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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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05.07.2007
 

Widerspruch
Was kümmert uns der alte Duden?

Ich möchte an dieser Stelle einen Satz von Herrn Jochems aus dem Diskussionsforum aufgreifen und nochmals meinen Standpunkt erklären.
Er hat geschrieben: "Es fragt sich nur, ob der weitere Rückbau des 'neuamtlichen Regelwerks 2006' (so Herr Zehetmair in der kürzlichen Pressekonferenz) der richtige Weg ist, oder ob eine neue und diesmal kompetente und ungegängelte Reformkommission die zuletzt übliche Dudenorthographie behutsam sichten und modernisieren sollte."

Meiner Ansicht nach ist der Begriff "die zuletzt übliche Dudenorthographie" ein hölzernes Eisen. Es muß entweder heißen "die zuletzt übliche Orthographie" oder "die letzte Dudenorthographie" (vor 1996). Und ich bin eben seit je der Meinung, daß wir den alten Duden vergessen und die zuletzt übliche Rechtschreibung empirisch erfassen und dann der Allgemeinheit zur Nachahmung anempfehlen sollten. Dann kommen gute Texte heraus.

Dem alten Duden ist eigentlich nicht vorzuwerfen, daß er sich in allzu fein gesponnene Einzelregelungen verloren hatte. Damit mochte sich immerhin auseinandersetzen, wer Lust dazu verspürte. Das Problem lag in der staatlichen Autorisierung. Erst dadurch wurden die Feinheiten, die Herr Krieger manchmal befolgte und manchmal sicher auch nicht, zu Waffen in der Hand unverständiger Deutschlehrer – derselben, die jetzt wieder mit den neuen Regeln herumfuchteln und meiner Tochter "leid tun" anstreichen!

Ja, ich weiß, "den Duden auskämmen" - diese Parole von Christian Meier habe ich auch manchmal verbreitet. Aber mein eigener Versuch hat mich überzeugt, daß man den alten Duden nicht braucht, um die in Deutschland übliche gute Rechtschreibung zu ermitteln.



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Kommentare zu »Widerspruch«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2019 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#42569

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1044#25451

Das erwähnte Buch von Antje Dohrn sollte ich wohl doch genauer kennzeichnen. Ich hatte seinerzeit notiert:


50 leichte Diktate in der alten & neuen Rechtschreibung. 2. Aufl. Berlin: Urania 1997.
(Einführung von Prof. Dr. Christian Stetter.)

S. 7 schreibt Stetter, daß er der Neuregelung in einigen Punkten folgt, in anderen nicht. „Das ist mein gutes Recht, und insofern hat die Neuregelung in jedem Fall ein Gutes: Vieles ist in der Rechtschreibung jetzt nicht mehr einfach ´richtig´ oder ´falsch´, weil es die Wahl zwischen Varianten gibt.“ Aber die Wahl zwischen Varianten hat gar nichts zu tun mit Stetters Freiheit, der Neuregelung teils zu folgen und teils nicht. In diesem Sinne gibt es dieselbe Freiheit, die es außerhalb der Schule immer gegeben hat. „Daß nun die Erste Hilfe erste Hilfe und das Ohmsche Gesetz ohmsches Gesetz geschrieben werden sollen, ist kein Fehler der Regelung, sondern der Regelanwendung: In beiden Fällen handelt es sich klarerweise um Eigennamen, und auch nach der neuen Regelung müßten die Wörter erstes und ohmsches hier großgeschrieben werden.“ (9) - Stetter dürfte der einzige sein, der Erste Hilfe für einen Eigennamen hält. Vgl. übrigens S. 20: brandtsche Ostpolitik, luthersche Thesen.

12: am Sonntag abend, am Montag morgen - das ist nicht die bisherige Schreibweise.
13: Nicht die „Substantive“ angst usw. werden in Verbindung mit sein usw. klein geschrieben, sondern einige davon sind ausdrücklich Adjektive (z.B. pleite). „Paarformen“ (sic) zur Bezeichnung von Personen - das ist eine Kategorie, die im Regelwerk nicht vorkommt, vgl. meine „Verborgenen Regeln“. - „Adjektive in festen Verbindungen werden großgeschrieben“ - das trifft auf die Neuregelung nicht zu, vgl. erste Hilfe usw.!
17: machte ihn Bange - das ist falsch, nur beim Dativ kann das Substantiv stehen.
ausser Acht
20/21: auf Englisch schrieb, und ... - dieses Komma ist alt und neu falsch!
24, 25: Wenn / Wenn - was hat sich da verändert?
25: aufs Genaueste - hier müßte die klein geschriebene Variante verzeichnet werden.
35: Platitüde soll gerade keine erlaubte Variante mehr sein (nur Platitude).
36: Happy End war nicht die bisherige Schreibung.
37: Die Trennung Faib-le ist originell (schwäbisch?). - Klub ist keineswegs Neuschreibung! Scharme (im Text und im Kasten) ist falsch (und die Trennung dieses Einsilblers auch).
43: (im Kasten:) verbleuen
46/47: „Das Zeichenass“ - wieso groß geschriebener Artikel?
56: zulasten war bisher keine zulässige Schreibung. verborgenbleiben wurde nicht zusammengeschrieben!
57: im Maschine schreiben (!) - Gewinnbringend kann gerade auch zusammengeschrieben werden!
61: Die Zulässigkeit von weitreichend ist fragwürdig, da die Beliebigkeitsklausel § 36E2 diesen Fall nicht abdeckt.
63: Ob es ihm leicht gefallen ist ... (oblig. Komma fehlt!)
67: Gewinn bringend - s.o.
69: zum Klavier spielen
69: Komma nach erfuhr fehlt!
71: süss (2mal); Leichtathletik-Wettkämpfe konnte auch bisher schon mit Bindestrich gegliedert werden.
71: Oblig. Komma fehlt (5. Zeile v.u.)
77: hängenlassen
89: Türschloß
99: aufs neue ist keine zulässige Variante (nur bei Superlativ)
107: wichtig-sten
110: an manchem Sonntag nachmittag
111: lä-stig
Literaturverzeichnis: Küttel = Nerius und Plüschel = Püschel
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 30.12.2007 um 19.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#11068

Zum Beitrag verfaßt von Wolfram Metz am 14.07.2007 um 03:58 Uhr:

Sehr geehrter Herr Metz,

das Jahr neigt sich dem Ende zu, und ich möchte Ihnen die Antwort auf Ihre Fragen aus #9506 nicht schuldig bleiben.

Ein ''namenloser Zeitgenosse'' bin ich sicher nicht, weder im ''richtigen Leben'' noch hier im Forum. Auch ein ''Nickname'' bzw. Pseudonym ist ein Name! Daß diese Namen auch auseinanderklaffen können, hat Urs Bärlein im Beitrag #9507 sehr schön dargelegt. (Der Begriff ''Deckname'' trifft die Sache nicht, denn er macht Assoziationen zu Sachverhalten, die definitiv nicht zutreffen. Auch ''Nickname'' trifft es nicht ganz, denn da weiß man – zumindest im Alltagsleben – zumeist den richtigen Namen, aber in Internetforen muß das nicht immer so sein.) Es geht nicht darum, mir das, was ich sage, nicht ''anrechnen'' zu lassen. Jeder kann hier meine Beiträge kommentieren oder Fehler darin aufzeigen. Nach Möglichkeit werde ich dann dazu Stellung beziehen. Letztlich können nicht genehme Beiträge von den Moderatoren gelöscht werden.

Ich habe früher – in einem anderen Rechtschreibforum – unter meinen richtigen Namen, aber nicht angemeldet, da ich mich damals mit solchen Dingen noch nicht auskannte, Beiträge eingestellt. Ich war ziemlich verärgert von der Arroganz einiger weniger Mitdiskutanten, die offenbar nicht verstehen können, daß sich auch Leute, die von Sprachwissenschaft und Germanistik nichts verstehen, für Rechtschreibfragen interessierten und eine Meinung haben, die offenbar von der gängigen Lehrmeinung in diesen Forum abwich. (Dies bezieht sich nicht auf Herrn Ickler, der wenigstens versucht hat, mit mir zu diskutieren, auch wenn wir aneinader vorbeigeredet bzw. -geschrieben haben.) In einem weiteren Rechtschreibforum war die Situation ähnlich bzw. noch schlimmer. Auch wenn ich dort nie meinen richtigen Namen benutzt hatte, so stellte ich fest, daß es dort schon jemanden gab, der zufälligerweise genauso hieß wie ich.
Von daher war es sinnvoll, bei einem Pseudonym zu bleiben, auch wenn sich das von dem hier benutzen unterschied. Das bedeutet aber nicht, daß ich mich deswegen anders geben oder anders argumentieren würde, von dem, was ich hier gelernt habe, einmal abgesehen. Ich spiele hier keine Spielchen, ich sage meine Meinung, dafür sind Foren ja da! Ich denke, daß dies auch von meinen Beiträgen rübergekommen sein sollte.

<<Welche Konsequenzen hätten Sie, „Pt“, zu befürchten, wenn Sie sich hier zu erkennen gäben?>>

Anfänglich wollte ich – neben dem Thema Rechtschreibung – einen Themenbereich ansprechen, der zwar nicht direkt damit zu tun hat, aber doch in einem gewissen Zusammenhang mit Schule steht: dem Thema Mobbing an deutschen Schulen. Ich selber bin ein Opfer dieses ''Phänomens'', auch wenn das damals noch nicht so hieß. Es wurde damals nicht ernstgenommen. Es kann aber Leben zerstören, wenn es von Eltern und Lehrern und nicht zuletzt von anderen Mitschülern, die helfend eingreifen könnten, übergangen wird.
Jemand sagte mir mal, daß ich wegen ''Verleumdung'' belangt werden könne, wenn ich öffentlich sagen würde, was mir damals angetan wurde.
Wenn Opfer noch nicht mal sagen dürfen, was man ihnen angetan hat – armes Deutschland! Das zu den möglichen Konsequenzen.

Einmal fragte ich mich im Mathematikunterricht – es dürfte in der 8. Klasse gewesen sein –, wie ich denn diesen schwierigen Stoff verstehen können soll, wenn ich dauernd geärgert werde. Ähnliches könnte in diesem Zusammenhang auch von der Rechtschreibung gesagt werden. Die Moderation ist zwar bestrebt, die Diskussion nicht vom Thema Rechtschreibung abgleiten zu lassen, was bis zu einem gewissen Grad verständlich ist, aber wenn man über die Schwierigkeit von Rechtschreib- bzw. Deformschriebregeln diskutiert, dann sollte man sich bewußt sein, daß das Verständnis von Unterrichtsstoff nicht nur von der Schwierigkeit des Stoffes selbst abhängt, sondern auch von weiteren Faktoren. Schultests wie PISA sagen wenig aus, wenn man nicht so ehrlich ist, auch Faktoren wie den Grad von Mobbing an den Schulen mit eingehen zu lassen, soweit dies überhaupt feststellbar ist. Eine Möglichkeit dafür ware die Anzahl der Schüler pro Schule.
In einer Zwergschule in einer kleinen Stadt in Finnland wird es wohl weniger Mobbing geben als an einer unübersichtlichen deutschen Gesamtschule mit über 2500 Schülern.

<<Oder anders gefragt: Welchen Vorteil versprechen Sie sich von Ihrer Anonymität?>>

Zumindest gab es bereits einen Vorteil: Ich konnte nicht von Herrn Glück mit der Mitgliedschaft in einer Diskussionsgruppe zwangsbeglückt werden und wurde daher auch von entsprechendem Spam verschont. Und selbst wenn Herr Glück das Pseudonym ''Pt'' eingetragen haben sollte – ich habe dies nicht nachgeprüft –, so bin das nicht ich, denn außerhalb dieser Webseiten hier erhebe ich keinen Anspruch darauf.

Ich habe mir von meiner Anonymität niemals einen Vorteil versprochen, sie dient dem reinen Selbstschutz. In diesem Forum bedeutet sie sogar einen Nachteil, denn ich kann nicht überall Einträge einstellen. Dies zur Anonymität.

Herr Metz, ich denke, ich habe ihre Beiträge sehr wohl verstanden. Man sollte nicht immer Unverständnis unterstellen, wenn einem die Schlußfolgerungen anderer aus den eigenen Beiträgen nicht gefallen
oder man sich in die Nähe von Leuten gerückt sieht, in deren Nähe zu sein hier als nicht schicklich gilt.

Selbst wenn Sie ''sich mehr oder weniger regelmäßig'' am Gedankenaustausch hier beteiligen, so können Sie nicht erwarten, daß jeder der hier Eintragenden alle Beiträge, die auch über verschiedene Themen berstreut sein können, liest und sich von jedem Autor ein konsistentes Bild macht. Dies geht schon wegen der Masse der Einträge nicht. Ich denke auch, daß es nicht nötig ist, sich hier zu einer ''Lehre'' zu bekennen, da es meines Erachtens Sinn und Zweck dieses Forums ist, die einzelnen Ansichten zu diskutieren, ihre Möglichkeiten auszuloten und ihre Vor- und Nachteile
herauszustellen. (Auch ich habe schon – gegen erbitterten Widerstand – versucht, einen ernüchternden Blick auf die ''Zauberformel'' Deskription zu werfen. Genau dieser ''erbitterte Widerstand'' aus den eigenen Reihen ist es, der es mir geraten erscheinen läßt, weiterhin anonym zu bleiben.) Was fehlt ist die Fähigkeit, sich in die Argumentation des anderen hineinzudenken und sie nachzuvollziehen, selbst wenn sie anfänglich im Widerspruch zur eigenen Meinung zu stehen scheint. Vielleicht stellt sich dann heraus, daß dies gar nicht der Fall ist, daß der andere nur einen anderen Aspekt einbringt, den man selbst gar nicht wahrgenommen oder als vernachlässigbar angesehen hat.

 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 25.07.2007 um 18.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9792

Vielleicht ist dennoch eine Entschuldigung angebracht und gestattet. Es war überhaupt nicht meine Absicht, Herrn Jochems persönlich anzugehen, doch ist da irgendwo sogar das Wort "Windhundmanier" gefallen. Das möchte ich zurücknehmen. Ich bin mir sicher, Herr Jochems ist ohnedies souverän genug, darüber zu lachen, wenn er sich davon nicht angesprochen fühlt. Mir schien, Herr Jochems bediene sich mal hier, mal dort an Argumenten, wie es eben gerade möglich und geboten scheine, und so habe ich da bisweilen in seinen Beiträgen eine klare Linie vermißt, was es mir nicht immer leichtgemacht hat, seinen Gedanken zu folgen.

Na gut. Meine "Wut" ist inzwischen wieder verraucht, wie sie es immer tut, wenn ich mich anderen Dingen als der RSR zuwende. Mir ist sehr bewußt, daß ich hier eigentlich nicht hingehöre -- ich wollte mir nur einmal einen Überblick darüber verschaffen, was die Vorhut der Gegner dieser Reform sich so mitzuteilen hat, und ich bin zum großen Teil wirklich beeindruckt von der Qualität der Schriften in diesem Forum. Ich möchte da überhaupt nicht weiter stören und gedenke mich zurückzuziehen. Vielleicht werde ich noch einmal die eine oder andere Wortmeldung wagen, doch bin ich -- endlich -- wieder anderweitig beschäftigt.

Es war mir ein großes Vergnügen, eine Ehre auch, hier für eine Weile mitlauschen zu dürfen.
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 24.07.2007 um 22.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9781

Aus technischen Gründen (weil dieser Eintrag mit Kommentaren regelrecht überfrachtet ist) sollte die Diskussion besser an anderen Stellen fortgeführt werden. Danke.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 24.07.2007 um 22.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9780

#9771 Frau Karin Pfeiffer-Stolz am 24.07.2007 um 06.53 Uhr
„Es kann nicht abgeschlossen sein, was sich nicht abschließen läßt.“

Dieses „um jeden Preis durchsetzen“ erinnert mich sehr stark an Anselm von Feuerbachs Buch über Kaspar Hauser. Jenes Menschen, der von frühester Kindheit an bis ungefähr zum sechzehnten Lebensjahr in einem Verlies gehalten wurde, ohne allen Verkehr mit der Welt und erst am 26. Mai 1828 entdeckt wurde, als er eine Strasse in Nürnberg entlangstolperte.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 24.07.2007 um 21.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9779

Die ewig wiederholte Litanei "Jetzt ist es zu spät" wird nicht dadurch richtiger, daß Kritiker der Reform sie aufgreifen. Es ist ja keine Tatsachenfeststellung, sondern eine Meinungsäußerung und oft auch eine verkappte Willenserklärung.

Vor allen Dingen angesichts dessen, daß es um 1996 von interessierter Seite hieß, jetzt sei es zu früh. Man müsse jetzt erst einmal sehen und könne dann vor der endgültigen Einführung nochmals über Änderungen diskutieren.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 24.07.2007 um 17.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9778

Der Titel "Rechtschreibung und Grammatik - leicht gemacht" offenbart seine Hintergründigkeit, wenn man ihn prosodisch so liest, wie er geschrieben. Er ließe sich wie folgt fortsetzen: "... und für zu leicht befunden".

Bleibt nur noch die Frage, kann man Grammatik jemandem "leichtmachen"? Doch nur, indem man sie, wie jetzt erst einmal die Schreibung, umkippt. Keine Angst! Es geht nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2007 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9776

Wenn es noch eines Beweises bedarf, liefert ihn der gerade überall angekündigte neue Dudenband "Rechtschreibung und Grammatik - leicht gemacht". Schon der Titel enthält mit der Getrenntschreibung "leicht machen" die Kampfansage an den Wahrig (der Zusammenschreibung empfiehlt) und eigentlich auch an den Rechtschreibrat, der sich ja die meiste Zeit damit befaßt hat, die herkömmliche Zusammenschreibung wiederzuzulassen - warum wohl? Doch nicht, damit der Duden sie umgehend wieder aus dem Verkehr zieht! Man sollte es Zehetmair vorlegen, damit dieser es "dem Eisenberg" (Z. über E.) weiterreicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2007 um 15.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9775

Die ewig wiederholte Litanei "Jetzt ist es zu spät" wird nicht dadurch richtiger, daß Kritiker der Reform sie aufgreifen. Es ist ja keine Tatsachenfeststellung, sondern eine Meinungsäußerung und oft auch eine verkappte Willenserklärung. Betrachtet man die amtlichen Reformtexte und die halbamtlichen Wörterbücher, dazu die Praxis der Zeitungen usw., so muß man feststellen, daß die "neue" Rechtschreibung noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Zehetmair und die Seinen behaupten zwar das Gegenteil, aber es ist nachweisbar falsch. Insofern verstehe ich nciht, warum es "zu spät" sein soll.
 
 

Kommentar von R. H., verfaßt am 24.07.2007 um 13.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9774

Ich habe mein Interesse und, ehrlich gesagt, mich selbst nur mühsam wachgehalten.

So ein Satz wäre bei (je nach Bedeutung) unterschiedlicher Betonung des Verbs doch gar nicht möglich.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 24.07.2007 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9772

Die Angriffe gegen die Duden-Angaben zur Betonung verstehe ich nicht. Die genannten Beispielsätze würde ich jedenfalls ähnlich intonieren.

Allerdings teile ich die Bedenken gegen eine alleinige Herleitung der GZS aus solchen Betonungen schon.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 24.07.2007 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9771

Zu Wolfgang Wrase:
Wir leben immer im Hier und Jetzt. Es fällt uns schwer, die Zeitabläufe in unser Denken einzubeziehen. Wie oft meinten Menschen schon, eine Angelegenheit sei ein für allemal abgeschlossen! Wie oft müssen wir erkennen, daß wir uns irrten! Man sitzt wie eine Maus im Krug und blickt nicht über den Rand der Zeit hinweg. Die tatsächlichen Ereignisse von heute werden erst die Historiker bewerten, die gerade erst geboren sind. Rückblickend können sie die Zeitkonstante zu erkennen und Geschehnisse einordnen.
Es ist nicht alles gesagt und schon gar nicht alles getan. Es kann nicht abgeschlossen sein, was sich nicht abschließen läßt.
Die künstliche Schreibung funktioniert nicht. Je mehr Personen sich anschließen, desto großer das Werk der orthographischen Wirren - und - der Neuordnung. Man sollte nie zuviel nach dem Sinn fragen und statt dessen tun, wozu es einen drängt. Verzagtheit und Kleinmut sperren wir in ein privates Kästchen.

Ich will mit Novalis schließen:
"Der Mensch besteht in der Wahrheit. Gibt er die Wahrheit preis, so gibt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verrät, verrät sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen – sondern vom Handeln gegen Überzeugung."
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 23.07.2007 um 23.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9770

Auch im letzten unreformierten Rechtschreibduden finden sich noch frei erfundene Betonungsunterschiede in rauhen Mengen. Eine kleine Kostprobe:

der Wortlaut ist bekanntgeworden,
aber: ich bin bald mit ihm bekannt geworden;

er ist bei dieser Nachricht kaltgeblieben,
aber: das Wetter war kalt geblieben;

er ist auf seiner Ware sitzengeblieben,
aber: er soll auf seinem Platz sitzen bleiben;

ich habe sein Interesse wachgehalten,
aber: er hat sich mühsam wach gehalten.

Ich kann mir keinen Grund denken, warum die Dudenredaktion ausgerechnet im Fall verloren geben zur Vernunft gekommen sein soll und sonst nicht. Ausgeschlossen ist dies freilich nicht, denn unbegründete Einzelfallregelungen sind ja im Duden nicht selten.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 23.07.2007 um 23.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9769

Sehr geehrter Herr Metz,
die von Ihnen gesehene Differenzierung zwischen "weitgehend" und "weit gehend" empfinde ich so nicht.
Ich schreibe so gut wie immer "weitgehend" zusammen, weil es schon ein vollgültiges Adjektiv ist, was an der Steigerbarkeit und am prädikativen Gebrauch erkennbar ist. Verblüffend fand ich die Getrenntschreibung im Vergleich zur später üblichen. Zu einem Vergleich mit der sonst im 19. Jahrhundert üblichen Schreibung fehlt mir die Kompetenz.
Wenn hier eine Differenzierung möglich ist, so läge sie nach meinem Empfinden eher in folgendem: Was mich verblüffte, war das sehr Weitgehende der Getrenntschreibung, nicht etwa die Getrenntschreibung an sich, die gewissermaßen zufällig auch sehr weit geht. Der Unterschied liegt im determinierenden oder rein akzessorischen Gebrauch des Attributs.
Ein anderes Beispiel: Die "notleidende Bevölkerung" bedeutet m.E. "derjenige Teil der Bevölkerung, der Not leidet". Das kann natürlich auch die ganze Bevölkerung sein. Die "Not leidende Bevölkerung" kann dagegen nur bedeuten, daß die gesamte Bevölkerung Not leidet.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 23.07.2007 um 23.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9768

Nanu, ist Erich Fried in stst wiederauferstanden?

Das lyrische Produkt berührt mich mit seiner Nachdenklichkeit. Das Tastende, Vorsichtige, das sich in den Fragen ausdrückt, gefällt mir. Erlauben Sie mir dennoch, stst, daß ich die darin enthaltenen Gedanken kritisch betrachte.

Ich glaube sehr wohl, daß die hier Versammelten für die Veränderungen empfänglich sind, die die Ausbreitung der reformierten Schreibweisen mit sich bringt. Wir erkennen an (= nehmen zur Kenntnis), daß sich sehr viele mehr oder weniger umgestellt haben, zunächst natürlich unter äußerem Zwang, zunehmend "freiwillig", das heißt, aus der Vorstellung oder dem Gefühl heraus, man müsse sich jetzt ebenfalls umstellen, also unter inneren Zwängen. Daß diese Anpassungsentscheidungen jeweils als Zustimmung zur Rechtschreibreform gewertet werden können (bewußte Bevorzugung bestimmter Schreibweisen, Anerkenntnis der staatlichen Regelungsgewalt etc.), ist also sehr fraglich.

Die Verwendung ungebräuchlicher Schreibweisen ist nicht sinnvoll, die Verwendung gebräuchlicher Schreibweisen ist sinnvoll; insofern stimmt die zugespitzte Sentenz, aus Unsinn werde mit der Zeit Sinn (allerdings nicht plötzlich, sondern eben mit der Zeit, also sehr allmählich). Auf einem anderen Blatt stehen Schreibweisen wie heute Abend; diese Schreibung unterstellt, daß der Schreiber in Abend ein Substantiv sieht. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals so bescheuerte Schreibweisen zu verwenden, es sei denn, ich bin in bestimmten Konstellationen dazu gezwungen. Bei anderen reformierten Schreibungen kann man sich auch nur an den Kopf greifen, auch wenn sie nicht direkt falsch sind.

Und da fängt das Problem an: Wer sich mehr oder weniger umstellen möchte, aber noch einen Rest von Sprachgefühl mitbringt, wird sich nicht das ganze Paket der reformierten Schreibungen antun wollen. Jeder müßte also nicht nur im stillen Kämmerlein entscheiden, ob er sich anpassen will, sondern inwieweit. Jeder Umstellungswillige würde letztlich seine gemischte Privatorthographie beisteuern, wie es ja bisher auch allerorten geschehen ist. Deshalb kann man wohl schlecht von einer allgemeinen Konvergenz sprechen, sondern es bestätigt sich die unvermeidliche Zersplitterung der Rechtschreibung unter dem Diktat der sogenannten Neuregelung; sie geschieht unabhängig davon, wie sich der einzelne entscheidet.

Außerdem: Ist schon alles gesagt, getan, geschehen? Keineswegs! Wir haben zwar unseren Standpunkt, wo immer es möglich war, deutlich gemacht und begründet; wir haben unzählige Argumente und Beispiele angeführt. Wir könnten uns so langsam zurücklehnen. Aber die Probleme bleiben, und deshalb werden sich die Leute noch sehr lange mit der Reform herumquälen und sich in irgendeiner Form mit ihr auseinandersetzen müssen. Andere werden über Schreibweisen entscheiden müssen. Millionen werden immer wieder fragen: Wie schreibt man das jetzt? Gilt das noch? Muß man das wirklich machen? Die Entscheider werden fragen: Wie sollen wir es nun regeln? Welche Schreibweisen sollen wir anerkennen, durchgehen lassen, verbieten, als Variante verzeichnen, welche Regeln sollen wir anpassen, welche verwerfen, welche neu entwerfen? Man wird sich fragen, welchem Lexikon oder welcher Software man trauen kann, man wird sich fragen, ob man bestimmte Bücher, beispielsweise Lexika, als veraltet betrachten und entsorgen soll. Daß diese Tatsachen von diesem Tagebuch unabhängig sind, stimmt. Das Reformkarussell wird noch lange, lange die Leute schwindlig drehen. Sie wird so lange ein Thema bleiben, wie sie Probleme macht, ob die Presse nun darüber berichtet oder nicht. Wir stecken mittendrin in der permanenten Reform.
 
 

Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 23.07.2007 um 22.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9767

Die Dudenredaktion hat also bis zuletzt (vor der Reform) an ihrem Irrtum festgehalten.

Daß unter verlieren der zweite Akzent bei verloren geben stehengeblieben ist, sieht mir eher nach unsorgfältiger Korrektur aus. Denn die Eliminierung des zweiten Akzents unter verloren war ja der aktive Akt. Zudem scheint dieser Eintrag für verloren geben als Haupteintrag angesehen worden zu sein; das läßt der Vermerk vgl. verloren unter verlieren vermuten.
 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 23.07.2007 um 22.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9766

Wenn alles gesagt ist, was zu sagen war,
wenn alles geschrieben ist, was zu schreiben war,
wenn alles getan ist, was zu tun war,
und alles hat nichts gefruchtet, ja was dann?

Einfach der Realität in die Augen sehen, die Dinge zur Kenntnis nehmen und schön langsam beginnen, sich auch selbst umzustellen? Also die andernorts verordente Grabesruhe auch selbst übernehmen und die eigenen Zweifel in ihr auflösen?

Entscheidungen dieser Art muß jeder Einzelne für sich selbst treffen. Sehr viele haben ähnliche Entscheidungen schon vor Jahren gefällt und tippen sich heute nur mehr an die Stirn, wenn sie auf das Thema RSR angesprochen werden.

Die hier Versammelten scheinen mir nicht dafür empfänglich, daß aus Unsinn nur durch vergangene Zeit plötzlich Sinn wird, unabhängig davon, ob es dieses Tagebuch nun gibt oder nicht.

 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 23.07.2007 um 21.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9763

Im „Ickler“ ist verloren+geben nicht aufgeführt; der Ratsuchende kann nur vermuten, daß analog zu verloren+gehen hier wohl die Zusammen- oder Getrenntschreibung freigegeben sein soll. Besser wäre es, dies ausdrücklich klarzustellen (wobei Getrenntschreibung als üblicher gekennzeichnet werden könnte).
 
 

Kommentar von stefan strasser zu 9737, verfaßt am 23.07.2007 um 21.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9762

Ich würde meinen mehrfach geäußerten Standpunkt nicht im Widerspruch zu Pof. Icklers Aussage sehen, allerdings zum vollen Wortlaut in 9471.

Die Zitierung von Hrn. Jochems hat nämlich einen Schönheitsfehler, sie läßt wichtige Ergänzungen einfach weg, nämlich:
"Das ist im Englischen und Französischen genauso, und ich frage mich, ob es irgendwo grundsätzlich anders ist. Machen Spanier, Polen oder Türken mit ihren "flacheren" Orthographien keine Fehler?"
und:
"Das Internet mit seinen Plauderecken bietet Anschauungsmaterial genug. "

Der erste Teil stellt also die deutsche Orthografie auf einer Augenhöhe mit anderen Sprachen dar, also keine Rede davon, daß Deutsch schwieriger ist.
Der zweite Teil schließt aus, daß Plauderecken-Orthografie ins diskutierte, deskriptiv erstellte Wörterbuch von Prof. Ickler Eingang findet, das war's.

Ob das jetzt ungeschminkt ist oder nicht, sei dahingestellt, aber was übersehe ich, s. g. Hr. Jochems?
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 23.07.2007 um 21.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9761

Im Duden von 1991 sieht es folgendermaßen aus: Unter verloren sind verloren geben und verloren gegeben ohne jede Betonungsangabe aufgeführt; unter verlieren steht jedoch verloren geben mit zwei Akzentstellen. Die Dudenredaktion hat also bis zuletzt (vor der Reform) an ihrem Irrtum festgehalten.
 
 

Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 23.07.2007 um 20.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9760

verloren gegeben

Letztmals hatte der Duden 17. Auflage 1973 verloren geben mit Akzent auf beiden Wörtern. In der 18. Auflage 1980 und der 19. Auflage 1986 ist der zweite Akzent weg, er ist noch da bei verloren gegeben (was eher nachvollziehbar ist). In der 20. Auflage ist der zweite Akzent dann auch bei verloren gegeben weg. Sollte der Duden selbst schon mit dem Auskämmen begonnen haben?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.07.2007 um 19.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9754

Die Infinitive verloren_gehen und verloren_geben sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ihre Verwendung und erst recht die der flektierten Formen ist aber im Satz sehr unterschiedlich: Etwas kann verloren_gehen, nicht aber *verloren_geben. Der Passiv (die Schlacht) wird/wurde verloren_gegeben ist sehr gebräuchlich, *(etw.) wird/wurde verloren_gegangen aber geht nicht. Möglicherweise finden sich hier (und nicht bloß in der unsinnig begründeten Duden-Vorgabe) Motive für eine häufigere Zusammenschreibung im einen, eine häufigere Getrenntschreibung im anderen Fall.
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 23.07.2007 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9753

Jedenfalls der Duden 1991 verzeichnet "verlorengehen" vs. "verloren geben", samt dem von Herrn Ickler vermerkten unsinnigen zweiten Akzent auf "geben". Eine der wunderlichsten Duden-Marotten, die sich durch die Jahrzehnte zieht; so spricht gewiß niemand.
Mackensen 1986 hat übrigens "verlorengehen" und "verlorengeben", wobei das erste mit "abhanden kommen" erläutert wird - mit derselben (offenbar von Duden übernommenen) Doppelbetonung.
Das sieht in Vaters Ausgabe von 1952 noch anders aus: "abhanden kommen" bedeutet hier "verloren gehen"; und unter diesem Stichwort findet sich -- "verlorengehen", was konsequent mit "abhandenkommen" erklärt wird!
Ich finde das sympathisch; da weiß man gleich, woran man ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.07.2007 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9752

"Difficile est, satiram non scribere" Es ist schwer, (darüber) keine Satire zu schreiben. Nach Juvenal, Satiren. Aber es wäre der Mühe wert. Der Unterhaltungswert ist vorhanden. Wer schreibt ein Drehbuch?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 23.07.2007 um 16.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9751

Theodor Ickler schreibt in 871#9723:

[...] "Der alte Duden hatte, wie so oft, "verlorengehen" mit einem Akzentzeichen, und "verloren geben" mit zwei Akzenten verzeichnet. Mir scheint diese Betonung abwegig, sie scheint aus der vorab festgelegten Getrenntschreibung gefolgert (statt umgekehrt).
Wahrig empfiehlt in beiden Fällen Zusammenschreibung!"

Die Verfasser des alten Duden überließen es (ausnahms)weise dem Schreiber. Wahrig verdonnert zum allein Richtigen, der "neue" Duden sicher vice versa. Welche "beiden Fälle" sind gemeint?

Schreibmöglichkeiten lassen sich offenbar nicht aus dem Lexikon heraus erklären, schon allein deshalb nicht, weil dieses selbst nur linguistisches Konstrukt der jeweiligen Schule ist. Zu prüfen sind immer die möglichen Verschriftungen von Äußerungen. Unter denen könnten beispielsweise folgende ins Auge gefaßt werden:

Damit könnten einige Pfunde (oder Dollar) verlorengehen.
vs.
Herr, warum hast Du mich verlassen, daß ich so verloren geh? (Adaption eines Psalmsatzes in einem Chorwerk)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 23.07.2007 um 14.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9748

Sorry, tschuldigung, przepraszam,

selbst in einer Demokratie wie etwa in "Die Ritter" von Aristophanes [poln.] sind wolność (Freiheit) und [poln.] dowolność (Voluntarismus) nicht dasselbe. Soll heißen: Freiheit ist nicht der Raum außerhalb jeglicher (also auch die Kleinen gängelnder) Normen, sondern der von ihnen geschaffene. Der Raum außerhalb solcher indessen ist der Dschungel, die Barbarei oder das Chaos.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 23.07.2007 um 14.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9747

Wer Impulse streicht, sollte auch die ihnen folgenden Response liquidieren, sonst entsteht Wirrwarr.

So sind sie halt, die Kausalketten; Halbschwangerschaften lassen sie nicht zu.
 
 

Kommentar von b. eversberg, verfaßt am 23.07.2007 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9746

Vielleicht kann es wirklich in keiner anderen Sache passieren, was hier passiert ist, vielleicht kamen hier die Umstände in so singulärer Weise zusammen, wie sonst nie. Ein nicht vorhandenes Problem wurde durch ein Bündel realer Probleme ersetzt, doch sämtliche Gewalten und Beweger sind nun immobilisiert oder schauen angestrengt weg, fast alle Betroffenen sind durch Überdruß desensibilisiert und Friedhofsruhe senkt sich herab - das ist einfach so sehenswert, daß es in ein Museum muß. Fragt sich nur, welches. Einen Gedenkstein gibts ja wenigstens schon.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 23.07.2007 um 12.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9745

Nein, lieber Herr Professor Jochems, Realismus ist nicht charakterlos. Wir sind selbst realistisch, wir brauchen Ihre diesbezüglichen Belehrungen nicht. Charakterlos oder zumindest geschmacklos ist es, auf die Empfindungen einer Gruppe keine Rücksicht zu nehmen, in der man zu Gast ist. Geschmacklos ist es zum Beispiel, uns den sang- und klanglosen Niedergang in wenigen Wochen zu prophezeien, während sich die anderen ernsthaft überlegen, was man tun könnte, um die Situation zu verbessern, und während einige in dieser Hinsicht auch bienenfleißig sind. Ich weiß übrigens nicht, aus welcher Weisheit Sie Ihre vollmundige Vorhersage beziehen. Ob dieses Forum in Zukunft noch lebendig ist, hängt in erster Linie davon ab, ob Professor Ickler gewillt sein wird, sein Rechtschreibtagebuch fortzuführen. Von ihm haben Sie wie ich und viele, viele andere in hohem Maße profitiert. Es wäre angebracht, ihm dafür zu danken, anstatt ihn und uns als Träumer abzuqualifizieren.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 23.07.2007 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9744

Lieber Germanista, Sie sagen: "Damit die Bürger wieder Achtung vor diesem Staat haben können, muß er das Richtige wieder zulassen; das ist das zu erkämpfende Ziel; der Rest erledigt sich dann von selbst." Professor Ickler hat das "Richtige" durch das "Übliche" ersetzt. Letzteres aber ist eine Sache der Konvention. "Tolpatsch" war auch vor der Reform im etymologischen Sinne eine "falsche" Schreibung, jetzt ist sie es im doppelten Sinne. Wenn aber genügend Menschen so schrieben, wäre sie "richtig", wie "Streik", "Hängematte" und was sonst noch. Da alle vier Staatsgewalten sich als manipulierbar erwiesen haben, leben wir in einer Bananenrepublik - was die Bürger freilich noch nicht bemerkt haben. "Realismus" wird von den meisten hier Diskutierenden als Charakterlosigkeit verstanden. Wie lange wird das noch durchzuhalten sein?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.07.2007 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9743

Einspruch, Euer Ehren! Wenn die Kultusminister an der Sache und nicht nur an der ersten fristgerechten Einführung interessiert gewesen wären, hätten sie nicht den Reformern die von diesen für unbedingt notwendig erachteten Korrekturen verboten.

Jeder rechtlich denkende Bürger darf oder muß sich sogar darüber empören, daß alle drei Staatsgewalten, Legislative, Judikative und Exekutive, und die sogenannte "vierte Staatsgewalt", die Presse, sich manipulieren ließen, grammatisch Richtiges einfach zensurenrelevant zu verbieten. Ohne das Verbot des grammatisch Richtigen hätten sich die Erfindungen der Reformer im Wettbewerb nie halten können. Damit die Bürger wieder Achtung vor diesem Staat haben können, muß er das Richtige wieder zulassen; das ist das zu erkämpfende Ziel; der Rest erledigt sich dann von selbst.

Die Franzosen machen es mit ihrer "Empfohlenen Rechtschreibung" vor: Nur was von der Mehrheit ohne Zwang angenommen wird, bleibt übrig.
 
 

Kommentar von Calva, verfaßt am 23.07.2007 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9742

Helmut Jochems: "Darf ich eine Voraussage wagen: In wenigen Wochen wird auch auf "Schrift & Rede" die Friedhofsruhe herrschen, die für andere Internetforen zu unserem Problem inzwischen eingekehrt ist. Schade, aber es liegt nicht nur an uns ..."

An wem oder was liegt es denn auch?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 23.07.2007 um 08.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9741

Herr Lachenmann hat am 1. 7. ein interessantes "Fundstück" (Forenbereich "Übrigens") ins Internet gestellt: eine Diskussion um das Ende von "y" statt "i" am Wortende zwischen Heinrich Heine und seinem Verleger Julius Campe. Im Englischen hat die Gepflogenheit überlebt, darum schreibt man heute noch "happy" (aber "happily"). Die orthographische Kennzeichnung des Wortendes durch "ß" statt "ss" wollte Heyse bekanntlich schon Jahrzehnte früher aufheben, aber daraus ist mit Ausnahme eines Probelaufs in Österreich vor der Faber-Kaltenbachschen Rechtschreibreform in unseren Tagen nichts geworden. Am 1. August 2007 werden endgültig die Aktendeckel zugeklappt, wie Professor Augst zu sagen pflegte. Leider nicht in unserem Sinne. Welche Alternative haben wir aber zu bieten? Rückkehr zum alten Duden? Den "Ickler" als Rechtschreibführer für die neue Zeit? Einige Bereinigung des revidiert-reformierten Regelwerks bis auf Heyse? Als 1996 die SPD-Abgeordneten in den Landtagen und im Bundestag "Zu spät" riefen, waren noch alle Möglichkeiten offen. Jetzt ist es aber tatsächlich "Zu spät". Kein Zehetmair würde das Kunststück fertigbringen, die Presse erneut zur Umkehr zu bewegen, und den Kultusministern würde nun wirklich das Hohnlachen aus den Schulen entgegenschlagen, das 1996 leider ausblieb. Die Rechtschreibreform bleibt vermurkst, und ihre Begründung war gewiß kein wissenschaftliches Meisterstück. Nina Catach, die französische Reformerin, sagte in den achtziger Jahren: "Encore une fois, une simplification 'modérée et progressive' de notre orthographe n'a d'intérêt que si elle facilite l'acquisition de notre langue. Si l'on n'est pas persuadé de cela, autant laisser tout en l'état." Die deutschen Kultusminister waren ehrlich der Überzeugung, ersteres sei ihren Reformern gelungen. Heute wissen wir, daß sie sich geirrt haben. Hat sich irgend jemand an der Rechtschreibreform bereichert, wie es bei Rüstungsgeschäften und dergleichen vermutet wird? Beweist die Rechtschreibreform den kulturellen und moralischen Sinkflug in diesem Lande? Fragen über Fragen. Darf ich eine Voraussage wagen: In wenigen Wochen wird auch auf "Schrift & Rede" die Friedhofsruhe herrschen, die für andere Internetforen zu unserem Problem inzwischen eingekehrt ist. Schade, aber es liegt nicht nur an uns ...
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 23.07.2007 um 02.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9740

Wolfgang Wrase: Das vorausgesagte Chaos ist da.

Dem kann man nur zustimmen, und dabei geht es nicht nur um "Strasse" und "Grüsse". Wer hätte denn gedacht, daß man selbst von geübten Schreibern Dinge wie "ein Bisschen", "gar Keiner", "die Beiden", "im Vorraus" und anderes vorgesetzt bekommt.

Im übrigen ist das "amtliche" Regelwerk, wie an dieser Stelle schon oft vorgeführt worden ist, selbst das reine Chaos, denn die gewählte Darstellungsweise führt dazu, daß eigentlich zusammengehörige "Regeln" über mehrere Paragraphen, teilweise sogar über ein ganzes Kapitel verstreut sind (s-Schreibung, Zusammenschreibung von Ziffern und Text; letzteres ist praktisch nicht mehr lern- und lehrbar).
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 23.07.2007 um 00.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9739

Professor Jochems: Das ebenfalls vorausgesagte "Chaos" ist dagegen ausgeblieben.

Sie wollten doch ein inkriminierendes Zitat haben, Herr Professor Jochems. Hier ist es, taufrisch. Eine ganz typische Meinungsäußerung von Ihnen, mit der Sie die Reform regelmäßig verharmlosen. Wie oft haben wir sie schon gelesen? Muß ich da noch zwanzig Belege anführen?

Ich sage: Das vorausgesagte Chaos ist da.

Wenn Sie Ihren Lieblingsmaßstab heranziehen – die Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen aus der Sicht des Lesers –, werden Sie natürlich kein Chaos feststellen. Das brauchen Sie nicht immer wieder darzulegen. Niemand hat je behaupet, Texte seien nach der Reform nicht mehr lesbar, die schriftliche Kommunikation komme zum Erliegen. Es geht bei der Rechtschreibreform auch und vor allem um die Schreiber. Nun gehen Sie einmal nach draußen und fragen die Leute um sich herum: "Wie schreibt man Straße, mit scharfem ß oder mit Doppel-s?" Da werden Sie viel Stirnrunzeln sehen und unsicheres Gekicher, Ääääh und Ööööh zur Antwort bekommen. Sie können es im Internet und in vielen sonstigen Texten feststellen, die nicht von Profis verfaßt wurden: Die Leute sind sich nicht sicher, wie man Straße schreibt. Was hilft da das Argument: "Ich kann Strasse genauso gut lesen wie Straße, wo ist das Problem?"

Schauen Sie in die Wörterbücher: ein einziges Chaos an tausend Stellen. Professor Ickler hat uns das in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen und in Hunderten von Beiträgen und Aufsätzen anschaulich vorgeführt. Ihre gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, es gebe kein Chaos, klingt so, als würden Sie alle diese Stellungnahmen von Professor Ickler glatt überlesen. Und wie kommen die Leute darauf, daß Kinder- und Jugendbücher in herkömmlicher Schreibung aus Schulbüchereien und öffentlichen Bibliotheken entsorgt werden müssen? Ist da nicht was dran, wenn sie befürchten, daß die verschiedenen Rechtschreibungen ein Chaos in den Köpfen der Lernenden erzeugen? (Daß diese Entsorgungsmaßnahmen nicht viel zu einer einheitlichen Rechtschreibung beitragen können und außerdem ins Geld gehen, steht auf einem anderen Blatt.)

Noch entschiedener wende ich mich gegen Ihre Auffassung, die
Zukunft gehöre nun einmal der staatlichen Rechtschreibung, an der es nur noch an wenigen Stellen etwas zu reparieren gebe. Ich bin der Meinung, daß die Rechtschreibung überhaupt nicht vom Staat angeordnet werden darf und daß wir permanent unnötige Probleme mit diesem Thema haben, solange diese ungeheuerliche Amtsanmaßung fortbesteht.

Schließlich kann ich auch Ihre indignierte Reaktion auf "starke Sprüche" gegen die Reformer nicht angemessen finden. Wo bleibt Ihr Protest gegen das starke Stück, das die Reformer abgeliefert haben? Anstatt gegen diese millionenfach größere Unverschämtheit einzutreten (auf die wir mit unseren manchmal starken Sprüchen nur reagieren), urteilen Sie, daß man sich damit abzufinden habe. Das paßt nicht zusammen.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 22.07.2007 um 23.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9738

»Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. [...] Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?«

Und was ist mit den zig-Millionen weitgehend fehlerfrei beschriebener Papierseiten, die in den letzten hundert Jahren in den verschiedensten Lebensbereichen, von Wissenschaft und Literatur übers Ingenieurs- und Handelswesen bis hin zum Privaten produziert worden sind? Von keineswegs spezialisierten Sprachprofis, allerdings sicherlich auch nicht von "jedermann". Wovon ist denn da überhaupt die Rede?

Es muß doch nicht "jedermann" fehlerfreie Texte schreiben können - ich denke, auch Herr Ickler hat dies bei der von Ihnen zitierten Aussage als Selbstverständlichkeit impliziert -, sondern nur die, für die das Schreiben von existentieller Relevanz ist, und selbst die dürfen sich mal vertun. Und die können (konnten bis vor der Reform) ziemlich fehlerfrei schreiben, so daß man an der überlieferten Rechtschreibung nicht hätte herumdoktern müssen, schon gar nicht sie hätte reformieren wollen dürfen. Auch eine andere - irgendwie "bessere" - Rechtschreibreform, die manch einem vielleicht vorschweben mag, wäre wahrscheinlich von Übel gewesen.

Der Rechtschreibexperte, der aufgrund eines detaillierten Regelwissens und im Besitz des kompletten Wortschatzes korrekter Schreibweisen fehlerfreie Texte schreibt, ist doch ein keineswegs wünschenswertes Phantom, ebenso wie die "einfache" Orthographie, die von "jedermann" fehlerfrei geschrieben werden kann.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.07.2007 um 23.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9737

Lieber Herr Lachenmann, "serdecznie przepraszam" bitte ich in der schönen Sprache Koll. Schattes, ich dachte etwas ganz Normales zu sagen. "Kommentieren" wäre besser gewesen, aber eine Überprüfung ist doch damit verbunden, wenn es um den Wahrheitsgehalt von Aussagen geht. Zu der zentralen Frage der Schwierigkeit unserer Rechtschreibung äußert sich gerade Herr Strasser. Er übersieht wie Sie, daß Professor Ickler sich ungeschminkt dazu geäußert hat:

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. [...] Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?

Nichts anderes habe ich auf dieser Webseite behauptet.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 22.07.2007 um 22.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9736

Die von Herrn Markner hier vorgetragenen und Ihnen, Herr Jochems, unterstellten Kernthesen, spiegeln immerhin einiges von dem wider, was bei der Diskussion aus Ihren Beiträgen hier bei einigen ankommt. Wenn dem nicht so wäre, könnte man die ganze Aufregung und die Ablehnung, die Ihnen zuteil wird, überhaupt nicht verstehen. Deswegen erschien es mir durchaus sinnvoll, auf sie einzugehen, zumal diese Thesen, ob parodierend gemeint (was ich nicht vermute) oder nicht, einige Grundfragen des Themas berühren, mit dem wir uns beschäftigen.

Nun könnte ich, sensibilisiert durch die Kollegen, mich darüber aufregen, daß sie meinen Beitrag als "wohlwollenden Versuch," bezeichnen, Ihre "Kernthesen zu überprüfen". Ist das nicht schon wieder ein Beispiel von professoralem Hochmut? Von alleine wäre ich nicht draufgekommen, es tut ja auch nichts zur Sache.

Was Sie über die FDS schreiben, ist nun wirklich nicht in Ordnung, und da Sie von Anfang an unsere Arbeit freundschaftlich begleitet haben, sollten Sie es besser wissen:

"In der FDS gibt es zwar eine eingeschriebene Mitgliedschaft, Aktivitäten aber, an denen die Mitglieder auch inhaltlich beteiligt wurden, sind nicht bekannt geworden." -

Noch falscher und ungerechter könnte man über die FDS kaum urteilen. Die FDS hat seit ihrer Gründung - angefangen mit der Erstellung und Verbreitung des legendären Faltblatts "Sehstörungen" über die Organisation verschiedener Schriftstelleraufrufe, Informationsaktionen bei Parlamentären und in der Presse, Anregungen und inhaltliche Mitarbeit für Initiativen der deutschen Akademien, öffentliche Veranstaltungen mit Schriftstellern, öffentliche Jahresversammlungen unter Beteiligung namhafter Reformkritiker und Mitherausgabe des Buches "Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt" und anderen Aktivitäten (u.a. eine Woche Informationsstand auf der Frankfurter Buchmesse mit mehreren Pressekonferenzen) eine enorme und sehr wirksame Öffentlichkeitsarbeit betrieben, die Bereitstellung der Seite "Schrift & Rede" ist nur ein Teil davon. Daß es momentan ruhiger geworden ist, liegt an der Situation, die öffentliche Aktionen nicht ratsam erscheinen läßt.

Wenn die Reform sich nur mit Müh und Not und in dem inzwischen abgewirtschafteten Zustand über die Runden hat bringen können, trotz der geballten Staatsmacht, die sie hinter sich hatte, und wenn die Reform bis zum Rückzieher erst der Springer-Presse und dann der FAZ mehrfach kurz vor dem Aus stand, dann hat die FDS dazu mit ihrem Fleiß, ihrem Engagement und ihrer Fachkompetenz ganz gewiß beträchtlich beigetragen. Daß wir nicht mehr erreichen konnten, bedauern wir selbst am allermeisten, aber ein Vorwurf ist uns daraus ganz gewiß nicht zu machen. Wir können nicht das Versagen derer wettmachen, die zum Widerstand aufgrund ihrer beruflichen Voraussetzungen prädestiniert gewesen wären, stattdessen in materiell gesicherter Position tatenlos zusehen, wie ihre eigene Wissenschaft und ihre eigene Sachkompetenz beschädigt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird, den heutigen Germanisten und Sprachwissenschaftlern und den Journalisten.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.07.2007 um 22.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9735

Beherrschbarkeit der Rechtschreibung

Wenn man unter Beherrschbarkeit das modellkonsistente, weitgehend intuitive Schreiben versteht, stimme ich Hrn. Lachenmann zu. Ähnlich hatte ich früher auch schon argumentiert.

Wenn man unter Beherrschbarkeit allerdings das auswendige Rezitieren aller Regeln versteht, die zum jeweiligen Verschriftungsmodell erfunden wurden - klarerweise inkl. aller Unterregeln, dann wird man wohl kaum einen finden, der das kann. Aus dieser Sicht stimme ich Hrn. Jochems zu, daß die durchschnittliche Kompetenz äußerst defizitbehaftet ist.

Die moderne Didaktik scheint trotzdem zweiteren Ansatz als zielführend anzusehen. Man muß also, bevor man ein Wort schreibt, wie bei einem Google-Suchvorgang einmal die passende Regel identifizieren, wenn man sie hat, auch noch ein oder zwei Stufen tiefer gehen, bis man wirklich dort ist wo man hingehört, dann muß man entscheiden welcher Fall vorliegt, um schließlich das Wort richtig zu schreiben. Und dann geht's hurtig zum nächsten Wort, usw., usw.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.07.2007 um 20.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9734

Lieber Herr Wrase, die zugangsoffene Webseite "Schrift & Rede" ist bietet allen Interessierten die Möglichkeit, ihre Ansichten über die gegenwärtige Situation der deutschen Rechtschreibung zur Diskussion zu stellen. Wer hier schreibt, gehört keiner Gruppe an. Selbst auf die Mitteilung persönlicher Daten, die einen Hinweis auf die Befähigung zu kompetenter Mitwirkung geben könnten, wird bewußt verzichtet. Daß sich hier in der Hauptsache Gegner der Rechtschreibreform zu Wort melden würden, war anzunehmen. Das allgemeine Interesse an diesem Thema ist ansonsten nämlich nicht sehr groß, Rechtschreibreformbefürworter melden sich charakteristischerweise kaum öffentlich zu Wort. Als Herr Lachenmann nach den schlimmen Erfahrungen während des Niedergangs von Herrn Draegers "Seiten für Rechtschreibung" diese Webseite einrichtete, schwebte ihm ein seriöser Gedankenaustausch vor, mit dem vielleicht auch die von der Rechtschreibreform betroffene Öffentlichkeit erreicht werden könnte. Daß es hier einmal ähnlich wie bei Herrn Draeger zugehen würde, konnte er nicht ahnen. "Schrift & Rede" hat sich nie als Sprachrohr der "Forschungsgruppe Deutsche Sprache" verstanden, wenn auch die Redaktion weitgehend in den Händen von deren Vorsitzenden lag und liegt. In der FDS gibt es zwar eine eingeschriebene Mitgliedschaft, Aktivitäten aber, an denen die Mitglieder auch inhaltlich beteiligt wurden, sind nicht bekannt geworden. Dieses Schicksal teilt sie mit dem Rat für deutsche Rechtschreibung e. V. Herrn Kriegers, von dem wir uns anfangs eine starke argumentative Gegenposition zu der staatlichen Einrichtung gleichen Namens erwartet hatten. Daraus ist jedoch nichts geworden. Es gibt auch sonst keine Organisation mit einer einigermaßen beachtlichen Mitgliederzahl, die sich objektiv der Sache der deutschen Rechtschreibung widmete. Die Meinungshoheit wie auch die Regelungsgewalt der deutschen Kultusministerkonferenz und der von ihr eingesetzten Gremien hat deshalb nie ernsthaft in Frage gestanden. In der Tat hat bei Meinungsumfragen die überwältigende Mehrheit der erwachsenen Bundesbürger zum Ausdruck gebracht, sich nicht der Rechtschreibreform anschließen zu wollen. Aus welchen Motiven dies geschah, ist nie ergründet worden. Wie hätten sich aber auch die Schreiber aufgrund eines komplizierten neuen Regelwerks umstellen sollen, das ihnen nach wie vor so gut wie unbekannt ist. Schon der Übergang von der ursprünglichen zur jetzigen Fassung der Paragraphen 34 bis 36 wird in den Schulen große Probleme aufwerfen. Professionelle Schreiber haben es da leichter, denn die Rechtschreibprogramme für den Computer konvertieren alles, was nicht dem neuesten Stand entspricht. Daß die Rechtschreibreform von Anfang an "Murks" war, wie Walter Kempowski schon 1996 sagte, bezweifeln vermutlich auch die Befürworter nicht. Das ebenfalls vorausgesagte "Chaos" ist dagegen ausgeblieben. Eine Rechtschreibung, die etwas mehr knirscht als früher, ansonsten aber ziemlich normal funkioniert, erweist sich nicht als Handlungsbedarf für die Politik oder sonstwen. Das ist das Dilemma, in dem der Rest der alten Kritikerbewegung steckt. Was unbedingt noch in Ordnung gebracht werden muß, wäre nun geduldig und sachkundig vorzutragen. Starke Sprüche, wie sie hier inzwischen anklingen, helfen da nicht weiter.

PS. Gerade lese ich Ihren wohlwollenden Versuch, Herr Lachenmann, meine angeblichen Kernthesen zu überprüfen. Sie sind sich aber hoffentlich bewußt, daß die parodierende Darstellung Herrn Markners mit meinen tatsächlich hier geäußerten Ansichten wenig bis nichts zu tun hat. Herr Wrase verzichtet klugerweise auf inkriminierende Zitate. Herr Markner, der ja eigentlich dem akademischen Redlichkeitsgebot verpflichtet wäre, kennt solche Bedenken nicht.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 22.07.2007 um 19.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9731

Hier einige der in letzter Zeit zur Diskussion gestellten Thesen:

Nur die deutsche Rechtschreibung ist unbeherrschbar schwierig.
Stimmt überhaupt nicht. Bis zur Reform war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, jeder Deutsche mit durchschnittlicher Schulbildung in Rechtschreibung mindestens so gut, wie es für ihn nötig war. Schreibkräfte in Büros oder Schriftsetzer mit Volksschulabschluß beherrschten sie vorbildlich, selbst bei Handwerkern war das Niveau gut. Erst mit der Vernachlässigung des Rechtschreibunterrichts seit den 60er/70er Jahren hat das Ansehen der Rechtschreibung gelitten und sind die Rechtschreibleistungen selbst bei Akademikern ziemlich übel geworden. Mit der Schwierigkeit der deutschen Rechtschreibung hat das aber nichts zu tun.

die polnische und englische sind es hingegen nicht.
Kann ich nicht beurteilen, die englische kommt mir schon einigermaßen schwierig vor.

Nur die deutsche Rechtschreibung ist normiert.
Kommt vermutlich drauf an, was man unter Normierung versteht. Auch die französische Rechtschreibung folgt präzisen Vorgaben, die man kennen und befolgen muß, sonst macht man „Fehler“, die in der Schule und im Berufsleben genauso sanktioniert werden wie bei uns, vielleicht sogar noch strenger.

Die Teilnehmer an dieser Diskussion sind auf diese Norm fixiert.
Vor zehn Jahren mag das noch gestimmt haben. Heute ist eine solche Behauptung ganz eindeutig nicht mehr richtig. Es herrschen zu dieser Frage offensichtlich widersprüchliche Vorstellungen, wobei die Tendenz wohl in Richtung der Auffassungen von Prof. Ickler geht (maßgeblich ist der Usus, der in Wörterbüchern dokumentiert werden muß). Andere Theorien werden hier ja kaum diskutiert. Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, daß selbst der Versündigung an unserer Sprache unverdächtige Rechtschreibexperten und -wissenschaftler anderer Meinung sind und dafür möglicherweise bedenkenswerte Gründe haben. Vermutlich ist manch einem unserer Mitdiskutanten hier unklar, wie das Icklersche Orthographieverständnis in unserer Situation in die Realität umgesetzt werden sollte: theoretisch nichts leichter als das, aber welche Widerstände würden dabei nicht nur bei unseren politischen und wirtschaftlichen Sprachfunktionären, sondern auch beim Schreibvolk, das doch mehr oder weniger bewußt an die „Norm“ glaubt, und selbst unter leidenschaftlichen Reformgegnern hervorgerufen!

In Deutschland ist der Staat für die Rechtschreibung zuständig.
Er hat die Zuständigkeit für sich in Anspruch genommen, faktisch ist das also auch so, und in der Öffentlichkeit wird dies offensichtlich nicht so energisch kritisiert, daß sich daran etwas ändern könnte. Die Sprache gehört dem Volk, und wenn das Volk und die „freie Presse“, die sein Sprachrohr sein sollte, es den Politikern überläßt, was mit ihr geschieht, dann ist das auch so eine Art Votum. In Frankreich – siehe unten – funktioniert so etwas nicht.

In Frankreich hat es keine Rechtschreibreform gegeben.
Hat es schon, aber sie ist so gut wie unwirksam geblieben. Kein Vergleich mit der deutschen Rechtschreibreform jedenfalls. Nicht ein einziges Buch wurde neu gedruckt, kein Mensch schreibt anders als eh und je, niemand wurde damit so belästigt wie das bei uns der Fall ist. Man kann, wenn man die Früchte dieser Reform überhaupt kennt, danach schreiben, oder es sein lassen. Unter dieser Vorgabe wäre bei uns von der Reform auch kaum etwas übriggeblieben.

An Leitartikeln der F.A.Z. läßt sich ablesen, daß von einer erheblichen Beeinträchtigung der deutschen Rechtschreibung nicht die Rede sein kann. Ihre Funktionsfähigkeit ist durch die Reform nie gefährdet worden.
Das ist wohl eine Frage der Perspektive. Sicherlich hätte man sich eine viel nachhaltigere Beeinträchtigung vorstellen können und auch befürchten müssen, wenn man an die verschiedenen früheren, glücklicherweise gescheiterten Reformversuche denkt: generelle Kleinschreibung und andere „Vereinfachungen“ (der keiser im bot ist al). Die reine Funktionsfähigkeit der Rechtschreibung ist aber tatsächlich nur minimal beeinträchtigt, in Bereichen, wo es nur wenigen – nämlich uns tüchtigen Schöngeistern – drauf ankommt. Und an einigen Stellen, wo die neuen Regeln sich als allzu untauglich erwiesen, hat Zehetmaier ja geflickt, so gut oder schlecht er konnte oder durfte. Aber man kann ja nicht ernstlich behaupten, die schriftliche Kommunikation wäre durch die Rechtschreibreform nennenswert erschwert worden oder gar zusammengebrochen. Dann wäre die Reform kein halbes Jahr alt geworden. Schlechter geworden ist sie allerdings, und das ist schlimm genug, insbesondere eben in Texten, wo es auf ihre Qualität ankäme. Zu verharmlosen gibt es da tatsächlich nichts.

Es gibt eine natürliche Schreibkompetenz.
Keine Meinung, ich weiß nicht, was das sein soll. Eine natürliche Begabung fürs Rechtschreiben, so wie andere fürs Fußballspielen oder fürs Musizieren begabt sind? Glaube ich nicht, siehe die oben genannten Volksabschulgänger mit vorbildlichen, durch Lernen erworbenen und durch Praxis gesicherten Rechtschreibfähigkeiten.

Beiträge auf Schrift & Rede sollten zumindest zehn Zeilen lang sein.
Hierüber gibt es keine Vorschriften. Die ganz knappen allerdings wirken manchmal schon ein bißchen schnöselig – oder sogar herablassend, was ja neuerdings für unsere Diskutanten etwas ganz Entsetzliches ist, je nachdem, bei wem man das meint feststellen zu sollen.

Gerhard Augst ist ein sympathischer Bauernsohn.
Ich habe ihn einmal in einer Rundfunksendung gehört. Er machte tatsächlich einen recht sympathischen Eindruck, wie jemand, der eigentlich sehr nett ist, aber total auf dem falschen Dampfer. Erstaunlich, wie er für alle Gegenargumente freundliches Verständnis fand, aber dennoch, ohne sich die Mühe einer überzeugenden Gegenrede zu machen, darauf bestand, daß die Reform eine ganz wichtige Segnung sei, die man nur noch nicht in ihrer ganzen Wohltat erkennen könnte als schlichter Mittagsrundfunksendungendiskutant. Er wirkte von seiner Sache überzeugt wie ein fröhlicher, glückseliger Christ, der aus innerer Erleuchtung trotz besseren Wissens daran glaubt, Jesus sei übers Wasser gegangen. Ich habe übrigens einige Freunde, die für meine Reformgegnerschaft nicht das geringste Verständnis haben, und die mir dessen ungeachtet sympathisch bleiben. Vieles wissen sie nicht, vieles beurteilen sie anders, vieles interessiert sie nicht. Sollen sie in der Rechtschreibhölle braten?

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.07.2007 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9730

Lieber Herr Professor Jochems,

ich frage mich, ob man Ihrer Wahrnehmung oder, alternativ, Ihren Formulierungen noch trauen kann. Wir Gegner der Rechtschreibreform seien immer eine verschwindend kleine Minderheit gewesen??? Das Gegenteil trifft zu: Die Reformer waren und sind eine verschwindend kleine Minderheit, während die Mehrheit die Reform stets abgelehnt hat. Wir haben dazu zahlreiche Meinungsumfragen gesehen und auch zitiert.

