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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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20.01.2007
 

Unentschuldigt
Was unseren Kindern zugemutet wird

Im Jahrgangsstufentest Deutsch (8. Klasse an bayerischen Gymnasien) wurde den Schülern im Jahre 2000 ein Fehler angerechnet, wenn sie „wohlgesinnt“ zusammenschrieben. Inzwischen ist allein diese Zusammenschreibung wieder richtig.
Im Jahre 2004 waren dieselben Schüler, die man zuvor mit der 1996er Rechtschreibung traktiert hatte (und wie! – die neue Intensität des Rechtschreibunterrichts wurde ja als besonderer Vorzug der Reform gepriesen), immer noch Schüler und hätten nun wieder umlernen müssen, wenn denn die Lehrer das Ganze überhaupt noch ernst nähmen. Das tun sie aber größtenteils nicht, sondern bekennen offen ihre Gleichgültigkeit und ihre ohnmächtige Verachtung für die da oben.
Eigentlich müßte die Staatsregierung ein Entschuldigungsschreiben an alle Schulen schicken, das in einer staatsbürgerkundlichen Sonderveranstaltung vor den Schülern verlesen werden könnte. Das geschieht natürlich nicht, sondern man breitet den Mantel des Schweigens über die peinliche Geschichte.



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Kommentare zu »Unentschuldigt«
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Kommentar von Trinitrotoluol, verfaßt am 22.01.2007 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7359

Lehrer werden ja überwiegend diejenigen, die niemals die Strukturen der Schule überwunden haben.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 21.01.2007 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7352

Ja, was ist Realität? Und wodurch wird Welt – durch Idee oder Wille? Oder durch Verordnung von oben?
Für viele Lehrer trifft wohl letzteres zu. Die RSR birgt mitsamt ihren Auswirkungen bestimmt fundamentale sozialpsychologische Fragen in sich, oder nicht?

Zumindest ist es interessant und erschreckend zugleich, wenn man dann von einem langjährigen Lehrer (Mathematik und eine Naturwissenschaft unterrichtet er) hören muß, daß die ganze Diskussion doch aufgesetzt sei, daß v.a. die Kritiker in vollkommen falschen Kategorien dächten, daß es ja alles ganz anders sei, daß Rechtschreibung ohnehin immer im Wandel gewesen wäre, daß Rechtschreibung vor der Reform auch autoritär bestimmt gewesen wäre, daß die Reform ein Phänomen sei, was in einer Demokratie nun einmal so vorkommen könne, daß die Reform das Deutsche leichter gemacht hätte (zu schreiben und zu lernen), daß sprachwissenschaftliche und grammatische Argumente gegen die Reform doktrinär seien – und daß sich Deutschland eigentlich schämen müßte, weil es umgeben von Ländern ist, die diese doch so überflüssige Großschreibung schon längst abgeschafft haben und trotzdem (siehe da!) wunderbar zurechtkommen.

Ja, man kann solche Menschen dann durchaus irgendwann verstehen, wenn man sich ein wenig Zeit genommen hat, um ihre Kategorien zu durchschauen, ihren „Sitz im Leben“ zu ergründen; trotzdem komme ich irgendwie nur zu einem Urteil: wie kann man nur so borniert sein …
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 21.01.2007 um 14.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7351

97% der orthographischen Regeln seien den Schülern leicht zu vermitteln,

berichtete jener Lehrer in einem Interview für Deutschlandradio Kultur im August 2006, der auch die Internetseite www.lehrerfreund.de betreibt (auf seiner Internetseite als mp3-File verfügbar).

Außerdem behauptet er, daß das richtige Schreiben heute nicht mehr durch lesen erworben wird, sondern durch das Anwenden eines gelernten Regelwerkes. Das sei heute eben der Sprachwandel.

