitgeist und konstruktivistischer Obsession des „Allesmachbaren“ geplagt, sowie einer grenzenlosen Beschleunigung huldigend, machen einen großen Fehler, wenn sie von einem didaktischen Weg abweichen, der Generationen von Schülern zu höherer Bildung verholfen hat.
 
 

Kommentar von VS, verfaßt am 26.05.2007 um 00.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8665

FAZ.NET heute abend:

"Entgegen eines Medienberichts wird sich Jan Ullrich vorerst definitiv nicht äußern, sagte sein Manager."
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 25.05.2007 um 19.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8663

@Poomerang

Die Spracherkennung funktioniert schon jetzt recht gut (ich hatte einmal Dragon V9 mit meinem Diktiergerät im Test – die Ergebnisse waren durchaus ordentlich [abgesehen davon, daß Dragon nur NRS produziert!!!]).

Jedoch gehört zum Diktieren brauchbarer "finaler" Texte eine außergewöhnliche Selbstkontrolle. Diktierte Texte neigen dazu sich aufzublähen und in die Länge zu ziehen. Man merkt das sehr schön bei einigen Autoren, die nur noch diktieren – wie z.B. Hohlbein. Sie schaffen in kurzer Zeit viele voluminöse Romane, die man besser noch einmal in einem "Summarizer" auf 50% hätte eindampfen sollen (naja... oder die man aufgrund inhaltlicher Leichtigkeit ohnehin gar nicht erst hätte veröffentlichen sollen ;-).
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 25.05.2007 um 19.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8662

Vorschlag: Wir kippen das Bier zusammen und vergleichen es DANN. Ist erstens lustiger, zweitens verbessert es meine Chancen.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 25.05.2007 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8661

@Ballistol

Das bezweifle ich auch nicht...

Mein Punkt war da ja auch, daß das Suchen der Tasten der Produktion von lesbaren Texten abträglich ist – sofern diese nicht noch x-mal überarbeitet werden. Daher sollten "Schüler" lieber an der Qualität ihrer Texte arbeiten... und nicht an der Computertypographie.

BTW: Ich schreibe (wenn ich so richtig in Fahrt bin) mit grob 540 Anschlägen in der Minute (~9 Zeichen in der Sekunde).

Für 1800 inhaltlich brauchbare Zeichen benötige ich dann aber doch einiges mehr als nur vier Minuten ;-)
 
 

Kommentar von Poomerang, verfaßt am 25.05.2007 um 18.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8660

Zwar hat sich in der Spracherkennung und Sprachsynthese in letzter Zeit einiges getan. Ich halte das aber ehrlich gesagt für Phyrrussiege. Man hat Rechner soweit im Griff, daß sie eindeutige und einigermaßen gutmütige formale Sprachen vernünftig verarbeiten können. Natürliche Sprache - soweit es über eine Bedienungsanleitung hinausgeht - lebt vom Kontext.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 25.05.2007 um 18.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8659

Die Klemperer-Tagebücher waren auch für mich eine überwältigende Lektüre. Zum Verständnis deutscher Geschichte und der Untertanenmentalität sind Klemperers Erinnerungen unentbehrlich.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 25.05.2007 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8658

Lieber Herr Lindner,

ich wette einen Kasten Bier, daß ich mit drei Fingern schneller auf der Tastatur schreibe als Sie blind mit 10.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 25.05.2007 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8657

Der globale IT-Crash wird nicht kommen. Und selbst wenn... die PCs (die "Persönlichen Computer" unter dem oder auf dem Schreibtisch) werden von einem möglichen Crash kaum betroffen sein...

Was aber das Tippen angeht... hier muß man zwischen dem Blindschreiben und dem Adler-Suchsystem unterscheiden (sage ich als schneller Blindschreiber). Wenn man blind schreibt, dann braucht man ein Wort nur zu denken und es steht auf dem Papier... wenn man aber die Buchstaben suchen muß, dann geht m.E. zu viel "Gehirnleistung/Aufmerksamkeit" verloren, die der Schreiber besser in Satzbau oder Stil oder Rechtschreibung investieren sollte. Daher meine Meinung: In der Schule nur handschriftlich mit Füller (und nicht mit Kuli)... und ab der 7. oder 8. Klasse einen Maschinenschreibkurs (z.B. bei der VHS -- nur wenn man für das Unbequeme auch bezahlt, kann man es würdigen und gibt sich entsprechend Mühe).

Und mal ganz ehrlich... was sollte es schon bringen, wenn man Zehnjährigen beibringt, wie sie die Nullinformationen in ihren Referaten mit Powerpoint schön bunt aufhübschen können?!