Vielleicht besteht das leicht aufklärbare Mißverständnis (das auch in den Beiträgen von Herrn Metz und Herrn Markner anklingt) darin, daß ich behauptet hätte, die Positionen von Professor Jochems und diejenigen der Reformer seien identisch. Das trifft nicht zu. Ich habe Professor Jochems einen Advocatus diaboli genannt, so wie vor mir schon andere. Um jemanden zu verteidigen (für ihn als Advokat aufzutreten), muß man nicht eins zu eins seiner Meinung sein oder ihn in jeder Hinsicht gut finden. Um etwa einen Brandstifter oder Betrüger zu verteidigen, wird sein Verteidiger die Brandstiftung oder den Betrug nicht gutheißen. Er wird aber nach Möglichkeit zum Beispiel versuchen, den Übeltäter als sympathische Person mit guten Umgangsformen darzustellen. Er wird darauf abheben, daß nicht allein der Angeklagte schuld ist, sondern daß unglückliche Umstände den Schaden vergrößert haben, so daß man diesen nicht allein dem Angeklagten anrechnen könne. Oder er wird sagen, der Schaden sei doch gar nicht so groß, die ganze Erregung über das angebliche Unheil sei völlig übertrieben, nach dem Motto: "Es gibt doch nun wirklich Schlimmeres." Er wird sagen: "Jeder hat das Recht, anständig behandelt zu werden, auch ein Straftäter. Und solange staatliche Instanzen ihn nicht verurteilt haben, muß er sowieso als unschuldig gelten." Er wird entlastend anführen, daß das kriminelle Verhalten nicht böse gemeint war oder daß da ursprünglich edle Motive vorhanden waren. Er wird sich vor allem gegen die Anklage wenden und versuchen, schwache Punkte in deren Äußerungen aufzudecken. Er wird unermüdlich auf den Schwächen der Klagenden herumreiten, nach dem Motto: Diese sollten besser einmal ihre eigene Position überprüfen, sie ist nämlich keineswegs frei von Irrtümern. Er wird versuchen, die Klagenden moralisch auf dieselbe Ebene zu setzen wie den oder die Beklagten.

In diesem Sinne, lieber Herr Professor Jochems, haben Sie in unserem Forum ständig als Advokat der Reformer gewirkt und damit immer wieder für erheblichen Ärger gesorgt. Ob das nun Ihre Intention war oder nicht. Wenn es denn sein muß, könnte ich eine Liste mit Beitragsnummern erstellen, obwohl ich Besseres zu tun habe oder, wie Sie es ausdrücken, damit nur meine Lebenszeit verschwende. Ist Ihnen die Empörung entgangen, die Ihnen entgegenschlug? In dieser Diskussion mußten sogar schon Beiträge gelöscht werden, die im Zorn gegen Sie geschrieben wurden.

Kürzlich wurden Sie als der Große Relativierer bezeichnet. Mit Großschreibung – das ist schon ein fester Begriff, den es für Sie gibt. Überrascht Sie das etwa? Es trifft schlicht und ergreifend zu, daran ist doch nicht zu zweifeln. Wer die Schäden der Reform kleinredet und die Schwächen der Reformgegner übertreibt, relativiert beide Positionen: Er verteidigt die Zerstörer und wendet sich gegen die Bewahrer. Er macht die Reformer besser, als sie sind, und die Gegner schlechter, als sie sind, so lange, bis beide Seiten als gleichrangige Verirrte dastehen. Dies war die Rolle, die Sie beharrlich in diesem Forum der Ankläger übernommen haben.

Sie heben immer wieder darauf ab, daß Ihre Beiträge anders als die von manchen anderen stets seriös gewesen seien; es mangele an den guten Umgangsformen. Gestatten Sie mir den Hinweis, daß Anstand sich auch darin zeigt, sich an den Bedürfnissen einer Gruppe zu orientieren, in der man sich aufhält. Man kann es mit der Freiheit der Rede auch übertreiben. Man sollte bei den eigenen Meinungsäußerungen versuchen, die Mehrheit nicht vor den Kopf zu stoßen. Andernfalls sollte man sich fragen, ob man sich in der richtigen Gruppe aufhält. Die Gruppe, zu der Sie meiner Meinung nach gehören, findet die Rechtschreibreform zwar doof, aber keines Aufhebens wert. Diese Leute kümmern sich konsequenterweise nicht um die Reform, sondern sie vertun ihre Lebenszeit mit anderen Dingen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.07.2007 um 15.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9729

Es sollte hier nicht die Aufgabe sein, den Grad der Übereinstimmung zwischen „unserem" Herrn Jochems und den „gewiß tüchtigen" Reformern zu bestimmen. Vielmehr geht es doch (siehe den Tagebucheintrag) eigentlich um die Haltbarkeit der Jochemsschen Positionen und die Triftigkeit seiner Argumente.

Hier einige der in letzter Zeit zur Diskussion gestellten Thesen:
Nur die deutsche Rechtschreibung ist unbeherrschbar schwierig, die polnische und englische sind es hingegen nicht. Nur die deutsche Rechtschreibung ist normiert. Die Teilnehmer an dieser Diskussion sind auf diese Norm fixiert. In Deutschland ist der Staat für die Rechtschreibung zuständig. In Frankreich hat es keine Rechtschreibreform gegeben. An Leitartikeln der F.A.Z. läßt sich ablesen, daß von einer erheblichen Beeinträchtigung der deutschen Rechtschreibung nicht die Rede sein kann. Ihre Funktionsfähigkeit ist durch die Reform nie gefährdet worden. Es gibt eine natürliche Schreibkompetenz. Beiträge auf Schrift & Rede sollten zumindest zehn Zeilen lang sein. Gerhard Augst ist ein sympathischer Bauernsohn.

Dem kann man nun im einzelnen zustimmen oder nicht.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 22.07.2007 um 13.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9728

Lieber Herr Wrase, der Grad der Zustimmung in einer offenbar vorwiegend auf eine Meinung festgelegten Gruppe kann doch kein Maßstab für die Beurteilung abweichender Meinungen sein. Auch absolut gesehen taugt dieses Argument nicht. Wir Kritiker der Rechtschreibreform waren immer eine verschwindend kleine Minderheit, die freilich bis heute nicht aufgesteckt hat. Vielleicht beruht Ihre in meinem letzten Beitrag zitierte Äußerung nur auf leicht aufklärbaren Mißverständnissen. Darum bitte ich weiterhin um einen einzigen Beleg.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.07.2007 um 12.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9727

Lieber Herr Professor Jochems,

es ist bedauerlich und immer wieder verblüffend, wie sehr sich die Wahrnehmungen unterscheiden können – selbst unter Freunden. Wenn man sich über verhältnismäßig Objektives wie die Tragweite/die Nebensächlichkeit der Rechtschreibreform offensichtlich nicht einig werden kann, darf es nicht wundern, wenn die Meinungen über die eigene Persönlichkeit oder die Rolle, die man in einer Gruppe spielt, ganz erheblich auseinandergehen. Ich hatte geschrieben (ich füge hier zwei Ziffern ein):

(1) Jeder weiß, daß Professor Jochems in zahlreichen Beiträgen Partei für die Reformer oder für einen von ihnen ergriffen hat, während er die Position und die Argumente der Reformgegner zu relativieren, zu schwächen oder auch lächerlich zu machen versucht hat. (2) Deshalb erregen seine Beiträge, jedenfalls bei vielen Teilnehmern, immer wieder unvermeidlich Ärger, Anstoß, Empörung.

Daraufhin baten Sie: Sehr herzlich bitte ich um einen einzigen Beleg aus meinen Beiträgen, der diese Feststellungen bestätigen könnte.

Nanu? Sollten Sie wirklich noch nicht bemerkt haben, daß (1) und (2) zutreffen? So könnte ich flapsig fragen. Soll ich Sie nun wirklich mit Zitaten überhäufen? Ich fürchte, wenn ich das täte, würde das nichts daran ändern, daß Sie sich angesichts meiner Darstellung verwundert zeigen. Offensichtlich haben Sie eine völlig andere Wahrnehmung als ich.

Es kommt hier nicht auf Sie oder mich alleine an, sondern dieses Forum ist eine Gemeinschaft, in der einige Dutzend Teilnehmer schreiben und einige hundert regelmäßig lesen. Die Frage wäre also: Wie nimmt man Ihre Beiträge in diesem Forum wahr? Als Schreiber würde mich es schon beeindrucken, wenn viele andere Schreiber oder Leser derselben Meinung über mich sind; was ein einzelner über mich sagt, kümmert mich nicht unbedingt. Ich würde an Ihrer Stelle also in die Runde fragen, bezogen auf das Zitat: Sehen das die anderen auch so?

Was das Belegen betrifft: Ich weiß nicht, ob eine Zitatschlacht hier weiterführt, zumal vor allem (1) eine komplexe Aussage ist. Es sei angemerkt, daß aus Ihren eigenen Beiträgen (1) mehr oder weniger gut belegt werden kann, (2) ergibt sich jedoch erst aus den Reaktionen auf Ihre Beiträge. Auch (2) enthält mehrere Aussagen: Ich habe festgestellt, daß Ihre Beiträge immer wieder Ärger, Anstoß, Empörung ausgelöst haben, und ich habe mit Deshalb ... unvermeidlich eine enge logische Verbindung zu (1) hergestellt.

Mein Vorschlag: Fragen Sie doch einfach mal die anderen nach ihrer Meinung. Vielleicht äußern sie sich auch ungefragt dazu.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.07.2007 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9726

Lieber Herr Wrase,

Jeder weiß, daß Professor Jochems in zahlreichen Beiträgen Partei für die Reformer oder für einen von ihnen ergriffen hat, während er die Position und die Argumente der Reformgegner zu relativieren, zu schwächen oder auch lächerlich zu machen versucht hat. Deshalb erregen seine Beiträge, jedenfalls bei vielen Teilnehmern, immer wieder unvermeidlich Ärger, Anstoß, Empörung.

Sehr herzlich bitte ich um einen einzigen Beleg aus meinen Beiträgen, der diese Feststellungen bestätigen könnte. Ansonsten bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre konzilianten und verständnisvollen Darlegungen. Ich gehöre zu einer Generation, die ihre Lehren aus den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen hat. Für blinde Feindschaft sind wir nicht zu haben, schon gar nicht in einer Angelegenheit, in der es nur um sinnvolle und weniger sinnvolle Lösungen geht, keineswegs aber um erhaben richtig und verwerflich falsch. Um einen hieb- und stichfesten Standpunkt zu gewinnen, beschäftige ich mich vertieft mit den Einzelheiten. Sie werden bemerkt haben, daß fast alle meine Beiträge von sprachlichen Beobachtungen ausgehen. Man muß sie aber jeweils als ganzes gründlich lesen, wenn man an meinem Erkenntnisgewinn teilhaben will. Mein Vorbild (wie auch Professor Icklers) ist Harald Weinrich, der in Deutschland den Stil eingeführt hat, schwierige sprachwissenschaftliche Sachverhalte im Gesprächston darzulegen. Dabei muß die Fachlichkeit aber immer unbeschädigt bleiben, was leider einige Leser ausschließt. Professor Schatte, der fast sein ganzes akademisches Berufsleben in der Diaspora verbracht hat, pflegt einen eher esoterischen Stil. Ich frage mich manchmal, wie viele Leser von "Schrift & Rede" ihm folgen können. Persönliche Angriffe und dergleichen haben natürlich in Erörterungen dieser Art nichts zu suchen, pauschale Ablehnungen und Verurteilungen ebenfalls nicht. Nur wenn Argument gegen Argument steht, schält sich allmählich die Wahrheit heraus. Nur um die geht es, denn mit verbaler Gewalt ist in unserem Gesellschaftssystem nichts zu erreichen. Wie kompliziert unser deutsches Rechtschreibproblem ist, hat Professor Ickler kürzlich in klassischer Formulierung so umschrieben:

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. [...] Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?

Diese Feststellung hat natürlich unmittelbar weder mit der Dudentradition noch mit der Rechtschreibreform zu tun, wirft aber doch zahlreiche gesellschaftliche, sprachwissenschaftliche und sprachdidaktische Fragen auf. Wer sich ihnen widmet, macht sich um die deutsche Schreibtradtion verdient. Wer nur immer wieder auf die Reformer und ihre Protektoren eindrischt, vertut seine wertvolle Lebenszeit.

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 22.07.2007 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9725

Anders als viele meiner Vorredner halte ich Professor Jochems ausdrücklich nicht für einen Advocatus diaboli! Kommt es uns denn gar nicht in den Sinn, daß da jemand eine Position vertreten könnte, die sich nicht so leicht in die eine oder andere Schublade stecken läßt? Der Kreis der Reformkritiker war nie eine Einheitsgewerkschaft, wie Herr Jochems es hier selbst einmal formuliert hat. Man wird seinen Beiträgen nicht gerecht, wenn man sie als die eines „Mitstreiters“ liest, dem es – aus welchen Gründen auch immer – gefällt, seinen „Freundinnen und Freunden“ den Spiegel vorzuhalten. Man liest sie anders, wenn man sich dieser Vorstellung einmal entledigt hat. Herr Jochems hat gegen diese Reform gekämpft, aber offenbar aus einer anderen Haltung heraus und auch mit einer anderen Stoßrichtung als die meisten hier. Er hat Anspruch darauf, daß man sich mit seinen Argumenten auseinandersetzt, und zum Glück geschieht das ja auch, wenigstens teilweise. Seine Plädoyers haben nichts von denen eines staatlich bestellten Pflichtverteidigers. Nehmen wir ihn also beim Wort. Ich gehe jedenfalls bis auf weiteres davon aus, das dort, wo „Jochems“ draufsteht, auch Jochems drin ist.

Übrigens: Der „tüchtige Korrektor“ war bestimmt nicht als freundliches Kompliment gemeint. Es gibt ja auch noch so etwas wie einen Kontext, und die Formulierung lautete nicht „Herr Wrase, der ein tüchtiger Korrektor ist“, sondern „Herr Wrase, der gewiß ein tüchtiger Korrektor ist“. Außerdem hat Herr Jochems seine kritische Haltung gegenüber dem Tun des Angesprochenen, wenn ich nicht alles völlig mißverstanden habe, gleich in seinem nächsten Beitrag noch einmal bekräftigt. Wir haben es also offenbar mit einer Retourkutsche zu tun, einer kleinen Frotzelei, die man ja auch einmal als solche hinnehmen könnte.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.07.2007 um 09.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9724

Frage an den Advocatus diaboli

Zunächst, ich verstehe die Einschätzung, ich sei ein tüchtiger Korrektor, als Lob. Im Kontext wird deutlich, daß mich Professor Jochems damit positiv von anderen abheben wollte. Es ist zwar möglich, in der Formulierung etwas Herablassendes zu sehen, es liegt jedoch nicht auf der Hand. Und wenn sich Professor Jochems mir gegenüber herablassend gezeigt hätte, wäre ihm das nicht anzulasten, denn gerade ich habe mich schon öfter und vor allem in diesem Diskussionsstrang respektlos und gegnerisch bis an der Grenze der Feindseligkeit mit seinen Kommentaren auseinandergesetzt.

Ich könnte mich darauf hinausreden, daß ich mich beim Aufgreifen des Etiketts Advocatus diaboli nur an Herrn Bärlein angeschlossen habe, der unmittelbar davor bemerkt hatte, diese Rolle sei augenblicklich vakant und könnte somit Christian Stetter zugeteilt werden. Jeder der Teilnehmer wußte, wer gemeint war, obwohl Herr Bärlein nur vom "bisherigen Stelleninhaber" sprach, zumal Professor Jochems schon öfter so bezeichnet worden ist.

Mir selbst kommt diese Kennzeichnung seiner selbstgewählten Rolle hier im Forum ganz richtig vor. Niemand glaubt hier an den Teufel. Gemeint ist natürlich, was Wikipedia so formuliert: Im weiteren Sinne bezeichnet man im Bereich der Rhetorik jemanden als „advocatus diaboli“, der mit seinen Argumenten die Position der Gegenseite vertritt, ohne ihr selbst anzugehören. Ich denke, es sind hier keine Zitate nötig. Jeder weiß, daß Professor Jochems in zahlreichen Beiträgen Partei für die Reformer oder für einen von ihnen ergriffen hat, während er die Position und die Argumente der Reformgegner zu relativieren, zu schwächen oder auch lächerlich zu machen versucht hat. Deshalb erregen seine Beiträge, jedenfalls bei vielen Teilnehmern, immer wieder unvermeidlich Ärger, Anstoß, Empörung. (So auch bei mir.) Das sollten sich auch diejenigen klarmachen, die ihn der guten Sitten wegen in Schutz nehmen wollen. Walter Lachenmann hat es anschaulicher als Wikipedia so ausgedrückt: Was mich nur wundert, ist daß sich "unser" Herr Jochems immer noch nicht zu schade dafür ist, hier den Sack zu spielen, auf den eingehauen wird, weil der Esel über alle Berge ist.

Auch wenn der Ausdruck Advocatus diaboli hier natürlich nicht im römisch-katholischen Sinne gemeint ist, könnte man doch fragen: Wer ist der Teufel? Er steht personifizierend für das Zerwürfnis. Er ist derjenige, der Unordnung und Streit in die Welt bringt. Er ist der große Zerstörer. Was könnte treffender beschreiben, was die Reformer mit der Rechtschreibung gemacht haben? Auch in des Wortes urspünglicher Bedeutung finde ich es also angemessen, Professor Jochems als Advocatus diaboli zu bezeichnen. Er versteht sich selbst nicht als Anhänger der Reform, und dennoch verteidigt er sie, er versucht uns zu bremsen und zu mahnen, er verharmlost unablässig die Reform. Um doch ein Zitat zu bringen – zuletzt las sich das zum Beispiel so: Als Ventil für allgemeine Staats-, Politik- und Autoritätsverdrossenheit taugt die Auseinandersetzung mit ihr wirklich nicht. Damit sagt Professor Jochems denjenigen, die sich über die Reform aufregen, ihre Kritik sei nicht ernst zu nehmen. Ihre "allgemeine" Staats-, Politik- und Autoritätsverdrossenheit habe sich in der Rechtschreibreform nur ein "Ventil" gesucht; deren Grund sei anderswo zu suchen, denn die Reform sei die Aufregung nun wirklich nicht wert.

Ich vertrete genau die umgekehrte Position: Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform führt zu allgemeiner Staats-, Politik- und Autoritätsverdrossenheit selbst bei engagierten und aufgeschlossenen Bürgern, die sich für ihr Gemeinwesen einsetzen wollen. Professor Jochems sagt: Was regt ihr euch so auf? Das ist doch alles harmlos, wir haben jetzt ein paar Retuschen am Schriftbild, weiter nichts. Ich sage: Auch wenn wir nicht immerzu empört sind, auch wenn wir irgendwann resignieren und schweigen: Unser Ärger ist berechtigt. Auch der Zorn, der jeden anständigen Menschen zumindest irgendwann einmal packt, wenn er in einen solchen Abgrund von persönlichem und fachlichem Versagen geblickt hat, verbunden mit Profilierungssucht, Rücksichtslosigkeit, ideologischem Hochmut und teilweise auch Gewinnstreben.

Meiner Meinung nach ist auch in einer scheinbar allmächtigen Diktatur der Widerstand, so kümmerlich und verschwindend gering er sich auch ausnimmt, nicht sinnlos, sondern um so wertvoller, je übermächtiger das ungerechte System erscheint. Verachten wir etwa die Widerstandsgruppen im Dritten Reich oder in der DDR, weil sie so chancenlos gegen den allmächtigen Staat waren? Sagen wir im nachhinein, es habe sich um lächerliche Figuren gehandelt, weil sie dem unrealistischen Traum anhingen, etwas gegen die Diktatur ausrichten zu können?

Nun frage ich Professor Jochems: Warum fordern Sie uns immer wieder auf, die Vergeblichkeit unserer Bemühungen und die Aussichtslosigkeit unseres Strebens einzusehen? Wollen Sie uns etwas Gutes damit tun, oder welchen Zweck sollen diese Aufrufe haben? Wenn Sie selbst überzeugt sind, daß unsere Sache verloren ist, warum schreiben Sie hier so viele Beiträge? Ganz konkret: Wären Sie zufrieden, wenn die Teilnehmer bei "Schrift & Rede" angesichts der Durchsetzung der Rechtschreibreform resignieren?

PS: Ich erinnere daran, daß Friedrich Denk und Professor Ickler sich von Anfang darin einig waren, daß der größte Gegner der Reform sie selbst ist. In den Zeitungen, schrieb Professor Ickler vor kurzem, kann man beobachten, wie die Reform von innen her verfault. Ein Zerfallsprozeß kann auch sehr langsam verlaufen. Damit haben wir es im Moment zu tun. Auch ich meine, daß wir nichts ausrichten können. An den Hebeln sitzen andere. Das ist für mich noch lange kein Grund, die Reform oder ihre Urheber zu beschönigen oder die Gegner der Reform lächerlich zu machen, sei es wegen ihres Scheiterns, sei es wegen ihrer Emotionen, sei es wegen ihrer geringen Zahl.

Und noch etwas: Hier in Deutschland oder in Österreich ist es duster, aber in der Schweiz sieht die Sache schon etwas anders aus. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in der Schweiz die Vernunft langsam, aber sicher vorankommt – dank der bewunderungswürdigen, äußerst mühseligen Detailarbeit einiger unserer Freunde. Das könnte sich auch einmal auf die Nachbarländer auswirken. Solange sich jemand derart vorbildlich Mühe gibt, ist es meiner Meinung nach ganz besonders unangebracht, zur allgemeinen Unterwerfung unter die Machtverhältnisse aufzurufen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2007 um 07.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9723

In meinem vorigen Eintrag habe ich "verloren geben" geschrieben. Das gibt mir Gelegenheit, noch einmal eine Dudenhaarspalterei anzuführen. Im neuen Duden steht "verlorengeben" als fakultative Neuschreibung, empfohlen wird das alte "verloren geben". Unter "verloren gehen" wird die Getrenntschreibung als neu markiert und auch empfohlen. Der alte Duden hatte, wie so oft, "verlorengehen" mit einem Akzentzeichen, und "verloren geben" mit zwei Akzenten verzeichnet. Mir scheint diese Betonung abwegig, sie scheint aus der vorab festgelegten Getrenntschreibung gefolgert (statt umgekehrt).
Wahrig empfiehlt in beiden Fällen Zusammenschreibung!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2007 um 07.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9722

Wie Herr Metz treffend beobachtet hat, kann man sich manches persönliche Gehakele nur leisten, wenn man die Sache selbst schon verloren gibt.
Darf ich daran erinnern, daß ab 1. August ganz normale und sprachlich richtige Schreibweisen notenrelevant verboten sein werden? Das ist doch wohl das Wichtigste, wogegen wir uns im Augenblick wenden müssen. Wie kann man die Kultusministerien dazu bewegen, wenigstens die Toleranzfrist zu verlängern und den Rechtschreibrat zur Wiederaufnahme seiner sachlichen Arbeit zu veranlassen?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 22.07.2007 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9721

Ob Sportverein oder Internetforum: aus persönlichen Rangeleien und Hahnenkämpfen habe ich mich immer schon herausgehalten und das ganze lieber als amüsierter Zuschauer verfolgt. Da es nun über meinen Kopf hinweg um mich selbst geht, erscheint mir eine Stellungnahme angebracht.
Hintergründig herablassende Sticheleien und Despektierlichkeiten kann ich – eine Gabe des Alters? – schon lange gelassen hinnehmen. Anders in jungen Jahren: damals habe ich unter der perfiden, weil vordergründig freundlichen, aber dennoch verdeckt aggressiven Methode der „Zuteilung einer gesellschaftlich inferioren Rangordnung“ gelitten. Immer waren es Personen, die besonders „väterlich“ und pseudotolerant auftraten. Aalglatte Typen.
Ich habe viel gearbeitet – in der freien Wirtschaft ebenso wie im Staatsdienst. Es muß einmal gesagt sein: Die Art der invasiv-herablassenden Väterlichkeit ist typisches Kennzeichen der Beamtenseele. (Was nicht heißt, daß alle Beamten „typisch“ sind.). In der freien Wirtschaft findet man den Typ eher selten. Der Staatsdiener bekleidet per Staatsakt (nicht kraft Leistung) ein Amt und muß seinen Dünkel krampfhaft nach außen tragen. Wenn mir Herablassung widerfuhr, so stets durch Männer. Frauen und Kinder eignen sich bekanntermaßen besonders gut als Subjekte für deren großmütige und überaus freundliche „Rangzuteilungen“. Im Schuldienst „behandelt“ man Kinder gern auf diese Weise. Gewollte Herabstufung des anderen ist das tägliche Brot von Personen, die sonst nicht viel zu bieten haben.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Damit soll nicht gesagt sein, daß alle diesen Typ verkörpern. Es geht um den Trend. Man beobachtet und lernt.

Nun kann man nur das verletzen, was sich verletzen läßt. Interessant zu erfahren, daß ich leide. Mir selbst war das bislang entgangen. Die Feststellung, daß ich leidenschaftlich eine Sache durchleuchte, wäre passender. Auch „kämpfe“ ich nicht. Ich tue bloß, wozu es mich drängt. Ob und wofür dies gut sein kann, wer weiß das schon. Niemand kann die Zukunft vorhersagen.
Den Vorgängen um die Rechtschreibreform verdanke ich viele Einsichten. Sie hat mich wieder zum Lehrling gemacht. Und es gibt unendlich viel zu lernen! Wie spannend ist es, den immer neu auftauchenden Fragen nachzugehen. Durch die Beschäftigung mit gesellschaftlichen und politischen Erscheinungen am Rande des Reformtreibens habe ich zu Lesestoffen gefunden, die mir sonst verborgen geblieben wären. Alles ist spannend!

Herablassung zeigt, wer diese nötig hat. Sie verweist eher auf den Charakter dessen, der da meint, andere verletzen zu müssen und nicht auf denjenigen, der verletzt werden soll. Ich darf deshalb alle Besorgten beruhigen: Ich leide nicht! (Rufzeichen) Darüber, wie es kommt, daß mein angebliches Leiden Gegenstand der öffentlichen Besorgnis ist, kann man sich den Kopf zerbrechen oder auch nicht. Ich frage jetzt: Könnte man sich vorstellen, daß „unser“ Herr Ickler jemals Gegenstand solcher despektierlichen Betrachtung und Einstufung wäre? Wenn ich mich doch fachlich in keiner Weise mit ihm vergleichen kann, so beanspruche ich doch denselben Respekt meiner Person gegenüber. Allein der Sprache fühle ich mich verbunden. Sie ist es, die mich immer wieder zurückführt in dieses Forum. Wäre sie nicht, ich hätte mich lange zurückgezogen. Rhetorische oder sonstige Schaukämpfe haben mich nie interessiert. Sie widern mich an.

Übrigens: meine vielen Rufzeichen resultieren aus meiner Zugehörigkeit zum temperamentvollen Schreibvolk der österreichischen Sorte – hier muß man laut rufen, sonst hören einen die anderen hinter den hohen Berggipfeln nicht !!!
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 22.07.2007 um 01.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9720

Verehrter Herr Achenbach, in Ihrem letzten Beitrag haben Sie uns ein sehr schönes Beispiel für mögliche Differenzierungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung geliefert. Sie schreiben: „Dabei war ich verblüfft über die sehr weitgehende Getrenntschreibung …“ Ich verstehe Ihr „sehr weitgehend“ im rein quantitativen Sinne, d. h. so, daß in der überwiegenden Mehrzahl der in Frage kommenden Fälle bei Fontane Getrenntschreibung anzutreffen ist. Hätten Sie geschrieben: „die sehr weit gehende Getrenntschreibung“, so hätte ich darin eine Qualifizierung gesehen, d. h. ich hätte mir vorgestellt, daß Sie uns sagen wollen, bei Fontane finde man Getrenntschreibungen, die deutlich über das hinausgehen, was man selbst in Texten aus dem 19. Jahrhundert erwarten würde. Mich interessiert, ob ich mit dieser Interpretation richtig liege. Dies übrigens auch deshalb, weil ich mich gelegentlich frage, bis zu welcher Stufe orthographische Differenzierungen überhaupt sinnvoll sind.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.07.2007 um 01.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9719

"Dieser zeigte [s]ich schon im Kampfe gegen die Karthager, deren Menschen opfernden Kultus die Römer stets verschmähten." (9669)

Genau wie es hier steht, gehört es m. E.
Wenn die Karthager tatsächlich Menschen opferten, dann handelte es sich dabei um einen Menschen opfernden Kult.
So wie das "Hände ringend" bei Germanist, wenn tatsächlich Hände gerungen werden.

Wer behauptet, daß das 'natürlich' so nicht richtig sei, der studiere einmal seine eigenen früheren Einträge.

'So viel' im Moment...
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 22.07.2007 um 01.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9718

Sehr geehrter Herr Köster,

auch wenn Herr Professor Jochems meinen Beistand gewiß nicht nötig hat, muß ich ihm doch zur Seite springen. Bevor Sie ihm in diesem Forum unlautere Motive unterstellen, empfehle ich Ihnen dringend, einmal zu lesen, was Herr Jochems zu diesem Thema geschrieben hat, besonders seine offenen Briefe an Augst und Heller sowie seine Beiträge in "Schule in Frankfurt". Sie gehören wegen ihrer Souveränität und Gelassenhheit zu den besten Kurztexten, die im Laufe der langen Debatte produziert worden sind, und sie beschreiben kurz und prägnant die Lächerlichkeit des Unternehmens "Rechtschreibreform".

Das bedeutet nicht, daß ich Herrn Jochems' hier vorgetragenen Thesen zustimme, im Gegenteil. Aber halte Ihre Wortwahl, Wut hin oder her, nicht für angebracht, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 22.07.2007 um 01.25 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9717

Lieber Herr Lachenmann,

danke für Ihre Erklärung der m.E. auch in diesem Kontext nicht korrekten Äußerung (die neben Mitleid auch Häme ermöglicht).

Sollte man in einem Forum darüber schreiben, woran jemand leidet? "Geschmacksache" sprach der Affe ... Wie mit dem Verb "leiden" gehandelt wird oder (nicht) werden sollte, ist nachlesbar.

Auch das inkriminierte Possessivum ist in einem allgemeinen Forum nicht eo ipso familiär, sondern (kontextfrei) eher despektierlich. Zu Textsorten, Sprachverhalten, Sprachsoziologie, Äußerungssitation und -situative oder gar Sprach"psychologie" werde ich mich als Inkompetenter nicht einlassen.

Ich bin für diese Sprachkultur wahrscheinlich weitgehend ungeeignet.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 22.07.2007 um 00.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9715

Lieber Herr Schatte - WL ist kein Anonymus, sondern es handelt sich um die Abkürzung meines Namens, der hier so häufig und schon so lange auftritt, daß die meisten Teilnehmer das wissen, zumal ich sie meistens dann verwende, wenn es kurz zuvor einen Beitrag von mir unter vollem Namen gibt.

Wer die Diskussionen der vergangenen Jahre und insbesondere die Beiträge von Frau Pfeiffer-Stolz mitgelesen hat, weiß daß Frau Pfeiffer-Stolz nicht nur am Zustand unserer durch die Reform beschädigten Rechtschreibung ganz erheblich leidet, sondern auch daran, daß nach unserem gemeinsamen langen und mühsamen Widerstand, bei dem sie sich bis zum Risiko ihrer unternehmerischen Existenz ungewöhnlich leidenschaftlich und mutig engagiert hat, dieser Kampf "scheinbar erfolglos" geblieben ist. Sie ist nicht die einzige, die darunter leidet, aber gewiß aufgrund ihrer ausgeprägten Emotionalität (die in der Vergangenheit gelegentlich etwas beschwichtigungsbedürftig aber immer sehr authentisch und respektabel war) mehr als andere, aber eben ähnlich wie Herrn Jochems Brieffreundin, die sich erfolglos bei der Kirche um die Rettung der herkömmlichen Rechtschreibung bemüht hat. Nichts anderes hat Herr Jochems geschrieben, was soll das mit Häme oder Herablassung oder was man da sonst hineininterpretieren will, zu tun haben? Dasselbe gilt für den "tüchtigen" Herrn Wrase.

Ich bin mit Herrn Jochems keineswegs grundsätzlich einer Meinung und überdies mit ihm weder verwandt, verheiratet, verschwägert oder sonstwie verbrüdert - geschweige denn identisch. Aber dieser Feindbildpopanz, der da gepflegt wird, geht mir so ähnlich gegen den Strich wie Ihnen - bleiben wir beim Sie - "psychoindikative Diskurseinstreuungen" (wow!) nicht "behagen".

Ein behagliches Restwochenende wünscht Ihnen und den übrigen Hexerichenjägern
Ihr Walter Lachenmann
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.07.2007 um 23.49 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9712

Sehr geehrter Herr Jochems,
kürzlich las ich ein Buch von Theodor Fontane aus dem Jahre 1870. Dabei war ich verblüfft über die sehr weitgehende Getrenntschreibung, die nach meinen Eindruck noch deutlich über die reformierten Regeln von 1996 hinausging. Aber die Sprachwirklichkeit hat sich seit Ranke und Fontane verändert, und solche Rückgriffe auf vergangene Sprachwirklichkeiten erscheinen mir wenig sinnvoll.
Ich würde "fleischfressend" übrigens nicht als lexikalisiertes Adjektiv empfinden, jedenfalls würde ich niemals sagen "Diese Pflanze ist fleischfressend", sondern eher "Diese Pflanze gehört zu den fleischfressenden." Allerdings sind die Übergänge zu den lexikalisierten Adjektiven fließend, und andere mögen das anders empfinden.
Ich kann auch nicht recht Ihrer Darstellung der hier einschlägigen alten Dudenregeln beipflichten. Das Auftreten eines Fugenelements oder das Ausfallen von etwas bei einer Konstruktion sind ganz allgemeine Gründe für jedwede Zusammenschreibung. Sie sind auch nur hinreichend, aber keineswegs notwendig. Daher ist es nicht richtig zu sagen, daß das Fehlen dieser Gründe die Getrenntschreibung "verlangt". Was Sie als Zusatzregel bezeichnen, ist - bezogen auf den hier diskutierten Fall - im Gegenteil die Hauptregel.
Im übrigen bin ich aber - mit Ihnen - ganz für Nachsicht, selbst wenn ich Ihre Auffassung, daß die Zusammenschreibung hier "fast immer richtig" sei, nicht ganz teile. Überhaupt meine ich, daß man die Bezeichnungen "richtig" und "falsch" bei der Rechtschreibung am besten ganz meidet. Außerdem war schon der alte Duden in diesem wie auch in anderen Bereichen häufig durchaus nachsichtig, und keineswegs so kategorisch und regelversessen, wie Sie ihn gerne darstellen. Das hat sich aber seit der "amtlichen Regelung" der Rechtschreibung leider sehr geändert.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 21.07.2007 um 23.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9711

Alle Achtung, verehrter Herr Schatte, einen so erlesenen Text muß einer erst mal hinkriegen. Den versteht garantiert nicht jeder, und das ist doch schon ein Zeichen nicht nur seiner außergewöhnlichen sprachlichen Höhe, sondern auch seines Richtigkeitseffizienten, denn durch solchen feinstgeklöppelten Sprachzwirn wird alles sozusagen unwiderlegbar, ja in seinem Sogesagtsein geradezu für jede Gegenrede antizipatorisch zernichtend!

Ich kann immer noch nicht herausfinden, was an dem Satz, den Herr Jochems über unsere Frau Pfeiffer-Stolz geschrieben hat, so verwerflich sein soll. Die darin verborgene Hinterhältigkeit muß so raffiniert sein, daß möglicherweise der Autor selbst sie nicht erkannt hat. Aber wenn man einfach weiß, das einer ein Böser ist, dann weiß man auch, daß alles, was von ihm kommt, nur böse sein kann. Und dann kann man das auch psycholinguistisch nicht nur bei harmlos daherkommenden sondern sicherlich auch antizipatorisch für alle eventuell sonst noch aus dieser Ecke kommenden Verlautbarungen haarfein analysieren, auch ohne sie genauer zu lesen - ist ja doch alles hinterhältig. Wenn die Analyse keiner versteht, wirkt sie umso triftiger. Latein überzeugt immer,die katholische Kirche hat sich ja auch darauf wieder besonnen.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.07.2007 um 22.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9710

Lieber Herr Jochems,

extra meritum. Mir behagen psychoindikative Diskurseinstreuungen generell nicht, umso mehr, wenn sie sich gegen Frau Pfeiffer-Stolz richten. Das von ihr in diesem Forum -- zuweilen nur en passant -- Gesagte hat teils entschieden mehr Tragweite, als hier erfaßt wurde. Einige Sätze in ihren nicht bewußtseinsströmigen (i.e. strukturierten) Texten bleiben nachzulesen (in jedem Sinne), bevor ein Satz mit Possessiva gewisser Art entsteht wie:

"Ähnlich wie die oben genannte Gesinnungsfreundin leidet auch unsere Frau Pfeiffer-Stolz unter der scheinbaren Erfolglosigkeit des Widerstands gegen die Rechtschreibreform."

Quod erat demonstrandum. Ist das die gewünschte Sanftheit oder gar der in den Siebzigern sattsam geübte despektierliche bzw. stigmatisierende Umgang der Diskurshoheitlichen mit ihren Adversatoren im unschuldigen Beiläufigen? Selbst in der leider nur einseitig geschätzten Diskurskultur wäre das Verb "scheinen" dem Satz drüberzulegen opportun gewesen, gleich ob man im Leben steht, dieses als Thersides zynisch kontempliert oder in Antizipation des einem Geschriebenen alle und alles aufs Indifferente bzw. auf Null nichtet.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 21.07.2007 um 20.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9709

"Herrn Jochems scheint wirklich jedes Mittel recht zu sein, dem Murks der Reformer zur Durchsetzung zu verhelfen. ... "

Wer so etwas schreibt, kann eigentlich nicht für sich in Anspruch nehmen, als redlicher und um Verständnis und Verständigung bemühter Gesprächspartner ernstgenommen zu werden. Man mag ja tatsächlich manchmal rätseln, was Herr Jochems von dieser oder jeder Einzelfrage hält, und daß man gründlich anderer Meinung als er sein und dabei die guten Sitten einer respektvollen Diskussion pflegen kann, zeigen die Antworten etwa von Herrn Metz oder Herrn Ickler. Wie absurd: Herr Jochems, der kaum verkappte V-Mann der Reformer, führt uns seit über zehn Jahren hier alle an der Nase herum! Wie schade, daß er so wenig kluge Gesprächspartner hat. Man kann ja auch einmal still für sich den Kopf schütteln, wenn man allzu merkwürdig erscheinenden Gedankengängen nicht folgen kann oder will. Oder sich eine gescheite Antwort einfallen lassen. Oder sich überlegen, ob vielleicht doch was dran ist ... Aber nein - es muß geschmäht werden. Peinlich.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 19.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9708

Lieber Herr Metz,

wenn Sie es so sagen, würde ich es gern glauben. Ich wäre mir da allerdings an Ihrer Stelle nicht so sicher: ich hatte Frau Pfeiffer-Stolz einen wohlwollenden und zustimmenden Kommentar zukommen lassen, und prompt folgte Herrn Jochems' Entgegnung, die ich -- in welchem Zusammenhang auch immer, ich denke nach wie vor, sie war als Antwort auf meinen Beitrag gedacht -- in jedem Fall inakzeptabel fand. Herrn Jochems scheint wirklich jedes Mittel recht zu sein, dem Murks der Reformer zur Durchsetzung zu verhelfen. Ich glaube es ihm auch einfach nicht mehr, daß er am Fortbestehen unserer guten und richtigen Rechtschreibung noch irgendein Interesse hat. Wenn doch, möge er es hier bitte deutlich erklären, und nicht wieder auf so faule Weise wie das letztemal, in dem er einem erfahrenen Pädagogen in gewohnter Windhundmanier geantwortet hat.
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.07.2007 um 19.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9707

An Herrn Strasser "Nur wenn bei so einer Aktion der RSR überwiegend Pfusch bescheinigt würde, könnte das m. E. Eindruck auf die Kultusminister machen."

Die Kultusminister würden sich auch in dem Falle sicher als beratungsresistent erweisen. Wissenschaftliche Erkenntnisse rühren diese Leute in der Frage der RSR schon lange nicht mehr, schließlich ist doch die Reform "ohne Probleme" in den Schulen umgesetzt worden. Aus deren Sicht gilt es, jedwede Diskussion zur RSR totzuschweigen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 19.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9706

Die Darstellungen meines Vorredners sind natürlich so nicht richtig. Die Kannibalen der Andamanen wären tatsächlich menschenopfernd zu nennen. Erst wenn sie tatsächlich den Kessel anzünden und in wildem Freudentaumel Menschen opfernd ihren Riten nachzugehen gedächten, käme Getrenntschreibung in Betracht.

Es ist übrigens ein Stadtmythos, auf den Andamaren oder Nikobaren gäbe es noch Kannibalen. Das ist so ein unausrottbares Vorurteil wie das, es gäbe da eine gewisse Stabschrecke, die das Männchen bei der Fortpflanzung tötet. Diese weiblichen Insekten tun das nicht, sie lassen sich nur vom menschlichen Blitzlichtgewitter ablenken.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.07.2007 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9705

Menschen opfernd

"Menschen opfernd" kann eigentlich nur wörtlich verstanden werden. Man kann sich den armen Menschen bildlich vorstellen, der geopfert werden soll. Daher finde ich in diesem Fall Getrenntschreibung richtig.

Menschenverachtend dagegen ist üblicherweise ein "Floskelwort" (eine menschenverachtende Vorgangsweise ...). Mit konkreten Menschen hat das gar nichts zu tun, man könnte auch niederträchtig, inhuman o. ä. sagen. Nur wenn konkret bekannte Menschen verachtet würden, käme auch hier Getrenntschreibung in Frage.

Auch an diesem Beispiel sieht man, daß solche Fragen rein formal nicht befriedigend lösbar sind.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.07.2007 um 18.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9704

Realismus heißt für mich, nüchtern zu sehen, was ist, und sich keinen Illusionen darüber hinzugeben, was man in einer gegebenen Situation kurzfristig erreichen kann. Realismus ist damit die Grundvoraussetzung für kluges und verantwortungsvolles Handeln. Eine seiner wichtigsten Funktionen ist der Schutz vor Enttäuschungen, eine seiner größten Gefahren die Resignation. Zwar ist es legitim, unter Berufung auf den Realismus aus einem Unternehmen, das man für aussichtslos hält, auszusteigen, zumal dann, wenn man es lange mitgetragen und ihm viel Zeit und Kraft geopfert hat. Es besteht aber keinerlei Verpflichtung, ja es ist nicht einmal geboten, ein Ziel nur deshalb aufzugeben, weil es – nach verständiger Würdigung der Sachlage – auf absehbare Zeit nicht zu verwirklichen sein wird. Wäre es anders, gäbe es bis heute zwei deutsche Staaten und die 96er Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung wären noch immer amtlich.

(An Herrn Köster: Herr Jochems hat sich gewiß nicht auf Ihren Beitrag bezogen.)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.07.2007 um 18.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9703

Angenommen, man würde eine statistisch relevante, große Zahl deutschprachiger Sprachwissenschaftler bitten, sie sollen in geheimer Abstimmung einen Fragebogen ausfüllen. Z. B.:
Wie bewerten Sie die Neuregelung der GZS?
hervorragend gelungen - gut gelungen - mäßig gelungen - katastrophal. Sollte nachgebessert werden?
Wie bewerten Sie die Neuregelung der GKS? usw.

Was würde wohl bei so einer Befragung herauskommen?

Nur wenn bei so einer Aktion der RSR überwiegend Pfusch bescheinigt würde, könnte das m. E. Eindruck auf die Kultusminister machen.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 21.07.2007 um 18.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9702

Auf die Gefahr hin, nun meinerseits als advocatus diaboli dazustehen, möchte ich zu bedenken geben, ob es auch als anstößig empfunden worden wäre, wenn etwa Herr Ickler, Herr Bärlein oder sonst ein - sagen wir mal "unverdächtiger" - Diskussionsteilnehmer Herrn Wrase als "tüchtigen Korrektor" bezeichnet hätte (ich kann dieses Lob aus eigener Erfahrung mit ihm nur bestätigen) oder von "unserer" Frau Pfeiffer-Stolz gesprochen hätte (ich meine auch, daß sie mit ihrem Engagement und ihren oft sehr nachdenkenswerten Gedanken in besonderer Weise zu "uns" gehört).
Was mich nur wundert, ist daß sich "unser" Herr Jochems immer noch nicht zu schade dafür ist, hier den Sack zu spielen, auf den eingehauen wird, weil der Esel über alle Berge ist.
Was heißt "Realismus"? Real ist zum Beispiel, daß bei der SZ durchgängig Potential und Handvoll und viele andere Dinge wieder so geschrieben werden, wie wir es uns gewünscht hatten, als diese Schreibweisen von der Abschaffung durch die Reform bedroht waren.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 17.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9701

Lieber Herr Jochems,

ich lasse mich natürlich wie immer gern von Ihrer Wortgewandtheit beeindrucken. (Ich finde es persönlich etwas zu gewollt, wenn Sie négligeable statt, wie wäre es damit: frisch und frei: vernächlässigbar schreiben.) Doch will ich da gar nicht so sehr ins Detail gehen. Mich stört etwas ganz anderes, nämlich daß Sie hier versuchen, mir das Wort im Munde umzudrehen. Ich habe Frau Pfeiffer-Stolz mit allem gebotenen Respekt angesprochen, ihr auch ihre Gefühle zugestanden, aber nun kommen Sie mit »unsere Frau Pfeiffer-Stolz«. Das wäre als tendenziös abzulehnen, klingt es doch wie die Krankenschwester, die auf der Station wirzt. Etwas mehr Anstand also stünde Ihnen, erst recht in Ihrem fortgeschrittenen Alter, das mich nicht respektloser macht, ganz gut zu Gesicht.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.07.2007 um 16.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9700

Gestern rief mich ganz niedergeschlagen eine Gesinnungsfreundin aus der Anfangszeit des Widerstands gegen die Rechtschreibreform an. Ihr Versuch, die höchsten Stellen ihrer Kirche von deren Plan abzubringen, die reformierte Rechtschreibung für das neue katholische Gebetbuch zu übernehmen, sei fehlgeschlagen. Sie war untröstlich, denn sie sieht darin das endgültige Fiasko ihrer elfjährigen Bemühungen um eine unbeschädigte deutsche Orthographie. Mir ist es nicht gelungen, sie zu trösten. Heute erhielt ich mit der Post ein Exemplar der vor wenigen Wochen erschienenen neuen Zürcher Bibel, an der ein Übersetzerkreis zwanzig Jahre gearbeitet hat, um das Alte und das Neue Testament in der Sprache unserer Zeit den Menschen zugänglich zu machen, dies jedoch in einer Textform, die auch den gottesdienstlichen Gebrauch ermöglicht. Mich interessierte natürlich, wie es die evangelisch-reformierten Christen der Schweiz mit der Rechtschreibreform halten. In den eigentlichen biblischen Texten habe ich lange ergebnislos gesucht, denn Heyse als Indikator fehlt natürlich. Endlich fand ich in der theologischen Einleitung zum Lukasevangelium die Schreibung "im Wesentlichen", also reformiert. "Gräuel" suche ich im Alten Testament vergeblich, denn die Übersetzer sagen z. B. Deuteronomium 12, 31 "alles was der HERR verabscheut und was er hasst..." Den Bibellesern in der Schweiz wird diese Übersetzung also kein Greuel sein.

Ähnlich wie die oben genannte Gesinnungsfreundin leidet auch unsere Frau Pfeiffer-Stolz unter der scheinbaren Erfolglosigkeit des Widerstands gegen die Rechtschreibreform. Bei uns bleibt natürlich Heyse, wenn auch die störenden Übergeneralisierungen bei der GZS demnächst aus den in Deutschland gedruckten Texten verschwinden werden. Frau Pfeiffer-Stolz schreibt gerade auf dieser Webseite:

Trotz historischer Lektionen in Sachen Appeasement gibt es immer wieder – auch dieses Forum bietet Anschauungsunterricht! – Personen, die trotz ihrer Bildung dem Irrglauben aufsitzen, mit Nachgiebigkeit und Anerkenntnis der gegnerischen Etappensiege sei es möglich, Grenzen zu ziehen und Frieden zu schaffen. Und diese Verliererhaltung möchten sie den anderen auch noch als „Realismus" verkaufen!

Ich will die Einzelheiten dieser Aussage nicht kommentieren, sondern nur fragen: Worin besteht der Realismus der noch übriggebliebenen Kritiker der Rechtschreibreform?

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.07.2007 um 15.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9699

Zum Umgang miteinander: Was sich hier in letzter Zeit mitunter abgespielt hat, kann sich eigentlich nur leisten, wer die Sache endgültig für sich entschieden oder aber verloren gegeben hat.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.07.2007 um 15.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9698

Wenn wirklich Hände gerungen werden, kann man auch "Hände ringend" vertreten, weil das Bild so schön ist; bei "händeringend" werden nicht immer wirklich Hände gerungen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 15.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9697

Ich habe den Beitrag von Karin Pfeiffer-Stolz (ich hoffe, das war so richtig) mit Interesse und nicht ohne menschliche Anteilnahme gelesen. Sie neigt zu einer drastischen Wortwahl sowie zu Fettdruck und vielen Ausrufezeichen. Da scheint für mich die Erbitterung einer langjährigen Fürsprecherin für die normale Rechtschreibung durch. Es ist dies auch eine selten diskutierte Folge der Reform: die Vernichtung von freier Zeit, die sonst vielleicht lieber auf Gedichte und Schöngeistiges verwendet worden wäre. Ich habe da immer Herrn Salzburg im Sinn, der soviel (nicht: so viel) persönliches Engagement in diese Debatte mit eingebracht hat, daß es mich wirklich fast schon traurig macht, wieviel geistiges Potential da in unserem Lande schlichtweg vernichtet wird. Bei mir ist es ja inzwischen auch so: Ich komme kaum noch zum Dichten und Schreiben, denn ich muß mir ja erst einmal dieses Grundübel vom Leibe schaffen, das mir die Freude an allem vermiest.
 
 

Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 21.07.2007 um 14.01 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9695

Daß ausgerechnet Herr Jochems Respekt einfordert, nachdem er seinen Dünkel hier in wenigen Worten entlarvt hat („Herr Wrase, der gewiß ein tüchtiger Korrektor ist“), paßt zum Persönlichkeitsbild, das ich inzwischen vom Professor habe. Ich hoffe nur, er hat Herrn Wrase damit nicht zum Schweigen gebracht. Dessen Beiträge sind mir mindestens so wertvoll wie die des Großen Relativierers.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 13.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9694

Ich bitte den Kreis der Diskutanten um Nachsicht für die vielen Tipp- und Ausdrucksfehler, die mir gerne beim ersten Anlauf unterkommen. Es besteht hier keine Möglichkeit zur Korrektur, was ich recht sympathisch finde, da dies einen Blick auf die Wahrheit ermöglicht, der wir uns hoffentlich alle zu nähern wünschen -- der Preis dafür ist allerdings, daß einiges hier die Qualität eines First draft hat, selbst wenn seriöse Äußerungen beabsichtigt gewesen sein wollten. Nicht nur ich bin davon betroffen, sondern selbst namhafte Sprachwissenschaftler, und so zeige ich mich etwas entspannter.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.07.2007 um 13.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9693

Mit der Diskretion hat es so seine Bewandtnis(se), scheint mir -- Herr Jochems -- im nachhinein.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.07.2007 um 12.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9692

Ich möchte auch etwas zu Menschen opfernd sagend. Herr Ickler hat formuliert: »Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie nicht verbieten.« Ich habe mir das in meiner Vulgärgrammatik ebenfalls so zusammengereimt, zu einer Deregulierung sehe ich dennoch keinen Anlaß. Der Grundsatz ist wirklich simpel im Kopf zu behalten: zusammen schreibt man, wenn Klassifizierendes gemeint ist, getrennt, wenn es sich um eine konkrete Situation dreht. Das ist nicht nur einfach zu lernen, es ist auch wirklich unserer Sprache angemessen.

Reformbefürworter weisen gerne darauf hin, daß sie die ihrer Ansicht nach gekünstelte Unterscheidung zwischen mit Bezug auf und in bezug auf für überkandidelt und lächerlich halten. Ich habe dem schon immer entgegenhalten: Wenn Sie so schreiben wollen, dann schreiben Sie doch einfach in Bezug auf. Wer hindert Sie daran? Unsere Grammatik keinesfalls.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.07.2007 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9690

Ebenfalls zu "Menschen opfernd": Die alten Dudenregeln sahen Zusammenschreibung von Verbindungen mit Partizipien für die beiden Fälle vor, daß ein Fugenelement dazwischentrat oder im Vergleich mit der entsprechenden Infinitivkonstruktion etwas ausgefallen war. Dabei blieb es auch in der Neuregelung von 1996. Dagegen ließen die Reformer die Zusatzregel entfallen, daß die Getrenntschreibung einen Vorgang ausdrückt, die Zusammenschreibung dagegen "klassifizierend" eine Eigenschaft - unabhängig davon, ob die rein formale Regel die Getrenntschreibung verlangt. Klaus Heller scheint bei der Arbeit am Wörterverzeichnis entdeckt zu haben, daß einige dieser Verbindungen längst lexikalisiert sind und als zusammensetzte Adjektive verstanden werden, z. B. "gewinnbringend". Daß "fleischfressend" und etliche andere auch dazugehören, wollte er freilich nicht zugeben. Heute ist dieser Bereich "liberalisiert", allerdings unter Verzicht auf die Unterscheidungsmöglichkeit. Weder vor noch nach 1996 hat man jedoch Überlegungen darüber angestellt, ob weitere (auch stilistische) Regeln im Spiel sein könnten. Niemand würde schreiben "brandgefahrsignalisierende Warnsysteme" oder "retourenaussondernde Sortiervorgänge". Bei unübersichtlichen nominalen Zusammensetzungen hat man immer schon den Trennstrich als Gliederungszeichen verwendet, bei anderen Wortklassen gibt es das jedoch nicht, lediglich bei Abkürzungen: "SPD-freundliche Wählergruppen". Für den Normalfall gilt jedoch, daß die Zusammenschreibung fast immer richtig und nie anstößig ist. Wer trotzdem "Menschen verachtend" schreibt, sollte sich der Nachsicht der Schreibgenossenschaft sicher sein.

PS. aus gegebenem Anlaß: "Diskretion ist deshalb ein selbstverständlicher Grundsatz." Es fehlt "Respekt" - und zwar auch gegenüber den Verfassern seriöser Beiträge.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2007 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9689

Herr Strasser hat recht. Auf den Rechtschreibrat sollte man allerdings keine Hoffnungen setzen. Er ist ausschließlich als Instrument zur Durchsetzung der Reform erfunden und entsprechend besetzt. Ein paar Alibi-Kritiker machen sich gut und stellen keine Gefahr dar. Dasselbe galt für alle früheren Gremien sowie die Mannheimer Anhörung und die Einladungsliste zum Karlsruher Verfahren.
Die Wissenschaft hat sich weitgehend selbst entmündigt; fast alle Germanisten halten still und schreiben nun auch irgendwie reformiert.

An den Zeitungen kann man beobachten, daß die Reformschreibung von ihnen her verfault. Es ließe sich beschleunigen. Ob die FAZ über ihren Auflagenrückgang nachdenkt? 2000 sind natürlich nicht viel, aber die Richtung stimmt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2007 um 09.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9688

Zu "Menschen opfernd": Schon vor zehn Jahren habe ich zu solchen Konstruktionen gesagt, was meiner Ansicht nach gesagt werden muß. Sie sind nicht falsch, denn die Grammatik "erlaubt" sie (ich fasse mich kurz). Allerdings gibt es mindestens zwei stilistische Bedenken. Prädikativ sind sie fast unmöglich, außer unter Sonderbedingungen, die ich in meinem kritischen Kommentar mit einigen Belegen dargestellt habe. Attributiv sind sie markiert als "Papierdeutsch" o. ä. Es gibt Untersuchungen über das erweiterte Partizipialattribut, z. B. Heinrich Weber 1971. Die lexikalisierten Verbindungen wie "schwindelerregend" sind unmarkiert.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.07.2007 um 07.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9687

Internetforen:
Wer glaubt, Internetforen hätten auch nur irgend einen Einfluß auf das, was bzgl. Rechtschreibreform tatsächlich geschieht, der hat ein verzerrtes Realitätsverständnis. Die einzige Möglichkeit, Dinge zu verändern, hat die Wissenschaft, deren geballte Expertise eigentlich im Rechtschreibrat institutionalisiert sein sollte. Daß dort in Wirklichkeit andere Kräfte die Mehrheit haben, ist daher anzugreifen. Es wäre natürlich auch interessant, zu erheben, wie die Befürwortung/Ablehnung der RSR prozentuell bei Sprachwissenschaftlern tatsächlich ist.

Die zweite Möglichkeit, Dinge zu verändern, ist jene hinter den Kulissen., und da scheint derzeit auch einiges in Bewegung zu sein.

Irrtümer:
Sprache und deren Verschriftung dienen nur einem einzigen Zweck, nämlich, Informationen möglichst unmißverständlich weiterzugeben bzw. zu erkennen.
Bei jeder Orthografie ist daher jener Bereich der heikle, der bedeutungsbestimmend ist. Hier kann man keine künstlich erfundenen "Vereinfachungen" einführen, weil sonst die Basisfunktionalität gefährdet ist (diese grundlegende Überlegung dürfte den Reformern der ersten Stunde völlig unbekannt gewesen sein).
In Bereichen aber, die nicht bedeutungsbestimmend sind, ist eine Bandbreite möglicher Schreibungen hingegen kein Problem.

Kompetenz:
Wer kompetent sein will, der ist es auch. Schlimm wäre nur, wenn sich die Rechtschreibung selbst interessierten Anwendern verschlösse, davon kann aber doch wirklich keine Rede sein. Daß jeder seltene Wörter mitunter nachschlägt, hat mit Schreibkompetenz überhaupt nichts zu tun, das ist so wie mit dem Wortschatz, jeder hat einen beschränkten und wird hin und wieder mit Wörtern konfrontiert, die er noch nicht kannte. Was soll denn der von Hrn. Jochems mehrfach angedeutete Rechtschreibvirtuose mehr können, als keine Fehler zu machen, im Vergleich zu dem von ihm zugrundegelegten Verschriftungsmodell?

Wem die Rechtschreibung allerdings egal ist, der hat eben eine eingeschränkte Kompetenz. So einfach könnte man eine Orthografie gar nie machen, daß so einer fehlerlos schriebe.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 21.07.2007 um 07.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9686

Christoph Schatte:
„Solange nicht alle Dummschreibbefehle zurückgenommen sind, sollte also nicht wie im Salon antichambriert werden ...“

Man kann dies nicht oft und laut genug sagen! Wohin führen denn all die faulen Kompromisse? Sie sind nichts als eine Einbahnstraße, in die wir, die gutgläubig und gutwillig ein Stück „Demokratie“ und „Toleranz“ praktizieren, gelockt werden von jenen, die genau wissen, was sie wollen: nämlich mittels scheindemokratischer Mittel ihre eigenen, nicht mehrheitsfähigen Vorstellungen diktieren!

Appeasementpolitik ist war schon immer erfolgreich – und zwar für Gruppen, die mit verdeckter Gewalt etwas „aussitzen“ wollen. Diese bauen berechnend auf typische menschliche Eigenschaften, welche da sind: Bequemlichkeit, Feigheit, Harmoniebestreben und Naivität (letzteres grenzenlos!). Es gelingt ihnen, mit beharrlich vorgetragenem „Toleranzgefasel“ den Gegner millimeterweise über den Tisch zu ziehen. Sie sind darin sehr geduldig, denn sie spüren, daß sie ihr Ziel beinahe kampflos erreichen werden.
Wer dem Werben nicht nachgibt, sondern seinen Standpunkte unbeirrt vertritt und eine kompromißlose Überzeugung äußert, macht sich selbst zum Ziel heftiger Angriffe. Das ist weder angenehm, noch lustig. Aber es ist die einzige Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen und eine langfristig für die Gemeinschaft nachteilige Entwicklung zu verhindern.
(Manche Kinder beherrschen die Taktik des „Beschwichtigungssiegens“ perfekt: etappenweise werden den kompromißbereiten, unsicheren und „erziehungsdemokratischen“ Erwachsenen Zugeständnisse abgerungen – diese wollen ja nicht die „Liebe“ aufs Spiel setzen. Dabei geht ihnen erst zu spät auf, wie sie endlich auf der ganzen Linie als Verlierer dastehen. Jeder, der Kinder hat, weiß, wohin es führt, wenn man sich in kompromißlosen Angelegenheiten Zugeständnisse abringen läßt. Es entwickelt sich – unnötig zu sagen – nicht zum Wohle der Kinder!)

Die Strategie der Täuschung und Hinterlist im Spiel mit der Kompromißbereitschaft des politischen Gegners wurde schon immer erfolgreich in der Politik, insbesondere der kommunistischen Lehre, gepflegt. Dabei spielt eine bewußte Verwirrung der Begriffe eine tragende Rolle. Es gibt absolute Werte im Gesellschaftsleben, die keine Kompromisse dulden. Kann man sich vorstellen, daß man „ein bißchen“ Tierquälerei oder „ein bißchen“ Kindesmißbrauch duldet, nur weil das Realität ist und man die Täter nicht ausgrenzen möchte? Wieviel Diebstahl soll man hinnehmen – oder anders: Soll man das Stehlen in den Hauptstädten explizit zulassen, weil es dort halt eben sehr verbreitet ist? Man muß drastische Anschauungsbeispiele wählen und deutlich zu machen, welchen taktischen Weg die Betreiber der sogenannten Rechtschreibreform gegangen sind, und immer ist es auch ein übles Spiel mit Begriffen. Die Orthographie ist ein Beispiel von vielen. Die schleichende Islamisierung Europas ist ebenfalls die Folge einer geschickten Appeasementpolitik; wiederum ist der Mißbrauch des Wortes „demokratisch“ ein entscheidender Faktor. (Wo die Begriffe nicht stimmen ...Konfuzius)

Trotz historischer Lektionen in Sachen Appeasement gibt es immer wieder – auch dieses Forum bietet Anschauungsunterricht! – Personen, die trotz ihrer Bildung dem Irrglauben aufsitzen, mit Nachgiebigkeit und Anerkenntnis der gegnerischen Etappensiege sei es möglich, Grenzen zu ziehen und Frieden zu schaffen. Und diese Verliererhaltung möchten sie den anderen auch noch als „Realismus“ verkaufen!

 
 

Kommentar von Red/ub, verfaßt am 20.07.2007 um 22.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9684

Ein Hinweis aus gegebenem Anlaß: Dieses Forum ist öffentlich einsehbar. Wenn einzelne Teilnehmer unter Pseudonym auftreten, haben sie zunächst einmal die Vermutung auf ihrer Seite, daß es dafür gute Gründe gibt. Das gilt unabhängig von der Wertschätzung, die ihren Beiträgen entgegengebracht wird. Es gilt auch unabhängig davon, ob es sich um noch aktive oder um ehemalige Teilnehmer handelt. Diskretion ist deshalb ein selbstverständlicher Grundsatz. Über Ausnahmen befindet, außer dem Betroffenen selbst, allenfalls die Redaktion.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.07.2007 um 21.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9683

Vermutlich haben die bei der Durchsetzung der Reform besonders aktiven Kultuspolitiker längst verdrängt, was sie damals für einen Mist durchgeboxt haben. Wir sind aber berechtigt, diese für die Verantwortlichen unangenehme Erinnerung an ihre Schandtaten wachzuhalten, besonders wenn die betreffenden Personen inzwischen wegen angeblicher Verdienste befördert wurden wie z.B. Frau Schawan. Tätige Reue berechtigt zu Strafnachlaß, fehlendes Unrechtsbewußtsein bewirkt Strafverschärfung. Jeder der damals Verantwortlichen verdient eine Internetseite mit seinen Missetaten, natürlich ohne Beleidigungen. Interessant wäre, ob die Aufzählung historischer Tatsachen als "üble Nachrede" verboten werden kann.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.07.2007 um 19.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9682

Da die staats(er)mächtig(t)en Berserker die deutsche Graphie offensichtlich und ohne Not schwer beschädigt haben, kann die Reaktion gewiß nicht wie im französischen oder Berliner Salon gehalten sein (in Deutschland müßten die möglichen Folgen solcher Sanftmut hinlänglich bekannt sein). Von den Installateuren der "neuen" Ortho(!)graphie wurde eine Reaktion provoziert, die der in einem texanischen Saloon des 19. Jahrhunderts ähnlich sein mußte.