Da kann man eigentlich nur sagen, der Erfolg läßt zu Wünschen übrig...
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.01.2007 um 12.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7349

Die "ss-Reform" ist der richtige Name für das, was für die nächste Zeit von der sogenannten Rechtschreibreform übrigbleiben wird, und dieser Name hilft, auch noch diesen Rest als unbrauchbar erkennen zu lassen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.01.2007 um 12.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7348

Was genau soll denn damit bewirkt werden?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.01.2007 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7347

Auf diesen Seiten sollte möglichst oft das Wort "ss-Reform" vorkommen. Bei Googel findet man es schon. Durch häufiges Auftreten muß erreicht werden, daß es auch bei Wikipedia nicht mehr ignoriert werden kann.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.01.2007 um 12.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7346

Das "Stammprinzip" und anderes

Der Name (Terminus?) ist ohne weiteres assoziierbar mit dynastischer Politik, Ahnenforschung, Forstwirtschaft oder NS-Ideologie. Sollte der Rückgriff auf im volksetymologischen Dunstkreis Waberndes gemeint sein? Dann aber hätte schon in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Proto-Augst die Verschriftung von nämlich zu nähmlich verbiegen müssen, weil bereits damals viele Grundschüler dieses Wort auf nahm von nehmen, d.h auf den Präteritalstamm, zurückführten.

"Die Getrenntschreibung wird geregelt."
Sie war es also bis dato nicht? Doch, aber jetzt wird alles getrennt, was aus zwei Wörtern besteht. So einfach ist das, liebe Schülerlein!

"Großschreibung von Substantiven wird gestärkt."
Immer wen "gestärkt" oder "verstärkt" im Text auftaucht, sollte man hellhörig (nicht: hell hörig) werden. Gemeint und vollzogen haben die Deformer indessen etwas anderes. Sie haben per Schreibung Wörter zu Substantiven gequält und so das deutsche Nomen indefinibel gemacht. Bis zur Deform bezog sich Großgeschriebenes fast ausnahmslos auf Gegenstände, und man hätte die wenigen Widersprüche ohne Getöse ausmerzen können. Dank der Deform kann sich Großgeschriebenes auf fast alles beziehen.

"Trennung nach Sprechsilben."
Den Deformern war aufgefallen, daß die deutsche Silbentrennung ihren Namen nicht oder nur halb verdient. Statt nun aber füglich den Namen zu ändern, versuchten sie die Graphie in den Namen zu prügeln, so daß im Zeilenumbruch alle nicht indigen deutschen Wörter schlicht unleserlich werden. All das sollte unbedarften Schreibern zugutekommen und wird jedem Leser zugemutet, bis sich ihm diese ramponierten Schriftbilder endlich eingepägt haben und er wie die Unbedarften schreibt bzw. - nach dem Willen der Landesbildungsfürsten - schreiben muß.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 21.01.2007 um 11.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7345

Neue s-Schreibung? Warum steht da nicht korrekt -ss-Schreibung? Im übrigen der einzige Punkt, der ohne jeden Schimmer einer Andeutung seiner Nützlichkeit einfach nur so dasteht - oder ist 'neu' schon aus sich heraus ein Vorteil? Zu dem Zeitpunkt waren bereits Befunde bekannt, die das Gegenteil belegten.
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 21.01.2007 um 11.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=775#7343

Mit dem Hinweis, man sei den Schülern eine sachliche Argumentation schuldig, wurde im September 2004 eine Liste mit 10 guten Gründen für die Reform publiziert (Karin Wolff, Hessen):

1. Einfachheit der Rechtschreibung
2. Alte Rechtschreibung – viele Ausnahmen untergraben die Regeln
3. Neue Rechtschreibung – bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit
4. Das Stammprinzip wird gefestigt
5. Neue s-Schreibung
6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten
7. Getrenntschreibung wird geregelt
8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt
9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt
10. Trennung nach Sprechsilben

Einige dieser Punkte implizieren Behauptungen, deren Schlüssigkeit bis jetzt noch nie nachgewiesen wurde, andere sind zwischenzeitlich obsolet geworden.

Jedenfalls ist kein einziges Argument dabei, das sachlich anerkannt wurde und daher regelgerecht in die Schreibintuition der Allgemeinheit Einzug fand.
 
 

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