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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.01.2008
 

Noch einmal Troia
(und Schrott)

Vor sechs Jahren hatte ich mich anderswo (www.rechtschreibreform.com) über den reformiert gedruckten und schwer entstellten Katalog zur Troja-Ausstellung beklagt. Dortselbst auch die freundliche Bestätigung "aus dem Felde", d. h. von der Ausgrabungsstätte selbst, daß die Ausgräber mit der Textverhunzung nichts zu tun haben und der leider seither verstorbene Leiter Manfred Korfmann damit durchaus nicht einverstanden war.

Inzwischen ging durch die Presse, daß der Tausendsassa Raoul Schrott (der ja auch das Gilgamesch-Epos übersetzt hat) nicht nur eine neue Ilias-Übersetzung vorlegt, sondern auch ein Buch, in dem er den Trojanischen Krieg nach Kilikien verlegt (von dem er nach eigener Aussage bis vor kurzem nicht wußte, wo es liegt, was an sich auch ganz bemerkenswert ist). Heute kriegt er nun in der Süddeutschen Zeitung eins übergebraten, daß es eine Lust zu lesen ist, und zwar von Joachim Latacz, der auch schon an Ausstellung und Katalog beteiligt war.

Latacz schreibt weiterhin "Troia", die Redaktion bleibt aber bei "Troja" – der Fall ist seinerzeit viel kommentiert worden. Es ist nicht besonders wichtig, auch "slawisch" und "slavisch" wird sich eine Weile nebeneinander halten.



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Kommentare zu »Noch einmal Troia«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2015 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#30537

Melanie Möller hat in der FAZ vom 11.11.15 die Widerlegung von Schrotts neuestem Einfall übernommen. Genierlich bleibt, daß die Zeitung damals wie heute Schrott überhaupt so viel Platz einräumt.

Möller kommt auch auf die wundersame Verdoppelung des Zorns zu sprechen und zeigt, daß Schrott so gut wie kein Griechisch kann. Sie hätte noch darauf hinweisen können, daß Achills Groll noch mehrmals mit demselben Wortstamm erwähnt wird, immer ganz eindeutig im herkömmlichen Sinn. Aber wozu noch darüber reden, das Ganze war von Anfang an dummes Zeug. Schrott hat sich mit dem Eifer des Dilettanten in seine Hirngespinste verwickelt und wird nicht mehr herausfinden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2015 um 04.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#30520

In der Ilias gibt es eine Stelle, die mich beim ersten Lesen ein wenig verwundert hat (3,442ff.). Aus dem Zweikampf mit Menelaos wird Paris bekanntlich durch seine Beschützerin Aphrodite "entrückt" und entkommt damit seiner tödlichen Niederlage. Aber er wird nicht nur in Sicherheit gebracht, sondern will sofort mit Helena schlafen. Er bekennt ihr, so scharf auf sie zu sein wie noch nie, nicht einmal damals, als er sie entführte. (Sie verachtet ihn inzwischen, ebenso wie sich selbst, muß sich aber fügen.)
Diese extreme Geilheit hängt anscheinend psychologisch mit der Erregung des Kampfes zusammen, eine Art "Übersprung" im Sinne der Ethologie, aber die Schulkommentare gehen darauf nicht ein. Dabei wäre der Zusammenhang von Kämpfen und Vergewaltigen ein aktuelles Thema.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2015 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#30324

In einem größeren Beitrag in der FAZ (24.10.15) gibt Raoul Schrott eine Neuübersetzung der ersten Verse der Ilias. Alle Übersetzer, auch er selbst, hätten diese Stelle bisher falsch verstanden. Nicht der Zorn des Achill, sondern der Zorn der Göttin, nämlich Themis, auf Achill sei gemeint, daher:

"Groll verkünde, Themis, über Peleus'  Sohn Achilleus und seinen Zorn:
richte ihn zugrunde, da er unsägliches  Leid über die Achaier brachte"

Nicht nur die Übersetzer aller Völker und Zeiten hätten sich demnach geirrt, sondern überhaupt jeder, auch die alten Griechen selbst.

Schrott verfolgt nebenbei seine Theorie zur Lokalisierung von Schauplatz und Leben des Dichters weiter, aber das will ich hier nicht kommentieren, auch nicht seine anfänglich geäußerten Bedenken, ob der Dichter die Muse auffordern darf, all das vorzutragen, was er selbst vorzutragen beabsichtigt.