Ihre Sturheit und Uneinsichtigkeit haben die Reformer und deren Durchpeitscher allein damit hinreichend bewiesen, daß sie sich jeden noch so kleinen Schritt der Rückkehr zur Vernunft abtrotzen lassen. Schon heute ist gewiß, daß "der Staat", d.h. die Obrigkeit von der Demokratie Gnaden, die noch verbliebenen Abstrusitäten des Neuschrieb ebenfalls wird zurückbauen müssen. Aber die Herrschaften werden es zögerlich tun, damit die Staatraison nicht lädiert wird. Diese Raison ist übrigens nie die des Abstraktums Staat, sondern das Gesicht konkreter Personen, die sich Inhaber desselben dünken. Ob sie überhaupt noch ein Gesicht zu verlieren haben, sollten sie sich selber fragen und möglichst schnell das Handtuch werfen, damit das Gerangel um dieses Mach- bzw. verbliebene Stückwerk ein Ende hat. Solange nicht alle Dummschreibbefehle zurückgenommen sind, sollte also nicht wie im Salon antichambriert werden -- allein deshalb nicht, weil angesichts der permanenten Arroganz der Oberen jedes savoir vivre versagt.
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 20.07.2007 um 19.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9681

Lese ich hier richtig, ist da von "unverhohlener Herablassung" die Schrift & Rede? Ein genüßlich-verdrießliches Räuspern sei mir angesichts ausgerechnet dieser Wortmeldung erlaubt.

 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 20.07.2007 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9679

Ich lese in Herrn Wrases Beiträgen von orthographischen Änderungen, die er in Texten von Kunden vornimmt, bzw. von entsprechenden Wünschen, die an ihn herangetragen werden. Wenn meine Vermutungen in bezug auf seinen Beruf so abwegig sind, daß sie Ihren abschätzigen Kommentar hervorrufen, wäre eine Korrektur hier leicht möglich. Ich habe über meine berufliche Vergangenheit niemanden im Zweifel gelassen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.07.2007 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9678

Herr Wrase hat ausdrücklich nicht dazu aufgefordert, einen Advocatus diaboli zu bekämpfen. Aber wer ihn mit unverhohlener Herablassung als „tüchtigen Korrektor“ bezeichnet, wird seine Beiträge natürlich nicht genau lesen wollen.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 20.07.2007 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9677

Verehrte Frau van Thiel, Sie sagen: "Sooo verstaubt kann also Normalschreibung noch gar nicht sein (und wird dank dieser Bücher hoffentlich noch lange präsent sein)." Wer sollte dem nicht zustimmen können? Nur: Von der Schärfe der Polemik auf dieser Webseite ist beides völlig unabhängig. Herr Wrase, der gewiß ein tüchtiger Korrektor ist, will hier den "Advocatus diaboli" bekämpfen. Was würden Sie zu dieser Wortwahl sagen, wenn es etwa um "Ballistol" und nicht um unseren tüchtigen Herr Wrase ginge? Wer die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens in den Augen der Öffentlichkeit beschädigt, leistet unserer Sache einen Bärendienst.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 20.07.2007 um 16.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9674

"Änderungen bewirkt unser Kreis nun nicht mehr."
Ich bin etwas verwirrt ob dieser Resignation. Es gibt doch nicht nur die Schule und die Zeitungen, es gibt doch auch Bücher!
Vor einer Woche war ich in der Buchhandlung, um ein bestelltes Buch abzuholen. Beim Hinausgehen zogen mich einige Titel an, weswegen ich einige Bücher interessehalber durchblätterte. Eine Erkenntnis nebenbei: erfreulich viele Neuerscheinungen - darunter auch ein mit Plakat extra beworbener Krimi - waren in völlig normaler Rechtschreibung verfaßt. Auch Neuauflagen von bereits früher verlegten Büchern werden sogar von "reformierten" Verlagen ohne weiteres in den Handel gebracht. Sooo verstaubt kann also Normalschreibung noch gar nicht sein (und wird dank dieser Bücher hoffentlich noch lange präsent sein).
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 20.07.2007 um 15.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9673

Lieber Herr Köster,

meiner unendlichen Geduld müßte man anmerken, daß ich keine Probleme habe. Die Rechtschreibreform und ihre Folgen sind ein Vorgang, den man genauso gelassen und genauso um Objektivität bemüht betrachten kann wie alles andere im Leben auch. Als Ventil für allgemeine Staats-, Politik- und Autoritätsverdrossenheit taugt die Auseinandersetzung mit ihr wirklich nicht. Die noch verbliebenen Kritiker sind eine verschwindend kleine Minderheit, die sich nicht damit herausreden kann, alle übrigen Mitbürgerinnen und Mitbürger seien bestenfalls Dummköpfe und schlimmstenfalls gewiefte Opportunisten und Profiteure. Wer wirklich zur Sache gehört werden will, sollte auch bei der Sache bleiben. Ohnehin kann es in dieser Spätphase nur noch um Einsichten gehen, Änderungen bewirkt unser Kreis nun nicht mehr. In welchem Zustand die Internetpräsenz der Kritiker ist, ersehen Sie aus den blamablen Zuständen, die auf den drei konkurrierenden Webseiten herrschen. Hier achtet Herr Lachenmann darauf, daß das Schiff nicht ganz aus dem Ruder läuft. Man kann nur traurig darüber sein, welche Möglichkeiten auch auf "Schrift und Rede" vertan werden. Noch so lautstarke Polemik hilft wirklich nicht mehr weiter.

 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 20.07.2007 um 13.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9672

Lieber Herr Jochems,

genau darin scheint mir Ihr persönliches Problem zu bestehen: Sie wollen ein Mittler zwischen den Welten sein. Ich habe das auch lange versucht, habe ich doch in meiner Kindheit schon Melville auf englisch gelesen und später mit Pennern auf der Reeperbahn abgehangen. Das geht für eine Weile, doch nicht auf Dauer. Wir wollen uns nicht über ungelegte Eier unterhalten, sondern darüber, was tatsächlich konsensfähig wäre. Für mich ist es nicht einmal die Heysesche s-Schreibung, die ich für grundärgerlich halte. Sie ist allein Hervorkommnis blinder Regelungswut, wie sie von einigen Vorrednern angesprochen wurde.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 20.07.2007 um 11.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9669

In Leopold von Rankes Vortragsmanuskript "Das Römische Reich" aus dem Jahre 1854 (postum veröffentlicht 1888) stehen folgende Sätze:

Ein ferneres entscheidendes Moment ist der unaufhörlich Widerstreit der reineren religiösen Anschauungen der Römer und des semitischen Götzendienstes. Dieser zeigte ich schon im Kampfe gegen die Karthager, deren Menschen opfernden Kultus die Römer stets verschmähten.

Ich zitiere hier den rechtschreiblich angepaßten Nachdruck in Fritz Ernsts Weltgeschichtlichem Lesebuch (Stuttgart 1957), der aber "Menschen opfernd" aus dem Original unverändert läßt. Wahrscheinlich handelt es sich lexikalisch um ein Unikat, aber immerhin, warum hat der Herausgeber nicht in Analogie zu "menschenverachtend" univerbierend "menschenopfernd" geschrieben? Aufgabe einer Forschungsgruppe Deutsche Sprache müßte es sein, dem hier auftauchenden Zweifel an der Regelungsdichte unserer Rechtschreibung nachzugehen und sich Gedanken darüber zu machen, wie man unsichere Schreiber beraten könnte. Diese Arbeit an den Texten als dem Niederschlag der Schreibwirklichkeit läßt sich nicht in einem Internetforum leisten. Angesichts der Oberflächlichkeit der Reformbegründungen stellt sich die weitere Aufgabe, ohne Verzerrungen durch modische linguistische Modelle die theoretischen Grundlagen der Rechtschreibung offenzulegen. Auch dazu ist ein Internetforum nicht der geeignete Ort. Der neuerdings "Advocatus diaboli" genannte Mitstreiter aus der seriösen Kritikerbewegung hat sich dennoch an beiden Aufgaben versucht und damit keinen Anklang gefunden - nicht nur bei denjenigen, die verständlicherweise nicht über die Voraussetzungen für Sprachforschung selbst auf diesem begrenzten Gebiet verfügen. Seine Beiträge sind jedoch archiviert und könnten per Suchmaschine abgerufen werden, wenn irgend jemand außerhalb der Forschungsgruppe Deutsche Sprache interessiert daran wäre. Leider ist dieser Fall ganz unwahrscheinlich. So bleibt dem genannten Beiträger nur der Trost, daß er dabei nicht dümmer geworden ist.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 20.07.2007 um 00.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9660

Zum Einstieg?? Lieber Herr Bärlein, Sie können doch nicht ernsthaft erwarten, daß die von Ihnen soeben angeregte Diskussion darüber, ob Stetters Konzept der logischen Typen auf eine neue Sorte von Strukturalismus hinausläuft, uns mehr erfrischen würde als die Bekämpfung eines Advocatus diaboli. Und wieso wollen Sie unbedingt wieder einen solchen Advocatus installieren? Sie sind mir ein Rätsel.

Ich hoffe, daß dieser Diskussionsstrang seinem baldigen Abschluß entgegenstrebt.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 20.07.2007 um 00.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9659

Theodor Ickler: "Mit Christian Stetters Schriften habe ich auch immer meine Schwierigkeiten gehabt (um es mal vorsichtig auszudrücken)." (#9552)

Das freut mich. Nicht, weil ich andere Menschen im allgemeinen oder gar Herrn Ickler im besonderen gerne in Schwierigkeiten sehe - dies um so weniger, als auch ich ein Problem mit dem unten (#9524 und 9538) von mir in Erinnerung gebrachten Aufsatz habe. Vielmehr scheint mir, spätestens seit den jüngsten Leistungen des bisherigen Stelleninhabers, hier der Posten des Advocatus diaboli vakant zu sein. Daß überdies die Wiederholung von immergleichen Positionen, seien diese nun konzise oder verworren, am Ende nur noch langweilt, ist uns zuletzt auf diversen Sommerlöchern nicht zu Unrecht von allen Dächern gepfiffen worden.

Wie gesagt, ich freue mich, nämlich auf eine Diskussion, die zur Klärung der Lage beiträgt und die Sache voranbringt. Zum Einstieg vielleicht mein Einwand gegen Stetter vorab: Ich bezweifle, daß bei seinem Konzept der "logischen Typen", wenn man es einlöst, am Ende etwas anderes herausspringt als eine neue Sorte von Strukturalismus.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.07.2007 um 14.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9647

Wir sind nicht allein: Auch im Niederländischen, Dänischen, Schwedischen und Norwegischen gibt es die GZS, u.a. in Form von sogenannten "trennbaren" und "nicht trennbaren" Verben mit unterschiedlichen Bedeutungen. Auch im Isländischen lassen sich mehrfach zusammengesetzte Wörter leicht bilden, mit ähnlichen Regeln wie im Deutschen. Aber hört man darüber Klagen?
Die GKS gibt es nur im Deutschen, aber die Substantivkleinschreibung wollen nur Leute, die von der deutschen Sprache zu wenig Ahnung haben.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 19.07.2007 um 09.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9646

Ich zeige mich erfreut, daß hier verschiedentlich Briefe der eigenen Vorfahren aus dem Schuhkarton (bei mir ist es ein Schuhkarton) hervorgeholt werden. Den Inhalt werde ich hier freilich nicht wiedergeben, er ist teils sehr persönlich, teils auch belanglos, aber doch recht fehlerfrei und wortgewandt hingeschrieben. Sollte einmal Feuer in meiner Wohnung ausbrechen, wäre dies gewiß der erste Karton, den ich zu retten versuchen würde. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, daß ich mir ob meines ewigen Lamentos über den Verfall unserer Sprache und Schrift regelmäßig den Vorwurf des Kulturpessismus eintrage -- ich möchte nur zu bedenken geben, daß Einserabiturienten heute schlechter schreiben als etwa mein relativ ungebildeter Großvater mütterlicherseits, den ich leider nie kennenlernen durfte. Einige seiner Sätze sind wirklich geradezu entzückend. Ich erkläre mir das so, daß der Deutschunterricht früher einfach etwas strenger war, nur wird sich im Jahre 2007 wohl hoffentlich niemand mehr eine Rückkehr zur Holzlinealpädagogik wünschen.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 19.07.2007 um 09.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9645

Das "Übliche" entnimmt der Lexikograph zeitgenössischen Texten. Denen ist jedoch nicht anzusehen, ob sich in ihnen auschließlich die orthographische Kompetenz des Verfassers spiegelt, oder eine Mischung aus Kompetenz und geschickt verwendeter Nachhilfe - Wörterbuch und/oder Textprogramm. Heute ist den Texten nicht einmal zu entnehmen, ob der Verfasser aus Überzeugung, Gewohnheit oder Rücksichtnahme (vielleicht sogar Opportunismus) so schreibt. Der Usus ist die Norm, heißt es bei uns. Das läßt in unserer "geregelten" Rechtschreibung Lösungen zu, die mit dem Rechtschreibwissen und der entsprechenden Fertigkeit kompetenter Schreiber njur wenig zu tun haben. Wären wir ohne die Verwerfungen durch die Rechtschreibreform auf diesen Gedanken gekommen?
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 19.07.2007 um 08.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9643

Also gut, Realitäten sind anzuerkennen: Millionen haben seit bis zu 10 Jahren problemlos gelernt, ihnen sind Änderungen weder zuzumuten noch werden sie welche hinnehmen.
Daß vorher 'zig Millionen jahrzehntelang an anderes gewöhnt waren und ihnen ungefragt eine Umstellung zugemutet wurde: Schwamm drüber, das ist Geschichte.
Wie der Status quo zustandekam, interessiert auch nicht mehr, die besagten neuen Millionen und eine schweigende Mehrheit haben ihn ja akzeptiert und wollen nichts mehr hören und es ist auch keine Lobby mehr da und kein Medienecho. Vielleicht machen es die Medien ja doch richtig, zu schweigen von dem, worüber zu reden nichts bringt. (Hm, meint meine Frau schon lange...)
Was wäre also noch zu bewegen? Die Skizze von Herrn Strasser scheint mir sympathisch, aber optimistisch, denn mehr wird sich kaum ergeben. Und wenn, dann nicht mehr durch Aktionen von Einzelnen oder Gruppen oder Räten, sondern eher stillschweigend und nebenher, wie früher. Nur mit schlechterer Ausgangsbasis, die den Trend zum Englischen als Arbeitssprache und in der Freizeitlektüre stärkt und die Attraktivität des Deutschen als Fremdsprache schwächt (man sieht immer mehr engl. TB in den Sortimenten, oder nicht?)
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 19.07.2007 um 07.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9641

Ein dem Duden ähnelndes Wörterbuch ist das English Pronouncing Dictionary von Daniel Jones (seit der 13. Auflage "revised by A. C. Gimson"), das freilich seine Hauptverbreitung außerhalb Großbritanniens hat. Die wenigen orthographischen Unterschiede zwischen britischem und amerikanischem Englisch braucht niemand in einem Rechtschreibwörterbuch nachzusehen und gelten im übrigen nicht als anstößig. Als Regel gilt "Be consistent", also keine Mischung beider Versionen in einem Text. Anders stand es früher mit den lexikalischen Amerikanismen. Heute nimmt niemand in England Anstoß an "to be in the picture" oder "you've never had it so good" (beides übrigens Germanismen).
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 19.07.2007 um 00.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9640

Helmut Jochems:
Für alle Rechtschreibungen der Welt gilt: Sie fließen aus der Kompetenz. Nur bei uns reicht die Kompetenz nicht aus. Daher die Allmacht des normativen Wörterbuchs, das es sonst nirgendwo gibt.

Wirklich? Es mag sein, daß andere Sprachen ohne ein staatlich privilegiertes Wörterbuch auskommen. Wenigstens das ist seit der Reform ja hierzulande auch nicht anders.

Das bedeutet aber nicht, daß in anderen Ländern alle Wörterbücher gleichberechtigt sind. Wenn etwa in Großbritannien ein Kind in der Schule "recognize" schreibt und sich dabei auf den Merriam-Webster beruft, wird man ihm mitteilen, daß dieses Wörterbuch für Großbritannien nicht maßgeblich ist und es -- vermutlich nach dem Oxford English Dictionary -- "recognise" zu schreiben hat.

Und wer teilt dem kompetenten englischen Muttersprachler mit, daß er "surprise", nicht "surprize" zu schreiben hat, oder woher kommt die Kompetenz zum richtigen Schreiben des Wortes "neat's-foot oil"? Es ist doch absurd anzunehmen, man käme in anderen Sprachen ohne Referenz- und Nachschlagewerke aus.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.07.2007 um 23.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9639

Gewiß. Und mindestens das sehr Unübliche erscheint als falsch.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.07.2007 um 23.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9638

(So ist das, wenn man an exegetischen Texten zu anderer Leute Beiträgen herumbastelt, ohne deren eigene Klarstellungen abzuwarten. Ich bitte ob der Überschneidung um Padong!)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.07.2007 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9637

Zu Urs Bärlein (#9633): Wenn man die Norm als das Übliche definiert und nicht als starren Katalog obligatorischer, staatlich festgelegter Schreibungen, dann ist es unpassend, von richtig und falsch zu sprechen, dann gibt es allenfalls noch üblich und unüblich. So zumindest habe ich Herrn Jochems verstanden, und allein darin offenbart sich für mich noch kein grundlegend anderes Normverständnis als das von Herrn Ickler.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 18.07.2007 um 23.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9636

Wenn wir aus dem gegenwärtigen Dilemma anständig herauskommen wollen, müssen wir den Fakten furchtlos ins Auge schauen. Die Reformerwillkür unterscheidet sich nur minimal von der Dudenwillkür. Wenn Professor Icklers aufgeklärtes Verständnis von Rechtschreibung uns aus den alten wie aus den neuen Zwängen befreien soll, müssen wir uns von beiden absetzen. Beide verstehen sich als Norm. Weg damit. Beide verstehen Abweichungen als Fehler, die mit gesellschaftlichen Sanktionen verbunden sind. Ebenfalls: Weg damit. Hoch lebe der Usus - den niemand kennt. Es gibt hierzulande leider keinen traditionellen Usus ohne Bezug auf die Dudenfestschreibungen, und es gibt keinen reformierten Usus ohne Bezug auf die angepaßten Wörterbücher, und schlimmer noch: ohne die Allgegenwart der Rechtschreibprogramme. Ein Segen, daß das alles fast nur für die unsere "eigentliche" Rechtschreibung überwölbenden Bereiche gilt, also insbesondere GZS und GKS. Für alle Rechtschreibungen der Welt gilt: Sie fließen aus der Kompetenz. Nur bei uns reicht die Kompetenz nicht aus. Daher die Allmacht des normativen Wörterbuchs, das es sonst nirgendwo gibt. Kompetenz entwickelt sich auf dem Wege über das Erkennen der Regularitäten. Die Schule muß dabei ein wenig nachhelfen, aber dann geht's - wenn die Regularitäten nicht chaotisch sind. Die Diskreditierung des Rats für deutsche Rechtschreibung soll die entscheidende Wende bringen? Es wäre leicht zu sagen: Auch weg mit dem. Aber Vorsicht. Das Richtige muß einen Fürsprecher haben. Setzen wir uns lieber dafür ein. Wir wissen doch, wer unser Spitzenkandidat ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.07.2007 um 22.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9635

Auch vor der Reform mußte ich oft ungläubigen Leuten erklären, daß die angebliche Regel "vor 'und' kein Komma" so allgemein nicht gilt.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 18.07.2007 um 21.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9634

Zu Herrn Metz:

Ich habe das Wort "Fehler" bewußt in Anführungszeichen gesetzt, denn eine sinnvolle Zusammen- oder Getrenntschreibung ist ja kein Fehler, nur weil sie nicht so im Wörterbuch steht. Ich glaube kaum, daß darüber hier Dissens herrscht.

Zu Herrn Strasser:

Ihr Hinweis auf Typographie und Layout ist ausgesprochen wichtig, denn es handelt sich dabei, genau wie bei Randbereichen der Orthographie, um fortgeschrittene Mittel der Textgestaltung, die nicht jeder beherrschen muß. Es gibt genügend exzellente Schreiber, die nichts Brauchbares zustande brächten, wollte man sie einen Text typographisch optimieren lassen. Und diesbezüglich vermittelt die Schule nicht einmal Grundkenntnisse.

Zur Zeichensetzung muß man festhalten, daß auch in herkömmlicher Orthographie in der Schule nur ein unverzichtbarer Kernbestand gelehrt wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, daß meine Deutschlehrer immer sagten, es gäbe im Grunde genommen nur drei Kommaregeln, und es käme nur darauf an, sie konsequent anzuwenden. Vieles, wie den Gebrauch des Semikolons, muß man in der Schule nicht lernen, denn es handelt sich dabei ebenfalls um ein fortgeschrittenes Mittel der Textgestaltung, das nur wenige jemals einsetzen werden.

Für Dreifachkonsonanten sollte in der Schule der unschlagbar einfache Grundsatz von 1901 gelten, daß man bei drei aufeinanderfolgenden gleichen Konsonanten einen weglassen kann. Dasselbe gilt für den Briefverkehr, auch den amtlichen. Für Satzprofis sind hingegen die alten Dudenregeln sinnvoll.

Ähnliches gilt für die Silbentrennung. Hier genügen ein paar Grundregeln, und Schüler müssen, wenn sie nicht wollen oder es nicht können, gar nicht trennen. Die herkömmliche Trennung gehört aber sehr wohl in ein Regelwerk und ein Wörterverzeichnis, weil sich die Trennalgorithmen danach richten müssen. Hier könnte man sogar noch ein wenig differenzieren, denn die Trennung von st erscheint mir in vielen deutschen Wörtern als sinnvoll; bei Fremd- und Lehnwörtern aus dem Lateinischen und Griechischen hingegen erzeugt sie Silbensalat. Obwohl ich die Hintergründe nicht kenne, erscheint mir die Nichttrennung von st schlicht als eine Vereinfachung, weil man damit nichts falsch machen konnte.

Und was die s-Schreibung angeht, so ist das Durcheinander bereits angerichtet. Die von der hiesigen Stadtverwaltung aufgestellten Straßenschilder, die alle "-strasse" enthalten, werden alleine aus Kostengründen nicht so schnell entfernt werden (können). Außerdem handelt es sich dabei, auch das ist schon mehrfach gesagt worden, um ein typographisches Problem. Die Frage ist nur, wie man dieses aus dem "amtlichen" Rechtschreibregelwerk herausbekommt. Angesichts der starken Symbolkraft von "dass" und "muss" bleibt wohl nur Geduld und ein wenig Standhaftigkeit derer, die Texte ansprechend gestalten möchten.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 18.07.2007 um 21.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9633

"Herr Jochems weist das Wort „Fehler“ just ... [dem] ... Normverständnis zu ..., daß ein staatlich autorisiertes ... Rechtschreibwörterbuch die Norm repräsentieren soll..." (Wolfram Metz, #9631)

Das ist doch gerade der Punkt.

 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 18.07.2007 um 20.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9632

Natürlich ist auseinanderzuhalten, wie der aktuelle Status ist und wie ein daraus abgeleiteter sein könnte.

Zum Iststatus kann man sagen, daß die s-Schreibung nach Heyse und die Großschreibung im Bereich der unechten Substantive bei Neuschreibern sehr weit verbreitet ist.
Die GZS ist bei intuitiv geschriebenen Texten nicht verbreitet, sie kann ohne Korrekturprogramm auch von kaum jemandem regelkonform angewendet werden.

Der Status, wie es sein könnte, ist auch leicht skizziert:

Vorausgeschickt sei, daß geschriebene Texte mehrere Merkmale aufweisen müssen, um mit Freude gelesen zu werden. Dazu zählt die Fähigkeit des Autors, eine nach vorne gerichtete, spannende Darstellung des Themas zu realisieren, dazu zählt ein unauffälliger Umgang mit der deutschen Schachtelungsmöglichkeit, dazu zählt die Rechtschreibung, dazu zählt die Typographie (die beste Orthografie nutzt z.B. nichts, wenn zu lange Zeilen mit zu knappem Durchschuß gesetzt werden, Lesen wird dann zur Qual), dazu zählt auch das Layout, um einmal die wichtigsten zu nennen.

Bei der Orthografie bin ich für evolutionäre Entwicklungen, die sich mit der Intuition decken.
Das heißt, es darf nichts verboten sein, was im Vorgefundenen millionenfach existiert. Daher muß das der Norm zugrundegelegte Modell vom Vorgefundenen abgeleitet sein, also z. B. die Dokumentation im Ickler, erweitert um einen bereinigten Teil, der sich aus den letzten 10 Jahren ergibt.

Bei der s-Schreibung bin ich zwar überzeugter Anwender der klassischen Schreibung, kann mir aber die zusätzliche „Freigabe“ sowohl der Heyse-Schreibung als auch der ß-losen Schweizer Schreibung vorstellen. Jeder kann dann entscheiden, was er verwenden will.

Bei der GKS könnte ich mir eine vom früheren Status Quo ausgehende Entwicklung in Richtung verstärkter Kleinschreibung dort vorstellen, wo derzeit dynamische Substantivierungen anderer Wortarten (Nicht-Substantive) vorliegen. Etwa dort, wo man sich auch Ellipsen vorstellen kann. Zusätzlich wieder den Grundsatz, im Zweifel klein.

Die GZS würde ich ohne formale Regelung belassen und beschreiben, daß es zum Wesen der deutschen Sprache gehört, dort Kombinationswörter bilden zu können, wo aus der Zusammensetzung einzelner Teilbegriffe im Verständnis des Schreibers ein neuer integrierter Gesamtbegriff wird (unabhängig von der Wortart).

Bei der Beistrichsetzung würde ich das Standardmodell belassen, etwa so, wie es im Ickler beschrieben ist. Optional kann man ergänzen, daß Beistriche, die für die intuitive Erfassung der Satzbedeutung nicht erforderlich sind, weggelassen werden können.

Dreifachkonsonanten würde ich entweder klassisch auf zwei reduzieren, wenn zusammen geschrieben wird oder alternativ eine Worttrennung mit Bindestrich vorschlagen.

Bei Abtrennungen würde ich alle silbenorientierten Möglichkeiten erlauben mit Ausnahme von Einzelbuchstaben, allerdings mit dem Hinweis, daß eine Trennung nach Sinneinheiten zu bevorzugen ist (der erste Teil soll einen Hinweis geben, wie es weiter geht und nicht auf eine falsche Spur führen).

Unterrichten würde ich immer das volle Modell, bewerten würde ich primär nach dem sinnrichtigen „Rüberbringen der Bedeutung“ und weniger nach formalen Aspekten.

Soweit die wichtigsten Eckpunkte aus der Sicht eines interessierten Laien.

Der Vorteil des genannten Modells wäre, daß es von einem Tag auf den anderen beschlossen werden könnte und kaum jemand sein Gesicht dabei verlöre. Auch die Wörterbücher könnten noch einmal ein Geschäft machen.

 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.07.2007 um 20.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9631

Zur Frage von Herrn Ickler: Ich habe Herrn Jochems’ Beitrag als Replik auf Herrn Schaefer verstanden, der von „Rechtschreibfehlern“ gesprochen hatte. Herr Jochems weist das Wort „Fehler“ just einem Normverständnis zu, das er schärfer als alle anderen hier Versammelten ablehnt, nämlich jener Vorstellung, daß ein staatlich autorisiertes und in der Schule eins zu eins umzusetzendes variantenfreies Rechtschreibwörterbuch die Norm repräsentieren soll und nicht der Schreibgebrauch. Kann es darüber ein Mißverständnis geben?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 18.07.2007 um 19.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9630

Herrn Wrase [871#9605] ist in Folgendem unbedingt zuzustimmen:

"In keiner europäischen Sprache gab es eine Reform, die das richtige Schreiben für jedermann ermöglicht hat, weil es keine einigermaßen entwickelte Sprache gibt, deren Schreibung jeder beherrscht."

Man kann ebensowenig "ins Sprachgeschehen eingreifen" (Drosdowski) wie in das von Konrad Duden erfaßte und dann kodifizierte gewachsene Schreibgeschehen. Sprache ist (samt ihrer Schreibung) Gemeinbesitz, den kein Allgewaltiger bisher verbiegen konnte. Das sehr Ernstzunehmende an der Schreibung ist übrigens, daß sie zu einem Teil in direkter Beziehung zur Lautung und zur Prosodie als die stabilsten Teilsysteme des Sprachsystems steht. Davon wußten die Reformer offenbar nichts, denn sonst hätten sie nicht abstruse Getrenntschreibungen bzw. "Laut"schreibungen obligatorisch gemacht.

Die Schreibung einer Sprache wird sich -- wie die Sprache selbst -- nicht in Richtung einer Minimierung ihrer Möglichkeiten entwickeln, sondern in die entgegengesetzte. Das hat mit schöngeistiger Literatur, Hochsprache usw. wenig zu tun, sondern mit zunehmend differenzierten Ausdrucks- bzw. Mitteilungsbedürfnissen. Wie die Sprache kann auch ihre Schreibung nicht der Ausdrucksdifferenzierung "Schriftferner", Nie-Schreiber, Wenig-Leser oder Ein-Wort-Äußerungs-Spezialisten folgen, um so "volkstümlicher" oder "leichter" (gemacht) zu werden. Daraus entstünde nur ein Machwerk, wie es die RSR-Betreiber herzustellen sich nicht entblöden.

Dummschreibung ist immer auffällig, vor und nach der Deform der deutschen Graphie. Daß nach der Deform auffällige graphemische Defizite statistisch häufiger sind (auch in den sog. "großen" Tageszeitungen) als vor ihr, ist eins der großen Verdienste ihrer Betreiber bzw. staatlichen Einpeitscher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2007 um 18.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9629

Helmut Jochems:
"Der Begriff "Rechtschreibfehler" setzt die Existenz einer eindeutigen Norm voraus. Dies konnte von 1901 bis 1996 nur die in der jeweils neuesten Auflage des Duden gezeigte Schreibweise sein. Professor Ickler hat in journalistischen und Sachtexten der Jahre vor 1996 zahlreiche Abweichungen gefunden. In strenger Wertung waren dies Fehler, selbst wenn sie aus allgemeineren Zügen unserer Rechtschreibung heraus zu begründen und zu verteidigen waren und sogar den später einmal zu akzeptierenden Usus anbahnten."

Es versteht sich, daß ich in allen diesen Punkten diametral anderer Meinung bin.
Die Norm soll also nicht im Usus (inhärente Norm haben wir es immer genannt, Sie doch auch, Herr Jochems, oder?) bestehen können, sondern muß explizite, von außen gesetzte Norm sein - und nur vom Duden, also amtlich, staatlich? So redet sonst Herr Nerius.
Der Duden "zeigte" nicht, sondern schrieb vor, das war sein Auftrag und sein Selbstverständnis. Die Texte selbst zeigten etwas, und mein Wörterbuch zeigt auch etwas, nämlich in knapper Zusammenstellung das, was die Texte zeigten.
"In strenger Wertung"? Das ist tautologisch, weil wiederum auf den Duden bezogen. Am Duden gemessen, war alles, was vom Duden abwich falsch, auch wenn es Usus war. Ist das die Meinung? Lieber Herr Jochems, wollen Sie mich zur Verzweiflung treiben?
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 18.07.2007 um 17.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9627

Der Begriff "Rechtschreibfehler" setzt die Existenz einer eindeutigen Norm voraus. Dies konnte von 1901 bis 1996 nur die in der jeweils neuesten Auflage des Duden gezeigte Schreibweise sein. Professor Ickler hat in journalistischen und Sachtexten der Jahre vor 1996 zahlreiche Abweichungen gefunden. In strenger Wertung waren dies Fehler, selbst wenn sie aus allgemeineren Zügen unserer Rechtschreibung heraus zu begründen und zu verteidigen waren und sogar den später einmal zu akzeptierenden Usus anbahnten. Die Reformer wollten nur Schreibungen zulassen, die der Schreiber aus leicht zu beherrschenden Regeln ableiten kann, auch wenn sie nicht einmal im Varianzbereich der Dudennorm vorfindbar waren. Dieses Prinzip ist für die GZS inzwischen aufgegeben worden, gilt allerdings weiterhin für die GKS. Das Vorkommen der Indikatoren "daß" oder "dass" weist heute darauf hin, welcher Norm der Schreiber zu folgen beabsichtigte, welche Abweichungen also jeweils als "Fehler" gelten müßten. Was heute geschrieben und gedruckt wird, zeigt im allgemeinen eine zumindest befriedigende orthographische Physiognomie. Selbst wenn wir die "umgestellten" Zeitungstexte nach den Maßstäben von Duden 1991 beurteilen, hält sich die Zahl der Abweichungen im Sinne Professor Icklers oder gar der Fehler im strengen Sinne in engen Grenzen. Der Unmut einiger Leser rührt meist daher, daß den Neuschreibern ein Mangel an Charakterfestigkeit oder gar Unterwürfigkeit vorgeworfen wird. Vom Duden brauchte sich vor 1996 natürlich nur der bedrückt zu fühlen, der sich im Zweifelsfall nicht spontan und intuitiv für eine ihm richtig erscheinende Schreibung entscheiden konnte. Viele sahen aber bei "nichtsdestoweniger", "allzusehr", "umsomehr" und dergleichen lieber nach, als einen Normverstoß zu riskieren. Da Fälle dieser und anderer Art im Laufe der Dudengeschichte einzeln und häufig widersprüchlich entschieden worden waren, gab es zahlreiche Fallstricke. Wer seinen Text nicht bei einem Lektor oder einem Korrektor abzuliefern hatte, erfuhr im allgemeinen nicht, wie weitherzig er mit der Dudennorm umging. Wenn wir so auch über die Neuschreiber dächten und die schrecklichen Reformer aus dem Spiel ließen, würde sich die Rechtschreibreform auf die stets im "Üblichen" angesiedelte Varianz reduzieren. Sprache hat ihren Ort in den Texten, an die hält man sich also tunlichst. Wörterbücher und Regelwerke sind sekundär, ihre Torheiten sollten nicht den naheliegenden Beurteilungsmaßstab bestimmen.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 18.07.2007 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9626

Als Nachtrag noch eine Bemerkung zum Englischen:

Selbst in großen englischsprachigen Tageszeitungen findet sich der wohl meistgemachte Rechtschreibfehler im Englischen, nämlich die Verwechslung von "its" und "it's". Seltener, aber doch auffälig ist die Verwechslung von "there" und "their".

Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist im Englischen nicht einfacher als im Deutschen, weil es offenbar selbst für Muttersprachler schwer zu entscheiden ist, wann man zusammenschreibt und wann der Bindestrich verwendet wird.

Selbst die Groß- und Kleinschreibung halte ich im Englischen für ähnlich schwierig, weil sie von der Textsorte abhängig ist (Juristen schreiben beispielsweise sehr viel mehr groß als der Durchschnitt).

Auf die weitgehende Entkoppelung (etwas übertrieben, zugegeben) von Aussprache und Schreibung muß man nicht eigens hinweisen, und die Probleme, die sich aus der Allgegenwärtigkeit der amerikanischen Orthographie für die Schreiber der britischen Variante ergeben, stellen Lehrer, wie mir eine in Kanada lebende Verwandte bestätigt hat, vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten.

Dennoch käme niemand auf die Idee, die Orthographie dieser Sprache mit demselben Vokabular zu beschreiben, wie Herr Jochems es getan hat. Und dem Status als wichtigste internationale Verkehrssprache hat die wirklich schwierige englische Rechtschreibung auch keinen Abbruch getan, trotz "its" und "it's".


 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 18.07.2007 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9624

Die Beobachtungen von Chr. Schäfer und Theodor Ickler kann ich bestätigen. Unter den Schreibern der Briefe in meinem Besitz befinden sich solche mit längerdauernder Schulbildung und solche, die nur eine ein- oder zweiklassige Zwergschule besucht haben. - Um nicht ganz so weit zurückzugehen: Ich habe meine beiden Kinder nie im Hinblick auf Rechtschreibung gedrillt, und trotzdem schrieben sie ganz tadellos, natürlich entsprechend ihrer Entwicklung. Rechtschreibung war ein Randphänomen, etwas Selbstverständliches, aber nie ein Problem; von Duden-Joch, unter dem sie geächzt hätten, keine Rede.
Das Problem hat die Sprachgemeinschaft jetzt.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 18.07.2007 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9622

Noch ein kleiner Einwand gegen Herrn Jochems Begriff von der "komptenzamputierten Sprachgemeinschaft":

Ich bin im Besitz einiger Briefe und anderer Schriftstücke meiner Groß- und Urgroßeltern, Bauern in der Wetterau die einen, Handwerker in Thüringen die anderen. Es handelt sich dabei überwiegend um Briefe, und ich bin immer wieder erstaunt, daß man in diesen Texten Rechtschreibfehler mit der Lupe suchen muß, selbst wenn man nach "Duden" (unreformiert) korrigieren würde. Ausnahmen sind einige Fälle der Getrennt- und Zusammenschreibung, aber man müßte, um über einen "Fehler" zu entscheiden, in zeitgenössischen Wörterbüchern nachsehen .

Das einzige Schriftstück, in dem gehäuft Schreibfehler auftreten, ist das Kochbuch meiner Urgroßmutter, das diese, wohl in Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau, bereits in ihrer Jugend angelegt hat. Die Schreibfehler betreffen jedoch keine deutschen Wörter ("Königsberger Klopse" ist richtig geschrieben, auch wenn Herr Augst hier vielleicht "Kloppse" vermutet hätte), sondern französische, die sich beim Kochen ja nicht vermeiden lassen. Und so steht da eben "Soß Hollondäse". Was soll man von einer Jugendlichen, die das Wort nur gehört, aber noch nie gelesen hat, auch anderes erwarten?

Wie kommt es nun, daß diese einfachen Leute (sieht man von den fehlenden Französischkenntnissen einmal ab) nach Professor Jochems Definition als "hochspezialisierte Sprachteilhaber" gelten müssen, wo sie doch nichts anderes getan haben, als so zu schreiben, wie sie es in der Volksschule gelernt und wie sie es tagtäglich gelesen haben?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2007 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9621

Für mich steht zwar das Ziel der Fehlervermeidung nicht obenan (daher mein früher Vergleich mit der vereinfachten Flöte: zwei Löcher und basta!), aber es wäre doch einmal interessant, wie es sich in anderen Sprachen wirklich damit verhält. Herr Jochems hat polnische Freunde, die ihm bemerkenswert fehlerfreie Briefe schicken. Aber woran liegt das? Vielleicht einfach daran, daß sie besseren Unterricht genossen haben. Es gibt viele andere mögliche Erklärungen. Meine verstorbene Mutter (geb. 1914, Mittelschulbildung und dann nichts weiter) schrieb ebenfalls fehlerfreie Briefe (wenn man den gebildeten Usus und nicht den Duden zugrunde legte, den sie so wenig besaß wie ich). Das war in jener Generation nichts Besonderes.
Gibt es außer anekdotischen Befunden etwas Seriöses, Vergleichendes dazu?
 
 

Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 18.07.2007 um 14.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9619

Lieber Herr Köster,

vielen Dank für Ihre Antwort auf meinen Beitrag. Ihren Ausführungen zum respektvollen Umgang miteinander stimme ich ausdrücklich zu. Das sollten wir wirklich so machen (nicht nur müssen, sondern auch wollen), denn es kann einer Sache nur dienen. Gern würde ich aber auch die mit Respekt behandeln, die ich bereits kenne.

... und alle unsere Gedankenanstrengung sollte sich daraufhin konzentrieren, wie wir diese Einigkeit wiederherstellen könnten, und ich möchte da keine faulen Kompromisse hören.
Ich lasse mich gern durch Ihre Entschlossenheit beeindrucken, fürchte aber, daß meine Wenigkeit mit einem nur winzigen Einflußbereich für den weiteren Gang der Dinge völlig unerheblich ist. Das war so bis zum heutigen Tag und wird auch so bleiben. Ich bedaure das außerordentlich, denn gern wäre ich mächtiger und hätte es lieber schöner, besser und reformfrei. Was ich in meinem Nanokosmos tun kann, werde ich weiterhin tun - wissend, daß es außerhalb nichts bewirken wird. Im übrigen interessiert es niemanden, ob ich einen Kompromiß ablehne oder einen vorschlage - so faul oder genial er auch sein mag. Daß mir die Situation nicht gefällt, dürfen Sie mir glauben. Den angesprochenen Bluthochdruck werde ich mir aber deswegen nicht zulegen.

Herzliche Grüße aus Bremen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 18.07.2007 um 13.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9617

Lieber Herr Krutzke,

ich kenne Sie nicht, und weil das so ist, werden wir uns mit gegenschaftlichem Respekt ansprechen müssen, wie es sich für zivilisierte Nordeuropäer gehhört. Sie vernachlässigen die Tatsache, daß wir in Deutschland tatsächlich fast einhundert Jahre lang den Zustand hatten, daß die schöngeistige Literatur, wie Herr Jochems sie (fast etwas abfällig) nennt, sich keineswegs von dem unterschied, was heutzutage an den Hochschulen, genauer noch: an den Grundschulen gelehrt wird. Diese Einigkeit sollten wir nicht unterschätzen. Nun ist sie passé, und alle unsere Gedankenanstrengung sollte sich daraufhin konzentrieren, wie wir diese Einigkeit wiederherstellen könnten, und ich möchte da keine faulen Kompromisse hören.
 
 

Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 18.07.2007 um 13.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9616

Man kann nicht nur mit dem "ss" leben, man wird es müssen, auch wenn es einem nicht gefällt. In meiner Arbeitsumgebung gibt es immer mehr junge Leute, die es nicht anders kennen und nichts daran auszusetzen haben. Daß ich die Reformschreibung in den von mir zu verantwortenden Veröffentlichungen unseres Unternehmens nicht anwende, wird von meiner Geschäftsleitung noch geduldet. Wie lange noch, weiß ich nicht. Die Jüngeren um mich herum werden meine Schreibweisen wohl eher als Marotte eines Älteren auffassen. Eines steht aber fest: Sollte meine Abteilung mal einen Mitarbeiter bekommen, der sein Schreibhandwerk reformiert gelernt hat, nützt auch mein Glaube an das Reine und Schöne nichts - dann werde ich ihn kaum per Anordnung zur vorreformierten Schreibung zwingen können. Angesichts einer solchen Perspektive ist Herrn Jochems’ Empfehlung in Sachen Bluthochdruck allerdings angebracht.

Ein nettes Erlebnis am Rande hatte ich vor kurzem, als ich einer Fachzeitschrift den Text für eine bezahlte (!) Veröffentlichung lieferte. Darin enthalten waren "Anpaßbarkeit", "muß" und "daß". Alles wurde von der Redaktion zwangsreformiert, und der Chefredakteur höchstselbst wies mich darauf hin, daß man sich im gesamten Verlagsprogramm einer "angepassten aktuellen Rechtschreibung" bediene. Kurz bevor ich das las, hatte ich mich auf Spiegel-online köstlich über einen US-Verlag amüsiert, dem (nach hiesigem Empfinden) harmlose Kinderbuch-Illustrationen äußerste Seelenpein verursachten, weil dort unter anderem ein winziges anatomisches Detail - nennen wir es mal "Zipfelchen" - zu sehen war. Nun sah ich den Chefredakteur vor mir, der einerseits Kunden braucht, die ihm und den Seinen die Gehälter zahlen und der andererseits über drei harmlose "ß-Zipfelchen" in meinem Text stolpert. Einfach nur lächerlich. Sollte ich da einen großen prinzipiellen Aufstand veranstalten? Satt dessen habe ich den Text so umgestellt, daß die "Zipfelchen" unnötig wurden und der arme Redaktionschef halt etwas Änderungsarbeit hatte. Aber jenseits aller Amüsiertheit haben wir einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß sich im Alltagsleben (wenigstens in der sogenannten "freien Wirtschaft")wirklich nur eine verschwindende Minderheit an "ss" und sonstigen Reformschreibweisen stört. Auch hier ist für den einzelnen RSR-Kritiker Bluthochdruck unangebracht.

Es ist durchaus möglich, mit Herrn Prof. Jochems nicht einer Meinung zu sein, ohne ihm dies mit mehr oder weniger intelligenten Unfreundlichkeiten oder Pöbeleien hier in der Öffentlichkeit - unter Pseudonym oder auch nicht - mitzuteilen. Das täte dem Klima des Forums viel eher gut, als eine Sommerpause.

Herrn Lachenmann stimme ich hier ausdrücklich zu. Ein bißchen mehr Souveränität und deutlich weniger Pawlowsche Reflexe würde ich vom einen oder anderen Diskutanten schon erwarten. Auf jemanden wie mich, der in diesem Forum seit seiner Gründung mitliest (das auch im Vorgängerforum langjährig getan hat), wirkt es einfach jämmerlich, wenn bei bestimmten Antworten deutlich wird, daß der Autor Herrn Jochems nicht leiden kann und dann große, geistige Potenzen für kurze, gehässige Sticheleien bemüht werden müssen. Wenn dies anonym passiert, ist es noch armseliger.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.07.2007 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9613

Welchen ohmschen Widerstandswert sollen sich die Rechtschreibreformgegner anstecken?
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 18.07.2007 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9609

Hr. Jochems: Wer sich freilich von "dass" den Blutdruck hochtreiben läßt, der sollte die Schweiz und ihre Schreib- und Druckpraxis möglichst meiden.
Die Schweiz kann das entspannt sehen, weil sie das ß gar nicht hat und eh fast jeden Vokal lang spricht, also mit Heyse nichts anfangen könnte.

Keine Frage dennoch, daß man mit "-ss" leben könnte, aber darum gehts nicht. Es handelt sich da nicht um irgendeine läppische Änderung. Es ist die überflüssigste aller Änderungen. Es ist das Emblem, das die Pfuscher aus keinem anderen Grund aus der Mottenkiste geholt haben, damit jeder ihr Machwerk überhaupt erkenne. Es ist das hervorstechende Merkmal, das solche Barbareien wie Bücheraussonderungen ermöglicht, weil jeder Banause sofort den Finger drauflegen kann. Und es ist als Unterwerfungssignal nichts viel besseres als ein Parteiabzeichen. Damit vermittelt es nebenbei eine ungute Ahnung vom Ausmaß von Zivilcourage in diesem Land. Das mag entspannt sehen und mitmachen, wer will. Ich nicht.

 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 18.07.2007 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9608

Hinweis aus gegebenem Anlaß:

Es ist durchaus möglich, mit Herrn Prof. Jochems nicht einer Meinung zu sein, ohne ihm dies mit mehr oder weniger intelligenten Unfreundlichkeiten oder Pöbeleien hier in der Öffentlichkeit - unter Pseudonym oder auch nicht - mitzuteilen. Das täte dem Klima des Forums viel eher gut, als eine Sommerpause.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 18.07.2007 um 06.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9605

Professor Jochems hat gesagt, wie er selbst schreibt, aber die Frage von Professor Ickler nicht beantwortet, welche veränderte Norm er sich bei seinen Aufrufen zur Toleranz eigentlich vorstellt: ein anderes System der Verschriftlichung oder mehr Varianten im Wörterbuch – oder beides? Am ehesten kommt die folgende Passage einer Antwort nahe:

Vieles in der Rechtschreibung ist unveränderbar, weil die Lesbarkeit der älteren Texte nicht gefährdet werden darf. In einigen europäischen Sprachen hat man aber trotzdem das orthographische System von Grund auf neugestaltet und dadurch das richtige Schreiben für alle ermöglicht. Das ist auch im Deutschen nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich wäre die Rechtschreibreform von 1996 überzeugender gewesen, wenn sie sich nicht auf ein paar wenig sinnvolle Retouchen beschränkt hätte.

Er wiederholt den Anspruch, daß das richtige Schreiben für alle ermöglicht werden sollte. Das sei durch eine radikale Reform ("von Grund auf neugestalten") auch im Deutschen möglich. Die Reform von 1996 war nicht in erster Linie mißlungen, sondern viel zu zaghaft. (Immerhin wird es verständlicher, warum Professor Jochems die Reform immer als harmlos hinstellt: Aus der Sicht eines Radikalreformers waren es natürlich nur "ein paar wenig sinnvolle Retouchen".)

Das ist Unsinn. In keiner europäischen Sprache gab es eine Reform, die das richtige Schreiben für jedermann ermöglicht hat, weil es keine einigermaßen entwickelte Sprache gibt, deren Schreibung jeder beherrscht. Speziell im Deutschen kann die Getrennt- und Zusammenschreibung, der komplizierteste Bereich des Schreibens, nicht vereinfacht werden. Wie zusammen- oder getrennt geschrieben wird, richtet sich nun mal nicht nach irgendwelchen "Regeln", die sich ein ambitionierter Reformer am Schreibtisch ausdenken könnte, sondern danach, was tatsächlich zusammengehört oder nicht. Dabei gibt es eine Fülle von Kriterien und Zweifelsfällen, die die Schreiber lenken bzw. im unklaren lassen. Sie lassen sich durch kein Dekret beseitigen oder verändern oder vereinfachen. Ähnliches gilt sogar für die Großschreibung. Wenn die Deutschen auf die Substantivgroßschreibung verzichten würden, hätten sie seltener Zweifelsfälle bei groß/klein. (Was ist ein normales Wort, was ist ein Name?) Dafür hätten sie aber nach kurzer Zeit viel mehr Zweifelsfälle bei getrennt/zusammen, ähnlich wie heute im Englischen, und insgesamt mindestens so viele Zweifelsfälle wie zuvor.

Am ehesten kann man sich bei der Kommasetzung vorstellen, daß sie "liberalisiert" wird. Nun, diesen Versuch haben die Reformer 1996 gestartet. Inzwischen ist auch dieser Bereich schon ein bißchen zurückreformiert worden, weil die Liberalität bei Infinitivsätzen sich als ärgerliche Beliebigkeit herausgestellt hat, unter der die Qualität der Texte leidet. Was soll man auch mit einem Komma anfangen, das abwechselnd gesetzt und nicht gesetzt wird? Da müßte man schon die Kommasetzung insgesamt abschaffen. Warum auch nicht? In Israel lesen sie sogar Texte ohne Vokalzeichen ...

Professor Jochems' Kriterium für die Funktionsfähigkeit der Rechtschreibung ("Verständigung bleibt möglich") ist indiskutabel. Man stelle sich einen Ernährungswissenschaftler oder den Leiter einer Kochschule vor, dessen Maßstab lautet: "Die Zubereitung von Mahlzeiten sollte von jedem beherrscht werden können, ohne daß er sich in einem Buch kundig macht. Es geht darum, daß genügend Kalorien zugeführt werden. Solange niemand verhungert oder sich vergiftet, sollte am besten alles als Rezept anerkannt werden, was die Leute zu sich nehmen." In der Tat: Niemand verhungert, alle nehmen genügend Kalorien zu sich (außer ein paar Magersüchtigen). Somit könnten wir alle Kochbücher abschaffen! Das wäre eine grandiose Reform. Endlich wären die Heerscharen der Minderwertigen erlöst, die von sich sagen mußten: "Ich kann nicht richtig kochen."

maN kAnnn auchDiESEN, satz, lEEsen. Professor Jochems würde wohl sagen: "Toleranz ist wichtig. Die Verständigung bleibt möglich."

Übrigens stimme ich dem Beitrag von Herrn Lachenmann in allen Punkten zu.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.07.2007 um 00.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9604

Das Ziel des Kampfes gegen die Rechtschreibreform muß jetzt der sogenannte Rechtschreibrat sein, der die Reform künstlich am Leben erhalten will, weil in ihm nur noch die Verleger das Sagen haben, die aus rein geschäftlichen Gründen nichts ändern möchten, auch wenn es noch so schlecht ist. Darüber muß die Öffentlichkeit aufgeklärt werden.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 18.07.2007 um 00.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9602

Liebe Freundinnen und Freunde, die elfjährige Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform, die Friedrich Denk mit seinem Frankfurter Appell und Professor Icker mit einem brillanten Artikel in der F.A.Z. eröffneten, geht am 1. August 2007 zu Ende. Bis zum Karlsruher Urteil von 1998 haben wir geglaubt, die Neuregelung sei wieder aus der Welt zu schaffen. Daraus ist aber nichts geworden. Die anfangs weit verbreitete Liste Stephan Peils vor allem mit Reformungereimtheiten in der Getrennt- und Zusammenschreibung hat jedoch ihre Wirkung getan. Das Kernstück der Neuregelung ist weitgehend zurückrevidiert, alles andere aber wird - vorläufig - bleiben. Das gilt besonders für die Neuverteilung von "ß" und "ss". Zehn Jahrgänge an den Schulen schreiben inzwischen so. In vierzehn Tagen wird die revidierte Neuschreibung auch in den Zeitungen erscheinen. Dann wird niemand mehr fragen, ob denn die versprochene Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung tatsächlich erreicht wurde. Da ältere private Schreiber aus Überzeugung oder aus Gewohnheit bei der traditionellen Orthographie bleiben, werden noch lange zwei Versionen unser Rechtschreibung nebeneinander bestehen. Verständigungsschwierigkeiten wird es deshalb nicht geben. So sehe ich die Situation am Ende eines Lebensabschnitts, dessen Höhen und Tiefen ich bewußt miterlebt habe und der den in diesen Jahren gewonnenen Freunden und mir in Erinnerung bleiben wird.

Da ich mein ganzes Berufsleben lang wissenschaftlich mit Sprachen beschäftigt war, habe ich auch die Diskussion um die Rechtschreibreform vor allem als eine Herausforderung gesehen, das praktische Handeln durch theoretische Vergewisserung zu untermauern. So sind meine Beiträge entstanden, die ich stets den Freundinnen und Freunden zur Beurteilung vorgelegt habe. Das schnellebige Internet ist eigentlich nicht das geeignete Medium dafür, aber im Rückblick vertraue ich doch darauf, daß es mir gelegentlich gelungen ist, Nachdenklichkeit zu erzeugen. Daß ich nun höflich aufgefordert werde, abschließend meinen Standpunkt darzulegen, erfreut und überrascht mich gleichermaßen. Etwas anderes habe ich doch in den vergangenen elf Jahren nicht getan.

Mit Professor Ickler bin ich der Meinung, daß die Lektüre sorgfältig redigierter Texte dem bildungsbewußten Teil der deutschen Schreibgemeinschaft die für ihr eigenes Schreiben mustergültige Rechtschreibung vermittelt. Da im Zweifelsfall eine Nachschlagemöglichkeit vorhanden sein muß, halte ich mich an den Leipziger Großen Duden von 1967 und an das Deutsche Universalwörtebuch von 1989. Ich befolge auch Schreibungen, die mir nicht als sinnvoll erscheinen, um unter Gleichgesinnten keinen Anstoß zu erregen. Aus dem neuen Rechtschreibwörterbuch von Professor Ickler erfahre ich, wo die Norm vor 1996 nicht einheitlich war. In solchen Fällen hätte ich eigentlich die Wahlmöglichkeit, die ich aber - auch aus Altersgründen - nicht nutze.

Während der Jahre der Auseinandersetzung habe ich viel darüber nachgedacht, wie eine Orthographie strukturiert ist und wie sie funktioniert. Mit einem besonnenen Gesinnungsfreund in Aurich teile ich die Meinung, daß nicht alles in unserer komplizierten Rechtschreibung den gleichen Anspruch hat, als obligatorisch zu gelten. Diesen Gesichtspunkt hätte die Schreibdidaktik längst aufgreifen sollen. Eine verständnisvolle Einführung in die Rechtschreibung scheint nicht nur in den Jahren nach 1968 an unseren Schulen versäumt worden zu sein. Manches scheinbar Willkürliche und Unbeherrschbare hätte diesen Charakter verloren, wenn es im Unterricht gründlich vermittelt worden wäre.

Vieles in der Rechtschreibung ist unveränderbar, weil die Lesbarkeit der älteren Texte nicht gefährdet werden darf. In einigen europäischen Sprachen hat man aber trotzdem das orthographische System von Grund auf neugestaltet und dadurch das richtige Schreiben für alle ermöglicht. Das ist auch im Deutschen nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich wäre die Rechtschreibreform von 1996 überzeugender gewesen, wenn sie sich nicht auf ein paar wenig sinnvolle Retouchen beschränkt hätte. Wie es nun mit der "gespaltenen" deutschen Rechtschreibung weitergehen wird, weiß niemand zu sagen. Nach der Meinung des Schreibvolks hat im ganzen 20. Jahrhundert niemand gefragt und wird es auch in der neuen Ära nicht tun. Durch bewußtes Abweichen vom Üblichen seinen Willen kundzutun ist andererseits nicht jedermanns Sache. Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben in Deutschland ihre Tradition. Woran man sich gewöhnt hat, auch im Negativen, gibt man so schnell nicht auf. Dazu gehört auch die Einschätzung der Mitbürger nach ihren orthographischen Fertigkeiten. Vielleicht gibt es einen Umbruch, wenn in fünfzig Jahren die deutschstämmige Bevölkerung die Minderheit in ihrem eigenen Land darstellen wird. Darüber zu spekulieren, erspare ich mir aber.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 17.07.2007 um 23.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9601

H.Jochems:
„Einen anderen Druck hat als Nebeneffekt die Rechtschreibreform dagegen aus der Welt geschafft: Die Furcht vieler Schreiber, unbeabsichtigt oder durch Unaufmerksamkeit Fehler zu machen."

Meine Beobachtung ist genau umgekehrt: Viele Menschen, die sich vor der Reform völlig zu Recht als weitgehend sicher in Rechtschreibfragen fühlen konnten, sind seit der Reform verunsichert und befinden sich, sofern sie das Thema ernst nehmen, ständig in der Gefahr, aus Unkenntnis der neuen Regeln Fehler zu machen, sowohl wenn sie "alt" als auch wenn sie "neu" schreiben wollen. Privatleuten kann das ja wirklich egal sein, aber wenn jemandem im Berufsleben abverlangt wird, "korrekt" zu schreiben, kann das ziemlich peinlich werden.

H. Jochems: "Es ist bei uns viel von Staatsmacht und Diktatur die Rede. Tatsächlich hat hierzulande der Staat in Rechtschreibfragen de facto abgedankt. Das haben "wir" erreicht."

Der Staat hat so lange nicht abgedankt, als er seinen "Rechtschreibrat" im Amt läßt, der vermutlich verhindern wird, daß die "Selbstheilungskräfte", die man bei zahllosen spontanen Rückbildungserscheinungen im öffentlichen Schrifttum beobachten kann, Wirkung zeigen. Die SZ macht derzeit gegen die neue Rechtschreibung, die sie doch anzuwenden vorgibt, dermaßen viele "Fehler" (nämlich durch Wiederverwenden der "alten" Schreibweisen), daß sie in den Augen derjenigen, die "im Interesse der Kinder" oder aus sonstigen Gründen meinen, ein striktes Befolgen der "amtlichen Schreibweisen" einfordern zu müssen, schon als gefährlich, wenn nicht gar als subversiv erscheinen müßte. Würde der Rechtschreibrat diese Rückbildungsvorgänge einfach beobachten und die "amtliche" Rechtschreibung der Wirklichkeit anpassen, bliebe bald nicht viel übrig von der Reform. Aber das wird der Rat, falls er überhaupt irgendwas tun wird, kaum so handhaben wollen.

Was "wir" erreicht haben? Wir haben dazu beigetragen, daß die Kritik an der Reform artikuliert und in die Öffentlichkeit getragen wurde. Das hat vielen Menschen geholfen, die nicht über die fachlichen Voraussetzungen für eine fundierte Kritik verfügen, ihre Ablehnung der Reform bestätigt zu sehen von kompetenter Seite. Der Staat hat sich von "uns" nicht davon abbringen lassen, seine Reform, unter welchen lächerlichen Verrenkungen und in welch dezimiertem Zustand auch immer, bis zuletzt und mit den peinlichsten Mitteln durchzusetzen, wobei in meinen Augen viel schlimmer als die Handlungsweise des Staates die Bereitschaft zur Hinnahme derer in der Öffentlichkeit war, die es garantiert besser wußten. Niemand wird mich davon überzeugen, daß die Leute bei Springer und der FAZ nicht ganz genau wußten, welches Spiel Zehetmair mit ihnen gespielt hat. Aber jetzt können sie sich halt auf Z. hinausreden. Und Z. ist ein Fall für sich. Bei Politikern muß man ja immer unterstellen, daß sie sich ihre Lügen zwar taktisch zurechtlegen, dann aber mit voller Inbrunst selbst daran glauben.

Wir haben vorläufig und für lange Zeit - anders als bis 1996 - eine vielleicht nur in Teilbereichen, aber eben in wesentlichen Teilbereichen, nachhaltig beschädigte Rechtschreibung; daran führen keine noch so differenzierten Betrachtungen herum. Und die Lösung des Problems kann unter den derzeit wirksamen Instanzen und Machtverhältnissen nicht herbeigeführt werden. Wir stottern weiter.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 17.07.2007 um 20.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9600

"Professor Jochems schreibt sehr viel, aber ich komme nicht dahinter, was er eigentlich will. Gibt es hier jemandem, der seine Position teilt?" (9586)

Um das Teilen einer Position geht's nicht primär, es ist doch jedem unbenommen, welche Position er einnimmt.
Ich betrachte es aber als Höflichkeit den anderen gegenüber, den eigenen Standpunkt auch klar zu formulieren und nicht nur metaphorisch darum herumzureden. Unterschiedliche Meinungen sind durchaus erwünscht, sind doch erst sie das Salz in der Suppe.

Hr. Jochems selbst schrieb: "Zuerst geht es doch darum, was der Schreiber in seinem Text behauptet, dann erst geht es um die Implikationen ("Was meint der damit?"), und schließlich um die eigene Reaktion (Zustimmung, Ablehnung, Präzisierung ...)." Ich würde noch ergänzen, daß Behauptungen und Implikationen im Laufe der Diskussion durch Argumente untermauert werden und diese gegebenenfalls von Diskutanten unterschiedlich gesehen werden. Auch wenn es zu keinem Konsens kommt, was mitunter der Fall ist, haben die Teilnehmer trotzdem ihre Position hinterfragt und ihren Horizont erweitert.

Nur, so ein Ablauf kam in diesem Gespäch bisher nicht zustande, was sich auch in den Rückfragen selbst prominenter Teilnehmer bezüglich des Diskussionsziels äußert.

Ich würde mir wünschen, daß Hr. Jochems das, was er vertritt oder vorschlägt, so formuliert, daß auch Nichtsprachwissenschaftler wie ich seinen Standpunkt verstehen können.

Man nimmt doch an solchen Diskussionen primär teil, um gescheiter zu werden und nicht um Verstecken zu spielen!

 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 17.07.2007 um 18.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9599

Allzuviel kann man im Moment nicht tun. Aber es wäre eine große Hilfe, wenn "der Ickler" im Netz verfügbar wäre. Aber dazu müßten die urheberrechtlichen Probleme seitens des Verlags und Prof. Ickler geklärt werden. Für die Aufbereitung der Daten würde ich mich als Freiwilliger melden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2007 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9598

Es freut mich, daß mehrere Mitdiskutanten (auch im Diskussionsforum) sich meiner Bitte an Herrn Jochems anschließen: Wie soll die Rechtschreibung in Zukunft aussehen?

Mein eigener Vorschlag liegt seit zehn Jahren auf dem Tisch: Entstaatlichung plus empfehlende Dokumentation des Üblichen.

Ich habe Ihnen, lieber Herr Jochems, die Frage gestellt, ob Sie es weniger einheitlich (als etwa in meinem Wörterbuch) haben wollen oder ob Sie ganz andere Schreibweisen (eher phonographisch) vorziehen. Vielleicht auch beides zusammen? Es scheint mir unbedingt notwendig, hier einige konkrete Vorschläge zu machen, damit alle wissen, wovon die Rede ist. Dann wird auch vielleicht der Ton wieder entspannter, denn an der Gereiztheit ist für mein Gefühl auch die Ungewißheit schuld.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 17.07.2007 um 13.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9597

@ H. J. am 17.07.2007 um 11.01 Uhr

Das haben "wir" erreicht. (Wer wir auch immer sein mag!)

„Es ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortwährend neue muß gebären“ (Friedrich von Schiller). Das ist meines Erachtens die tatsächliche Tragödie!
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.07.2007 um 12.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9596

Meine 6jährige Enkeltochter geht in einen sehr guten Kindergarten, in welchem der letzten Jahrgangsstufe täglich aus Büchern vorgelesen wird. Kinder, die das gut annehmen, erzählen druckreif und grammatisch richtig in ganzen Haupt- und Nebensätzen und ärgern sich nur darüber, daß sie noch nicht selber lesen können. Weil Zahlen und Rechenzeichen für ganze Wörter stehen, können sie auch einfache Rechenaufgaben lesen und lösen. Das Bedürfnis, selber Texte zu schreiben, ist noch nicht da. Das beweist, daß zuerst gute Texte zum Lesen vorhanden sein müssen, um gut sprechen und schreiben zu lernen.
 