PS: Der ferne ferne Trend geht sowieso zur Spracherkennung... und diese wird dank eigener Komplexität in Verbindung mit den Korrekturprogrammen (und den vielleicht noch dazwischengeschalteten Übersetzungsprogrammen in eine Metasprache) das Rechtschreibchaos erst vollständig perfekt machen. Und wer dann ohne das Wissen der guten alten Rechtschreibung aufgewachsen ist, der wird sich gar nicht vorstellen könne, wie schön die Welt einmal war!
 
 

Kommentar von A. G., verfaßt am 25.05.2007 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8656

Schreiben Sie mich bitte auf die Liste. Danke.
 
 

Kommentar von Tanja Gerber, verfaßt am 25.05.2007 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8655

Ist ein globaler IT-Crash denkbar?

Spätestens bei einem Angriff von Computerterroristen auf die Stromversorgung wird sich zeigen, wer über Kenntnisse der Sprache verfügt. Meines Erachtens kein Szenario, sondern eine Frage der Zeit.
 
 

Kommentar von A. G., verfaßt am 25.05.2007 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8654

Hierzu drei Bemerkungen.

1. 1997 fand in einer großen Österreichischen Nationalbibliothek ein Kurs "Transkription von Kurrentschriften" statt, in dem das Lesen dieser Schriften auf dem Wege des Schreibens eingeübt wurde. Das hat hervorragend geklappt.

2. Im Kindergarten war neulich der Zahnarzt und gab Auskünfte. Er propagiert das maschinelle Putzen. Frage eines Eltern, ob es nicht besser sei, wenn das Kind erstmal das manuelle Zähneputzen lerne. Antwort: Er wisse keinen Grund, wieso es irgendwann keine elektrischen Zahnbürsten mehr geben sollte. (Vermutlich wäre ein Gespräch übers Schreiben ähnlich verlaufen.)

3. Ich bin wahrlich kein Freund davon, den Rechtschreibterrorismus mit der Nazizeit zu vergleichen, weil mir das verharmlosend vorkommt. Gegenwärtig lese ich aber die Klemperer-Tagebücher, bin jetzt im Sommer 34, und die hündische Euphorie deutscher Biederleute beim Mitmachen erinnert mich doch alle paar Seiten sehr stark an die sprudelnde Servilität heutiger Menschen, die z. B. "Kuß" für "falsch" erklären. Der deutsche Michel ist eben so und bleibt eben so, bis ihm ein Prätorianer sagt, "Kuß" sei wieder richtig.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 25.05.2007 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8653

Grundsätzlich sollte man sich über das Chaos freuen - denn irgendwann wird es selbst denen zu bunt werden, die einst für die "Befreiung" der Orthographie stritten. Es läßt sich leicht vorhersehen, daß die jetzige Form der Rechtschreibung buchstäblich unbeherrschbar wird. Kein Korrekturprogramm wird das jemals in den Griff bekommen. Rechtschreibung wird mehr und mehr Maschinen überlassen - der kurzsichtige Vorteil dabei ist langfristig ein großer Nachteil. Vor kurzem las ich, was ich an mir selbst schon lange beobachtet habe: Schreiben mit der Hand (also ganz ohne Maschine) erzeugt eine spezielle Vertrautheit mit Schrift. Ich zitiere - in Originalrechtschreibung:
"In ihrer aktuellen Ausgabe (03/2007) gibt die Zeitschrift Gehirn & Geist u.a. ein Antwort auf die Frage warum Kinder besser mit der Hand als an der Tastatur schreiben lernen. Der Artikel nimmt Bezug auf Forschungsergebnisse im Schriftspracherwerb aus Frankreich.
Die Untersuchungen aus Frankreich beziehen sich auf Untersuchungen der Hirnaktivitäten an Schulkindern. Zusammengefasst kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass das Gehirn beim Schreiben mit der Hand den Bewegungsablauf automatisiert und diesen mit dem Buchstaben "ablegt". Diese abgelegten Informationen der Bewegung werden demnach auch beim Lesen aktiviert. Demnach sollten Kinder auf jeden Fall Schreiben mit der Hand lernen und nicht an der Tastatur.
...
Die Bewegung, die zum jeweiligen Schriftzeichen gehört, wird offenbar als sensomotorische Erinnerung im Gehirn abgelegt. Wir nehmen demnach Zeichen nicht nur visuell wahr, sondern auch durch die Simulation der Schreibbewegungen. Was wiederum bedeutet: Lesen ist "inneres Schreiben" - unter der Beteiligung eines ausgedehnten neuronalen Netzwerks.
Vermutlich entsteht dieses Netzwerk, wenn Kinder das Lesen gleichzeitig mit dem Schreiben lernen. Denn dann prägen sich die Kleinen die visuelle Form eines Buchstaben gleichzeitig mit seiner Aussprache und der jeweiligen Bewegung ein. Beim Tippen auf einer Tastatur klappt dies hingegen nicht: Jede Taste kann mit einem ganz willkürlichen Handgriff betätigt werden.
Schon Sechsjährige pflegen mittlerweile die Kommunikation via PC. Warum lernen sie das Schreiben nicht gleich auf der Tastatur? Antwort: Weil ihr Gehirn dabei kaum sensomotorische Reize empfängt. Die Handschrift ist daher unabkömmlich und sollte bevorzugt trainiert" werden."
(Quelle: Gehirn und Geist 03/2007)