Die "Menis" des Achill wäre also mit dem Genitivus objectivus verbunden, wofür Schrott eine Parallele aus Sophokles beibringt. (Aber woher kommt der Zorn neben dem Groll?)

Das schwerste Bedenken betrifft meiner Ansicht nach die Tatsache, daß nun nicht mehr das Thema des ganzen Epos im Rahmen eines gattungsüblichen Musenanrufs am Anfang steht (wie auch in der Odyssee), sondern eine pazifistisch getönte Aufforderung an die Göttin, den schlimmen Haupthelden des Gedichts zu vernichten. "Verteufelt human", möchte man sagen, aber ob das stimmen kann? Sollen wir wirklich annehmen, daß der Epiker seinen Helden wegen dessen Gewalttätigkeit verurteilt und seine Vernichtung wünscht? "Was er mit seinem Epos vorlegt, ist letztlich eine gegen Achill, Zeus' Plan und den Krieg gerichtete Anklage." Ich nehme an, daß Latacz bald Stellung nehmen wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2014 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#26642

Homer schildert nach allgemeiner Auffassung eine schriftlose Adelskultur. Ob er selbst geschrieben hat, ist eine der bekanntesten Fragen der Kulturgeschichte. Selbst wenn er die Schrift kannte (was natürlich sehr naheliegt), muß er sie nicht benutzt haben. Panini kennt auch eine Wurzel "schreiben", hat aber sein Werk mündlich und für die mündliche Überlieferung verfaßt. Die bis in die Gegenwart bekannten Rhapsoden wissen auch, daß es Schrift gibt, benutzen sie aber nicht für ihre Lieder.
Bekanntlich ist eine Schlüsselstelle Ilias 6 (Z) 168–170, die Geschichte von Bellerophontes, dem ein Diptychon mitgegeben wurde, das durch "traurige Zeichen" (semata lygra) seine Tötung anordnete. Ob es sich dabei um eine Buchstabenschrift handelte, ist nicht klar. Für mich klingt die Stelle so, als habe Homer geradezu vermeiden wollen, schlichtweg von Schrift zu sprechen, wie seine modernen Hörer es verstanden, und sich absichtlich archaisierend ausgedrückt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2012 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#20251

Schrotts neue Erzählung wird in der Süddeutschen Zeitung gelobt, in der FAZ ziemlich verrissen. Daniela Strigl, die ihre Besprechung übrigens schon vorher im Standard veröffentlicht hat, ironisiert auch die mangelhaften Latein- und Griechischkenntnisse Schrotts, der doch aus beiden Sprachen übersetzt hat.

Den kuriosen Genitiv "limbus patrorum" (wohl analog zum häufigeren "limbus puerorum") findet man in der neueren Literatur ziemlich oft, sogar auf der Website des Passauer Theologieprofessors Stinglhammer.

Schrott ist auch seinem Verlag Hanser ein Rätsel, denn dieser behauptet im kurzen Lebenslauf einerseits "lebt in Irland" und wenige Zeiten später "lebt in Österreich". Das Ungreifbare des Schriftstellers könnte damit recht gut getroffen sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2012 um 17.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#20217

Hier ist die zweite Folge der Kleinen Sprachkritik von Joachim Latacz: "Wenn der aufwändige Relaunch zum Turnaround führt" (www.welt.de)

Aber was die Redaktion über ihre verdienstvolle Rubrik sagt, ist nicht Fisch noch Fleisch:

Ȇber diese Kolumne

Alarmruf
Ende 2011 hat der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Besorgnis um die deutsche Sprache geäußert. Im Umgang mit ihr werde “nachlässig verfahren”.
Etwa zwanzig Prozent eines Jahrgangs der 15-Jährigen müssten als Analphabeten gelten: “ein Zustand, der nicht hingenommen werden darf”. Gefordert sei eine “gemeinsame Anstrengung”. Konkret: “Rechtschreibung muss eine stärkere Rolle in Schule und Lehrerausbildung einnehmen".
Der Rat für deutsche Rechtschreibung unterstütze daher “Bemühungen, die sich für einen bewussten Umgang mit der deutschen Rechtschreibung einsetzen."