 

Kommentar von Großes Sommerloch, verfaßt am 17.07.2007 um 11.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9595

Übrigens: Wissen und Erfahrung allein macht keine Bildung. Dann wäre ein Computer gebildet, oder ein lexikon. Bildung umfaßt den ganzen Menschen. Dieser muß fähig sein, Wissen anzuwenden und Erfahrungen mit der Realität zu verknüpfen - und zwar zum Vorteil und nicht zum Schaden der Gemeinschaft. Weder akademische Bildung noch Alter schützen vor Torheit, wußte schon William Shakespeare. Und Pestalozzi fügt hinzu: "Die Erfahrungen des Lebens sollen uns reinigen von allen unverständigen und lasterhaften Wesen. Tun sie das, so wird unser Alter still und glücklich ... tun sie es aber nicht, brennen die Wünsche der Torheit und des Lasters noch in uns, wenn die Kraft des Lebens schwindet..."

 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 17.07.2007 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9594

Wer soll denn die Qualitätstexte schreiben, die der kompetenzamputierten Sprachgemeinschaft vorgelegt werden? Macht sich denn niemand Gedanken darüber, daß die "Lesbarkeit" der Texte ja auch die "Lesefähigkeit" der Adressaten voraussetzt?

Eine Norm, der niemand gewachsen ist, kann es nach der hier vertretenen deskriptiven Position gar nicht geben, denn die Norm wird ja durch Beobachtung der Schreibgewohnheiten professioneller Schreiber ermittelt. Die Norm ist nur deshalb Norm, weil sie tatsächlich befolgt wird (zumindest in den besten Texten).
 
 

Kommentar von Ph. K., verfaßt am 17.07.2007 um 11.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9593

Nun mögen Sie mir bitte verzeihen, Herr Jochems, daß mir nicht alle Artikel der FDS bekannt sind. Ich tue mein Bestes, um hier kompetent mitreden zu können, und ich habe bereits schon einige Lesearbeit bewältigt. Meine Anwesenheit ist hier keinesfalls auf Dauer gewiß: ich hege Sympathie für die Sprache Theodor Icklers und Herrn Friedrich Forssmans, den ich für einen begnadeten Typographen halte, aber ich fühle mich in der Gegenwart so vieler Germanistikprofessoren nicht wohl: zu erdrückend scheint mir manchmal deren Wortgewalt. Ich bin wirklich nur hier, um über die Sache zu diskutieren: über unsere Schrift, um die ich gegenwärtig besorgt bin.
 
 

Kommentar von Klein Sommerloch, verfaßt am 17.07.2007 um 11.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9592

Wrase: „Professor Jochems schreibt sehr viel, aber ich komme nicht dahinter, was er eigentlich will.“
Lieber Herr Wrase, vielleicht weiß das der Professor selbst nicht so genau? Es soll ja Leute geben, die um des Schreibens willen schreiben. Aus Langeweile sozusagen. Oder aus Profilsucht. Oder einfach zum Füllen des unvermeidlichen Sommerloches. Die vom Professor angezettelten „Diskussionen“ haben diesen Strang inzwischen zu eindrucksvoller Größe aufgebläht. Und dennoch drehen sich die Beiträge im Kreis herum, ohne daß auch nur einmal so etwas wie eine interessante Erkenntnis dabei herauskäme.
Haben wir am Beispiel der Reformer denn nicht gelernt, daß man Allwissenheit nicht kurieren kann? Daß man nicht mit Menschen „diskutieren“ soll, die keine Diskussion wollen, weil sie bereits an einem unverrückbaren Standpunkt leiden? Weil sie allein wissen, was gut ist – vor allem gut für die anderen Menschen? Gut für die Sprache? Schlecht an der Sprache? Und überhaupt: wenn man doch nur etwas mehr Macht hätte, dann würde man ... Wäre es nicht ratsam, Einträge dieser eingebildeten Sorte gelegentlich einfach zu übergehen? Die falschen Zungenschläge lassen sich in den wortgewaltigen Denkgebäuden nicht völlig kaschieren. Sie stören.
Seit Wochen wird in diesem Forum gebetsmühlenartig dasselbe in verschiedenen Variationen wiederholt. Eine Scheindiskussion ohne Ende, deren Sinn sich mir nicht erschließt. Allmählich wirkt dies ermüdend. Begreift jemand, worum es denn geht? Ist das hohe Wissenschaft oder akademisches Gewäsch? So oder so: Das Forum beginnt an Sinnlosigkeit und Langeweile zu kränkeln. Schade.
Klein Sommerloch denkt: Kapitän- und Kurswechsel täte gut, damit das Schiff aus den Kalmen kommt.

 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 17.07.2007 um 11.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9591

Unsere Internetseiten leisten sich zwar umfangreiche Archive, in der Diskussion geht es jedoch immer nur um das Neueste. Dieser Zug, alles schnell veralten zu lassen, ist natürlich das heute allgemein Übliche und hat als begehrliche Offenheit für das Modische sogar der Rechtschreibreform die Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft verschafft. Ich könnte auf zahlreiche Beiträge verweisen, in denen ich meinen Standpunkt geduldig dargelegt habe. Sie sind sogar über Google ermittelbar, wenn man vor meinen vollen Namen "von" setzt, sonst wird man nämlich auf meine frühere Mitgliedschaft im Beirat der Forschungsgruppe Deutsche Sprache verwiesen. Es gibt aber einen viel einfacheren Weg, meine Vorstellungen von einer akzeptablen deutschen Rechtschreibung kennenzulernen, nämlich durch interessiertes und nachdenkliches Lesen in Professor Icklers Normale deutsche Rechtschreibung. Wer sich zusätzlich die Mühe macht, den Duden von 1991, den Ickler von 2004 und eines der revidierten Reformwörterbücher von 2006 nebeneinanderzulegen, verschafft sich ein wohltuendes Erlebnis: die Änderungen, ob erwünscht oder unerwünscht, sind ganz peripher. Diesen Eindruck bestätigt jede Zeitungsseite, nach dem 1. 8. wahrscheinlich noch deutlicher als heute. Wer sich freilich von "dass" den Blutdruck hochtreiben läßt, der sollte die Schweiz und ihre Schreib- und Druckpraxis möglichst meiden. Einen anderen Druck hat als Nebeneffekt die Rechtschreibreform dagegen aus der Welt geschafft: Die Furcht vieler Schreiber, unbeabsichtigt oder durch Unaufmerksamkeit Fehler zu machen. Es ist bei uns viel von Staatsmacht und Diktatur die Rede. Tatsächlich hat hierzulande der Staat in Rechtschreibfragen de facto abgedankt. Das haben "wir" erreicht.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 17.07.2007 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9590

Mein Haupteinwand ist nach wie vor, daß man kein Argument aus der Sicht der Schreibenden akzeptieren darf. Was zählt, ist nur das Lesen (bzw. der Effekt der Rechtschreibung oder deren Mangel auf die Lesbarkeit).

Glasreinigers karikaturale Überzeichnung einer in Kritikerkreisen akzeptierten Meinung führt noch einmal das ganze Dilemma des Kampfs gegen die Rechtschreibreform vor. Wer soll denn die Qualitätstexte schreiben, die der kompetenzamputierten Sprachgemeinschaft vorgelegt werden? Macht sich denn niemand Gedanken darüber, daß die "Lesbarkeit" der Texte ja auch die "Lesefähigkeit" der Adressaten voraussetzt? Eine "hochauflösende" Rechtschreibung wird als kulturelle Errungenschaft ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Möglichkeiten der Schreibgemeinschaft verteidigt. Das konnte nicht gutgehen und geht natürlich auch in der durch die "Revision" erzeugten Situation nicht gut. Das "Übliche" sei nun ohnehin nicht mehr ermittelbar. Am Ende bleibt die Verantwortung für die deutsche Rechtschreibung bei den Programmierern von Microsoft hängen. Eine gute Schreibdidaktik "aus der Sicht der Schreibenden" wäre jedoch die bessere Lösung gewesen.

 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 17.07.2007 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9589

Lieber Herr Jochems,

daß die Beschäftigung mit der RSR eindeutig den Blutdruck nach oben treibt, daß sich irgendwann das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit und schließlich der Resignation einzustellen droht, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich bin fassungslos angesichts einer solchen Ansammlung von Falschmünzereien, Falschspielereien und Trickbetrügereien (Sinnwiederholung beabsichtigt) und einer solchen geballten Ansammlung von blanker Inkompetenz, fast wäre ich geneigt zu sagen: verbaler Inkontinenz, die den bestehenden Schreibusus der Deutschen einfach von den Füßen auf den Kopf zu stellen beabsichtigt. Zu groß sind die erlittenen Kränkungen, daß ich heute noch emotionslos über dieses Thema sprechen könnte. Wenn Sie allerdings Ihre eigene Gesundheit schonen wollen, steht es Ihnen frei, hier einmal in kurzen Zügen zu umreißen, welche Änderungen unserer Schriftsprache Sie sich persönlich wünschten. Solange Sie das nicht tun, treten wir hier auf der Stelle.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 17.07.2007 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9588

Nicht die Reformer (die sich inzwischen in alle Winde zerstreut haben) wären unsere Ansprechpartner gewesen, sondern die allgemeine und die fachliche Öffentlichkeit. Unter "wir" verstehe ich natürlich nicht in erster Linie den kleinen Kreis von Diskutanten auf dieser und anderen rechtschreibreformkritischen Webseiten, sondern eine Gruppe von ernstzunehmenden Wissenschaftlern und sonstwie einschlägig Interessierten, die in dieser Sache seriös und gesprächsbereit einen mehrheitsfähigen Standpunkt zu vertreten in der Lage gewesen wäre, die sich aber nie herausgebildet hat. Für mich waren die elf Jahre meiner Zugehörigkeit zum Lager der Kritiker ein einzigartiger Lernprozeß. Ich weiß jetzt mehr über unsere Rechtschreibung als in den Jahren meiner akademischen Berufstätigkeit, in denen mir diese spät erworbene Kompetenz gute Dienste geleistet hätte. Auf meine alten Tage habe ich aber auch noch eine Menge über meine Mitmenschen hinzugelernt. Der Umgangston in den Hochschulgremien war seit etwa 1970 nicht gerade zimperlich, reichte aber bei weitem nicht an die Exzesse heran, die ich seitdem kennengelernt habe. Was völlig abhanden zu kommen scheint, ist die Fähigkeit zur Selbstkritik. Wenn es am Ende nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur noch um Rechthaben geht, ist eigentlich das Gespräch nicht mehr möglich. Ich übersehe nicht, daß meine Beiträge auf "Schrift und Rede" lange schon Fremdkörper sind, und meine Familie rät mir, mich doch endlich von dieser längst ausgestandenen Sache zurückzuziehen. Mein Gerechtigkeitssinn will sich aber nicht damit abfinden, daß der Vorwurf der Inkompetenz und der Charakterlosigkeit gegen alle Andersdenkenden das letzte Wort gewesen sein sollte.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 17.07.2007 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9587

Mein Einwurf war natürlich nicht zum Nennwert zu nehmen. Ich habe lediglich Herrn Jochems Ansatz ins bittere Ende extrapoliert.

Mein Haupteinwand ist nach wie vor, daß man kein Argument aus der Sicht der Schreibenden akzeptieren darf. Was zählt, ist nur das Lesen (bzw. der Effekt der Rechtschreibung oder deren Mangel auf dieLesbarkeit).
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.07.2007 um 05.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9586

Professor Jochems tadelt regelmäßig die angeblich mangelnden Sitten unter den Reformgegnern, während er die vornehme Kollegialität unter den "Sprachwissenschaftlern" (das sind die Reformbetreiber ebenso wie die Reformgegner) als vorbildlich hinstellt. Seiner Ansicht nach haben wir es uns durch einen ungehobelten Umgangston mit den Reformern verdorben.

Ich kann dem nicht folgen. Rücksichtsloser, verlogener und unfähiger kann man meiner Meinung nach kaum sein als die Herren Augst, Schaeder, Gallmann usw., die die Rechtschreibreform verbrochen und ihr mit unablässiger Propaganda den Weg freigewalzt haben. Gesprächsbereitschaft? Seit zehn Jahren keine Spur, ganz egal, in welcher Tonalität sich jemand mit ihnen auseinandergesetzt hat. Wer sich so unverschämt über eine gewaltige Menge an fachlicher Kritik ebenso wie über die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung hinwegsetzt, hat es nicht verdient, daß man sich in vorzüglicher Hochachtung vor ihm verrenkt.

Ein besseres Vorbild als Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge ist für mich Jesus von Nazareth, dem anderes wichtiger war, als parkettsichere Umgangsformen mit den einflußreichen Ideologen seiner Zeit zu pflegen; er hat sie scharf kritisiert, inhaltlich ebenso wie auf der persönlichen Ebene.

Professor Jochems schreibt sehr viel, aber ich komme nicht dahinter, was er eigentlich will. Gibt es hier jemandem, der seine Position teilt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2007 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9585

Es ist richtig, daß ich mit den Reformern nicht persönlich verfeindet bin. Allerdings hat es "Verständigungsbrücken" meiner Ansicht nach nie gegeben, sie können daher auch nicht durch den Umgangston auf irgendwelchen Internetseiten, die den Reformern herzlich gleichgültig sind, zerstört worden sein. Die vom Insider Horst H. Munske diagnostizierte Überrumpelungsstrategie sollte nicht in Vergessenheit geraten. Da es den Reformern nach ihrem Scheitern von 1993 gar nicht mehr um die Sache ging (sie haben es ja selbst ausgeplaudert), war niemals eine Verständigung mit jenen möglich, denen es ausschließlich um die Sache ging.

Ich muß übrigens gestehen, daß auch ich Herrn Jochems nicht ganz folgen kann. Die ständige Kritik am alten Duden will ich beiseite lassen, aber was genau, lieber Herr Jochems, wollen Sie ändern, um das Rechtschreiben für jedermann zu erleichtern? Meiner Ansicht nach müssen Sie entweder die Schreibweisen ändern (in Richtung phonographisches bzw. stenographisches Schreiben) oder erhebliche Abstriche an der Einheitlichkeit zulassen. Beides dürfte auf den Widerstand der Sprachgemeinschaft stoßen.
Aber ich spekuliere, notgedrungen, weil Sie so selten konkret werden.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 17.07.2007 um 00.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9584

Wer noch seinen Struwwelpeter auswendig kann, erinnert sich an den Schneider mit der Scher. Urs Bärlein wollte gestern den Schneider auf dieser Webseite metaphorisch einführen, was völlig überflüssig gewesen wäre, denn er ist längst da. Nun gut, wir Gäste auf "Schrift und Rede" sind an die Hausordnung gebunden, obwohl es doch schmerzt, wie das akademische Ethos den Bach hinuntergeht. Schwamm drüber, darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Wie sagt Herr Schulz doch gerade: "Eine Hochsprache muß gerade für den Ausdruck elaborierter Gedankenführungen geeignet sein." Richtig, aber das ist nur zum allergeringsten Teil eine Frage der Rechtschreibung. Herr Konietzko kommt noch einmal auf die beiden kontroversen Begriffe zurück: "Woher soll denn diese „Norm" stammen, wenn nicht aus dem Usus?" Wie wir jetzt wissen, ist die "Norm" manipulierbar, nicht jedoch der "Usus". Wer die deutsche Rechtschreibung liebt, sollte die baldige Scheidung dieser Zwangsehe herbeiwünschen. Mitternachtsgedanken aus dem nördlichen Siegerland, während die Postflugzeuge mit voller Festbeleuchtung im Sinkflug zur Landung in Köln-Wahn ansetzen.
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 16.07.2007 um 23.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9583

Lieber Glasreiniger, ich verstehe Ihren Einwurf nicht. Juristen etwa müssen elaborierte Texte schreiben dürfen und durch keine wie auch gefaßte Reform daran verhindert werden dürfen. Da gibt es keinen Konsens. Mathematiker und Naturwissenschaftler flüchten im Zweifelsfall in Formeln, die Sprache der Philosophen zu beurteilen maße ich mir nicht an. Meine Antithese: Eine Hochsprache muß gerade für den Ausdruck elaborierter Gedankenführungen geeignet sein.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.07.2007 um 22.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9582

Lieber Herr Köster, daß ich der odd man out in diesem Kreise bin, müßten Sie eigentlich erkannt haben. Ganz im Anfang hatte ich die Möglichkeit, meine Beiträge nachträglich zu korrigieren. Aber das ist lange her. Etwas anderes ist Ihr Erstaunen darüber, daß Hochschullehrer über alle sachlichen Differenzen hinweg die verbindende Kollegialität in Ehren halten. Sie würden Professor Ickler unrecht tun, wenn Sie annähmen, er sei mit Herrn Eisenberg und Herrn Gallmann verfeindet. Professor Schatte ist mit Burkhard Schaeder persönlich befreundet und hat an dessen Emeritierungsfeier teilgenommen. Der rüde Umgangston auf den rechtschreibreformkritischen Webseiten hat unserer Sache sehr geschadet, denn er hat Verständigungsbrücken abgebrochen. Sie könnten mir natürlich sagen, hier ginge es inzwischen wie in einer Selbsthilfegruppe nur um die psychische Bewältigung des als Niederlage empfundenen Endes der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform. Mit einer Selbsttäuschung sollte aber niemand leben wollen, zumal ich den Eindruck habe, daß bei den verbliebenen Diskutanten durchaus die fachlichen Voraussetzungen für eine ernsthafte Reflexion über unseren Problembereich vorhanden sind.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 16.07.2007 um 21.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9580

Professor Icklers "übliche Schreibung" bildet strenggenommen ein Zwischenglied, soweit die echte Schreibkompetenz gemeint ist: lesbare Schreibungen, wie sie gehäuft vorkommen, ohne jedoch vollständig der Norm zu entsprechen.

Woher soll denn diese „Norm“ stammen, wenn nicht aus dem Usus? Selbst wenn Herr Ickler den Usus nicht angemessen dargestellt haben sollte, ändert das nichts an dessen Bedeutung als Quelle der Norm.

Wieviel von alledem ist in einer modernen Gesellschaft mit einem breiten Mittelfeld für den Einzelnen erwerbbar und kompetent anwendbar, was muß einer elitären Spitzengruppe vorbehalten bleiben? In dieser Hinsicht kann es Fehlentwicklungen geben, und es müßte der ehrliche Wille der Gemeinschaft erwartet werden, eine konsensfähige Lösung für viele zu finden.

Es ist nützlich, zwischen der Rechtschreibung und ihrer Darstellung in einem Wörterbuch zu unterscheiden. Wenn letztere strenger ist als erstere, dann kann die „Gemeinschaft“ dieses Problem lösen, indem sie das betreffende Wörterbuch nicht mehr kauft und zu Konkurrenzprodukten übergeht. (Die wettbewerbsverzerrende staatliche Privilegierung eines bestimmten Wörterbuches ist ja zum Glück Geschichte.) Daß jedoch die Rechtschreibung selbst Anforderungen stellt, die nicht jeder erfüllen kann, muß hingenommen werden, denn das ist ja bei Morphologie, Syntax usw. nicht anders.

Die Darstellung der Rechtschreibung zu verbessern ist Aufgabe der Sprachwissenschaftler, die Rechtschreibung selbst zu verändern muß der „unsichtbaren Hand“ vorbehalten bleiben.
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 16.07.2007 um 21.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9578

Lieber Glasreiniger, ich verstehe Ihren Einwurf nicht. Juristen etwa müssen elaborierte Texte schreiben dürfen und durch keine wie auch gefaßte Reform daran verhindert werden dürfen. Da gibt es keinen Konsens. Mathematiker und Naturwissenschaftler flüchten im Zweifelsfall in Formeln, die Sprache der Philosophen zu beurteilen maße ich mir nicht an. Meine Antithese: Eine Hochschprache muß gerade für den Ausdruck elaborierter Gedankenführungen geeignet sein.
 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 16.07.2007 um 21.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9577

Die Qual, Sprachwissenschaftler zu sein

Wo viele andere Wissenschaften durch ihre Forschungen Neuland betreten - was dann häufig auch in praktischen Nutzen umgewandelt werden kann - sind Sprachwissenschaftler dazu verdammt, das, was vorgefunden wird, zu interpretieren. Dabei kommt die nächste Crux, Theorien lassen sich nämlich viele aufstellen, nur beweisbar sind sie kaum (wie auch die Diskussion hier zeigt).

Für umtriebige Sprachwissenschaftler bleibt also eine einzige Möglichkeit, etwas zu verändern, und das ist eine Rechtschreibreform. Da haben wir's!

Hätte man das früher erkannt und den Wissenschaftlern virtuelle Welten geschaffen, wo sie ihre Ideen ausprobieren können, uns realen Menschen wäre viel erspart geblieben.

Nur durch die unqualifizierte Vorarbeit der Wissenschaft wurde die Kulturbruchlinie, die der Reform folgte, überhaupt erst möglich.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.07.2007 um 20.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9576

Eine stumpfe Spitze, da die Vielgestaltigkeit der menschlichen Schreibfertigkeiten hier von niemandem bezweifelt worden ist. Was die Anreden betrifft (s. u.), so gebe ich mich übrigens gerne mit „Herr Markner“ zufrieden.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.07.2007 um 20.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9575

In den dreißiger Jahren und dann noch einmal in den ersten Nachkriegsjahren wurden in Deutschland hier und da Unterrichtsversuche mit einer einfachen Kurzschrift als Eingangsschrift gemacht. Es handelte sich um die Nationalstenografie der Brüder v. Kunowski, die heute noch in Israel als Einheitskurzschrift verwendet wird. Als "Wurzelschrift" oder "Sprechspur" verzichtet sie auf alle Kürzel oder Verkürzungen, die sonst für Kurzschriften charakteristisch sind. Geschrieben wird einfach die stenographische Entsprechung zu den Sprachlauten der mündlichen Vorlage. Auf diese Weise lernten einige Kinder sehr schnell kleine Aufsätzchen zu schreiben und wiederzulesen. Der Übergang auf die normale Schreibschrift war ebenfalls unproblematisch, da er ja wieder über den laut oder still gelesenen Text führte. Die Kinder leisteten also auf schlichter Ebene, was Stenografen ebenfalls tun. Wenn ich ein Stenogramm mit dem Computer transkribiere, wirkt sich der völlig andere Charakter des Schreibens in den beiden Versionen nicht störend aus. Die menschliche Schreibfähigkeit ist gewiß flexibler, als sich der Vorsitzende der Forschungsgruppe Deutsche Sprache das vorstellt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.07.2007 um 19.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9572

Die Begriffe „natürliche Schreibkompetenz“ und „echte Schreibkompetenz“ sind schlicht unbrauchbar. Welche Schreibkompetenzen im einzelnen erworben werden, ist eine Sache des sprachlich-kulturellen Umfelds und des je individuellen Bildungsgangs. Schreibkompetenz mag keine Sprachkompetenz im engeren Sinne sein, sie ist aber eine im weiteren Sinne.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 16.07.2007 um 19.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9571

Als Schneider im Kreis von Sprachwissenschaftlern nehme ich mir heraus, (fast) metapherfrei folgendes zu bemerken:

Hätte das Schreibvolk auch nur irgend etwas von den Reforminhalten als tatsächliche Erleichterung empfunden, es wäre mit großer Freude aufgenommen worden und es hätte nie eine Diskussion darüber gegeben. Nur, so ist es nicht!

Ein Teil sind kuriose Hobbies Einzelner, die verpflichtend verordnet wurden; der Rest sind Veränderungen, die die Orthografie der Intuition entziehen, daher zur Regelkonformität ein permanent vorhandenes Hilfssystem beim Schreiben erfordern, und deren Ergebnisse für die große Zahl intuitiver Leser zu permanenten Stolpersteinen werden. Wo also riecht's hier nach frischer Luft?

Die selben Schreiber, die früher selbstverständlich über weite Strecken fehlerfrei schrieben, bewegen sich heute teilweise wie Schreibanfänger im Gestrüpp des Regelwerkes.

Kein Mensch hat grundsätzlich etwas gegen eine Rechtschreibreform, nur darf bezweifelt werden, daß künstlich erfundene Normierungen jemals all das leisten werden, was Sprache/Schreibung eben leisten muß, um allwettertauglich zu sein.

 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 16.07.2007 um 19.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9570

Was mit dem Ausdruck "natürliche Schreibkompetenz" gemeint ist, ergibt sich doch aus dem Zusammenhang. Man könnte natürlich auch "primäre Schreibkompetenz", "vorwiegend phonographische Schreibkompetenz" oder ähnliches sagen. Daß wir uns auf "Rechtschreibung" versteifen, ist für unsere Diskussion kontraproduktiv. Professor Icklers "übliche Schreibung" bildet strenggenommen ein Zwischenglied, soweit die echte Schreibkompetenz gemeint ist: lesbare Schreibungen, wie sie gehäuft vorkommen, ohne jedoch vollständig der Norm zu entsprechen.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.07.2007 um 19.39 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9569

Auch eine Mitschrift etwa in Gabelsberger muß schließlich für Otto Normalleser in deutsche Graphie gebracht werden, und zwar von jemandem, der diese sehr gut beherrscht. Andernfalls entstünde ein unleserlicher Text.

Schreibkompentenz(en, einschließlich Kurzschrift etwa) ist keine Sprachkompetenz i.e.S., sondern eine kommunikative Kompetenz im Bereich der Sprache, ähnlich der artikulatorischen / gestischen, prosodischen und rhetorischen. Für die hochgradig schriftgeprägte judeo-christliche europäische Kultur (man denke an Moses´ Steintafeln) ist eine hinlängliche Schreibkompetenz eins der wichtigsten Ergebnisse der "sprachlichen Sozialisation des Kindes" und eine wichtige Voraussetzungen für seine / die Teilhabe an der (Sprach- und Kultur)gemeinschaft. So bleibt es, auch wenn dies z.B. die GEW völlig anders sehen sollte.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 16.07.2007 um 19.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9568

Es ist für mich eine Neuerung, daß Herr Jochems mit Herrn Augst persönlich bekannt ist, man lernt ja nie aus, ich frage mich allerdings, wie lange der gedankliche Spagat durchzuhalten ist, die Reform einerseits als gescheitert, andererseits aber als unvermeidlich hinzustellen. An solch einer Dialektik kann ich keine Freude mehr empfinden, und man wäre interessiert zu erfahren, wie die Beteiligten sich eines Tages am eigenen Schopf aus dem Sumpfe zu ziehen gedächten. Es übersteigt meinen Verstand, und ich sehe hier die Chance auf eine faire und ausgewogene Diskussion vernichtet.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.07.2007 um 19.14 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9567

"Zusammensetzungen" vs. "syntaktische Wörter"

Die von Theodor Ickler hier eingebrachte Unterscheidung von Paul ist den Reformern sicher nicht (mehr) bekannt (gewesen). Daher haben sie mit ihren Regeln teils kurz geschlossen bzw. recht Verschiedenes (Lexikon und Satzsyntax) kurzgeschlossen. Die Achtklässler und der Rest der Nation müssen es jetzt herunterladen. So werden nicht niederkommen, sondern herunter zu den Reformern.

Daß die ziselierte Scheidung von Zusammenbildung und -rückung (und ein paar weiterer Diffizilitäten) morphosyntaktisch auf recht wackeligen Beinen steht, hat Ludwig M. Eichinger in seiner "Wortbildung" vorgeführt. Für Schreibentscheidungen ist sie ohnehin irrelevant.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 16.07.2007 um 19.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9566

Eine wirkliche Reform bedeutete es, elaborierte Texte nicht nur zu behindern, sondern zu verhindern. Dann wäre schnell ein Konsens da.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.07.2007 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9565

Wie schon gesagt: Schreib- und Rechtschreibkompetenz treten zwar im Erstspracherwerb erst später zur bereits erworbenen Sprachfähigkeit hinzu, Bestandteile der allgemeinen Sprachkompetenz des einzelnen werden sie dennoch. Eine „natürliche Schreibkompetenz“ gibt es natürlich nicht.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.07.2007 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9564

Wir könnten natürlich fragen, ob die Rechtschreibkompetenz eine Teilkompetenz der allgemeinen Sprachkompetenz ist, oder ergänzend zu dieser hinzutritt. Kulturgeschichtlich wie auch hinsichtlich der Sozialisation des Einzelnen in einem Kulturvolk mit einem hohen Grad von Schriftlichkeit ist die Antwort eindeutig. Wie sieht das aber aus, wenn diese Entwicklung im letztgenannten Falle (relativ) abgeschlossen ist? Ich besitze eine zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit in Form meiner Stenografiekenntnisse. Ich kenne mehrere deutsche und ausländische Kurzschriftsysteme, beherrsche aber zwei, die Deutsche Einheitskurzschrift mit ihren drei Fertigkeitsstufen und das amerikanische System Gregg Shorthand (in seinen gebräuchlichsten Fassungen seit 1929). In beiden Fällen kann ich mir deutsche bzw. englische Sätze kurzschriftlich "vor dem inneren Auge" vorstellen. Das geht so vor sich, daß sich die geläufigen stenografischen Wortbilder sukzessive einstellen, die ungeläufigen sich blitzschnell aufgrund meiner jeweiligen Systemkenntnis aufbauen. Beim Stenografieren sind diese "inneren Stenogramme" zugleich die Steuerungsinstanz für die Niederschrift auf dem Stenogrammblock. Wenn ich einen Text mit der Hand oder am Computer schreibe, stellen sich solche "inneren Schriftbilder" nicht ein. Die Schreibbewegungen für den Kugelschreiber und die Griffwege auf der Computertastatur müssen aber auch aufbaubar und in den meisten Fällen fertig gespeichert sein, um die schriftliche Umsetzung eines gedanklich konzipierten Satzes zu ermöglichen. Christoph Schatte hat im Diskussionsforum gerade dargelegt, daß die Schreibkompetenz keine Voraussetzung für einen entwickelten Sprachgebrauch ist. Analphabeten können deshalb überaus kompetente mündliche Sprachbenutzer sein. Nun unterscheiden sich Stenografie und "Langschrift" (wie die Adepten der Kurzschrift ein wenig geringschätzig für die normale Schreibschrift sagen) in dem wichtigen Punkt, daß erstere auf eine äußerst ökonomische schriftliche Darstellung der Sprache aus ist. Alles Redundante entfällt sowieso, für Hochgeschwindigkeitsschreiben aber auch ein Teil der gehörten Segmente, solcher nämlich, die kontextuell ergänzbar sind. Ich möchte vorschlagen, die stenografische Kompetenz und die natürliche Schreibkompetenz als verwandte Phänomene aufzufassen, in der Rechtschreibkompetenz dagegen eine bewußte Entwicklungsstufe im Hinblick auf die Produktion künstlich überformter Texte mit einem hohen ästhetischen Anspruch zu sehen. Letztere gehört eigentlich in einen Zusammenhang mit der Befähigung zum Erstellen stilistisch hochstehender Texte mit einer komplizierteren inneren Struktur als die bloße mündliche Rede, dazu unter Verwendung eines Vokabulars, das in echter Mündlichkeit nicht auftaucht. Dieser Hierarchie der Sprachverwendungen entspricht natürlich eine Hierarchie der Sprachanwender, und diese wiederum besitzt zweifellos soziologische Konnotationen. Dies alles ist kulturell bedingt und unterscheidet sich von der menschlichen Sprachverwendung im Naturzustand. Die Frage ist nur: Wieviel von alledem ist in einer modernen Gesellschaft mit einem breiten Mittelfeld für den Einzelnen erwerbbar und kompetent anwendbar, was muß einer elitären Spitzengruppe vorbehalten bleiben? In dieser Hinsicht kann es Fehlentwicklungen geben, und es müßte der ehrliche Wille der Gemeinschaft erwartet werden, eine konsensfähige Lösung für viele zu finden. Darum und ausschließlich darum geht es in der Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2007 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9563

Ich habe nicht zwischen Zusammensetzung und Zusammenrückung unterschieden. Vielmehr löse ich die anscheinend unausrottbare Verbindung von Zusammensetzung und Zusammenschreibung, hierin glücklicherweise mit Hermann Paul einig.
Die GZS ist nicht schwierig. Es gibt unverbrüchliche Zusammenschreibung beim Kernbestand der Partikelverben (absteigen), fast ebenso strikte Getrenntschreibung bei komplexeren Erstbestandteilen (windelweich schlagen) und dazwischen eine Menge Fakultatives. Wo steht denn bei mir etwas von "Freigabe" und "Verpflichtung"? Ich stelle einfach dar, wie es ist, und empfehle zur Nachahmung, falls jemand um Rat nachsucht.
"Barock-pedantisch"? Es geht immer wieder um den alten Duden (trotz meiner frechen Unterüberschrift zu diesem Tagebucheintrag); immerhin stellt Herr Jochems ab und zu klar, daß er über diesen nicht hinwegkommt, aber oft liest es sich so, als sei die bisher (wirklich!) übliche Rechtschreibung auch von Gebildeten nicht beherrschbar gewesen. Das ist stark übertrieben.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.07.2007 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9562

Ich betrachte die Orthographie als eine Hilfswissenschaft wie Mathematik und Technisches Zeichnen: Sie ist ein Werkzeug, um die eigenen Gedanken und Ideen mittels allgemeinverständlicher Hilfsmittel anderen mitzuteilen. Vielfach entwickelt sich eine Idee beim Sprechen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen erst fertig. Eine noch so schöne und korrekte Rechtschreibung, Berechnung, Zeichnung ist aber nur so viel wert wie die Idee und die Gedanken, die dahinter stehen. Wie eine Berechnung oder technische Zeichnung muß die Rechtschreibung Mißverständnisse ausschließen.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 16.07.2007 um 15.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9561

In Beantwortung des unmittelbar Vorangegangenen: Beiträge auf Schrift und Rede sollten zumindest zehn Zeilen lang sein, um nicht in den Verdacht bloßer Internetforengesprächigkeit zu geraten. Da es um die Sache, nicht aber um Personen geht, sind persönliche Bemerkungen eigentlich ein Stilbruch.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 16.07.2007 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9560

@ Wielce szanowna Pani Galino

Darf ich Sie, Herr Jochems, freundlich bitten, mir dieses "Geschreibsel" in die deutsche, französische oder gar russische Sprache zu übersetzen?

Die Anrede "Pani Galino" ist Polnisch, was Sie als Experte eigentlich wissen sollten!
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 16.07.2007 um 13.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9559

Wie ich erst jetzt sehe, hat Herr Ickler mir etwas versteckt eine persönliche Antwort zukommen lassen. Mir ist schon klar, daß dies nicht der Platz für persönliche Gespräche ist, doch bitte ich die Red., mir einen Dreizeiler oder etwas mehr zuzugestehen. Wenn ich den Eindruck erweckt haben sollte, die indischen Verhältnisse zu romantisieren, so wäre das allein meinem mangelnden Ausdrucksvermögen zuzuschreiben. In der Tat wurde ich in Indien erstmals ernsthaft damit konfrontiert, was es wirklich bedeutet, arm und rechtlos zu sein, und ich wollte hier nichts kleinreden oder beschönigen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.07.2007 um 13.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9558

Wielce szanowna Pani Galino, darunter verstehe ich Menschen wie Sie und mich. Lieber Herr Eversberg, ich spreche von der Erkenntnis der Reformbedürftigkeit der überkandidelten Dudenrechtschreibung. Darin unterscheiden sich die Reformer nicht von Professor Ickler. In der Praxis aber hat er den angemesseneren Weg beschritten. Was letzterer zur Theorie sagt oder wie er polemisiert, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Sowohl sein Insistieren auf der Unterscheidung von Zusammensetzung und Zusammenrückung wie seine Freigabe der Schreibung vieler Verbzusatzkonstruktionen (dies jedoch mit der Verpflichtung, die bessere zu wählen) überfordern das volkstümliche Verständnis unserer Muttersprache. Ich träume jetzt davon, daß man den Runden Tisch zur deutschen Rechtschreibung mit elfjähriger Vespätung doch noch nachholen könnte. Wäre das eine Freude, Friedrich Denk und Hermann Zabel in einem interessanten Gedankenaustausch zu erleben. Ich bin übrigens weder mit Gerhard Augst noch mit Burkhard Schaeder zerstritten. Professor Augst unterscheidet ausdrücklich sachliche Auseinandersetzung und Kollegialität. Schwierigkeiten habe ich lediglich mit Clemens Knobloch. Wir Alten müssen aber bedenken, daß Nachwuchswissenschaftler heute Probleme haben, die uns in den fünfziger und sechziger Jahren erspart geblieben sind.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 16.07.2007 um 12.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9557

Was versteht Herr Jochems eigentlich unter "der normale Schreiber"?
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 16.07.2007 um 12.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9556

Ersparen wir uns die Einsicht, daß die Bauerntölpel einiges klarer gesehen haben, als wir es uns eingestehen wollen.

Nein, lieber Herr Jochems, das überzeugt mich so nicht. Welche Neuerungen wären es denn ganz konkret, die Sie begrüßen? Daß niemals eine Verpflichtung dazu bestand, dem Duden blindlings in all seinen »Haarspaltereien« zu folgen, wie es hier offizielle Wortregelung zu sein scheint, ist doch völlig unstrittig. Können Sie denn den Vorgaben der Kulturapparatschiks, deren virtuose Durchdringung der deutschen Rechtschreibung in so famosen Vorschlägen wie »wieder beleben« und »der 13-Jährige« gipfelte, überhaupt etwas Positives abgewinnen? Ich vermag es nicht. Ich kann nicht so schreiben, ohne zu zittern.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 16.07.2007 um 12.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9555

Lieber Herr Eversberg, auf Ihre Anfrage hin empfehle ich Ihnen die Lektüre der Eintragungen unter "frei" "ganz", "jung", "richtig", "schlimm" und ähnlichem in einem älteren Duden. Dann sollten Sie sich fragen: Wie kam der normale Schreiber dabei weg? Sagen Sie mir nicht, dieser gerade zähle nicht, auch nicht der Schreiber von orthographischen Qualitätsprodukten, sondern nur der sorgfältig redigierte Text selbst. Ihm kann man aber leider nicht ansehen, welche seiner Schreibungen auf orthographischer Kompetenz und welche auf geschickter Verwendung von Hilfsmitteln beruhen. Das "Übliche" müßte jedoch in der Kompetenz der Schreiber seinen "situs" haben, und in der Beziehung bestand das deutsche Rechtschreibspiel eben aus einer eleganten Selbsttäuschung. Ersparen wir uns die Einsicht, daß die Bauerntölpel einiges klarer gesehen haben, als wir es uns eingestehen wollen.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 16.07.2007 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9554

Können Sie, verehrter Herr Jochems, ein paar Eckpunkte nennen, die in der "lange schon überfälligen" Neuorientierung als entscheidende Markierungen zu gelten hätten?
Und hm, "der Zukunft zugewandt" schreiben Sie, obwohl Sie aber doch ansonsten gerade keine Ruinenlandschaft erblicken wollen.
Aber wer wollte nicht gerne einstimmen in den Chor "Oh welche Lust, in freier Luft ..."
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 16.07.2007 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9553

Vor sechzig Jahren fragten René Wellek und Austin Warren in ihrer Theory of Literature nach dem situs ontologicus, der "Seinsweise" des literarischen Kunstwerks. Da die Sprache der Werkstoff des Dichters wie des Schriftstellers ist, hätten sie noch einen Schritt weiter zurückgehen können, indem sie nach deren Seinsweise fragten. Dabei hätten sie nicht vermeiden können, das "Schreiben" als den eigentlichen kreativen Akt des Schöpfers eines literarischen Kunstwerks in den Blick zu nehmen und damit das Verhältnis von "Sprache und Schrift", das Christian Stetter an einem trivialen Beispiel untersucht. In Anlehnung an Chomsky sollten wir uns deshalb eingestehen, daß wir hier nur Oberflächenlinguistik betreiben. Das ist die enge Sicht des Orthographieproblems, das uns die Reformer aufgezwungen haben. Es gibt aber auch eine Tiefendimension, zu deren Erhellung wir tunlichst nicht die verquaste Diktion und Terminologie aus der philosophischen Tradition benutzen sollten, sondern möglichst voraussetzungsloses Denken. Dabei sind allerlei Entdeckungen zu machen, die sich in einer jetzt noch nicht überblickbaren Zukunft des Schreibens als nützlich erweisen könnten. Wenn wir Professor Icklers Unterscheidung von privatem und öffentlichem Schreiben aufgreifen und nur letzteres als für die Orthographiediskussion relevant ansehen, ist die "klassische" deutsche Orthographie für den größten Teil der heutigen Textproduktion vom Tisch. Die schöngeistige Literatur hat einen Sonderstatus, der aber an dieser grundsätzlichen Feststellung nichts ändert. Dabei ist den Reformern keineswegs der Befreiungsschlag gelungen, die barock-pedantischen Züge aus der deutschen Rechtschreibung zu entfernen. Die heilige deutsche Vorstellung vom Normcharakter der Rechtschreibung ist aber dahin, und dies allein schon beschert uns die Atemluft, um der Zukunft zugewandt die lange schon überfällige Neuorientierung anzugehen. Die nach wie vor vorhandenen ideologischen Verzerrungen sind heute auf so kleine Gruppen beschränkt, daß ihr Anteil daran négligeable sein wird. 2005 war tatsächlich ein entscheidendes Jahr in der deutschen Schreibgeschichte - wie der Prophet aus der Pfalz schon 1944 voraussah.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2007 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9552

Zu Herrn Metz: Durch die RSR ist eine solche Verwirrung eingetreten, daß es im Sommer nicht 2007 nicht mehr möglich ist, auf dem Wege der Beobachtung eine halbwegs konsistente Rechtschreibung in den Zeitungen festzustellen. Ähnlich hat es auch Eisenberg gesehen. Was wir beobachten, sind die Folgen eines Eingriffs, nicht die Ergebnisse einer gleichsam "natürlichen" (= eingriffslosen) Entwicklung.

Zu den Verbzusatzkonstruktionen ("freigeben" usw.): Ich bemühe mich seit gut zehn Jahren, die Zusammenschreibung vom Begriff des zusammengesetzten Wortes zu lösen. Zum raffinierten leserfreundlichen "Überbau" (ich teile diese Zuweisung aber nicht!) der deutschen Rechtschreibung gehört gerade, daß sie auch Nichtzusammensetzungen zusammenschreibt. Ich halte es also mit Drach. Wer sich für die ältere Diskussion interessiert, findet einen Teil davon in Lipka/Günther Hg.: Wortbildung (Wege der Forschung). Vor 100 Jahren gab es die große Diskussion über Verbzusatzkonstruktionen: Brugmann, Dittrich, Wundt gegen Paul, Reichling. Ich halte es mit den letzteren. Paul hat entschieden die besseren Argumente und vor allem einen klaren Begriff von syntaktischen Wörtern und lexikalischen Einheiten (Lexemen). Brugmann führt diskontinuierliche Lexeme aus allen indogermanischen Sprachen an, aber er beweist damit keineswegs, was zu beweisen wäre. Paul rechnet es ihm mit gewohnter Kühle vor, schön zu lesen wie immer. (Womit nicht gesagt sein soll, daß Brugmanns Material nicht ebenfalls interessant wäre.)

In den Schriften dieser Zeit findet man übrigens (es wurde schon einmal erwähnt) ziemlich viele Zusammenschreibungen wie "imgrunde", die dann wieder außer Gebrauch kamen.

Zu Indien: Das Gefühl der Freiheit beruht wohl zum Teil darauf, daß der Hinduismus nicht missioniert, sondern im Gegenteil alles aufsaugt. Aber zum Teil ist es auch die Illusion des Westlers, der nicht zum indischen Sozialsystem gehört und daher nichts von dessen Zwängen spürt. Auch mir hat es in Indien (1975 bis 1977) gut gefallen, aber die Kehrseite ist mir nicht entgangen.

Zu meiner Praxis der "Deskriptivität" haben die Mitstreiter schon alles Nötige gesagt, auch Zitate von mir in Erinnerung gerufen, so daß ich dazu nichts mehr sagen muß. Es ist im Grunde sehr einfach. Die Benutzer meines Wörterbuches wollen bestimmt nicht jede erdenkliche irgendwo belegte Schreibung vorfinden.

Mit Christian Stetters Schriften habe ich auch immer meine Schwierigkeiten gehabt (um es mal vorsichtig auszudrücken). Vergleichweise banal ist dann wieder seine Mitarbeit am überaus fehlerhaften "Neuen deutschen Wörterbuch" (mit Zabel) und an den ebenso fehlerhaften Übungsdiktaten von Antje Dohrn.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.07.2007 um 07.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9550

Das Sollen literaler Normen beruht auf dem Sein des literalen Geschmacks, mit Bourdieu könnte man sagen: hängt ab vom Bildungskapital. [...] Orthographische Regeln sind zweifellos kulturelle Produkte. Eben deswegen sind sie nicht auf die Weise willkürlich, wie der Mythos von der Alphabetschrift als Lautschrift uns glauben machen will. Genauer betrachtet erweisen sie sich als Hypothesen über die logischen Typen, in denen wir unser Denken artikulieren, als Versuche, deren Unterschiede formal zu verdeutlichen.

Das ist eine Mischung aus Banalität (Orthographische Regeln sind zweifellos kulturelle Produkte), Unlogik und eitlem Geschwätz. Warum sollten wir darüber diskutieren? Es hat nichts mehr mit unserem Thema oder mit dem Tagebucheintrag zu tun. Interessant ist höchstens, daß die aktuellen orthographischen Regeln gerade da, wo sie reformiert wurden, zweifellos kein kulturelles Produkt sind, sondern Hirngespinste einiger durchgedrehter Ideologen, die es fertigbrachten, die Staatsgewalt für ihren Plan einzuspannen. Sie sind Produkte der Vermählung von Größenwahn und Demokratievernichtung.

Ich gehe lieber auf das Fazit eines früheren Beitrags ein: Die gegenwärtige orthographische Krise ist also nicht das Ergebnis einer Bauerntölpelei. Diese genügte jedoch als Anstoß, um das Kartenhaus (noch eine Metapher) zusammenkrachen zu lassen.

Beides ist falsch. Am Anfang stand sehr wohl die Tölpelei von Personen wie Gerhard Augst. Sodann genügte sie eben nicht als "Anstoß", um das angeblich äußerst labile Gebilde ("Kartenhaus") der Einheitsschreibung zum "Einsturz" zu bringen, sondern die bürgerfeindliche Machtdemonstration der Politik und eine ungeheure Flut von Propaganda und Desinformation kamen hinzu, außerdem wirtschaftliche und private Interessen.

Wenn schon eine Metapher, dann diese: Da stand ein grundsolides und hervorragend funktionsfähiges Gebäude. Es kam eine Bande von Zerstörern daher. Man rückte dem Gebäude mit einer großen Eisenkugel, Dynamit und Preßlufthämmern zu Leibe. Dem allem hätte das Gebäude vielleicht standhalten können. Die Bande spannte jedoch alle möglichen Leute ein, um in das beschädigte Gebäude neue Wände, Decken, Treppen und diverse Installationen einzuziehen – auf abenteuerlich dilettantische und fehlerhafte Weise. Nur noch ganz wenige Spezialisten fanden sich noch in dem Gebäude zurecht, während es früher so war, daß nur ganz wenige Spezialisten auch den hintersten Winkel und das verborgenste Detail des Gebäudes kannten.

Es gibt tatsächlich Leute, die sich besonders klug vorkommen, indem sie kommentieren: "Man sollte das gelassen sehen. In einigen Jahrzehnten wird das schon wieder weitgehend repariert sein. Auf viel mehr als das Fundament kommt es bei einem Gebäude nicht an. Der ganze Überbau ist doch sowieso nur Luxus."
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.07.2007 um 23.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9548

Es gibt auch Beispiele für die Wiedergabe des Sprachklanges durch die Schrift: Als Homer die Ilias niederschrieb, war der Text längst als mündliche Überlieferung allgemein bekannt. Das ist nicht der einzige Fall, in dem mündlich, der leichteren Merkbarkeit wegen in Versform, überlieferte Texte, nur schriftlich fixiert wurden. Es wurde dabei inhaltlich nichts Neues mitgeteilt.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 15.07.2007 um 23.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9546

Amerika ist - Bush hin, Bush her - ein nüchternes Land. Wer mit der dort vor fünfzig Jahren kultivierten General Semantics vertraut ist, wird an einigem bei unserem verdienstvollen Christian Stetter seine wahre Freude haben. Das wollen wir aber nicht vertiefen, sondern ein knappes Zitat aus "Sprache und Schrift" zur Diskussion stellen:

Das Sollen literaler Normen beruht auf dem Sein des literalen Geschmacks, mit Bourdieu könnte man sagen: hängt ab vom Bildungskapital. [...] Orthographische Regeln sind zweifellos kulturelle Produkte. Eben deswegen sind sie nicht auf die Weise willkürlich, wie der Mythos von der Alphabetschrift als Lautschrift uns glauben machen will. Genauer betrachtet erweisen sie sich als Hypothesen über die logischen Typen, in denen wir unser Denken artikulieren, als Versuche, deren Unterschiede formal zu verdeutlichen.

Wer hier zustimmen kann, drücke die "1", wer anderer Meinung ist, drücke die "2". Das Ergebnis der Leserbefragung wird hier demnächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit zugangsoffen bekanntgegeben werden.
 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 15.07.2007 um 21.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9545

Danke für die umfangreichen Zitate aus dem Icker, Hr. Konietzko (9543). Ich hatte jedoch primär die Aussage von Hrn. Jochems im Sinn: "Die Getrenntschreibung "frei gegeben" verletzt die elementarste Regel jeder deutschen Rechtschreibung, daß zusammengesetzte Wörter zusammengeschrieben werden. Daß ein einheitliches Wort vorliegt, zeigt der Akzent an."

Jedoch auch zu Ihrer Darstellung meine ich, daß solche Überlegungen ein Normalschreiber nicht anstellt. Er schreibt einfach "freigegeben" wenn er freigegeben für richtig hält und "frei gegeben" , wenn frei gegeben die Bedeutung besser trifft, oder?

Meines erachtens entstehen Sätze wie der zitierte durch den blinden Einsatz von Korrekturprogrammen, die dafür ausschließlich Getrenntschreibung vorsehen. In früheren Regelwerken war auch noch die Steigerbarkeit des Erstgliedes ein Grund für Getrenntschreibung: "freier gegeben", was immer das bedeuten soll.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.07.2007 um 21.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9544

Die Faustregel für meine Schreibweise lautet: Wenn zwei unterschiedliche Bedeutungen existieren, schreibe ich das ergebnisorientierte Verb zusammen und das die Art und Weise angebende Verb getrennt, auch wenn das nicht so im Ickler-Wörterbuch steht. Die Endeutigkeit für den Leser geht vor.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 15.07.2007 um 21.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9543

Ich finde es unsinnig, zu versuchen, solche Fälle anders als über die empfundene Bedeutung formal regeln zu wollen.

Die formalen Proben in Beitrag Nr. 9531 sollten beweisen, daß freigeben keine Zusammensetzung ist; über Getrennt- und Zusammenschreibung ist damit noch gar nichts gesagt.

Bei der Regelung der Schreibung von Verbzusatzkonstruktionen sind formale Kriterien sinnvoll, um erst einmal zu erklären, was man überhaupt unter „Verbzusatzkonstruktionen“ versteht (Herr Ickler verwendet in § 8 seines Regelwerks die Kriterien „gemeinsamer Hauptakzent“ und „Nichtunterbrechbarkeit“). Wie diese dann zu schreiben sind, läßt sich in der Tat nicht formal regeln; ich habe auch keine derartigen Regeln genannt.
 
 

Kommentar von Red/ub, verfaßt am 15.07.2007 um 20.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9542

Beitrag verfaßt von Philip Köster am 15.07.2007 um 19:39 Uhr:


Naja, sollte ich hier nun zu sehr abschweifen, wird die Red. (die mich immer ans Mad-Magazin erinnert) sicherlich einen Weg finden, mich hier zu beseitigen ... -- Stimmt. Red.

 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 15.07.2007 um 18.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9539

"frei geben"

Entgegen den zitierten Methoden, festzustellen, ob man "freigeben" oder "frei geben" (bzw. frei gegeben) schreibt, bin ich der Meinung, daß es lediglich darauf ankommt , ob der Schreiber "freigeben" als eine einzelne Bedeutung empfindet oder als zwei aufeinanderfolgende: frei geben. Der eine schreibt zusammen, der andere getrennt.

Ich finde es unsinnig, zu versuchen, solche Fälle anders als über die empfundene Bedeutung formal regeln zu wollen. Es mißlingt, wie man mittlerweile weiß.

So einfach ist das - und völlig metapherfrei.

Das 2006er Regelwerk und seine Vorgänger meint Hr. Jochems vermutlich, wenn er von 'selbst für die Schreibelite unbeherrschbarer Rechtschreibung' spricht, und da stimme ich voll zu.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 15.07.2007 um 17.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9538

Professor Jochems erweist sich wieder einmal als brillanter Stichwortgeber:

"Skepsis gegenüber der Sprachwissenschaft ist natürlich angebracht. Sie unterliegt wie alles andere in der Moderne modischen Veränderungen. Es gibt aber kanonisierte Bestände, die den Kern ausmachen. Das sollte man nicht kleinreden, schon gar nicht vom Standpunkt der noch im 19. Jahrhundert führenden Wissenschaft ..."

Nun, einem dem 19. Jahrhundert verhafteten Wissenschaftsverständnis, dessen Grundlegung man exemplarisch bei Hegel findet, entspricht zum Beispiel die Indifferenz von experimenteller und phänomenologischer Erkenntniserwartungshaltung, wie sie dem Reformexperiment zugrundeliegt und wie es sich (dies jetzt nur, um das Gemeinte vielleicht etwas deutlicher werden zu lassen) in anderer Form in unmittelbarem Anschluß an Hegel auch in dem wenn schon nicht eindeutig Marxschen, so doch marxistischen, inzwischen gescheiterten Unternehmen findet, Geschichte bzw. Soziologie experimentell zu betreiben.

Dieser Indifferenz korrespondiert die Unfähigkeit, zwischen gesetzter Norm und vorfindlicher Regularität zu unterscheiden. Ich verweise hier einfach noch einmal auf den unten (#9524) bereits angeführten Aufsatz von Christian Stetter, obwohl ich selbstverständlich weiß, daß es schlechter Diskussionsstil ist, sich hinter Autoritäten zu verstecken, statt deren Thesen in eigenen Worten apperzipierbar zu machen. Da aber jeder hier direkten Zugriff auf den betreffenden Aufsatz hat, scheint mir dieses Vorgehen als die platz- und (zumindest für mich) zeitökonomischere Lösung ausnahmsweise gerechtfertigt zu sein. Man lese den Aufsatz einfach als eine etwas längere Fußnote zu dem unter #9524 Ausgeführten.

Ach ja, ein kleines eventuelles Mißverständnis ist vielleicht noch auszuräumen: Ich habe unten keineswegs eine metaphysische (oder gar theologische) Fundierung der Sprachwissenschaft gefordert. Ich habe lediglich behauptet, daß, wer eine Vokabel wie "wesensmäßig" einführt, metaphysisch argumentiert. An dieser Elle muß er sich dann messen lassen, ob es ihm nun paßt oder nicht.

Professor Jochems möge mir deshalb nachsehen, daß ich mir die Malice nicht verkneifen kann, ihn abschließend noch einmal zu zitieren:
"Wenn man einen Text gründlich und geduldig liest und vor allem die fortlaufende Entwicklung des Haupttextgedankens mitvollzieht, versteht man den Text."

 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 15.07.2007 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9536

Für imgrunde gibt es im DWDS-Kerncorpus 19 Belege, alle aus dem Buch „Der Geist als Widersacher der Seele“ von Ludwig Klages (1932). Grundsätzlich habe ich nichts gegen diese Schreibung, aber sie ist in seriösen Texten noch unüblich.

Ich habe noch ein anderes Beispiel für eine Wortgruppe, die nur eine einzige Akzentstelle hat: für héute. Hier kommt Zusammenschreibung ja wohl nicht in Frage.
 
 

Kommentar von Ph. K., verfaßt am 15.07.2007 um 16.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9535

Nein, nein, das war wirklich eine witzige Geschichte. Ich habe den Dalai Lama selbstverständlich nicht getroffen; ich hatte eigentlich gehofft, mich unmißverständlich auszudrücken. Ich bin einfach ganz blöd nach McLeod Ganj gefahren oder wie das heißt (ist nun auch schon wieder zehn Jahre her) und wollte ihm, wenn es denn möglich gewesen wäre, die Hand schütteln. Wie es der Zufall wollte, war er nicht da, aber ich hatte trotzdem ein paar schöne Erlebnisse in direkter Nähe seines Wohnortes, die viellicht einmal eine Kurzgeschichte wert wären.
 
 

Kommentar von Ph. K., verfaßt am 15.07.2007 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9534

An Herrn Konietzko: Imgrunde ist für mich tatsächlich ein heißer Kandidat für Zusammenschreibung, wie auch desweiteren und zuguterletzt. Ich habe bislang nur deshalb noch nicht so geschrieben, weil ich mich nicht an die Spitze einer wie auch immer gearteten Bewegung setzen wollte. Nun, da díe Wörterbücher gleich im Dutzend taumeln, da klar wird, daß auch die obersten Hüter unserer Rechtschreibung nur mit Wasser kochen, erscheint immerhin die eine oder andere Freiheit möglich. Endlich.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 15.07.2007 um 16.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9533

Konnten Sie, Herr Köster, in Indien tatsächlich das religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter, den 14. Dalai i-Lama, besuchen oder verwechseln Sie möglicherweise „an mir vorbeigerauscht, vielleicht war er auf dem Weg zu …“ mit einer Audienz, die Ihnen gewährt oder nicht gewährt wurde?
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 15.07.2007 um 16.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9531

Die Getrenntschreibung "frei gegeben" verletzt die elementarste Regel jeder deutschen Rechtschreibung, daß zusammengesetzte Wörter zusammengeschrieben werden. Daß ein einheitliches Wort vorliegt, zeigt der Akzent an.

Der Akzent allein genügt nicht, um Zusammensetzungen von Wortgruppen zu unterscheiden. Wenn ausschließlich der Akzent den Ausschlag gäbe, dann müßte man auch im Grúnde zusammenschreiben. Herr Ickler hat mehmals erläutert (z. B. in seinem „Kritischen Kommentar“), warum sogenannte „trennbare Verben“ in Wahrheit Wortgruppen sind: Man kann Verbzusatz und Verb vertauschen und sogar weitere Wörter dazwischenschieben; vgl. aufgehen, freigeben, aber die Sonne geht frühmorgens auf, er gibt es frei. Im Regelteil des Icklerschen Wörterbuches ist dargestellt, daß einige Verbzusatzkonstruktionen stets zusammengeschrieben werden (§ 9), bei den meisten aber Getrennt- wie Zusammenschreibung möglich ist (§ 10). Auch im Fall frei+geben hat Herr Ickler mit Recht keine Festlegung getroffen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 15.07.2007 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9530

Lieber Herr Jochems,

ich lese Ihre Beiträge immer recht gerne, wie mir auch Ihr Umgang mit unserer Sprache gefällt. Ich ertappte mich beim Lesen Ihrer Zeilen dabei, ständig mit dem Hals genickt zu haben, aber Ihr letzter Satz hat denn doch alles wieder umgestoßen. Ich darf Sie zitieren: »Diese genügte jedoch als Anstoß, um das Kartenhaus (noch eine Metapher) zusammenkrachen zu lassen.« Zunächst: Sie brauchen sich nicht für den Gebrauch von Metaphern zu entschuldigen: wo kämen wir da hin. Zusammengekracht ist allenfalls die krude Logik der Reformer, die nicht imstande waren und niemals imstande sein werden, uns eine gute, eine bessere Rechtschreibung zu präsentieren. Da scheint mir, daß wir, aller berechtigten Dudenkritik zum Trotz, mit der Dudenorthographie nicht so schlecht gepaddelt haben können.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 15.07.2007 um 15.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9529

Das paradoxe amerikanische Zitat sollte eigentlich die hier übliche Praxis kritisieren, immer sofort etwas unausgesprochenes Hintergründiges hinter wörtlichen Aussagen zu vermuten. Zuerst geht es doch darum, was der Schreiber in seinem Text behauptet, dann erst geht es um die Implikationen ("Was meint der damit?"), und schließlich um die eigene Reaktion (Zustimmung, Ablehnung, Präzisierung ...). Da wir es mit einem Gegenstand zu tun haben, mit dem sich ein etablierter Wissenschaftszweig speziell beschäftigt, erleichtert dessen Terminologie und Methodik die Verständigung. Natürlich hat auch die Metaphysik etwas über die Sprache zu sagen (man erinnere sich an die bekannte Metapher Heideggers), und auch die Theologie käme hier in Frage, aber die Beschränkung auf die Sprachwissenschaft hat demgegenüber doch viel für sich. Nun spielen Sprachwissenschaftler ebenfalls manchmal mit Metaphern, die man aber leicht in die eigentliche linguistische Begrifflichkeit zurückübersetzen kann. Ärzte und Schneider sind freilich schlechter unterzubringen, aber die schleichen sich ja auch nur der Polemik willen ein.

Wenn Charles Carpenter Fries für seine amerikanische Grammatik von Telefonaten aussgeht, gibt diese Tatsache allein schon zu erkennen, wie er das Wesen der Sprache versteht. Dem widerspricht nicht sein Vorgehen, die gesprochenen und gehörten Texte zu transkribieren und an diesen geschriebenen Texten seine Untersuchungen vorzunehmen. Die Umsetzung in die Schriftform konserviert eben das flüchtige Wort, was wir besonders an den ersten Texten der Schreibgeschichte schätzen. Die Götterepen von Ugarit (gegen 1300 v. Chr.) kann man nicht einmal laut lesen, weil nämlich die Vokaldarstellung fehlt, aber wir können sicher sein, daß die Zeitgenossen ihrer Entstehung das konnten. Nach Ausweis der wenigen erhaltenen Papyri aus der Anfangszeit des Christentums benutzten Paulus und die Evangelisten die scriptura continua - Wörter in griechischen Großbuchstaben ohne Wortzwischenräume -, die gewiß bei der Verlesung in der Gemeindeversammlung einige Probleme aufwarf. Die Praxis des "stillen Lesens" hat dem geschriebenen Text inzwischen eine gewisse Eigenmächtigkeit verliehen, wie hier mit Verweis auf die oft seitenfüllenden Sätze Thomas Manns schon angedeutet wurde. Skepsis gegenüber der Sprachwissenschaft ist natürlich angebracht. Sie unterliegt wie alles andere in der Moderne modischen Veränderungen. Es gibt aber kanonisierte Bestände, die den Kern ausmachen. Das sollte man nicht kleinreden, schon gar nicht vom Standpunkt der noch im 19. Jahrhundert führenden Wissenschaft, die inzwischen auf die Ebene einer hochintellektuellen Talkshow abgesunken ist.

Doch zurück zu den Fakten. Gerade lese ich in SPIEGEL ONLINE:

Für Hinweise, die zur Festnahme oder zum Tod des Terrorchefs führen, hat der US-Senat 50 Millionen Dollar frei gegeben.