Was in diesem Artikel nicht erwähnt wird, ist die negative Wirkung, die automatische Korrekturprogramme generell auf das lernende Kind (und auch auf erwachsene Personen) haben: man bemüht sich gar nicht mehr erst um das richtige Schreiben, ja man bekommt überhaupt nicht mit, WAS man schreibt, weil eine Geisterhand alle "falschen" Buchstabenfolgen sofort in "richtige" verändert. Ich habe es schon an anderer Stelle gesagt: langfristig ist dies der Weg in die Entfremdung des Menschen von der Schrift. (So gesehen ist es doch ein Segen, daß es Piktogramme gibt!)

Die Rechtschreibreform beschleunigt die Erosion der Lesefertigkeit bei jenen, die nicht bewußt entgegensteuern. Wenn Lesen als "Schreiben im Kopf" gilt, dann sieht es wohl in vielen Köpfen schon ganz schön turbulent aus.
 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 25.05.2007 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8652

Die Taliban der neuen deutschen Orthographie stecken jeden Text, der noch ein "daß" enthält, in eine Burka und köpfen seinen Verfasser. So lassen sich das Chaos und die Kopflosigkeit in den Redaktionen erklären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2007 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8651

Sehe gerade, daß im Fernsehen Leute getestet wurden, u. a. in Rechtschreibung. Von einem gewissen Herrn Kerner (sieht nicht so aus, daß er mich von meiner Fernsehabstinenz abbringen könnte) lassen sich erwachsene deutsche Menschen belehren, "Kuß" sei falsch. Tröstlich zu lesen dagegen: "Johannes B. Kerner wusste alles - konnte es allerdings auch von Telepromter ablesen." Von Telepromter! Na, dann ist ja noch Hoffnung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2007 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8650

Hier noch zwei kleine Beobachtungen aus dem SZ-Magazin von heute:

Elfriede Jelinek sagte ein Mal, sie sei ... (SZ Magazin 25.5.07)

Das Verbot von jedesmal zusammen mit den anderen Unklarheiten unter dem Stichwort mal/Mal scheint dazu geführt zu haben, daß viele nun auf Nummer Sicher gehen und ausnahmslos getrennt und groß schreiben. Jedenfalls bevölkern nun unzählige Mal die Texte.

auch das sollte uns zu Denken geben.

Das ist die Folge der Schrodtschen "universalgrammatischen" Regel, daß nach Präpositionen nur Substantive stehen können.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.05.2007 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8649

Jetzt haben auch wir einen Ausländertest: Wer "Strasse" mit kuzem [a] spricht. Die Niederländer haben ja schon den Deutschen-Test: Wer "Scheveningen" mit [sch] statt [s-x] spricht.
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 25.05.2007 um 10.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8648

Ich denke hier eher an Amerikaner, Japaner und Chinesen, die schon mit den 26 Standardbuchstaben ihre Probleme haben ;-)
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 25.05.2007 um 09.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8647

internationale Kundschaft aus der Schweiz?
 
 

Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 25.05.2007 um 09.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8646

Ich denke, daß die "Strassen" etwas mit internationaler Kundschaft zu tun haben ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2007 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8645

Bei den "heissen" Frauen, die uns mehr oder weniger unerwünscht in Mails und anderswo angeboten werden, ist das Doppel-s praktisch längst zur neuen Norm geworden. Aber es gibt noch andere Bereiche, z. B. wenn man in Wien nach Hotels sucht. Da stellt man schnell fest, daß die meisten an irgendwelchen "Strassen" liegen, obwohl in der näheren Umgebung der Buchstabe ß durchaus noch Verwendung findet. Seltsames Mißverständnis der angeblich so idiotensicheren Heyse-Regel.
 
 

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