Was wir wollen
"Welt Online" möchte den Appell aufnehmen. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, die nicht nur Lehrer, sondern gerade auch die Medien für eine gute Beherrschung der Rechtschreibung und allgemein der deutschen Sprache innerhalb der nachwachsenden Generation haben.
In dieser Kolumne sollen künftig Beobachtungen zum Sprachgebrauch sowie Problemfälle der gegenwärtig gültigen Rechtschreibregelung aufgegriffen werden, deren bewusste Vergegenwärtigung den Sinn für gute Sprache schärfen könnte. Mit Absicht wurde eine lockere Form gewählt.
Für Hinweise auf sprachliche Fragwürdigkeiten sind wir dankbar. Gern über die Kommentarfunktion dieses Artikels.«



Wenn man den Sinn für gute Sprache schärft, muß man die Rechtschreibreform ablehnen – und wieder in der bewährten drucken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2012 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#20146

Homer-Forscher Latacz macht sich in der Welt-online über die Rechtschreibreform lustig:

Warum Paulinchen keine Jogger anspringt

Leider bewirkt das bei der "Welt" gar nichts.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 10.05.2010 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#16204

Die allzu berechtigte Kritik an Schrotts Pseudo-Wissenschaft hat das ZDF nicht davon abgehalten, seinen Thesen eine ganze Sendung zu widmen und Schrott quasi als Moderator fungieren zu lassen. Latacz kommt darin zwar auch vor, aber nur für ein paar Sekunden (www.toptv.de/Sendung/terra-x-der-fall-troja-homers-letztes-geheimnis/521323).

Aber der Sender läßt ja auch regelmäßig die "Detektive der Vergangenheit" unter dem Kommando von Professor (!) Guido Knopp auf das nichtsahnende Publikum los, und zwar unter dem Titel "ZDF History". Während der Titel wohl Weltläufigkeit suggerieren soll, bewegt sich der Inhalt auf dem Niveau der Klatsch- und Regenbogenpresse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2010 um 09.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#15482

Sowohl Schrotts Thesen zu Homer als auch seine Ilias-Übersetzung sind viel kommentiert worden, am ausführlichsten, soweit ich weiß, von Paul Dräger, dessen Beitrag in der unbedingt lesenswerten Langfassung hier heruntergeladen werden kann:
http://www.uni-tuebingen.de/troia/deu/Rezension-Schrott-Homer.pdf
(Keine Angst! Griechischkenntnisse sind nicht unbedingt nötig.)

Neben anderen Fehlern begeht Schrott den, der uns schon aus der "Bibel in gerechter Sprache" bekannt ist: er schmuggelt – und zwar völlig bewußt – seine unmaßgebliche Meinung zum Text in dessen Übersetzung hinein. Dadurch wird es dem neugierigen Leser unmöglich gemacht, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Erstaunlich ist die teilweise doch recht wohlwollende Beurteilung durch manche Altsprachendidaktiker. Sie argumentieren ähnlich wie die Deutschdidaktiker im Fall Sick: Mag der Autor auch unrecht haben, so regt er doch die Leute (bzw. die Schüler) zur Beschäftigung mit dem Gegenstand an. Ich halte das für falsch und gefährlich. Selbst die Lektüre sehr alter und in gewissem Sinne auch überholter Übersetzungen, die selbst schon wieder Klassiker geworden sind (Voß zu Homer, Luther zur Bibel), vermitteln ein weniger fehlerhaftes Bild des Originals als die modernen Verhunzungen.

Für die Deutschlehrer kommt nur in Betracht, Sick rundweg abzulehnen und für die Schüler mit einem Warnschild zu versehen. Er hat in der Schule nichts zu suchen. Schrott desgleichen im altsprachlichen Unterricht, weder als Buch noch als CD.

In einer anderen Besprechung fand ich das folgende hübsche Zitat:
"Überhaupt fangen die populären Gründe an, in unseren Wissenschaften wieder eine Rolle zu spielen. Bald werden wir den Kampf mit Gründen geführt sehen, die selbst die Dummheit nicht mehr begreifen wird." (Droysen an Welcker)

Es handelt sich in der Tat um eine Art Pop-Wissenschaft, und das Schlimme ist, daß der Unterschied zur seriösen entweder nicht mehr wahrgenommen oder für gleichgültig erklärt wird. (Anything goes, nur unterhaltsam muß es sein.)
 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 03.02.2008 um 09.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=944#11344

Unklar ist mir nach dem Lesen des Artikels „Wir sind Kinder des Okzidents“ von Herrn Christian Meier unter Literatur und Kunst in der NZZ vom 2./3. Februar 2008 höchstens, warum Troja sich in Kilikien befunden haben sollte.

Fand Herr Schrott sein „Troia“ möglicherweise auf einem Schrotthaufen?
 
 

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