Die Getrenntschreibung "frei gegeben" verletzt die elementarste Regel jeder deutschen Rechtschreibung, daß zusammengesetzte Wörter zusammengeschrieben werden. Daß ein einheitliches Wort vorliegt, zeigt der Akzent an. Die Umsetzung "suprasegmentaler Phoneme" in die Schreibung gehört eigentlich noch zum "flachen" Teil der Rechtschreibung. Zwar ermöglicht in diesem Falle der Kontext alleine schon die richtige Lesung, ein Lesehemmnis liegt also nicht vor, trotzdem sollte so etwas ausgeschlossen sein. Um so mehr ist an der alten Dudenschreibung "(den Weg) frei machen" Kritik zu üben, denn hier wird der Schreiber zu kontraintuitivem Verhalten angehalten, das für das jeweilige Textverständnis nichts bringt. Als ob intelligente Menschen "(einen Brief) freimachen" nur dann richtig verstünden, wenn das gewöhnliche "Freimachen" abweichend geschrieben wird. Worin also die Leserfreundlichkeit der eigenwillig überformten klassischen deutschen Rechtschreibung bestehen soll, ist nicht einzusehen. In feststehenden Redensarten ("im trüben fischen") sind Substantivierungen klein zu schreiben, Substantive natürlich nicht. Der gesprochene Text kennt so etwas nicht. Ein Teil der klassischen Differenzierungsregeln sind schlicht und einfach Reparaturmaßnahmen. Substantive und Substantivierungen schreibt man nach der Grundregel groß. Wenn dergleichen Großgeschriebenes aber in einem geschriebenen Satz im Übermaß vorkommt, geht die Übersichtlichkeit verloren. Folglich muß es die Möglichkeit geben, die Großschreibung in einigen Fällen zurückzunehmen. Was aber auch als kontraintuitives Schreiben gesehen werden kann. Warum haben die anderen europäischen Sprachen dieses Problem nicht? Dreimal darf man raten, wie auch die Frage zum Nachdenken anregen sollte, ob deren Rechtschreibungen ausgesprochen leserunfreundlich sind. Die gegenwärtige orthographische Krise ist also nicht das Ergebnis einer Bauerntölpelei. Diese genügte jedoch als Anstoß, um das Kartenhaus (noch eine Metapher) zusammenkrachen zu lassen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.07.2007 um 13.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9527

Wenn man die Entwicklung der Sprachverschriftung betrachtet, so war Schrift immer als Wichtigstes eine Codierung, um Inhalte wie z.B. Selbstpreisungen des Herrschers oder Verwaltung von Vorratslagern an die Leser zu übertragen, aber nicht, um die Lautung der gesprochenen Sprache festzuhalten.
 
 

Kommentar von Ph. K., verfaßt am 15.07.2007 um 12.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9526

Zufall oder nicht? Herr Ickler, ich beherrsche kein Sanskrit, habe aber wohl den Dalai Lama besucht (er ist in einer Jeep-Kolonne an mir vorbeigerauscht, vielleicht war er auf dem Weg zu einem wichtigen Treffen der United Nations) und habe Indien genau fünfmal besucht. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es muß irgendwas an der landesüblichen Mentalität sein, die mich einfach freier durchatmen läßt. Es ist so etwas wie: Du hast eine Idee? Dann immer raus damit. Eine Denkensart, die im Land der Dichter und Denker verschütt gegangen zu sein scheint. Man verlegt sich hierzulande lieber aufs Lamentieren denn aufs Tun.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 15.07.2007 um 11.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9525

Zum Thema Anrede: Für mich sind dabei – natürlich in gewissen Grenzen – die Wünsche des Anzuredenden maßgebend. Die kennt man aber nicht in allen Fällen. Königin Beatrix spricht man mit „Majesteit“ an, das ist bekannt. Ihrer Mutter Juliana war diese Anrede peinlich. Sie wollte schlicht mit „Mevrouw“ angeredet werden. Niemandem bricht ein Zacken aus der Krone (haha!), wenn er dem Wunsch der amtierenden Monarchin entspricht, auch wenn er selbst zufällig Republikaner sein sollte.

Die Verwendung des Professorentitels in der Anrede hat für mich übrigens nichts Unterwürfiges, schon gar nicht, wenn sich das Gespräch um die wissenschaftliche Arbeit des Adressaten dreht. Um so besser, wenn Herr Ickler nur als „Herr Ickler“ angesprochen werden will. Im persönlichen Gespräch ist eine solche Frage in Sekundenschnelle geklärt.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 15.07.2007 um 09.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9524

"Wenn man einen Text gründlich und geduldig liest und vor allem die fortlaufende Entwicklung des Haupttextgedankens mitvollzieht, versteht man den Text", schreibt Professor Jochems (#9516) und meint natürlich "... pflichtet man dem Text bei". Mein Verständnisproblem mit seinen Beiträgen beruht aber darauf, daß ich ihnen um so weniger zustimmen kann, je besser ich sie zu verstehen glaube. Hier hat er dankenswerterweise einmal prägnant einige seiner Prämissen offengelegt. Es sind zugleich Prämissen der Reform.

Die wichtigste ist wohl die Annahme, Rechtschreibung sei nur das "Kleid" der Sprache. (Man fragt sich zunächst, warum Sprachwissenschaftler unter dieser Voraussetzung sich überhaupt für Orthographie zuständig fühlen konnten. Schließlich geht auch niemand zum Arzt, wenn er sich einen Anzug machen lassen will. Aber das nur am Rande.) Was "Kleid" sei, wird näher bestimmt als nicht "wesensmäßig" zugehörig. Eine solche Bestimmung kann nur einer treffen, der weiß, was das "Wesen" der Sprache ausmacht. Die Frage nach dem Wesen der Sprache (und nach Wesenheiten überhaupt) ist zwar metaphysisch, aber damit noch keineswegs lächerlich. Es kommt auf die Qualität der Antwort an. Zugleich muß, jenseits (oder diesseits) der Metaphysik, die Antwort sich in der wissenschaftlichen Praxis bewähren.

Die Sprachwissenschaft (genauer: diejenige, auf die sich Professor Jochems beruft) gelangt über einen Fehlschluß zu einer tautologischen Antwort. Diese lautet in etwa: "Das Wesen der Sprache liegt darin, gesprochen zu werden." Aus dem zeitlichen Prius (individuell wie kulturell) des Erwerbs mündlicher Sprache wird deren ontologisches Prius gefolgert. Wer dann noch nachfragt, welche Eigenschaften der gesprochenen Sprache denn den Übergang zur Schriftform ermöglichen, muß sich mit dem Rückverweis auf den Vorrang der Oralität zufriedengeben. Post hoc, ergo propter hoc: So etwas nennt man, jedenfalls außerhalb der Sprachwissenschaft, einen Zirkelschluß.

Wenn ein Laie glaubt, beim Aufschreiben von Buchstaben graphisch Laute nachzuformen, ist das verzeihlich. Von Wissenschaft darf man hingegen erwarten, daß sie die primären Evidenzen der Alltagserfahrung nicht unbesehen zu ihrem Ausgangspunkt nimmt. (Daß es auch anders geht, zeigt z.B. Christian Stetter in einem bemerkenswerten Aufsatz über "Sprache und Schrift". Der Link ist - wenn denn schon die Frage nach den Orten für wissenschaftlich gediegene Beiträge in diesem Forum im Raum steht - im Nachrichtenarchiv unter dem Titel "Im Labyrinth der Alphabetschrift", 17. 5. 2006, zu finden.)

Dabei ist der Nachweis der Unschlüssigkeit oder gar der metaphysischen Naivität des Satzes "Die Rechtschreibung ist (nur) das (äußere) Kleid der Sprache" nicht einmal erforderlich, um seine Unhaltbarkeit zu zeigen. Die Reform selbst ist das Experiment, in dem diese Annahme gescheitert ist. Zum Beweis der experimentellen Falsifikation genügt ein einziges Beispiel, in dem eine orthographische Änderung zu einer Änderung des Satzbaus oder zu einer anderen Wortwahl zwingt, wenn man dieselbe Aussage erhalten will. Solche Beispiele lassen sich jedoch in beliebiger Zahl beibringen und sind in großer Zahl bereits beigebracht worden.

Wissenschaft? - Die wohl erschütterndste und ernüchterndste Erfahrung für den Fachfremden ist die Beharrlichkeit, mit der nicht nur die Reformer vor dieser Konsequenz ihres Experiments die Augen verschließen, sondern auch andere Sprachwissenschaftler, denen die Reform durchaus unsympathisch war oder ist. Wer heute noch sprachwissenschaftliche Fragen unter der Prämisse erörtert, Rechtschreibung sei das "Kleid der Sprache" bzw. bloße "Graphie", spielt absurdes Theater.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 15.07.2007 um 08.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9523

Werte Diskutanten,
Mir ging es nicht darum, die Leistungen, die hinter dem Ickler stehen, in irgend einer Weise einzuschränken. Sollte dieser Eindruck entstanden sein, entschuldige ich mich dafür. Auch ist es klar, daß bei so umfangreichen Werken bei rein statistisch deskriptiver Methode Lücken bleiben, die gefüllt werden müssen, methodische Konsistenzaspekte zu berücksichtigen sind und Verzerrungen durch die vielzitierten Duden-Spitzfindigkeiten eine Rolle spielen.

Mir ging es um das Prinzip und um die Aussage, daß der Ickler - natürlich mit Fachverstand - das zu dokumentieren versucht, was als üblich im (gehobenen) Schriftgebrauch tatsächlich in Verwendung ist (war), und das entsteht eben durch Auswertung des Vorgefundenen und nicht durch wissenschaftliche Fachberatungen im stillen Kämmerlein.

Wer also die Vorschläge annimmt, produziert Texte, die sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in das zugrundegelegte Übliche einreihen. Es steht aber jedem frei, sich anders zu entscheiden.

Im Regen stehend (egal mit welchem Wörterbuch) werden sich möglicherweise solche vorkommen, die sich ohne enges Regelkorsett nicht wohl fühlen, also auch dort eine zwingende Vorschrift wünschen, wo es eigentlich Ermessenssache ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2007 um 06.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9522

Über akademische Titel habe ich mich schon immer lustig gemacht und sogar schon mal in einem Leserbrief ihr Verbot gefordert. Das hat mir neben anderen empörten Zuschriften auch die Kritik eines Professors eingetragen, der darauf hinwies, wie schwer er sich seine Titel erarbeitet hatte. Wie gesagt, sehr lustig. Anlaß war der Artikel eines Hochschulverbandsmitgliedes gewesen, worin ganz ungeniert die Vorteile beschrieben wurden, die ein akademischer Titel im bürgerlichen Leben immer noch mit sich bringe. Kurz gesagt: Man wird einfach besser bedient, wenn man einen Titel hat. Das ist mir natürlich äußerst peinlich. In Indien ist es mir manchmal passiert, daß ich aus einer Warteschlange heraus zur Vorzugsbehandlung gerufen wurde und damit unfreiwillig in die Kolonialherrenposition gebracht wurde, die ich eigentlich verabscheue.
Einem netten, inzwischen verstorbenen Nachbarn wollte ich immer wieder mal ausreden, mich "Herr Professor" zu nennen, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Psychologisch könnte man von einer Art "passivem Imponierverhalten" sprechen. Auch sonst ist das ja zu beobachten: Man baut sich Popanze auf, um dann vor ihnen das Knie zu beugen und sich geehrt zu fühlen. Da mein eigenes Verehrungsbedürfnis nur minimal entwickelt ist, befremdet mich solches Verhalten aufs äußerste.
 
 

Kommentar von Ph. K., verfaßt am 15.07.2007 um 00.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9521

Nachklapp. »Professor« klingt für mich zu unterwürfig, »Herr« hingegen unnötig vertraulich. Nicht immer sieht meine Muttersprache die Nuancen vor, díe ich so im Sinne habe. Für mich wird Herr Prof. Dr. Theodor Ickler immer »Herr Ickler« bleiben, und ich hoffe, er wird mir diese Schludrigkeit nachsehen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 15.07.2007 um 00.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9520

Eine Frage zur Nomenklatura. Ist es obligat, »Prof. Ickler« in Anerkennung seines akademischen Grads zu schreiben, oder erscheint die Schreibweise »Herr Ickler«, die ich bevorzuge, unfreiwllig respektlos?
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 15.07.2007 um 00.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9519

Ich gelange mehr und mehr zu der Ansicht, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen Herrn Jochems und mir zum großen Teil darauf beruhen, daß wir unter dem „Überbau“, den „bedeutungsdifferenzierenden Schreibungen“ usw. Unterschiedliches verstehen. Er weist zu Recht darauf hin, daß eine Rechtschreibung, die nicht einmal von einer Schreibelite beherrscht werde, ein Skandal sei. Das kann niemand bestreiten. Aber solche unbeherrschbaren Einzelfallregelungen (wie im alten Duden) habe ich ja nicht verteidigt. Ich meinte ein Maß an „Feinheiten“, über das gebildete Menschen weitgehend verfügen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 15.07.2007 um 00.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9518

stefan strasser: Ich verstehe den Ickler so, daß als repräsentativ betrachtete Textsammlungen auf vorkommende Schreibungen analysiert wurden. Wenn also in den Referenztexten sowohl "in bezug auf" als auch "in Bezug auf" in ausreichender Häufigkeit vorkamen, dann wurde beides ins Wörtrebuch [sic!] aufgenommen. Die Darstellung, wie sie im Ickler getroffen wird, ist also nicht ein Resultat der eigenen Anschauung Prof. Icklers, sondern schlicht das Ergebnis statistischer Auswertungen.

Genau dieses Mißverständnis meinte ich, als ich von einem für manche wahrscheinlich ernüchternden Blick auf die Zauberformel „Deskription“ sprach. Wenn Herr Strasser recht hätte, wäre Professor Ickler lediglich ein fleißiger Sammler und Rechner, dessen Werk die ratsuchenden Leser ziemlich oft im Regen stehen ließe. Ergänzend zu Herrn Konietzko schlage ich vor, einfach noch einmal im Original nachzuschauen. Im Vorwort zur „Normalen deutschen Rechtschreibung“ (4. Aufl. 2004, S. 11) heißt es:

„Auf der anderen Seite ist der Lexikograph nicht verpflichtet, jede vorgefundene Schreibweise aufzunehmen, und zwar auch dann nicht, wenn sie des öfteren angetroffen wurde. Ein orthographisches Wörterbuch ist keine wissenschaftliche Dokumentation, sondern ein Vorschlag zum sprachgerechten und vor allem leserfreundlichen Schreiben. Es ist jedem unbenommen, andere Vorschläge zu machen.“
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.07.2007 um 23.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9517

Es gibt auch noch andere Spielräume. Prof. Ickler schrieb am 30.01.2001 auf „www.rechtschreibung.com“:

Wenn die absoluten Zahlen sehr klein sind, also etwa 3 Belege für Zusammenschreibung und kein einziger für Getrenntschreibung, würde ich u. U. dennoch die Getrenntschreibung „freigeben“, wenn nämlich der systematische Aspekt dafürspricht und der Vereinfachungsgewinn deutlich überwiegt.

Am 30.09.2002 schrieb er:

Ein Mitstreiter macht mich darauf aufmerksam, daß ich ziemlich rigide nur a-Moll usw. gelten lasse, nicht a-moll. Meiner Meinung nach gehört so etwas in den Bereich der fachlichen Normierung, aber ich würde es gern einmal zur Diskussion stellen. Natürlich weiß ich, daß die "falsche" Schreibweise ungemein häufig vorkommt. Aber das [i]will der Benutzer in diesem Fall wohl nicht wissen. Der deskriptive Vorsatz sollte hier wohl hinter der praktischen Notwendigkeit zurückstehen.

06.08.2002:

Mein Wörterbuch ist nicht rein deskriptiv, es wählt aus, wie jedes.

11.03.2002:

Noch einmal zu Kürschners Mißverständnis: Die deskriptive Ansatz hat nicht zur Folge, daß die Einträge gewissermaßen automatisch aus einer irgendwie statistisch gewonnenen Datenbasis hervorgehen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 14.07.2007 um 23.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9516

Einer der Grundsätze des amerikanischen New Criticism lautete: "The poem says what it says." Wenn man einen Text gründlich und geduldig liest und vor allem die fortlaufende Entwicklung des Haupttextgedankens mitvollzieht, versteht man den Text. An irgendeiner Stelle eines unverstandenen Textes einzuhaken und einen Popanz daraus zu machen, bringt nichts. Die Redaktion könnte doch einen Beitrag wie meinen letzten (und viele andere) unter einer Rubrik führen, die etwa lautete "Nur für Leser mit sprachwissenschaftlichen Grundkenntnissen", um so anderen die Versuchung zu verfehlten Reaktionen zu ersparen.

Fangen wir noch einmal ganz anders an: Professor Munske sagte einmal, die Bezeichnung "Kleid der Sprache" für die Rechtschreibung sei unzutreffend, es müsse "Haut der Sprache" heißen. Munskes Metapher impliziert jedoch, daß die Schreibung bzw. die Rechtschreibung wesensmäßig zur Sprache gehört. Davon kann aber doch keine Rede sein. Sie tritt relativ spät hinzu, spielt dann aber in mancherlei Hinsicht eine große Rolle. Wird das nicht durch die andere Metapher besser zum Ausdruck gebracht?

Herr Markner verweist in diesem Zusammenhang auf das Karlsruher Rechtschreiburteil von 1998, wo es heißt: "Die Sprache unterscheidet sich von anderen Regelungsgegenständen auch nicht dadurch, daß bei ihr korrekturbedürftige Fehlentwicklungen - etwa im Sinn erschwerter Lehr- und Lernbarkeit - von vornherein ausgeschlossen wären. Der Staat kann die Sprache deswegen aber nicht beliebig regeln. Begrenzende Wirkungen ergeben sich aus der Eigenart der Sprache jedoch nur für Art und Ausmaß einer Regelung, nicht dagegen für eine Regelung überhaupt."

Eine Rechtschreibung, die auch für die Schreibelite unbeherrschbar ist, sollte man einen Skandal nennen. Was besagt denn hier schon der Hinweis, auf die Erleichterungen für den Leser käme es an. Erstens muß der Leser in der Lage sein, die feingesponnenen Sinnpräzisierungen überhaupt zu verstehen, zweitens aber muß es Schreiber geben, die sie in ihren Texten unterbringen können. Wie dem auch sei, der jetzige Zustand der zwei koexistierenden Versionen ein und derselben deutschen Rechtschreibung hat alle Aussicht, die nächsten zwei Jahrzehnte zu überstehen. Falls es dann wieder eine relativ einheitliche geben sollte, wird es gewiß eine sein, die endlich auf die Möglichkeiten der Schreiber Rücksicht nimmt.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.07.2007 um 23.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9515

An Herrn Strasser: Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem Prinzip der Deskription und meinem Vorschlag, das Icklersche Wörterbuch in Einzelheiten etwas weniger „liberal“ zu gestalten. Auch der deskriptive Lexikograph hat einen Spielraum, insofern er die Mindesthäufigkeit, die eine Schreibung haben muß, um aufgenommen zu werden, grundsätzlich frei wählen kann. Das meinte ich mit „Liberalität“.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 14.07.2007 um 21.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9514

Als interessierter Mitleser fällt mir auf, daß ziemlich viele Diskutanten den Hintergrund des Ickler-Wörterbuches offenbar falsch verstehen.

Es fallen immer wieder Bemerkungen, wie "das erlaubt sogar der Ickler", oder "einzelnes (im Ickler) sollte weniger liberal sein", oder "Ickler beschreibt, wie es sein soll", usw.

Ich verstehe den Ickler so, daß als repräsentativ betrachtete Textsammlungen auf vorkommende Schreibungen analysiert wurden. Wenn also in den Referenztexten sowohl "in bezug auf" als auch "in Bezug auf" in ausreichender Häufigkeit vorkamen, dann wurde beides ins Wörtrebuch aufgenommen. Die Darstellung, wie sie im Ickler getroffen wird, ist also nicht ein Resultat der eigenen Anschauung Prof. Icklers, sondern schlicht das Ergebnis statistischer Auswertungen.

Abweichungen von dieser Vorgangsweise im Sinne einer Beeinflussung der Auswertungen durch die eigene Privatmeinung wären aus deskriptiver Sicht Fälschungen und hätten aus dem beschreibenden einen vorschreibenden Ansatz gemacht.

In der Folge wird der Stellenwert der Einträge dann auch gleich fehleingeschätzt. Wenn etwas im Ickler nicht verzeichnet ist, heißt das nicht, daß die Autorität Prof. Ickler es verbietet (wie könnte er?), sondern nur, daß es in dem Referenzkorpus nicht ausreichend oft vorkam, um als üblich gelten zu können (brilliant).

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.07.2007 um 21.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9513

Die deutsche Sprache lebt, auch indem sie umständliche Ausdrücke verkürzt. Das neue Wort "warnstreiken" (als Rückbildung aus Warnstreik) kürzt einen mehrwortigen Ausdruck ab. An seine finiten Formen wird man sich auch gewöhnen. Welche andere Sprache ist so kreativ? Gibt es im Englischen schon "to warnstrike"?
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.07.2007 um 20.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9512

Dieser "Überbau" (wie ich sage), hat aus unserer ursprünglich "flachen" (Prof. Ickler) Rechtschreibung eine mehrdimensionale gemacht - und erschwert heute die schriftliche Kommunikation.

Er erschwert sie für den Schreiber, erleichtert sie aber für den Leser. Ein Verzicht auf den „Überbau“ würde die Kommunikation für einen Teil der Schreiber erleichtern, aber für alle Leser erschweren (denn man kann beim Lesen von Differenzierungsschreibungen profitieren, die man selbst nicht aktiv beherrscht). Da Texte nur einmal geschrieben, aber fast immer mehrmals gelesen werden, müssen naturgemäß die Interessen der Leser im Vordergrund stehen.

Die Funktionalität der Schreibung betrifft das dagegen nicht.

Der Wegfall des „Überbaus“ würde die schriftliche Kommunikation zwar nicht vereiteln, aber beeinträchtigen. Wenn Kommata fehlen oder an den falschen Stellen stehen, muß man manche Sätze mehrmals lesen. Man wird natürlich am Ende fast immer verstehen, was gemeint ist; die Kommunikation ist dann nicht verhindert, aber behindert. Auch Genuschel kann man verstehen, auch mit Fertiggerichten kann man satt werden – aber wollen wir wirklich auf Nachrichtensprecher mit sauberer Artikulation und auf gutes Essen verzichten?

Das Problem ist nicht die Komplexität der Rechtschreibung, sondern die Einstellung zu ihr. Nur von professionellen Schreibern sollte man sehr gute Beherrschung des „Überbaus“ verlangen, so wie man auch in anderen Bereichen Bestleistungen nur vom Fachmann verlangt.

Außerdem ist fraglich, ob sich der „Überbau“ überhaupt beseitigen läßt. Menschen mit gutem Sprachgefühl werden darauf kommen, daß man zwischen aneinanderhängen und aneinander hängen unterscheiden kann, auch wenn das in der Schule nicht mehr vermittelt wird und die Getrennt- und Zusammenschreibung offiziell freigegeben ist.

Hoffentlich verstehen Sie, Herr Prof. Jochems, und ich unter „Überbau“ dasselbe. Daß ich nicht Duden-Späßchen wie wach rütteln ‚durch Rütteln wecken‘, aber wachrütteln ‚durch Schockieren auf etwas aufmerksam machen‘ verteidige, dürfte inzwischen klargeworden sein.

Die Mittel der Bedeutungspräzisierung sind dagegen jüngeren Datums und keineswegs das kollektive Werk des Schreibvolks.

Ich trete für diejenigen „Feinheiten“ ein, die nicht von der Dudenredaktion, sondern von den Schreibpraktikern stammen – zwar nicht vom „Schreibvolk“, aber von den professionell Schreibenden. Meiner Einschätzung nach hat Prof. Ickler in seinem Rechtschreibwörterbuch das rechte Maß getroffen (wobei einzelnes auch etwas weniger liberal sein könnte).
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 14.07.2007 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9511

Wer die beruhigende Prognose, daß die „[s]chriftliche Kommunikation" auch nach der Reform „weiterhin möglich" bleibe, im Originalwortlaut lesen möchte, findet sie hier.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 14.07.2007 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9510

Unsere Beschäftigung mit der Rechtschreibung hat verständlicherweise unsere "Optik" beeinträchtigt. Die Sprache "lebt" jedoch vorwiegend als gesprochenes und gehörtes Medium, erst sekundär geschrieben und gelesen. Im Zeitalter des Fernsehens gilt stärker noch als im vorangegangenen Zeitalter des Rundfunks, daß wir oft mehrere Stunden täglich zusätzlich zu der ohnehin den Tag füllenden mündlichen Kommuniktion gehörter Sprache ausgesetzt sind, und zwar ebenfalls in wirklichen Situationen, die uns das eindeutige Verständnis ermöglichen. Es ist deshalb kein Wunder, daß viele Menschen, die sich mündlich gewandt ausdrücken können, mit dem Schreiben von Texten und erst recht mit der Rechtschreibung ihre Schwierigkeiten haben. Das ist der Preis, den wir dafür bezahlen, daß in den Zeiten vor der modernen Medienexplosion unsere Rechtschreibung über die phonographische Wiedergabe des Gesprochenen und Gehörten hinaus komplizierte Formen der Bedeutungspräzisierung entwickelt hat, die die Mängel der situationsarmen schriftlichen Kommunikation überwinden halfen. Dieser "Überbau" (wie ich sage), hat aus unserer ursprünglich "flachen" (Prof. Ickler) Rechtschreibung eine mehrdimensionale gemacht - und erschwert heute die schriftliche Kommunikation. Der "flache" Teil unserer Rechtschreibung hat eine lange Tradition und darf zur Erhaltung der Lesbarkeit auch älterer Texte nicht angetastet werden. Die Mittel der Bedeutungspräzisierung sind dagegen jüngeren Datums und keineswegs das kollektive Werk des Schreibvolks. Abstriche, die hier gemacht werden, beeinträchtigen natürlich den ästhetischen Eindruck der "Hochorthographie ", wie sie sich besonders in der Belletristik herausgebildet hat. Die Funktionalität der Schreibung betrifft das dagegen nicht. Eine dialektische Rechtschreibtheorie müßte also den einen und den anderen ein gutes Gewissen machen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.07.2007 um 14.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9509

Ich halte eine "lebende" Sprache nicht allein deshalb für lebend, weil ihre Benutzer noch leben, sondern auch weil die Sprache selbst lebt, d.h. sich noch weiterentwickelt und nicht nur neue Fremdwörter aufnimmt. Um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, darf nicht der Istzustand der Mehrheitsschreibung als allein zulässig festgeschrieben werden, sondern "qualifizierte Minderheitsschreibungen" müssen in ihrer zeitlichen Entwicklung beobachtet werden. Falls eine dauerhafte Entwicklungsrichtung erkennbar ist, sollte diese "qualifizierte Minderheitsschreibung" mit "auch ..." zugelassen werden, damit sie überhaupt möglicherweise mehrheitsfähig werden kann.

Um die Kluft zwischen geschriebener und gesprochener Sprache nicht wachsen zu lassen, was besonders die Wenigschreiber stört, müßten eigentlich auch die Mitschriften von solchen Reden erfaßt werden, die als vorbildliches gesprochenes Deutsch gelten können.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 14.07.2007 um 08.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9508

Bevor ich mich aufs Mountainbike schwinge, noch ein kurzer Beitrag zur Frage: warum kann nicht jedermann solche Texte schreiben, wie anspruchsvollere Zeitgenossen sie lesen möchten.

Der bekleidete orthografische Status eines Einzelnen hängt hauptsächlich von dessen Einstellung dazu ab.
Vielen Menschen ist die Orthografie im wesentlichen egal, sie sind zufrieden und haben keinen Willen, ihre Geläufigkeit zu verbessern. Ihnen geht nichts ab, sie schreiben fast nichts in ihrem typischen Tagesablauf. Andere schreiben zwar - hauptsächlich Emails, ziehen aber den beistrichlosen Kleinschreibstil ohne Korrekturlesung vor (mit vielen Tippfehlern), Managementebenen sind davon in keiner Weise ausgenommen. Manche scheinen geradezu zu glauben, Emails muß man in diesem Stil schreiben. Aus eigener Berufspraxis kann ich sagen, daß von 100 empfangenen Emails aus orhografischer Sicht 0-1 brauchbar sind.
Als Basis für deskriptive Wörterbuchmacher ist dieser Bereich also klar unbrauchbar.

Alle aber, die einen Ehrgeiz haben oder bei denen er geweckt wird (auch nach einer durchlebten Phase der orthografischen Gleichgültigkeit), können autodidaktisch sehr rasch einen Level erreichen, der dem der hier teilnehmenden Diskutanten entspricht. Orthografie ist also weit davon entfernt, eine elitäre Geheimwissenschaft zu sein.
Es ist banal wie im Sport, wer besser trainiert, erzielt die besseren Leistungen. Wer überhaupt nicht trainiert, bei dem verkümmert selbst das, was da ist.

 
 

Kommentar von Urs Bärlein (ub), verfaßt am 14.07.2007 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9507

Das mit den Kürzeln und Pseudonymen ist so eine Sache. Wenn ich einen reinen Servicebeitrag einstelle, also eine Information, die auch ein anderer hätte beibringen können und auf die ich nur zufällig den ersten Zugriff hatte, heiße ich "ub". Wenn ich diese Information zugleich interpretiere oder sonstwie selbst etwas beitrage, heiße ich "Urs Bärlein". In diesen Fällen heiße ich immer "Urs Bärlein", verhalte mich also konsistent und spiele nicht mit mir selbst und vor anderen Kasperletheater. Insoweit ist nicht nur zunächst "ub" dieselbe Person wie "Urs Bärlein", sondern "Urs Bärlein" ist tatsächlich "Urs Bärlein" - er heißt nicht nur so, sondern er ist es auch. Zugleich ist, schon wegen des notorischen Mangels an Helvetismen in meinen Beiträgen, zumindest den Lateinern in diesem Forum klar, daß bei der Taufe von "Urs Bärlein" irgendein Theobald Tiger oder Peter Panther Pate gestanden haben muß. Urs Bärlein ist also nur hier wirklich Urs Bärlein. Außerhalb des Forums ist er nicht nur nicht Urs Bärlein, er heißt nicht einmal so. Dort heißt er anders, und zwar in gleicher Weise konsistent, d.h. er ist auch ein anderer. Der Umstand, daß es sich trotzdem um dieselbe Person handelt, wirft natürlich wieder ein Konsistenzproblem auf. Die Lösung besteht darin, daß diejenigen sie kennen, denen sich das Problem überhaupt stellen könnte, jedenfalls soweit es sich um Leute handelt, denen eine Nuß zu knacken zu geben das Pseudonym nicht bestimmt war.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.07.2007 um 03.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9506

Ich fürchte, „Pt“ hat meinen Beitrag, den er nun schon mehrfach zustimmend zitiert hat, nicht in allen Punkten richtig verstanden. Als jemand, der sich mehr oder weniger regelmäßig an dem Gedankenaustausch auf diesen Seiten beteiligt, setze ich bei den geschätzten Mitdiskutanten gewisse Vorkenntnisse über meine Grundhaltung voraus. Vielleicht ist das eine etwas vermessene Prämisse, aber ich finde es nun mal langweilig und überflüssig, jeden Beitrag, der irgendwie als kritisch aufgefaßt werden könnte, mit einem Bekenntnis zu dieser oder jener Lehre zu eröffnen.

In meinem Beitrag habe ich mehrere, darunter viele rhetorische, Fragen gestellt. Dabei ging es mir zum einen darum, einen nüchternen – und für manche wahrscheinlich ernüchternden – Blick auf die Zauberformel „Deskription“ zu werfen. Deskription steht eben nicht für eine Eins-zu-eins-Wiedergabe sämtlicher je benutzter Schreibungen. Von einer solchen völlig ungefilterten Dokumentation hätte der ratsuchende Wörterbuchbenutzer wenig.

Was nun zum anderen den meines Erachtens noch nicht fertigen Gegenentwurf anbelangt, so meinte ich damit weder Professor Icklers Wörterbuch noch die von ihm vertretenen Anschauungen, die ich weitgehend teile. Vielmehr dachte ich an ganz profane Fragen wie die nach der Handhabung der „normalen Rechtschreibung“ im Schulunterricht, nach dem Umgang mit Varianten bei der Benotung, darum, welche Personen, Institutionen, Verlage die Sprachbeobachtung und Sprachbeschreibung eigentlich übernehmen sollen, wenn sich KMK und Rechtschreibrat morgen für unzuständig erklären und sofort eine konkrete Alternative hermuß. Welche Konsequenzen hat die schillernde orthographische Vielfalt, die wir auch in einem Großteil der sogenannten Qualitätstexte nun schon seit vielen Jahren antreffen, für den Inhalt eines „aktuellen“ Wörterbuchs, das nicht einfach nur, wie zur Zeit der Duden, ein amtliches Regelwerk umsetzen will, unabhängig vom Schreibgebrauch (der im übrigen ja den Regeln folgen soll)? Professor Ickler schreibt: „Ich habe die Textsorten zugrunde gelegt, die nach meiner Ansicht die öffentlich wirksamsten sind. Man schreibt so, wie man es liest, und man liest am meisten Zeitungen, dazu auch Sachbücher verschiedener Art. Das ist meine Arbeitsgrundlage.“ Was heißt das, übertragen auf die Situation im Sommer 2007?

Auch ich diskutiere übrigens nur ungern mit namenlosen Zeitgenossen. Ich selbst trete hier ausnahmslos mit meinem vollen Namen in Erscheinung und lasse mir alles Kluge und weniger Kluge, was ich auf diesen Seiten zum besten gebe, anrechnen. Welche Konsequenzen hätten Sie, „Pt“, zu befürchten, wenn Sie sich hier zu erkennen gäben? Oder anders gefragt: Welchen Vorteil versprechen Sie sich von Ihrer Anonymität?
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 14.07.2007 um 01.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9505

Wir sind nicht damit einverstanden, wir dulden es lediglich.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 14.07.2007 um 01.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9504

Ich finde es auch bedenklich, daß Sie mich -- und andere -- mit Vermummten, also mit Kriminellen aus dem Schwarzen Block gleichsetzen, welche auf Demos Straftaten verüben, nur weil wir versuchen, unsere leicht abweichenden Meinungen oder Bedenken vorbringen.

Das ist Unsinn. Die Meinungsäußerung lautete: Man kommt sich ja vor, als säße man mit Vermummten an einem Tisch.

Es mag in Internetforen mehr oder weniger üblich sein, sich hinter Kürzeln oder sonstigen Decknamen zu verstecken. Diejenigen, die unter einer Diskussion einen persönlichen Austausch von Mensch zu Mensch verstehen, kommen sich (auf die Dauer/unter Umständen/manchmal) dennoch vor, als säßen sie mit Vermummten an einem Tisch. Ein Deckname ist besonders unpassend, wenn forsche Beiträge mit Belehrungen oder Forderungen geschrieben werden. Zum Beispiel wird Professor Ickler von Pt belehrt: Wenn Sie ein allgemein brauchbares Wörterbuch herausgeben wollen, müssen Sie also zusätzliche Anforderungen daran stellen.

Die Redaktion ist offensichtlich damit einverstanden, daß Pseudonyme verwendet werden. (Vielleicht möchte sie sich dazu äußern.)
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 13.07.2007 um 21.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9503

„Ich finde es auch bedenklich, daß Sie mich -- und andere -- mit Vermummten, also mit Kriminellen aus dem Schwarzen Block gleichsetzen, welche auf Demos Straftaten verüben, nur weil wir versuchen, unsere leicht abweichenden Meinungen oder Bedenken vorbringen.“

Was Pt Herrn Professor Ickler unterstellt, ist schockierend und zutiefst beschämend!

Warum sollten sich teilnehmende Benutzer dieses Forums gegenüber der Geschäftsleitung nicht ausweisen müssen mit einem gültigen Identifikationsdokument, wobei ein möglicher Spitzname bekannt sein muss. Ein solches Vorgehen z.B. bei der Eröffnung eines Kontos bei einer Bank ist gesetzlich geregelt. Sollte sich die Bank nicht an die notwendigen Vorlagen halten, kann dies bis zum Entzug einer Lizenz führen.

Sicher kann Pt noch präzisieren, wer er mit – und andere – meint!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 13.07.2007 um 19.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9501

Es besteht keine Aussicht auf ein orthographisches Toleranzedikt, in welcher Form auch immer. Kein deutscher Politiker von Rang hat ein Problem damit, daß vom kommenden Schuljahr an die Schreibung jedes Mal für Schüler obligatorisch sein wird, nachdem bereits dass, rau oder 18-Jähriger obligatorisch sind.

Gelegentlich wird hier die Erwartung geäußert, daß von der Reform (bis wann?) nichts außer der ss-Schreibung übrigbleiben werde. Das ist angesichts der Lage reines Wunschdenken. Zum einen ist die Bereitschaft der Politik, vom Rat weitere Änderungsvorschläge entgegenzunehmen, denkbar gering. Zum anderen sind die Mehrheitsverhältnisse im Rat ohnehin nicht danach, daß von ihm weiterer „Rückbau" zu erwarten wäre. Im Gegenteil kann die „Sprachbeobachtung“ des Rats darauf hinauslaufen, daß weitere Übergeneralisierungen (wie schon 2004) zumindest als Varianten zugelassen werden. Der Rat hat auf seiner letzten Sitzung bereits über eine Vorlage gesprochen, die Tripp und ähnliche Schreibungen (als gegebenenfalls zu erlaubende) nannte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2007 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9497

Mit den alten Duden-Spitzfindigkeiten haben wir wohl immer solche Sachen gemeint wie die Unterscheidungsschreibung bei Redensartlichem ("neuer Begriff"), also etwa was man im Duden unter dem Stichwort "trocken" fand, außerdem die GZS bei "ernst nehmen/ernstzunehmend" und die Angaben zum attributivem und prädikativem Gebrauch. Die Kommaregeln waren auch nicht befriedigend formuliert, sondern luden zu einer Kasuistik ein, die viele mit Recht abschreckend fanden.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 13.07.2007 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9496

Theodor Ickler am 11.07.2007 um 20:31 Uhr:

Es ist mir nicht möglich, auf so unbestimmte Vorwürfe ("Herumreiten", "Ersatzbefriedigung" usw.) einzugehen. Ich sehe auch keinen Zusammenhang zwischen "deskriptiv" und "demokratisch". #

Die Nennung dieser Begriffe war nicht als Vorwurf gedacht, und das auch weniger an Ihre Adresse, als an die von Herrn Wrase oder Herrn Jochems.
Mein Beitrag vom 11.07.2007, 18:51 Uhr bezog sich auf den Beitrag von Wolfram Metz vom 10.07.2007, 14:16 Uhr, in dem dieser ausführt:

'' . . . daß ich mit der Kategorie „Demokratie“ im Zusammenhang mit der Rechtschreibung wenig anfangen kann; ich werde hellhörig, wenn jemand sie in die Debatte einführt.''

Die Kategorie ''Demokratie'' im Zusammenhang mit Rechtschreibung wurde desöfteren von Herrn Wrase eingebracht, so auch in seinem Beitrag
am 11.07.2007 um 21:25 Uhr:

''Im Vergleich dazu nimmt sich die Methode von Professor Ickler nun wirklich demokratisch aus: . . .
Kaum hat man sich am Demokratischen der Methode erfreut, müßte man sich sogleich mit dieser zweiten Debatte herumschlagen, wie es hier gerade geschieht. Vielleicht ist es tatsächlich besser, auf diese ideologischen Kategorien zu verzichten.''

Darauf und auf folgende Passage von Wolfram Metz vom 10.07.2007, 14:16 Uhr bezog sich meine Aussage des Herumreitens und der Ersatzbefriedigung:

''Wie soll der Gegenentwurf zu dem, was nun ist, konkret aussehen? Wer soll was beobachten und nach welchen empirischen Methoden und mit welchem Anspruch dokumentieren? Hätte es überhaupt Sinn, den aktuellen Schreibgebrauch akribisch in einem Wörterbuch festzuhalten, wenn sich die Orthographen, aus verschiedenen Gründen, die Frage nach den jeweiligen Motiven der Schreiber versagen? Und woher sollen die Handelnden bei alledem ihre Legitimation beziehen? . . . Noch steht er nicht, der überzeugende Gegenentwurf zu dem, was ist.''

Als Antwort auf die Frage nach dem Gegenentwurf schlug ich vor, sich unter anderm auch am Sinn und Zweck von Rechtschreibung zu orientieren (das schließt die Einbeziehung von Erkenntnissen aus der Untersuchung vorreformatorischer Texte nicht aus), nicht nur ausschließlich an einer deskriptiven Methode, an der zwar vom Prinzip her nichts auszusetzen ist, die sich, respektive die Orthographen, ''der Frage nach den jeweiligen Motiven der Schreiber versagt''. Diese Motive kann sie gar nicht feststellen, da ja letztlich nur Texte ausgewertet werden. Selbst wenn man annimmt, daß ''professionelle Schreiber'' nur ehrenhaften Motiven folgen und der Versuchung wiederstehen, Moden mitzumachen, so sind es eben ''professionelle'' Schreiber, d. h. das Schreiben ist ihr Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie sind damit wirtschaftlich von einem Verlag abhängig, der ihnen die verwendete Rechtschreibung diktieren kann oder, einfacher, den von ihnen abgelieferten Text einer automatischen Rechtschreibkonversion unterzieht. Damit wird die deskriptive Methode im Umfeld einer aufgezwungenen Rechtschreibreform gegenstandslos, da sie mehr oder weniger nur den erzwungenen Zustand beschreibt. (Ich habe den Icklerschen Ansatz früher dahingehend mißverstanden, daß ich annahm, daß er eine permanente Sprachbeobachtung durchführt.) Im Beitrag vom 12.07.2007, 05:19 Uhr, spricht Wolfgang Wrase selbst von ''nur Texte von guten Schreibern''. Das wirft natürlich die Frage auf, wann jemand als ''guter'' Schreiber zu gelten hat.

Theodor Ickler am 11.07.2007 um 20:31 Uhr:

''Ein Rechtschreibwörterbuch ist eine Dienstleistung. Ich habe die Textsorten zugrunde gelegt, die nach meiner Ansicht die öffentlich wirksamsten sind. Man schreibt so, wie man es liest, und man liest am meisten Zeitungen, dazu auch Sachbücher verschiedener Art. Das ist meine Arbeitsgrundlage. Wer anders schreiben will, kann es doch ohne weiteres tun. Man kann sich auch sein eigenes Wörterbuch machen, nur zu!''

Das sei Ihnen unbenommen, deshalb sprach ich auch von einen von vielen möglichen Bezugspunkten. (Das entspricht in etwa dem Problem, an welchen Punkt einer Kugeloberfläche man den Koordinatenursprung definiert.) In eine freien Diskussion sollten aber auch begründete abweichende Ansichten zumindest in Erwägung gezogen werden.

''Niemand hat versucht, von der Deskription zum Sinn und Zweck der Orthographie zu kommen.''

Genau das ist der Punkt, an dem sich offenbar unser Mißverständnis festmacht: Als Rechtschreibanwender erwartet man implizit, einen Sinn und Zweck in der Rechtschreibung, der Regeln, der Festlegung der Schreibung der einzelnen Wörter. Sollte es diesen Sinn und Zweck nicht geben, sondern Rechtschreibung nur von einem nicht weiter begründeten Usus abhängen, der sich im Laufe der Zeit auch ändern kann, dann könnte man die Rechtschreibung ja gleich ganz abschaffen. Gibt es diesen Sinn bzw. Zweck nicht, dann wäre ''korrektes'', d. h. regelgemäßes Schreiben nur eine Pflichtübung oder ein Demutsbeweis dem Wörterbuch bzw. dem Regelwerk bzw. dem allgemeinen Schriftgebrauch gegenüber. (Letzteres ist zwar nicht verwerflich, wenn ich aber mich nicht den Reformern beugen soll, warum soll ich das vor irgendwelchen ''anderen''?)

Wenn man Rechtschreibung lernt bzw. sich damit beschäftigt oder sie auch nur anwendet, dann wird man, so man empfänglich für so etwas ist, erkennen, daß, unabhängig von irgendwelchen Ausnahmen, einer solchen Normung gewisse Prinzipien zugrunde liegen. (Das gilt auch für den Reformschrieb!) Diese Prinzipien determinierten die weitere Entwicklung eines solchen Rechtschreibsystems. In der klassischen Rechtschreibung wären beispielsweise Unterscheidungsschreibungen ein solches Prinzip, in der Reformschreibung ist es eher die deren Aufhebung). Meine Befürchtung ist es nun, daß mit zunehmender Gleichgültigkeit oder Geringschätzung der eigenen Sprache gegenüber über das deskriptive Prinzip, sollte man es für eine längere Zeit als Grundlage für Wörterbücher heranziehen, solche den Regeln unterliegenden und vermutlich nie wirklich kodifizierten Grundprinzipien angetastet werden, d. h., daß Schreibweisen üblich werden, die nicht mehr Dinge oder Sachverhalte unterscheiden, die sinnvollerweise zu unterscheiden wären. Ich halte es für sinnvoll, daß es eine Bestandsgarantie für solche Grundprinzipien gibt, unabhängig von einer noch hinzukommenden deskriptiven Vorgehensweise, wenn wir nicht den Wesenskern des Deutschen respektive der deutschen Rechtschreibung antasten wollen. Rechtschreibung ist eine Angelegenheit, die in viele Bereiche hineinreicht, und deswegen erscheint es mir sinnvoll, neben dem deskriptiven Prinzip auch andere Prinzipen zu deren Festlegung zur Geltung kommen zu lassen. Ich nehme einmal an, daß dies auch früher schon so gehandhabt wurde.

Aus diesem Grund vermisse ich, neben der Feststellung und der Beschreibung des Üblichen, die Hinzunahme von Sinn- und Zweckkategorien als Grundlage für ein Wörterbuch (respektive einer Rechtschreibung). Es geht mir hier nicht um die hier teilweise haarspalterisch geführten Diskussionen um die Vor- bzw. Nachteile konkreter Schreibungen (Heyse vs. Adelung, GKS, GZS etc.), sondern die explizite Hinzunahme von Sinn- und Zweckkategorien zu den Grundprinzipien, nach denen ein Wörterbuch bzw. eine Rechtschreibung konzipiert sind.

''Am Beginn meiner Arbeit stand die Definition: Rechtschreiben heißt schreiben wie die anderen. Wie die anderen schreiben, ist dann empirisch erfaßt worden.''

Diese Definition setzt bereits eine Schreibnorm vorweg, da es für jede konkrete Person nun eine -- im Vergleich mit der gesamten Sprachgemeinschaft -- nur relativ kleine Gruppe von ''anderen'' gibt. Diese Gruppen können für verschiedene Personen auch disjunkt sein. Wie eben ausgeführt können oder könnten zur Festlegung einer solchen bereits existierenden Schreibnorm auch andere Prinzipien als das deskriptive Prinzip zu Anwendung gekommen sein. Deshalb sollte nun nicht nur das deskriptive Prinzip vorherrschend sein.

''Natürlich nicht beliebige andere, sondern nur die, nach denen sich der Wörterbuchbenutzer richten möchte.''

Damit hängt also alles von Benutzer ab, er könnte beispielsweise auch ein Szenewörterbuch benutzen, was die Anzahl der Adressaten für seine schriftliche Kommunikation ziemlich einschränken würde. Ich glaube nicht, daß Sie ein solches Wörterbuch intendiert haben. Wenn Sie ein allgemein brauchbares Wörterbuch herausgeben wollen, müssen Sie also zusätzliche Anforderungen daran stellen.

''Das alles ist tausendmal gesagt worden. Ich verstehe nicht, warum immer wieder Buhmänner aufgebaut und dann mit großem Trara umgestoßen werden. ''

Ich denke, daß das weder Herr Metz noch ich getan haben. Es wurden nur Fragen aufgeworfen, die unserer Ansicht gestellt werden müssen, wenn sich die Diskussion hier nicht ewig in den eigenen Schwanz beißen soll.

''Welche konkrete Lösung in meinem Wörterbuch geht denn tatsächlich an den Wünschen und Bedürfnissen eines Benutzers vorbei? Bisher haben sich fast alle Benutzer sehr zufrieden gezeigt. Einige Schwächen und Fehler des Anfangs (nicht alle, eine Neuauflage wäre im Augenblick zu teuer, etwa 50 Seiten liegen in Neufassung vor und werden vielleicht irgendwann einmal ausgetauscht) sind in jahrelangen Diskussionen ausgebessert worden.

Nach dem eben Ausgesagen dürfte klar sein, daß es hier nicht um eine Kritik an Ihrem Wörterbuch geht, sondern um strategische Fragen, die sich spätestens dann stellen, wenn die Reform einmal abgewirtschaftet hat.

''Mir geht übrigens das Versteckspiel mit den Decknamen allmählich auf die Nerven, und ich werde mich in Zukunft nur zu Klarnamen äußern. Man kommt sich ja vor, als säße man mit Vermummten an einem Tisch. Das ist hierzulande nicht der Brauch.''

Dann dürften Sie in Foren schlechte Karten haben, in denen Klarnamen unüblich sind oder in denen es prinzipiell keine Registrierung gibt. Solche Foren sind aber durchaus üblich! Wir leben im Internetzeitalter! Wie wollen Sie feststellen, ob der Klarname auch der richtige Name ist? Wenn Klarnamen oder richtige Namen so wichtig sind, dann führen Sie die obligatorische Registrierung ein. Dann dürfte diese Gesprächsrunde hier noch elitärer werden.

Ich finde es auch bedenklich, daß Sie mich -- und andere -- mit Vermummten, also mit Kriminellen aus dem Schwarzen Block gleichsetzen, welche auf Demos Straftaten verüben, nur weil wir versuchen, unsere leicht abweichenden Meinungen oder Bedenken vorbringen. Da man sich im Internet nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, kann man leicht eine böse Absicht in einen Beitrag hineininterpretieren, die da gar nicht intendiert war. Dies kann auch passieren, wenn der jeweilige Benutzer unter Klarnamen seine Einträge einstellt.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 13.07.2007 um 16.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9495

Duden:
Allen anderen Diskutanten scheinen die Dudenspitzfindigkeiten von vor 1996 bestens bekannt zu sein, mir leider nicht. Zum Verständnis wären mir einige Beispiele förderlich; ich kann mir darunter nichts Konkretes vorstellen; auch die ungefähre Anzahl solcher Spitzfindigkeiten wäre interessant, waren das 10, 100, 1000 oder 10.000?

Zu #9475 steh ich ebenfalls ein wenig auf der Leitung:
mir ist nämlich nicht klar, was ich mir unter dem "geistreichen Spiel im Überbau" vorzustellen habe.
Wäre es denn möglich, hier ein Beispiel zu bringen, den selben Satz, einmal ohne und einmal mit Anwendung 'des geistreichen Spiels im Überbau'?
Als ganz durchschnittlicher Schreiber beziehe ich meine orthografischen Sichten eben aus der eigenen Anschauung. Dinge, die ich anschauen kann, helfen, meine Sicht zu bestärken oder auch zu revidieren.
Bitte um ein Beispiel.

Zum Schluß noch eine Ergänzung zu Prof. Icklers: "Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?"

Was in Wörterbüchern dokumentiert wird, würde ich als Hochsprache bezeichnen; wie viele Durchschnittsleute schreiben, kann man mit Dialekt vergleichen. Beides hat seinen Stellenwert. Den Dialekt zur Hochsprache zu erheben, das kann sicher kein Ziel eines allgemeinen Wörterbuchmachers sein.
Ein Nischenprodukt aber, das den bodenständigen Gebrauch der Schrift im Jahre 2007 dokumentiert, das könnte durchaus einen gewissen Unterhaltungswert haben (ev. etwas für Hrn. Sick).

 
 

Kommentar von b. eversberg, verfaßt am 13.07.2007 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9493

Die netten Theorien bringen nichts. Alle, die etwas tun könnten, haben sich eine Art Omertà auferlegt. Manche mögen dabei Bauchschmerzen haben, machen aber alle mit. Ein Vorgang, den man sich gar nicht hätte ausdenken können! Nun, die Realität stellt ja bisweilen alle Fiktionen in den Schatten. Die Zeitungen scheinen nicht zu merken, daß in der Folge das Vertrauen der Leser ganz allgemein leiden könnte. (Wenn solches bei vergleichsweise harmlosem Thema passieren kann, was mögen sie sonst noch alles treiben ...) Aber wenn sie sogar das in Kauf nehmen, was soll man da noch erwarten? Sie müssen wohl die Zahl derjenigen, die es merken, als vernachlässigbar einschätzen und werden sich für deren Ziele wirklich nicht mehr einsetzen. Und ohne Medien ist nichts zu erreichen.
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 13.07.2007 um 12.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9492

Ich hatte mich beim Hanser-Verlag nach einem Buch von Martin Mosebach erkundigt und meine Kaufentscheidung von der Orthographie abhängig gemacht. Eine Dame aus dem Lektorat antwortete mir - ganz unaufgeregt: "Fast alle Bücher des Hanser Verlages sind in der alten Rechtschreibung und werden es nach Wunsch des Autors auch bleiben!" Stimmt, eigentlich ist alles gelaufen.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 13.07.2007 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9491

Wenn man sich ein Bild davon machen will, welch eine Massenbewegung der Widerstand gegen die Rechtschreibreform anfangs war, besucht man am besten die Empfangsseite von www.sprache.org. Der dort unermüdlich Sammelnde und Kommentierende steht bei den Freunden auf dieser Webseite in keinem hohen Ansehen, denn er propagiert die Substantivkleinschreibung. Sonst freilich nichts, denn über Heyse ist er längst hinaus - als Schweizer. Er ist sozusagen ein Einzelkämpfer im Unterschied zu den Unzufriedenen hierzulande, die elf Jahre nach den vielversprechenden Anfängen keine Kongreßhallen mehr zu füllen vermöchten. Die Reformer waren freilich stets nur ein kleiner Kreis, in dem nach der jetzt verbreiteten Meinung die Charakterlosigkeit und die Inkompetenz dominierten. Wie konnte es unter diesen Umständen geschehen, daß sie eine deutliche Spur in der deutschen Rechtschreibung hinterlassen haben? Als die EDV bei den deutschen Finanzämtern eingeführt wurde, brachten Programmfehler das Steuernsammeln in Schleswig-Holstein für ein Jahr zum Erliegen. So schlimm haben sich die Programmfehler der Rechtschreibreform offenbar nicht auf unsere private und öffentliche Schreibpraxis ausgewirkt. Aber es besteht weiterhin Revisionsbedarf, den die Verantwortlichen im Rat für deutsche Rechtschreibung als ganz natürliche Fortschreibung betrachten. Eigentlich ist alles gelaufen, aber man wird ja doch wohl einen kritischen Rückblick halten und ein paar Lehren aus den Vorgängen des letzten Jahrzehnts ziehen dürfen. Ganz unaufgeregt, denn man kann keinen Fehler mehr machen. Auch in diesem Forum ist etwas zu lernen, daß es nämlich mit Überfliegen und Anstoßnehmen nicht mehr getan ist. Aber das ist ein anderes Kapitel.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.07.2007 um 11.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9490

Viele stellen sich hier die Frage, was Professor Jochems eigentlich will. Am Ende von Beitrag #9459 hat er die Lösungen formuliert, die ihm vorschweben: Der Staat, der bei uns amtlich für die Rechtschreibung zuständig ist, hätte theoretisch zwei Möglichkeiten, um sein Schreibvolk aus dem Dilemma der defizitären Kompetenz herauszuführen. Er könnte in einem Toleranzedikt anregen, daß nun jedermann das Recht habe, nach seiner Intuition zu schreiben - vielleicht mit dem Hinweis auf die hohe Belletristik, von der man etwas lernen könne. Die andere Möglichkeit wäre eine Rechtschreibreform, die einen Kern an traditionellen Schreibungen der Funktionstüchtigkeit der Rechtschreibung wegen für alle verbindlich erklärte, das geistreiche Spiel mit dem orthographischen Überbau aber in die Wahlfreiheit entließe.

Der Staat erklärt nur noch diejenigen traditionellen (!) Schreibungen für verbindlich, die sowieso nicht strittig sind; oder er erläßt gleich ein umfassendes Toleranzedikt. Sollen das realistische Szenarien sein? Professor Jochems nennt sie selbst "theoretisch". Aber wir können dem Staat ja mal sagen, daß uns beides recht wäre.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2007 um 11.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9489

Ganz richtig! Nur daß bei uns die Rechtschreibung und nur diese amtlich geregelt ist. Meine Anregung läuft darauf hinaus, das Beibringen der üblichen Schreibung genauso dem Können verantwortungsvoller Deutschlehrer zu überlassen wie bisher schon die Aussprache und Grammatik.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 13.07.2007 um 11.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9488

Herr Jochems möchte uns die Äußerung Theodor Icklers, der zufolge die deutsche Rechtschreibung nicht von jedermann vollständig beherrscht werden kann, offenbar als schonungslose Enthüllung eines skandalösen Zustandes verkaufen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Banalität; schließlich gibt es ja auch viele Muttersprachler, die Grammatikfehler machen, Fremdwörter falsch aussprechen usw. Warum sollte es mit der Rechtschreibung anders sein?

Gab es überhaupt jemals eine weitverbreitete Sprache, die von allen ihren Muttersprachlern im gleichen Maße beherrscht wurde? Höchstwahrscheinlich nicht; das dürfte allenfalls in ganz kleinen Sprachgemeinschaften der Fall sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2007 um 11.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9487

Damit keine Irrtümer sich festsetzen: Augst wollte nicht die Norm an den Gebrauch annähern, sondern den Gebrauch ändern. Das ist der Unterschied zu meinem Unternehmen, und letzteres hatte ich keineswegs als Rechtschreibreform, auch nicht als sanfte, geplant, sondern als Begleitung meines Kampfes gegen die Augstsche Reform. Die Haarspaltereien des Duden und eine gewisse Vernachlässigung des Usus waren zwar ärgerlich, aber nur für wenige Kenner. Im Alltag spielten sie nur dann eine Rolle, wenn unverständige Lehrer den Duden mißbrauchten, um Schülern ein Bein zu stellen. Das war aber 1996 kaum noch zu beobachten. Mit der Aufhebung der Amtlichkeit wäre das Übel sofort verschwunden. Die Reformer haben immer ein Junktim zwischen Aufhebung des Dudenprivilegs und inhaltlicher Reform hergestellt - Dieter Zimmer hat es für die Öffentlichkeit immer besonders deutlich ausgesprochen. Sein Einflüsterer Mentrup konnte ihn auf eine Formulierung im KMK-Beschluß von 1955 hinweisen. In Wirklichkeit bestand dieses Junktim nicht.
Ich bestreite also die Dringlichkeit. Im Jahre 1996 gab es keinerlei Notwendigkeit, die deutsche Rechtschreibung (also nicht nur die Norm, sondern auch den Gebrauch) zu ändern. (Heyse war NICHT angebahnt! Vieles andere auch nicht, höchstens eine zufällige Nebensächlichkeiten wie "einbläuen" oder "in Bezug", aber all dies nun obligatorisch zu machen, statt es bloß zu dulden, das ging weit über jede Vernunft hinaus.)
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 13.07.2007 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9486

Liebe Frau Galina, die Webseite der Forschungsgruppe Deutsche Sprache hat viele Gesichter. Hier haben etliche Beiträger, allen voran Professor Ickler, profunde Einsichten in Struktur und Funktionsweise der deutschen Rechtschreibung vorgestellt, andere haben mehr kulturwissenschaftlich argumentiert, und wieder andere haben sich wie ungehobelte Lümmel aufgeführt. Da die beiden Gründer der "Forschungsgruppe Deutsche Sprache", Herr Lachenmann und Herr Markner, diese Bezeichnung gewiß nicht als Tarnname für etwas ganz anderes gewählt haben, sollte das fachliche Gespräch auf hohem Niveau hier die Regel sein.

Wenn man forscht, kommt häufig etwas ganz anderes dabei heraus, als sich die Beteiligten vorweg erhofft hatten. Im Klartext: Am Ende der Dudenära waren die allgemeine Schreibpraxis und der normative Anspruch der amtlichen Rechtschreibung so weit auseinandergedriftet, daß dringend etwas zu unternehmen war. Die Reformergruppe um Professor Augst versuchte über vereinfachte Regeln Schreibweisen einzuführen, mit denen der normale Schreiber weniger Schwierigkeiten haben würde; Professor Ickler wollte über eine Darstellung der tatsächlichen, nämlich variantenreichen Schreibung im Schatten des Duden, den Schreibern Mut machen, vor allem ihrer durch aufmerksames Lesen gestärkten Intuition zu folgen. Die Augstsche Rechtschreibreform ist inzwischen in ihren Kernstücken aufgegeben worden, weiteres wird folgen. Lediglich die eher typographische Neuverteilung von "ß" und "ss" wird wahrscheinlich als Epochenindikator überleben. Professor Ickler hat mit seiner sanften Reform die breite Öffentlichkeit nicht erreichen können. Sein zunächst vielversprechender Versuch, über die überregionale Presse die unbeschädigte deutsche Rechtschreibung im öffentlichen Bewußtsein zu bewahren, ist gescheitert. In dieser Situation sind für das kleine Häuflein der noch verbliebenen aktiven Gegner der Rechtschreibreform bloßes Taktieren und jede Art von verbalen Kraftakten sinnlos geworden. Und wenn man Professor Augst hundertmal einen "Bauerntölpel" nennt, an den heutigen Rechtschreibverhältnissen ändert das nichts. Professor Ickler ehrliches Bekenntnis von gestern könnte das Schlußwort gewesen sein:

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. [...] Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?

Vielleicht scheiden sich an diesem Diktum die Geister. Ungeschminkter kann man die Wahrheit über die deutsche Rechtschreibung aber nicht ausdrücken.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.07.2007 um 10.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9485

Also, ich finde, wir sind wahrlich selbstkritisch genug, während es auf Reformerseite an Selbstkritik seit je gemangelt hat. Da die Selbstkritik eines Gerhard Augst oder seiner Gefährten nicht rechtzeitig vor dem Durchdrücken der Reform vorhanden war, hätte die Kritik von außen nach vollbrachter Tat um so lauter sein müssen. Das gilt auch jetzt, denn der Mißstand hält bekanntlich an. Die Presse will ihn jedoch lieber mit Schweigen zudecken.

Was bleibt da noch zu tun? Das ist vielleicht die wichtigste Frage. Demnächst soll ja die angebliche Einheitsschreibung der Presse ins Werk gesetzt werden – eine mögliche Vorstufe weiterer Bereinigungs- und Fortentwicklungsmaßnahmen an der Großbaustelle "amtliche Rechtschreibung". Vielleicht ergibt sich dann ein neuer Anhaltspunkt, wie es weitergehen wird. Auf mittlere Sicht wird sich doch innerhalb der Presse eine Meinung bilden, ob man nun eine zukunftstaugliche Regelung anwendet, indem Variantenlisten mit tausend einzelnen Festlegungen von der Software abgearbeitet werden.

Ich glaube, Professor Jochems, Sie möchten uns klarmachen, daß die Reformer zwar nichts Gutes getan haben, aber doch wenigstens ein ehrbares und verständliches Anliegen im Sinn hatten: die Rechtschreibung zu vereinfachen. Das ist unbestritten! Nur leider taugt die Neuregelung überhaupt nicht, sie macht nur alles komplizierter. Was schon längst vorliegt, ist der Vorschlag von Professor Ickler. Keine Reform und dennoch Vereinfachung! Erleichterung durch Liberalität an den richtigen Stellen. Was wollen Sie mehr?
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 13.07.2007 um 10.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9484

Die Diskussion leidet, wie immer, unter dem Problem, daß die Probleme des Schreibenden zum Maßstab gemacht werden. Das ist außerhalb der Schule völlig unsinnig, und es gibt keinen Grund, aus dieser Sicht gewonnenen Argumenten irgendwelches Gewicht zuzumessen. Was zählt, ist ausschließlich die Lesbarkeit und Lesefreundlichkeit der Texte.

Naive Laien sehen mitunter die Pseudo-Heyse-Regelung, die Nichtkontrahierung der Konsonantentripel und sogar die verkorkste ck-Trennung als Lesbarkeitsverbesserung an.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.07.2007 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9483

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Professor Jochems irgendwem hier Begriffsstutzigkeit unterstellt. Seine pointierte Formulierung „Professor Augst beschreibt, wie es ist; Professor Ickler beschreibt, wie es sein sollte“ war unverständlich und bedurfte der Erläuterung. Über die Ausführlichkeit und graphische Gestaltung von Nachbetrachtungen kann man streiten. Aber das ist doch – mit Verlaub – Pipifax. Wo liegt das eigentliche Problem? Warum reagieren manche hier so gereizt auf den Mann aus den Haubergen? Versteht man ihn nicht? Findet man seine Positionen inakzeptabel? Hält man ihn für einen Verräter? Für einen Salbader? Für unbelehrbar? Oder gleich alles zusammen?
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 13.07.2007 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9482

Zu der Äußerung Theodor Icklers, die Herr Jochems zur Diskussion gestellt hat:

Das Problem läßt sich folgendermaßen verallgemeinern: Person A beherrscht eine bestimmte Tätigkeit hervorragend, Person B kann sie zwar auch ausüben, aber nicht so gut wie A. Wie gehen wir damit um?

Möglichkeit 1: Wir veröffentlichen ein Buch, in dem As Fähigkeiten dargestellt werden, damit B sie sich aneignen kann.

Möglichkeit 2: Wir erklären Bs Fähigkeiten für maßgebend. Jeden, der darauf hinweist, daß A aber besser sei, bezeichnen wir als elitär und behaupten, ihm gehe es darum, soziale Unterschiede zu festigen.

Welchen Weg ich befürworte, können Sie sich denken. Ich fürchte aber, Herr Jochems liebäugelt etwas mit der zweiten Methode.
 
 

Kommentar von Galina Leljanowa, verfaßt am 13.07.2007 um 08.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9481

Als begriffsstutziger Laie habe ich Mühe mit den Ausführungen von Herrn Jochems. Was will er überhaupt? Kann er nicht Tacheles reden?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 13.07.2007 um 07.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9480

Noch trostloser als die Versuche, den Bauerntölpel Gerhard Augst als einsichtsvollen Autor hinzustellen, ist die Insinuation, die hier Mitlesenden und -schreibenden seien so begriffsstutzig, daß man ihnen die gleichen abgewetzten Thesen noch einmal mit allerlei fett ausgezeichneten Wörtern servieren müsse.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 13.07.2007 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9479

In der ersten Zeit der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform wurde gelegentlich die Wendung "auf den Prüfstand stellen" benutzt - von beiden Seiten. Es ging aber immer nur um die Anschauungen und Vorlagen der jeweils anderen Seite. Ich mache gerade den Versuch, unsere eigene Position kritisch zu überprüfen. Darin kann man natürlich mangelnde Loyalität sehen. Die Lebenserfahrung lehrt jedoch, daß eine realistische Sicht der Dinge sehr mithilft, Enttäuschungen zu vermeiden. Professor Ickler hat jetzt einige Sätze geschrieben, die einen Linguistenkongreß beschäftigen könnten, aber auch für die meisten Gebildeten in allen Implikationen zu verstehen sind:

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. [...] Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann?

Ich möchte hier vorschlagen, die uns unangenehmen Äußerungen von Professor Augst auf sich beruhen zu lassen und diese Sätze zu diskutieren. Herr Lachenmann hat uns ja schon aus seiner Insiderkenntnis heraus dargelegt, daß auch bei den professionellen Hütern der Schreibgenauigkeit nur mit Wasser gekocht wird. Was folgt aber aus Professor Icklers Worten für unsere Elogen auf die traditionelle deutsche Schreibkultur?

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2007 um 05.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9478

Lieber Herr Jochems, ich habe sehr wohl gelesen und hoffentlich auch verstanden, was Sie geschrieben haben. Ich wehre mich aber gegen den Vorwurf, ich hätte die Dudenhörigkeit sowie die Unlernbarkeit der Dudenhaarspaltereien weniger realistisch gesehen und dargestellt als Augst. Das Gegenteil ist der Fall. Nur die Folgerungen sind verschieden: Während Augst die Amtlichkeit mit ihren mißlichen Folgen keineswegs abschaffen wollte, sondern sie im Gegenteil gerade für sein eigenes Unternehmen brauchte, vertrete ich bekanntlich die Entstaatlichung. Ist es unrealistisch, dies für möglich zu halten? Solche Töne kennt man von Nerius.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.07.2007 um 03.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9477

Professor Jochems: Den Ist-Zustand beschreibt Professor Augst: die gute alte Abhängigkeit vom normativen amtlichen Wörterbuch.

Und warum sollten wir uns diese Erkenntnis von Herrn Augst zu Herzen nehmen? Professor Augst hat schließlich als führender Ideologe dafür gesorgt, daß dieser Zustand überhaupt erst richtig durchgesetzt wurde: mit noch mehr Amtlichkeit und Staatlichkeit, durch eine schlechtere Rechtschreibung, durch Zwänge und Unterwerfungsforderungen in der ganzen Gesellschaft, die vor der Reform unvorstellbar waren.

Mag ja sein, daß es manche Probleme mit dem alten Duden gab. Das sagen wir selbst ebenfalls. Es ist noch lange kein Grund, uns immer wieder beibringen zu wollen, daß die Reformer hin und wieder einen halbwegs sinnvollen Satz aufgeschrieben haben, und daraus abzuleiten, wir sollten uns respektvoll oder "gelassen" mit ihnen oder der Rechtschreibreform auseinandersetzen.

Respekt ist das letzte, was wir Augst, Mentrup, Gallmann, Sitta und Co. schulden. Die Verwerflichkeit ihrer Aktivitäten ist nur dadurch etwas verdunkelt, daß sie sich mit ihrer Reform flächendeckend durchgesetzt haben, so daß man auf den ersten Blick meinen könnte, sie hätten der Bevölkerung einen brauchbaren Dienst erwiesen.

Ich begreife nicht, was diese Versuche sollen, die Ehre der Reformer hochzuhalten.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 12.07.2007 um 23.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9476

H. Jochems: Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen. Bei uns weniger Erleuchteten gibt es nur eine defizitäre Kompetenz.

Ich könnte mir denken, daß es solche hochspezialisierte Sprachteilnehmer in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt. Jedenfalls habe ich in meiner Berufspraxis in mehreren durchaus anspruchsvollen Verlagen und in Druckereien nur solche Lektoren bzw. Korrektoren gesehen, die nicht viel rechtschreibsicherer waren als ich, und wenn ich auch nur selten Rechtschreibfehler mache, kann ich kaum behaupten, ein hochspezialisierter Sprachteilnehmer zu sein. - Und wenn man sich so manche Auskünfte des Personals der diversen „Sprachberatungen“ vor Augen führt, wo man davon ausgehen können sollte, daß es sich um überdurchschnittlich kundige Rechtschreibexperten handelt, mag man sich erst recht fragen, wo die „hochspezialisierten“ Sprachteilnehmer sich wohl aufhalten könnten.

Verlagslektoren holen sich in Zweifelsfällen gerne Rat bei Fachkorrektoren in den Druckereien - holten, muß man heute sagen, denn solche gibt es ja kaum noch. Und diese professionellen Korrektoren kann man eigentlich auch nicht unbedingt als hochspezialisierte Sprachteilnehmer bezeichnen, weil da oft der Bildungshintergrund unzureichend war. Sie kamen ja aus dem graphischen Gewerbe, waren vorgerückte Schriftsetzer und leider teilweise rechte Fachidioten, die stolz waren darauf, daß sie sich in den Regeln und den im Duden stehenden „richtigen“ Schreibungen auskannten. Dagegen kam so mancher sensible Autor mit seinen gezielten, dem „Überbau“ gedankten Andersschreibungen nicht an. Unvergeßlich ist mir besonders ein durch verschiedene Fachpublikationen bekannter Chefkorrektor einer großen in Süddeutschland erscheinenden Tageszeitung, inzwischen im Ruhestand, der vor einem Publikum aus hochrangigen Verlagsmitarbeitern über Rechtschreibung zu referieren hatte, nach der Reform wohlgemerkt. Er erfreute seine Zuhörer und nicht zuletzt sich selbst damit, allerlei Blüten à la Bastian Sick zum Besten zu geben. Auf die Reform angesprochen, fand er für eine Kritik daran überhaupt kein Verständnis, war vielmehr sehr stolz darauf, sich die neuen Regeln und Schreibweisen, wie er meinte, besonders schnell angeeignet zu haben und weniger Bewanderte entsprechend belehren zu können. Etwa wie ein Steuerrechtler, der dann besonders gut ist, wenn er die jeweils neuesten Erlasse als erster in allen Details kennt und anzuwenden weiß.

Ich denke, wir „weniger Erleuchteten“ sind schon so in etwa das Optimum, das man an Rechtschreibkompetenz antreffen kann, in Abstufungen natürlich.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 12.07.2007 um 22.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9475

Lieber Herr Ickler, daß Sie sich neben Ihren beruflichen Pflichten überhaupt diesem Forum widmen können, finde ich bewundernswert. Natürlich haben Sie nicht die Zeit, die gerade weit ausladende Diskussion über den Begriff der defizitären Rechtschreibkompetenz in allen Einzelheiten zu verfolgen. Daß Sie bei schneller Lektüre einiges mißverstanden haben, ist deshalb verständlich. Es geht im Augenblick nur um einen kurzen Abschnitt aus der Rechtschreibdidaktik von Augst/Dehn und darin um die Begründung der Notwendigkeit eines amtlichen Rechtschreibwörterbuchs. Dazu schrieb ich in einem meiner letzten Beiträge (Schlüsselwörter hervorgehoben):

Die Kernaussage betrifft die Rechtschreibkompetenz der Deutschen. Diese ist allgemein defizitär, weil sie nicht vollständig - wie andere sprachliche Teilkompetenzen - durch jahrelange Teilnahme an der schriftlichen Kommunikation erwerbbar ist. Alle Schreibungen der Alphabetschriften haben einmal phonographisch angefangen, sind dann aber vom Lautwandel überholt worden, so daß das Erlesen der Wortbilder durch Lautieren am Ende nur mit Schwierigkeiten gelingt. Diese Situation kennen wir vom Englischen und vom Französischen. Obwohl die Deutschen sich rühmen, das Volk des "Werdens" zu sein, hat sich bei uns der Lautwandel seit der Einführung des Buchdrucks und der von ihm geförderten Fixierung der Schreibungen in Grenzen gehalten. Dafür haben wir Entwicklungen im Bereich der Groß- und Kleinschreibung und besonders bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, hier ausgelöst durch die nicht abgeschlossene Univerbierung. Während es in den Nachbarsprachen mit dem Erwerb der Einzelwortschreibungen im allgemeinen getan ist, schwebt bei uns der nicht-segmentale Überbau darüber, der nur beim "Zusammenrücken" auch ein Pendant in der Aussprache hat. Aus dem Grunde gibt es bei uns Rechtschreibwörterbücher, die nicht nur die Schreibung seltener Wörter (besonders die Übernahmen aus anderen Sprachen) registrieren, sondern auch das geistreiche Spiel im Überbau. Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen. Bei uns weniger Erleuchteten gibt es nur eine defizitäre Kompetenz. Wir können zwar Texte produzieren, die so aussehen, als könnten wir den wirklich kompetenten Schreibern das Wasser reichen, aber das ist eine Täuschung. In Wirklichkeit übernehmen wir aus dem die ungeschmälerte Kompetenz abbildenden Rechtschreibwörterbuch, woran es uns gebricht. Neuerdings geht das im Handumdrehen mittels des Rechtschreibprogramms auf dem Computer. Für die Schule und seine Behörden erklärt der Staat (bei uns) die vollständige Kompetenz für amtlich. Sie ist aber in der Schule nicht vollständig zu erwerben, weshalb der Rotstift des Lehrers eine wichtige Funktion als orthographischer Zuchtmeister hat. In der nicht weisungsgebundenen Öffentlichkeit übernimmt die Verachtung der Gebildeten für die defizitäre Schreibung der weniger Glücklichen diese Funktion. Das ist die wunderbare deutsche Rechtschreibwelt, die auf diesen Seiten klassisch genannt wird. Wenn das Übel einmal da ist, läßt es sich schwer wieder aus der Welt schaffen. Wenn abweichende Schreibungen (und seien sie noch so gut begründet) sich nur unter Umgehung des in der Sicht der staatlichen Norm eigentlich Üblichen in Texten verwirklichen lassen, hat die als sinnvoll erkannte Veränderung einer Schreibung nur geringe Chancen, ins öffentliche Bewußtsein einzudringen. Normale Bürger haben im übrigen auch kaum das Zeug zum Rebellen.

Gegen Ende Ihrer Kritik sagen Sie:

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. Das ist im Englischen und Französischen genauso, und ich frage mich, ob es irgendwo grundsätzlich anders ist. Machen Spanier, Polen oder Türken mit ihren "flacheren" Orthographien keine Fehler?

Ich habe seit 1980 viele Briefe von einfachen Polen gelesen. Eigentliche Rechtschreibfehler enthielten sie praktisch nie. Die Interpunktion war allerdings gelegentlich abenteuerlich. Das Englische und das Französische sind natürlich nicht so raffinierte Lese-Schriften wie das Deutsche, bieten aber auf anderen Ebenen Schwierigkeiten, mit denen jedoch zumindest die gebildeten Schreiber zurechtkommen. Ihre sanfte Rechtschreibreform, lieber Herr Ickler, versucht das Deutsche in diese Liga einzufügen. Da Ihre Anschauungen samt Wörterbuch aber verständlicherweise noch nicht die für einen solchen Wechsel nötige Verbreitung gefunden haben, sind sie für die Rechtschreibpraxis hierzulande leider noch nicht tonangebend. Es sollte so sein, aber es ist noch nicht so. Den Ist-Zustand beschreibt Professor Augst: die gute alte Abhängigkeit vom normativen amtlichen Wörterbuch. Was selbiger sonst noch getan und geschrieben hat, interessiert in diesem Zusammehang nicht.

 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 12.07.2007 um 20.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9474

"Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen."
Wer bitte soll das sein? Gerade auf den Tischen dieser Leute stapeln sich die Wörterbücher in einer ungewöhnlichen Dichte. Würden die keine Wörterbücher brauchen und ohnehin alles wissen, wozu dann diese Bücherberge?
Nein, nein, auch diese Leute verwenden Wörterbücher, und zwar zu genau dem selben Zweck wie unsereiner.
Andererseits frage ich mich, was eine 'umfassende Rechtschreibkompetenz' eigentlich sein soll?
Hat man sich wen vorzustellen, der den Duden auswendig kann, oder den Ickler, oder irgend ein anderes Werk?
Gute Texte erkennt man doch nicht an deren 100%iger Kongruenz der Orthografie zum Duden (wer sollte das überhaupt erkennen) sondern an zum Weiterlesen animierendem Schreibstil und an einer unauffälligen Orthografie. Nicht mehr und nicht weniger!
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 12.07.2007 um 19.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9473

Was Germanist in 9456 ergänzt, ist natürlich richtig. Nur darauf wollte ich nicht primär hinaus.
Ich wollte eigentlich zeigen, daß es in der Orthografie einen statischen und einen dynamischen Teil gibt.
Bevor man einen Satz schreibt, hat man ihn bereits fertig im Hinterkopf. Beginnt man zu schreiben, kann die überwiegende Mehrzahl der Wörter aus einem statischen Wortbildspeicher abgerufen werden.
Mit den von mir genannten 3 Fällen kommt nun der dynamische Aspekt ins Spiel. Abhängig von der Bedeutung, die ausgedrückt werden soll, wird GKS, GZS und Beistrichsetzung angewendet. Hier muß der Schreiber seinen Text um Merkmale ergänzen, die es ursprünglich in seinem Hinterkopf noch nicht gab. Erst wenn er das richtig macht, bekommt der Satz die Form, die dem (gehobenen) Üblichen entspricht.
Man kann sehr schön beobachten, wie viele Leute ihre privaten Emails gestalten: es wird nur klein geschrieben und Beistriche kommen wenn überhaupt bestenfalls rudimentär vor, die GZS entspricht dabei ihrem Sprachgefühl. Sie schreiben also 1:1 das auf, was sie im Hinterkopf haben und verzichten auf leseunterstützende Erweiterungen.
Jeder, der solche Texte lesen muß, besonders wenn sie auch noch völlig gliederungslos als Wurm von links oben nach rechts unten geschrieben sind, lernt schnell den Wert klassischer Schreibung zu schätzen.


 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.07.2007 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9472

Ich habe keine Probleme mit der Rechtschreibung, nur manchmal bei Eindeutschungen von Fremdwörtern, höchstens die anderen mit mir, weil ich grundsätzlich so schreibe, wie es am besten verständlich ist, nämlich im Zweifel zusammen bzw. klein, wobei ich bei Ergebnisverben mit "machen" viel mehr zusammenschreibe als Prof. Ickler.
Rechtschreib- und Druckfehler kommen eben vor, aber Mehrdeutigkeiten ärgern den Leser und sollten unbedingt vermieden werden. Wichtiger als fehlerfreie Rechtschreibung ist ein leicht lesbarer Stil, und daran fehlt es vielen Zeitungsjournalisten. Geschachtelte Nebensätze und eine Satzklammer über eine halbe Buchseite stehen vielleicht Thomas Mann zu, als sein Markenzeichen, aber nicht jedermann. Niemand hat das Recht, dem Leser die Zeit zu stehlen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2007 um 17.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9471

"Professor Ickler beschreibt, wie es sein sollte."- Wie bitte? Sollten die Mißverständnisse doch tiefer gehen, als ich dachte?

"Der Staat, der bei uns amtlich für die Rechtschreibung zuständig ist, hätte theoretisch zwei Möglichkeiten, um sein Schreibvolk aus dem Dilemma der defizitären Kompetenz herauszuführen. Er könnte in einem Toleranzedikt anregen, daß nun jedermann das Recht habe, nach seiner Intuition zu schreiben - vielleicht mit dem Hinweis auf die hohe Belletristik, von der man etwas lernen könne. Die andere Möglichkeit wäre eine Rechtschreibreform, die einen Kern an traditionellen Schreibungen der Funktionstüchtigkeit der Rechtschreibung wegen für alle verbindlich erklärte, das geistreiche Spiel mit dem orthographischen Überbau aber in die Wahlfreiheit entließe."

Der Staat ist bei uns nicht für die Rechtschreibung zuständig, sondern für das Schulwesen.

Schon jetzt hat jedermann (außer den Schülern und Lehrern im Klassenzimmer) das Recht, nach seiner Intuition zu schreiben.

Mit dem "Überbau" scheint die professionelle Rechtschreibung gemeint zu sein. Darf ich daran erinnern, daß die deutsche Rechtschreibung durch die lautliche Weiterentwicklung nicht nur schwieriger geworden ist, sondern mit der intelligenten Einbeziehung zusätzlicher Information das phonographische Stadium grundsätzlich hinter sich gelassen hat? Welcher kluge Gedanke ist es denn, den wir anerkennen sollen, obwohl er von Augst stammt? Die Parole "Zurück zur Lautschrift" kann ja wohl nicht gemeint sein. Von Augst stammen in der Hauptsache die etymologisierenden Schreibungen, noch dazu fast alle obligatorisch gemacht. Mehr hat er laut Augen- und Ohrenzeugen inhaltlich nicht beigetragen. Schon lange vor der Reform hat Augst seine Lieblingsidee von der "synchronen etymologischen Kompetenz" mal bei uns an der Universität München vorgetragen, zur Verwunderung und Erheiterung des Auditoriums. Uns war damals schon völlig klar, daß mit der Volksetymologie ein Faß ohne Boden aufgemacht würde, siehe inzwischen das bodenlose Wortfamilienwörterbuch.

Meine Rede seit Beginn der Reformdiskussion ist: Genau wie beim Layout usw. lassen wir, wenn es wirklich darauf ankommt, bei der Rechtschreibung meistens den Fachmann ran. Das ist sozusagen der Lektor, der auch mal in einem Nachschlagewerk bestehen kann. So werden veröffentlichte Texte besser, als die meisten von uns es ohne Hilfe könnte. Ich habe damit kein Problem. Unser Klavier lassen wir auch von einem Experten stimmen, obwohl wir durchaus kompetent sind, die Mißklänge wahrzunehmen.

Texte, die zu Papier gebracht werden, können in so raffinierten Lese-Schriften wie der deutschen nicht von jedermann "richtig" (also fachmännisch) geschrieben werden. Das ist im Englischen und Französischen genauso, und ich frage mich, ob es irgendwo grundsätzlich anders ist. Machen Spanier, Polen oder Türken mit ihren "flacheren" Orthographien keine Fehler?

Von der anderen Seite gefragt: Wollen wir wirklich Texte lesen, wie jedermann sie schreiben kann? Das Internet mit seinen Plauderecken bietet Anschauungsmaterial genug.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.07.2007 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9470

Schreib- und Rechtschreibkompetenz treten zwar im Erstspracherwerb erst später zur bereits erworbenen Sprachfähigkeit hinzu, Bestandteile der allgemeinen Sprachkompetenz des einzelnen werden sie dennoch.

Am Standard der Hochsprache gemessen, ist die Aussprache vieler Menschen schlechter als ihre Rechtschreibung, man denke nur an Konrad Adenauer. Defizite in der Rechtschreibkompetenz sind also kein Sonderproblem, weder im Deutschen noch in anderen Sprachen. Es ist nicht einmal sicher, daß die Unduldsamkeit orthographischen Fehlern gegenüber größer ist als die Intoleranz, mit der auf andere (vermeintliche) sprachliche Mängel reagiert wird.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 12.07.2007 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9469

In einer Karikatur steht Marx vor dem zusammenkrachenden Gebäude des Sozialismus und sagt: "Sorry, war nur so'ne Idee..."
Solange nicht der Verdacht ausgeräumt ist, mit dem ursprünglich vielleicht durchaus sympathischen Augst könne es ähnlich sein und er habe sich womöglich nur einen Schabernack erlaubt, sind für mich seine "Einsichten" wenig sympathiefähig.
Nein, unser System ist nicht am Zusammenkrachen, aber wo um Himmels Willen sind denn Vorteile zu erkennen, welches Problem hat die Reform überwunden, wo ist die Situation jetzt besser als vor 10 Jahren, wem wurde denn wirklich geholfen? Hätten Augsts Einsichten irgendwo was getaugt, es müßte auf diese Fragen mehr als Null positive Antworten geben.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.07.2007 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9468

Nicht nur dem sympathischen Bauernsohn, sondern jedermann stünde die Erkenntnis besser an, daß es nicht sinnvoll ist, einen nützlichen Standard zu verändern, nur weil bestimmte Leute ein zwanghaftes Verhältnis zu ihm haben.

Nehmen wir die Verkehrsregeln, da gibt es eine Menge. Manche Leute halten sich zwanghaft an sie, auch wenn das im Einzelfall oft unnötig und lästig ist. Vor einer roten Ampel wartet immer wieder einmal ein Fußgänger, obwohl weit und breit niemand sonst unterwegs ist. Es ist nicht sinnvoll, nur wegen dieser beklagenswerten Unterwürfigkeit die Ampel abzuschaffen.

Stellen wir uns einen Menschen mit Waschzwang vor, der sich täglich wie besessen den ganzen Körper abschrubbt, nur damit ja kein Bakterium übrigbleibt. Es ist nicht sinnvoll, ihm etwa einen Arm zu amputieren, damit er weniger Fläche hat, an der er seinen Zwang ausüben kann.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 12.07.2007 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9467

Zu Ihrer defizitären Sprachkompetenz: Saussures Modell war eigentlich realistischer als das Chomkys. Ersterer ging bei der "langue" von der kollektiven Kompetenz aller Sprachteilhaber aus, deren individueller Sprachbesitz sich in der in den Texten zutage tretenden "parole" zeigte. Für Chomsky war "competence" die des "ideal speaker/hearer", den es jedoch nicht gibt. Eigentlich war es nur die Vermenschlichung eines Abstraktums, die dann in der Psycholinguistik abenteuerliche Folgen hatte. "Schreibkompetenz" und erst recht "Rechtschreibkompetenz" sind keine originären Teilaspekte der "Sprachkompetenz", was nicht nur für die älteren Sprachzustände gilt. Frau Pfeiffer-Stolz hat schon darauf hingewiesen, daß die Kulturentwicklung zur Perfektion tendiert. Gewiß ist der sorgfältig redigierte Text aus einem renommierten Literaturverlag eine wahre Freude. Wo aber bleiben diejenigen, denen diese Perfektion verwehrt ist? Es braucht doch nicht immer nur das Ergebnis von Nachlässigkeit sein. Ich kenne eine tüchtige Deutschlektorin einer berühmten westeuropäischen Universität, der nach über dreißig Berufsjahren immer noch Verstöße gegen die traditionelle Dudennorm unterlaufen. Als Englischlehrer und als Fremdsprachendidaktiker habe ich den Standpunkt vertreten, ich kann nicht als Fehler anstreichen, was ich selbst im Wörterbuch nachsehen muß. Wenn wir diese Haltung generell im deutschen Rechtschreibstreit einnähmen, wären wir ein ganzes Stück weiter. Heute hat der Leitartikel der FAZ wiederum eine Handvoll ss-Schreibungen, wo früher "ß" stand. Schweizer Lesern würde das nicht einmal auffallen. Die Diskussion auf "Schrift und Rede" läuft gewiß zumindest auf intelligente Unterhaltung hinaus. Es wäre aber besser, sie erbrächte auch Einsichten, die uns alle weiterhelfen könnten - selbst wenn sie ursprünglich von dem durchaus sympathischen Westerwälder Bauernsohn Gerhard Augst stammen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.07.2007 um 15.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9465

In Wirklichkeit ist Sprachkompetenz natürlich immer defizitär, die Rede von der „Beherrschung“ einer Sprache immer schon präpotent.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 12.07.2007 um 15.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9463

Helmut Jochems schreibt: Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen. Bei uns weniger Erleuchteten gibt es nur eine defizitäre Kompetenz.

Herr Konietzko kommentiert: Wenn man diejenige Auffassung von „Rechtschreibkompetenz" zugrunde legt, die Prof. Ickler in unzähligen Beiträgen vertreten hat und die wohl die meisten Diskussionsteilnehmer teilen, dann stimmt Ihre Aussage nicht. Sie rennen offene Türen ein.

H. J. gibt zu bedenken: Professor Augst beschreibt, wie es ist; Professor Ickler beschreibt, wie es sein sollte. Das ist das deutsche Dilemma, unabhängig von der Rechtschreibreform.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 12.07.2007 um 13.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9460

Herr Jochems schreibt: „Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen. Bei uns weniger Erleuchteten gibt es nur eine defizitäre Kompetenz.“

Wenn man diejenige Auffassung von „Rechtschreibkompetenz“ zugrunde legt, die Prof. Ickler in unzähligen Beiträgen vertreten hat und die wohl die meisten Diskussionsteilnehmer teilen, dann stimmt Ihre Aussage nicht. Sie rennen offene Türen ein.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 12.07.2007 um 12.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9459

Im Kritikerkreise wurde schon einmal der Gedanke ventiliert, die Rechtschreibreform sei möglicherweise ein einziger großer Schabernack, sozusagen die Rache der enttäuschten Reformer an den Kultusministern, die ihnen das wirkliche Remedur schaffende Reformkonzept vermasselt hatten. Daß von alledem nur Heyses Vorschlag der Neuverteilung von "ß" und "ss" übrigenbleiben könnte, ist der größte Witz der deutschen Schreibgeschichte. Bei der hier diskutierten Textstelle aus der Rechtschreibdidaktik von Augst/Dehn hat man den Eindruck, daß sie die auf eine amtliche Norm versessene neuere deutsche Rechtschreibpraxis kabarettistisch aufs Korn nimmt. So viele Male "amtlich" in ein paar Druckzeilen kann in einer Äußerung emanzipatorischer 68er nicht ernst gemeint sein. Was aber nicht ausschließt, daß der Text ein paar Wahrheiten enthält, die er dem obrigkeitsgläubigen deutschen Schreibvolk vorhält.

Die Kernaussage betrifft die Rechtschreibkompetenz der Deutschen. Sie ist allgemein defizitär, weil sie nicht vollständig - wie andere sprachliche Teilkompetenzen - durch jahrelange Teilnahme an der schriftlichen Kommunikation erwerbbar ist. Alle Schreibungen der Alphabetschriften haben einmal phonographisch angefangen, sind dann aber vom Lautwandel überholt worden, so daß das Erlesen der Wortbilder durch Lautieren am Ende nur mit Schwierigkeiten gelingt. Diese Situation kennen wir vom Englischen und vom Französischen. Obwohl die Deutschen sich rühmen, das Volk des "Werdens" zu sein, hat sich bei uns der Lautwandel seit der Einführung des Buchdrucks und der von ihm bewirkten Fixierung der Schreibungen in Grenzen gehalten. Dafür haben wir Entwicklungen im Bereich der Groß- und Kleinschreibung und besonders bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, hier ausgelöst durch die nicht abgeschlossene Univerbierung. Während es in den Nachbarsprachen mit dem Erwerb der Einzwortschreibungen im allgemeinen getan ist, schwebt bei uns der nicht-segmentale Überbau darüber, der nur beim "Zusammenrücken" auch ein Pendant in der Aussprache hat. Aus dem Grunde gibt es bei uns Rechtschreibwörterbücher, die nicht nur die Schreibung seltener Wörter (besonders die Übernahmen aus anderen Sprachen) registrieren, sondern auch das geistreiche Spiel im Überbau. Es gibt nur wenige hochspezialisierte Sprachteilnehmer (Lektoren und Korrektoren), die über eine umfassende Rechtschreibkompetenz verfügen. Bei uns weniger Erleuchteten gibt es nur eine defizitäre Kompetenz. Wir können zwar Texte produzieren, die so aussehen, als könnten wir den wirklich kompetenten Schreibern das Wasser reichen, aber das ist eine Täuschung. In Wirklichkeit übernehmen wir aus dem die ungeschmälerte Kompetenz abbildenden Rechtschreibwörterbuch, woran es uns gebricht. Neuerdings geht das im Handumdrehen mittels des Rechtschreibprogramms auf dem Computer. Für die Schule und seine Behörden erklärt der Staat (bei uns) die vollständige Kompetenz für amtlich. Sie ist aber in der Schule nicht vollständig zu erwerben, weshalb der Rotstift des Lehrers eine wichtige Funktion als orthographischer Zuchtmeister hat. In der nichtweisungsgebundenen Öffentlichkeit übernimmt die Verachtung der Gebildeten für die defizitäre Schreibung der weniger Glücklichen diese Funktion. Das ist die wunderbare deutsche Rechtschreibwelt, die auf diesen Seiten klassisch genannt wird. Wenn das Übel einmal da ist, läßt es sich schwer wieder aus der Welt schaffen. Wenn abweichende Schreibungen (und seien sie noch so gut begründet) sich nur unter Umgehung des in der Sicht der staatlichen Norm eigentlich Üblichen in Texten verwirklichen lassen, hat die als sinnvoll erkannte Veränderung einer Schreibung nur geringe Chancen, ins öffentliche Bewußtsein einzudringen. Normale Bürger haben im übrigen auch kaum das Zeug zum Rebellen. Der Staat, der bei uns amtlich für die Rechtschreibung zuständig ist, hätte theoretisch zwei Möglichkeiten, um sein Schreibvolk aus dem Dilemma der defizitären Kompetenz herauszuführen. Er könnte in einem Toleranzedikt anregen, daß nun jedermann das Recht habe, nach seiner Intuition zu schreiben - vielleicht mit dem Hinweis auf die hohe Belletristik, von der man etwas lernen könne. Die andere Möglichkeit wäre eine Rechtschreibreform, die einen Kern an traditionellen Schreibungen der Funktionstüchtigkeit der Rechtschreibung wegen für alle verbindlich erklärte, das geistreiche Spiel mit dem orthographischen Überbau aber in die Wahlfreiheit entließe. Die Rechtschreibwörterbücher, die sich dann nur "halbamtlich" nennen könnten, würden also Varianten aufführen, wo immer der einzelne Schreiber seiner persönliche Präferenz folgen möchte. Ich will hier nicht das umstrittene Wort Demokratie bemühen, aber daran erinnern, daß der Reserveoffizier Conrad Duden gewiß eine Pickelhaube auf seinem Schlafzimmerschrank stehen hatte. Höre ich was von Krethi und Plethi? Man vergesse nicht, daß das die Elitetruppe des großen Königs David war - vor dreitausend Jahren.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.07.2007 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9457

Germanist: Kann man die Kommasetzung überhaupt descriptiv regeln? (Die jetzige verlangsamt das Zeitunglesen.) Müssen da nicht wirklich bestimmte Regeln eingehalten werden, damit ein Satzgebilde schnell erfaßt werden kann?

Die Anmerkung in Klammern ist unlogisch, weil die "jetzige Regelung" insgesamt gerade nicht deskriptiv sein wollte, sondern in obskuren Verhandlungen zwischen den Reformern ausgeheckt wurde, die jeder für sich ihre Lieblingsvorstellungen durchsetzen wollten. Das Komma nach "Fragezeichen/Ausrufezeichen plus hinteres Anführungszeichen" war unüblich und wäre deshalb von einem deskriptiv vorgehenden Wörterbuchmacher nicht zur Regel gemacht worden. Germanist meint wohl die größere Beliebigkeit der Kommasetzung in den reformierten Regeln, und diese entspricht (zufällig) tatsächlich der unbeholfenen Kommasetzung, die herauskommt, wenn man Texte von beliebigen Schreibern als Maßstab nimmt.

Auch die Frage Müssen da nicht wirklich bestimmte Regeln eingehalten werden ...? ist nicht sinnvoll, denn auch der deskriptiv vorgehende Wörterbuchmacher formuliert Regeln (Professor Ickler hat sie sogar als Paragraphen dargestellt.)

Also, kann man die Kommasetzung überhaupt deskriptiv regeln? Die Antwort ist: Ja! Aber in diesem Bereich zeigt es sich, daß es nicht sinnvoll ist, Texte von Hinz und Kunz auszuwerten, sondern nur Texte von guten Schreibern. Ich habe das Qualitätsorientierung genannt. Diese muß hinzukommen, damit das Wörterbuch keine verwirrende Auflistung von Varianten ist, sondern eine Anleitung zum guten Schreiben. Diese wollen die Benutzer schließlich haben.

Die Kunst des Wörterbuchmachers besteht darin, eine sinnvolle, sachgerechte, "verbraucherfreundliche" Auswahl aus der Fülle der Varianten zu treffen und den Regelteil verständlich und gut lernbar zu formulieren. Wenn er sich an Texten von guten Schreibern orientiert, ist die Auswahl der Varianten schon zu einem großen Teil gelungen.

Bei der Kommasetzung ist die Aufgabe der Regelformulierung recht anspruchsvoll, da reichen zwei, drei Faustregeln nun einmal nicht aus – da hat Germanist recht.

Man kann übrigens verschiedene Wörterbücher machen, Professor Ickler hat das gerade auch noch einmal gesagt. Ein Wörterbuch (mit Regelteil natürlich) für Schüler kann die wichtigsten Regeln enthalten, ein Wörterbuch für Profis und anspruchsvolle Benutzer wird mehr ins Detail gehen und kann (zum Beispiel bei der Kommasetzung) mehr Regeln enthalten, damit auch seltene Fälle und schwierigere Fragen der Benutzer beantwortet werden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.07.2007 um 00.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9456

Ich möchte Herrn Strasser fortsetzen: Kinder sollen lernen, Gedanken in ganze Sätze zu bringen und sie in ganzen Sätzen zu formulieren. Beim Lesen soll man nicht nur statt einzelner Buchstaben ganze Wörter erkennen, sondern den Sinn von ganzen Sätzen. Oft braucht es auch ein ganzes Satzgefüge aus Hauptsatz und Nebensätzen, um einen Gedanken vollständig zu formulieren und beim Lesen richtig wiederzuerkennen. Deswegen müssen Satzgefüge mittels Satzzeichen so gegliedert werden, daß der Sinn des ganzen Gefüges schon beim einmaligen Lesen leicht erkennbar ist. Seien wir dankbar, daß das im Deutschen besser geregelt ist (war) als in anderen Sprachen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.07.2007 um 23.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9455

Besonders einfach macht man es sich mit Ausweichmanövern. Um den „amtlichen Charakter" des Dudens und um „Regeln im sprachwissenschaftlichen Sinne" geht es im Text von Augst/Dehn nicht. Vielmehr wird die seltsame These aufgestellt, nicht die Regeln selbst seien „amtlich bindend", sondern das Resultat ihrer Anwendung. Die sich zuständig dünkenden Minister haben aber nicht den wolkigen Komplex „neue Rechtschreibung" zur Norm erhoben, sondern ganz konkret das Regelwerk samt Wörterverzeichnis. Dieses beansprucht normative Geltung; alles andere wäre juristisch abwegig. (Daß die Schule nicht den Wortlaut der Regeln vermitteln muß, versteht sich; nicht anders verfährt die Fahrschule mit den Paragraphen der StVO.) Übrigens folgt aus der Geltung von Regelwerk und Wörterverzeichnis, daß die Orthographie von Wörtern, deren Schreibung weder unmittelbar dem Wörterverzeichnis entnommen noch mittelbar aus den Regeln abgeleitet werden kann, bis auf weiteres nicht normiert ist.

(Die Schreibung Portrait war im Ur-Wörterverzeichnis von 1901 aufgeführt.)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.07.2007 um 22.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9454

Vielleicht hilft folgende Klärung: Nicht das Erfassen und Darstellen der Schreibwirklichkeit ist demokratisch (sondern das ist ganz normale wissenschaftliche Routine). Das Verfassen des Wörterbuchs ist eine Dienstleistung, das hat mit Demokratie auch nichts zu tun. Als "demokratisch" im Vergleich zur Rechtschreibreform und auch im Vergleich zum Duden vor der Reform möchte ich das Prinzip bezeichnen, daß das Wörterbuch möglichst die Schreibwirklichkeit darstellen sollte. Wenn der Verfasser dieses Prinzip wählt, geht die Autorität der "Vorgaben" im Wörterbuch nicht von ihm aus. Er erfindet nichts, er drängt niemandem etwas auf, er schreibt nichts selbst vor. Das Volk bekommt eine Anleitung aus seinen eigenen Reihen.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 11.07.2007 um 22.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9453

Wenn ich den Schrifterwerb analysiere, komme ich zu folgendem Bild:
Zuerst lernt der Mensch sprechen, lange bevor er weiß, daß es Schrift überhaupt gibt. In dieser Phase beginnt er, die typischen Anwendungsmuster der Sprache durch Nachahmung zu lernen (Basiswortschatz, Fälle, Personen, Zeiten, ...). Bevor er zu schreiben beginnt, übt er diese Grundlagen bereits ausgiebig.
Wenn er dann zum Schreiben kommt, geht's eigentlich nurmehr darum, ohnehin bekannte Dinge wie Wörter und Sätze zu Papier zu bringen. Dazu ist natürlich Voraussetzung, daß das Alphabet in allen Richtungen beherrscht wird (welche Buchstaben gibt es, wie sehen sie aus, wie klingen sie, welcher Buchstabe entspricht welchem Klang). Das zu erlernen, dauert natürlich eine gewisse Zeit. Kennt er dann die Buchstaben, beginnt er zu lesen. Von da weg startet die Leseerfahrung; einprägen, wie Wörter aussehen. Er beginnt also nach und nach, nicht mehr einen Buchstaben nach dem anderen zu lesen sondern ganze Wörter auf einmal. Parallel dazu geht's auch ans eigentliche Schreiben. Er stellt nun fest, daß in einigen Fällen die Schreibung, die er intuitiv aufgrund seines Sprachklanges gewählt hat, nicht mit der Schreibung anderer übereinstimmt. Er wird ausgebessert. Dieser Prozeß setzt sich jetzt über mehrere Jahre fort und führt dazu, daß die Geläufigkeit, eigene und angesagte Texte zu schreiben, stetig steigt.
Parallel dazu werden 'Wortartkunde' und 'Regeln' vermittelt, die unterstützen sollen, die Schreibsicherheit zu erhöhen.
Und da gibt's m. E. eigentlich nur 3 grundsätzliche Regeln:
1. Satzbeginn und wirkliche Satzgegenstände schreibt man groß, alles andere klein.
2. Kombinationswörter, die eine integrierte Bedeutung im Verständnis des Schreibers haben, werden zusammengeschrieben, separate Bedeutungen werden einzeln aneinandergereiht (Einzelwörter, Wortgruppen). Zweifelsfälle können so oder so geschrieben werden.
3. Überall dort im Satzinneren, wo 2 Wörter bedeutungsmäßig nicht glatt aneinanderpassen (im Sinne einer geschmeidigen Textaussage), wird zur Gliederung und Steigerung der Verständlichkeit ein Beistrich gesetzt.
Alles andere ist entweder untergeordneter Kleinkram (der kaum Schwierigkeiten bereitet) oder es gehört in den Bereich 'wie sehen Wörter aus' bzw. 'wie sehen Markierungen aus', und das ist Leseerfahrung, Training und im Zweifelsfall ein Blick in ein Wörterbuch.
Amtliche Regelwerke mit zahllosen Einzelregeln kommen in meiner Analyse jedenfalls nicht vor.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.07.2007 um 22.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9452

Kann man die Kommasetzung überhaupt descriptiv regeln? (Die jetzige verlangsamt das Zeitunglesen.) Müssen da nicht wirklich bestimmte Regeln eingehalten werden, damit ein Satzgebilde schnell erfaßt werden kann?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 11.07.2007 um 22.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9451

Was heißt denn überhaupt "demokratisch" im Zusammenhang mit Arbeitsteilung? Soll etwa auch die Herstellung von Waren oder das Anbieten von Dienstleistungen "demokratisch" erfolgen? Sollte es nicht so sein, daß derjenige etwas herstellt oder anbietet, der es am besten meint zu können? In der freien Marktwirtschaft wird sich dann schnell herausstellen, was gut ist und ankommt, denn dort sollte auch der Kunde frei sein, zu wählen, was ihm zusagt. Er wird vom Meister kaufen, nicht vom "demokratisch" sich anbiedernden Stümper.
Ein "demokratisches" Wörterbuch: was sollten wir uns darunter vorstellen? Etwa das Geschreibsel von Krethi und Plethi im Internet?
Die Diskussion um "Demokratie" beim Wörterbuchmachen ist unsinnig. Tatsächlich undemokratisch ist hingegen die Einführung des künstlichen Machwerks - das sind zwei verschiedene Schuhe.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 11.07.2007 um 22.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9450

Als die Kultusminister die entsprechende Umsetzung im Wörterverzeichnis für amtlich erklärten, vollzogen sie also im Grunde eine echte Rechtschreibreform.

Gewiß nicht. Es wurde (aus welchen Gründen auch immer) ein auf dem Markt befindliches und sehr weit verbreitetes Wörterbuch als maßgeblich für die Korrektur in Schulen erklärt, sonst nichts. Wenn die Deutschen danach (und vielleicht schon zuvor) glaubten, der Duden sei "Gesetz", so sagt das möglicherweise mehr über deutsche Eigenarten als über die Rechtslage aus. Und die Behauptungen von der "Maßgeblichkeit" des Duden kann man unter "Marketing" verbuchen.

Es ist geradezu lächerlich, daß die in jeder Hinsicht unmögliche Schreibung "Porträt" bindende Norm ist, während die mit sprachlicher Bildung zu assoziierende Schreibung "Portrait" ausgeschlossenen wird.

Duden 1980 und 1986 (andere habe ich nicht zur Verfügung) geben sowohl Portrait als auch Porträt an, wobei Portrait als veraltet bezeichnet wird. Das Lemma ist jedoch Portrait, nicht Porträt.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 11.07.2007 um 21.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9449

Reinhard Markner macht es sich mit dem gewiß auf den ersten Blick anstößigen Text von Augst und Dehn (an dieser Stelle vermutlich nur von Augst) zu leicht. Zu allen Zeiten beruhte der amtliche Charakter des Duden darauf, daß er im Vorwort versicherte, sich an die Rechtschreibregelung von 1901 zu halten. Um 1955 hatten die eigenen Dudenregeln diese Vorlage nicht nur präzisiert, sondern nicht unerheblich ergänzt. Als die Kultusminister die entsprechende Umsetzung im Wörterverzeichnis für amtlich erklärten, vollzogen sie also im Grunde eine echte Rechtschreibreform. Regeln im sprachwissenschaftlichen Sinne hängen nicht von der einmal gewählten Formulierung ab. Im Fremdsprachenunterricht fördert man die häufige Umformulierung schon deshalb, um die Verselbständigung der Regeln unter Verlust des Bezugs auf die Sprachwirklichkeit zu vermeiden. Professor Eisenbergs kürzliche "Umtextierung" liegt ganz auf dieser Linie.

In der Sache legen Augst und Dehn den Finger auf ein Problem, das bei uns bisher keine Beachtung gefunden hat: Eine sprachliche Teilkompetenz, die der Stützung durch Bewußtmachung oder externe Hilfe bedarf, ist defizitär. Jeder kompetente Sprecher des Deutschen ist in der Lage, wie die Mönche vor über tausend Jahren einen von ihm gedachten oder gesprochenen Text von der Lautform in die Schriftform umzusetzen. Ob er dabei aber immer die Schreibungen trifft, die auf den verschiedensten Wegen im Laufe der Schreibentwicklung kanonisiert wurden, ist die andere Frage. Problematisch ist also nur die Rechtschreibkompetenz, nicht dagegen die eigentlich zugrunde liegende Schreibkompetenz. Dies wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht die staatliche verordnete Schreibnorm zum Teil wenigstens das Ergebnis erstaunlicher Zufälligkeiten wäre, was ihr aber in ihrem Anspruch keinen Abbruch tut, die eigentlich prestigiöse zu sein. Wir haben ja gerade einige Fälle vorgeführt bekommen. Es ist geradezu lächerlich, daß die in jeder Hinsicht unmögliche Schreibung "Porträt" bindende Norm ist, während die mit sprachlicher Bildung zu assoziierende Schreibung "Portrait" ausgeschlossenen wird. Wir sollten die offene Krise der deutschen Rechtschreibung, die das eigentliche Ergebnis der in jeder Beziehung mißratenen Rechtschreibreform ist, positiv sehen: Sie schafft die Voraussetzungen für ein kollektives Nachdenken darüber, was an einer staatlich verordneten Rechtschreibung grundsätzlich inakzeptabel ist, und wie aus der jetzigen orthographischen Situation mit ihren Spannungen und Widersprüchen ein Konsens der Schreiber erwachsen könnte, der auch für die vielen offenen Teilprobleme zu praktikablen Lösungen führt.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.07.2007 um 21.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9448

Wir haben die Rechtschreibreform oft als diktatorisch bezeichnet, mit Recht. Das betrifft nicht nur die Art der Durchsetzung, sondern auch den Inhalt: Ein paar Leutchen denken sich bisher unbekannte Schreibweisen und Regeln aus und versuchen, diese dem Rest der Welt aufzunötigen. Im Vergleich dazu nimmt sich die Methode von Professor Ickler nun wirklich demokratisch aus: Es wird als Empfehlung angeboten, was ohnehin üblich ist. Die Richtschnur ist so gewählt, daß sie dem mehrheitlichen Wunsch der Benutzer entspricht. Aber wenn Professor Ickler dieses Prädikat selbst nicht angeheftet bekommen möchte, dann seien wir eben zurückhaltend mit dieser Bewertung. Vielleicht liegt es daran, daß die ebenfalls vorhandene Qualitätsorientierung hierzulande schnell in den Verdacht des Elitären, Herablassenden oder Autoritären gerät. Kaum hat man sich am Demokratischen der Methode erfreut, müßte man sich sogleich mit dieser zweiten Debatte herumschlagen, wie es hier gerade geschieht. Vielleicht ist es tatsächlich besser, auf diese ideologischen Kategorien zu verzichten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2007 um 20.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9447

Es ist mir nicht möglich, auf so unbestimmte Vorwürfe ("Herumreiten", "Ersatzbefriedigung" usw.) einzugehen. Ich sehe auch keinen Zusammenhang zwischen "deskriptiv" und "demokratisch". Ein Rechtschreibwörterbuch ist eine Dienstleistung. Ich habe die Textsorten zugrunde gelegt, die nach meiner Ansicht die öffentlich wirksamsten sind. Man schreibt so, wie man es liest, und man liest am meisten Zeitungen, dazu auch Sachbücher verschiedener Art. Das ist meine Arbeitsgrundlage. Wer anders schreiben will, kann es doch ohne weiteres tun. Man kann sich auch sein eigenes Wörterbuch machen, nur zu!
Niemand hat versucht, von der Deskription zum Sinn und Zweck der Orthographie zu kommen. Am Beginn meiner Arbeit stand die Definition: Rechtschreiben heißt schreiben wie die anderen. Wie die anderen schreiben, ist dann empirisch erfaßt worden. Natürlich nicht beliebige andere, sondern nur die, nach denen sich der Wörterbuchbenutzer richten möchte. Das alles ist tausendmal gesagt worden. Ich verstehe nicht, warum immer wieder Buhmänner aufgebaut und dann mit großem Trara umgestoßen werden. Welche konkrete Lösung in meinem Wörterbuch geht denn tatsächlich an den Wünschen und Bedürfnissen eines Benutzers vorbei? Bisher haben sich fast alle Benutzer sehr zufrieden gezeigt. Einige Schwächen und Fehler des Anfangs (nicht alle, eine Neuauflage wäre im Augenblick zu teuer, etwa 50 Seiten liegen in Neufassung vor und werden vielleicht irgendwann einmal ausgetauscht) sind in jahrelangen Diskussionen ausgebessert worden.

Mir geht übrigens das Versteckspiel mit den Decknamen allmählich auf die Nerven, und ich werde mich in Zukunft nur zu Klarnamen äußern. Man kommt sich ja vor, als säße man mit Vermummten an einem Tisch. Das ist hierzulande nicht der Brauch.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.07.2007 um 18.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9446

Vielen Dank, Herr Metz für die Eintragung der Verweise. An die Redaktion: Könnte man die nicht klickbar machen?

Zum Beitrag verfaßt von Wolfram Metz am 10.07.2007 um 14:16 Uhr

Ich stimme Ihrem Beitrag im wesentlichen zu.

''Ich gestehe, daß ich mit der Kategorie „Demokratie“ im Zusammenhang mit der Rechtschreibung wenig anfangen kann; ich werde hellhörig, wenn jemand sie in die Debatte einführt. Gewiß, die Sprache gehört dem Volk. Und weiter? Schon ihre Beschreibung gehört ihm nicht mehr, die überläßt es vernünftigerweise den Experten, wie es die Verwaltung seines Vermögens an Menschen und Institutionen delegiert, die davon etwas verstehen. Man kann die ebenso autoritär-bornierte wie ignorante und teilweise dreiste Art, in der die Reform durchgepaukt wurde, scharf mißbilligen, ohne für radikaldeskriptive Methoden einzutreten. . . . Die Wirklichkeit ist komplizierter. Wie soll der Gegenentwurf zu dem, was nun ist, konkret aussehen? Wer soll was beobachten und nach welchen empirischen Methoden und mit welchem Anspruch dokumentieren? Hätte es überhaupt Sinn, den aktuellen Schreibgebrauch akribisch in einem Wörterbuch festzuhalten, wenn sich die Orthographen, aus verschiedenen Gründen, die Frage nach den jeweiligen Motiven der Schreiber versagen? Und woher sollen die Handelnden bei alledem ihre Legitimation beziehen? Wieviel wäre gegebenenfalls das Mandat eines weithin uninteressierten Souveräns wert? Wo im komplizierten Beziehungsgeflecht zwischen Demokratie, Bürokratie und Expertokratie soll sie angesiedelt sein, die Rechtschreibung, die an unseren Schulen gelehrt wird? Noch steht er nicht, der überzeugende Gegenentwurf zu dem, was ist.''

Dies alles sind wichtige Fragen, die hier in diesem Forum gerne zugunsten der ''demokratischen'' bzw. deskriptiven Prinzips unter dem Tisch gekehrt werden. Natürlich, letztlich sollte nur das als in einem Wörterbuch verzeichnet werden, was in der Sprachgemeinschaft als üblich angesehen wird. Aber ''üblich'' ist ein schwammiger Begriff. Es dürfte auch schwierig werden, einen Gegenentwurf zu finden. Das Herumreiten auf dem deskriptiven Prinzip, so wie es hier praktiziert wird, führt dabei zu keinen akzeptablen oder durchführbaren Lösungen. Es ist nur eine ''Ersatzbefriedigung'' für die hier in Deutschland nie richtig funktionierende Demokratie. Die Argumente von Herrn Ickler, Herrn Wrase und (zu einem kleinen Teil) auch von Herrn Jochems (dieser ist mir etwas zu extrem), sind zwar stichhaltig, decken aber die Problematik nicht vollständig ab.
Letztlich ist (die klassische) Rechtschreibung -- wiewohl über Jahrhunderte gewachsen -- ein von Menschen für Menschen zu bestimmten Zwecken geschaffenes Gebilde. Einer davon ist die moglichst problemlose Kommunikation, sei es nun über räumliche oder zeitliche Distanzen. Um zu einem praktikablen Gegenentwurf zu kommen müssen wir von dem von einer Rechtschreibung intendierten Zwecken ausgehen, die Anwendung des deskriptiven Prinzip ist dann nur eine sinnvolle Folge. Umgekehrt, also von Deskription ausgehend zu Sinn und Zweck zu kommen, ist nicht möglich. Es ist -- mit Verlaub -- ziemlich naiv zu glauben, in einem so heterogenen sprachlichen Umfeld wie der deutschen Sprache nur durch Sprachbeobachtung einen optimalen für alle akzeptablen Rechtschreibstandard zu finden. Herr Prof. Ickler konnte einen finden, weil ein solcher Standard bereits bestand, als Folge von jahrzehnte- bzw. jahrhundertelanger Sprachpflege. Da er nur bestimmte Textsorten beachtet, definiert er damit einen von vielen möglichen Bezugspunkten. Damit kann man die ''ortohgraphische Distanz'' z. B. der klassischen Rechtschreibung oder der Reformschreibung zur ''Icklerschen Rechtschreibung'' messen. Es wäre natürlich genauso möglich, andere Textsorten oder Mischungen von Textsorten zu wählen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.07.2007 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9445

Auch der wohlmeinende Übersetzungsversuch kann den Text von Augst/Dehn nicht retten. Erstens bleibt in ihm außer acht, daß es von 1955 bis 1996 in Deutschland kein amtliches Regelwerk und/oder Wörterverzeichnis gab. Zweitens ist eine Norm, die im Unterschied zum Resultat ihrer Geltung nicht selbst „amtlich bindend“ sein soll, natürlich ein Unding. Diese kuriosen Ausflüchte sollten möglicherweise die von den Reformern selbst erkannten, aber unbehoben gebliebenen Mängel der Regeln von 1996 überspielen helfen. Im Regelwerk selbst haben sie keine Grundlage.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.07.2007 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9444

Sehr geehrter Herr Wrase, auch wenn wir sonst oft nicht einer Meinung sind, ihrem Beitrag vom 09.07.2007 um 00:23 Uhr stimme ich im wesentlichen zu, besonders folgender Passage:

\'\'Noch schlimmer finde ich die Gleichmacherei in der darauffolgenden Behauptung.

Wenn ein Täter . . . einem Opfer Demütigungen, Verletzungen, Schmerzen zufügt und das Opfer beißt und kratzt, um sich zu wehren, dann macht bei oberflächlicher Betrachtungsweise das Opfer keine gute Figur, keinen souveränen Eindruck. Ist das ein Grund, Täter und Opfer in einen Topf zu werfen? Professor Jochems meint: \"Beide Parteien sehen geben ein schlechtes Bild ab.\" Ich finde jene Psychologen abartig, die jede Aggression mit vermeintlicher Weisheit so beurteilen: \"An einem Streit sind immer zwei Seiten beteiligt.\" Diese Mahnung pflegen sie an das protestierende Opfer zu richten, damit dieses seine Reaktion überdenken möge. Solche Kommentare erzeugen Empörung oder Verbitterung. Sie sind eine erneute Demütigung des Opfers.\'\'

Sie sprechen hier vermutlich die Mobbing-Problematik an. Abgesehen von Ihrem Beitrag war mir nie verständlich, warum ein Opfer, das sich wehrt, keinen souveränen Eindruck machen sollte. Was soll es denn sonst tun? Die andere Backe hinhalten? So was wäre nur sinnvoll, wenn beide Seiten einen minimalen Respekt voreinander hätten. Dies ist aber in so einer Situation nicht gegeben, denn sonst bestünde diese Situation ja nicht. Der bzw. die Täter wollen nur ihre Macht auskosten, das gilt für diejenigen, die Mobbing betreiben, genauso wie für die Rechtschreibreformer, im Falle letzterer mit staatlicher Unterstützung. Natürlich darf man als Täter nicht zu weit gehen, sonst gerät man in die Gefahr, als das erkannt zu werden, was man tatsächlich ist: als der eigentliche Angreifer, der Aggressor. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja -- zumindest was die Rechtschreibreform angeht -- die Grenze gezogen, wie weit man gehen darf. Dem Opfer, das sich wehrt, dem kann man aber immer die Überschreitung des Notwehrparagraphen vorwerfen. Dieser Paragraph ist menschen- und insbesondere opferverachtend!

Ich spreche hier aus eigener bitterster Erfahrung außerhalb des Reformszenarios. Auf dieses übertragen war unsere Reaktion als Reformgegner ziemlich milde und auch berechenbar. Es gab Volksentscheide, Gerichtsverfahren und dergleichen, auch diverse Einzelaktionen, aber bewirkt haben wir relativ wenig. Wir sind das \'\'gute\'\' Opfer, das sich alles gefallen läßt, um des lieben Friedens willen. Unsere Möglichkeiten, etwas daran zu ändern sind äußerst gering. So soll es auch sein. Doch während man zumindest auf dem Gebiet der Wirtschaft mittlerweile erkannt hat, daß Mobbing den betroffenen Firmen finanziellen Schaden zufügt und daher -- soweit ich gehört habe -- diese Praktiken dort auch gerichtlich geahndet werden können, ist das in bezug auf die Rechtschreibreform -- obwohl der wirtschaftliche Schaden offensichtlich ist -- nicht zu erwarten.

Das mit der \'\'erneuten Demütigung des Opfers\'\' sehe ich auch so, ich nenne die Leute, die so etwas tun, schon seit langem Moralgeier. Das sind nicht nur Psychologen, sondern auch Moralisten gleich welcher Couleur, besonders aber Christen, welche meinen, das Leben, d. h. das körperliche Schnaufen, vergötzen zu müssen. Sie schauen zu, wie jemand fertiggemacht wird (neudeutsch: gemobbt wird), ergötzen sich daran oder ignorieren die Taten oder schauen weg (Wegschaupädagogik, man ginge ja ein Risiko ein, wenn man eingreifen würde), aber wenn sich das Opfer wehrt, beginnen sie, sich über dieses moralisch zu entrüsten. Diese Leute sind wie Geier, die warten, bis ihre Stunde gekommen ist, um sich dann auf das Opfer zu stürzen.

In einer Gesellschaft wie der unseren wird das Opfer, das sich wehrt, zum Täter gestempelt, es erfolgt also eine Vertauschung von Täter- und Opferrolle, ungeachtet dessen, daß sich das eigentliche Opfer nur verteidigt. Es wird so getan, als ob eine Verteidigungshandlung ein schlimmeres Verbrechen wäre als die zumeist grundlose, aber absichtsvolle Aggression des Täters. Vom Opfer aber verlangt man in der oft von einer Sekunde zur anderen entstehenden Mobbingsituation einen kühlen Kopf, moralisch richtiges Verhalten, Gewaltlosigkeit, die Befolgung der Gesetze usw. Dies ist pure Heuchelei. Es hat aber meines Erachtens auch etwas mit einem staatlichen Monopol zu tun: dem Gewaltmonopol.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 11.07.2007 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9443

Google hat Herrn Ebersberg richtig beraten: Der Text stammt von Professor Augst und der anstelle von Professor Munske in die Zwischenstaatliche Kommission berufenen Professorin Dehn, und zwar aus dem Jahre 1998. Ich habe einige unmarkierte Auslassungen vorgenommen und die Orthographie rücktransformiert. Meine Paraphrase der Einzelaussagen und mein Kommentar zum Gesamttext lauten folgendermaßen:

Ist sonst für alle sprachlichen Theorien der sprachlich kompetente Erwachsene das Maß aller Dinge, so ist es in der Rechtschreibung das amtliche Regelbuch.
Die Sprachwissenschaft verfährt induktiv, d. h. sie beschreibt die muttersprachliche Sprachkompetenz von Erwachsenen, die sie aus deren Texten ableitet. Das trifft nicht auf die Rechtschreibung zu. Ihre präskriptiven Regeln ergeben sich in Deutschland und in Österreich aus dem entsprechenden amtlichen Regelbuch, das seinerseits die staatliche Rechtschreibregelung von 1901 fortschreibt. Diese Regeln sind zwar zum größten Teil ebenfalls induktiv gewonnen, haben aber staatlich legitimierte Gremien durchlaufen, die im Einzelfall Veränderungen vorgenommen haben, und verdanken ihre Verbindlichkeit einzig und allein der staatlichen Regelungsbefugnis in Rechtchreibfragen.

Ja, der Schreiber selbst kann und darf sich im kritischen Entscheidungsfall nicht trauen, auch er muß im amtlichen Regelbuch oder in einem daraus abgeleiteten Rechtschreibwörterbuch nachschlagen.
Der einzelne Schreiber entwickelt zwar induktiv anhand von normgerecht geschriebenen Texten eine orthographische Kompetenz, die aber in seiner Schreibpraxis nicht ausreicht. In kritischen Fällen vertraut er am besten nicht seiner Intuition oder bildet analog zu bekannten Schreibungen die im gegebenen Kontext bislang ungeläufige, sondern bildet diese Schreibung, sofern er dazu in der Lage ist, nach Konsultation des amtlichen Regelbuchs, am besten aber schlägt er gleich im amtlichen Rechtschreibwörterbuch nach.

Genauer formuliert: Der Schreiber muß nicht den einzelnen amtlichen Regeln folgen, es bleibt ihm überlassen, wie er das macht. Nur das Resultat, die normierte Schreibung, ist amtlich bindend.
Die Formulierung im amtlichen Regelwerk ist jedoch nur eine von vielen ebenfalls möglichen, um zu der amtlichen Schreibung zu gelangen. Nur diese ist verbindlich. Mit ihrer Benutzung führt der Schreiber andererseits nicht unbedingt den Nachweis einer entwickelten orthographischen Kompetenz.

Deshalb müssen in der Schule auch nicht die (amtlichen) Regeln gelehrt werden. Entscheidend ist die richtige amtliche, normgerechte Schreibung!
Dem Rechtschreibunterricht der Schule steht es frei, wie er die Schüler zur jeweils geltenden amtlichen Norm führt. Entscheidend ist lediglich, daß die Schüler ausschließlich Schreibungen nach der von den staatlichen Stellen autorisierten Norm erwerben.

Wir können daher bei der Beherrschung der Rechtschreibung ein unbewußtes Rechtschreibkönnen durch Eigenregeln von einem bewußten Rechtschreibwissen durch linguistische, didaktische und durch die amtlichen Regeln unterscheiden. Das Rechtschreibwissen kann der Schreiber z. B. aufrufen, wenn er unsicher wird.
Die in geschriebenen Texten zum Vorschein kommende Beherrschung der Rechtschreibung hat zwei Quellen: Zum einen beruht sie auf einer echten orthographischen Kompetenz, d. h. auf der Reproduktion von eingeprägten Schreibungen und der unbewußten Anwendung von sonstigen orthographischen Gepflogenheiten. Zum anderen aber zeigt sich darin das Vermögen, durch bewußten Rückgriff auf Regeln und Wörterbücher die vorhandenen Kompetenzlücken zu füllen.

In dem Modell zur schriftlichen Textproduktion gibt es die Instanz des Überarbeitens. Dies ist ein bewußtes Arbeiten am Text, um u. a. Schreibfehler aller Art zu korrigieren und so die intendierte Schreibwirkung zu erhöhen. Geht es dabei um die Rechtschreibung, so ist hier vor allem Rechtschreibwissen gefragt, da der Schreiber im Zweifelsfall ja gerade nicht mehr seiner inneren Intention, seinem Sprachgefühl, d. h. aber auch nicht mehr seinen inneren Eigenregeln der Rechtschreibung, folgen kann.
Anders als beim mündlichen Sprachgebrauch ist es beim Schreiben generell möglich, das Resultat einer bewußten Überprüfung zu unterziehen. Dies empfiehlt sich schon deshalb, weil die Wirkung des Textes auf den Empfänger nicht unwesentlich davon abhängt, ob der Verfasser sein Vermögen einer normgerechten Textgestaltung nachweisen kann. Dies gilt besonders für die orthographischen Normen. Dieser zweite Arbeitsschritt bei der Textproduktion hängt fast ausschließlich von der Benutzung der über die eigentliche Kompetenz hinausgehender Wissensbestände bzw. Fertigkeiten ab.

Was Augst/Dehn hier beschreiben, ist die deutsche Rechtschreibpraxis seit 1880 bzw. 2001. Sie decken schonungslos auf, wie die klassische deutsche Rechtschreibung funktioniert hat und wie die reformierte deutsche Rechtschreibung weiterhin funktionieren soll. Der Hinweis auf die gesellschaftlichen Implikationen des normgerechten Schreibgebrauchs gilt zwar nicht ausschließlich für die deutschsprachigen Länder, zeigt aber doch eine Tiefenschicht der deutschen Rechtschreibproblematik, die in der weiteren Diskussion nicht übersehen werden sollte. "Porträt" und "brillant" sind zwar Randphänomene, an denen sich aber exemplarisch zeigen läßt, auf welches Niveau die von Traditionalisten wie von Innovatoren akzeptierte staatliche Rechtschreibhoheit abgesunken ist.

 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 11.07.2007 um 15.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9442

Wie geht nochmal dieses Kinderspiel mit dem Plumpssack?
 
 

Kommentar von T.P., verfaßt am 11.07.2007 um 14.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9440

Zu Herrn Adelung und Herrn Wrase:
Gerade habe ich entdeckt, daß ich nun im Besitz des "Sacks" bin.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 11.07.2007 um 13.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9439

Th. Ickler: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=348#2137

W. Wrase: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2654
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.07.2007 um 13.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9438

Auch nachdem Augst endlich die Wiedereinsetzung „amtlicher“ Regeln politisch durchgesetzt hatte, verstand er offensichtlich nicht die Bedeutung seines Handelns. Schade, daß er seine Darlegungen nicht dem Bundesverfassungsgericht unterbreitete.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.07.2007 um 13.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9437

Sehr geehrter Herr Metz, könnten Sie bitte Verweise auf die entsprechenden Beiträge eintragen, so daß man nicht erst langwierig danach zu suchen braucht?

„Das private Schreiben“, so Professor Ickler am 21. Oktober 2005 auf diesen Seiten, . . .

''In einem aufschlußreichen Beitrag vom 7. Januar 2006 legt Herr Wrase dar, . . .''

Herr Wrase, warum dann das t am Schluß in Ihrer Schreibweise von Portrait, schließlich wird das ja nicht gesprochen? Da ist meiner Meinung nach die Übernahme der französichen Schreibung konsequenter als eine partielle Eindeutschung.

Vermutlich hätte ich 'brillant'' auch mit i hinter dem ll geschrieben und hätte mir keinerlei Gedanken darüber gemacht, ob es nun über das Englische ins Deutsche gekommen ist oder aus welcher Sprachstufe des Französischen es übernommen worden sein könnte. Wir schreiben ja auch ''Büro'' und nicht ''bureau'' und kein deutscher Muttersprachler spricht ''brillant'' genau so aus, wie es geschreiben steht. Irgendwann hören Fremdwörter auf, Fremdwörter zu sein, sondern werden in den Wortschatz integriert.

Zu Theodor Ickler am 10.07.2007 um 17:31 Uhr

''So könnte ich mir sehr gut denken, daß manche Wörterbücher schon die Stunde für "brilliant" gekommen sehen und andere nicht. Was ist dabei? Wir brauchen bloß selbständiger denkende Deutschlehrer.''

Dürfen die das?

Vielleicht wäre es besser, wenn man den Beamtenstatus von Lehrern abschaffen würde!

Zu Karin Pfeiffer-Stolz:

''Woran der Mensch ein Unbehagen hat, das meidet er. Von Fehlentscheidungen will er nichts wissen. Da kein Ausweg aus der verfahrenen Lage erkennbar scheint (und sich der Einzelne selbst als ohnmächtig begreift), verdrängt er das Problem und meint tatsächlich, alles werde schon ins Lot kommen, wenn man nur lange und intensiv genug wegschaue.''

Das mag sein, aber warum tun die meisten dann mit, wenn sie es doch im täglichen Leben selbst in der Hand haben, die bessere Alternative zu wählen, d. h. auf die herkömmliche Weise zu schreiben? Oder einfach zu den eigenen Fehlern (in der klassischen Orthographie bzw. in 'Reformorthogarphie'') zu stehen, statt die ''Rechtschreibkorrektur'' des benutzten Textverarbeitungsprogramms aufzurufen? Wenn sie Unbehagen vor der Reformschreibung haben, warum wenden sie (die Leute) diese dann an? Oder bezieht sich das Unbehagen vielleicht eher darauf, nicht ''up to date'' zu sein, nicht mit dem Strom zu schwimmen, selbst wenn absehbar ist, daß dieser alsbald in die Tiefe stürzt? (Dies wäre dann der Lemming-Effekt)

Aber wenn Menschen nicht mehr Fehlentscheidungen erkennen und bennenen können oder wollen, dann sind wir gezwungen, jeden Fehler immer wieder zu begehen, dann haben wir nichts aus unserer Vergangenheit gelernt, und das sind sehr deprimierende Aussichten für die Zukunft.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.07.2007 um 12.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9436

Das Argument müßte lauten: Mit einfachen Merksätzen kann man gut leben. Eine inhaltliche Veränderung des Merksatzes kann keine weitere Vereinfachung bringen, die Umstellung verursacht nur Kosten und Mühen.

Auch nach der Änderung kann man einen einfachen Merksatz erfinden, zum Beispiel: Trenne s von t, so wie Bauch von weh.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.07.2007 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9435

Zum Beitrag verfaßt von B. Ebersberg am 11.07.2007 um 08:41 Uhr

''Positivisten vergessen zu gern, Kontrollen zu installieren - warum auch, man hat ja die Gewaltenteilung! Die "checks and balances" unseres demokratischen Systems haben beim Großversuch R-Reform aber versagt oder wurden versagt. Ein sehr interessanter Fall, aber alle, die sich drum kümmern könnten, geben sich jetzt unbeteiligt oder unbetroffen; das ist das Interessanteste dran. Bei Tierversuchen z.B. sähe alles anders aus.''

Was die Kontrollen angeht, die man ''vergessen'' hat zu installieren, so wäre es peinlich, wenn diese, so es sie denn gäbe, das eigene Versagen offenlegen würden. Nun ja, es ist ja nur ein Großversuch mit menschlichen Kindern!
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.07.2007 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9434


Zum Beitrag verfaßt von David Konietzko am 10.07.2007 um 23:06 Uhr

''Das könnte auch daran liegen, daß man Rechtschreibkompetenz eher durch Lesen als durch Lernen von Regeln erwirbt. Von einer Handvoll Merksätzen wie „Substantive schreibt man groß“ oder „Trenne nie st, denn es tut den beiden weh“ abgesehen, vergißt man ja sowieso das meiste.''

Gerade deshalb sollte eine Reform, die vorgibt, Erleichterung zu schaffen, diese Merksätze und damit das, auf was sie sich beziehen, nicht reformieren bzw. abschaffen.

Ich kenne letzteres als ''Trenne nie st, denn es tut ihm weh.'' Allerdings weiß ich nicht mehr, ob dies nur eine eigene Umformulierung ist, vielleicht weil sich diese Formulierung besser reimt. Hier kommt aber die Einheit des st besonders zum Ausdruck.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 11.07.2007 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9433

An B. Ebersberg oder Herrn Jochems: Welche Note hat der Student denn für seine Arbeit bekommen? Er hat ja die übliche Sonderstellung der Rechtschreibung klar herausgearbeitet. Nun hätte die Frage doch nahegelegen, welchen Grund diese Sonderstellung hat. Der Student hätte darauf kommen können, daß es einen solchen Grund nicht gibt. Leider scheint er nicht den Mut zum Infragestellen des allgemein Hingenommenen gehabt zu haben. Sapere aude!
 
 

Kommentar von B. Ebersberg, verfaßt am 11.07.2007 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9432

Korrektur: die genannte Arbeit zitiert hier nur aus
Augst, Gerhard / Dehn, Mechthild :
Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht.
Können Lehren Lernen. Stuttgart. 1998
Dort steht das auf S. 50
Augst+Dehn stellen auf S. 26 die Frage "In welchem Verhältnis steht das Rechtschreiblernen zum Lesenlernen?"
beantworten sie aber weder, noch gehen sie auf den Zusammenhang mit dem gewohnheitsmäßigen Lesen, also nicht nur dem Lesenlernen, ein. Bei ihnen stehen ganz dominant die Regeln, und zwar die amtlich verordneten, im Vordergrund.
Daß solche Theorien z.B. für das Englische sicher nicht funktionieren, fällt auch keinen auf. Da kommt es ganz entscheidend auf das Nebenbei-Lernen beim Lesen an. (Englische, für das Schreibenlernen relevante Titel fehlen denn auch in der Bibliographie, genauso bei Augst und Dehn.)
 
 

Kommentar von B. Ebersberg, verfaßt am 11.07.2007 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9431

Das Zitat stammt aus "Zur Bedeutung von Rechtschreibbewusstheit im frühen Orthographieerwerb : Zwei Fallstudien im Vergleich", einer "schriftlichen Hausarbeit im Fach Deutsch" aus Bremen, 2001.
Mir scheint hier ein seltsames Verständnis von Amtlichkeit wie auch von den Mechanismen des Lernens vorzuliegen. Was man in der Arbeit aber vollkommen vermißt, ist die Bedeutung des Lesens, und zwar des ausgiebigen Lesens konistenter und qualitätvoller Texte, für das Rechtschreiblernen. Nichts anderes macht m.E. das Lernen leichter und hat dafür eine größere Bedeutung. Die Reform (in der Arbeit unreflektiert angewandt!) hat dieses einfachste und wirksamste Verfahren unmöglich gemacht. Für mich mit das schlimmste Resultat.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 11.07.2007 um 10.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9430

Die Diskussion der letzten Tage hat so viele interessante Beiträge produziert, daß ein detailliertes Eingehen darauf den auf dieser Webseite üblichen Rahmen sprengen würde. Ich mache daher den Vorschlag, den nachfolgenden anderenorts publizierten Text kritisch zu lesen und zu entscheiden, ob er zu den hier vorgetragenen Anschauungen paßt:

Ist sonst für alle sprachlichen Theorien der sprachlich kompetente Erwachsene das Maß aller Dinge, so ist es in der Rechtschreibung das amtliche Regelbuch. Ja, der Schreiber selbst kann und darf sich im kritischen Entscheidungsfall nicht trauen, auch er muß im amtlichen Regelbuch oder in einem daraus abgeleiteten Rechtschreibwörterbuch nachschlagen. Genauer formuliert: Der Schreiber muß nicht den einzelnen amtlichen Regeln folgen, es bleibt ihm überlassen, wie er das macht. Nur das Resultat, die normierte Schreibung, ist amtlich bindend. Deshalb müssen in der Schule auch nicht die (amtlichen) Regeln gelehrt werden. Entscheidend ist die richtige amtliche, normgerechte Schreibung!

Wir können daher bei der Beherrschung der Rechtschreibung ein unbewußtes Rechtschreibkönnen durch Eigenregeln von einem bewußten Rechtschreibwissen durch linguistische, didaktische und durch die amtlichen Regeln unterscheiden. Das Rechtschreibwissen kann der Schreiber z. B. aufrufen, wenn er unsicher wird. In dem Modell zur schriftlichen Textproduktion gibt es die Instanz des Überarbeitens. Dies ist ein bewußtes Arbeiten am Text, um u. a. Schreibfehler aller Art zu korrigieren und so die intendierte Schreibwirkung zu erhöhen. Geht es dabei um die Rechtschreibung, so ist hier vor allem Rechtschreibwissen gefragt, da der Schreiber im Zweifelsfall ja gerade nicht mehr seiner inneren Intention, seinem Sprachgefühl, d. h. aber auch nicht mehr seinen inneren Eigenregeln der Rechtschreibung, folgen kann.
 
 

Kommentar von B. Ebersberg, verfaßt am 11.07.2007 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9427

Positivisten vergessen zu gern, Kontrollen zu installieren - warum auch, man hat ja die Gewaltenteilung! Die "checks and balances" unseres demokratischen Systems haben beim Großversuch R-Reform aber versagt oder wurden versagt. Ein sehr interessanter Fall, aber alle, die sich drum kümmern könnten, geben sich jetzt unbeteiligt oder unbetroffen; das ist das Interessanteste dran. Bei Tierversuchen z.B. sähe alles anders aus.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 11.07.2007 um 08.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9426

David Konietzko:
»Das könnte auch daran liegen, daß man Rechtschreibkompetenz eher durch Lesen als durch Lernen von Regeln erwirbt. Von einer Handvoll Merksätzen wie „Substantive schreibt man groß“ oder „Trenne nie st, denn es tut den beiden weh“ abgesehen, vergißt man ja sowieso das meiste.«

Diese Aussage kennzeichnet das eigentliche Wesen der Schriftsprache. Als „organisch Gewachsenes“ (alle komplexen Systeme wachsen aus „unsichtbarer Hand“) wehrt sich Sprache gegen selektive, konstruktivistische Eingriffe. Wer sich dennoch daran versucht, verkennt den Charakter komplexer Systeme und maßt sich Wissen an, das ein einzelner Mensch nicht haben kann. Wir partizipieren an einem „kollektiven Wissen“, das aus dem Zusammenwirken aller Sprachteilnehmer entstanden ist. Dieses Wissen äußert sich in einem nicht näher zu definierenden „Sprachgefühl“, das sich gegen die künstliche Verletzung des Schriftsprachenkörpers vehement und ohne nachzulassen wehrt; selbst nach Jahren der Konfrontation mit Neukonstruktionen bestehen die Irritationen fort.
(In unserem Staat lassen sich übrigens Parallelvorgänge studieren: die Gesellschaftsingenieure und ihre Helfer, die Politiker, betrachten die Welt mit positivistischen (konstruktivistischen) Augen: der Mensch allein als Macher. Also kann er auch ändern, was ihm gefällt. Obwohl diese Konstrukteure der allumfassenden Machbarkeit ihr Scheitern ständig vorgeführt bekommen, erkennen sie es nicht als ein solches und verstärken ihre Bemühungen. Sich zu fügen in Demut vor der Erkenntnis, daß die Welt größer ist als der Mensch, kommt ihnen nicht in den Sinn. Schlimm ist, daß sie ihre konstruktivistische und vergewaltigende Weltsicht in Gesetze kleiden und somit alle unter ihrer Fuchtel lebenden Menschen zwingen, an ihrem Irrweg teilzuhaben ... Beklemmend ist, daß sich neuerdings auch Frauen in den Dienst der „Konstruktion der Welt“ stellen. Aufgrund ihrer biologischen Bestimmung haben Frauen einen sensibleren Bezug zum Wachsen und Werden insgesamt. Frauen, die sich von diesem inneren Gefühl des Bewahrens und Pflegens abwenden, sind humor- und emotionsarme Furien, sie wirken noch aggressiver und daher furchterregender als Männer, die aufgrund ihres Eroberungsdrangs am Schöpfungsplan herumbasteln wollen ...)

Zur Rechtschreibung: Niemand hat jemals Sprechen oder Schreiben nach irgendwelchen Regeln gelernt. David K. drückt das ganz richtig aus. Wir lernen durch Nachahmung und Übung. Regelwissen FOLGT DEM TUN NACH, nicht umgekehrt. Wem sich Regeln erschließen, der besitzt bereits rudimentäre, praktische Kenntnisse von Analogiebildung – er hat diese bereits SELBST durch eigenes Handeln ERKANNT, kann sie gleichwohl noch nicht in Worte kleiden. Hier sind Regeln nützlich, denn sie machen bewußt, was schon im Keime veranlagt ist. Rein rheoretisches Erlernen von Regeln führt zur Kenntnis theoretischer Regeln. Mit anderen Worten: Ein Kind, das Regeln lernt, kann diese Regel aufsagen. Mit Praxis darf man das nicht verwechseln. Wer die Theorie der neuen s-Regel kennt, wird deshalb in der Praxis so lange nicht richtig schreiben können, wie er es nicht ausreichend geübt und (ohne Regeln) verinnerlicht hat. Es ist eigenartig, daß gerade Lehrer nicht erkennen, wie fruchtlos ihre Bemühungen auf dem Gebiet der Regelvermittlung sind. Je deutlicher das Versagen ihrer Schüler in der Praxis, desto mehr Theorie wird den bedauernswerten Kindern aufgeschultert, desto weniger Zeit verbleibt zum eigentlichen praktischen Üben. Ein Teufelskreis.

Zum Schweigen in der Presse:
Man muß der Presse keinen Maulkorb verordnen. Die Journalisten schweigen zur Zeit freiwillig – sie tun das aus einem zeitgeistgeprägten Unbehagen an der Angelegenheit heraus. Das ganze Rechtschreibtheater tut den meisten schriftkundigen Menschen doch weh – gleichgültig, ob sie die Reform begrüßt haben oder nicht. Psychologisch ist das so zu erklären: Woran der Mensch ein Unbehagen hat, das meidet er. Von Fehlentscheidungen will er nichts wissen. Da kein Ausweg aus der verfahrenen Lage erkennbar scheint (und sich der Einzelne selbst als ohnmächtig begreift), verdrängt er das Problem und meint tatsächlich, alles werde schon ins Lot kommen, wenn man nur lange und intensiv genug wegschaue.
Inzwischen setzt sich das Zerstörungswerk fort. Die systemverletzenden Neuregelungen und damit die Illusion einer geglückten Reform können nur um den Preis ständig erweiterter, „gewaltsamer“ Eingriffe aufrechterhalten werden. Das Schweigen wird erst durch eine neue Generation brechen können, diese Prophetie habe ich schon an anderer Stelle gewagt. Zuerst muß die „alte Garde“ von Reformierern und Reformierten abtreten.
Zweck und Aufgabe dieses Forums: es beschreibt die historischen Hintergründe und sorgt dafür, daß Ursachen und Zusammenhänge für diese Aufklärergeneration dokumentiert werden. Internetforen bekommen in diesem Zusammenhang zunehmendes Gewicht.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.07.2007 um 00.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9425

Im Altfranzösischen waren da viel mehr "i" als im Neufranzösischen: afr. taillier, nfr. tailler usw. Die Normannen brachten die altfranzösischen Schreibweisen und Aussprachen nach England. Wir sprechen die inzwischen neufranzösisch gewordenen Schreibweisen noch altfranzösisch, d.h. nach der ursprünglichen Schreibweise aus. Die Österreicher sprechen neufranzösische Scheibweisen neufranzösisch aus: Billard [bi:ja:r] usw. Mit der richtigen neufranzösischen Aussprache hätten wir weniger Schreibfehler und könnten englische und französische Schreibweisen schon durch die Aussprache auseinanderhalten. Deswegen ist das Eindeutschen immer heikel.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 10.07.2007 um 23.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9424

Das könnte auch daran liegen, daß man Rechtschreibkompetenz eher durch Lesen als durch Lernen von Regeln erwirbt. Von einer Handvoll Merksätzen wie „Substantive schreibt man groß“ oder „Trenne nie st, denn es tut den beiden weh“ abgesehen, vergißt man ja sowieso das meiste.
 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 10.07.2007 um 21.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9423

Als jemand, der Französisch und Englisch gelernt hat, liegt mir bei Portrait eindeutig die Originalschreibweise näher und nicht die Eindeutschung Porträt. Auch bei brillant tendiere ich eher zur Originalschreibweise, obwohl, wie auch Hr. Jochems bemerkte, hier die englische Form brilliant ist und von der französischen abweicht. Aber das soll jeder halten, wie er will.
Ich hab eine Nichte, sie wird demnächst 17.
Voriges Jahr, also noch bevor der letzte Reformabschnitt beschlossen wurde, fragte ich sie, wie man "es tut mir leid" schreibt. Und sie schrieb es ohne nachzudenken so wie ich soeben. Und ich fragte sie, was der Unterschied zwischen "auseinandersetzen" und "auseinander setzen" sei. Sie antwortete genau so, wie auch ich geantwortet hätte. Das einzige, was sie reformiert anwendet, ist die Heyse-Schreibung.
Sowas dürfte es eigentlich nicht geben. Es ist aber ein Hinweis darauf, daß entweder Lehrer diverse Neuheiten der Reform selbst nicht kennen oder daß sie sie, aus welchem Grund auch immer, nicht unterrichten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2007 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9422

Wenn ich ein Rechtschreibwörterbuch mache, will ich die Fragen jener Benutzer beantworten, die wissen wollen, wie man einen ansehnlichen Text hinkriegt, der also besser sein muß, als sie es von sich aus vermöchten. Sonst würden sie ja nicht nachschlagen. Brächte ich nun Schreibweisen aus dem privaten Schreiben der Leute ins Wörterbuch, so würden sich die Käufer und Benutzer mit Recht gelackmeiert fühlen. So einfach ist das.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2007 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9421

Nur zur Klarstellung: Wenn ich gelegentlich gesagt habe, das private Schreiben interessiere den Orthographen nicht, so habe ich selbstverständlich den praktischen Orthographen und nicht den Orthographieforscher gemeint, den das private Schreiben sehr wohl interessiert. Das ist wie mit der Orthoepie.
Zu den beiden Wörterbuchtypen: Gerade was die Aussprache betrifft, gibt es schon konkurrierende Normen, sogar im selben Hause Duden. Zufällig habe ich gerade das Wort "Jitterbug" aufgeschlagen, wo das Universalwörterbuch die englische Aussprache angibt, während sich der Rechtschreibduden und bemerkenswerterweise auch das Fremdwörterbuch sich mit -bak begnügen. Wir haben das schon einmal diskutiert.
So könnte ich mir sehr gut denken, daß manche Wörterbücher schon die Stunde für "brilliant" gekommen sehen und andere nicht. Was ist dabei? Wir brauchen bloß selbständiger denkende Deutschlehrer.

Dazu eine Episode aus dem Alltag: Vor ein paar Tagen schrieb meine 14jährige Tochter einen schulinternen Jahrgangsstufentest nach dem Muster der landesweiten. In einer der nicht sehr sinnvollen Grammatikaufgaben sollten Nominalisierungen gefunden werden. Für "verantwortlich sein" war also etwa gefordert "Verantwortung haben". Meine Tochter schrieb "Verantwortung tragen", was meiner Ansicht nach noch eine Spur besser wäre. Prompt bekam sie einen Punkt abgezogen, und weil sie noch zwei weitere Fehler machte, die keine waren, reicht es nicht mehr zu "gut". Korrigiert wurde offenbar strikt nach Schablone, wie bei den Landestests, und die Lehrkraft schob denn auch jede Verantwortung von sich.
 
 

Kommentar von Falk Borutta, verfaßt am 10.07.2007 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9420

Nur weil es viele Leute gibt, die nicht richtig schreiben können, wollen und neuerdings nicht dürfen, sehe ich mich nicht genötigt den "Duden" zu verdammen. Wohlgemerkt den "alten" Duden.

Hier noch zwei kurze Auszüge aus dem Werk "Die sogenannte Rechtschreibreform" von Theodor Ickler, die ich sehr passend zu diesem Thema finde.

"Das Rechtschreiben hat denselben Zweck wie das Schreiben überhaupt. Wir schreiben, um dem Leser einen Inhalt mitzuteilen. Es ist zum Beispiel günstig, dieselben Wörter immer auf die gleiche Weise zu schreiben, damit der Leser sie sogleich als dieselben wiedererkennt."

"Natürlich wird ein immer raffinierter gewordenes Instrument für den Benutzer immer schwerer zu beherrschen. Ein Klavier ohne schwarze Tasten und eine Flöte mit nur zwei Löchern sind leichter zu spielen als die heute üblichen Instrumente, aber die Musik ist auch danach."
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.07.2007 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9419

Herr Metz hat das Problem sehr gut dargestellt. Es ließe sich lösen, wie von mir angedeutet, wenn wir einen freien Wettbewerb der Wörterbücher hätten (und wenn es keine Reform, keine staatliche Rechtschreibung mehr gäbe). Es stört nicht, wenn es liberalere Wörterbücher neben strengeren gibt, sondern es trägt zur Wahrheitsfindung und zur besseren Abbildung der Schreibwirklichkeit bei: Einerseits kommen auch bisher unterdrückte Varianten im liberalen Wörterbuch zum Vorschein, andererseits zeigt das strengere Wörterbuch, was man unter guten Schreibweisen versteht.

Ich habe diese zwei Typen von Wörterbuchmachern skizziert, als Pole des Spektrums. Professor Ickler hat ein deskriptives Wörterbuch verfaßt, aber orientiert an Qualitätstexten. Er ist insofern auch streng, zum Beispiel bei den Trennungen. Radikaler ist im Moment Professor Jochems. Bei ihm wäre brilliant verzeichnet und würde daraufhin Boden gutmachen, Professor Ickler sieht noch keinen Handlungsbedarf. Wie würde ein Wörterbuch, das brilliant verzeichnet, in der Öffentlichkeit ankommen? Wir wissen es nicht. Die einen würden sagen: Endlich mal ein vernünftiger Mensch, der diese Schreibweise anerkennt. Die anderen würden sagen: Quatsch, wir können keine Nebenvarianten brauchen, eine eindeutige Auskunft ist mir lieber.

Das Ganze ist sowieso durch die real existierende Reform erschwert und verkompliziert. Beide von mir ersonnenen Wörterbuchmacher gehen deskriptiv vor, aber sie legen verschiedene Qualitätsmaßstäbe an und/oder gehen verschieden mit der Richtschnur "möglichst wenige Varianten" um.

Das Problem des Duden vor der Reform war nicht die Qualitätsorientierung und auch nicht der Versuch, möglichst eindeutige Auskünfte zu geben. Das Problem war, daß er sich dabei an tausend Stellen von der Schreibwirklichkeit abgewandt hat. Anstatt nun, wie von Professor Ickler vorgeschlagen und vorgeführt, zur Deskription zurückzukehren, hat die Reform die Fehler des Duden multipliziert und potenziert: autoritäres Vorschreiben von relativ oder auch völlig unüblichen Schreibweisen und höchst komplizierten Regeln. Außerdem haben wir jetzt eine Variantenflut wie noch nie.

Der Ratschlag von Professor Ickler: Wäre man ihm gefolgt, dann hätte sich der Reformbedarf auf Null reduziert.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 10.07.2007 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9418

Sie mögen es als Kollateralschaden ansehen, Herr Borutta, aber es gehörte zu den zentralen Anliegen der Reform, daß Sie nicht mehr nur das eine Werk haben sollen, in dem steht, wie geschrieben wird. Es galt, ein mißliebiges Monopol zu brechen, es koste, was es wolle.
Ferner wollen Sie womöglich mit einem Griff ersehen können, was die Schreibweise ist, und fertig? Auch das ist vorbei, Sie müssen jetzt zwischen Varianten entscheiden, einen Infokasten lesen, eine Regel heranziehen. Das ist ein Schritt heraus aus der Unmündigkeit. wie es Kant schon vorschwebte. Von allein hätten Sie den nicht getan, aber nun bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Die Reformer wollten Sie, m.a.W., zur Mündigkeit zwingen, und das haben sie geschafft.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.07.2007 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9417

Allgemein gesagt: Wie kann die Sprache, speziell die Rechtschreibung, sich weiterentwickeln, wenn die Korrektoren jede Veränderung "immerzu aus der Schreibwirklichkeit entfernen", wie Herr Metz es formuliert?
Eigentlich müßten über diese Abweichungen vor ihrer Korrektur Statistiken geführt und in regelmäßigen Zeitabständen geprüft werden, ob es nur häufige Fehler oder doch Weiterentwicklungen sind. Bei Portrait: Wenn das Volk Eindeutschungen nicht schön findet und die Originalschreibweisen vorzieht, sind das Fehler oder Mehrheitsentscheidungen? Notwendig sind "Nationalisierungen" nur bei Umsetzungen in andere Alphabete. Angebracht wäre eine Europa-Tastatur samt Treiberprogramm für die lateinsche Schrift mit allen in der EU vorkommenden Sonderzeichen, ganz besonders für die Zeitungen (die Buchdrucker können das schon längst).
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 10.07.2007 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9416

Nach dem Besseren streben

Wolfram Metz bringt mich zum Nachdenken:
Wie sind Sitte und Kultur entstanden? Wohl allmählich, indem sich das Bessere und Praktischere gegen das weniger Praktikable durchgesetzt hat, womit es allmählich zum Maßstab wurde. Vorbilder prägen das Verhalten. Die Kultur lebt durch geglücktes Nachahmen fort, nicht durch Ignoranz und Destruktion. Da kommt der Leistungs- und Wettbewerbsgedanke ins Spiel.
Niemals haben sich Normen nach der (suchenden und wankelmütigen) Masse ausgerichtet, sondern umgekehrt: die Masse richtet sich nach der Norm. Masse und Norm beeinflussen einander ohne Frage, aber die bloße Beschreibung dessen, was die Masse macht, wird niemals normgebend sein können. Die Masse eifert dem jeweils »besseren« Vorbild nach. Als Vorbilder wirken Personen, die auf einem Gebiet Besonderes leisten, was von den Menschen in der Regel anerkannt wird. Weshalb sollte dies in der Rechtschreibung anders sein? In der Tat ist es bis 1996 so gewesen.

Dem Volk aufs Maul bzw. auf die Schreibhand schauen, das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite: das Abgeschaute soll die beste Form haben. Kinder wollen so schreiben wie die Großen, Frau Kunz will so schreiben wie die Gebildeten. Ehrgeizige und Lernwillige Personen haben das immer schon so gehalten. Müssen wir uns nach den Gleichgültigen oder Unfähigen richten? Nein. Nicht alle sind Träger und Erblasser der Schriftkultur.

Und das ist - meines Erachtens - der Wunsch des Durchschnittschreibers: er möchte es BESSER machen und nicht irgendwie. Er sucht Sicherheit für seine Entscheidungen, und die findet er nicht in einem Buch mit Beliebigkeiten, sondern in einem, das sagt, wie die »Meister« schreiben. Variantenschreibung ist nicht nur überflüssig, sondern wird abgelehnt. Soweit meine Erfahrungen.

 
 

Kommentar von Falk Borutta, verfaßt am 10.07.2007 um 15.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9415

Inzwischen gibt es 68! Kommentare zu "Was kümmert uns der alte Duden"
Ein Beispiel: Porträt steht so im Duden. Ich benutze immernoch die Dudenausgabe von 1976. Warum sollte ich die Schreibweise "Portrait " akzeptieren. Dann müßte ich auch alle anderen Schreibweisen von Porträt hinnehmen. Wenn jemand so schreibt, wie er denkt, daß es so richtig sei, würde nach Meinung mancher Leute hier im Forum, jede Schreibweise von Porträt als Variante zugelassen werden müssen.
Wo bitte soll so etwas hinführen.
Wenn ich jemand bin, der mal ein Wort nachschlagen muß, dann sollte es auch ein allgemeingültiges Nachschlagewerk geben.
Es muß nicht unbedingt "Duden" heißen, aber es sollte nur ein Werk sein.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.07.2007 um 14.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9414

Die Behauptung, daß Dialekte keine Rechtschreibung besäßen, ist natürlich nicht richtig. Soweit sie überhaupt für die schriftliche Kommunikation benutzt werden, gibt es eine (gewiß variantenreiche) Schreibpraxis, die man empirisch erfassen und deskriptiv darstellen kann. Wer zum Beispiel ik statt ick schreibt, weicht vom Usus ab, auch wenn dieser nicht von irgendeinem erlauchten Gremium kodifiziert und von Unterrichtsministern zum Schulstoff gemacht worden ist.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 10.07.2007 um 14.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9413

Beschreiben, was ist: das klingt nicht nur einfach, sondern auch wohltuend undogmatisch, nüchtern, wissenschaftlich, ja geradezu unanfechtbar. Doch was genau heißt Deskription? Der Autor dieses Tagebuchs hat in seinem Wörterbuch einen sorgfältig selektierten Ausschnitt der Wirklichkeit – einer gefilterten Wirklichkeit wohlgemerkt – beschrieben. Eine wichtige Einschränkung, die man beachten sollte, bevor man mit basisdemokratischen Maximalforderungen gegen staatliche Eingriffe in „unsere“ Rechtschreibung zu Felde zieht. „Das private Schreiben“, so Professor Ickler am 21. Oktober 2005 auf diesen Seiten, „interessiert den Orthographen nicht, es ist weder Maßstab noch Gegenstand seiner Bemühungen.“ Ich frage: Warum eigentlich nicht? Warum sollen ausgerechnet diejenigen Texte aus der Betrachtung ausgenommen werden, die am authentischsten belegen, wie die Leute wirklich schreiben? Warum sollen etwa nichtveröffentlichte Briefe einer Gräfin Dönhoff als orthographische Quelle für den Wissenschaftler weniger interessant sein als ein von einem Volontär verfaßter und von einem Rechner orthographisch angepaßter Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“? Was heißt „sorgfältig redigiert“? Wer redigiert denn da? Welche Schreibungen werden bei der Redaktion wie und nach welchen Kriterien geändert? Wenn das private Schreiben unbeachtlich ist und wenn selbst große Schriftsteller ihre Werke regelmäßig korrigieren lassen, worüber reden wir dann eigentlich? Über eine Lektorenrechtschreibung? Über die Rechtschreibprüfung von Microsoft?

In einem aufschlußreichen Beitrag vom 7. Januar 2006 legt Herr Wrase dar, warum aus seiner Sicht die Leute massenhaft Portrait schreiben und daß er diese Schreibung beim Lektorat grundsätzlich in Porträt ändert. Zwar räumt er ein, daß ein „konsequentes deskriptives Wörterbuch kaum darum herumkommt, diese verbreitete Schreibweise als Variante zu verzeichnen“, aber diese Überlegung ist wohl nur von theoretischer Natur, denn wie soll das arme Portrait je den Sprung in ein Wörterbuch schaffen, wenn die Korrektoren es immerzu aus der Schreibwirklichkeit entfernen, und zwar unter Berufung auf ebenjene bereinigte Realität, die sie – und in der Folge dann auch die Wörterbuchautoren – mit dem Usus gleichsetzen?

Gerade sehe ich, daß Herr Wrase zu genau dieser Frage heute morgen hier Stellung genommen hat. Er unterscheidet zwischen einem „radikal deskriptiv eingestellten Wörterbuchmacher“ und einem „Wörterbuchmacher der strengen Schule“ und plädiert dann für die von Herrn Professor Jochems bevorzugte Methode, die er als „die demokratische, die freie, die deskriptive Methode“ bezeichnet. Wir sind uns wohl darin einig, daß Professor Ickler in diesem Sinne ein Wörterbuchmacher der strengen Schule mit radikaldeskriptiven Tendenzen ist …

Verlangt der nachschlagende und mithin ratsuchende Benutzer wirklich nach einem „demokratischen“ Wörterbuch? Ist nicht das demokratischste aller Wörterbücher jenes, das gar nicht erst geschrieben wird, weil ohnehin jeder schreibt, wie er es für richtig hält? Oder ist ein Wörterbuch womöglich gerade dann besonders demokratisch, wenn es denen, die im unwegsamen Gelände der Orthographie schnell ins Straucheln geraten, eine zuverlässige Orientierung bietet, sie teilhaben läßt am Wissen derer, die sich auf diesem Terrain nun einmal besser auskennen, man könnte auch sagen: besser sind? Ich gestehe, daß ich mit der Kategorie „Demokratie“ im Zusammenhang mit der Rechtschreibung wenig anfangen kann; ich werde hellhörig, wenn jemand sie in die Debatte einführt. Gewiß, die Sprache gehört dem Volk. Und weiter? Schon ihre Beschreibung gehört ihm nicht mehr, die überläßt es vernünftigerweise den Experten, wie es die Verwaltung seines Vermögens an Menschen und Institutionen delegiert, die davon etwas verstehen. Man kann die ebenso autoritär-bornierte wie ignorante und teilweise dreiste Art, in der die Reform durchgepaukt wurde, scharf mißbilligen, ohne für radikaldeskriptive Methoden einzutreten. Die unreflektierte und, wie ich finde, oft allzu laute Thematisierung des Demokratiegedankens, wie wir sie von jenen „Polterern“ gewohnt sind, die sich nun zunehmend in anderen Gefilden umzutun scheinen, hat nichts zur Klärung der anstehenden Fragen beigetragen. Die Wirklichkeit ist komplizierter. Wie soll der Gegenentwurf zu dem, was nun ist, konkret aussehen? Wer soll was beobachten und nach welchen empirischen Methoden und mit welchem Anspruch dokumentieren? Hätte es überhaupt Sinn, den aktuellen Schreibgebrauch akribisch in einem Wörterbuch festzuhalten, wenn sich die Orthographen, aus verschiedenen Gründen, die Frage nach den jeweiligen Motiven der Schreiber versagen? Und woher sollen die Handelnden bei alledem ihre Legitimation beziehen? Wieviel wäre gegebenenfalls das Mandat eines weithin uninteressierten Souveräns wert? Wo im komplizierten Beziehungsgeflecht zwischen Demokratie, Bürokratie und Expertokratie soll sie angesiedelt sein, die Rechtschreibung, die an unseren Schulen gelehrt wird? Noch steht er nicht, der überzeugende Gegenentwurf zu dem, was ist.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.07.2007 um 13.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9412

An Adelung: Komisch, ich finde ihn auch nicht mehr.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 10.07.2007 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9411

Nun wird Herr Konietzko deutlicher. Er meint nicht "deskriptiv", sondern "empirisch", und unter den so zusammenzufassenden Zweigen der Sprachwissenschaft die Soziolinguistik. Die wiederum hat aber mit unserem Thema "Rechtschreibung" wenig zu tun, denn damit ist per se die Schreibung der Standardsprache gemeint. Dialekte allgemein und Soziolekte im besonderen haben bekanntlich keine Rechtschreibung. "Standardsprache" ist aber eine verräterische Bezeichnung, sie meint nämlich nicht den Sprachgebrauch einer Elite, sondern des gesamten durch Schulbildung und manchmal noch höherer Weihen kultivierten Sprachvolks. Wie das deutsche Volk schreibt, müßte also auf allgemein beherrschbaren Mustern beruhen. Das war aber unter der Dudenägide zuletzt nicht der Fall. Professor Augst hat vorgeführt, wie man diesen Mißstand nicht beseitigen sollte, Professor Ickler dagegen hat die ersehnte Flurbereinigung mit sanften Mitteln ins Werk gesetzt. Man könnte nun hoffen, daß nach und nach seine vernünftigen Lösungen Anhänger finden. Sie müßten sich freilich über einige Vorgaben der jetzigen "amtlichen" Wörterbücher hinwegsetzen, was man hierzulande nicht so gerne tut. Eine weitere Gefahr droht von der Allgegenwart der Rechtschreibprogramme. Sie zementieren nämlich einen Zustand, der allenfalls in einer Übergangsphase akzeptabel gewesen wäre. Gleichzeitig aber verbreiten sie die Vorstellung, daß man auch ohne eine echte orthographische Kompetenz richtig schreiben kann. Das sind die Probleme, vor denen die schreibenden Deutschen wirklich stehen. Die Seelennöte einiger Freunde angesichts von "dass" kann man vergessen.
 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 10.07.2007 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9410

Vielleicht mache ich etwas falsch, aber ich kann den "Rechtschreibchaos"-Initiator im Mitgliederverzeichnis dieser Gruppe nicht finden. Wenn der da wirklich nicht mehr eingetragen ist, hat er wohl nur einen Sack Reformgegner geschnürt und irgendwo abgestellt.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 10.07.2007 um 11.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9409

Herr Jochems schreibt: „Die deskriptive Methode ist nicht zimperlich, sie fragt wirklich nicht vorweg nach dem gesellschaftlichen Rang einer Äußerung.“

Wenn es nach Ihnen ginge, dann verschlössen Sprachwissenschaftler vor gewissen Tatsachen die Augen, weil sie Ihrem Weltbild nicht entsprechen. Das wäre eine Vogel-Strauß-Linguistik. Außerdem sollten Sie nicht schreiben: „... ist nicht zimperlich“, sondern: „... soll meiner Meinung nach nicht zimperlich sein“, denn es gibt ja Soziolinguisten, die genau das tun, was Sie hier ablehnen. Oder habe ich Ihre Forderung mißverstanden?

„Gerade deshalb sollte er sich als Linguist aber davor hüten, das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht auf die Untersuchung der deutschen Sprache zu übertragen.“

Das klingt, als wären soziale Unterschiede im Sprachverhalten von den Sprachwissenschaftlern geschaffen worden. In Wahrheit sind sie beim Beginn der Sprachbeobachtung bereits vorhanden. Es gab sie schon lange, bevor es Sprachwissenschaftler gab. Um im Bild zu bleiben: Das Dreiklassenwahlrecht wird nicht auf die Sprache „übertragen“, es ist bereits in ihr vorhanden. Der Linguist kann dies nur feststellen; wie man damit umgehen soll, ist eine gesellschaftspolitische, keine wissenschaftliche Frage.

Sie haben natürlich insofern recht, als die Umgangssprache, Dialekte, Soziolekte usw. ebenso Bestandteile der deutschen Sprache sind wie die Standardsprache und folglich ebenfalls Gegestand der deskriptiven Sprachwissenschaft sein müssen. Der Linguist kann feststellen, daß die Konstruktion „wegen + Dativ“ weit verbreitet ist, er muß aber dazusagen, daß sie in gewissen Textsorten, Kommunikationssituationen usw. üblicherweise nicht verwendet wird. Der Begriff „grammatisch falsch“ wäre dann relativ zur Textsorte etc. zu sehen: Wer in einem Schulaufsatz wegen mir schreibt, macht einen Fehler, wer dieses Wort in einem privaten Gespräch gebraucht, aber nicht.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 10.07.2007 um 07.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9407

Wen meint H. J. mit "wir"? Ich hoffe, auch die, die "muss" und "dass" bevorzugen oder gar lehren. Sie müssen akzeptieren, nein achten, daß es diejenigen gibt, die sich mit ss am Wortende nicht anfreunden mögen. Die Lehrenden müssen, wollen sie keine Banausen sein und solche heranziehen, "muß" und "daß" als vollkommen respektable Schreibweisen lehren, als sprachliche Realität, die in aller Literatur des 20. Jh. anzutreffen ist, auf die niemand von einer erhöhten Warte des neuen ss-Zeitalters herabblicken darf. Sie müssen auch die differenzierenden und die Wortgeschichte spiegelnden Schreibweisen lehren, die eine übereifrige Reform schon ganz verbannen wollte. Und wenn sie dies alles lehren, können sie nicht zugleich verlangen, diese Varianten selber nicht anzuwenden, sondern müssen sie weitergelten lassen. Plakativ: Klassisch schreiben muß richtig bleiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2007 um 07.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9406

Da sich unsere letzten Einträge überschnitten haben, möchte ich auch noch einmal bekräftigen, daß Herr Jochems durch eine weit zurückreichende Menge von höchst beachtenswerten Beiträgen ausgewiesen ist und daß ich selbst mich an niemandem lieber reibe als an diesen Plädoyers eines Advocatus (diaboli? - das nun doch nicht!). Wer hat Angst davor, seinen Standpunkt immer wieder in Frage stellen zu lassen? Ich jedenfalls nicht. Und wenn ich ihm mit meinem Tagebuch die Stichwörter liefere - um so besser. Sie haben das Wort, lieber Herr Jochems!
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.07.2007 um 07.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9405

Natürlich gibt es in der Rechtschreibung Zweifelsfälle. Wie man mit ihnen umgeht, diese Frage stellt sich dem Verfasser eines Wörterbuchs bzw. der Redaktion. Ein radikal deskriptiv eingestellter Wörterbuchmacher (wie ihn im Moment Professor Jochems beschreibt) würde brilliant als Nebenvariante aufführen. Sobald diese Form einmal verzeichnet ist, werden sich viele Schreiber frei fühlen, sie zu verwenden, und immer mehr Korrektoren werden darauf verzichten, sie zugunsten der einstweiligen Hauptvariante brillant zu korrigieren. Dann wird man sehen, welche Form obsiegt oder ob es zu einem dauerhaften Nebeneinander kommt. Ein Wörterbuchmacher der strengen Schule argumentiert, daß brilliant noch zu wenig Verbreitung hat, um anerkannt zu werden. Oder er sagt: Ich berücksichtige nur professionelle Texte von hoher Qualität, denn daran wollen sich die Leute im Zweifel doch orientieren, und in solchen Texten erweist sich die Dominanz von brillant. Somit entscheidet er sich gegen brilliant und dient insofern der Sprachgemeinschaft, als er dabei hilft, die Fülle der Varianten in Grenzen zu halten und einen Maßstab für gutes Schreiben anzubieten. Beide Prinzipien haben etwas für sich.

Der Gedanke spinnt sich fort: Die beiden Wörterbücher treten auf dem freien Markt in Konkurrenz. Nun wird man sehen, was die Leute wollen: Wollen sie Freiheit? Wollen sie eine Richtschnur? Das wird sich in der Verbreitung der Wörterbücher zeigen; auch im Renommee, das ihnen zugesprochen wird, und dieses wirkt sich auf die Verkaufszahlen und die Nutzung aus. So wird sich allmählich zeigen, welche Varianten zu Recht anerkannt werden und welche man irgendwann getrost wieder von der Bildfläche des Wörterbuchs verschwinden lassen kann. Eine schöne Vorstellung. So müßte es laufen.

Es sei noch angemerkt, daß zwar brilliant und Billiard für sich allein betrachtet tadellose Eindeutschungen wären oder auch als Fremdwörter mit neuer Herkunft aus dem Englischen statt wie früher aus dem Französischen interpretiert werden können. Doch was ist mit jenen Fremdwörtern aus dem Französischen mit demselben Laut, bei denen kein a, sondern ein e folgt? Bei Vanille, Medaille, Canaille/Kanaille usw. will die Eindeutschung nicht recht gelingen: Medallie oder Medallje oder auch Medalje, das will man nicht goutieren. Bei Vanille ist überdies auch die Aussprache so weit integriert, daß es sich auf Brille reimen kann. Falls denn einmal brilliant verbreitet wäre, dann stünde es zusammen mit Billiard als Ausnahme in einer Gruppe da, in der sich die meisten Mitglieder nicht weiter eindeutschen lassen. Das spricht für die konservative oder professionelle Handhabung. Professor Jochems' Behauptung trifft also nicht zu, daß brilliant in jeder Hinsicht die bessere Schreibweise sei, jedenfalls wenn man den Blick etwas weitet.

Aber insgesamt stimme ich mit Professor Jochems und wohl den meisten anderen für die demokratische, die freie, die deskriptive Methode. Und deshalb ist es mir ganz unverständlich, warum man nicht gegen dieses [schlimmes Adjektiv] [schlimmes Substantiv] der Reformerbande wettern sollte. Sie haben uns nicht nur mit maximaler Inkompetenz verblüfft, sondern sie mit Hilfe von maximaler Rücksichtslosigkeit auch noch der Allgemeinheit aufgenötigt. Ich kann nicht sehen, was es für ein Vorteil wäre, außer daß es unserer eigenen Gesundheit dient, wenn wir das mit "Gelassenheit" zur Kenntnis nehmen.

Herrn Lachenmann möchte ich noch antworten: Wir haben uns doch nicht in erster Linie unseretwegen empört, sondern weil der Allgemeinheit ein großer und dauerhafter Schaden zugefügt wurde. Nun aber, und insofern hat Professor Jochems recht: Wenn es die Leute so wenig kümmert, daß die sogenannte Neuregelung ihnen nur Nachteile bringt, dann muß man sich auch fragen, ob sie es nicht einfach ausbaden sollten. Wer Hilfe und guten Rat nicht zu schätzen weiß, der hat ihn auch nicht verdient, und dann möge in Gottes Namen der Schwachsinn walten. So lange, bis er nicht nur uns, sondern auch genug anderen Betroffenen zum Hals heraushängt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2007 um 07.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9404

Lieber Herr Jochems, ich habe doch zu "brilliant" gar nichts gesagt. Rowohlt benutzt die reformierte Rechtschreibung und macht in einer Anzeige zwei Fehler (im Sinne der Reformschreibung natürlich). Mein Hinweis auf die wirklich schwierigen, von der Reform aber nicht berührten Wörter im Deutschen ist uralt. "brilliant" und "verwandt" gehörten immer dazu. Ich habe bei meinen Untersuchungen noch keinen hinreichenden Grund gesehen, "brilliant" einzutragen. Mir ist es aber ganz recht, immer auf solche konkreten Fälle einzugehen und nicht allgemein über die empirische Methode zu räsonieren. In Wirklichkeit sind nämlich die Probleme bei der Anfertigung eines solchen Wörterbuchs sehr gering.
Beim Gang durch Nürnberg fällt mir immer ein großes Schild mit der Aufschrift "Biliard" ins Auge, geschrieben wie die "Billiarde". Warum nicht? Darüber kann man reden, hat man aber nicht geredet.
Zu Herrn Lachenmann: Nicht die Reform (inhaltlich) ist niederträchtig, sondern ein beträchtlicher Teil der Durchsetzungsmethoden. Die Dokumentation füllt Bände. Das ist mindestens so empörend wie die Unbedachtheit des Inhalts. (Die Änderungen bei der GZS und GKS waren in der Tat großenteils geistig zwergenhaft. Wenn einzelne Punkte manchem von uns einleuchten ("in Bezug"), ändert das nichts an der Grundtatsache der Minderbegabtheit.)
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 10.07.2007 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9403

Der Irritierte Leser irrt sich in mancherlei Hinsicht sehr. Erstens gehöre ich zum Urgestein dieser Webseite, wie ich ja auch auf elf Jahre aktiven Widerstand gegen die Rechtschreibreform zurückblicken kann. Irgendein Anonymus sollte sich daher lieber mit seiner unmaßgeblichen Meinung zurückhalten, wenn er sonst nichts beizutragen hat. Zweitens sind Abkürzungen im Umfeld eines vorangegangenen Beitrags hier durchaus üblich, siehe R. M. und WL, mit denen auch kein ernsthafter Diskussionsteilnehmer Probleme hat. Drittens aber hat ein alter emeritierter Professor natürlich ein Recht darauf, seine fachliche Sicht in ein sachliches Gespräch einzubringen. Von bloßer Herummaulerei haben wir nun wirklich genug gehabt.
 
 

Kommentar von Irritierter Leser, verfaßt am 10.07.2007 um 06.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9402

Weshalb schreibt ein "wiederauferstandener" Teilnehmer dieses Forums heute wie damals immer wieder unter Pseudonym? Möchte er damit seiner etwas eigenartigen, streckenweise geradezu ärgerlichen Meinung mehr Gewicht verleihen? Würde und Aufrichtigkeit wären eines emeritierten Professors angemessener.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 09.07.2007 um 22.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9401

Die deskriptive Methode ist nicht zimperlich, sie fragt wirklich nicht vorweg nach dem gesellschaftlichen Rang einer Äußerung. Als Charles Carpenter Fries 1946 beschloß, eine ganz voraussetzungslose American English Grammar zu schreiben, führte er "fifty hours of very diverse conversations with some three hundred different speakers" - das Tonbandgerät war gerade erfunden. 1998 verkündete der Deutsche Bundestag: "Die Sprache gehört dem Volk", und das schließt doch wohl das Schreiben ein. Recht hat Herr Konietzko natürlich mit seiner Bemerkung, der Wissenschaftler solle darstellen und erklären, wie die Welt ist, nicht, wie sie sein soll. Gerade deshalb sollte er sich als Linguist aber davor hüten, das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht auf die Untersuchung der deutschen Sprache zu übertragen. Wörterbücher verzeichnen natürlich, was üblich ist, nicht jedoch was gelegentlich vorkommt. Doch auch im Üblichen gibt es eine gewisse Bandbreite, wie Professor Ickler festgestellt hat. Demnächst werden empirische Orthographieforscher dokumentieren, daß in den untersuchten Äußerungen zwei Versionen der deutschen Rechtschreibung anzutreffen sind: Junge Schreiber halten sich an "dass" und "muss", ältere ziehen dagegen "daß" und "muß" vor und treffen einige Unterscheidungen, die bei den Jüngeren fehlen. Das ist die Koexistenz von zwei Versionen unserer im wesentlichen einheitlichen Rechtschreibung, die ich in einem früheren Beitrag meinte. Die Rechtschreibreform ist nämlich längst kein fragwürdiges Projekt mehr, sie ist inzwischen sprachliche Realität. Nun kommt es darauf an, zu lernen, wie wir mit dieser Situation umgehen.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.07.2007 um 21.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9400

Wg. brilliant: Wir werden wohl damit leben müssen, daß die altbekannten französischen Fremdwörter mehr und mehr in englischer Schreibweise, Aussprache und Bedeutung verwendet werden.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 09.07.2007 um 21.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9399

Herr Prof. Jochems schreibt: „Leider hat aber das Schreiben von jedermann keine große Aussicht, in ein solches Corpus zu geraten.“

Falls darin die Forderung enthalten sein sollte, bei der Ermittlung des Schreibusus alle Textbelege, ungeachtet der Textsorte, des Bildungsgrades des Schreibers usw., als gleichberechtigt zu behandeln, muß ich widersprechen. Prof. Ickler hat (wenn ich seine Ausführungen nicht mißverstanden habe) in seinem Wörterbuch nicht deshalb nur „sorgfältig redigierte“ Texte zugrunde gelegt, weil ihm keine anderen zur Verfügung gestanden hätten, sondern weil diese Beschränkung zur deskriptiven Methode gehört.

Die Sprachbeschreibung ist unvollständig, wenn sie alle von hinreichend vielen Menschen verwendeten Ausdrucksweisen unterschiedslos nebeneinanderstellt. Es ist eine Tatsache, daß sprachliche Verhaltensweisen unterschiedliches Sozialprestige haben. Ein Wissenschaftler, der diese Tatsache aus noch so menschenfreundlichen Gründen (z. B. aus dem Wunsch, gesellschaftliche Schranken abzubauen) verschweigt, handelt unseriös. Er soll darstellen und erklären, wie die Welt ist, nicht, wie sie sein soll.

Ein Lexikograph, der ohne nähere Angaben schreibt: „brillant, auch brilliant“, betrügt seine Käufer, die Nachteile erleiden können, wenn sie sein Werk etwa bei der Abfassung eines Bewerbungsschreibens zu Rate ziehen.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 09.07.2007 um 20.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9398

Ich gestehe hiermit feierlich, daß ich - bis mich vor einigen Jahren unser Freund Reinhard Markner anläßlich der Redaktion eines Informationstextes zum Rechtschreibthema, eines anderen belehrte - immer brilliant schrieb: ich meine jetzt das Wort so, nicht meinen Schreibstil, bei dem ist das ja keine Frage.

Ich schrieb auch niemals, dies aus Überzeugung, »in bezug«. Ohne Überzeugung, mehr zufällig, schrieb ich »im Nachhinein« (nie »im allgemeinen«), meinte eines Tages voller Triumphgefühle Herrn Ickler bei einer Rechtschreibsünde erwischt zu haben, weil er »unterderhand« schrieb, was mir als ein völlig lächerliches Wortgebilde vorkam (und noch vorkommt).

Das hier so leidenschaftlich streitbar gepflegte Feindbild der niederträchtigen »Reformer« beginnt - jedenfalls für mich - immer langweiliger zu werden. Bin ich ein Verräter an der guten Sache, wenn ich manche Schreibweisen, die durch die Reform sozusagen sanktioniert oder meinetwegen auch erst eingeführt wurden und gar nicht so abwegig sind, nicht scheue wie der Teufel das Weihwasser? Muß Herr Jochems immer wieder als geheimer Kumpan der »Reformer« verdächtigt werden, weil er das Ausmaß der Sprachbeschädigung durch die Reform für weniger gravierend hält, als die meisten hier Versammelten? Kommen wir in unserem Anliegen weiter, wenn wir - auch wenn man in der Öffentlichkeit damit kaum noch einen Hund hinterm Ofen hervorlocken kann - unverdrossen die Parole vom "Rechtschreibchaos" wie das Fähnlein der Sieben Aufrechten vor uns hertragen? Jedenfalls schadet es nichts, über seine Betrachtungen hierzu in aller Ruhe nachzudenken, ohne irgendwelche persönlichen Defizite in ihm zu argwöhnen. Er könnte in manchem doch auch recht haben.

Was in Deutschland fehlt, ist das, was die Schweizer ins Leben gerufen haben: eine Orthographische Konferenz. Da es den Rechtschreibrat gibt, wird es schwierig sein, diesem eine Konkurrenz an die Seite zu stellen. Die deutsche Presse, schließlich die Agenturen, haben hier ihre vermutlich letzte Chance, die durch die Reform angerichteten Schäden zu lindern, vergeben.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 09.07.2007 um 19.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9397

Falls Hr. Jochems in #9392 mich meint, verweise ich darauf, die Aussage bezüglich Intuition auf GZS und GKS bezogen zu haben.
Im Bereich der Laut- Buchstabenzuordnung verwende ich gelegentlich natürlich Nachschlagewerke, aber keinen Duden; ich komme für solche Fälle mit meinem D/E-E/D Pons aus. Seit einiger Zeit ergänzt durch einen Ickler, da ich um die Verfügbarkeit einer Dokumentation der bewährten Schreibung fürchtete.

Wie kann man sich eine sinnvolle Koexistenz zweier Rechtschreibungen vorstellen? Doch wohl nicht, indem man zwei unterschiedliche Rechtschreibungen pflegt und dokumentiert? Sowas kann also immer nur ein Übergangsprovisorium sein.
Das einzige Ziel, das anzustreben ist, ist doch, daß möglichst bald in Schulen wieder eine sinnrichtige Schreibung gelehrt und praktiziert wird.
Und das geht nur über eine Weiterführung der Reform (offizielle Sprechweise), die alle künstlichen und nicht sinnrichtigen Elemente dorthin "zurückführt" (inoffizielle Sprechweise), wo sie ehedem und eindeutig bewährt waren.
Ein wesentlich größeres Unbehagen als meine eigene Befindlichkeit, wenn ich 'Passstreifen' oder 'hier zu Lande' lese, ist das Bewußtsein, daß jahrgangsweise jungen Leuten staatlich verordneter Unsinn beigebracht wird.
Aber vielleicht bin ich wirklich nur voreingenommen und betriebsblind. Die Haupttreiber hin zu einer eindeutig bedeutungsrichtigen Schreibung müßten doch die Deutschlehrer sein, und von denen höre zumindest ich so gut wie nichts; vielleicht hören andere etwas?

Zum heiteren Abschluß:
Dementsprechend auch die Hollywood-reife Weltpremiere: Unter dem Applaus von rund 15.000 Gästen und im Blitzlichtgewitter ...
siehe http://www.orf.at/070709-14212/index.html
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 09.07.2007 um 18.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9396

Lieber Herr Markner, welche Probleme die Ermittlung des orthographisch Üblichen aufwirft, macht Ihr letzter Beitrag deutlich. Mit Google erreicht man tatsächlich unendlich viele Texte, aber eben nur solche, die im Internet stehen. Das ist jedoch nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus der Riesenmenge des Geschriebenen und Gedruckten, die jeden Tag unter Kugelschreibern oder Tastaturen hierzulande oder sonstwo entsteht. Erstellung und Auswertung eines Corpus setzen zudem eine entsprechende wissenschaftliche Qualifikation voraus. Leider hat aber das Schreiben von jedermann keine große Aussicht, in ein solches Corpus zu geraten. Mit diesem methodischen Problem hatte sich Professor Ickler herumzuschlagen, der sich freilich gegen die Feststellung wehrt, er habe die Presseorthographie der Jahre vor 1996 erforscht. Vielleicht sollte man die Professionalität beim Schreiben und beim Analysieren nicht zu hoch ansetzen. Wir haben heute infolge der allgemeinen Zugänglichkeit zu den Medien einen Zustand, daß fast die ganze deutsche Sprachgemeinschaft lautrichtig spricht und mit unserer nicht unkomplizierten Grammatik gut zurechtkommt. Warum sollte man unter diesen Umständen nicht versuchen, die traditionell beachtlichen Niveauunterschiede beim geschriebenen Gebrauch unserer Sprache zu überwinden? "Vieh" sollte gewiß niemand anders schreiben, als uns die Tradition das vorgibt. Aber "brillant"?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.07.2007 um 16.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9395

Es ist kein Zeichen von Dogmatismus, mit aussagekräftigen Corpora professionell umzugehen. Daß die Mehrzahl der Mitglieder des Rechtschreibrats diese Techniken nicht beherrscht, verheißt für die „Sprachbeobachtung“ dieses Gremiums wenig Gutes.

Das Corpus des gemeinen Deutsch-Users ist bekanntlich der von Google durchforstete Textdschungel. Für Flagschiff (so in der F.A.S. von gestern, wohlgemerkt nicht im Leitartikel) findet die Maschine bereinigt 704 Belege, für Flaggschiff 802. Flakschiff kommt immerhin auf 481.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 09.07.2007 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9394

Der gewöhnliche Schreiber schreibt auch sehr gerne "Triumpf" (und noch viel, viel mehr in dieser Art). Wird es dadurch richtig?
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 09.07.2007 um 16.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9392

"Aussagekräftige Corpora", mit denen man "professionell umgeht" klingt gut. Nur: Wie kommt der gewöhnliche Schreiber dabei weg? In diesem Strang sagte jemand dieser Tage, er habe nie einen Duden besessen und schriebe immer nach seiner Intuition. Führt die wohl direktemang zu der französischen Schreibung "brillant" (Aussprache [brijã])? Wenn wir aus den Diskussionen der letzten Jahre nicht gelernt haben, mit Rechtschreibproblemen undogmatisch umzugehen, haben wir nichts gelernt.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 09.07.2007 um 16.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9391

Das erinnert mich an den letzten Samstag, als ich auf einem Einkaufsbummel zunächst ein Schild mit der Aufschrift BRILLIANTE FOTOS! las und keine zwei Minuten später an einer Bierschwemme vorbeiging, die auf ihre BILLIARD TISCHE hinwies. Naja, es gibt Schlimmeres. Mich wundert allenfalls, warum die Reformer sich »brillant« und »Billard« nicht vorgeknöpft haben, wo doch fast alle Welt diese Wörter »falsch« schreibt, aber nun möchte ich hier auch keine schlafenden Hunde wecken . . . (Wer kann schon »Queue« richtig buchstabieren -- wäre nicht »Kö« viel einfacher?)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.07.2007 um 15.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9390

Herr Konietzko erinnert zur rechten Zeit daran, was aussagekräftige Corpora sind und wie man professionell mit ihnen umgeht. Vielen Dank dafür.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 09.07.2007 um 14.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9389

Elf Jahre nach der Rechtschreibreform hilft es nicht weiter, den Reformern geistige Zwergenhaftigkeit zu unterstellen, zumal bislang das Argument lautete, hier sei die Nachhut der egalisierenden 68er am Werk gewesen. Im übrigen haben Professor Augst und Professor Ickler eines gemeinsam: die Kritik an den zuletzt überkandidelten Dudenschreibungen. Prof. Augsts Lösung war die Schaffung eines vereinfachten Regelwerks, das allerdings ungewöhnliche Schreibungen produzierte. Prof. Ickler ermittelte den Schreibgebrauch vor 1996 und erklärte alles für üblich, das einigermaßen häufig in seinem Corpus auftauchte. Das gelegentliche Vorkommen von "brilliant" hätte dieser Bedingung natürlich nicht genügt, aber alle Abweichungen vom Mehrheitsgebrauch haben so einmal angefangen. Die in jeder Hinsicht bessere englische Schreibform wird angesichts der immer weiteren Verbreitung der englischen Sprache gewiß auch im Deutschen vorankommen.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 09.07.2007 um 14.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9388

Das DWDS-Kerncorpus liefert 4 Ergebnisse für brilliant (mit allen Flexionsformen), von denen aufgrund von Nutzungsvereinbarungen nur eines angezeigt werden kann, nämlich ein englischsprachiges Zitat in einem deutschen Zeitungsartikel. Für brillant gibt es hingegen 361 Treffer. Die Schreibung mit i hat also einen Anteil von höchstens 3 : 364 = 0,824 %, ist folglich völlig unüblich.

Ihr Ausdruck „Fallstrick für den Plebs“ erinnert gefährlich an die einseitig didaktische Perspektive der Reformer, die die Welt mit den Augen eines Grundschülers sehen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 09.07.2007 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9387

Von Papst Benedikt XVI. können wir lernen, wie man in der Moderne mit der Tradition umzugehen hat:

Es gibt keinen Widerspruch zwischen der einen und der anderen Ausgabe des Missale Romanum. In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch. Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben. Um die volle communio zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger Ausschluß wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.

Hätte die deutsche Rechtschreibung doch auch eine solche souveräne Persönlichkeit auf ihrer Seite, die der sinnvollen Koexistenz der klassischen und der reformierten Schreibweise das Wort redete. Professor Ickler verlangt die Tolerierung der herkömmlichen Rechtschreibung an unseren Schulen nach dem 1. August 2007. Das wäre der entscheidende Schritt in Richtung auf einen wirklichen Rechtschreibfrieden.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 09.07.2007 um 10.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9386

Lieber Herr Ickler, "brilliant" ist im Englischen seit 1681 belegt und gibt die englische Aussprache des französischen "brillant" angemessen wieder. Letzteres war damals ebenfalls ein Neologismus, nämlich auf der Grundlage von "briller" aus italienisch "brillare". Wenn wir Rechtschreibung nicht als Fallstrick für den Plebs, sondern als die für die jeweilige Zeit angemessene schriftliche Wiedergabeweise der gesprochenen Sprache betrachten, muß eine Variante wie "brilliant" auch im Deutschen akzeptabel sein. Nach Ihrer Leitvorstellung "sorgfältig redigierter Text" sind Varianten ein und desselben Wortes in einem Zeitungsartikel nicht gerade empfehlenswert, aber man darf doch die heutigen Arbeitsverhältnisse in den Redaktionen nicht übersehen. In einem literarischen Text, in dem sich ausgeruhtere Entstehungs- und Editionsweisen spiegeln, wäre so etwas gewiß nach wie vor unzulässig. Natürlich gehört es zu unserer Kritik, die beruflichen Schnellschreiber zu mehr Sorgfalt zu ermahnen, aber unser eigentliches Anliegen müßte doch tiefgreifender sein. Es gibt nach wie vor einige "amtliche" Vorgaben, die dem behenden Überfliegen geschriebener oder gedruckter deutscher Sätze hinderlich sind. Ihnen sollten in einem nächsten Revisionsschritt zumindest die eleganteren Formen als Varianten zur Seite gestellt werden. Ein vergrätzter Rat wird nicht auf unsere Wünsche eingehen. Auf die baldige Ausbesserung noch vorhandener Schäden kommt es doch an, nicht auf die Klage über die im Deutschen ungewohnte Beliebigkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2007 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9385

Der Rowohlt-Verlag gibt in einer großen Anzeige bekannt, daß er das "brilliante" Debüt von Daniel Kehlmann neu aufgelegt habe. Das ist ja auch wirklich ein schwieriges Wort, blieb folglich von der Reform unangetastet. (Außerdem enthält die Anzeige einen Kommafehler.)

Wenn die Nürnberger Nachrichten, in die ich am Wochenende einen zufälligen Blick geworfen habe, "behend" schreibt, ist das bestimmt kein Akt der Aufmüpfigkeit. Es wird eher so sein, daß das Korrekturprogramm zwar "behende", aber nicht "behend" kennt.

Die Zeitungen schreiben mal "sogenannt" und mal "so genannt", "aufwendig" und "aufwändig", "freisprechen" und "frei sprechen" usw., oft im selben Text. Das ist natürlich kein "Chaos", es ist bloß ein unnötiges Durcheinander. Haben wir je etwas anderes gemeint? Es sind die Ministerialräte, die uns vorführen zu müssen glaubten, daß die FAZ "lesbar" bleibe. Von ihnen stammt auch die Kennzeichnung der Reformkritiker als Propheten des Weltuntergangs. Wir haben uns diesen Schuh nie angezogen.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 09.07.2007 um 08.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9384

Heute enthält der Leitartikel der FAZ ("Formen des Nichtwissens") viermal "dass" und je einmal "befassten" und "mussten". So sieht die chaotische Neuregelung in der seriösen journalistischen Praxis aus. Texte sind der Ort der Sprache, und nicht die Wörterbücher oder gar die Regelwerke. Natürlich ist es skandalös, daß eine Parodie auf die wissenschaftliche Beschreibung eines Teilsaspekts unserer Sprache sogar im Amtsblatt der Bundesregierung erscheinen konnte. Wer sich so sehr in sie verbeißt, daß er die Schreibwirklichkeit darüber aus den Augen verliert, mag zwar eine kleine Sekte Gleichgesinnter mit seinen Auslassungen unterhalten, den weiteren Verlauf unserer Schreibentwicklung berührt das jedoch nicht. Am 12. 12. 1997 habe ich der Süddeutschen Zeitung einen Leserbrief geschickt, in dem ich ebenfalls vom "drohenden Chaos" rede. Das ist zum Glück nicht eingetreten. Ansonsten aber war mir damals schon klar, was die Lehre aus dem verunglückten Unternehmen sein müsse:

"'Rechtschreibreform' hat alle Aussicht, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden. Wer aber weiß, wie es in den Steuergelder verprassenden Elfenbeintürmen aussieht, würde eher ein anderes Unwort vorschlagen: 'Germanistik'. In jeder Disziplin gibt es Phantasten, die mit ihren Schaumschlägereien einen kleinen Kreis renommeesüchtiger Kollegen anziehen, doch solche Moden verlieren sich bald und hinterlassen keine Spuren. Daß eine unbedeutende Randgruppe hinterwäldlerischer Sprachbastler in gemütlichen Zwei- bis Dreitagestreffen über viele Jahre hinweg ihre verqueren Vorstellungen entwickelte und zu Papier brachte, hat nicht einmal ihre normalen akademischen Pflichten gestört und wäre normalerweise der Öffentlichkeit völlig verborgen geblieben. Die Orthographieveränderer um jedem Preis verstanden es aber, mit ihrem -Schauermärchen von den fast kriminellen Dudenpraktiken und dem daraus resultierenden Analphabetismus weiter Bevölkerungskreise die Aufmerksamkeit der Kultusminister jedweder Couleur zu gewinnen.

Während das banalste Forschungsprojekt sich einer peinlichen Überprüfung durch kompetente Fachgutachter stellen muß, konnte sich das nun im staatlichen Auftrag erfolgende Elaborieren der selbsternannten Rechtschreibexperten in der Abgeschiedenheit dubioser Kommissionen ohne die geringste Gefahr einer sachkundigen Kontrolle abspielen. Ihre anachronistischen Hirngespinste wurden zum Schluß noch von devoten Kultusbeamten in eine allen Grundregeln des wissenschaftlichen Diskurses hohnsprechende sprachliche Form gebracht. Als dieses Machwerk dann schließlich das Licht der Welt erblickte (in Form von 112 hölzernen Regeln und einem nicht gerade geistdurchwehten Wörterverzeichnis), hätte ein Aufschrei aller deutschen Germanisten die Antwort sein müssen. Nichts dergleichen geschah. Bald darauf brachten die hingeschluderten neuen Wörterbücher über ihre eigene Unzulänglichkeit hinaus die ganze schlampige Widersprüchlichkeit des angeblichen Jahrhundertwerks an den Tag. Spätestens jetzt hätten auch die Schulgermanisten aufwachen und mit wütender Zurückweisung reagieren müssen. Wiederum: Fehlanzeige. Nur fünf Hochschulgermanisten haben sich inzwischen mit ihrer Kritik zu Wort gemeldet, zwei davon aus dem unmittelbaren Umfeld des gescheiterten Unternehmens.

Die Beschreibung des drohenden Chaos liegt nun vor, aber kein weiterer Germanist rührt sich. Man muß den Eindruck haben, wir lebten am Ende dieses Jahrhunderts nicht in einem Land mit einer seit langem etablierten Schreibkultur, sondern in den Banausendörfern Krähwinkel und Schilda. Warum schweigt fast die gesamte Germanistik? Korpsgeist ist die eine Erklärung, Desinteresse die andere, Inkompetenz die dritte. Hat die Germanistik nicht ihre großen Ermeriti, die doch nicht zusehen dürften, wie die historisch gewachsene Schreibtradition des Deutschen durch Dilettanten verballhornt wird? Wo bleibt die zornige Einrede eines Karl Otto Conrady, eines Helmut Kreuzer? Sie schweigen. Harald Weinrich hat sich zaghaft zu Wort gemeldet, aber das entschuldigt nicht das Schweigen eines Faches, dem er nur am Rande angehört.

Nun aber läßt Peter Wapnewski sich vernehmen - im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Auch in der Demokratie schulden wir den großen Alten Respekt. Gestattet sei aber dennoch eine Anmerkung: Si tacuisses... Die 'Sprengung der beklemmenden Dudenbande' sei das Verdienst der 'schwächlichen Reform' mit ihren neuen Regeln, die 'Freizonen der Entscheidung konzedieren'. Die Freiheit als Zugeständnis: Das Lob auf die Autoren des Schreibchaos entpuppt sich als Entlarvung des neuen Despotismus.. Nein, nicht die 'Verbeamtung des Bewußtseins' und auch nicht die 'Tiefen des deutschen Gemüts' bestimmen den Widerstand gegen das professoral getarnte Hinterwäldlertum, sondern das ganz natürliche Gefühl der Bürgerinnen und Bürger, daß in diesem Falle der Arroganz der Expertokratie eine Grenze gezogen werden muß. Es wäre gut, wenn die Germanistik im Bewußtsein des emanzipatorischen Auftrags der Wissenschaft auf der Seite der von staatlicher Willkür Bedrohten stünde. Die Alten dieses Faches sollten ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen dabei mit gutem Beispiel vorangehen Dazu gehört nicht einmal Zivilcourage. Wer aber selbst die nicht hat, der sollte in der Tat lieber schweigen."

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2007 um 08.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9383

Kleiner Zwischenruf: Ich bin kein "Vordenker", sondern ein Kommentator wie viele andere, nur daß ich mich schon ziemlich früh und dann ziemlich ausdauernd um die Details gekümmert habe. Auch mein Einfluß auf den Rat darf nicht überschätzt werden. Ich habe die Harmonie ein bißchen gestört, aber letzten Endes haben wir alle gemeinsam durch unsere jahrelange Arbeit dazu beigetragen, daß die Reformer zu Revisionen gezwungen wurden. Sonst säße die Kommission immer noch friedlich beisammen und würde von Umstellungsschwierigkeiten einer an sich wohlgelungenen und überaus einträglichen RSR faseln.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 09.07.2007 um 03.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9381

Es gibt keinen Grund, Herrn Glück oder Herrn Ballistol Mitteilungen zukommen zu lassen. In solchen Fällen wird die Nötigung doch erst dadurch zur Nötigung, daß man auf sie reagiert. Für meinen Teil bin ich es zufrieden, im "Rechtschreibchaos" als "nicht verfügbares" Mitglied geführt zu werden, jedenfalls nachdem Herr Wrase klargestellt hat, was das bedeutet. Außerdem, ich gestehe es, sind die Äußerungen aus diesem Kreis von einer teilweise so umwerfenden Komik, daß ich nicht mehr auf sie verzichten möchte. Schon deshalb werde ich mich nicht abmelden (was dann ja auch wieder bedeuten würde, einmal irgendwie angemeldet gewesen zu sein: siehe oben). Und schließlich -- da stimme ich ausnahmsweise einmal Professor Jochems zu -- sollten wir doch froh sein, daß unsere Poltergeister endlich ihre eigene Rappelkiste bezogen haben. Wenn wir ihre neue Bleibe beschädigen, roden sie wieder hier herum.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 09.07.2007 um 00.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9380

Professor Jochems: Die deutsche Schreibkultur wird die Jahre der Verwerfungen unbeschadet überstehen. Eine staatsbürgerliche Prüfung waren die Auseinandersetzungen schon eher. Wer jedoch annimmt, nur die anderen hätten dabei schlecht abgeschnitten, irrt sich sehr.

Ich finde das unerträglich verharmlosend. Daß die deutsche Schreibkultur irgendwann unbeschädigt wiederhergestellt dastehen wird, ist mehr als fraglich. Und selbst wenn es so wäre: Wie lange dauern die Jahre, es sind Jahrzehnte, der Verwerfung? Wie hoch sind die Kosten, wie groß sind die vergeudeten Mühen, wie groß ist der Verdruß, der insgesamt bei allen Millionen Betroffenen aufgelaufen sein wird?

Noch schlimmer finde ich die Gleichmacherei in der darauffolgenden Behauptung.

Wenn ein Täter ein Opfer einem Opfer Demütigungen, Verletzungen, Schmerzen zufügt und das Opfer beißt und kratzt, um sich zu wehren, dann macht bei oberflächlicher Betrachtungsweise das Opfer keine gute Figur, keinen souveränen Eindruck. Ist das ein Grund, Täter und Opfer in einen Topf zu werfen? Professor Jochems meint: "Beide Parteien sehen geben ein schlechtes Bild ab." Ich finde jene Psychologen abartig, die jede Aggression mit vermeintlicher Weisheit so beurteilen: "An einem Streit sind immer zwei Seiten beteiligt." Diese Mahnung pflegen sie an das protestierende Opfer zu richten, damit dieses seine Reaktion überdenken möge. Solche Kommentare erzeugen Empörung oder Verbitterung. Sie sind eine erneute Demütigung des Opfers.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.07.2007 um 23.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9379

Diese Vorgehensweise verstößt eindeutig gegen die Yahoo-Hausregeln: "You may not add members to a group without their permission."
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 08.07.2007 um 21.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9378

Zur Gruppe "Rechtschreibchaos"

Zitat: In der letzten Zeit werde ich mit unverlangten und unerwünschen Mails zugemüllt, die mir mitteilen, was alles bei irgendeiner yahoo-Gruppe namens "rechtschreibchaos" gesagt wird. Ich möchte auf diesem Wege die An- und Pseudonymi herzlich bitten, mich damit zu verschonen. Ich bin dort nicht eingetragen und möchte nicht als Adressat geführt werden.

Ich vermute, daß dort inzwischen die Zustellung der Mails an Professor Ickler abgeschaltet wurde. Er ist jedoch nach wie als Mitglied dieser Gruppe eingetragen.

Herr Glück hat offenbar alle möglichen Reformgegner als Mitglieder in diese Gruppe eingetragen, von denen er annahm, daß sie möglicherweise früher oder später an einer Diskussion teilnehmen und zu diesem Zweck beim Besuch der Gruppe eine Yahoo!-ID wählen möchten, und er hat diese "Mitglieder" zunächst vermutlich auf "sofortigen Empfang der Beiträge" eingestellt. Ich hielt dieses Vorgehen nicht für gut, aber gerade noch für akzeptabel, weil Herr Glück (nach meiner Erinnerung, ich erhielt jedenfalls eine solche Mitteilung) die Betroffenen darüber informiert und die Möglichkeit angeboten hat, dagegen Widerspruch einzulegen.

Jedenfalls sind dort 128 Mitglieder eingetragen, darunter fast alle, die hier an Diskussionen teilnehmen. Bei den meisten (über 100) steht in der Mitgliederliste eine bis zum @-Zeichen lesbare (und vermutlich funktionsfähige) E-Mail-Adresse sowie die Angabe "Nicht verfügbar". Die Option der Zustellung von neu geschriebenen Beiträgen (einzeln bzw. sofort; täglich als Zusammenfassung; gar nicht) ist nicht ersichtlich. Die Einträge in der Liste sehen dann z. B. so aus:

theo.ickler@... (Nicht verfügbar) theo.ickler@... 3. Jul 2007

Die erste Spalte ist der (vorläufige) Name des Mitglieds, die dritte ist die E-Mail-Adresse. Die letzte Spalte ist das angebliche Datum des Beitritts. (Nicht verfügbar) ist hier die Yahoo!-ID, weil sie das betreffende Mitglied noch nicht angelegt hat.

Ich habe heute morgen in einem Beitrag gesagt, daß diese Karteileichen entfernt werden sollten. Bisher ist das noch nicht gemacht worden. Weil davon fast alle Teilnehmer, die in den Diskussionen von "Schrift & Rede" auftauchen (Pi mal Daumen kann man sagen: alle außer Herrn Lachenmann und Professor Jochems), betroffen sind und es sich herausgestellt hat, daß sie den Hintergrund ihrer Mitgliedschaft in der Gruppe "Rechtschreibchaos" teilweise nicht kennen, gebe ich das hier bekannt: Professor Ickler und fast alle anderen sind im Moment nach wie vor als Mitglieder eingetragen, die meisten jedoch mit der Angabe "Nicht verfügbar" unter Yahoo!-ID. Wer das nicht in Ordnung findet, sollte es Herrn Glück mitteilen. Er hat dann die Möglichkeit, entweder die Proteste einzeln abzuarbeiten oder vielleicht doch lieber alle "Mitglieder" zu löschen, die ohne ihre ausdrückliche Zustimmung (ersatzweise nachträgliches stillschweigendes Einverständnis, kenntlich am aktiven Anlegen der eigenen Yahoo-ID) eingetragen worden sind.
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 08.07.2007 um 20.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9377

Herr Jochems schreibt:

Die deutsche Schreibkultur wird die Jahre der Verwerfungen unbeschadet überstehen.

Ich halte das für recht kühn und eher wenig wahrscheinlich. Man hat mit der \"behutsamen\" Rechtschreibreform den Schreibgebrauch erstaunlich stark durchgeschüttelt und zwar so, daß sich momentan kaum ein Könner der neuen Schreibung findet. Das ist für künftige Sprachkultur eine eher ungünstige Voraussetzung. Woher soll die Sprachmacht denn eigentlich kommen, wenn schon die Lehrer die aktuelle Staatsschreibung nicht beherrschen?

Dazu kommt eine allenthalben zu beobachtende Verarmung der Sprache in den Medien, erkennbar an restringiertem Wortschatz, einfachem Satzbau und gelegentlich fehlerhafter Grammatik -- und das alles übergossen mit der geradezu medientypisch gewordenen Schlamperei, die man praktisch in jedem Zeitungsartikel findet (auch in so genannten seriösen Zeitungen).

Wahrscheinlicher erscheint mir ein langer Niedergang. Es wäre nicht der erste, den die deutsche Sprache erlitten hat, und es muß nicht notwendigerweise der letzte, finale sein. Woraus allerdings demnächst Erholung erwachsen sollte, sehe ich nicht.

 
 

Kommentar von stst, verfaßt am 08.07.2007 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9376

Das genannte Foto vom Rechtschreibrat (#9371) stammt von der HP des Rates.
Wenn es anderswo als Bildzitat eingesetzt wird, muß der Eigentümer seine Zustimmung zur Verwendung nicht geben, allerdings muß immer die Quelle angegeben werden und der Charakter als Bildzitat muß plausibel sein.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.07.2007 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9375

Lieber Herr Schäbler, auch ich bin ein Multiplikator, nämlich der Anschauungen unseres hochgeschätzten Vordenkers Professor Ickler. Natürlich haben Multiplikatoren ein Recht darauf, hinzuzulernen, was aber einschließt, daß sie die jeweilige Position überzeugend darlegen. Wie Sie selber wissen, hat das bloße Gepoltere einiger unserer Freunde nichts gebracht. Die vorübergehende Mitarbeit Professor Icklers im Rat für deutsche Rechtschreibung hat dagegen dazu geführt, daß das mißratenste Kapitel der Rechtschreibreform dort gelandet ist, wo Professor Eisenberg auch so manches andere sehen möchte. So dramatisch wie 2006 wird die nächste Revision nicht ausfallen, aber es wird weitergehen. Wer jetzt Praktikables vorschlägt, macht sich schon im voraus verdient. Andererseits dürfen wir diejenigen nicht übersehen, die im guten Glauben an die Richtigkeit staatlichen Handelns seit 1996 mitgemacht haben. Darunter befinden sich immerhin fast alle Deutschlehrer und zehn Jahrgänge deutscher Schülerinnen und Schüler. Für die jüngeren Mitglieder der deutschen Schreibgemeinschaft sind die Schreibgewohnheiten der älteren jetzt schon altmodisch wie so manches andere auch. Es ist aber keine Verständigungsbarriere entstanden. Das war bald nach der Aufgabe der deutschen Schreib- und Druckschriften anders. Es gibt also keinen Grund, den Kopf hängen zu lassen. Die deutsche Schreibkultur wird die Jahre der Verwerfungen unbeschadet überstehen. Eine staatsbürgerliche Prüfung waren die Auseinandersetzungen schon eher. Wer jedoch annimmt, nur die anderen hätten dabei schlecht abgeschnitten, irrt sich sehr.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.07.2007 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9374

Lassen wir sie denn anderweitig poltern, pöbeln und geifern. Und nennen wir die Namen Eisenberg und Jochems besser nicht in einem Atemzug. Schließlich könnte auch das als ehrabschneidend aufgefaßt werden.
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 08.07.2007 um 17.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9373

Blankofrieden

Helmut Jochems vom 08.07.07, 9.39 Uhr: „Es braucht ja keine Versöhnungen geben, aber am Ende werden alle mit dem leben müssen, was sich aus dem Streit herausschält.“

Lieber Herr Jochems!

Während meiner Zeit als praktizierender Lehrer war ich insbesondere Multiplikator für herrschende Lehrmeinung, und Sie können davon ausgehen, daß ich mich sowohl kritisch als auch anpassungsfähig mit Neuem befaßte. Die Rechtschreibreform lehnte ich sehr früh ab als ein nicht funktionsfähiges Sparmodell für Lern- und Arbeitsenergien. In Bezug auf Rechtschreibung war und bin ich der Meinung, daß Übung den Meister macht.

Als Multiplikator einer vielfach veröffentlichten und langjährig praktizierten Lehrmeinung stehe ich in der Pflicht bei jenen, die meiner Person (nicht zuletzt als Mittler geltender Lehrmeinung) Glauben schenkten. Deshalb bin ich auch sozusagen im nachhinein verpflichtet, daß ich eintrete für das, was ich gelehrt habe und für das, was ich als Charaktertyp eines autonomen Pädagogen zu sein versuchte.

Kritik an Sie: Sie schreiben in herkömmlicher Schreibung. Das ist für mich sympathisch.
Sie entwickeln aber auch sehr viel Sympathie und Verständnis für die Reformbetreiber und deren Erben. Ich unterstelle Ihnen deshalb eine Eisenbergsche Problembehandlungsstrategie, nachdem ich Eisenberg in seinen theoretischen Einlassungen (Veröffentlichungen), auf Diskussionsforen (live auf verschiedenen Bühnen) und als Funktionär (u.a. als federführendes Neumitglied der Darmstädter Akademie) kennenlernen und erfahren durfte.

Mir würde ja schon genügen, wenn Sie sich plausibel von dem Vorwurf befreien könnten, eine Hüh-Hott-Taktik zu praktizieren, denn gerade Ihren letzten Äußerungen entnehme ich allzugroße Friedensbereitschaft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2007 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9372

Ja, auf dieses ehrabschneiderische Foto bin ich auch schon hingewiesen worden, aber ich habe nicht vor, deswegen etwas zu unternehmen.
Das Schaedersche Diktat ist schon damals zerpflückt und kommentiert worden, auch persifliert. Eine unserer Hervorbringungen sah so aus:

Ein Traum (Diktat)

Heute morgen träumte ich: Ich flog mit Hans ins blauschwarze Universum. Vor uns lag der rötlichbraune Mars, hinter uns der blaue Planet. Auf dem Mars mußten wir notlanden. Gleich kamen scheußliche, offensichtlich notleidende Insekten auf uns zu. Am furchterregendsten waren blutsaugende Riesenmücken. Sie stachen meinen Freund. „Hier tut Erste Hilfe not!“ schrie ich und legte ein blutstillendes Pflaster auf. Von den giftiggrünen Büschen hing eine fleischfressende Schlingpflanze mit tiefblauen Stengeln herab. „Nicht hinübergehen!“ rief ich, doch Hans mißachtete meine wohlgemeinte Warnung. Als er daruntertrat, sah ich ihn plötzlich mit greulichen Verrenkungen vornüberfallen. Sowie ich ihn herausriß, verfärbte sich die weitgehend zerstörte Pflanze schwarzgräulich. Hans tat mir furchtbar leid, obwohl ihm nichts weh tat. Ich mußte ihn in höchst besorgniserregendem Zustand zurücklassen. „Wann werden wir uns wiedersehen?“ fragte er noch, bevor er hintenüberkippte. „Vielleicht morgen früh oder Sonntag abend“, sagte ich. Das schien ihm noch mal gutzutun, aber ich mußte mich des öfteren schneuzen. Wir hatten uns liebgewonnen, und nun mußte ich mich mit seinem selbstverschuldeten Los auseinandersetzen. - Diesen Science-fiction-Traum habe ich nicht leichtgenommen.


(Dasselbe in neuer Orthographie von 1996, „progressiv“ angewendet)

Heute Morgen träumte ich: Ich flog mit Hans ins blauschwarze Universum. Vor uns lag der rötlich braune Mars, hinter uns der Blaue Planet. Auf dem Mars mussten wir notlanden. Gleich kamen scheußliche, offensichtlich Not leidende Insekten auf uns zu. Am Furcht erregendsten waren Blut saugende Riesenmücken. Sie stachen meinen Freund. „Hier tut erste Hilfe Not!“, schrie ich und legte ein blutstillendes Pflaster auf. Von den giftig grünen Büschen hing eine Fleisch fressende Schlingpflanze mit tiefblauen Stängeln herab. „Nicht hinübergehen!“, rief ich, doch Hans missachtete meine wohl gemeinte Warnung. Als er darunter trat, sah ich ihn plötzlich mit gräulichen Verrenkungen vornüber fallen. Sowie ich ihn herausriss, verfärbte sich die weit gehend zerstörte Pflanze schwarzgräulich. Hans tat mir furchtbar Leid, obwohl ihm nichts wehtat. Ich musste ihn in höchst Besorgnis erregendem Zustand zurücklassen. „Wann werden wir uns wieder sehen?“, fragte er noch, bevor er hintenüberkippte. „Vielleicht morgen früh oder Sonntagabend“, sagte ich. Das schien ihm nochmal gut zu tun, aber ich musste mich des Öfteren schnäuzen. Wir hatten uns lieb gewonnen und nun musste ich mich mit seinem selbst verschuldeten Los auseinander setzen. - Diesen Sciencefictiontraum habe ich nicht leicht genommen.

(Dasselbe in revidierter Reformorthographie von 2004, „konservativ“ angewendet)

Heute Morgen träumte ich: Ich flog mit Hans ins blauschwarze Universum. Vor uns lag der rötlich braune Mars, hinter uns der Blaue Planet. Auf dem Mars mussten wir notlanden. Gleich kamen scheußliche, offensichtlich notleidende Insekten auf uns zu. Am furchterregendsten waren blutsaugende Riesenmücken. Sie stachen meinen Freund. „Hier tut erste Hilfe Not!“, schrie ich und legte ein blutstillendes Pflaster auf. Von den giftig grünen Büschen hing eine fleischfressende Schlingpflanze mit tiefblauen Stängeln herab. „Nicht hinübergehen!“, rief ich, doch Hans missachtete meine wohlgemeinte Warnung. Als er daruntertrat, sah ich ihn plötzlich mit gräulichen Verrenkungen vornüberfallen. Sowie ich ihn herausriss, verfärbte sich die weitgehend zerstörte Pflanze schwarzgräulich. Hans tat mir furchtbar Leid, obwohl ihm nichts wehtat. Ich musste ihn in höchst besorgniserregendem Zustand zurücklassen. „Wann werden wir uns wiedersehen?“, fragte er noch, bevor er hintenüberkippte. „Vielleicht morgen früh oder Sonntagabend“, sagte ich. Das schien ihm noch mal gut zu tun, aber ich musste mich des Öfteren schnäuzen. Wir hatten uns lieb gewonnen, und nun musste ich mich mit seinem selbstverschuldeten Los auseinander setzen. - Diesen Science-Fiction-Traum habe ich nicht leicht genommen.


--

Inzwischen ist die Zeit über dies und vieles andere hinweggeschritten. Auf Meldungen des Inhalts, die Rechtschreibleistungen hätten sich infolge der Refom verbessert, können wir wohl lange warten. Was Doris Ahnen und ihre Kollegen seinerzeit dazu gesagt haben, ist verweht und vergessen.

 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 08.07.2007 um 16.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9371

Unsere Poltergeister sind offenbar allesamt mit Ballistol in die neue Yahoogroup umgezogen - wo sie sich nun wohl gegenseitig unter Ausschluß der Öffentlichkeit bepoltern. Außenstehende gelangen immerhin auf die Empfangsseite, die den gesamten Rat für deutsche Rechtschreibung in effigie vorführt, dazu der erhellende Text: "Das sind die Leute, die fortwährend an unserer Schriftsprache herumfummeln." Mittendrin unser Professor Ickler. -Wird der sich freuen ...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.07.2007 um 15.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9370

Wohl richtig verstanden geht es Herrn Ickler um eine Bestandaufnahme vernünftiger Schreibung außerhalb und unabhängig von "der letzten Duden-Orthographie", die ja zwischenzeitlich und ganz ohne Reformer bereits in beiderlei Sinn überholt war.

Nach dem Reformdesaster hat sich der Rat für dies und jenes auf eine sichere Position in der Etappe, d.h. auf "Beobachtung" zurückgezogen. Wahrscheinlich wird das illustre Gremium insbesondere die Achtkläßler, die Boulevardpresse und eine paar Gemeindebulletins verfolgen, eine gefährliche Nähe zu der von Herrn Ickler angestrebten Bestandsaufnahme ist dennoch nicht zu übersehen.

Es ist spät am Tag, und weder die FAZ noch die SZ, Die Welt oder gar Der Spiegel sind in ihrer heutigen Gestalt für eine Bestandsaufnahme geeignet. Diese müßte also die heimlich entstandene (und dem Duden wie den Deformern völlig entgangene) Schreibkonvention aus der Zeit vor den ersten Unfällen ermitteln, die der "neuamtlichen" Zerstörung der deutschen Graphie geschuldet sind.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.07.2007 um 15.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9369

An Herrn Köster:
Der Sachverhaltsname das Folgende ist wohl doch besser als Nomen zu schreiben, weil statt seiner z.B. in einem Kontext wie "Es passierte das Folgende: ..." andere vorausnehmende Geschehensbezeichnungen stehen können (etwa das hier zu Beschreibende, das Nachstehende). Im Falle von folgendes dagegen ist eine solche Reihe anderer Namen nicht gegeben, weil folgendes als Pronomen (speziell: Katapher) fungiert wie manches, anderes etc. und nicht in einem Paradigma anderer Wörter für dieselbe syntaktische Stelle steht wie das Nomen das Folgende. Das mag spitzfindisch scheinen, ist aber im Zweifelsfalle rekapitulierbar, so daß das Schreibvorschriftsbuch im Regal bleiben kann, wo es bestens aufgehoben ist.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.07.2007 um 14.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9368

(Korrektur)
Die „Substitution“ von an ... Statt durch anstatt ist freilich illegitim wie manches, was unter Substitution gehandelt wird. Denn, jemanden an Kindes statt anzunehmen, bedeutet nicht, jemanden anstatt eines Kindes anzunehmen. Das zeigt sich u.a. an einer ontologischen Minikontrolle: Im ersten Falle ist in der Diskurswelt keine alternative Größe gegeben, im zweiten indessen sehr wohl.

Die deutschen Wörterbücher greifen einschließlich des GWD hinsichtlich um ... willen zu kurz, indem sie nur auf das im Genitiv einzubringende Nomen verweisen und damit für diese Stelle Verweiselemente implizit ausschließen. Es finden sich indessen Sätze wie „Um des willen, daß sein Geist in uns wohne“, deren Reformulierungen „Auf daß sein Geist in uns wohne“ und „Damit sein Geist in uns wohne“ lauten können. Der Trägersatz hält den Ganzsatz selbständig, macht ihn aber zugleich als ganzen final wie der Subjunktor damit. Darüber hinaus hat das deutsche Lexion Adverbreihen, deren Elemente aus Possessiva oder Indefinita mit willen als Suffixoid gebildet sind. Solche haben wir im Falle von Statt nicht.

Lexeme als mehr substantivisch oder weniger substantivisch einzuordnen, scheint allerdings grammatisch eine recht gefährliche Gratwanderung, in der Graphie indessen führt eine solche gradative "Zuordnung" mit hoher Sicherheit zu Unsicherheit oder gar Verwirrung.

 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.07.2007 um 14.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9367

(Korrektur)
Die affabre concinui eingeführte Unterscheidung von "das Beste" in einem Satz wie "Das Beste ist uns gerade gut genug" von "das beste" in einem Satz wie der letzte im zitierten Diktando (zur Vermeidung uangenehmer Assoziationen) ist eher befremdlich. Es ist eine von der sog. Transformation (s. GTG) zu "am besten" induzierte bzw. mit einer solchen sog. Substitution (Glinz) motivierte Schreibung. Wenn man sich an diesen Faden in allen vergleichbaren Fällen hielte, käme man aus dem Labyrinth der deutschen Graphie nie heraus. "Das Beste" ist im letzten Satz des Diktandos ganz schlicht und (gut) ergreifend die über einen qualifizierenden Klassennamen zustandegebrachte Nomination eines Sachverhalts, d.h. ein Gegenstand. Die „Substitution“ von das Beste[/] mit [i]am besten überführt herimlich, still und leise ein Klassenprädikativ in ein Eigenschaftsprädikativ. Und warum eigentlich sollte man nicht umgekehrt „substituieren“?
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 08.07.2007 um 14.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9366

Mein Duden schlägt desweiteren »es ist das gegebene (= gegeben)« vor. Ich halte das für einigermaßen spitzfindig und würde dem auch nicht folgen, denn wie Herr Schatte richtig sagt, ließe sich auf diese Weise die Kleinschreibung bis ins Uferlose ausweiten. (Ich nehme allerdings gerne Korrekturen an, sollte ich mit dieser Einschätzung falsch liegen. Ich kann keinen einschlägigen Studienabschluß vorweisen und bin nicht mehr als ein kleiner Autodidakt.) Ich schreibe aber »das folgende« klein, jedoch aus einem anderen Grund: »das folgende« hat für mich, wie »das nächste«, pronominalen Charakter.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.07.2007 um 12.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9364

Die affabre concinui eingeführte Unterscheidung von "das Beste" in einem Satz wie "Das Baste ist uns gerade gut genug" von "das beste" in einem Satz wie der letzte im zitierten Diktando (zur Vermeidung uangenehmer Assoziationen) ist eher befremdlich. Es ist eine von der sog. Transformation (s. GTG) zu "am besten" induzierte bzw. mit einer solchen sog. Substitution (Glinz) motivierte Schreibung. Wenn man sich an diesen Faden in allen vergleichbaren Fällen hielte, käme man aus dem Labyrinth der deutschen Graphie nie heraus. "Das Beste" ist im letzten Satz des Diktandos ganz schlicht und (gut) ergreifend die über einen qualifizierenden Klassennamen zustande gebrachte Nomination eies Sachverhalts, d.h. ein Gegenstand.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 08.07.2007 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9363

Zu diesem Diktat, Herr Jochems, fallen mir ad hoc zwei Dinge ein. Die Schreibung »Albtraum« (also mit b) findet sich auch in der Übersetzung der Brüder Karamasow, deutsch von Hans Ruoff und Richard Hoffmann, aus dem Jahre 1978. Mir persönlich gefällt das eine so gut wie das andere, und ich sehe nicht, warum »Alpdrücken« und »Albdrücken« nicht einträchtig nebeneinander existieren könnten. Was »das beste« als Umschreibung für »am besten« anbetrifft, so kann, genügend fachkundige Toleranz vonseiten des Lehrers vorausgesetzt, auch traditionell sehr wohl »das Beste« geschrieben werden. (Gleiches gilt wohl auch für »im Wesentlichen« etc.)
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.07.2007 um 12.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9362

Was die Reformer unter "Vereinfachung" verstanden, läßt sich am besten aus dem "Probediktat" erschließen, das mein Kollege Burkhard Schaeder am 26. 10. 1995 hier in Siegen in einer achten Klasse schreiben ließ und das ein paar Tage später vom WDR-Fernsehen gesendet wurde. Mir war damals übrigens noch unbekannt, daß Herr Schaeder zum engeren Reformerkreis gehörte, nahm vielmehr an, er beteilige sich lediglich an der Rettung der nach Herrn Zehetmairs Sperenzchen arg gefährdeten Rechtschreibreform. Hier der Text:

Ein Alptraum. Gestern nacht hatte ich einen schrecklichen Traum. Nach den Schularbeiten wollte ich radfahren, als plötzlich ein Riese vor mir im Zimmer stand. Er stellte zehn Becher Joghurt vor mir auf den Tisch und forderte mich auf, sie zu essen. Anschließend sollte ich die Becher numerieren und aufeinanderstapeln. Kaum hatte ich den ersten Becher ausgelöffelt, da standen zwanzig neue auf dem Tisch. Und so ging es weiter, bis das ganze Zimmer mit Joghurtbechern angefüllt war. Ich schrie vor Angst und wachte auf. Vor mir stand meine Mutter, beruhigte mich und meinte, daß es das beste wäre, diesen Traum schnell zu vergessen.

Die Auswertung ergab bei 22 Schülern nach "alter" Bewertung insgesamt 124 Fehler, von denen nach einer Reform nur 43 übrigbleiben würden. Damals war die Rede davon, die Neuregelung mache lediglich "amtlich", was wir ohnehin schon schrieben. Besonders Marianne Demmer (GEW) hat dieses Argument gern gebraucht. Herr Augst sah in der "Stärkung der Grundprinzipien" und in der erstmaligen Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung die Hauptanliegen der Rechtschreibreform. Sowohl Herr Augst wie Herr Schaeder gaben jedoch bereits 1997 zu, die deutsche Rechtschreibung bliebe weiterhin schwierig. Was ja wohl auch die traurige Wahrheit ist.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 08.07.2007 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9361

Etwas verspätet Herrn Markner danke für die Hinweise auf Heyse. Wegen Urlaubs waren mir die Texte entgangen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 08.07.2007 um 10.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9360

An Herrn Strasser: Die neuen Regeln zur GZS sind schlechterdings nicht mehr lernbar; dies belegen die -- teilweise sogar erheblich voneinander abweichenden -- Empfehlungen von Duden und Wahrig, die in die Tausende gehen. Wollte ich heute einem Schüler Deutschnachhilfeunterricht geben, müßte ich ständig die Wörterliste des Rates der Rechtschreibweisen griffbereit haben. Vereinfachungen wurden tatsächlich nur auf dem Gebiet der GKS erzielt, allerdings, wie Herr Ickler richtig zusammenfaßt, nur zu unzumutbaren Kosten für den Leser (und damit auch für den Schreiber). Damit hat diese Reform alle ihre erklärten Ziele verfehlt.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 08.07.2007 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9359

Lieber Herr Jochems,

auch auf die Gefahr hin, daß wir hier vom Thema abkommen: Die Begeisterung der Schweizer, sich von den Deutschen eine andere s-Schreibung diktieren zu lassen, dürfte sich in engen Grenzen halten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn wäre ich ein Schweizer, würde ich hier wohl auch auf meine kulturelle Eigenständigkeit pochen. Natürlich läßt sich darüber spekulieren, ob man nicht das Eszett wieder in der Schweiz einführen könne, nun da die technischen Barrieren auch in den Privathaushalten überwunden sind, aber das muß man eben dortzulande unter sich ausmachen. Der Umkehrschluß ist mir allerdings wichtig: Daß man in der Schweiz eine objektiv schlechtere s-Schreibung pflegt als im traditionell schreibenden Deutschland, kann nicht Grund genug für uns sein, diesem Beispiel zu folgen. Nirgends steht geschrieben, daß unsere Schrift das Ergebnis von Kompromissen zu sein hat, die sich am kleinsten gemeinsamen Nenner ausrichten. In letzter Zeit lese ich tatsächlich hin und wieder die NZZ, schon aus Gründen der Sympathie, und stelle immer wieder fest, daß mich das schweizerische s-Gewimmel doch etwas verwirrt und bisweilen vom Inhalt ablenkt.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 08.07.2007 um 09.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9358

Da die Reformer keine Protokolle geführt haben und auch im nachhinein keine Memoiren schreiben, bleiben viele Fragen offen. Im Zusammenhang mit Heyse würde interessieren, in welchem Stadium der Beratungen dessen s-Regel übernommen wurde, mehr aber noch: warum das ganze Unternehmen nicht abgeblasen wurde, als klar wurde, daß die Schweiz nicht mittun würde. Gab und gibt es Sonderausgaben des Duden (nämlich ohne "ß) für die Schweiz, oder überläßt man es dem einzelnen Eidgenossen, die reichs- bzw. bundesdeutschen Schreibungen den landesüblichen Gepflogenheiten anzupassen? Übrigens hatten die dortigen mechanischen Schreibmaschinen auch kein "Ä", "Ö" und "Ü", weil die entsprechenden Tasten für "à", "é" und "è" benötigt wurden, zu schreiben war also "Ae", "Oe" und "Ue". Wie steht es damit in der Schweiz des Computerzeitalters? Wie dem auch sei, wenn "das"/"dass" und "Schlussstrich" dort seit fast siebzig Jahren die unbejammerte und unbeanstandete Schreibpraxis sind, steht unsere Ablehnung auf tönernen Füßen. Etwas anderes ist die auch nach Heyse unzulässige Schreibung "Grüsse", die neuerdings bei uns auftaucht. Hier darf die Ursachenforschung aber nicht das Ergebnis vorwegnehmen, Adelung sei eben besser als Heyse. Natürlich können wir beklagen, daß die ss-Schreiber, junge und alte, sich für die eigentlichen Repräsentanten der neuen Zeit halten - modern, innovativ, der Zukunft zugewandt. So etwas hat es mit einer anderen Ikone am Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal gegeben, und mit dem Übergang vom altfränkischen Frakturdruck zur Antiqua stand es wohl nicht anders. Professor Ickler hat mehrfach darauf hingewiesen, daß das Fehlen eines besonderen Buchstabens für stimmhaftes "s" der eigentliche Grund für die unbefriedigenden Notlösungen in diesem Bereich sind, in der traditionellen wie in der reformierten Version unserer Orthographie. Es braucht ja keine Versöhnungen geben, aber am Ende werden alle mit dem leben müssen, was sich aus dem Streit herausschält.

Wie kompliziert die deutsche Rechtschreibung bleibt, möchte ich an folgendem Textstück demonstrieren: "Knaben saßen auf den Truhen an den Wänden und betrugen sich nicht immer zum besten, obgleich jede Ungebühr rasch unterdrückt wurde." Wie viele Leser mag es geben, die bei dieser Stelle aus dem Bericht über den sterbenden Jaakob an die Buddenbrooks denken, als nämlich beim Weihnachtsfest in der Mengstraße sich der Senator Thomas an der Tür zeigen muß, um die Allotria treibenden Chorknaben zur Raison zu bringen? Offenbar erloschen in Thomas Mann mit dem Erzählen nicht die Motive oder die Gedankenkomplexe, die er bis dahin mit sich herumgetragen hatte. Wieviel mag nicht mit ihm ins Grab gegangen sein, das nie seinen Ausdruck in den bedächtig niedergeschriebenen Texten gefunden hat? Nach der revidierten Neuregelung sind sowohl "Allotria treibende" wie "allotriatreibende" Knaben möglich. Leider fehlt der Hinweis, daß jeweils verschiedenes gemeint ist. Zusammengeschrieben bezeichnet die Partizipialfügung eine Charaktereigenschaft, die hier aber nicht anzunehmen ist. Man kann künftig zwar keinen Fehler machen, aber das Nachdenken bleibt auch den innovativen Neuschreibern nicht erspart. Recht so.

 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 08.07.2007 um 08.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9357

Noch ein Wort zu den "künstlich vereinfachten Regeln der Reformer".
Ich meine, sie sind nicht künstlich vereinfacht sondern nur künstlich und deswegen auch nicht mehr intuitiv. Genau deswegen, weil vielen von ihnen die intuitive Bestimmbarkeit fehlt, sind sie nicht nur nicht einfach sondern im Gegenteil überaus kompliziert. Ganz abgesehen von den textlichen Formulierungen der einzelnen Paragraphen. Vereinfachung möge irgendwann einmal ein theoretisches Ziel gewesen sein, in der Praxis wurde es weit verfehlt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2007 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9356

Zu Heyse fällt mir gerade noch ein, daß in den Wörterbüchern weiterhin die "Mass" steht, obwohl sie doch in den amtlichen Regeln und dem dazugehörigen Wörterverzeichnis nicht vorkommt (im Gegensatz zum "Spass"). Im Wahrig von 2002 wurde die "Mass" sogar verbindlich vorgeschrieben ("alt Maß"). Es scheint hier eine geheime Absprache zu geben, an Kommission und Rat vorbei.

Aus dem von Herrn Jochems noch einmal in Erinnerung gerufenen Zitat geht hervor, daß die Heyses phonographisch argumentierten und den im wesentlichen typographischen Aspekt der ß-Schreibung nicht beachteten. Welche Regelung wirklich "zur Verwirrung im Lesen und Schreiben führt", steht ja nun wohl außer Zweifel. Acht Jahre nach ihrer Umstellung machen die Zeitungen täglich Fehler in diesem Bereich, während vor der Reform solche Fehler praktisch nicht vorkamen. An den Schulen hat die Neuregelung, wie man nun von allen Seiten hören kann, auch nicht zu einer Verbesserung der Leistung geführt. Das wird man auf die Dauer nicht mehr als Übergangserscheinung erklären oder auf die Sabotage durch böse Schriftsteller zurückführen können. "Vereinfachung" wird ja auch schon längst nicht mehr zugunsten der Reform angeführt, nur noch Umstellungskosten, Marktberuhigung usw.
 
 

Kommentar von H. J., verfaßt am 07.07.2007 um 13.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9355

Entwarnung! Der heutige Leitartikel der FAZ ist deutlich heysereduziert (5x "dass", dazu "gewiss", "angepasst" und "musste"), ansonsten reformschreibungsfrei!
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 07.07.2007 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9353

Professor Ickler hat ein klärendes Wort gesprochen: Es ist eben grundfalsch, wenn man aus irgendwelchen Regeln die allein richtige Schreibweise ableiten zu müssen glaubt. [...] Der Glaube an die Regeln, aus denen sich alles deduzieren lassen müßte, stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Hoffentlich haben alle Leser begriffen, daß damit sowohl die künstlich vereinfachten Regeln der Reformer wie auch das zuletzt überkomplizierte Regelwerk des Duden gemeint sind. Niemand schreibt nach alten oder neuen Regeln. Eine Abfuhr erteilt Professor Ickler aber auch dem normativen Denken. In etlichen Bereichen unserer Rechtschreibung hat es auch in der Vergangenheit keine einheitlichen Lösungen gegeben. Herr Krieger sagte einmal sinngemäß, es müsse eine einheitliche Norm vorhanden sein, damit der kreative Schreiber aus Gründen der Ausdruckspräzisierung eindeutig davon abweichen könne. Das mag für die Belletristik zutreffen. Die allgemeine Schreibpraxis benötigt eine solche monolithische Norm nicht. Diese Freiheit gibt es jedoch nicht bei der traditionellen Schreibung unserer Wortstämme und der funktionalen Morpheme. Welche Graphemketten den Phonemketten der gesprochenen Sprache entsprechen, liegt in Kultursprachen mit einer langen Geschichte ein für allemal fest. Varianten in der Schreibung kann es bei uns also nur bei der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie bei der Groß- und Kleinschreibung geben. In diesen Bereichen ist unsere Rechtschreibung nicht fest, was sowohl bildungsbürgerliche Beckmesser wie normbesessene Lehrer zur Kenntnis nehmen sollten. Maßgeblich ist - wie Professor Ickler früher einmal sagte - der in sorgfältig redigierten Texten anzutreffende Gebrauch.

Schließt dies die Möglichkeit von Rechtschreibreformen grundsätzlich aus? Unser problematisches Paradebeispiel ist seit mehr als 170 Jahren Johann Christian August Heyse mit seinem Vorschlag, im Falle von silbenschließendem "ß" nach kurzem Vokal bei der Stammschreibung mit "ss" zu bleiben: Der Schreibgebrauch hat es zwar für gut befunden, am Ende einer Silbe, oder auch vor einem weggeworfenen e das ss in ein ß zu verwandeln [...], da aber jene Schreibart, der richtigen Aussprache ganz entgegen, den Ausländer und selbst den Deutschen zur Verwirrung im Lesen und Schreiben führt: so ist sie verwerflich. Dazu sein Sohn 1833: Ich weiß sehr wohl, was die historische Sprachforschung gegen diese Neuerung einwenden kann, weiß aber auch, dass diese Einwendungen gegen die in Übereinstimmung mit der heutigen Aussprache dadurch gewonnene größere Consequenz und Einfachheit der Rechtschreibung nicht Stand halten, was ich in der neuen Ausgabe der größeren Grammatik näher zu erweisen gedenke. (Faksimile und bibliographische Nachweise im Beitrag von R. M.) Man braucht die wechselvollen Nachwirkungen dieses Vorschlags nicht im einzelnen zu kennen, um diesen Kompromiß zwischen Adelung und den Schweizer Gepflogenheiten kritisch zu würdigen. Dies freilich wird uns nicht erspart bleiben, denn es könnte gut sein, daß von der großen deutschen Rechtschreibreform (Jakob Faber-Kaltenbach, Rheinpfälzer Dichterfilosof - s. H. B.-B. & R. M. 2000, S. 7) nur Heyses s-Schreibung übrigbleibt.

Es gibt aber auch eine weithin unbekannte Vorstufe. Im Jahre 1946 schrieb ein 13jähriges in ärmlichen Verhältnissen lebendes Flüchtlingsmädchen am Gymnasium einer schleswig-holsteinischen Landstadt den besten Klassenaufsatz. Das war unter den damaligen Umständen eine Provokation. Sie bekam aber nur deshalb keine "1", weil sie "Schloss" geschrieben, sich also auch orthographisch aufmüpfig gezeigt hatte. Dabei war sie nur ihrer Intuition gefolgt, denn der bayerische Spruch, wonach "ss" am Schluß - Intuition hin, Intuition her - Verdruß bringt, war damals weder bis in den deutschen Osten noch in den deutschen Norden gelangt. Heute, 61 Jahre später, ist die jugendliche Rechtschreibrebellin von damals übrigens eine treue Anhängerin der traditionellen deutschen Rechtschreibung - wie der Schreiber und die Leser dieses Beitrags.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2007 um 06.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9352

Der Standpunkt von Herrn Strasser gefällt mir gut. Es ist eben grundfalsch, wenn man aus irgendwelchen Regeln die allein richtige Schreibweise ableiten zu müssen glaubt. Große Sprachwissenschaftler wie Hermann Paul wußten, daß es in der Sprache überall Zonen des Übergangs gibt, bei Substantivierungen und Desubstantivierungen, beim Zusammenwachsen von Wortgruppen usw. Daher steht der Gebrauch höher als alle Klügelei. Paul kannte die Pedanten nur zu gut. Er fertigt sie ab, indem er das angeblich Falsche mit ein paar Zitaten aus Lessing, Goethe, Schiller belegt. Der Glaube an die Regeln, aus denen sich alles deduzieren lassen müßte, stellt die Verhältnisse auf den Kopf.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.07.2007 um 23.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9351

Zur Frage, wie Heyse Schloßstraße geschrieben hätte, siehe hier und hier (Anschauungsmaterial).
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 06.07.2007 um 20.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9350

Weil ich keinen Duden hab, weiß ich nicht, wie man früher dudengemäß schrieb.
Für Fragen der Groß-, Klein- bzw. Getrennt- und Zusammenschreibung brauch ich keinen Duden. In seltenen Zweifelsfällen wähle ich die mir zutreffender erscheinende Variante.
Intuitiv schreibe auch ich 'ins Leere gehen'; bei 'im Trüben fischen' kann ich mir beide Versionen vorstellen, entweder bezogen auf 'die Trübe' oder als Kurzform von 'im trüben Gewässer fischen'.
Bezug in der Wendung 'in Bezug auf' hab ich mein Leben lang noch nie klein geschrieben, wieso auch?

Rechtschreibung ist besonders dann ein schwieriges Thema, wenn man sie wissenschaftlich betreibt und erfolglos versucht, unter Überbordwerfung der Bedeutung ein formal schlüssiges System aus etwas zu machen, das, eben besonders wegen den unterschiedlichen Bedeutungen, formal eben nicht immer schlüssig ist. Musterbeispiele sind die Formulierungen der verschiedenen amtlichen Regelwerke seit 1996. Schwierig ist sicher auch, wenn jemand nach ausgiebiger Analyse behauptet, Wörter hätten Bedeutungen.
Das schreibende Volk hat's da Gott sei Dank einfacher.

 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 06.07.2007 um 17.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9345

Hätte Heyse eine solche ss-Orgie wirklich gewollt? Ich weiß nicht, wie es damals ausgesehen hat, stelle mir aber vor, daß die Heysesche Regel in Fraktur nicht gar so gräßlich ausgesehen hätte. Oder wäre nach Heyse auch am Schluß das Lang-s ganz unter den Tisch gefallen und hätte man dann wirklich zwei runde s geschrieben? Aber selbst das wäre noch besser als die heutigen Schlossstraßen, denn -straße hätte doch wohl mit einem langen s anfangen müssen und somit das Wort optisch gegliedert. Herr Markner kann da sicher Auskunft geben.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 06.07.2007 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9343

Sehr geehrter Herr Borutta, schauen Sie heute bitte nicht in die FAZ, denn schon der Leitartikel auf der Titelseite ("Das Schloss") ist eine Orgie der Rechtschreibverhunzung. 23mal erscheint "ss", wo ein normaler deutscher Schreiber "ß" verwenden würde: dass (3x), muss (2x), Schloss (3x), Schlossneubau, Residenzschloss, Schlossbaumeister, Schlossbefürworter, Schlossfrage, Schlossfreund, Schlossidee, Königsschloss, aber auch beschloss, Misstrauen, Wiederaufbaubeschluss, ungewiss, Schlusspunkt. 5mal schreibt die FAZ des Schlosses, aber das wäre früher auch nicht anders zu schreiben gewesen. Zum Glück gibt es ein paar richtige "ß", nämlich in zeitgemäß, Ausmaß, antipreußisch und Preußenstiftung, die in der Schweiz natürlich ebenfalls mit "ss" zu schreiben gewesen wären, und das schon seit 1938. Wir wissen, wer uns dieses Elend beschert hat: Johann Christian August Heyse (1764 bis 1829), also eine richtige Heyse-Orgie. Und wo bleibt der Rest der Rechtschreibreform? Na, eine falsche Trennung wenigstens, Für-stenstaaten. Armes deutsches Schreibvolk jung und alt, das mit solch einem Chaos leben muß.
 
 

Kommentar von Falk Borutta, verfaßt am 06.07.2007 um 12.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9340

Sehr geehrter Herr Dr. Ickler,

wie immer sprechen Sie mir, mit ihrer genauen Schreib- und Ausdrucksweise, aus dem Herzen.
Es ist wirklich erschreckend, wie viele Leute es gibt, die sehr wenig über die Rechtschreibreform und deren Folgen wissen.
Sie betrifft ja auch jeden in unterschiedlichem Maße.
Vielleicht noch zur Erklärung, ein heutiger Schüler hat mehr mit den Folgen der Rechtschreibreform zu kämpfen, als ein Rentner, der froh ist, sich endlich mit seiner Rosenzucht im Garten beschäftigen zu können.
Mir sticht es immer in den Augen, wenn ich auf Worte wie "Missstände" oder ähnliches beim Lesen stoße.
Doch ist das nur die Spitze der Spitze des "Eisberges" Rechtschreibreform.
Ich stelle auch immer wieder beim Lesen fest, daß die Auswirkungen der Rechtschreibreform auf die deutsche Sprache verheerend sind.
Doch gerade solche Zeitungen und Zeitschriften, welche von, so möchte man meinen, intelligenten Leuten gelesen werden, halten in geradezu beängstigender Weise an der neuen Rechtschreibung fest, und meinen nur dann etwas ändern zu müssen, (fast immer, in die vor der Reform gültigen Schreibweise) wenn es amtlich genehmigt oder wieder zugelassen wurde.
Wenn sich zum Beispiel der "Spiegel" in seinem Leitartikel diesem Thema widmen würde, könnte ich mir schon vorstellen, daß die Nation hellhöriger werden würde.
Vielleicht könnte dies das ruhmlose Ende der Rechtschreibreform einläuten.
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 06.07.2007 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9339

Lieber Herr Ickler, in meinem Beitrag habe ich mich durchweg an den "alten" Duden gehalten und z. B. "ins Leere laufen" geschrieben. Das ist aber doch ein Phraseologismus (wie "im trüben fischen"), weshalb "ins leere gehen" eigentlich - intuitiv - naheläge. Auch in anderen Fällen bleibe ich "beim alten", um keinen Zweifel in bezug auf meine orthographische Positionierung aufkommen zu lassen. Das ist aber genauso abwegig wie die Haltung der freiwilligen Reformbefolger, die ebenfalls nicht anecken wollen. Ich würde natürlich auch "den Weg frei machen" schreiben, aber mit innerem Schmunzeln darüber, was sich die Deutschen alles bieten lassen (haben). Mit "Polemik" verbinde ich die pauschale Verächtlichmachung abweichender Positionen. Vor ein paar Tagen schrieb auf dieser Webseite jemand über mich, ich stocherte nur herum und wüßte nicht, was ich wolle. Diese Haltung, auf die genaue Prüfung auch unliebsamer Meinungen prinzipiell zu verzichten, eignet sich nicht für den unvoreingenommenen Diskurs über ein schwieriges Thema. Daß die hier immer wieder eingestellten emotionalen Ausbrüche uns ebenfalls keinen Gefallen getan haben, sei nur am Rande vermerkt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.07.2007 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9337

Lieber Herr Jochems,
natürlich bin ich, wie schon immer, mit dem meisten einverstanden.
Was zuerst die Polemik betrifft, so ist sie das Salz in der Suppe, und ohne Polemik wäre überhaupt nichts in Bewegung geraten, auch wenn manche Leute das heute so darstellen - als wenn die Reformer von sich aus, etwa in ihrer famosen Kommission, Korrekturen am eigenen Werk vorgeschlagen hätten, auch wenn der öffentliche Druck nicht gewesen wäre. Sie waren vielmehr vollauf mit der Didaktisierung und Vermarktung beschäftigt, genau wie Eisenberg und viele andere.

Sodann: "Wir sind eigentlich inkonsequent, den durch die neueste Revision der Reform kreierten Variantenreichtum als "Beliebigkeit" abzutun. Wer seiner begründeten Intuition folgt, schreibt im Deutschen eben nicht falsch." Wie sie dann aber gleich selbst einräumen, ist gegenüber der früheren Varianz etwas Neues hinzugekommen: Man glaubt jetzt über die Intuition hinaus noch Rücksicht nehmen zu müssen auf eine Reform, von der man meistens nur eine vage Ahnung hat. "Begründete Intuition" war vor der Reform eine im wesentlichen auf Leseerfahrung gestützte Intuition. Die Reform hat diese Grundlage entwertet. Es ist unfaßbar, wie viele Menschen glauben, sich die eigene Souveränität über ihre Sprache von den Kultusministern aus der Hand nehmen lassen zu müssen. Sogar geschätzte Kollegen lassen sich ihre Werke dadurch verderben, besonders wenn es um Wortbildung geht. Beispiele habe ich ja genug vorgeführt.
"Daß vor 1996 Verfasser von für die Öffentlichkeit bestimmten Texten, insbesondere Journalisten, bewußt von der staatlich autorisierten Dudennorm abwichen, ist kaum anzunehmen."
Doch, das kam vor, und noch häufiger waren Abweichungen, die einfach darauf beruhten, daß man es nicht für nötig hielt, sich überhaupt in jedem Fall nach Duden zu richten. So kam es zum "Schnellen Brüter" und zu "beiseiteschieben". Man schrieb natürlich "nämlich" nicht mit h, aber sonst? Der Duden mochte solche Sachen zu regelungsbedürftigen "Zweifelsfällen" machen, für den normalen Schreibenden waren es keine. Das waren gewissermaßen gesunde Verhältnisse. Die Störung, die hier durch die Reform eingetreten ist, wird noch lange anhalten, und ich denke, wir sollten sie nicht kleinreden. Für eine große Versöhnungsfeier ist es noch zu früh.

Ich blättere in den Dokumenten. Im März 2006 verkündete der Dudenverlag, die Rechtschreibreform sei nunmehr als abgeschlossen zu betrachten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Zehetmair seine Weisungen ("Wünsche") empfangen und umgesetzt. Die zweite Anhörung war abgesagt, ebenso die weiteren Sitzungstermine. Später legte er offen, das Ganze habe der Marktberuhigung gedient. Das war eine so eklige Geschichte, daß ich sie nicht einfach auf sich beruhen lassen kann.

Die dazu berufen wären, solche Skandale aufzudecken, unsere investigativen Journalisten von der Süddeutschen Zeitung bis zum Spiegel, hüllen sich in Schweigen. Auch deshalb ist Polemik weiterhin nötig.

(Damit meine ich natürlich nicht Polemik der Reformkritiker gegeneinander. In der letzten Zeit werde ich mit unverlangten und unerwünschen Mails zugemüllt, die mir mitteilen, was alles bei irgendeiner yahoo-Gruppe namens "rechtschreibchaos" gesagt wird. Ich möchte auf diesem Wege die An- und Pseudonymi herzlich bitten, mich damit zu verschonen. Ich bin dort nicht eingetragen und möchte nicht als Adressat geführt werden.)
 
 

Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 06.07.2007 um 10.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9336

Lieber Herr Ickler, wir sind uns gewiß darin einig, daß es in der jetzigen "Spätphase" der Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform auf die Schärfe der Argumente ankommt. Einige unserer Mitstreiter setzen zwar noch auf Polemik, aber die läuft jetzt ins Leere. Wenn wir die Begründung unseres Widerstands auf einen einfachen Nenner bringen, müßte sie wohl lauten: Die Rechtschreibreform produziert in nicht zu übersehender Zahl ungewöhnliche Schreibungen. Wir würden hinzufügen: Davon sind etliche aus grammatischen und ähnlichen Gründen falsch. Etwas anderes wäre der Einwand, daß Texte in Neuschreibung einen deutlichen Bruch mit der deutschen Schreibtradition markieren. Daß wechselseitig die Lesbarkeit in Frage gestellt wäre, läßt sich jedoch nicht ernsthaft behaupten.

Wie kompliziert die Dudenorthographie zuletzt war, haben ernsthafte Gegner der Rechtschreibreform erst durch die intensive Beschäftigung mit diesem Problem erfahren. Auf den beiden kritischen Gebieten GZS und GKS gab es zweifellos vor 1996 einen fluktuierenden Gebrauch, der aber nicht auffiel, da lediglich einzelne Lektoren bei den belletristischen Verlagen bzw. Korrektoren in den Zeitungsredaktionen die Dudennorm vollständig beherrschten. Für alle anderen blieb im Zweifelsfall nur der Griff zum amtlichen Rechtschreibwörterbuch. Da im traditionellen Verständnis "Rechtschreibung" eine staatlich autorisierte monolithische Norm ohne Varianten ist, waren die Deutschen zu Dudenzeiten durch die Bank orthographisch nur bedingt kompetent.

Daß wir uns auch hierin einig sind, ersehe ich aus Ihrer gestrigen Äußerung: "Dem alten Duden ist eigentlich nicht vorzuwerfen, daß er sich in allzu fein gesponnene Einzelregelungen verloren hatte. Damit mochte sich immerhin auseinandersetzen, wer Lust dazu verspürte. Das Problem lag in der staatlichen Autorisierung. Erst dadurch wurden die Feinheiten, die Herr Krieger manchmal befolgte und manchmal sicher auch nicht, zu Waffen in der Hand unverständiger Deutschlehrer - derselben, die jetzt wieder mit den neuen Regeln herumfuchteln und meiner Tocher "leid tun" anstreichen!"

Daß vor 1996 Verfasser von für die Öffentlichkeit bestimmten Texten, insbesondere Journalisten, bewußt von der staatlich autorisierten Dudennorm abwichen, ist kaum anzunehmen. Die von Ihnen bei der Arbeit an Ihrem Wörterbuch ermittelten Varianten beruhen wohl alle darauf, daß die Schreiber intuitiv zu alternativen Lösungen kamen. Wir sind eigentlich inkonsequent, den durch die neueste Revision der Reform kreierten Variantenreichtum als "Beliebigkeit" abzutun. Wer seiner begründeten Intuition folgt, schreibt im Deutschen eben nicht falsch. Auf "Leid tun" wäre außer den Reformern wohl niemand gekommen, aber sowohl "leid tun" wie "leidtun" haben einen Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. Leider ist auch die neueste Version der reformierten GZS ein merkwürdiges Mixtum aus Liberalität und Strenge, aber die Schreiber werden's schon richten - wie zu Dudenzeiten.

Daß die Groß- und Kleinschreibung am 1. August in der 1996 beschlossen Form in den Schulen und im öffentlichen Schreiben perpetuiert wird, ist ein Skandal. Substantivierungen, die aus textsemantischen Gründen klein zu schreiben sind, lassen sich in ein paar knappen Listen zusammenstellen. Die auffälligen Großschreibungen ("im Übrigen") sind zwar nicht grammatisch falsch, verleihen aber modernen Texten einen ausgesprochen archaischen Charakter. Dies sollte laut und deutlich Herrn Zehetmair und den Kultusministern klargemacht werden.
 
 

Kommentar von Falk Borutta, verfaßt am 05.07.2007 um 20.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=871#9334

Meiner Meinung nach wird von der Rechtschreibreform nichts mehr übrig bleiben.
Einzig das "dass" wird noch eine Weile herumgeistern.
Wenn das Thema nicht so ernst wäre, ("leid tun") könnte man es für eine Posse halten.
Die alten Regeln waren gut und bedurften keiner Reform in diesem Maße.
Wäre ich in der Schule, dann wäre ich vermutlich ein Rebell und hoffte auf die Unterstützung meiner Eltern.
 
 

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